564

# S T #

Nachtrag zur Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend den Entwurf eines Gesetzes über den Geschäftsbetrieb von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens.

(Vom 6. März 1885.)

Tit.

Im Schöße der ständeräthlichen Kommission, welche den oben genannten Gesetzentwurf vorzuberathen hat, ist anschließend au Art. 10 desselben die Aufnahme des folgenden neuen Artikels beantragt worden : ,,Jede Bedingung oder Uebereinkunft in der Police einer Lebensversicherungsgesellschaft, welche die Folge hätte, den Versicherton der Gesammtheit oder des größern Theils seiner Einzahlungen verlustig zu machen, kann durch die Gerichte ungültig erklärt werden."

Von der Kommission zur Einreichung eines Berichts ober die Zuläßigkeit und Zweckmäßigkeit eines solchen Zusatzes eingeladen, haben wir zunächst darauf aufmerksam zu machen, einerseits daß dieser Antrag sich nicht bloß auf den in Art. 10 besprochenen Fall einer Konzessionsentziehung beschränkt, sondern ein ganz all gemeines Prinzip für alle Lebensversicherungsverträge aufstellt, andrerseits daß der Antrag wiederum zu eng gefaßt erscheint, indem er nur die Lebensversicherung berücksichtigt, während dieselbe Kontroverse auch auf andern Versicherungsgebieten, namentlich auf demjenigen der Unfall- und der Feuerversicherung auftritt

und mit ebenso gutem G r u n d e auch mit Rücksicht auf diese zu behandeln wäre.

Nicht das ist somit fü uns die Frage, ob es zweckmäßig sei, einzelne pvivatrechtliche Bestimmungen über den V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g in unser Aufsichtsgesetz aufzunehmen, sondern vielmehr das, ob das neue Gesetz neben den Vorschriften über die S t a a t s a u f s i c h t auch die ganze p r i v a t r e c h t l i c h e R e g e l u n g des Versicherungswesens enthalten solle. Wir müssen dies verneinen, und wenn der Titel unseres Gesetzentwurfes zu einem solchen Mißverständnis Veranlassung geboten haben sollte, so ist derselbe abzuändern.

Eine zwingende Nothwendigkeit, die verwaltungsrechtliche und die privatrechtliche Seite des Versicherungswesens in Einem Gesetz zusammen zu behandeln, können wir nicht einsehen; die Verschiedenartigkeit des Stoffes und der ausführenden Behörden spricht cher für zwei besondere Gesetze. Die verwaltungsrechtliche Partie dieser Gesetzgebung ist die Ausführung einer Bestimmung des Art. 34 (1er Bundesverfassung, die privatrechtliche eine Weiterführung des durch Art. 64 gerufenen Obligationenrechts und hätte eigentlich in das letztere gehört. Der erste Entwurf eines solchen behandelte mich wirklich das Versicherungsrecht; man ließ aber den betreffenden Abschnitt gerade deßhalb fallen, weil man sich überzeugen mußte, daß diese Angelegenheit noch nicht reif sei. Dies hut sich seither nicht geändert; auch die Kommission, welche das Aufsichtsgesetz vorbereitet hat, mußte sich sagen, dieses sei nicht nur dringender, sondern es sei auch, so lange es nicht in Kraft besteht, gar nicht, möglich, die zur Bearbeitung des privaten Versicherungsrechtes nothwendigen Materialien zu beschaffen; erst müsse der Bund die Kompetenz besitzen, von den Gesellschaften, und zwar von allen, die nöthigen Aufschlüsse und Akten zu verlangen, sowie ein Versicherungsamt, welches die Geschäftsführung der Gesellschafte prüft, bevor er mit Sachkenntnis die bei unsern Verhältnissen nothwendigen und ausführbaren privatrechtlichen Bestimmungen vorschlagen kann.

