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Bericht des

deutschen Berichterstatters der ständeräthlichen Kommission über den Entwurf eines neuen Militärstrafgesetzbuches.

(Vom 15. März 1885.)

Tit.

Der Bericht des Bundesrathes über die Anlage und Einteilung des neuen Militärstrafgesetzentwurfes und über die in demselben zur Anwendung kommenden Grundsätze ist so einläßlich und umfassend, daß in dieser Richtung eine weitere Erörterung überflüssig erscheint und ich auf diesen umfangreichen und gründlichen Bericht, sowie auf-den in gleicher Weise in's materielle Detail eingehenden Bericht des tit. Präsidiums unserer Kommission verweisen darf.

Ich beschränke mich daher auf einige Betrachtungen über die innere Anlage und die allgemeine Bedeutung des neuen Entwurfes.

Vorab, Herr Präsident, meine Herren, drängen sieh schon bei der Frage, in welcher Weise und in welchem Umfange der Rath in die Berathung des vorliegenden Entwurfes eintreten soll, eine Anzahl prinzipieller Fragen auf, deren Lösung auf die gegenwärtige Gestaltung dieses Entwurfes von entschiedener Bedeutung sein wird.

Es kann sieh in dieser Berathung meines Erachtens nicht darum handeln, eine in sich abgeschlossene und fertige Arbeit in einer so überaus wichtigen und difflcilen Materie jetzt schon zu erstellen, sondern wir müssen uns vorerst darauf beschränken, den neuen Entwurf in seiner ganzen Anlage und seinen Grundsätzen

tes* in Berathung zu ziehen und die uns nöthig scheinenden Verbesserungen und Schlußnahmen zu fassen. Hingegen die letzte Feile können wir jetzt noch nicht an diesen Entwurf legen. Vielmehr hat Ihre Kommission das Gefühl, daß der vorliegende Entwurf in seinem Detail in gewissen Partien noch einer wissenschaftlichen Durcharbeitung und namentlich einer redaktionellen Durchsichtung und Läuterung bedarf, wenn wir einmal über die grundsätzliche« Bestimmungen desselben schlüssig geworden sein werden.

Ihre Kommission, von der leider nur fünf und nach dem Tode unseres Kollegen Hildebrand nur noch vier Mitglieder jeweils anwesend waren, hat den gleichen Weg eingeschlagen und hat in Uebereinstimmung mit dem Bundesrathe sich auf grundsätzliche Vorschläge und Zusätze und , wo es nöthig schien , auch auf materielle Abänderungen beschränkt.

Die unserer Berathung sich vorab und in erster Linie präsentirende prinzipielle Frage ist die: Soll an Stelle des bisherigen Gesetzes ein v o l l s t ä n d i g neues Gesetzbuch geschaffen werden, oder soll man sich mit den nothwendig gewordenen Verbesserungen des bisherigen Gesetzbuches begnügen ? Der Entwurf und Ihre Kommission gehen darin einig, daß eine bloße Umarbeitung des bisherigen Gesetzes an sich eine viel schwierigere Arbeit wäre, als die Erstellung eines neuen, und überdies das bisherige Geseta derart den jetzigen Anschauungen widerspricht und unsern Verhältnissen und der Eigenart unserer Milizarmee fremd gegenübersteht, daß wir von demselben ganz Umgang nehmen und etwasAnderes schaffen müssen, wenn wir wirklich etwas Besseres und uns Dienliches haben wollen.

Betrachten wir, bevor wir die prinzipiellen Grundlagen näher besprechen, den neuen Entwurf in seiner Totalität, so springt uns vorab ein Vorzug in die Augen , welcher an und für sich allein uns dazu bestimmen dürfte, denselben trotz anderer Schwächen in seiner vorwürfigen Grundlage zu acceptiren.

