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Schweizerisches Bundesblatt.

37. Jahrgang. III.

Nr. 32.

16. Juli 1885.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Bp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druck und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

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Bericht des

eidgenössischen General-Anwaltes Über die anarchistischen Umtriebe in der Schweiz.

(Mai und Juni 1885.)

Herr Präsident !

Hochgeachtete Herren !

Nachdem die von Ihnen durch Beschluss vom 23. und 26. Februar abhin angeordnete Untersuchung betreffend die anarchistischen Umtriebe in der Schweiz und insbesondere das Attentat auf das Bundesrathhaus zum Abschlüsse gelangt ist, habe ich Ihnen über den Gang und die Resultate dieser Untersuchung Bericht zu erstatten und Ihre weiteren Weisungen einzuholen. Im Einverständniss mit dem Chef Ihres Justiz- und Polizeidepartements werde ich diesen Bericht möglichst eingehend halten und darin Alles anführen, was für die Beurtheilung der gegenwärtigen Situation und für die künftige Thätigkeit der kompetenten Behörden in dieser Sache von Bedeutung sein kann. Mag dabei auch bereits Bekanntes wiederholt werden, so ist doch nur so ein vollständiger Ueberblick möglich und ist nur so eine Bearbeitung des vorhandenen Materials denkbar, welche auch weiteren Kreisen nützlich sein kann.

Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, werde ich zunächst, einen Ueberblick über die Entwicklung, die Theorien und die Organisation der anarchistischen Partei zu geben suchen und wiederholen, welche Vorkommnisse schliesslich zu Ihrem Beschlüsse betreffend Anhebung der Untersuchung geführt haben. Hieran anschliessend werde ich Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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mir einige Bemerkungen erlauben über die ausnahmsweisen Verhältnisse und die Schwierigkeiten, welche mit Bezug auf diese Untersuchung von vornherein bestanden. Dann soll eine Darstellung des Ganges der Untersuchung folgen, welcher sich die Zusammenfassung der erzielten Resultate und endlich die Erörterung der Rechtsfragen angliedern wird. In einem besondern Berichte werde ich ein Verzeichniss der in der Schweiz lebenden bekannten Anarchisten und solcher Personen, mit denen sich die Untersuchung sonst zu befassen hatte, beifügen. Dieser besondere Bericht soll die Personalien, die bisherige Lebensgeschiehte, und soweit möglich auch eine Charakteristik der Betreffenden enthalten.

I. Zur Vorgeschichte der Untersuchung.

1. Einleitung.

lieber die Geschichte des Anarchismus in der Schweiz giht der Bericht des Herrn Untersuchungsrichter Berdez Aufschlüsse, welche ihres allgemeinen Interesses halber hier möglichst wortgetreu aufgenommen werden.

« Gegen 1870 -- sagt Hr. Berdez -- bestanden in der Schweiz, abgesehen von den Gewerkschaften, drei Hauptgruppen von Sozialisten : « 1. Der G-rütliverein, bestehend aus Schweizern und mit dem « Grütlianer » als Organ ; « 2. Der Centralverband der deutschen Vereine, bestehend aus Arbeitervereinen, welche das deutsche Element repräsentirten und deren Organ das von Goegg und Ladendorf redigirte « Felleisen » war ; « 3. Der internationale Arbeiterbund, bestehend aus deutsch und französisch sprechenden Sektionen.

« Diese im Jahr 1864 gegründete Gesellschaft war in der Schweiz vertreten durch die « Fédération jurassienne » und hatte ihr Zentralkomite 1877 in Sonvilliers, später in La Ghaux-de-Fonds und im November 1880 in Neuenburg. Das deutsche Organ der Internationale war vor 1873 die «Tagwacht», das französische Organ war das « Bulletin de la fédération jurassienne », später « L'Avant-Garde » und nach deren im Jahr 1879 erfolgten Unterdrückung der « Révolté ».

« Im Jahre 1873 vereinigten sich die deutschen Arbeitervereine und die Internationale, um den « Arbeiterbund » zu bilden, dessen

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«offizielles Organ die nunmehr von Greulich redigirte « Tagwacht » ·wurde.

«Im Jahre 1877 vereinigten sich Arbeiterbund und Grüüiverein bei Anlass des -Pabrikgesetzes zu einer sozialdemokratischen Partei, immerhin unter Festhaltung ihrer selbständigen Organisation; allein schon 1878 trennte sich der Grütliverein wieder vom Arbeiterbund.

« Dieser Letztere bestand nicht lange, er fiel Streitigkeiten zwischen den extremen und den gemässigten Elementen und einem erheblichen Defizit zum Opfer und löste sich im November 1880 auf.

« Seither trieben die Sozialdemokraten Politik und bildeten zwei Organisationen. Eine deutsche, deren Organ der in Zürich erscheinende « Soeialdernokrat » war und die unter der Leitung des deutschen Landesausschusses stand, ,,und eine schweizerische, deren Organ -die « Arbeiterstimme » war, und welche unter der Leitung eines Zentralkomites (Landesausschuss) in Zürich stand.

«Die Arbeitervereine dagegen bildeten unter sich verbündete Gewerkschaften, welche sich nicht mit Politik, sondern ausdchliesslich mit den Interessen der Arbeiter befassten.

«Um diese Zeit (1880) vollzog die Internationale eine von langer Band vorbereitete Schwenkung, durch welche sie in eine neue Entwicklungsphase eintrat.

« Ursprünglich war diese Gesellschaft auf verhältnissmässig gemässigte sozialdemokratische Grundsätze gegründet worden. Die "Statuten der Internationale vom Jahr 1866 und die revidirten Statuten von 1873 enthalten keine anarchistischen Theorien. Hauptsächlich unter dem Einflüsse von Bakunin, der eine Zeit lang in der Schweiz agitirte, und im Gegensatz zu Karl Marx, der den Staats-Sozialismus vertrat, gelangte indessen die Internationale in.

der Schweiz bald zu sozial-revolutionären und schliesslich zu anarchistischen Anschauungen.

«Offiziell vollzog sich diese Schwenkung im Juli 1881 auf dem internationalen Kongress in London. Allein es fanden schon vorher zahlreiche Vorbereitungen statt, unter denen die am 12. September 1880 am Genfersee abgehaltene Konferenz am wichtigsten ist, «Diese Konferenz war von Deutschen veranstaltet und nahm ein Manifest an, welches eine geschlossenere und vollständigere Organisation der anarchistischen Elemente empfahl und die « Freiheit » als offizielles Parteiorgan und als Vermittlerin zwischen den einzelnen Gruppen anerkannte.

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« Ausserdem fällt in Betracht der Kongress der « Fédération jurassienne», der am 9. und 10. Oktober 1880 in La Chaux-deFonds stattfand.

« Die Beschlüsse des Londoner Kongresses, welche diesen Vorbereitungen folgten, sind von der grössten Tragweite ; sie bedeuten ein vollständiges Uebergehen zum Anarchismus und finden sich in der «Freiheit» vom 30. Juli, 6. und 13. August 1881 und im « Bévolté » vom 23. Juli, 6. und 20. August und 3. September 1881.

« Der Kongress erklärte, dass die Propaganda durch Wort und Presse ungenügend sei und empfahl als hauptsächliches Agitationsmittel die Propaganda der Tliat. Er erklärte sich einverstanden mit der vollständigen und gewalttliätigen Zerstörung der gegenwärtigen Institutionen ; er erklärte als moralisch' alle Mittel, welche dienlich sind, um die bestehende unmoralische Gesellschaft zu zerstören; er erklärte, dass die Stunde des Handelns und der revolutionären That gekommen sei und verlangte als absolut nothwendig, dass mit allen Kräften dahin gewirkt werde, dass durch That en der Gedanke der Revolution und der revolutionäre Geist gefördert werden.

Der gesetzliche Boden, auf welchem man bisher im Allgemeinen geblieben sei, müsse verlassen werden, sur Revolution führe einstig die Aktion auf gesetzwidrigem Wege. Zum Schlüsse wurde gesagt : « Die technischen und chemischen Wissenschaften, welche der revolutionären Sache bereits Dienste geleistet haben, sind berufen, derselben künftig noch grössere zu leisten. Der Kongress empfiehlt daher den Gruppen und den einzelnen Mitgliedern des internationalen Arbeiterbundes, grosses Gewicht auf das Studium dieser Wissenschaften und ihrer Verwendung als Vertheidigungs- und Angriifsmittel zu legen ».

« Mit Bezug auf die neue Organisation der Internationale beschloss der Kongress, sich auf Feststellung allgemeiner Grundsätzezu beschränken und im Uebrigen die Initiative für Bildung geheimer und anderer Organisationen, welche der sozialen Eevolution dienlich sein müssen, den Gruppen zu überlassen.

« Er anerkannte demnach die Autonomio der Gruppen und der Einzelnen und entwickelte so den Grundsatz weiter, der schon seit der Statutenrevision von 1873 die zentralistische Organisation zerstört hatte. Von nun an wiegt das föderalistische System vor, doch wird ausdrücklich gesagt, dass es zur Herstellung der Einheit der Aktion
jeder Gruppe gestattet sei, direkt mit allen andern Gruppen in Korrespondenz zu treten und dass zur Erleichterung der gegenseitigen Beziehungen ein internationales Informationsbüreau errichtet ·werden soll.

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« Es wurde zwar nicht ausdrücklich ein offizielles Parteiorgan der Internationale bezeichnet, allein thatsächlich war dies von nun an die Most'sehe « Freiheit ».

« Die Beschlüsse des Londoner Kongresses von 1881 bilden den Ausgangspunkt für die gegenwärtige Organisation der Anarchisten. Auf Grund derselben haben sich die Anarchisten Spaniens im September 1881 auf dem Kongress in Barcelona organisirt und ebenso die Anarchisten der Vereinigten Staaten von Amerika am Kongress von Chicago im Oktober desselben Jahres.

« Die meisten sozial-revolutionären Gruppen der deutschen und der französischen Schweiz schlössen sich der internationalen Vereinigung an, wie eine Korrespondenz aus Bern in der « Freiheit » vom 4. September 1881 ausdrücklich niittheilt.

« So finden wir weiter in der « Freiheit » vom 15. Oktober 1881 den Anschluss des Allgemeinen Arbeitervereins in Zug, am 11.

März 1882 denjenigen der Gruppen Zürich, Lausanne, Vivis, Genf, Basel, St. Gallen, Winterthur, Luzern und Rorschach. Wir finden daselbst auch einen « Vorort » der Schweiz. Gruppen, der Zirkulare verschickt. Am 4. Juni 1882 wird in Lausanne .ein Kongress der Fédération jurassienne abgehalten und am 28. Juli 1884 erlasst die Sektion Genf der anarchistischen Propaganda (section de propagande anarchiste de Genève) ein Zirkular.

« In einigen Arbeitervereinen vollzog sich nun auch eine Spaltung. In Bern wurden die anarchistischen Mitglieder des deutschen Arbeiterbildungsvereins 1882 aus diesem ausgestossen, worauf sie den Arbeiterverein « Freiheit » gründeten. In Vivis wurden vor anderthalb Jahren die « Anarchisten » aus dem deutschen Arbeiterverein ausgeschlossen. In Lausanne stiessen umgekehrt die Anarchisten die Sozialdemokraten aus, welche dann den « Arbeiter-Leseklub » gründeten.

« Die Angaben Einzelner in der Untersuchung, welche behaupteten, die Internationale habe sich aufgelöst und bestehe nicht mehr, sind daher nicht glaubwürdig. Die Internationale hat sich seit 1831 umgestaltet, indem sie die am Londoner Kongress aufgestellten Orundsätze und die von demselben empfohlene Organisation annahm».

Soweit der Bericht des Hrn. Berdez, der im Allgemeinen mit
Seitdem nun Deutschland und Oesterreich in Folge ihrer gegen
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verweisen, zogen diese Leute mit Vorliebe nach der Schweiz, wo> sie einerseits Arbeit, andererseits freiere Bewegung zu finden hofften und von wo aus sie sich dann häufig an der Agitation gegen ihr Vaterland betheiligten. Es hatte dies zur Folge, dass das anarchistische Element in der Schweiz sich fortwährend im Zunehmen befand. Doch standen sich, wie bereits angedeutet wurde, von nun an Sozialdemokraten und Anarchisten scharf gegenüber. Während die deutschen Sozialdemokraten die Verbesserung der Lage des Arbeiters und die Umgestaltung unserer gesellschaftlichen Ordnung im Sinne einer Beseitigung der bestehenden Ungleichheiten und Missstände auf gesetzlichem Wege, durch Belehrung und Organisation der Arbeiter anstrebten und von einer gewaltthätigen Aktion einstweilen nichts wissen wollten, predigten die Anarchisten die « Propaganda der That », deren Endziel die allgemeine soziale Revolution und mit dieser die Beseitigung der staatlichen Organisationen und die Herstellung der allgemeinen politischen und sozialen Gleichheit sein sollte.

Die Anarchisten stellten den Satz auf, dass zur Erreichung ihres Zieles jegliches Mittel erlaubt sei und dass die Verachtung des Gesetzes oberstes Prinzip sein müsse. Mord, Raub, Brandstiftung sollten dazu dienen, die bürgerliche Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen, die Arbeiter zur That anzuspornen und die Kriegskasse für die Propaganda der That zu füllen.

Doch ist zu beachten, dass bei einzelnen Individuen diese Gegensätze häufig durchaus nicht so scbarf ausgeprägt sind und dass Viele entweder wirklich oder angeblich zwischen beiden Richtungen stehen. Manche scheinen die Attentate auf einfache Privatpersonen zu missbilligen, nicht aber diejenigen gegen Angestellte des Staates; Andere erklären, dass sie persönlich nie derartige Thaten begangen haben würden, dass sie sich aber eines Urtheils über dieselben enthalten, u. s. f.

Zum klarsten und schärfsten Ausdruck gelangten die Ideen des Anarchismus in der nunmehr in New York erscheinenden « Freiheit », welche in der Schweiz ziemlich stark verbreitet war und von da aus gelegentlich nach Deutschland, namentlich aber nach Oesterreich geschmuggelt wurde. Aus diesem heute von den Anarchisten allgemein als Parteiorgan anerkannten Blatte lässt sich am leichtesten ein Einblick in die anarchistischen Theorien sowohl, als in das Treiben der Partei gewinnen, wesshalb wir uns an dieser Stelle etwas eingehender mit demselben befassen müssen.

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2. Die Most'sche Freiheit.