Uic Organisation der Bundesaufsicht über die Versicherungsgesellschaften erschien aber auch aus dem Grunde als das Dringendere, weil dem Publikum durch Aufklärung über das Wesen der Versicherung, sowie über den Stand und die Wirksamkeit der Versicherungsgesellschaften,
welche es zu rechtzeitiger richtiger Auswahl befähigt, ein größerer Dienst geleistet ist, als durch die .nachträgliche Einmischung der Gesetzgebung in die bereits bestehenden Verträge, wie denn auch schon bisher die Konkurrenz der Gesellschaften

unter sich f ü r Milderung d e r

566

Selbst wenn wir persönlich gegen einen solchen neuen Artikel, sei's unverändert, sei's weiter oder enger gefaßt, materiell nichts einzuwenden hätten, so müßten wir doch ernstlich davor warnen, die bevorstehende Regelung der p r i v a t r e c h t l i c h e n S e i t e des V e r s i c h e r u n g s w e s e n s damit zu beginnen, daß wir über eine der wichtigsten und schwierigsten Prägen, ganz abgerissen vom Ganzen, eine einzelne Gesetzesbestimmung aufstellen, welche über das ganze zukünftige Gesetz präjudizirt, während über die demselben zu Grunde zu legenden Prinzipien noch nichts beschlossen, über deren Tragweite uad Folgen für unsere Versicherungsgesellschaften und das Versicherung suchende Publikum noch keine Untersuchung gewaltet hat. Es geht nicht an , heute über diese Versicherungsart und morgen über eine andere einzelne wichtige privatrechtliche Bestimmungen aufzustellen und erst nachträglich die Prinzipien zu studiren, auf welche dieses Versicherungsrecht überhaupt basirt werden soll. Wer sich vornimmt, eine neue Stadt zu bauen, wird erst einen Plan und ein Alignement entwerfen, bevor er die bedeutendsten Gebäude derselben errichtet.

Ein einzelnes Land kann ausländischen Gesellschaften gegenüber seine Gesetzgebung nur in beschränktem Umfange durchführen : wenn dieselben freiwillig oder gezwungen sich von einem Lande zurückziehen, so können dessen auf das Leben versicherte Angehörige dabei nur verlieren.

Noch haben die im Versicherungswesen fortgeschrittensten Länder Europas, Großbritannien, Frankreich und das Deutsche Reich, das private Versicherungsrecht, wenn wir von der Seeversicherung absehen, nicht kodifizirt.

Das allgemeine preußische Landrecht, die niederländische, die belgische, die ungarische und die italienische Handelsgesetzgebung behandeln freilich auch den Versicherungsvertrag; aber nach keinem dieser Gesetze hat der Versicherte bei seinem Rücktritte von dem Lebensversicherungsvertrag ein Recht auf Entschädigung Ferner muß nach keinem dieser Gesetze der Versicherer, wenn er aus irgend einem Grunde einen in Kraft gewesenen Lebensversicherungsvertrag aufhebt oder aufheben läßt, die Hälfte oder gar mehr als die Hälfte der bezogenen Prämien zurückerstatten; in den drei erstgenannten dieser Serie von Gesetzbüchern ist überhaupt von einer Rückerstattung von solchen Prämien in Folge
Aufhebung des Vertrages gar n i c h t die Rede; das italienische Handelsgesetz schreibt dem Versicherer nur bei Annullirung des Vertrages iu Folge von Selbstmord, Duell, Strafurtheil oder Verbrechen des Versicherungsnehmers eine Rückerstattung der bezogenen Prämien, und zwar nur von 1la derselben, vor, andere Bestimmungen des

567 Vertrages vorbehalten. Das ungarische Handelsgesetz läßt Rückerstattung der Prämien in demselben Umfang, außer bei solchen gewaltsamen Todesfällen, auch noch eintreten bei Kündung des Lebensversicherungsvertrages wegen wesentlicher Erhöhung des Risikos durch Wechsel des Berufes, ferner in einigen andern, ausdrücklich genannten Fällen, in welchen der Versicherte die Ungültigkeit oder das Erlöschen des Vertrages n i c h t verursacht hat.

