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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die zwischen dem Staatsrath des Kantons Genf und der Eisenbahngesellschaft von Paris nach Lyon und dem Mittelmeer abgeschlossenen Vereinbarungen über den Bau und Betrieb der Eisenbahn Genf (Vollandes)-Annemasse.

(Vom 18. März 1885.)

Tit.

Vermöge der Bundesbeschlüsse vom 22. Juni 1877 (Eisenbahnaktensammlung n. F. IV, 221) und 27. April 1882 (EAS. n. F. VII, 36) ist der Kanton Genf im Besitz der Konzession für eine Eisenbahn von Genf (Vollandes-Rive) bis an die französische Grenze bei Annemasse. Betreffend die Fortführung der Linie bis zur französischen Ortschaft Annemasse und den Betrieb der ganzen 5,3 km.

langen Strcke ist am 14. Juni 1881 (Amt!. Samml. n. F. VI, 526) ein Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich vereinbart worden, durch den die Regierung der französischen Republik sich verpflichtete, den Bau auf ihrem Gebiet sicher zn stellen, während die Schweiz sich verbindlich machte, für die Erstellung der von ihr konzessionirten Strecke zu sorgen. Art. 4 dieses Vertrages enthält folgende Bestimmungen : ,,Die beiden Regierungen werden zu ermöglichen suchen, daß die Strecke, welche zwischen der schweizerischen und der französischen Grenzstation, also zum Theil auf schweizerischem und zum Theil auf französischem Gebiete liegt, von einer und derselben Gesellschaft oder Verwaltung betrieben wird.

93 ,,Sie sind damit einverstanden , daß die Gesellschaften oder Verwaltungen, denen der Betrieb der Linien auf den beiderseitigen Gebieten zusteht, sich mit Bezug auf den genannten Punkt unter sich verständigen. Die bezügliche Uebereinkunft soll der Genehmigung der vertragschließenden hohen Parteien unterstellt werden, welche sich vorbehalten, sich, was diesen Betrieb anbetrifft, auf dem Wege der Korrespondenz abschließlich zu verständigen."· In Ergänzung dazu ist im Art. 5 gesagt, daß die Verwaltung, welcher der gemeinschaftliche Betrieb anvertraut werde, in jedem der beiden Länder ein Domizil zu bezeichnen und einen Bevollmächtigten zur Entgegennahme der nöthig werdenden Mittheilungen aller Art zu bestellen habe.

Der Staatsvertrag ist am 28. April 1882 von der Bundesversammlung genehmigt worden, nachdem die Regierung von Genf unterm 17. März und gestützt auf die durch das kantonale Gesetz vom 7. September 1881 erhaltene Ermächtigung dem Bundesrath die Erklärung abgegeben hatte, die Bahnstrecke Vollandes-Landesgrenze nach Maßgabe der Konzession auf Kosten des Kantons zur Ausführung zu bringen. Von Prankreich ist der Staatsvertrag am 19. Juni 1882 ratifizirt worden.

Der Staatsrath, welcher laut dem in der Eisenbahnaktensammlung n. F. VIII, 30, abgedruckten Bundesvathsbeschluß vom 22. April 1882 verpflichtet ist, die Baupläne bis längstens am 1. Juli 1885 der Bundesbehörde vorzulegen, hatte sieh nun zunächst über die Art der Bauausführung schlüssig zu machen. Er entschied sich, darüber mit der Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn zu verhandeln, welche laut einer seither eingegangenen Mittheilung der französischen Regierung -- vom 22. Oktober 1884 -- die Annahme der Konzession für den auf dortigem Gebiet liegenden Tronçon erklärt hat und welcher daher auch der Bau des letztern obliegen wird.

Aus diesen Verhandlungen ging eine Konvention, vom 30. Oktober 1883, hervor, durch welche die Verwaltung der Paris-LyonMittelmeer-Bahn sich grundsätzlich zur Uebernahme des Baues und des Betriebs auch der Strecke auf Schweizergebiet verpflichtete.

Diese Konvention ist unterm 3. Mai 1884 vom Großen Rath des Kantons Genf genehmigt und- es ist dabei der Staatsrath beauftragt worden, die weitern nöthigen Ausführungs v ertrage zu vereinbaren.

Diese Verträge sind unterm 6./7. März d. J. abgeschlossen worden.

Sie haben die Form: · 1) eines von Vertretern der beiden Parteien unterzeichneten Betriebsvertrages; ·

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2) eines vom Staatsrath aufgestellten und von der Verwaltung der Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn als für sie verbindlich anerkannten Pflichtenheftes über die Bauausführung.