Dieser Vorzug besteht darin, daß der neue Entwurf auf einen» originalen Boden steht, daß er sieh in gleicher Weise, wie unsere neue Militärorganisation, den Eigentümlichkeiten unseres nationalen Milizsystems und den in unserer Armee vorhandenen eigenartigen Verhältnissen anzuschließen weiß -- kurz, daß dieser Entwurf im Gegensatz zu unsern bisherigen Militärstrafgesetzgebungen nicht eine uns fremde und ferne
liegende Gesetzgebung bloß kopirt.

sondern sich auf den heimatlichen Boden, den Boden unseres Miliasystems, stellt.

Bis zu diesem neuen Entwurf waren wir fast durchweg von fremden Einflüssen in unserer Militärstrafgesetzgebung abhängig-;

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die fremden Dienste brachten uns auch die fremde Strafgesetzgebung, und auch unser gegenwärtiges Militärstrafrecht steht vorzugsweise auf fremdem Boden; dasselbe vermischt auch in unsern Verhältnissen stets den Kriegszustand und den Friedenszustand ; es vermag den bei uns normalen Instruktionsdienst nicht von dem Kriegsdienst zu unterscheiden, und so kommt es , daß die harten Strafen stehender Armeen oder solcher, welche wenigstens stets auf dem Kriegsfuß standen und ganz andere Ziele und eine ganz aridere Stellung hatten, als unsere Milizarmee, vielfach auf unsern friedlichen Instruktionsdienst angewendet wurden.

Dabei waren diese unsere Strafgesetzbücher so komplizirt und umfangreich, daß sie unserem Militär stets fremd blieben und in ihrer Schwerfälligkeit und ihres Umfangs halber selbst den Justizoffizieren es schwer machten, sieh in ihnen zurecht zu finden. Hatte doch das Militärstrafgeselz von 1812 338, dasjenige von 1837 407, das bisherige gar 449 Paragraphen.

Es ist nun zweifellos eine ungemein schwierige und delikate Aufgabe, ein Strafgesetzbuch für eine Milizarmee aufzustellen, die heute im Bürgerkleide und morgen im Militärrock ist, und wo mit dem Uebergang vom Bürger zum Soldaten für denselben eine ganz andere Gesetzgebung und Rechtsprechung maßgebend sein soll.

Dieser stets wechselnde Dualismus zwischen den weiten Grenzen der demokratischen Freiheiten im bürgerlichen Leben und den engen Schranken der militärischen Unterwerfung unter den Befehl der Obern und des unbedingten Gehorsams kann nicht ohne Einfluß auf unsere militärische Strafgesetzgebung bleiben; es müssen diese Verhältnisse in derselben berücksichtigt werden und es gebt nicht an, daß man, wie es die bisherige Militärstrafgesetzgebung thut, im Militärdienste einen auf die Friedensverhältnisse und den Instruktionsdienst, gar nicht passenden, rigorosen und überhaupt nicht vorhandenen Kriegszustand präsumirt und unter dieser Voraussetzung militärische Strafen aufstellt, die für eben diesen Friedensdienst viel zu hoch sind.

Ein Strafgesetzbuch für unsere Miliz- und Bürgersoldaten muß daher das schwierige Dilemma lösen: Auf der einen Seite diese doppelte Stellung des Militärs als solcher-und als Bürger in der Strafgesetzgebung zu berücksichtigen und namentlich die Strafmaße dem Friedensdienst und den mit diesem verbundenen
besondern Verhältnissen anzupassen verstehen. Wir können also gegenüber unsern Milizen nicht einfach die Verhältnisse einer stehenden oder wenigstens einer ganz andere Zwecke und andere Ziele verfolgenden fremden Armee bezüglich der Strafgesetzgebung kopiren.

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Auf der andern Seite aber, müssen wir gerade dem Bürgerund Milizsoldaten gegenüber, dem in Folge der langen Friedenszeit und des beständigen Schuldienstes das Gefühl der Verantwortlichkeit und des Ernstes des Militärw esens leicht abhanden kommt und der in diesem Dienst nur eine Lust oder ein nichtssagendes Spiel sehen möchte, durch die Militärs!rafgesetzgebung den Ernst der Sache und die hohe Verantwortlichkeit des Militärstandes zum Bewußtsein bringen.