Keines dieser ausländischen Gesetze kennt somit eine Pflicht zur Rückerstattung der Prämien in dem Umfange, wie vorgeschlagen wird; keines der in Kraft befindlichen schweizerischen Gesetze stellt eine bestimmte Norm einer allfälligen Rückerstattung auf, und nur eines, dasjenige des Kantons Neuenburg, vom 22. November 1878, gibt den auf das Leben Versicherten einer Gesellschaft gegenüber, welcher von der Regierung die Konzession entzogen worden, das nicht zu beneidende Recht, den Vertrag zu künden.

Gehen wir nun auf das Materielle des gestellten Antrages näher ein.

Seine Konsequenzen sind freilich unabsehbar. Sollte er sich, um nur einen der bedenklichsten Fälle zu erwähnen, auch auf die Altersversicherung beziehen und statuirei!, daß derjenige, welcher sich für eine in einem bestimmten Alter fällige Summe oder Rente versichert, seine Prämien nicht verlieren dürfe, wenn er vor diesem Alter stirbt, jedoch vor dem Tode den Vertrag kündigt, so dürfte für die übrigen Versicherten der Gewinn der Altersversicherung gegenüber der Sparkasse ein minimer werden, denn der Gewinn Derjenigen, welche das bezugsberechtigte Alter erreichen, besteht ja nur aus den Einzahlungen (nebst Zinsen) Derjenigen, welche es nicht erreichen.

Umgekehrt besteht bei der Todesversicherung der Gewinn Derjenigen, welche vor der Erreichung des wahrscheinlichen Lehensalters sterben, nur aus dem, was die es Ueberschreitenden an Prämien (und deren Zinsen) über ihre Versicherungssumme hinaus beitragen, und die Versicherungssumme kann den Erstem nicht ausbezahlt werden, wenn die Letztern bei einer Aufhebung des Vertrages mehr herausbekommen, als ihnen von Rechtswegen gehört. Es würde also auch die Todesversicherung, welche der Antragsteller wahrscheinlich einzig im Auge hat, in ihrem Lebensnerv getroffen, wenn durch eine gesetzliche Bestimmung dem einen, widerstandsfähigem Theil der Versicherten auf
Kosten des andern Theils ein größerer Anspruch auf die Reserve der Versicherungsgesellschaft zugesprochen würde, als ihm nach den Grundsätzen der Versicherungstechnik gebührt.

568

Der Antragsteller wird vielleicht erklären, daß sein Antrag auch bezüglich der Todesversicherung nicht in dieser Ausdehnung aufzufassen sei, sondern sich nur auf gewisse Fälle beziehe, in welchen entweder der Versicherer den Vertrag als dahin gefallen erkläre oder der Versicherungsnehmer durch die Umständegezwungen sei, von demselben zurückzutreten. Ersteres pflegt dei- Fall »u sein, wenn der Versicherungsnehmer in seinem Versicherungsantrag bezüglich der Gesundheit, des Alters etc. unwahre Angaben gemacht, oder wenn er während der Versicherung zu einer Beschäftigung oder Lebensweise von größerem Risiko übergeht odor seinen Wohnsitz; außerhalb des Versicherungsgebiets verlegt, wenn er ohne eine vorherige Verständigung mit der Gesellschaft die Prämien zu entrichten unterläßt, oder wenn der Versicherte infolge von Selbstmord, Duell oder Kriegsdienst stirbt; letzteres tritt ein bei Verarmung und bei der Auswanderung.

Es wird nun kaum postulili werden dürfen, daß ein Versicherungsnehmer die Gesellschaft in wesentlichen Dingen betrügen oder die Erfüllung seiner Verpflichtung einfach unterlassen dürfe, ohne daß der andere Kontrahent vom Vertrage zurücktreten könne.