Der Staatsrath von Genf legt dieselben mit Schreiben vont 7. März dem Bundesrath vor und bittet denselben : 1) die Genehmigung des Betriebsvertrages wo möglich noch während der laufenden Session der Bundesversammlung den gesetzgebenden Käthen zu empfehlen; 2) das Pflichtenheft betreffend die Bauausführung von sich aus zu genehmigen.

Die beiden Vorlagen geben grundsätzlich zu keiner Beanstandung Anlaß. Es ist in den thatsächlichen Verhältnissen begründet, wenn der Kanton Genf weder den Bau noch den Betrieb der in Rede stehenden Bahn in Regie besorgen will, und ebenso, daß er sich in beiden Richtungen mit derjenigen Gesellschaft zu verständigen suchte, welcher hinsichtlich der Fortsetzung der Bahn auf dem Territorium der französischen Republik die Verpflichtung zum Bau obliegt und das Recht des Betriebes zusteht. Wenn man sich in letzterer Beziehung verständigen konnte, so war zugleich auch der im Art. 4 des Staatsvertrags niedergelegten Intention des einheitlichen Betriebes auf der Grenzstrecke entsprochen.

Auf ihren Inhalt angesehen, so unterstellten die beiden Vereinbarungen in erster Linie die Gesellschaft der Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn als Bau- und Betriebsunte.rnehmorin den Vorschriften, welche in der vom Bund ortheilten Konzession und im Staats vertrag vom 14. Juni 1881 enthalten sind, und nicht minder den bestehenden und den zukünftigen Vorschriften der schweizerischen Eisenbahngesetzgebung und allen daraus hervorgehenden Anordnungen der Bundesbehörden.

Wo Restriktionen gemacht sind (Art. 6 im Betriebsvertrag, wo die Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn für den Fall unannehmbarer künftiger Anordnungen der Bundesbehörden die vorzeitige Kündigung des Vertrages sich vorbehält, und Art. 7, wo die Betriebspächterin die Kosten von Nachtzügen dem Kanton Genf zuweist), gehen sie nur gegen den Kanton Genf als Vertragskontrahenten und nicht gegen die Rechte des Bundes. Und wo in der Detailausführung einzelne Bestimmungen ausnahmsweise nicht mit dem Wortlaut der Konzession übereinstimmen, hat die Abänderung im Interesse der Erleichterung des Verkehrs oder der Förderung des Unternehmens und in erlaubter Weise stattgefunden. Wir heben in dieser Richtung

95 die Bestimmung im Art. 8 des Betriebsvertrages hervor, wo das Gewicht des taxfreien Gepäcks auf 30 kg. limitirt ist, während die Konzession, Art. 12, nur von 10kg. Freigepäck spricht ; ferner aus dem Pflichtenheft für den Bau den Artikel 8, durch welchen die Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn verhalten wird, die Bahn binnen 3 Jahren vom Beginn der Erdarbeiten hinweg zu vollenden, während Art. 4 der Konzession dafür eine fünfjährige Frist vorgesehen hat.

Auch ist der bereits berührten Vorschrift im Art. 5 des Staatsvertrags betreffend die Bezeichnung eines Domizils und eines Bevollmächtigten der Betriebsgesellschaft dadurch entsprochen, daß im Eingang des Betriebs Vertrags als Domizil der Bahnhof in Genf und als Repräsentant der Gesellschaft der dortige Stationsvorstand bezeichnet wird. Im Pflichtenheft für den Bau ist die Erwählung eines Domizils und die Bezeichnung eines Vertreters der Paris-LyonMittelmeer-Bahn in der Schweiz ebenfalls gefordert und zugestanden.

Der Buudesrath hat die Mittel, die Erfüllung dieser Vertragsbestimmung nöthigenfalls zu erzwinget). Im Uebrigen sind die Vorlagen entweder identisch mit dem Inhalt der Konzession und des Staatsvertrags oder der Gesetzgebung, oder sie enthalten Verständigungen, welche im freien Ermessen der Betheiligten stehen.

Dagegen theilen wir die Ansicht des Staatsrathes nicht, daß das Pflichtenheft betreffend den Bau nur der bundesräthlichen Genehmigung zu unterstellen sei. Werden konzessionsmäßige Rechte und Pflichten übertragen, so ist nach Art. 10 des Bundesgesetzes über das Eisenbahnwesen vom 23. Dezember 1872 von der Bundesversammlung zu entscheiden; wenn eine solche Uebertragung n i c h t stattfindet, so liegt ein Werkvertrag vor, den die Kontrahenten nach freiem Belieben vereinbaren mögen. Nun ist die erstere Eventualität aber evident vorhanden ; der Kanton Genf überträgt (Art. 4 des Pflichtenhefts) der Paris Lyon-Mittelmeer-Bahn ausdrücklich das Recht der Expropriation, sowie überhaupt alle hinsichtlich des Baues einer Eisenbahn dem Konzessionär verliehenen Befugnisse.