Es ist selbstverständlich nicht möglich, im Rahmen dieses Berichtes eine vollständige Uebersicht über Alles dasjenige zu geben, was in der « Freiheit » schon behauptet worden ist. Es ist nicht einmal möglich, eine erschöpfende Darstellung der in der « Freiheit » entwickelten anarchistischen Theorien zu bieten. Es ist dies aber auch nicht nöthig. Unser Zweck ist erreicht, wenn es uns gelingt, an einzelnen Beispielen die leitenden Gedanken der von Most vertretenen Eichtung darzulegen, zu zeigen, was Most und seine Gesinnungsgenossen unter der « Propaganda der That » verstehen, einen Einblick in die Organisation zu thun, so weit die Lekttirq der « Freiheit » es möglich macht und endlich zu beweisen, wie die von der « Freiheit » vertretene Richtung mit jedem Tag feindseliger gegen die Schweiz und ihre Behörden auftritt.

a. Theorien.

Als oberstes Prinzip des Anarchismus betrachten wir den Satz : « Nieder mit dem Staat ! » Eine in Nummer 12 vom 24. März 1883 und Nummer 14 vom 7. April 1883 erschienene mit jenen Worten überschriebene Abhandlung schliesst, wie folgt: « Soll der Portschritt nicht ewig über Blut und Leichen gehen, soll die Entwicklung künftig freie Bahn haben, so muss die Gesellschaft so organisirt sein, dass niemals persönlicher Eigennutz in irgend einer Form an den jeweils bestehenden Verhältnissen interessirt ist. Dies bedeutet Zerstörung jeder Macht des Menschen über den. Menschen -- mithin unbedingte Zerstörung des Staates. » Und in Nummer 14 vom 5. April 1884 lesen wir unter der Ueberschrift : « Nieder mit Staat îind Gesetz ! » u. a. : « Die künftige Gesellschaft kennt nur noch ökonomische, erziehliche , wissenschaftliche -- kurz, solche Institutionen, welche sich dazu eignen, den Menschen -- Allen, wie Jedem -- die Daseinsschwierigkeiten so viel wie möglich zu verringern und den Lebensgenuss zu erhöhen. Hundert- und tausendfältig ineinandergeschlungen -- wie es die Zweekmässigkeitsgründe gestalten werden -- mögen diese mannigfaltigen organischen Gebilde ein harmonisch ineinandergreifendes Räderwerk darstellen, aber vergeblich wird man treibende Zentralkräfte und geschlossene Nullheiten suchen ; es -wird vielmehr ein gleiches Verhältniss existiren, wie im Weltall, wo in dem kleinsten Partikelchen der Materie die nämlichen Prinzipien der Kräfte vorwalten, welche den Gesammtmechanismns des

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Universums bewegen. Das -- und nichts Anderes -- wird der vielgefürchtete, verlästerte Anarchismus sein. » Dem entsprechend gibt sich denn auch durchweg die tiefste Verachtung kund gegen Alles, was Gesetz und Gesetzgeber heisst.

So lesen wir schon in Nummer 42 vom 16. Dezember 1882 unter der Aufschrift : « Der Zweck heiligt die Mittel » : « Eines gibt es, vor dem der grosse Haufe scheu und ehrfurchtsvoll stehen bleibt, als ob seine Berührung sofort den Tod brächte: -- das « Gesetz». Vom Gesetze geschüzt mag man lügen, stehlen, betrügen, morden u. s. w., das macht Alles nichts, im.

Gegentheil, das bringt mitunter sogar hohe Ehren, wir verweisen nur ,,auf einige der grössten gekrönten und ungekrönten Spitzbuben, wie der alte Lehmann in Berlin nebst seinem Jungen, dein officiellen Mörder Hödels, die Popanz in Petersburg, die vielen Minister und «Würdenträger», die Rothschilds, Vanderbilds etc., durch die Bank weg Kerle, für die der Strick noch viel zu human ist, und die trotzdem noch frei herumlaufen und von vielen Tausenden von Schafsköpfen angegröhlt werden. Freilich treiben diese Räuber ihr Geschäft im Grossen, während der arme hungrige « Lump », der auch nur einen Laib Brod « gesetzwidrig » sich aneignet, geächtet und für ehrlos erklärt wird, -- wer aber gar, dem Gesetze zum Trotz, einen fetten Kapitalisten um einige Tausend zu erleichtern sucht oder einen Schergen der « Gerechtigkeit » in's Jenseits befördert, um einer gerechten, Sache den Weg zu bahnen, über den ruft der ganze Tross, sammt den hochgelehrten Socialreformern : « Kreuziget ihn ! » « Sonderbarer Aberglaube ! Als ob nicht das Gesetz im günstigsten Falle von einer verschwindenden Minorität der Nation gemacht wäre, von einer Minorität, die zwar von der Masse « gewählt », ihr aber durchaus nicht für ihre Thaten oder Unthaten verantwortlich ist, sondern vom Gelde oder Einflüsse der Begierenden kontrollirt wird, und das Gesetz so macht, wie es diesen in den Kram passt ? Wie kann überhaupt dem Volke Etwas als sittliche Richtschnur gelten, zu dessen Auslegung eine ganze gelehrte Schwindler-Zunft, Advokaten genannt, nöthig ist, die auch ihrerseits sich nie über seinen Sinn einigen wird ? ?

« Das Gesetz als solches ist daher das Allerletzte, das unsern Respekt herausfordert ».

Demselben Gedanken entspringt die scharfe Polemik gegen
Volksstaat, Volksgesetzgebung und Demokratie überhaupt. · So beginnt ein Artikel in Nummer 24 vom 16. Juni 1883 mit den Worten : « Volksstaat ». Hat man schon einen grb'sseren

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Blödsinn vernommen, als der ist, welcher in diesem Worte liegt ?

Der Staat ist ein Gescliäftsmechanismus, der erfunden wurde und nun angewandt wird, um das Volk systematisch tyrannisiren und aussaugen zu können ; und nun soll es gleichwohl ein Ding geben können -- in dem die Peitsche und der gepeitschte Rücken sozusagen als harmonisches Ganzes Vereinigung gefunden haben. Armes Menschenhirn, was wird dir noch alles zugemuthet werden ». Der Artikel schliesst : « Wir wollen daher den Terrorismus der Bevolutionäre zum Zwecke der Vernichtung des Staates und des Kapitalismus mit allen ihren Trägern und hernach den Anarchismus. Auf den Volksstaat pfeifen wir ».

Und in Nummer 25 vom 23. Juni 1883 wird gesagt : « Das allgemeine Stimnirecht hat jetzt keinen andern Zweck, :als den, der gegenseitigen Knechtung ein Freiheitsmäntelchen umzuwerfen. Ein Gefängniss wird nicht zum. Tempel der Freiheit, weil dieses Wort darüber stellt ».

In Nummer 4 vom 26. Januar 1884 wird die « direkte Gesetzgebung durch das Volk » mit folgenden Sätzen abgethan : «In einer freien Gesellschaft kann der Vernünftige, der revolutionär Fühlende seinen eigenen Weg gehen und auf eigene Hand nach allen Richtungen hin experimentiren -- die « sozialdemokratische » Gesellschaft hingegen mit ihrer « Volksregierung » macht den Kafferismus obligatorisch. Alles Neue würde, -- weil der Mehrheit niemals gefallend -- stets im Gewohnheitsschlamm erstickt werden !

« Das wäre in der That eine Despotie, schlimmer, als alle bisher dagewesenen zusammengenommen ! Denn noch keine bisherige Despotie hat die Möglichkeit eines Portschrittes ausgeschlossen.

« Mögen wir recht bald die Romanows, Habsburgs, Hohenzollern, Grevys, Victorias, Vanderbilts, Goulds und das übrige Herrschergeschmeiss zum Teufel jagen -- doch unser Schlachtruf sei stets : Die völlig freie Gesellschaft ! Nicht etwa eine neue verschlimmerte Auflage des Büttelthums ; nicht einmal eine vorübergehende. Denn ein freies Menschenthum kann unmöglich durch ^Knechtschaft irgend welcher Art erzogen werden !

« D'rum fort auch mit der Engel'schen « Uebergangsstufe » !

« Nieder mit dem Staat in jeder Form, vor Allem aber mit ·dem Volksstaat ! Es lebe die Anarchie ! » Diejenigen, welche etwa in dem Glauben leben sollten, der Anarchismus richte sich nur gegen die Monarchie, dürften durch

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diese wenigen Citate bereits eines Andern belehrt sein.

mögen noch einige weitere Belege am Platze sein.

Trotzdem

In Nummer 13 vom 31. März 1883 lesen wir, dass der Kongress der Internationale, welcher am 14. und 15. Juli 1881 in London abgehalten wurde, den Beschluss fasste : « Die Internationale Arbeiter-Association erklärt sich als Gegner aller parlamentarischen Politik ».

In Nummer 28 vom 12. Juli 1884 wird das allgemeine Stimmrecht als «Majoritätsdusel» bezeichnet, als ein «nichtsnutziges System », auf welches « nur lächerlicher Eigensinn und gedankenloser Herkommens-Schlendrian » verfallen konnten, und weiter bemerkt : « Die Anarchisten wissen sich frei von solchen Schwächen, betrachten die Dinge in dieser, wie in jeder anderen Beziehung vorurtheilslos und kommen d esshalb auch zu logischen Schlüssen.

« Sie sind sich vor Allem darüber klar, dass die Unterjochung des Menschen durch Andere nicht schmackhafter oder weniger fühlbar wird, wenn dieselbe statt durch despotische Diktate, durch die Majoritätsherrschaft ausgeübt wird. Hieraus ergibt sich für die Anarchisten die Nothwendigkeit, eine Formel zu finden, bei welcher gemeinsames Wirken und individuelles Wollen einander weder ausschliessen, noch gar widerstreben, sondern vielmehr ergänzen. Und da die Majoritätsentscheidung schon heute günstigsten Falles als ein « nothwendiges (?) Uehel » angesehen wird, so kann von Anarchisten (Feinden jeglicher Herrschaft) dieser Faktor von vornherein beim Aufsuchen einer harmonischen Gestaltung der Dinge nicht einmal für disieussionsfühig, sondern nur als ausser Frage stehend angesehen werden. Das neue Prinzip kann nicht mehr in einer mehr oder weniger erzwungenen Unterordnung, sondern nur in einem freiwilligen, neigungsgemässen Zusammenschluss, resp. in liavinonisclier Gruppining der Menschen bestehen ».

Diese « harmonische Gruppirung soll dann die Menschen dem von schwachen Geistern für unmöglich gehaltenen Zweck der Einstimmigkeit -- wenigstens in den engern Zirkeln -- immer näher rücken ».

In Nummer 31 vom 2. August 1884 ist von der « WahlCholera » die ftede. « Bald geht in Deutschland der Wahlteufel wieder um. Ein bestimmter Tag, an welchem die UnterthanenKHlber ihre Metzger selber wählen dürfen, ist zwar noch nicht bestimmt -- -- -- -- --. Stimmvieh -- das ist der Artikel, den die politischen Jobber und Makler jeglicher Couleur suchen ».

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Endlich beginnt ein Artikel: « Stimmlasten- Dünste» in Nummer 45 vom 8. November 1884 mit folgenden charakteristischen Sätzen: « I n Amerika, wie in Deutschland, hat der Stimmkasten soeben seinen schmutzigen Inhalt entleert. Wäre der Mist, der dabei zu Tage kam, wirklich ein Spiegelbild des momentan existirenden geistigen Lebens, dann würden wir einfach sagen : Die Menschheit hole der Teufel !

« Der Kafferismus hat da wieder einmal auf der ganzen Linie « gesiegt » ; das Hottentottentlmm gefällt sich in gloriosen Purzelbäumen , ohne sich -- was bedauerlich genug ist -- das Genick dabei zu brechen ; der gesunde Menschenverstand nimmt sich unter diesen Blocksberg-Orgien aus, wie ein Weiser unter einer Heerde rasender Gorillas.

« Zur Zeit, wo diese Nummer unter die Presse geht, wissen wir noch nicht, welchem Generalspitzbuben das allgemeine Stimmrecht zum Posten eines Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika verhelfen hat. Das hat auch gar nichts auf sich, zumal es ja für einen Menschen von normaler Hirnkonstruktion ohnehin unmöglich wäre, herauszufinden, welcher Unterschied zwischen den im Felde gewesenen Kandidaten eigentlich existirt ».

Derselbe Artikel schliesst : « Wir schliessen dieses Kapitel. Wir hätten es auch gar nicht der Mühe werth gefunden, es überhaupt zu behandeln, wenn wir nicht gar so viele Wahl-Wüthige in jüngster Zeit -- trotz der herbstlichen Kühle -- hätten rasen sehen. Die Stimmkastendünste . hatten es den Aermsten angethan. Mitleidig wollen wir hiermit kaltes Wasser über sie gegossen haben».

Und damit wollen auch wir das Kapitel von der Stellung desMost'schen Anarchismus gegenüber dem Staat schliessen. Wir wissen genug, um sagen zu können, dass er auf dio Zerstörung jeglicher Staatsform gerichtet ist.

Was will er aber an Stelle des Staates treten lassen, wird man sofort fragen. Antwort : Eine freie Gesellschaft, freie Gemeinden, harmonische Vereinigungen Gleichgesinnter. Das Nähere sagt uns die « Freiheit ».

In Nummer 18 vom 5. Mai 1883 wird unter dem Titel ; « Freie Kommunen in der freien Gesellschaft » geschrieben : « Wenn man -wii'klich politische Organisationen zur Durchführung der öffentlichen Angelegenheiten in einer freien Gesellschaft braucht, so soll man doch nur solche schaffen, bei welchen das Volk immer persönlich zusammen kommen kann, um von Fall zu

·548 Fall zu entscheiden, was zu geschehen hat. Ist das unmöglich in einem Staate, so ist es möglich in Kommunen, möglich auf einem solchen Boden, wo das Volk selbst auf dem Plan erscheinen kann und nicht nöthig hat, sich durch Repräsentanten ver- resp. vertreten zu lassen. Freilich kann man nicht sagen, dass bei solchem Thun das Ideal der Freiheit nach allen Eichtungen hin gewahrt sei. Die Entscheidungen, werden innerhalb der Kommunen nie einstimmig abgegeben werden. Innerhalb solcher Kommunen wird es immer Majoritäten und Minoritäten geben. Die Minoritäten werden immer ihre Rechte verlieren durch die Beschlüsse der Majorität ; allein man darf nicht vergessen, dass das System unabhängiger Kommunen den Minoritäten immer noch einen Weg offen lUsst, ihren Willen trotz alledem durchzusetzen ».