Was jedoch die übrigen genannten Fälle betrifft, so machen in fast allen schon jetzt unsere in- und ausländischen Versicherungsgesellschaften gewisse Zugeständnisse, welche zwar nach dem Urtheile der Techniker in einzelnen Punkten etwas weiter gehen könnten, jedoch nun einmal von den Versicherungsnehmern durch Unterzeichnung des Vertrages acceptir worden sind.

Unsere privatrechtliche Gesetzgebung Über das Versicherungswesen wird seiner Zeit nach gründlicher Prüfung der einzelnen Versicherungsarten und Fälle und der zur Durchführung des Gesetze disponibeln Mittel die richtige Remedur zu schaffen suchen.

Hier genügt es, nachzuweisen, daß der Antrag, es müsse, auch nur in den bezeichneten Fällen, bei Aufhebung des Todesversicherungsvertrages durch die eine oder die andere Partei stets wenigstens die Hälfte der einbezahlten Prämien zurückerstattet werden, zu weit geht.

Sprechen wir zuerst von den allgemein bekannten auf Gegenseitigkeit basirten Sterbekassen, in deren Statuten die bereits berührten Klauseln, wenn auch in der Regel weniger vollzählig, sich ebenfalls vorfinden. Diese Kassen haben, mit wenigen löblichen Ausnahmen, die den
gegenseitigen Feuerversicherungsanstalten entlehnte aber für die Lebensversicherung nicht geeignete Einrichtung, daß sie nur ungefähr soviel an jährlichen Beiträgen einziehen, als für die Bestreitung der im Rechnungsjahr fälligen Versicherungssummen und der Verwaltungskosten nothwendig ist, -- sei es nun in

569

der Weise, daß jeweilen beim Todesfall eines Versicherten vou jedem Mitgliede ein Franken einbezogen und die ganze Summe dei1 Familie des Gestorbenen eingehändigt wird, oder in der Weise, daß ein jedes Mitglied sich auf eine bestimmte Summe von z. B.

Fr. 1000, versichert und diese Summe im Sterbefalle auf die andern Mitglieder vertheilt wird. Es sind dies die Grundformen dieser Gattung von Versicherungsanstalten. Die kleinen Kapitalien, welche von einzelnen derselben ohne Kenntniß des zukünftigen Bedarfs gesammelt werden, und andere etwa vorkommende Variationen ändern an demjenigen, was wir über sie zu sagen haben, wesentJich Nichts.

Kann nun,i fragen wir,i eine solche Versicherungsanstalt DemJ O junigen, welcher durch A r m u t h , Auswanderung oder durch einen Vereinsbeschluß wegen Statuten Verletzung zum Austritt gezwungen ist, die Hälfte oder gar noch mehr seiner Einlagen zurückerstatten?

Sie ist ihm gerade so viel schuldig, als eine auf Gegenseitigkeit basirto Feuer- oder Hagelversicherung, welche von den Versicherten nur die /ur Deckung der Schäden notwendigen Beiträge bezieht, einem am Jahresschluß ausscheidenden Mitgliede schuldig ist, nämlich gar Nichts. Dieser hat freilich vielleicht Jahre lang beigesteuert und nie etwas in Haar bezogen; aber er hatte für seine Prämien den Gegenwerth in der Versicherung; die Kasse k a n n diese Prämien gar nicht zurückerstatten, denn sie liât sie zur Bezahlung der eingetretenen Schäden verwendet; darin besteht ja die Versicherung, daß aus den Beiträgen aller Mitglieder die Schäden der betroffenen gedeckt werden.