Langer Friede und steter bloßer Instruktionsdienst, also die Entwöhnung vom Krieg, üben naturgemäß einen destruktiven Einfluß auch auf die lebensfähigste Armee und namentlich auf die Disziplin einer Milizarmee aus. Diesem auflösenden Einfluß kann und muß begegnet werden durch eine gute und vernünftige Militärstrafgesetzgebung, in der in ? agemessener, den Milizen imponirender Weise der Ernst des Dienstes zum Ausdruck kommt und wo die Verantwortlichkeit, der die Militärs .in .dem Dienstverhältnisse ausgesetzt sind, stets wach erhalten wird.

Der vorliegende Entwur f hat die Eigenart unseres Milizsystems, wie wir glauben, in glücklicher Weise dadurch zu berücksichtigen gesucht, daß er in der ganzen Behandlung der militärischen Strafgesetzgebung grundsätzlich d e n I n s t r u k t i o n s - u n d a k t i v e n o d e r K r i e g s d i e n s t , die Friedens- und Kriegslage unterschieden hat.

Der gegenwärtige Strafgesetzentwurf basirt auf dem F r i e d e n s verhältnisse, als dem normal 3n und regelmäßigen, und das eigentliche a k t i v e oder Kriegsverhältniß ist nur in einem Kapitel dem VII. Titel enthalten.

Im Gegensatz zu dem bisherigen Strafgesetz;, das, wie schon erörtert, zumeist keine bestimmte und klare Unterscheidung zwischen Instruktions- und Kriegsdienst macht, deßhalb hohe Strafminima und theilweise für den Friedenszustand ganz drakonische Strafen aufstellt, so z. B. kann ein Diebstuhl von Fr. 5 vor das Kriegsgericht gezogen und muß mit, 6 Monaten Zuchthaus bestraft werden ; im Gegensatz also zum bisherigen Gesetz läßt der neue Entwurf dem Richter freie Hand, bei der Strafausmessung eben die vorhandenen Verhältnisse zu bei Hellsichtigen und, je nachdem es sich um Friedens- oder aktiven Dienst handelt, das gleiche Vergehen milder oder härter zu beurtheilen. So kann das gleiche Vergehen, z. B. Insubordination, Desertion etc., je nach Umständen und in Rücksicht auf den Instruktion s- oder wirklichen Kriegsdienst disziplinarisch mit Gefängniß oder mit vieljähriger Zuchthausstrafe belegt werden.

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Es gestattet somit diese grundsätzliche Unterscheidung zwischen Instruktions- und aktivem Dienst bei Ausmessung der Strafe stets eine angemessene Rücksicht auf die vorhandene Friedens- oder Kriegslage, während in dem bisherigen Gesetz fast s t e t s nur die S c h ä r f e eines gar nicht vorhandenen Kriegszustandes in der Strafzumessung zum Ausdruck kommt. Ja nicht einmal in der äußern Form vermochte das bisherige Gesetz den Instruktions- von dem aktiven Dienst zu unterscheiden. Welcher Militär erinnert sich nicht, wie bei jeder bloßen Instruktionsilbung, wo eine Abtheilung Rekruten oder eine Kompagnie oder ein Bataillon Soldaten zum friedlichen Schuldienst einrückten, diesen, sobald sie im Kasernenhof besammelt waren, in feierlicher Weise die Kriegsartikel vorgelesen und ihnen mitgetheilt wurde, daß, falls sie sich in diesem Dienste des falsch Werbens vor dem Feinde oder der Spionage oder des Hochverrathes oder der Uebergabe einer Festung schuldig machen, sie mit dem Tode und stets mit dem Tode bestraft würden.

Mit solchen Proklamationen hat man, weil eben in total unpassenden Verhältnissen angewendet, gerade das Gegentheil von dem bewirkt, was man damit bewirken wollte, und statt des Ernstes, den man mit diesen Strafandrohungen erwecken wollte, machten sich die mit dem fortwährenden Tode Bedrohten darüber lustig.