Dieser Weg wird dann darin gefunden, dass derjenige, der an einem Orte in der Minorität ist, bei freien Kommunen die Möglichkeit hat, irgendwo eine Majorität zu gewinnen.

Anschliessend hieran wird dann in Nummer 19 vom 12. Mai 1883 weiter ausgeführt, dass allerdings innerhalb der einzelnen Kommunen und Gruppen manche Zwecke nicht erreicht werden können. « Staatszwecke werden desshalb doch nicht mehr vorhanden sein ». Für solche, die Kräfte der einzelnen Gemeinde übersteigende Zwecke, sollen sich dann « jeweilen durch besonderen Vertrag » eben diejenigen Kommunen vereinigen, welche an Erreichung jenes Zweckes interessirt sind. Die ebenso ideal als unpraktisch gedachten Ausführungen schliessen mit folgenden Sätzen : « In der heutigen Gesellschaft kann man z. B. als Mensch' Mitglied einer Produktiv-Genossenschaft, eines Konsumvereins, eines Gesangvereins, eines Turnvereins und einer Schützengesellschaft und vieler anderer Organisationen sein. Diese verschiedenen Vereine können wiederum Glieder von Verbänden sein. Als Mensch, Konsument, Produzent, Sänger, Maler etc., verbindet man sich mit seines Gleichen und diese Kongregationen vereinigen sich, mit gleichartigen, aber hat man desshalb jemals gehört, dass man von einem Turnerstaat, einem Sängerstaat, Malerstaat u. s. w. spricht ? Man stelle sich nun eine Gesellschaft vor, die den Kommunismus zur Basis hat, so wird man begreifen, dass da erst recht kein Zwangs·staat nötbig ist, um brüderliche Vereinbarungen zu erzielen und deren Einhaltung durch Strafdrohungen
etc. zu erpressen.

« Wenn man die Menschen nicht für ebenso verbrecherische, wie verrückte Wesen hält, braucht man doch nicht immer, eine grosse Staatshundspeitsche als unentbehrlich anzusehen. Kurz, die Einwände, die gegen ein System, das auf freien Gesellschaftsver-

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trägen fusst, gemacht werden, sind sehr kleinlich, geradezu kindisch. » Wie diese « Freie Kommune » des Näheren aufgefasst wird, erhellt sodann aus Nummer 20'vom 17. Mai 1884, wo wir lesen: « Wir haben durch unsere bisherigen Erörterungen hinsichtlich des· Anarchismus gezeigt, dass ein Mechanismus, den man Staat nennen 'könnte, in der freien Gesellschaft vollkommen ausser Frage steht. Ebenso liegt es nach unseren Darstellungen auf der Hand, dass auch die Gemeinde der Zukunft jeglichen politischen Charakters entbehren und ohne Regierung sein wird.

« Es kann da nicht mehr die Eede davon sein, dass ein Gemeinderath mit autoritärer Gewalt betraut und zur lokalen Herrschaftsklique ernannt wird. Das hiesse sonst, den im Grossen abgeschafften Staat en miniature durch zahlreiche Hinterpförtchen einsehleichen lassen. Nicht der geringste Grund hierzu ist vorhanden ; nicht der mindeste Zweck für eine solche Einrichtung ist zu erspähen.

« Die Kommune der Zukunft kann einerseits bestehen aus mehreren Ortsgemeinclen oder aber aus einzelnen Theilen einer grösseren Stadt ; andererseits tritt sie in allen ihren verschiedenen Zwecken gleichsam selbständig auf.

« Hat sie die Konsumtion, resp. die Warenzirkulation, zu vermitteln, so ist sie Wirthschaftskommune und ihre Funktionäre haben mit anderen als Tauschangelegenheiten und den damit verknüpften Verwaltungsthätigkeiten nichts zu schaffen. Ebenso verhält es sich mit der Kommune der Erziehung, der. Förderung der Kunst und Wissenschaft, der Pflege von Alten, Schwachen und anderen Arbeitsunfähigen, des Sanitätswesens, der öffentlichen Bauten u. s. w.


« Kurzum, diese Kommunen haben nicht die geringste Aehnlichkeit mit den Ortsorganisationen von heute ; es sind dieselben vielmehr nur Organisationen örtlich beisammen oder einander nahe wohnender Menschen zum Zwecke der Befriedigung verschiedenartiger Bedürfnisse -- jede Organisation eigenartig, selbständig, keiner anderen untergeordnet, wie das in dem Wesen einer liegierungs-Kommu-ae von der Art heutiger Gemeinden lUge ».

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Etwas eingehender befasst sich mit dem Zukunftsprogramm Nummer 41 vom 13. October 1883, welche einen Artikel « Unsere Grundsätze. » mit folgenden Postulaten schliesst : « Was wir erstreben, ist somit einfach und klar : « 1. Zerstörung der bestehenden Klassenherrschaft mit allen Mit-teln, d. h. durch energisches unerbittliches, revolutionäres und -internationales Handeln.

« 2. Errichtung einer auf Gütergemeinschaft beruhenden freien Gesellschaft.

« 3. Genossenschaftliche Organisation der Production.

« 4. Freier Austausch der gleichwertigen 'Produkte durch die productiven Organisationen selbst und ohne Zwischenhandel und Profitmacherei.

« 5. Organisation des Erziehungswesens auf religionsloser, -wissenschaftlicher und gleichheitlicher Basis für beide Geschlechter.

« 6. Regelung aller öffentlichen Angelegenheiten durch freie Gesellschaftsverträge der auf föderalistischer Grundlage ruhenden autonomen (unabhängigen) Kommunen und Genossenschaften.

« In diesen wenigen Satzungen ist das Niederreissen einer alten Welt und der völlige Neubau der menschlichen Gesellschaft gegeben.

« Wer diesem Ideale zustimmt, der schlage ein in unsere dargereichten Bruderhände !

« Proletarier aller Länder, vereinigt Euch ! » Wie dann in dieser freien, auf Gütergemeinschaft und genossenschaftlicher Organisation der Produktion beruhenden Gesellschaft gelebt und gearbeitet werden soll, das sagt uns Nummer 15 vom 12. April 1884.

« Bei unserer Voraussetzung, nach welcher solche Organisationen nicht von oben herab oder von einem Zentrum sozusagen.

erpresst werden können, sondern auf Grund der augenscheinlichen Zweckmässigkeit sich von allen Seiten gleichmässig und frei gestalten müssen, ist das föderalistische Prinzip vielmehr förmlich als selbstverständlich gegeben. Grosse, wie kleine Abtheilungen (Gruppen) einer solchen Organisation eines Produktionszweiges, je nachdem sie unmittelbar gleichsam unter einem Dache sich befinden, können natürlich ihre inneren Verhältnisse ganz nach ihrer speziellen Neigung regeln ; es ist da durchaus keine Schablone nöthig. Da arbeitet man vielleicht nur Vormittags, dort nur Nachmittags ; in einer dritten Abtheilung zieht man es vor, jeden zweiten Tag VorMnd Nachmittags zu arbeiten, dafür aber jedem Arbeitstage einen

551 Ruhetag folgen zu lassen. In der einen Gruppe führt man gleichmassige Arbeitszeit und gleichmässigen Antheil am Ertrag der Thätigkeit der ganzen Gruppe ein ; andere Gruppen überlassen es ihren einzelnen Mitgliedern, bald mehr, bald weniger thätig zu sein und dem entsprechend beim Vertheilen des Ertrags gehalten zu werden. In lianchen Gruppen wollen vielleicht Alle, die dazu gehören, mehr leisten, als in anderen Gruppen üblich ist, und dafür auch desto reichlicher gemessen, während auch der umgekehrte Fall denkbar ist : Verzicht auf einen Theil der durchschnittlich erreichbaren materiellen Genüsse und dafür desto kürzere Arbeitszeit, resp. desto mehr Gelegenheit zur Ergehung im geistigen Genüsse.

Unter solchen Verhältnissen ist die Möglichkeit gegeben, dass sich die Neigungen der Einzelnen in ihren verschiedensten Spielarten Berücksichtigung verschaffen, ohne dass der allgemeine Zweck dadurch beeinträchtigt würde. Jeder sucht sich eine solche Grruppirung von Individuen aus, welche in ihren Neigungen den seinigen am nächsten stehen. Aendert sich seine Neigung, so mag er entsprechend seine örtliche Stellung mit einer Andern vertauschen.

Das ist eben das Grossartige und Naturgemässe beim föderalistischen System : dass es der individuellen Freiheit den weitesten Spielraum gewährt, aber gleichzeitig auch ein ordnendes Band um alle Elemente schlingt, welche im Grossen und Ganzen den gleichen Zwecken dienen.

« Zentralismus ist in letzter Instanz Verknöcherung, Kastenthum, Chineserie. Föderalismus ist Ideenwettkampf, elastischer Entwicklungsschwung, rastloser Kulturfortschritt. Anarchismus ist die Harmonie der Menschheit ! » Zusammengefasst finden wir die Hauptsätze der anarchistischen Lehre in Nummer 21 vom 24. Mai 1884 in einem Artikel, der die Ueberschrift trägt, «.Anarchie ist Harmonie». Es heisst dort: « Werfen wir nach unseren bisherigen Ausführungen einen Blick aus der Vogelperspektive auf die anarchistische Gesellschaft, so erblicken wir folgende Grundzüge derselben : « Der Staat hat da weder Raum noch Zweck.

« Die Kommune, als politischer Körper, ist ebenfalls überflüssig geworden.

« Alle Lebenszwecke des Menschen werden durch entsprechende Organisationen oder Gruppirungen erreicht.

« Dieselben sind nicht zentralisirt und nur so weit föderalistisch mit einander verbunden, als zur Erreichung der damit erstrebten Ziele unerlässlich ist.

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« Ein Privateigentum an Land oder Kapital existirt nicht mehr.

« Die Arbeitsmittel aller Art befinden sich in den Händen der verschiedenen gewerklichen Organisationen.

« Alle Menschen sind nicht nur Produzenten, sondern auch Konsumenten, und da die letzteren stets in der Lage sind, bei Abschluss von Lieferungsverträgen mit jeder einzelnen Produktiv-Organisation in beliebiger Anzahl sich zu gruppiren, so kann auch von einer Uebervortheilung derselben durch die Produzenten nicht die Eede sein.

« Die Organisation der Konsumenten versteht sich aber auch schon desshalb von selbst, weil es undenkbar ist, dass in einer freien Gesellschaft unproduktive Handels-Schmarotzer Raum haben, und weil mithin die Konsumenten den Austausch der Waaren selber regeln müssen, was nur auf dem Wege entsprechender Organisation geschehen kann.

« Wie die Handelsprellerei selbst, so ist auch deren Tausch, resp. Tausch-Mittel, das Geld im heutigen Sinn, abgeschafft worden.

,,« Die Waaren werden nach der darin steckenden normalen Arbeitszeit taxirt.

« Als Produzent empfängt Jeder seinen Schein über wirklich geleistete Arbeit von der Organisation, zu welcher er gehört ; als Konsument tauscht er dafür Waaren ein, die ebenso viel gethane Arbeit enthalten.

« Willkürliche Uebertaxirungen sind übrigens auch durch die in einer solchen Gesellschaft von selbst gegebene gewerkliche und allgemeine Statistik ausgeschlossen.

« Kunst und Wissenschaft werden, gleich der Waarenproduktion, durch Gruppirung der betreffenden leistungsfähigen Kräfte gepflegt.

« Diejenigen, welche sich der Leistungen derselben bedienen, verstehen sich auf dem Wege freier Gesellschaftsverträge dazu, entsprechende Theile ihrer vermittelst produktiver Thätigkeit erworbenen Anweisungen auf fertige Waaren zu überweisen.

« Das Erziehungs- und Bildungswesen erfreut sich der grössten Sorgfalt und ermöglicht es Jedem, sich genugsam geistig zu entwickeln, um fähig zu sein, die Ergebnisse von Kunst und Wissenschaft zu gemessen.

« Ohne schablonenhaft zentralisirt zu sein, strebt der Unterricht die denkbar höchste Bildungsstufe für Alle an. Er erreicht

553 dieses Ziel vermöge der föderalistischen Organisation der Bildungsinstitute, welche zu einem geistigen Wettkampfe der Lehrkräfte herausfordert.

« Das solchermassen sich stetig erweiternde Wissen aller Menschen hebt das Glauben auf und sichert die Unmöglichkeit alter oder neuer Keligionen.

« Vermöge einer im Interesse Aller liegenden gegenseitigen Versicherungs-institution ist jedem Arbeitsunfähigen das Recht auf die nämliche Existenz, welche dem Lebensfähigen zukommt, garantirt.

« Das vollkommenste Selbstbestimmungsrecht der Frau, die ja endlich, gleich dem Manne, wirklich frei geworden, liegt auf der Hand.

« Die Liebe ist prostitutionsfrei geworden ; die Ehe verzichtet auf den kirchlichen Segen, wie auf den staatlichen Stempel und ist lediglich passirt (sie !) auf die Triebe und Neigungen Derjenigen, welche Geschlechtsgemeinschaften bilden; die Familie dürfte nach und nach grösseren Verbrüderungen sich liebender Menschen weichen.

« Die gesellschaftlichen Zusammenhänge werden -aufrecht erhaben und geiördert durch zeitweilig zusammentretende Fach- oder Sachverständigen-Kongresse.

« An die Stelle der Gesetzgebern tritt die Entschliessung von Palt zu Fall.

« Niemand wird von obenherab regiert ; Jeder ist Mitglied von zahlreichen Korporationen, denen er sich nach freier Auswahl anschliesst ; Alle bethätigen ihren Willen ; Keiner ist gezwungen, gegen seine Neigungen zu handeln.

« Kurze Arbeitszeit, reichlicher Genuss und allgemeines Wissen verwandeln die seither zerklüftete Menschenwelt in einen Bund von Brüdern und Schwestern.

« Das ist die Anarchie oder -- wem das alte Fremdwort nicht beliebt -- die Harmonie. » Most selbst scheint auf all' diese Theorien nicht viel zu halten, denn er erklärte in einer grossen öffentlichen Versammlung, welche um's Neujahr 1883 in Chicago stattfand : « Es fällt mir nicht ein, sogenannte Utopistereien zu treiben, um ein detaillirtes Bild ron der künftigen Gesellschaft zu entwerfen, weil das eben unmöglich wäre. Und wenn unsere Gegner fortwährend nach derartigen Musterkarten fragen, so muss man ihnen nur zu Gemüthe führen, dass ja alle bisherigen Gesellschaften auch keine Modelle im Voraus aufgestellt haben, sondern nur mit Bvmdesblatt. 37. Jahrg. Bd. III

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gewissen Grundprinzipien daran gingen, das Alte einzureissen und aus den so veränderten Machtverhältnissen möglichst grossen Nutzen zu ziehen. Was aber jetzt schon besprochen werden kann und muss, das sind die etwa zu ergreifenden Massregeln, welche nothwendig sein dürften, den Erfolg der künftigen Révolution zu sichern».

