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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend das Rechtsverfahren gegenüber dem Bund.

(Vom 14. Juli 1885.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Anläßlich eines Strafprozesses, in welchem das schweizerische Postdepartement einen erheblichen Postdiebstahl zur Anzeige gebracht und dessen strafgerichtliche Verfolgung bei der kompetenten kantonalen Behörde verlangt hatte, wurde ihm die Rolle des Privatklägers zugetheilt und, nachdem -der Angeschuldigte freigesprochen worden war, der eidgenössische Fiskus zu Tragung der in die Tausende gehenden Untersuchungs- und Prozeßkosten verfällt und dem Angeschuldigten für allfällige Entschädigungsforderungen das privatrechtliche Verfahren offen behalten. Eine daherige Entschädigungsklage ist zwar seither vom Bundesgerichte abgewiesen worden, weil die Civilansprüche, seines Erachtens, anläßlich der Urtheilsfällung durch den Strafrichter hätten bereinigt werden sollen und dem Civilrichter eine bezügliche Kompetenz nicht mehr zustehe; allein damit ist die Angelegenheit insofern noch nicht erledigt, als neuerdings Versuche gemacht werden wollen, den Postfiskus vor einem andern Forum auf Schadloshaltung zu belangen.

Wir nehmen von diesem Spezialfalle Veranlassung, die Stellung des Bundes in derartigen Untersuchungssachen näher zu präzisiren.

Nach Mitgabe der Bestimmungen des im konkreten Falle zur Anwendung gekommenen kantonalen Strafverfahrens sowie nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen wäre eine Verfällung des eidgenössischen Fiskus zu den Untersuch ungs- und Prozeßkosten unthunlich gewesen, wenn die kantonalen Untersuchungsbehörden, statt dem

727 Postdepartement die Rolle des Privatklägers anzuweisen, dessen Mittheilung als gewöhnliche Anzeige behandelt hätten und, wie es bei gemeinen Verbrechen in der Natur der Sache liegt, von Amteswegen vorgegangen wären. Die Strafjustiz bedarf, sowie sie amtliche Kenntniß von einem gemeinen Verbrechen erhalten liât, keiner bestimmten, d. h. auf Bestrafung bestimmter Personen gelichteten Antrüge mehr, sondern sie hat, wieder nach allgemeinen Rechtsgrundsatzen, von Amteswegen einzuschreiten. Findet sie, daß genügende Indizien zur Anhtmdnahrne und Durchführung der Untersuchung vorhanden seien, so wird sie dies thun und thtin müssen, ohne daß sie den Anzeiger, im Falle einer Freisprechung, tur Untersuchungs- und Prozeßkosten, oder gar für eine Entschädigung an den Inkulpaten verantwortlich erklären könnte, denn ein allfälliger Mißgriff wäre dann ihre Sache und sie seihst hätte dafür einzustehen.

Es ist daher selbstverständlich, daß, wenn die Bundesverwaltung ein gemeines Verbrechen oder Vergehen zur Anzeige bringt, sie das nicht in dem Sinne thut, daß nun unter allen Umständen gegen den von ihr genannten Verdächtigen eingeschritten werden müßte, sondern in dem Sinne, daß es ins gewissenhafte Ermessen der Untersuchungsbehörde gestellt bleibe, beim Vorhandensein genügender Indizien von Amteswegen einzusehreiten, wobei natürlich alle Rechtsmittel gegen Rechtsverweigerung vorbehalten blieben.

Keinesfalls aber kann sie sich von vorneherein in die Stellung eines Privatklägers drängen lassen, welcher die Folgen allfälliger Mißgriffe der gerichtlichen Polizei und der Strafjusti?, überhaupt auf sich zu nehmen hätte. Sie beansprucht für sich nicht mehr Rechte, sie verlangt aber auch nicht ungünstiger behandelt zu werden als jeder Private, der ein gemeines Verbrechen zur Anzeige bringt. Eine gegentheilige Praxis müßte ja die Rechtsverfolgung in nicht zu rechtfertigender Weise erschweren.

Wir ersuchen Sie daher, den Organen Ihrer Strafjustiz in ge eignetet- Weise zur Kenntniß zu bringen, daß die Buudesverwaltung, in Wahrung ihrer fiskalischen Interessen und der Rechtssicherheit überhaupt, in jedem Kanton wirksamen amtlichen Schutz und daher seibstverständlieh eine Verfolgung der gegen den Piskus gerichteten Verbrechen und Vergehen von A m t e s w e g e n , also auf hloße Anzeige h i n , beanspruchen müsse,
und daß eine derartige Anzeige, wenn auch seitens der vorzeigenden, nicht überall mit juristischen Kenntnissen ausgerüsteten Amtsstelle nicht immer in korrekter Weise ahgef'alit, doch nie die Meinung haben könne, daß nun die Bundesverwaltung aus der Rolle eines bloßen A n z e i g e r s heraustrete und diejenige eines P r i v a t k l ä g e r s übernehme.

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Im Uebrigen benutzen wir auch diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns dem Machtschutze des Allmächtigen zu empfehlen.

B e r n , den 14. Juli 1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers: Rin gier.

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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Eintragungen in die Civilstandsregister.

(Vom 14. Juli 1885.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Aus verschiedeneu an das schweizerische Bundesgericht gelangten Ehescheidungsakten hat sich ergeben, daß einzelne Gerichte den Zivilstandsämtern auch solche richterliche Urtheile mitzutheilen pflegen, welche nicht auf Scheidung, sondern auf bloße Trennung von Tisch und Bett gehen, und daß die Zivilstandsämter die betreffenden Entscheidungen in die Standesregister eintragen. Auf demselben Wege ist ferner konstatirt worden, daß Ehescheidungsurtheile der kantonalen Gerichte nicht selten in die Zivilstandsregister eingetragen werden , bevor sie in Rechtskraft erwachsen sind.

Derartige Eintragungen sind offenbar unzuläßig. Durch den Vormerk von Temporalscheidungserkenntnissen kommt in die Standes-

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend das Rechtsverfahren gegenüber dem Bund. (Vom 14. Juli 1885.)

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18.07.1885

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