Einen ganz andern Vorwurf, als den, einzelne ihrer Mitglieder ihrer Ansprüche zu berauben, müssen wir diesen Sterbekassen gewöhnlichen Schlages machen : Indern sie nur so viel an Prämien beziehen, als zur Deckung des Jahresbedarfs nothwendig ist, gleichwohl aber in ihren Mitgliedern die Illusion nähren, als seien sie ebenso gut, aber billiger versichert, als die Mitglieder einer rationell eingerichteten Versicherungsanstalt, führen sie dieselben in eine Sackgasse und berauben sie unabsichtlich der Gelegenheit zu einer richtigen Versicherung. Nach der Mortalitätstabelle einer unserer größten schweizerischen Versicherungsanstalten sterben nämlich per Jahr im Alter von 30--31 Jahren 1,19% , ,, , 40-41 ,, 1,21 »/o ,, ,, ,, 50-51 .,, 2,09% , ,, ,, 60-61 ,, 3,37% ,, ,, , 70-71 ,, 10,79% ,, ,, ,, 80-81 .,, 15,38% ,, ,, ,, 90-91 ,, 42,86%

570

der Lebenden der betreffenden Altersklasse. Es kann also eine neu gegründete Sterbekasse mit Leichtigkeit in den ersten Jahren ihres Bestehens, da sie nur Leute unter 50 Jahren aufnimmt, mit einer Prämie von 1 */2--2 % des Versicherungskapitals auskommet!

und dahei jubelnd verkünden: es geht viel wohlfeiler, als in den großen, theuren Versicherungsanstalten! Aber je mehr ihrer Mitglieder in die höhern Altersklassen hinaufrücken, desto mehr steigt nach Obigein deren durchschnittliche Mortalität, damit steigt a u d i e i t 1 Prämie allmälig auf 3, 4, 6 , % ° / o des Versicherungskapitals, es wollen daher auch keine neue Mitglieder mehr beitreten : die Kasse bricht zusammen, und ihre Mitglieder sind jetzt zu a u n d u u d zu gebrechlich, um sich-noch bei einer soliden Anstalt versichern zu können.

Wenn also das neue Aufsichtsgesetz seinen Hauptzweck erfüllen soll, so darf es nicht von vorneherein solche Anstalten von der Bundesaufsicht dispensiren; es müssen wenigstens diejenigen, welche für höhere Summen als ein Begräbnißgeld von Fr. 100-200 versichern, dieser Aufsicht, im Interesse der Lebensversicherung, unterstellt werden.

Die rationell eingerichteten Lebensversicherungsanstalten, auf welche wir unsere Frage jetzt beziehen wollen, rechnen anders: sie taxiren Jeden nach seinem Risiko uud stellen daher die Frage nach Alter uud Gesundheit, auf deren richtiger Beantwortung die Versicherung basirt ist. Jede Altersklasse bildet daher eine besondere Abtheilung, mit gesonderter Berechnung der Einnahmen und Ausgaben füf dieselbe. Wenn man auch nicht weiß, wie lange Ein Mann von 30 Jahren leben wird, so weiß man doch, wie viele von 1000 im Alter von 30 Jahren Eintretenden im ersten, zweiten, dritten Jahre nach ihrem Eintritt sterben und wie Viele das folgende Jahr erreichen. Man kann daher berechnen, wie viel Jahr um Jahr bis zum Aussterben Aller stets zu bezahlen ist, und welche fixe Prämie mit Zinsen und Zinseszinsen genügt, um gerade die sämmtlichen Sterbesummen im Sterbejahr bezahlen zu können.

Diese Prämie, Nettoprämie genannt, beträgt bei der bereits berührten schweizerischen Anstalt für den 30-jährigen 1,97 °,'o der Versicherungssumme. Von dieser Prämie bleibt in den ersten Jahren ein Theil, jedoch nicht die Hälfte, in der Kasse, da ja die Mortalität nur l,19% beträgt. Mehr und mehr nähert sich
aber die Mortalität, d. h. der Jahresbedarf, dieser Nettoprämie; mit 50 Jahren steht der Jahresbedarf schon höher als die Nettoprämie und steigt immer mehr, so dass die Kasse nur infolge der frühern Ersparnisse uud der Zinse zahlungsfähig bleibt bis zum Aussterben der ganzen Klasse. Nur auf die so gemachte Ersparniß an Netto-

571

prämien haben die Versicherten ein Recht, nicht auf den für die Versicherung bereits ausgegebenen Theil, von welchem ganz dasselbe gilt, was wir über die von den Sterbekassen verausgabten Beiträge gesagt haben. Dieser rechnungsmäßige Antheil an der Reserve ^Deckungskapital) wird von den meisten unserer Versicherungsanstalten denjenigen als einmalige Einlage für eine reduzirte Versicherung -- ohne Abzug -- zu gut geschrieben, welche wegen Verarmung nicht weiter Prämien bezahlen können, und denjenigen herausgegeben, welche durch Selbstmord geendet.