Ueber diese Massregeln sagt Most in derselben Rede : « Man wird das ganze Proletariat bewaffnen müssen, Geschosse, Waffen, und namentlich aber chemische Hülfsmittel, z. B. Concrev'sche Raketen, Dynamitbomben u. s. w. in ungeheurer Menge zu erzeugen haben, und man wird ganz besonders nicht vergessen dürfen, dass nach einer alten Pechtregel die beste Deckung der Hieb i s t » .

Das führt uns auf ein zweites, für unsere Frage wichtigeres Kapitel. Mochte man über die abstrusen Theorien Most's und seiner Anhänger die Achsel zucken, hier fängt die Sache an, heikler zu werden.

b. Die Propaganda der Tliat.

Wenn man die bisherigen Thaten der Anarchisten in Erwägung zieht, so möchte man wohl glauben, Most und Genossen hätten sich eine Proklamation des « Executiv-Comité » der nordamerikanischen « Pionners of thè Revolution » zum Muster genommen, welche in Nummer 42 der « Freiheit » vom 16. Dezember 1882 abgedruckt ist und lautet : « An Alle die es angeht.

« Die Mehrzahl der amerikanischen Arbeiter begreift jetzt wohl, dass ihnen drei Fünftel ihres Arbeitsertrags gesetzlich und systematisch geraubt werden. Schon eine flüchtige Ueberlegung zeigt uns auch, dass sie die volle und gerechte Bezahlung ihrer Arbeit niemals auf einem gesetzlichen Wege sich sichern können, aus dem einfachen Grunde, weil die Gesetze des Staats und die Gewalten der Eegierung gerade die Werkzeuge sind, mit deren Hülfe der industrielle Eaub ausgeführt wird. Da sieh dies so verhält, so ziemt es den Arbeitern Amerika's die unvermeidlichen Schlüsse daraus zu ziehen und das Heilmittel unverzagt anzuwenden. Und um durch Beispiel zu lehren, welchen Werth die wissenschaftlich angewandte Gewalt hat, haben wir beschlossen, gewisse legalisirte Ungerechtigkeiten, unter denen wir jetzt leiden, durch physische Gewalt zu vertilgen.

« Doch möge sich kein braver Mann über diese Kundgabe unserer Absichten beunruhigen. Wir werden nicht übereilt oder blindlings oder unterscheidungslos handeln. Wir werden zunächst darlegen, wo uns der Schuh drückt, dann von unsern Unterdrückern

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Rechenschaft verlangen und sie zu überreden suchen, uns unsere Rechte zu gewähren ; und wenn wir damit keinen Erfolg haben -- wie wir es erwarten -- so werden wir schliesslich unsere Forderungen kraft der geballten Faust zur Geltung bringen. Wir werden einfach und bestimmt in unsern Ausführungen, frisch und klar in unseren Argumenten, direkt und entschieden in unserem Vorgehen sein. « Wir werden sparsam in der Wahl der Mittel, durch die wir unsere Zwecke erreichen wollen, zu Werke gehen ; wir werden unbesorgt und rücksichtslos für unser persönliches Wohl sein ; vor Allem aber werden wir wissenschaftlich sein in unseren Methoden, sei es der Zerstörung oder des Ausbaues. Wir werden weder Leben noch Eigenthum achten, wenn sie dem menschlichen Fortschritt hindernd im Wege stehen, und werden auch unsererseits vor keinem Opfer zurückschrecken, wenn es für den Erfolg unserer Sache nothwendig ist ».

« Ein Jahr lang werden wir von Zeit zu Zeit Manifeste an das Publikum erlassen und darin die Missstände darlegen, an denen wir leiden und deren Abschaffung wir fordern. Ein zweites Jahr hindurch werden wir die Herzen und Köpfe jener Irregeleiteten, die kein "Verbrechen darin finden können, unsere Börsenmärkte zu Spielhöllen zu machen, und die keine Ungerechtigkeit sehen in der Ausbeutung der Arbeit, energisch zu belehren suchen. Ist man am Ende dieses Zeitraumes unseren Forderungen noch nicht entgegengekommen, so werden wir ohne weiteren Lärm zum thatkräftigen Handeln schreiten !

Das Executiv-Comité ».

Nicht minder deutlich spricht sich ein Aufruf der « Exekutive» der social-revolutionären Gruppen von Wien an die Arbeiter Oesterreichs aus, der in Nummer 8 der « Freiheit » vom 24. Februar 1883 wiedergegeben ist und folgende Sätze enthält : « Wir künden den Vernichtungskrieg all' Denen an, die heute das Werk der Inquisition von ehedem fortsetzen, um jeden Fortschritt aufzuhalten, und die als Eichter, Advokaten, Spione und andere Büttel kalten Blutes unsere Brüder und Schwestern malträtiren, oder als Zeitungsschreiber und sonstige Presspiraten für jede Schandthat einen beschönigenden Deckmantel in Bereitschaft haben.

« Vor Allem jedoch sind wir entschlossen, bis aufs Messer einen Streit zu führen wider das Proteenthwn in jeglicher Gestalt.

Wir sind es rnüde, den grössten Theil unserer Mühen einer eitlen Bande von Schlemmern zu überlassen, bloss weil dieselben einen Pakt geschlossen haben, den sie « sociale Ordnung » nennen, der

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jedoch nichts weiter ist, wie ein Abkommen von Räubern zum Behufe, das Volk Tag für Tag und Stunde für Stunde zu bestehlen.

Geprellt um fast alle Früchte uns'res Schaffens, wenn wir produziren, werden wir durch Krämer und andere Vampyre auf Tritt und Schritt begaunert, wenn wir konsumiren. Wir haben dieser Diebeszunft den Untergang geschworen ».

Mord, Raubmord, Brandstiftung, Erpressung, Zerstörung des Eigenthums, kurz Terrorismus in jeglicher Gestalt wird nun fast in jeder Nummer und in jeder Form gepredigt. Einige Proben gehören hieher.

Nummer 18 vom 5. Mai 1883.

«Dynamit».

« Die Revolution hat keinen Respekt vor irgend einer Sache oder Person, welche mit jenem System des Raubmordes in Verbindung steht, vermöge welchem bis auf den heutigen Tag die Proletarier aller Länder von einer hundsvöttischen Schmarotzerbande betrogen, bestohlen, ausgebeutet und bis in den Tod hinein geschunden werden.

« Ob diese « offiziellen » Verbrecher sich in Purpur hüllen, ob sie Kutten tragen, ob sie sich in Uniformen spreizen oder ihre feisten Wänste hinter bürgerlichen Trachten bergen -- : sie sind erkannt und verdammt ; sie werden ihrem Schicksal früher oder später nicht entgehen».

Und weiter : « Und wenn man die heutige Welt nicht aus den Angeln heben kann, so wird man sie mit Dynamit zersprengen -- trotz alledem und alledem ! » Nummer 20 vom 19. Mai 1883 bringt eine höchst bemerkenswerthe Korrespondenz, unterzeichnet «A. Marmerek », d.h. Anton Kammerer, überschrieben « Die Büttel im Lande der Niedertracht», in welcher geradezu zur Ermordung von Hlubek Blöch und anderen aufgefordert wird. Es heisst da: « Alle Genossen sollten sich die Aufgabe stellen, solche Individuen unschädlich zu machen, wo sich Gelegenheit bietet -- einen Strick um ihren Hals und an den nächsten Baum mit ihnen ! Darum appellire ich an Euch Genossen Forisdorfs, beginnt das Rächeramt ! Ihr kennt die Schurken Vidiz, Hlubek, Blöch und Konsorten, die durch Denunziation brave Männer in den Kerker brachten und sich nicht scheuten, meineidig zu werden, um uns zu unterdrücken.

An alle Arbeiter Oesterreichs aber ergeht unser Kuf, angesichts solcher himmelschreienden Dinge aufzuwachen, ihre Lage zu begreifen und sich im Verein mit den Arbeitern anderer Länder zum letzten Sturm zu organisiren, damit der Ausbeuter-Staat endlieh

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unter den Hammerschlägen fliegt !

der sozialen Revolution in Scherben A. MABMEREK ».

Nummer 24 vom 16. Juni 1883. « Weitere Staatsmicheleien ».

« Konfiskation des gesammten Kapitals durch die ge wisser massen als Welteroberer auftretenden Eevolutionssoldaten und sofortige Ausrottung der ganzen Bourgeoisie, Aristokratie und Pfafflieit -- das oder nichts muss die Loosung sein. Wir wenigstens pfiffen schon heute auf jeden Kampf, wenn wir nicht glaubten, sicher sein zu dürfen, dass dies das Ende vom Liede sei. Alles Andere wäre der reine Schwindel.

«Tritt aber dieser Fall ein, d. h. belegt das Proletariat alle Eesultate früherer Arbeit mit Beschlag, um auf Grund derselben die kommunistische Organisation der Arbeit vornehmen zu können, und füttert es die Drohnen und Parasiten der Gesellschaft -- nach deren eigenem Rezept -- rechtzeitig mit Strychnin und Arsenik, mit Pulver und Blei, so ist jede Staaterei einfach Blödsinn, wenn nicht Schlimmeres ».

Nach Nummer 35 vom 1. September 1883 hatten die «kürzlich » versammelten Delegirten der sozial-revolutionären Gruppen der Schweiz sich « für den Anarchismus in allen Konsequensen » erklärt. Es heisst in dem Beschlüsse: « Wir erklären daher jede Bewegung, welche die Staatsidee kultivirt, als ein Hinderniss wahrhaft kultureller Bestrebungen.

Wir erklären ferner, dass es eine Lüge ist, die heutige Menschheit sei reif, den Befreiungskampf mit geistigen Waffen führen zu können, dass im Gegentheil, da der Kampf von Seiten der herrschenden Klassen mit allen Mitteln aufs Grausamste geführt wird, wir naturnothwendigerweise mit denselben Waffen kämpfen müssen, und jedes Mittel, welches den Sturz der heutigen Gesellschaft herbeizuführen im Stande ist, uns gerecht erscheint».

In Nummer 40 vom 6. Oktober 1883 lesen wir : « Dann wird man sich auch des Schmachdenkmals auf dem Niederwald erinnern. 5 Zentner Dynamit an jeder Seite desselben angebracht und losgebrannt wird genug sein, um dieses Wahrzeichen der Tyrannei in tausend Scherben zu sprengen. Zur Zeit aber müssen wir ausrufen : Germania, uns graut vor Dir ! » In Nummer 47 vom 24. November 1883 erschien ein Aufruf des «Exekutiv-Comite der Anarchisten» aus Deutschland, in welchem anknüpfend an den missglückten Versuch, das Frankfurter Polizeigebäude zu sprengen, und nachdem darauf hingewiesen worden, dass Genossen, die durch ihre bisherige Thätigkeit der Polizei oder den

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Socialdemokraten bekannt seien, nicht zur Ausführung von Thaten zu brauchen seien, u. A. folgende äusserst bemerkenswerthe Stellen vorkommen : « So sahen wir uns denn um neue, öffentlich gar nicht bekannte Kräfte um ; und die Zukunft wird lehren, dass dieselben ihre Pflicht zu erfüllen verstehen.

« Um die Qualität des von uns erzeugten Dynamit zu prüfen, hat Einer der Unseren auf der Haupttreppe des « Kiesern Hof » (Polizeipräsidium) zu Frankfurt a. M. eine Dynamitpetarde abge' feuert.

« Wenn bei dieser Gelegenheit Rumpf und die anderen Verbrecher, welche in jenem Neste hausen, unverletzt geblieben sind, obgleich das ganze Gebäude zum Einstürzen erschüttert worden war, so mögen sie nur versichert sein, dass sie uns auf die Dauer nicht entgehen.

« Wir kennen nun die Kraft unseres Stoßes, und wir werden dafür Sorge tragen, dass mittelst desselben die Propaganda der That überall, insbesondere aber in Deutschland, energisch in's Werk gesetzt wird.

« Wir werden vor Nichts zurückschrecken, wenn es gilt, der heutigen ,,Herrscher- und Ausbeuterbande Angst einzujagen.

« So wenig wir uns um das Urtheil der blöden Welt in dieser Beziehung bekümmern, so wenig soll uns der Galgen und das Beil abhalten, unseren Arm zu erheben gegen alle unsere Feinde und gegen jeden Verräther, wo immer wir die Möglichkeit erspähen, dieselben zu vernichten.

« Der Terrorismus von oben waltet längst. Schweigend haben die Geknechteten diesen entsetzlichen Zustand bis jetzt ertragen.

Es ist höchste Zeit, dass wir den Terrorismus von unten walten lassen ».

In Nummer 2 vom 12. Januar 1884 lesen wir: «Wir erklären frei und offen, dass ein Eevolutionär, der da im Stande wäre, 100 Millionen irgendwo zu Gunsten der revolutionären Sache zu konfisziren, vielleicht der Menschheit einen höheren Dienst leisten würde, als wenn er zehn Königen das Hirn aus dem Schädel schösse. Denn Alles, was die Revolutionäre in erster Linie gebrauchen, ist Geld, viel Geld !

. Es dürfte daher mit einigen solcher Vampyr-Schädel nicht so genau genommen werden ».

In Nummer 2 vom 19. Januar 1884 wird mit Bezug auf Fr. Bernstein, den Bedakteur des « Sozialdemokrat » und auf den

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Reichstagsabgeordneten Grillenberger gesagt : « Dass dieselben nicht besser sind wie ein Carey, ein Rumpf, ein Bileck u. s. w. springt in die Augen. Die Propaganda der That hätte da ein gutes Uebungsfeld ».