Die Kompetenz der Bundesversammlung ist also auch hinsichtlich des Pflichtenheftes über den Bau begründet.

Wir sind nun aber aus einem formellen Grund verhindert, heute den Antrag auf Genehmigung der beiden Vorlagen zu stellen.

Im Gesetz vom 3. Mai 1884, Art. 5, am Schluß,
ist nämlich die Genehmigung der Vereinbarungen zwischen dem Staatsrath von Genf und der Paris-Lyon-Mittelrneer-Bahn dem Großen Käthe vorbehalten, und es geht aus dem bei den Akten liegenden Auszug aus dem Protokoll des Staatsrathes vom 7. März 1885 hervor, daß dies noch nicht geschehen ist; der Staatsrath will jene Vereinbarungen dem Großen Rath erst vorlegen, wenn sie die Genehmigung

96 der Bundesbehörden erhalten haben. Wir glauben, daß umgekehrt die Bundesgenehmigung erst dann ausgesprochen werden soll, wenn die ihr unterstellten Verträge im Uebrigen perfekt sind, und wir wüßten keinen Fall, wo anders verfahren worden wäre. Die Bundesversammlung kann doch nicht die Genehmigung eines Vertrags aussprechen unter der Eventualität, daß einer der Betheiligten denselben nicht oder nur unter noch nicht festgestellten Bedingungen genehmigen könnte.

Um indessen dem Staatsrath von Genf Rechnung zu tragen, welcher befürchtet, daß eine Behandlung der Angelegenheit erst in der ordentlichen Sommersession der Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn Anlaß geben .könnte, die auf den 1. Juli vorgesehene Vorlage der Pläne zu unterlassen und damit eine Verzögerung in die Bauausführung zu bringen, ersuchen wir Sie, uns Vollmacht zu ertheilen, die Uebertragung des Baues und Betriebes der Eisenbahn Genf(Vollandes)- Annemasse an die Gesellschaft der Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn im Sinn des nachstehenden Beschlußantrages von uns aus zu bewilligen, sobald die Ratifikation der Verträge seitens des Großen Käthes des Kantons Genf stattgefunden hat. Es kann inzwischen die Zeit auch dazu benutzt werden, die durch die bereits erwähnte Mittheilung der französischen Regierung vom 22. Oktober 1884 begründete Annahme, daß durch Ueberlassuiig des Betriebs des genferschen Stücks der Eisenbahn nach Annemasse der einheitliche Betrieb im Sinn des Staatsvertrags wirklich hergestellt ist, in formellster Weise zu konstatiren.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 18. März 1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

97 (Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

die zwischen dem Staatsrath des Kantons Genf und der Eisenbahngesellschaft von Paris nach Lyon und dem Mittelmeer abgeschlossenen Vereinbarungen über den Bau und den Betrieb der Eisenbahn Genf (Vollandes)Annemasse.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1) einer Zuschrift des Staatsraths des Kantons Genf vom 7. ds. Mts.

mit Beilagen ; 2) des Gesetzes des Kantons Genf vom 3. Mai 1884, betreffend die Genehmigung der am 30. Oktober 1883 zwischen dem Staatsrath und der Verwaltung der Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn abgeschlossenen Konvention ; 3) des Vertrags zwischen dem Staatsrath des Kantons Genf und der Verwaltung der Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn über den Betrieb der Eisenbahn Genf (Vollandes) - Annemasse, vom 6./7. März 1885, und des am gleichen Tage von der Verwaltung der ParisLyon-Mittelmeerbahn als verbindlieh anerkannten Pflichtenheftes über die Ausführung des Baues der genannten Bahn; 4) einer Botschaft des Bundesrathes vom 18. März 1885, beschließt: 1. Der Bundesrath wird ermächtigt, die Uebertragung des Baues und des Betriebes der am 22. Juni 1877 (Eisenbahnaktensammlung n. F. IV, 221) und 27. April 1882 (EAS. n. F. VII, 36) dem Kanton Genf konzessionirten Eisenbahn von Genf (Vollandes) bis zur Landesgrenze bei Annemasse an die Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn im Sinn des Pflichtenheftes über den Bau und des Vertrags über den Betrieb vom 6./7. März 1885 zu genehmigen, sobald der Große Rath des Kantons Genf diesen beiden Aktenstücken die vorbehaltene Ratifikation ertheilt haben wird.

2. Der Bundesrath wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. II.

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1885

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21.03.1885

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