Die von dem im Alter von 30 Jahren Eintretenden bezahlte Prämie beträgt jedoch bei der genannten Anstalt nicht 1,97 °/o, sondern 2,45 % der Versicherungssumme, d. h. es wird zur Nettoprämie ein Zuschlag von 24 °/o für Verwaltungskosten gemacht.

Zu diesen Verwaltungskosten sind nicht allein die Kosten der laufenden Verwaltung zu rechnen; es kommt noch hinzu die Amortisation der Einrichtungskosten, die Ausgabe für die Erwerbung jeder einzelnen Versicherung, ein Zuschlag für Deckung der Gefahr einer allfällig höhern Sterblichkeit oder eines alltallig tiefern Zinsfusses, .als bei der Ausmittelung der Nettoprämie in .Rechnung gebracht wurde. Dieser Zuschlag für Verwaltungskosten kann gar nie zurückgegeben werden; er wird für" die Versicherten verwendet; es wird sogar in den ersten Jahren der Versicherung mehr als dieser Zu: schlag verwendet, da die Acquisition allein mehr als den ganzen .Zuschlag., also noch einen Theil der Reserve in Anspruch nimmt, welcher Theil in den folgenden Jahren an der Verwaltung erspart werden muß, -- und die Acquisitionskosten sind nothwendig, da nur eine große Zahl der Versicherten eine gute und solide Organisation ermöglicht. Es geht hieraus hervor, daß in den ersten . Jahren einer Versicherung nicht einmal die bereits genannten Konzessionen gemacht werden können.

So liereit nun die meisten Anstalten sind, dem Versicherten nach einer gewissen Dauer der Versicherung (3 oder 5 Jahre) im Falle der Verarmung , auch der Auswanderung , des Selbstmordes etc. sein volles Deckuugskapital zuzugestehen, so können sie dasselbe doch nicht mit gleicher Liberalität Jedem, der ohne .zwingende Gründe austreten will, voll, d. h. ohne jeden Abzug, herausgeben. Sowie jede Acquisition für eine Lebensversicherungsanstalt ein Gewinn ist, der besonders
honorirt wird, so ist auch jeder nicht vorgesehene Austritt ein Verlust. Die Anstalt wäre, wenn sie solche Austritte begünstigte, in beständiger Gefahr, ihre jungen und noch gesunden Mitglieder an irgend eine neu auftauchende Konkurrenzanstalt zu verlieren und nur die ungesunden und altern, die keine andere Ansalt annimmt, zu behalten, womit die ganze, der

072

Organisation zu Grunde liegende Berechnung über den Haufen geworfen würde. Es pflegen daher schweizerische und deutsche, Anstalten nur etwa 3,4 der Reserve herauszugeben.