In Nummer 10 vom 8. März 1884 finden wir für die « Neue Eriegstaldik der Revolution » folgende Vorschläge : « Wenn jeder Einzelne von den bereitstehenden Revolutionären eines schönen Morgens seinen schon zuvor gut ausgesuchten und beobachteten Mann aufs Köm nähme ? Wenn sich Jeder in harmloser Gestalt, sein Privatarsenal gleichsam in der Tasche führend, einem der ärgsten Menschenfeinde des betreffenden Ortes im Hause, im Bureau, in der Fabrik, im Komptoir, im Magazin oder in der Kirche näherte, um ihn, je nachdem, niederzuschlagen, zu erstechen, zu vergiften, per Pulver und Blei oder per Dynamit unschädlich zu machen ? Wenn Derartiges nur an hundert Punkten einer Grossstadt zu gleicher Zeit geschähe? Wenn gleichzeitig an 50 anderen Stellen der rothe Hahn Diesem und Jenem aufs Dach gesetzt würde ? Wenn Heine Gruppen inzwischen die Telegraphen- und Telephonleitungen zerstörten ?

« Müsste daraus nicht eine allgemeine Panik entstehen ? Wäre die « vornehme » Gesellschaft nicht rathlos vor Schreck ? Würde andererseits das Proletariat nicht, wie durch eine Zauberkraft, zur höchsten revolutionären Leidenschaft entflammt werden ? Ganz gewiss ! » In Nummer 12 vom 22. März 1884 wird « Aus der Schweiz» geschrieben : « Blei und Dynamit, Gift und Dolch sind die Waffen, mit denen unsere Brüder das Vorpostengefecht eröffnet haben. Und \venn es vorerst auch nur einige niedere Ordnungsbanditen waren, die im Dienste und Auftrage der hohen und höchsten Schufte sich dazu hergaben, Hunderte von Familien und Genossen in's Unglück zu bringen, welche der rächende Arm unserer Kameraden ereilte, so.

können deren Auftraggeber versichert sein, dass die gleichen Waffen auch für sie bereit liegen. Dieses wissen auch die Kanaillen».

In Nummer 19 vom 10. Mai 1884 erscheint ein Aufruf des Exekutiv - Komite der Social-Revolutionäre Oesterreichs, welcher lautet : « 1. Es ist Pflicht und Aufgabe eines jeden Proletariers, nach besten Kräften zum Umstürze der gegenwärtig bestehenden « Ordnung » beizutragen.

« 2. Ist es Pflicht und Schuldigkeit unsererseits, die an uns von Seite der herrschenden Bestien seit Jahrtausenden verübten

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Tyrannei und Verbrechen mit Zins und Zinseszinsen zurückzuzahlen.

« 3. Die höchste Aufgabe eines Jeden von uns ist es : die Zahl der von uns für vogelfrei erklärten Pesthaltenden an der heutigen « Ordnung » mit allen Mitteln zu vernichten und die Revolution herbeizuführen. " « 4. Eure Aufgabe ist es : Diejenigen, welche sich im Guerillakrieg, den wir gegenwärtig mit der Polizei führen, uns hindernd in den Weg stellen, dieselben, wo sich Gelegenheit bietet, gleich Ungeziefer zu vertilgen.

, «Wir schliessen abermals mit dem Versprechen, in kurzer Zeit wieder eine Kundgebung zu erlassen mit unserer Kriegsparole : « Nieder mit dem heutigen Staat und allen seinen Bütteln !

Nieder mit Thron, Altar und Kapitalismus !

« Es lebe die soziale Revolution !

Das Exek.-K. der Soz. Eev. Oesterreichs ».

Most bemerkt dazu : « Glückauf, Ihr tapferen Genossen ! Die Feinde müssen fallen, die diesen Krieg sich selbst heraufbeschworen, 's wird bald wo anders krachen ! -- » In Nummer 28 vom 7. Juni 1884 schliesst ein Artikel « Die Propaganda der Thai » mit den Worten : « Wir halten jedes .Mittel, welches die Sache der sozialen Revolution fördert, für recht und empfehlen es. Unsere Feinde sind nie wählerisch im Kampfe gegen das Volk gewesen. Raub und Mord sind ihnen zur zweiten Natur geworden. Mithin heisst es : Äug' um Auge ! » In Nummer 27 vom 5. Juli 1884 heisst es noch deutlicher : « Wir sagen es gerade heraus : Wir pfeifen auf die sog. Moral ; wir respektiren Jtein Gesetz !

« Was an irgend einem Träger der heutigen Ausbeutungsgesellschaft begangen wird : Mord, Baub, Betrug, Brand u. s. w. -- wir haben nichts Nachteiliges darüber zu sagen.

« Sind die betreffenden Handlungen privater Natur, also sog.

« gemeine Verbrechen », so zucken wir mit den*^ Achseln dazu.

Sind dieselben im Interesse der revolutionäi-en Sache begangen worden, so heissen wir sie gut, ob uns die Einzelheiten daran gefallen oder nicht ».

Nummer 32 vom 9. August 1884 meldet « Zur Situation » : « Der Boden, auf dem die Staatsmoloche stehen, ist unterwühlt ; die Minen mehren sich ; die Lunten sind entzündet ; da und

561 dort wird einer der Unserigen abgefasst, wenn er gerade den Arm ausstreckt, um Etwas in Ruinen zu verwandeln ; andere treten vor -- immer neue Kämpfer ; zuletzt gibt es kein Entdecken mehr, wohl aber, ein Erschrecken des Feindes -- denn die Männer der That sind zahlreich geworden, wie die Bäume des Waldes ; Zug um Zug wird gethan ; Brand und Gift, Dolch und Dynamit wirken Wunder und geben die allvernehmbaren Signale zum allgemeinen Aufstand ».

Am 23. August 1884 wird geschrieben : « Befinden sich Männer wie Hödel und Nobiling in Deutschland, so rufen wir ihnen zu : Legt an ! Feuer ! » Und am 20. September heisst es : « Alle, die da am Volke saugen, und die es bütteln, werden durch die Revolution vernichtet werden ; einzeln -- so lange es sein muss ; in Bartolom äusnächten en masse -- sobald es sein kann ».

Nummer 41 vom 11. Oktober 1884 gibt folgenden « Ausblick » : « Ja -- zittert, ihr Kanaillen, ihr Blutsauger, ihr Mädchenschänder, Mörder und Henker -- der Tag der Vergeltung, der Rache ist nahe ! Das Vorpostengefecht hat begonnen. Ein Dynamit gürtel umschliesst die ganze Welt, nicht allein die alte, sondern auch die neue. Dort und hier tanzt die Blutbande der Tyrannen auf einem Vulkan. Dynamit in England, in Prankreich, in Deutschland, Russland, Italien, Spanien, in New-York und Canada. Es wird heiss werden am Tage der That, und doch wird die Otternbrut im Todesschauer heulen und zähneklappern ».

Und in derselben Nummer lesen wir : « Begeht den Jahrestag des Erlasses der Oktobergesetze mit Illumination. Der « Ordnungs »-Brut den rothen Hahn aufs Dach gesetzt ! Gift in die Torten und Pasteten dieses Lumpenpacks gemischt ! Vergiftete Nägel auf ihre Stühle kunstgerecht gestellt !

Minen gegraben, Sprengstoffe hinein, die Lunte daran und die tanzende , schlemmende Kanaille in die Höhe gelassen ! Dolche gewetzt, Revolver geladen, die Flinte angelegt, die Bombe gefüllt!

Schlag auf Schlag und Stoss auf Stoss gegen die Raubmörder und sonstigen Hallunken der « hohen Gesellschaft » geführt ! Und aus ist's mit der Herrlichkeit ».

Laut Nummer 40 vom 29. November 1884 « muss die Bande (d. h. die bürgerliche Gesellschaft) eben todtgeschlagen werden ».

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« Da das Volk Hunger hat, und Lebensmittel aller Art aufgespeichert sind, so müssen die Hungrigen selbstverständlich zur Plünderung schreiten. Wesentlich gefördert dürfte diese werden, wenn man die Brandfackel gehörig in Verwendung nimmt ».

Nummer 3 vom 17. Januar 1885 philosophirt : « Da wir nichts haben, müssen auch die Beutel leer bleiben.

Das Geld befindet sich eben in den Beuteln anderer Leute. Wie es da herauspraktizirt werden kann, wird immer des Pudels Kern bleiben ».

Nummer 6 vom 7. Februar 1885 meint : « Mit der Beinsdorf-Praxis sollte systematisch vorgegangen werden ; es müssten überall, in jedem Lande, an jedem Tag so ein paar Exemplare, als wie Pfaffe, Bourgeois, Protze, Polizist u. s. w. in's Gras beissen.

Das würde nützen ! » Die in rothem Rande erschienene Nummer 11 vom 14. März 1885 bringt folgende Kraftstellen : « Es wäre verstandlose Schwäche, die ungeheure Thatsache, dass das Hauptmittel der geschichtlichen Entwicklung der Mord, und zwar der Mord in der kolossalsten Gestalt, gewesen ist und noch immer ist, durch sentimentale" Klagen zu verhüllen. Sie muss mit kaltem Verstande anerkannt, in voller Nacktheit hingestellt und mit den nöthigen Konsequenzen versehen werden.

« Wir haben die Vertreter des Mordes in allen Gestalten vor uns. Da stehen sie und erwarten unser Urtheil und unsern Entschluss. Sie sagen es uns mit lobenswerther Entschiedenheit : « Wir haben gemordet, wir morden und wir werden morden, so lange wir können. Wir werden morden, um zu herrschen, wie ihr morden müsst, um frei zu werden. Kein Disput mehr über diese Frage, ob der Mord als geschichtliches Mittel eine Thatsache sei, wir stellen sie fest ; kein Disput mehr über die Frage, ob er eine unvermeidliche Nothwendigkeit sei -- wir behaupten sie ; kein Disput mehr über die Frage, ob er ein Eecht sei -- wir üben es aus. Sagt was ihr wollt und thut was ihr könnt. « Der Sieger hat Eecht ! » « Parteigenossen der Freiheit, unser Studium sei der Mord, der Mord in jeder Gestalt. In diesem einen Worte liegt mehr Humanität, als in allen unsern Theorien.

« Wir sagen : Mordet die Mörder ! Rettet die Humanität durch Blut und Eisen, Gift und Dynamit ! » und an anderer Stelle heisst es in derselben Nummer : «Wir wollen, dass jeder Mensch sich reichlich mit guter Speise und angenehmem Trank versehen könne ; dass alle Leute anständig,

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den klimatischen und jeweiligen Witterungsverhältnissen entsprechend, sich zu kleiden vermögen ; dass es Keinem an den nöthigen Wohnräumen nebst dazu gehörigem Komfort gebreche ; dass alle erdenklichen Bildungsmittel für Jung und Alt erreichbar seien ; dass Kunst und Wissenschaft für's Volk und durch das Volk entwickelt werden; dass Keiner über einen Anderen herrsche; dass Alle frei und gleich sich fühlen können ; dass sich die Menschen nach Neigung, Kräften und Beruf föderiren ; dass die Arbeitslast nicht ubermässig sei und von allen Arbeitsfähigen getragen werde ; dass mit einem Wort Anarchie, d. h. Harmonie, die Basis der Gesellschaft bilde.» Und bald darauf: « Man wird mit der Zeit den Pfaffen vom Altar herunterscbiessen. Jeder Purst auf dem Throne wird seinen Brutus finden.

Gift wird an der Tafel der Schlemmer seine Schuldigkeit verrichten.

Dynamit wird in den glänzendsten Karossen explodiren, wenn sie Aristokraten und Bourgeois auf Gummirädern zu der Oper rollen.

Der Tod wird auf allen Wegen und Stegen, im eigenen Hause, im Schlafe und am hellen, lichten Tage, in tausendfältigen Gestalten, lauern, die Eigenthums- und Eegentschafts-Ungeheuer zu vertilgen. » Und zum Schlüsse: «Die Situation ist klar. Die Zeit der philosophischen Tiraden und reformerischen Salbadereien ist vorbei. Nur ein Hochverräther an der Sache der Arbeit kann da noch dem Volke den Stimmkasten als Mittel zur Befreiung empfehlen. Nur Knechtsseelen können noch petitioniren wollen. Nur Einfaltspinsel glauben da noch an Erfolg von Organisationen für Lohn- -und Minuten-Streitigkeiten.

Lediglich ein abgefeimter Schuft vermag heutzutage noch Schiedsgerichte zu empfehlen.

,, Wir glauben einsig und allein an Pulver und Blei, Gift und Dolch, Dynamit und Brand.

« Je stärker und rascher das Volk mit diesen Argumenten operirt, desto sicherer und früher wird es sein Ziel erreichen.

Das wollen die Rebellen. » Sehen wir wie die « Freiheit » c zur Propaganda der That auch praktische Anleitung gibt.

c. Anleitungen zur ,,Propaganda".

Most beschränkt sich nicht darauf, den Gebrauch von Pulver und Blei, Gift und Dolch, Dynamit und Brand anzuempfehlen und

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dazu aufzufordern, er sagt gelegentlich auch, wie man die Mordinstrumente beschaffen und gebrauchen kann.

Da finden wir in Nr. 3 vom 20. Januar 1883 ,, Wissenschaftliche WinJce", in welchen gezeigt wird, wie man Nytroglycerin herstellt. «Jedermann weiss, wie nothwendig, nüt/lich und angenehm Nytroglycerin heutzutage bereits für die Revolution geworden ist, aber nicht Jeder ist im Stande, sich in den Besitz dieser herrlichen Substanz zu setzen. Desshalb ist es gewiss nur sehr zweck mässig, wenn wir erörtern, wie dieselbe hergestellt wird» -- heisst es zur Einleitung.

Als « Frohe Botschaft » meldet Nr. 13 vom 31. März 1883 die Erfindung des ,,Amidogen" mit dem Versprechen, « sobald nähere Information vorliege, die Leser mit allen Einzelheiten bekannt zu machen. » In Nummer 15 vom 14. April 1883 gibt ein «P. H.» «Praktische Winke » über das Losbrennen von Dynamit.

In Nummer 26 vom 30. Juni 1883 kommt nochmals das Nytroglycerin an die Reihe, weil das zuerst gegebene Rezept für « Anfänger » zu gefährlich und unsicher sei.

Nummer 4 vom 26. Januar 1884 beschreibt ein Mordinstrument -- Annihilator genannt, welches von wunderbarer Wirkung sein müsste, wenn das Ganze nicht -- amerikanischer Schwindel wäre.

Die «Freiheit» aber sagt dazu: « Leider ist weder Name noch Adresse des Erfinders angegeben und wäre es gut, wenn unsere Bridgeporter Genossen der Sache auf die Spur zu kommen suchten.

Denn wenn es sich mit dieser Erfindung so verhielte, wie oben angegeben, dann wäre dieselbe von unschätzbarer Bedeutung. » Nummer 22 vom 31. Mai 1884 gibt neuerdings Anleitung zur Fabrikation von Nytroglycerin resp. Dynamit.