Die Kriegsartikel des neuen Entwurfes, wie sie im Titel VII desselben enthalten sind, bilden den natürlichen und durchaus logischen Uebergang vom bloßen Instruktionsdienst aum aktiven Dienst, uud sie enthalten einfach die Modifikationen, welche zu dein für den Friedenszustand berechneten Gesetze im Falle des aktiven oder Kriegsdienstes hinzutreten. Dabei enthält schon der erste Artikel dieser Kriegsartikel eine klare, Jedermann verständliche Definition des Unterschiedes zwischen Instruktions- und aktivem Dienst, und zugleich wird gesagt, wann der aktive Dienst und wann der Kriegsdienst als eingetreten zu betrachten sei.

Es enthalten somit diese Kriegsartikel die natürliche und sich von selbst ergebende Steigerung der Verantwortlichkeit der Militärpersonen, wenn der Dienst vom Friedens- zum Kriegsdienste wird, und in gleichem Maße, wie sieh die Verantwortlichkeit durch den Ernst def Lage für jeden Dienstpflichtigen steigert; im gleichen Verhältnisse verschärfen sich auch die Strafen
jür jedes dannzumal begangene Vergehen oder Verbrechen.

Die Kriegsartikel enthalten dann neben den durt'.h eben die Veränderung im Dienste nothwenclig gewordenen veränderten Strafbestimmungen noch die Bestimmungen über die Verbrechen, die nur im Kriegszustände vorzukommen pflegen, wie die Bestimmungen

173 über Hochverrath, Spionage, Feigheit vor dem Feiade etc., und dea Fernern eine Anzahl Bestimmungen über das Völkerrecht. Es sollen die Dienstpflichtigen damit auf die völkerrechtlichen Pflichten aufmerksam gemacht werden, die namentlich aus der Beobachtung unserer Neutralität jedem Soldaten erwachsen und worüber die Truppen doch einigermaßen orientirt sein miissen.

Wenn wir zweifellos diese grundsätzliche Auseinanderhaltung des Instruktions- und des aktiven Dienstes eine für unser Milizsystem glückliche Lösung nennen müssen, so dürfen doch auch die Nachtheile nicht verschwiegen werden, die diese Einrichtung mit sich bringt. Die Rücksicht auf diese verschiedenen Verhältnisse machen es nothwendig, daß dem Richter eine ganz bedeutende Latitude und Kompetenz in der Strafzumessung eingeräumt werden muß. Es mußten deshalb fast überall im Gesetze die Strafminima beseitigt werden, und dem Richter steht unter Umständen für die Bestrafung des gleichen Vergehens die ganze Stufenleiter der Strafen von der Disziplinar- oder Gefängnißstrafe bis zur lebenslänglichen Zuchthausstrafe zu Gebot. Dieser enorme Spielraum, der dem Richter bei der Strafausmessung eingeräumt ist, verlangt auf der einen Seite ein ganz tüchtiges, gewandtes und einigermaßen juristisch gebildetes Richterpersonal, von dem man erwarten darf, daß in seiner Hand die ihm durch das Gesetz gegebene Kompetenz in deiStrafausmessung nicht zur Willkürliehkeit wird. Auf der anderen Seite muß das nothwendige Correlai zu einer solchen weitgehenden Ausdehnung des richterlichen Ermessens eine sehr sorgfältig redigirte Gesetzgebung sein, die möglichst präzis gehaltene und unzweideutige Begriffsbestimmungen hat, damit der Richter bei der Anwendung des Gesetzes und der Interpretation desselben möglichst wenig fehlgreift. Mit andern Worten : die unzweideutigen und klaren Begriffsbestimmungen des Gesetzes müssen einigermaßen das Correktiv bilden für das sehr weit gehende Ermessen, das dem Richter in der Strafzumessung eingeräumt ist, damit der nahe liegenden Versuchung zu Willkürlichkeiten vorgebeugt wird.