Die Reserve selbst beträgt, wie wir gesehen haben , in den ersten Jahren nicht die Hälfte der Nettoprämien, noch weniger dieHälfte der Bruttoprämien ; erst nach längerer Dauer (es hängt dies von sehr vielen Umständen a b , die hier nicht alle besprochen werden können) erreicht sie die Hälfte der eingezahlten Prämien, und daß auch dann, wenn sie diese Hälfte erreicht, die Polixe nicht ohne Weiteres gegen Auszahlung dieser Hälfte von der Anstalt zurückgekauft werden kann, haben wir gesehen.J Auch wenn der gestellte Antrag auf den Fall einer Konzessionsentziehung nach Art. 10 des Entwurfes beschränkt würde., könnten wir ihn nicht befürworten. Wenn im Interesse der Versicherten gegen eine insolvent gewordene Anstalt Schritte gethan werden müssen, M'as wohl bei Anwendung des Art. 10 die Regel sein wird, so müssen sie für alle Versicherten in gleicher Weise gethan werden und es können nicht für die Einen Vortheile auf Unkosten der Andern stipulirt werden. Ist aber nicht der Fall einer Liquidation vorhanden, so kann eine Konzessionsentziehung als solche nicht privat-rechtliche Verhältnisse, die vielleicht vor der Konzession oder außerhalb des Konzessionsgebietes entstanden sind und mit der Konzession überhaupt nichls zu thun haben, in der Weise verschieben, daß der eine Theil noch an diese Vertrüge gebunden ist, der andere aber nicht. In Betracht, daß für ältereVersicherte die Fortsetzung des Vertrages das Wünschbarste und.

Vorteilhafteste sein m u ß , wird die Aufsichtsbehörde ihr Hauptaugenmerk vielmehr darauf zu richten haben, daß trotz dus Aufhörens der Konzession und trotz des allfällig im Auslande befindlichen Sitzes der Gesellschaft erworbene Privatrechte von keiner Seite verletzt werden. -- Wenn wir hiemit unsere Bemerkungen über den gestelltem Antrag abschließen, so geschieht dies nicht in der Meinung, damit alle einschlagenden Fragen erschöpfend behandelt au haben. Unser Zweck war dabei einzig der, zu zeigen, wie schwierig eine, gerechte, das Versicherungswesen nicht schädigende Lösung der betreffenden civilrechtlichen Fragen sei und daß daher nicht über einzelne Verhältnisse, aus dem Zusammenhang mit dem Ganzen gerissen,
wichtige präjudizirende Entscheide gefällt, sondern das privatrechtliche Gebiet als Ganzes, nach sorgfältiger, allseitiger Prüfung und unter Benützung der bei der Bundesaufsicht zu machenden Erfahrungen geordnet werden sollte.

573

Indem wir Ihnen demgemäß Nichteintreten auf den gestellten Antrag empfehlen, benutzen wir den Anlaß, um Sie, Tit., aufs.

Neue unserer vollkommenen Hochschätzung zu versichern.

B e r n , den 6. März 1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes., Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

# S T #

Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Uebernahme der meteorologischen Station auf dem Säntis durch den Bund und die .entsprechende Er. höhung des jährlichen Gesammtkredites für die schweizerische meteorologische Centralanstalt.

(Vom 6. März 1885.)

Tit.

Die meteorologische Station auf dem Säntis, deren hohe wissenschaftliche Bedeutung heute sowohl irn Inland als im Ausland allgemein anerkannt wird, verdankt ihre Entstehung einem vom zweiten internationalen Meteorologenkongreß ausgesprochenen Wunsche. Der von der Direktion der schweizerischen meteorologischen Centralanstalt im Oktober letzten Jahres über die Thätigkeit derselben veröffentlichte Bericht sagt darüber Folgendes: ,,Schon Anfangs der 60er Jahre, bei Organisation der meteorologischen Beobachtungen in der Schweiz durch die naturforschende Gesellschaft, nahm die hiefür bestellte meteorologische Kommission die Etablirung einer möglichst vollständigen , mit Registririnstrumenten auszurüstenden Bergstation in ihr Programm auf, und es wurde dazu zunächst das Faulhorn, nachher das Gotthardhospiz in Aussicht genommen. Allein Schwierigkeiten verschiedener Art, worunter hauptsächlich die großen Kosten, hinderten die Ausführung des Projekts, welches erst wieder in den Vordergrund trat, als der zweite, im April 1879 in Rom abgehaltene internationale Meteore-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Nachtrag zur Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend den Entwurf eines Gesetzes über den Geschäftsbetrieb von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens. (Vom 6. März 1885.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1885

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

11

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

14.03.1885

Date Data Seite

564-573

Page Pagina Ref. No

10 012 656

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.