In Nr. 4 vom 25. Januar 1885 lesen wir: « Man greife zu, wo und wie man kann ! Je geräuschloser das Ordnungs-Gesindel kalt gestellt wird, mit desto weniger Gefahr kann operirt werden. Der Revolver ist gut, wenn äusserste Gefahr droht; Dynamit sollte nur zu Haupt- und Staatsaktionen verwendet werden, hier aber in um so grössern Quantitäten. Im Uebrigen, wir wiederholen es, sind Dolch und Gift äusserst praktische Propagandamittel. » Diesen Sätzen folgt dann unter der Aufschrift ,,Kriegswissenschaftliche Praxis" eine Anleitung zum effektvollen und sichern Losbrennen von Nytroglycerin und Dynamit.

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Nr. 5 vom 31. Januar 1885 beschäftigt sich wieder mit Dynamit und mit der zweckmässigsten Art der Erstellung von Boniben. Von einem angestellten Versuche werden grossartige Erfolge berichtet und daran anknüpfend bemerkt: «Nun denke man sich, diese Bombe wäre unter der Tafel einer schlemmenden Bankettgesellschaft placirt gewesen, oder man hätte dieselbe durch's Fenster einer solchen Bande auf den Tisch geworfen -- welch' eine herrliche Wirkung würde das gehabt haben!» Nr. 6 vom 7. Februar 1885 beschäftigt sich schon wieder mit ,,Bomben". «Bevor wir über Dynamit-Operationen von grossartigem Massstabe reden, müssen wir uns hinsichtlich der Bomben mit Schlagzünder-Vorrichtungen auslassen.» Es wird gezeigt, wie Bomben, welche geworfen werden sollen, construirt sein müssen, um möglichst sicher und wirkungsvoll zu explodiren.

Endlich finden wir in Nr. 13 vom 28. März eine Abhandlung über ,,Enallquecksilber", in welcher dessen Herstellung und "Verwendïing gelehrt wird. « -Bomben, mit diesem Sprengstoff geladen, gehen ohne jeden Zünder, durch den blossen Wurf los ! » (1. Berichte über einzelne anarchistische Thaten.

Für ein Agitationsblatt, wie die Most'sche Freiheit, gibt es natürlich keinen willkommenern Stoff, als die Meldung glorreicher « Erfolge », den Ruhm gefallener « Helden » oder gequälter « Märtyrer » und die « Erzählung nachahmungswerther Beispiele ». Es wird sich nach dem bisher Gesagten Niemand darüber wundern, dass die « Freiheit » in diesen Capiteln Aussergewöhnliches leistet. Da aber diese Leistungen stets darauf berechnet sind, die Propaganda der That zu fördern und da sie überhaupt zur Charakterisirung des Blattes und der Partei gehören, so müssen hier einige der prägnantesten Erwähnung finden, wobei wir allerdings gar Vieles übergehen müssen, das auch noch von Interesse wäre.

Am 6. Februar 1883 schreibt Most über den Tod G-ambetta's : « Was uns nämlich sonderlich am Hinscheiden Gambetta's gefallt, ist die gewaltsame Ursache seines Todes. So und nicht anders müssen die Staatsmänner und « Volksbeglücker » unserer Zeit in den Orkus hinabbefördert werden. « Die Weltgeschichte ist das Weltgericht», sagt der Dichter; wir aber sagen: Was kümmert es uns, wie die Zukunft den Stab brechen wird über Diplomaten , Pfafi'en, Fürsten und Zeloten ? Wir wollen selber richten und die Weltgeschichte machen, die zum Richtschwert wird ! »

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« Bravo ! Bravissimo ! » ruft er am 4. August 1883 am Schlüsse eines Artikels über den Tod James Carey's. Er schreibt : « Der Name desjenigen, welcher die Welt von der Anwesenheit dieser infamen Bestie befreite, ist O'Donnell. Derselbe hat einen Ehrenplatz im Verzeichniss der Helden und Märtyrer aller Zeiten und Länder verdient. » lieber das Attentat auf das Franlcfurter-Polineigebäude meldet Nummer 44 vom- 31. Oktober 1883 : « In Frankfurt a. M. wurden am Gebäude der dortigen Polizeidirektion Sprengversuche angestellt, welche insofern von ganz gutem Erfolge begleitet waren, als die Fetzen nach allen Richtungen flogen. Was aber die darin befindlichen amtlichen Galgenvogel anbetrifft, so sind sie leider mit dem blossen Schrecken davon gekommen. Da Derartiges jetzt sehr häufig vorkommt, sollte Jeder, welcher etwas Solches macht, daraus die Lehre ziehen, dass die Quantität des Sprengstoffes stets eher zu gross als zu klein sein sollte. Im Uebrigen sagen wir Bravo zu der That».

Am 10. Nov. 1883 wird gemeldet: « In Lyon ist schon wieder eine Höllenmaschine losgebrannt worden. Dieselbe wurde vor den Palast eines reichen Kaufmannes gelegt. Das Gebäude ist ganz bedeutend beschädigt worden; leider aber passirte den Bewohnern desselben nichts . . . . Es muss noch soweit kommen, dass diese Hallunken keine Nacht mehr ruhig schlafen können. » Als Hlulieck in Florisdorf ermordet worden war, schrieb Most in Nummer 51 vom 21. Dezember 1883: « Schon wieder haben wir eine erfrischende That zu vermelden : In Florisdorf bei Wien wurde es einem der schuftigsten Oberbüttel, dem Polizei-Commissar Hlubeek, am vergangenen Sonnabend gründlich besorgt. » Und zum Schlnss : « Jedenfalls heissen wir die Handlung vollkommen gut und empfehlen sie als nachahmeriswerthes Beispiel. Bestien haben kein Existenzrecht. Es lebe die Propaganda der That, ! » Ueber den Stuttgarter Mordversuch meldet Nr. 52 vom 29« Dezember 1883: « Aus Stuttgart berichteten die Blätter vor einiger Zeit, dass eines Tages bei dem Banquier Heilbronner 4 Männer erschienen, den Geschäftsinhaber und dessen Buchhalter mittelst Hämmern begriffsstutzig machten und die vorhandenen Gelder confiscirten. » Nachdem Most dem in Budapest erscheinenden Bruderorgan « Eadical » entnommen, dass es sich dabei um eine anarchistische That handle, erklärt er : « Im Kriege schiesst man nicht nur hin und her, sondern man requirirt auch bei'm Feinde die Mittel zum Kampfe. »

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Am 2. Februar 1884 meldet Nr. 5 der Freiheit die Ermordung des Detektivs Block in Florisdorf. Unter dem Titel « Wetterleuchten » lesen wir da : « Und wiederum hat es gekracht ; und wiederum ist ein Spürhund der Tyrannei vernichtet worden ! Der Detektiv und politische Spion Blöch wurde zu Florisdorf am 24.

Januar Abends niedergeschossen. » Und weiter heisst es: « Als in unserm Blatte schon im Mai vorigen Jahres Hlubeck, Blöch und Andere dem Eichter Lynch empfohlen wurden, glaubten sie, es handle sich bloss uni leere Drohungen. Als man den Unverbesserlichen die Todesurtheile in ihre Wohnungen schickte, dachten sie, es würde sich kein Vollstrecker finden. Die Ereignisse lehrten aber anderes. Das internationale ExeJcutivcomité der Anarchisten hat seine Thätigheit begonnen ! Es wird seine Pflicht auch fernerhin erfüllen ! » Zum Schlüsse erklärt sich die « Freiheit » mit den Mördern Hlubecks und Blöchs solidarisch. « Es lebe der Terrorismus der Anarchisten! » In derselben Nummer heisst es mit Bezug auf den Mordversuch an Heilbronner : « Nur die « vornehme Welt » , die Polizei, « sozialdemokratische » Eeichstags-Abgeordnete und viele Tintenkleckser möchten bersten vor « sittlicher Entrüstung » ob des stattgehabten « Eaubmordes ». Wir aber rufen aus : Frisch drauf los « geheil bronnert » ! » Am 8. März wird lakonisch gemeldet : « In Wien wurde Genösse Kammerer verhaftet, als die Spürhunde der Ungerechtigkeit ihn überfielen, vertheidigte er sieh mit einem Eevolver mit grosser Tapferkeit ; und erst, nachdem er mehrere dieser Bestien verwundet hatte, wurde er überwältigt. Die Polizei will Dynamitbom.'ben, elektrische Batterien u. dgl. in seiner Wohnung gefunden haben.

Auch diese Büttel werden dem Arme der Kache .nicht lange entgehen ».

Bemerken wir dazu, dass in Nr. 49 der « Freiheit » vom 8.

Dezember 1883 die Notiz stand: «Die Genossen Kämmerer und Dangelmeier, früher in Bern, sind in New-York eingetroffen. Sie rufen hiemit ihren zurückgebliebenen Kameraden ein herzliches Lebewohl zu und versprechen getreuliche Portsetzung des Kampfes gegen jede Tyrannei ! » In Nr. 12 vom 22. März 1884 finden wir eine aus Bern datirte Korrespondenz über Hermann Stellmacher, den Mörder Blöchs, die mit den Worten schliesst : « Mögen die reaktionäre Presse und ihre

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Anhänger diesen Rächer der Armen und Gehetzten immerhin begeifern. Wir wissen, dass einst der Name Hermann Stellmacher unter denen jener Helden verzeichnet wird, die auf dem Altar der Revolution sich selbst opferten. » Nummer 25 vom 21. Juni 1884 beschäftigt sich wieder mit Stellmacher. Nachdem seiner Haltung vor Gericht volles Lob gespendet worden, heisst es in dem Artikel: « Wie aber stehen nun Jene da, welche unserm Genossen Stellmacher alles Mögliche und Unmögliche nachgeredet haben ; ja die sich nicht entblödeten, ihn, den wehrlosen Gefangenen, des Verraths und der Denunziation zu zeihen ? -- «Literaten, Ihr seid Gassenbuben! Kanaillen, auf die Knie!

Hinunter in den Koth, mit dem Ihr nur zu lange einen Ehrenmann besudelt habt ! Pfui ! über Buch, Geschmeiss !

'« Arbeiter ! « Sehet, welch' ein Bild ! » Hier ein Mann der That, ein Charakter, ein Märtyrer und Held ! Dort die Wölfe im Schafspelze, welche Eure Besten schänden, Eure Bewegung stocken machen !

« Hier -- Alles Hingabe, Tapferkeit, Aiisdauer, revolutionärer Ernst ; dort -- Windbeutelei, Hinhaltung, Täuschung, Betrug, Denunziation und .Verrath !

« So stehen die Typen des Anarchismus und der « Socialdemokratie » sich einander gegenüber. Arbeiter, wählet ! -- « Wir Anarchisten aber entblössen unser Haupt vor Hermann Stellmacher ! Wir reichen unserm Genossen die Bruderhand, und « Brutus schläft nicht ! » -- a. Möge er viele Nachahmer finden ! Noch mancher Schurke muss und wird fallen unter dem Dolch oder Revolver der Anarchisten. Aber auch Jene werden nicht verschont bleiben, die Stellmacher an den Galgen brachten. Sein Tod soll blutig gesühnt werden !

« Proletarier ! Sehet, -- da schreitet ein Mann '/um Schaffet -- er ist Euer Mann ! Proletarier ! dort geht ein Held in den Tod -- er ist Eiter Held, und -- stirbt für Eure Sache ! Hut ab!» In Nr. 29 vom 19. Juli 1884 heisst es mit Bezug auf den wegen des Mordversuchs an Heilbronner zu lebenslänglichem Zuchthaus verurtheilten Kumitsch : « Seine Leiden werden nicht ohne Sühne bleiben. Diejenigen, welche die Urheber seiner Martern sind, werden dafür eines Tages bitterlich zu büssen haben. » Im August 1884 folgte der bekannte, ebenfalls von der Redaktion dei « Freiheit » ausgehende Aufruf « zum Gedäehtniss an

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den tapfern, opfermuthigen, getreuen Genossen Hermann Stellmacher. » Und nachdem Stellmacher am 8. August hingerichtet worden war, erschien Nr. 33 vom 16. August 1884 mit breitem Trauerrand, den erwähnten Aufruf, unter der Aufschrift : « Ecce homo » an der Spitze.

Und als am 20. September 1884 Kammerer gehängt worden war, meldete Nr. 39 vom 27. September 1884: «Der Galgen hat am 20. d. M. ein neues Opfer verschlungen. Einer unserer besten Genossen, Anton Kammerer, musste im 23. Jahre seines Lebens, in der Vollkraft seiner Jugend, aus unserer Mitte scheiden. Was er für uns war, wer weiss es nicht! . . . .

« . . . . Handle jeder Genösse wie er ! Wir alle geloben baldige Rache ! » Und dieser Kammerer hatte die beiden Strassburger-Morde, den Mord an Hlubeck und den Mord am Banquier Eisert und seinen beiden Kindern verübt.

Nr. 40 vom 4. Oktober 1884 nennt ihn einen « Mann der That » und schliesst einen Nachruf mit den Worten : « Aus den Gebeinen Stellmacher's und Kammerer's werden unzählige Rächer entstehen -- die Einzelthaten werden sich verdoppeln , die Zahl der Opfer wird steigen, aber mit ihnen der Geist der Revolution im Volke.

« Genossen ! Gedenket Eures todten Freundes, indem Ihr ihm nacheifert. Er war ein extremer Feind jeder Autorität und aller Art von Personenkultus -- der revolutionäre Kampf war ihm Alles !

Erinnert Euch seiner letzten Worte, die er an Euch gerichtet : «« Wir dürfen nicht ruhen, bis der letzte morsche Stein der kapitalistischen Gesellschaft unter den Hammerschlägen der sozialen Revolution zermalmt ist ! » « So schied der 23jährige Held. -- -- « Auf, zum Kampf!

« Es lebe die Propaganda der That ! » « Getreu bis in den Tod » lautet in Nr. 52 vom 27. Dezember 1884 die Ueberschrift eines Berichtes über die Verhandlung gegen.

Reinsdorf vor dem Leipziger Reichsgericht, betreffend das Attentat auf dem Niederwald. Da lesen wir: « Während aber der sog. deutsche Kaiser, dessen Sohn und Enkel und der Sohattenkönig Sachsens, umgeben von Aristokraten, Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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Pfaffen, Schergen und Knechten, sich am Anblick einer zur Raubmörderin herabgesunkenen « Germania » in ihrem Hochmuth und Despotenwahnsinn weideten, waren in ihrer nächsten Nähe die Hände der sozialen Revolution damit beschäftigt, die frivole Orgie durch Blitz und Donner in einen Todtentanz nebst allgemeiner Panik umzuwandeln.