Nun daif hier nicht unerwähnt bleiben, daß der Entwurf nach diesen beiden Seiten hin nicht ganz die wünschbare Sicherheit bietet.

Was die Organisation der Militärgerichte betrifft, so ist der Sprechende und mit ihm die allerdings uur aus 2 Mitgliedern
bestehende Mehrheit der Kommission (Herr Präsident Cornaz stimmte »1s solcher nicht und stimmte die Kommission deshalb nur 3 Mitglieder stark) der Ansicht, daß das Jury verfahren, wie es der Entwurf enthält und wo gerade bei der Beurtheilung schwerer Vergehen, welche über ein Jahr Zuchthaus hinaus erhalten, vier durch den blinden Zufall ausgelooste Geschvvorne die Mehrheit des Gre-

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richtes bilden, nicht dazu angethan ist, einen Gerichtshof zu bilden, dem man so bedeutende und weit gehende Kompetenzen einräumen darf. Und dies um so weniger, als dieser Gerichtshof ja nicht nur über die Schuldfrage, sondern eben über die Anwendung des Gesetzes, die Bestimmung der Strafe und über alle diejenigen Verhältnisse zu urtheilen hat, welche die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen auf ein Verbrechen mit sieh bringen. Das scheint von vier durch Zufall zusammengewürfelten Geschwornen zu viel verlangt zu sein. Zudem hat das von dem Entwurf vorgeschlagene Verfahren die Jury derart aller charakteristischen Wesenheit des Geschwornengerichtes entkleidet, daß in diesem Entwurf eigentlich nur noch der Name, nicht aber das Wesen der Geschwornengerichte zu finden ist.

Ihre Kommission in der schon genannten Mehrheit schlägt; Ihnen daher statt des Juryverfahrens des Entwurfes ständige Militärgerichte vor. Es ist diese Frage, ob Jury oder ständige Gerichte, eine essentielle und grundsätzliche und sie soll ihre Erörterung natürlich nicht hier, sondern bei der Detailberathung über das Prozeßverfahren finden, und deshalb begnüge ich mich bis dahin mil diesen wenigen Andeutungen.

Was dann die in dem neuen Entwurf enthaltenen Begriffsbestimmungen und Definitionen betrifft, so hat derselbe im Gegensatz zu den bisherigen weitläufigen Bestimmungen sich bemüht, möglichst kurze und gedrängte Definitionen EU geben und verschiedene Verbrechungsbegriffe in ein und denselben Artikel zu verschmelzen. Dieses Procedere hat nun allerdings den Vortheil einer gedrängten und ü bbersichtlichen Anordnung des Stoffes in dein Entwurf zur Folge gehabt; allein auf der andern Seite tritt eben der Nachtheil ein, daß die Kürze der Definition oft auf Kosten der Deutlichkeit und der wissenschaftlieh festgestellten Begriffsbestimmungen einzelner Verbrechensgattungen und Definitionen des Strafrechtes geschieht und namentlich auch verschiedene nicht zusammen gehörende Begriffe nicht auseinander gehalten, sondern ohne Rücksicht auf ihre Verschiedenheit in ein Begriffsganzes zusammengeschachtelt werden. Um kurz zu sein, so muß erwähnt werden, daß überhaupt die Definitionen des Entwurfes da und dort der speziell juristisch-wissenschaftlichen Schärfe entbehren. Dies gilt namentlich von den Definitionen in Titel II, gemeine Verbrechen
bei der Brandstiftung, den Körperverletzungen u. s. w., und auch im Prozeßverfahren finden sich solche wissenschaftliche Schnitzer.

Daher ist es wenigstens mein Wunsch und ich glaube auch derjenige der Kommission und wohl auch derjenige des Bundesrathes, daß Ihre Versammlung sich in dieser Berathung nur auf die

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grundsätzlichen Fragen und den materiellen Inhalt des Entwurfes beschränkt, daß dann aber noch eine genaue und nach speziell kriminalistischen, wissenschaftlichen Grundsätzen verfahrende Durcharbeitung und Durchsichtung des Entwurfes nach seiner redaktionellen Seite hin stattfinden sollte. Die Sache ist wichtig genug, um in dieser Richtung nichts zu versäumen.