« Unter der Strasse, die der Tyrann und dessen Tross vom Festplatz zum Bankett benützen musste, war Dynamit eingebettet, genug, um alle Schuldigen in tausend Stücke zu zerreissen. Eine Lunte zog sich bis in den nahen Wald hinein, von wo aus die Mine leicht entzündet werden konnte. Der Stratege, welcher diese Arrangements getroffen, ist AUGUST REINSDORF.

« Ein Zufall, wir möchten sagen, eine Wetterlaune, und Yerrath, geboren von der Feigheit eines infamen Schurken, vereitelten die so herrlich angelegte That und stürzten August Reinsdorf in's Verderben ».

Und weiter : « August Beinsdorf stand da -- nicht als Angeklagter, sondern als Ankläger -- mehr als das ! -- er glich einer Nemesis, welche erbarmungslos den Blitz der .Rache und Vernichtung gegen alle Jene schleudert, welche, wenn gewogen, als zu leicht erscheinen. » Nr. 3 vom 17. Januar 1885 bringt folgende Eesolution der Londoner Genossen: « Die am 27. Dezember 1884 tagende Versammlung des « Communistischer Arbeiter-Bildungs-Verein » (1. Sek.) erklärt sich mit dem von REINSDORF und Genossen geplanten und versuchten Attentat gegen die Tyrannen und deren Anhang, bei Enthüllung des Niederwald-Denkmals, sowie mit der prinzipiellen Verantwortung des Genossen REETSDORF vor den Reichsjustiz-Strolchen zu Leipzig vollständig solidarisch, und hegt nur den sehnsüchtigen Wunsch : dass das von BEINSDORF begonnene Vernichtungswerk in recht baldiger Zukunft gelingen möge. » Und als Eeinsdorf am 7. Februar 1885 enthauptet worden war, erschien Nr. 7 vom 14. Februar wieder mit Trauerrand, an der Spitze Eeinsdorf's Bild und ein Nachruf, der mit den Worten begann : « Einer unserer Edelsten und Besten ist nicht mehr ! » und in dem u. a. gesagt war : « Weg mit allen sentimentalen Bedenken, wenn es gilt gegen Staat, Kirche und Gesellschaft und deren Träger, wie gegen das Bestehende überhaupt, einen Streich zu führen. -- Vergessen wir niemals, dass die Revolutionäre der

571 Neuzeit nur über Schutt und Asche, über Blut und Leichen ihren Einzug halten können in eine Gesellschaft von Freien und Gleichen.

-- Schwingen wir uns auf zu der Höhe eines August Eeinsdorf!

Vollenden wir das Werk, das er so kühn begonnen ! Nur so allein können wir ihn rächen; so allein können wir uns seiner würdig zeigen; so allein können wir siegen. Hoch die Gewalt! Es lebe die sociale Kevolution! » Allem andern aber setzte Most die Krone auf, als Polizeirath Rumpff am 14. Januar 1885 in Frankfurt ermordet worden war.

Energisch verwahrt er sich dagegen, dass diese That nicht auf Rechnung der Anarchisten zu schreiben sei. « Wir constatiren wiederholt, -- sagt er in Nummer 5 vom 31. Januar -- dass Bumpff nach reiflicher Ueberlegung und nachdem mehrere diessbezügliche Anschläge missglückt waren, von den Anarchisten hingerichtet worden ist. Und damit Punktum. » Am 24. Januar aber ruft er triumphirend aus: «.ZittereKanaille!

Rumpff ist todt -- hingestreckt, wie eine Ratte ! Das war ein schwerer Schlag für Kaiser und Reich. Rumpff war ja eine der unentbehrlichsten « Stützen der Gesellschaft ».

,,Rumpff ist todt!" klang es mit vor Schrecken bebender Stimme aus dem Kaiserschlosse und dem Palaste des Reichskanzlers durch alle Bureaux bis hinunter in die Wachtstuben der Polizisten.

Jeder wurde bleich, bleich wie der Tod, zitternd, ob dieser schon hinter ihm stände, unsichtbar, unabwendbar -- ein Jeder fühlte sein eigenes Schicksal.

,,Rumpff ist todt!" stammelten die Pfaffen am Altar sich zu.

« Dass Gott erbarm' ! Wenn solche Säulen der Ordnung fallen -- 'wo bleiben wir ? » Vor ihren Augen schwebten keine feurigen Zungen längst vergangener Pfingsten ; wohl aber sahen sie im Geiste, wie die Brandfackel um Altar und Kanzel züngelt, leckt und sie in rother Gluth verschlingt. Es flirrt und flammt ihnen vor den Augen, weil sie wissen, dass die Zeit nicht mehr fern ist, wo sie zur Hölle fahren.

,,Rumpff ist todt!" verkündete mit dumpfem Ton der Jobber an der Börse, und jeder Dividendengauner wusste sofort, wie viel es geschlagen hatte. Seine Blicke schweiften hinaus in's Freie.

Was mochte er sehen und denken? Da draussen auf der Strasse stehen viele Laternenpfahle. Warum greift sich der Gauner an den Hals?

,,Rumpff ist todt!" zetert die Presse in allen Tonarten und schleudert wüthende Flüche den « Mördern » zu. Die SpiessorEunuchen lesen sich eine Gänsehaut über den Leib und -- wittern

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Morgenluft, die ihnen die Schlaftnütze verschiebt. Michel sperrt's» Maul auf und guckt, wie « der Dumme von Tille ». Er will nicht glauben, dass es « geschellt » hat.

,,Rumpff ist todt!!" -- In jeder Werkstatt, in jeder Fabrik, im Bergwerk und auf dem Acker hallen und schallen die Kufe, wie ein heiliges Donnerwetter. Die Lohnsklaven wollen erst die Botschaft nicht glauben -- sie ist ihnen zu plötzlich, zu überwältigend, zu freudevoll! Die Arbeit stockt, die Hände ruhen; Einer schaut den andern an mit leuchtenden Augen und freudigem Antlitz.

Ein Ruf ertönt : « Die Bestie hat's verdient ! » In den Miethskasernen spricht man davon von der Kellerstube bis hinan zur Dachkammer, auf der Strasse, wie im Hofe -- überall mit gleicher Freude. « Recht so ! » ruft eine derbe Proletariergestalt und hebt die kräftige Faust. « Die Schurken müssen alle noch d'ran glauben. » « Das müssen sie ! » schallt's um ihn ringsherum.

,,Mwmpff ist todt!" Ein soeben eingelieferter «Sträfling» hat es im Zuchthaus verkündet. Ha! wie es da poliert und hämmert nächtlicher Weile an jeder Mauer, von Zelle zu Zelle. Auch jene Unglücklichen, welche theils Noth und Elend, theils Rumpff und ähnliche Kanaillen hinter Schloss und Eiegel gebracht, durchleben eine freudige Stunde. Mancher empfindet, dass ihm Sühne geworden, dass die Bache ihr Werk vollbracht.

Genösse Eeinsdorf jauchzt noch an den Stufen des Schaffotes auf: ,,Rumpff ist todt!"

« Rumpff ist todt ! Die Anarchisten haben ihn gerichtet ! Sie sind stolz auf diese That. Sie erklären sich solidarisch mit ihrem Bevollmächtigten, der, nachdem ein Anderer, welcher den Unhold schon vor Jahresfrist in's Nichts zu senden versuchte, nicht so glücklich war, die Aufgabe erfüllte, R^t'>npff zu tödten.

« Aber die Revolutionäre und Anarchisten, welche da das Todesurtheil, das gegen Genossen Reinsdorf ausgesprochen worden, durch die Hinrichtung Rumpff's beantwortet haben, gedenken nicht, auf ihren Lorbeeren auszuruhen.

« Rumpff war Nr. l einer langen Proscriptionsliste. Sie werden Schlag auf Schlag und Stoss auf Stoss folgen lassen. Ob es grosse oder kleine Gauner sind, die man zuerst abthut; ob es gilt, einen Tyrannen zu zerfetzen oder eines seiner Werkzeuge der Bestie Eumpff in die Grube nachzuschleudern -- gleichviel, die Anarchisten werden ohne Unterschied kurzen Prozess machen ; denn -- ,, Vergeltung" ist ihr Losungswort.

« Sie rufen dem Lumpenthum aller Länder zu: Zittere Kanaille! »

573 Wer will bestreiten, dass eine solche Sprache auf die Masse der Arbeiter mächtig wirken muss ? Wer will da bezweifeln, dass diese begeisterten Worte wohl geeignet sind, die um ihr tägliches Brod kämpfenden Massen hinzureissen, sei es selbst zum gemeinsten Verbrechen !

e. Organisatorisches.

· Wenn sich auch aus naheliegenden Gründen aus der « Freiheit » ein sicherer Einblick in die Organisation der anarchistischen Partei nicht gewinnen lässt, so finden sich doch darin hier und dort Winke und Mittheilungen, welche werthvoll sind, sowohl mit Bezug auf die Organisation im Allgemeinen, als auch mit Bezug auf die persönliche Bedeutung einzelner Anarchisten. Es musste sich daher auch die gegenwärtige Untersuchung mit diesen Fragen befassen.

Dieselben werden stets wieder von Wichtigkeit sein, so dass es angezeigt erscheint, auch die in dieser Richtung gewonnenen Resultate hier zusammen zu stellen.

Nummer 10 vom 10. März 1883 bringt uns folgenden Beschluss des socialrevolutionären Klubs von New-York zur Kenntniss : «Der sozialrevoluzionäre Klub New York spricht sich zu Gunsten eines engeren Zusammengehens der einzelnen Gruppen des Landes aus, welches jedoch unter Wahrung der Autonomie der Gruppen verwirklicht werden soll. AVir empfehlen, dass die Gruppen in Chicago ein Informationsbureau im Interesse aller Gruppen des Landes errichten und àie Initiative zu oben angedeutetem Zweck der engeren Verbindung ergreifen sollen. Der S. R. K. N. Y. verzichtet auf ein nationales Programm und überlässt dies einem nach Brstarkung der einzelnen Gruppen einzuberufenden Kongress zur Vereinbarung. Irgend welche Arbeiten, welche gemeinsamer Handlung bedürfen, können von jeder Gruppe den anderen unterbreitet werden und muss das Infornaationsbureau die Vermittlung übernehmen und die Verwirklichung angenommener Vorschläge veranlassen ».

Dieser Beschluss wird andern Gruppen zur Nachahmung empfohlen mit der Bemerkung : « Die Macht einer solchen Organisation wird nicht im Zentrum, sondern in der Peripherie liegen ».

Weiter wird bemerkt, dass demnach keine Gruppe und selbst kein Mitglied gezwungen werden könne, an irgend welchen Unternehmungen materiell oder geistig Antheil zu nehmen, wenn das nicht in seiner freien Entschliessung liegt. Dabei wird auch vorausgesetzt, dass eine solche Organisation ständige «Beamte», Präsidenten oder Sekretäre, und ebenso auch Statuten gänzlich entbehren könne. »

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Wir können gleich hiev bemerken, dass diese Vorschläge, soweit die Untersuchung dies konstatiren konnte, in der Schweiz ebenfalls befolgt worden sind.

Der bereits erwähnte Kongress der Internationale vom 14. und 15. Juli 1881 fasste laut Nummer 13 folgende die Organisation betreffende Beschlüsse : « Jeder, der das Prinzip der Verbindung anerkennt, kann als Mitglied aufgenommen werden.

« Jede Grappe und Föderation wird das Recht haben, mit allen andern Gruppen und Föderationen, welche ihnen ihre Adresse geben wollen, direkt zu korrespondiren. Jedoch wird, um die Verbinbindung zu erleichtern, ein Auskunftsbüreau errichtet.

« Die Ausgaben des Bureau werden durch freiwillige Beiträge der sich anschliessenden Gruppen und Föderationen gedeckt.

« Die Anschlusserklärungen sind an das Bureau zu richten, das sie den bereits angeschlossenen Gruppen und Föderationen zu übermitteln hat, welche über die Aufnahme zu entscheiden haben.

« Ein internationaler Kongress wird den Beschlüssen der Gruppen und Föderationen gemäss einberufen ».

Der Kongress errichtete ein Informationsbüreau, welches seinen Sitz in London hatte.

In Nummer 14 vom 7. April 1883 wird die Wahl eines vorläufigen Informationsbüreaus für die Gruppen in Amerika gemeldet.

Dasselbe hatte seinen Sitz in Chicago, hatte kemerlei Machtbefugnisse und nur den Zweck, die Verbindung zwischen den Gruppen aufrecht zu erhalten und Auskunft über Organisation etc. zu ertheilen. Sehr bestimmt spricht sich hier die « Freiheit » gegen eine Partei-Zewfraü-Leitung aus.

In einer Denkschrift der Gruppe I New York der internationalen Arbeiterassociation an den Nihilisten-Kongress zu Pittsburg (Nummer 86 vom 8. Septembre 1883) wird hierüber gesagt : «Vermeiden wir vor Allem den giftigen Baum des Zentralismus, unter dessen Zweigen alles selbständige Leben erstirbt, während blinder Cadavergehorsam nur gedankenlose Personenanbeter auf der einen und arrogante Autoritäten auf der andern Seite erzeugt. Die zu schaffende Organisation wird, wenn sie nicht von vornherein den Keim der Selbstzerstörung in sich tragen soll, föderalistischer Natur sein müssen. Keine Parteiregiererei mehr ! Eine jede Gruppe sei frei und unabhängig ! » Die Denkschrift spricht sich gegen die Aufstellung eines allgemeinen Programms aus, « indem Programm und Statuten in den

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Bereich der Vereinsspielerei gehören », dagegen wünscht sie den Erlass eines Manifestes, in welchem die Nofchwendigkeit einer gewaltsamen Zerstörung der bestehenden Unordnung dargethan würde.

Nummer 29 vom 29. September 1883 und Nummer 40 vom 6. Oktober 1883 bringen Auszüge aus einer Denkschrift der Internationale von Californien an den Pittsburger Kongress. Es wird darin namentlich auf systematische Schulung der Revolutionäre Gewicht gelegt und zu dem Zwecke folgendes Verfahren vorgeschlagen : « Nehmen wir an, der Leser dieses Artikels habe sich im Allgemeinen bereits um die Arbeiterbewegung bekümmert, ohne indessen sich völlig klar über Dieses und Jenes zu sein. Nehmen wir ferner an, der Betreffende habe zwei oder drei Bekannte, von denen er weiss, dass sie in dieser Beziehung ähnlicher Art sind.