Lieber die Eintheilung und die in jedem der 7 Titel aufgeführten Materien hat sich Her bundesräthliche Bericht hinreichend und gründlich ausgesprochen; ich unterlasse es deshalb, darüber Weiteres zu sagen. Zurückkehrend auf die Fragen prinzipieller Natur, die bei der Berathung des Entwurfes zu diskutiren sind, so habe ich bereits der; prinzipiellen Frage erwähnt: Wollen wir ein vollständig neues Militärstrafgesetzbuch, und diese Frage dürfte zugleich mit der Eintretensfrage auf diesen Entwurf entschieden werden.

Die übrigen grundsätzlichen Fragen werden, wenn Sie Eintreten beschlossen haben, in den einschlagenden Titeln zur Erörterung kommen. Wir haben hier vorab die Frage über die Ausdehnung der Kompetenz der Militärstrafjusti bezw. die Präge: Sollen auch im Frieden die Civilpersonen unter gewissen Umständen der Militärstrafjustiz unterworfen werden? Diese Frage wird ihre Entscheidung schon im ersten Theil finden müssen, wo es sich um die Subjekte handelt, auf welche dieses Strafgesetzbuch Anwendung finden soll.

Des Weitem werden Sie entscheiden: Sollen die gemeinen Verbrechen den Civilgerichten zur Beurtheilung überlassen werden, odor sollen sie nach Vorschlag des Entwurfes und der Mehrheit Ihrer Kommission ebenfalls der Militärjustin unterworfen werden ? Würden Sie sich zu Ersterem entschließen, so würde der ganze Titel IT aus dem Entwurf wegfallen.

Im III. Titel wird der wichtige Art. 70 einer grundsätzlichen Erörterung rufen, der in Verbindung mit Art. l, lein in» 6, die Civilpersonen auch im Friedenszustand für gewisse Verbrechen der militärischen Justizhoheit unterwerfen will.

Der IV. Titel: Das Prozeßverfahren, wird namentlich zu der Diskussion über die schon erwähnte Frage führen: Soll eine Jury oder ein ständiges Militärgericht eingeführt werden? Ferner werden die Kompetenzen des Oberauditors etc., die Verhandlungsart vor dem Gericht Anlaß zur Diskussion geben. Im V. Titel haben wir das neue Institut der Ehrengerichte und im
VI. ebenfalls neue Bestimmungen über die Civilkompetenz der Militärbehörden, resp. die Kompetenz derselben zur Entscheidung von Civilstreitigkeiten und das Militärtestament. Ganz neu in seiner Anlage ist endlich der Vil. Titel über die Kriegsartikel.

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Zum Schlüsse müssen wir immerhiu koristatiren, daß trotz mehrfacher Schwächen und Aussetzungen der vorliegende neue Militärstrafgeseteentwurf gegenüber dem bisherigen Strafgesetzbuch ganz bedeutende Vorzüge enthält und zu unserer neuen Militärorganisation eine werthvolle und nothwendige Ergänzung bildet und auch, wie diese, auf eigenem nationalem Boden gewachsen und «nsern nationalen Milizverhältnissen in bisher entbehrter Weise gerecht zu werden bestrebt ist.

Hat schon die neue Militärorganisation einen ganz neuen, guten und lebenskräftigen Geist in unsere Armee gebracht, so wird eine vernünftige und verständliche Militärstrafgesetzgebung, die eben so weit vom säbelrasselnden Militarismus, als von jener frivolen Gesinnung entfernt ist, als ob unser Militärwesen nur ein nutzloses und lästiges Spiel wäre, ein weiterer bedeutender Hebel zu einer kräftigen und strammen Reorganisation unserer nationalen Wehrkraft sein; denn eben eine gute, im Kriege und im Frieden gleich brauchbare Militiirstrafgesetzgebung ist ja ein Hauptmittel zur Aufrechterhaltung der Disziplin, zur Förderung bewußter und ernster Manuszucht und zu Gehorsam und Ordnung, was ja Alles zu den Haupttugenden einer lebensfähigen Armee gehört.

Es ist gewiß nicht als bloßer Zufall zu betrachten, daß die Eidgenossen, als sie die ruhmvollste Armee Europas waren, zugleich ·ein eben so energisches als humanes und praktisches Kriegsrecht hatten, dessen Grundlage schon der Sempacherbrief von 1393 bildete.

Und ebenso ist es kaum bloßer Zufall, daß auf den Schlachtfeldern von Pavia und Marignano, wo eben jenes Kriegsrecht verachtet, verhöhnt und gebrochen wurde, die ruhmvolle Kriegszeit der Eidgenossen anfing zur Neige zu gehen.

In unsern ruhmlosen militärischen Zeiten war unsere Strafgesetzgebungnur eine Nachahmung fremder uns un verständlicher Verhältnisse auswärtiger Armeen. Jetzt kehren wir wieder auf unsern heimatlichen Boden zurück und versuchen aus unsern eigenartigen Verhältnissen heraus unser Kriegsrecht zu schaffen, und damit werden wir der frischen Lebenskraft und dem Aufschwung, welchen unsere Militärverhältnisse mit der neuen Militärorganisation genommen haben, «in neues und nothwendiges Element beifügen.

Ich beantrage Ihnen, Namens der Kommission, Eintreten auf die Berathung des vorliegenden Entwurfes, und zwar in dem Sinne, daß die Berathung sich auf die Beschlußfassung über die grundsätzlichen und materiellen Seiten des Entwurfes beschränke und

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die Redaktion nach dessen Behandlung im Nationalrathe dein h. Bundesrathe zur nochmaligen redaktionellen Ueberarbeitung zurückgegeben werden möchte.

B e r n , den 15. März 1885.

Namens der Kommission : Der deutsche Berichterstatter : Kellersberger.

Note. Ueber den Entwurf eines neuen Militärstrafgesetzbuches hat Hr. Ständerath C o r n a z einen selbständigen Bericht in f r a n z ö s i s c h e r Sprache abgefaßt, welcher im II. Bande der französischen Ausgabe des Bundesblattes vom Jahr 1885, Seite 10 u. ff. sich findet.

Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. II.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Garantie der Staatsverfassung des Kantons Waadt, vom 1. März 1885.

(Vom 16. März 1885.)

Tit.

Der Staatsrath des Kantons Waadt übermittelt uns durch Zusendung vom 12. d. M. eine neue Verfassung dieses Kantons in amtlich beglaubigter Ausfertigung und versehen mit der Bescheinigung, daß diese neue Verfassung in der Volksabstimmung vom 1. März 1885 durch 29,095 von 48,277 abgegebenen Stimmen angenommen worden sei und demzufolge das Datum des 1. März 1885 tragen werde.

Der Staatsrath ersucht uns, die Verfassung der Bundesversammlung zur eidgenössischen Gewährleistung in Gemäßheit von Art. 6 der Bundesverfassung vorzulegen.

Indem wir uns anschicken, Ihnen, Tit., unsern diesfälligen Antrag zu hinterbringen, wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Punkte lenken, in denen die zu garantirende neue Kantonsverfassung von der bisherigen Verfassung vom '15. Dezember 1861 und dem konstitutionellen Dekrete vom 22. Mai 1872, betreffend das Stimmrecht der Schweizerbürger in Gemeindesachen, abweicht und die wichtigsten grundsätzlichen Neuerungen in kurzen Zügen hervorheben.

Art. 11. Die Todesstrafe ist untersagt. Art. 19 der bisherigen Verfassung beschränkte sich darauf, zu erklären, daß die Todes-

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Bericht des deutschen Berichterstatters der ständeräthlichen Kommission über den Entwurf eines neuen Militärstrafgesetzbuches. (Vom 15. März 1885.)

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28.03.1885

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168-178

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