Er ladet dieselben eines Tages zu sich, um diese Dinge mit ihnen speziell zu besprechen. Sagen wir ferner, diese Leute gewinnen bei dieser Gelegenheit ein stärkeres Interesse für die Sache und entschliessen sich, bald in der Wohnung des Einen, bald in der des Andern solche Zusammenkünfte abzuhalten, bis sie schliesslich sich daran gewöhnen, regdmässig -- etwa alle Wochen -- mit einander zu sein. Inzwischen ist vielleicht das Häuflein auf 6 oder mehr Köpfe angewachsen. Dieser oder Jener hat sozialistische Zeitungen , Brochüren u. dgl. aufgetrieben, dieselben werden vorgelesen oder .gegenseitig ausgetauscht. Endlich ist so eine Gruppe zu Stande gekommen, welche nicht bloss aus gelegentlichen Zahlern oder "Versammlungsbesuchern besteht, sondern deren Mitglieder sammt und sonders sich vollkommen in die Sache hinein gedacht haben. Jeder ist fähig geworden, agitatorisch und organisatorisch zu wirken. Kann das innerhalb dieser einzelnen Gruppen geschehen ? Nein !

« Jedes Mitglied hat daher die Aufgabe, sei es in seiner Wohnungs-Nachbarschaft, in der Fabrik oder Werkstatt, wo es arbeitet, in der Gewerkschaft oder dem Arbeiterverein, wozu es etwa gehört, sich nach geeigneten Leuten umzusehen, die sich dazu eignen möchten, eine ähnliche Gruppe, wie die vorhin charakterisirte, daraus zu formen. Und da natürlich neben diesen neuen Gruppen die alte bestehen bleibt, so hängen alle diese Letzteren durch ihren Gründer mit der Ersteren zusammen. In den neuen Gruppen findet die nämliche Schulung der Mitglieder statt,
wie das bei der Muttergruppe der Fall war, bis jedes Mitglied abermals im Stande ist, eine kleine Gruppe zu formen, und so soll von einer Gruppen-Serie zur andern geschritten werden.

« Von Stufe zu Stufe schreiten die einzelnen Gruppen in ihrer Ausbildung. Ist eine Gruppe weit genug vorgeschritten, um die

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Sache der sozialen Revolution gründlich zu verstehen und neue Gruppen zu bilden, resp. abzuzweigen, so können ihre Mitglieder an immer weitere (speziellere) Dinge heran treten. Sie können sich z. B. ausbilden in der Chemie, überhaupt in allen jenen Wissenszweigen , welche Jedem geläufig sein sollten, der sich berufen fühlt, bei der kommenden Revolution eine aktive Rolle zu spielen und den ungeschulteren Massen den rechten Weg zu zeigen.

« So. dehnt sich (bei solcher Organisation) die Internationale Arbeiter-Association heimlich und geheimnissvoll aus; wie sich in einem Wespennest Zelle an Zelle reiht, so schliesst sich da in aller Stille Gruppe an Gruppe. Sie zeigt den opfermuthigen und eifrigen Männern und Frauen der Welt die Mittel und Wege, wie die Erzeuger des Eeichthums sieh von den Fesseln der Tyrannei zu befreien vermögen. Der Verrath ist wenig zu fürchten, weil Keiner mehr weiss, als was etwa in zwei Gruppen vor sich geht. Aus diesem Grunde ist auch eine allgemeine Zerstörung dieser Organisation nicht denkbar. « Führer » gibt es wie gesagt nicht ; die Gefahr, dass durch Verhaftung der « leitenden Personen », wie sie in anderen Organisationen existiren, der ganze Organismus lahm gelegt werden könne, ist ausgeschlossen. Denn Jeder ist so gut geschult worden, dass er die Stelle eines Anderen, der im Kampfe fallt, ersetzen kann».

Der Pittsburger Kongress, welcher Mitte Oktober 1883 abgehalten wurde, acceptirte einen Organisationsplan, welcher dem bisher Angeführten im Wesentlichen entsprach. Danach sollte die Organisation aus « föderativen Gruppen » bestehen ; fünf Personen sollten berechtigt sein, eine Gruppe zu bilden; jede Gruppe sollte vollständig autonom und nur an die in einer ebenfalls beschlossenen , Proklamation niederzulegenden Prinzipien gebunden sein ; den Gruppen wurde empfohlen, sich nach dem Orte, wo sie existiren, zu benennen ; ferner sollte ein Informationsbureau errichtet werden u. s. w.

Nach diesen Grundsätzen scheint die Organisation seither auch in Europa und namentlich auch bei uns durchgeführt worden zu sein. Für gewisse Zwecke der Propaganda der That genügte dieselbe aber offenbar nicht und so finden wir bald neben der allgemeinen freien, auf der Autonomie der Gruppen beruhenden Organisation, eine engere Vereinigung der eigentlichen Führer, welche mehr nach zentralistischen
Grundsätzen organisirt zu sein scheint, -- die « schwarze Hand ».

Nachdem in Nummer 37 vom 15. September 1883 über die Organisation und Thätigkeit der « Schwarzen Hand » in Spanien

577 berichtet worden war, wurde in Nummer 3 vom 10. Januar 1884 folgendes Schriftstück veröffentlicht:

« Auf, zur That !

c Mitarbeiter !

« Die soziale Krisis eilt in allen Kulturländern einer Katastrophe zu. Es ist hohe Zeit, dass entschieden Stellung zu derselben genommen werde, durch Wort und TJiat !

«. Die Revolution kommt ! Sie bricht herein zum Schrecken unserer Feinde. Alsdann müssen wir aber fähig sein, an der Spitze des Proletariats, die Massen des, Volkes mit uns zu reissen -- nur so werden wir den Sieg erringen und unsere Ideen sich verwirklichen.

« Die Masse wird uns aber nur dann folgen, wenn sie uns vertraut ; und sie vertraut uns, wenn sie Beweise unserer Kraft und Tüchtigkeit erhalten hat -- wir wollen sie gelten !

« Dies involvirt die Notwendigkeit eines revolutionären Vorpostengefechtes, kühner Einzelthaten -- wie sie jeder grossen Eevolution als Wegweiser vorausgegangen sind.

« Diesen Zweck verfolgt unsere internationale Geheimorganisation « Die schwarze Hand ».

« Proletarier ! Wir werden uns mit allen tüchtigen Kräften diesseits und jenseits des Ozeans in Verbindung setzen, und appelliren hiermit an unsere sämmtlichen Kampf- und Leidensgefährten behufs thatkriiftiger Unterstützung in jeder Form.

« Näheres wird durch unsere Vertrauensleute vermittelt.

« Es lebe der Kampf bis auf's Messer !

« Im Januar 1884.

Die Exekutive der « SCHWARZEN HAND ».

Es geht daraus die Existenz einer neuen Geheimorganisation hervor, welche speziell den Zweck hat, zur That zu schreiten und zwar zunächst revolutionäre Einzelthaten zu veranlassen. Wir finden eine « Exekutive », wir finden daneben « Vertrauensleute » und sehen, dass die Absicht besteht, « mit allen tüchtigen Kräften » in Verbindung zu treten.

Wir begegnen der « schwarzen Hand » von nun an gelegentlich im Briefkasten der «Freiheit». Nummer 4 vom 26. Januar 1884 hat sogar einen eigenen « Briefkasten der S. H. ». Ebenso

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Nummer 5 vom 2. Februar. Derselbe enthält u. a. folgende No.tizen : « D. P. IV. und E. Q. V. Brief abgesandt.

«F. R. VI; C. 0. III. K. V. IX. H. F. VIII. G. S. VII.

Briefe ab. Gelder per Postal Notes oder Cash. Keine Postanweisungen.

« A. N. I. Brief ab. Vielleicht verspätet.

« B. M. II. Geduld. Antworten Sie deutlich und vollständig.

Sie sind vollkommen sicher.

« T. in W. Auch das « Verheilbronnern » ist gut».

Auch in Nummer 9 vom 1. März 1884 findet sich ein « Briefkasten der S. H. ·» mit folgenden Notizen : « P. E. VI. Zwei Briefe vom 31. Januar und 2. Februar sehr verspätet erhalten.

« B. M. II. Ihr Brief vom 5. Februar kam erst am 26. Februar in unsere Hände. Werden baldigst antworten.

« Zürich und Genf : Alles in Ordnung ».

Später verschwindet dieser besondere Briefkasten. Dagegen finden sich von da an im allgemeinen Briefkasten Mittheilungen, welche sich wohl auf die « schwarze Hand » beziehen dürften, und welche gleichzeitig den Beweis liefern, dass die Bezeichnung einzelner Genossen mit Nummern wahrscheinlich für bestimmte Zwecke eingeführt worden war.

So enthält Nummer 21 vom 2. August 1884 folgende Mittheilung : « 6 in Cob. und 21 in Asch. : Setzt Buch sofort mit 3, l, 7 und 14: in Verbindung. Näheres -- » .

Nummer 33 vom 16. August 1884 meldet : « 11 in Gotha : Sendung 3 in Würzb., 8 in Hof und 4 in Halle. MUSS sein !

« 4 in München : Ist jetzt in Wien. Alles gut -- ».

In Nummer 34 vom 23. August 1884 lesen wir : « 6 in P. und l in L. : Wird eintreffen unter « Q. 0. ». -- Aufgepasst ! » In Nummer 35 vom 30. August 1884 steht : « V. in Pg. Nein ! Denn wir haben noch keine Nachricht erhalten. 4 ist in Sicherheit.

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« E. in Wsbn. : Anfangs d. M. unter bew. Adresse abge2 u. l bei 6 u. 14 ».

Nummer 48 vom 29. November 1884 meldet: « H. P. in P. Wir haben Nachricht bekommen. Prägen Sie um Näheres bei 4 und 9 an ».

Endlich theilt Nummer 3 vom 17. Januar 1885 mit: « L. ? in B. : Möge es gelingen !

« B. A. in T. : Aeusserst günstig. Ueberall ! Auch 4 berichtet so. Wachsam ! » Auch sonst gibt uns der « Briefkasten » der Freiheit gelegentlich interessante Aufschlüsse: So finden wir in Nummer 50 vom 15. Dezember 1883 eine Korrespondenz an « H. (Heilmann) in Lausanne », aus welcher deutlich hervorgeht, dass Heilmann zu den Anarchisten extremster Richtung gehört und in direktem Verkehr mit den New Torker Führern steht. Nummer 30 vom 26. Juli 1884 schreibt an « J. Son.

in Utzwyl : Machen Sie die betreffenden Mittheilungen sofort ; das Material ist höchst nothwendig ».

Nummer 36 vom 6. September 1884 meldet wieder an « H.

in Lausanne ». « Das starke Umschlagpapier haben jedenfalls die Postpolizisten aufgerissen ; eine Schnur würde da auch nichts nützen -- denn diese Ganner schrecken vor keinem Einbruch zurück ».

Auch Nummer 41 vom 11. Oktober 1884 enthält Mittheilungen an «H. in Lausanne». Nummer 42 vom 18. Oktober 1884 beschäftigt sich mit « Sch. » (Schnitze) in Genf und theilt ihm den Empfang von Geld und den Abgang von Brochuren an « N. » mit.

Weiter schreibt sie : « L. in Winterthur : Schöne Bescheerung das ! » Ein Ausruf, der sieh darauf beziehen dürfte, dass eine kompromittirende Sendung Heilmann's an Leonhard in Winterthur der Polizei in die Hände gefallen war.

Nummer 44 vom 1. November 1884 meldet an « K. (Klinger ?) in E. (Rorschach ?) Werden Ihre Weisungen befolgen » und an « B. (Bodenmüller ?) in Bern : Inzwischen Alles besorgt. P.

ist nicht hier ».

Endlich entnehmen wir der « Freiheit » auch das Verzeichniss ihrer Agenten für die Schweig. Es werden zuerst genannt : Görlich, pr. adr. Mme Gotthaus, rue Grenier 4, II. Et. Genf; Formanek, Allg. Arbeiterverein St. Gallen ; Heilmann, Allg. Arbeiterverein Lausanne ; Th. Taschner, bei Drechsler Hirt in Biel ; Kennel, Aarbergergasse 10, Bern.

580 Dazu kommen bald darauf: V. Otter, Schneider, Aarziehle 2, Bern; Pfau, Imbeergässli 3, Basel; J. Petersen, Graniel 105, Luzera ; Trüb, im Rebstöckli, Thun ; Batorfer, Cordonnier, Montreux ; Weiter : Bertschi, Cigarrenmacher in Zug ; Dann : J. Kleie oder Klein, Deutscher Verein, Café Suisse Neuchàtel.

Später: Carl Huber, Mme Eschbach, rue des Casernes, Genf; Schultoee, rue Pradier 7, Genf; Kaufmann, internationale ArbeiterAssociation, Gruppe Zürich, Cafe Morf ; 0. Fischer, Arbeiterverein Freiheit, 108 Schulgasse, Biel.

f. Die ,,Freiheit" und die ,,Sozialdemokraten".

Es herrsehen über das "Verhältniss der Anarchisten oder Sozialrevolutionäre zu den Sozialdemokraten vielfach noch völlig unklare und unrichtige "Vorstellungen. Wenn in diesen Fragen seitens der Behörden mit Erfolg gearbeitet und vielfache Irrwege vermieden werden sollen, so ist es unumgänglich nothwendig, dass auch in dieser Eichtung möglichst allseitig ein richtiges Verständniss vorhanden sei. Daher muss aber von vornherein nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht werden, dass trotz der feindseligen Haltung, welche Anarchisten und Sozialdemokraten gegen einander einnehmen, gar oft Anarchisten es für zweckmässig halten, den Behörden gegenüber sich als Sozialdemokraten auszugehen. Auch kommt es häufig genug vor, dass Leute die ursprünglich der sozialdemokratischen Richtung huldigten, durch Verhältnisse und persönliche Beziehungen nach und nach zum Anarchismus getrieben werden. Endlich ist bei vielen Sozialdemokraten mit Bezug auf ihre Stellung zum Staate die Frage von entscheidender Bedeutung, welchem Staate gegenüber die Stellungnahme erfolgen soll. Die Ausnahmegesetze Deutschlands und Oesterreichs haben gerade da eine schroffere Haltung der Sozialdemokraten speziell diesen beiden Staaten gegenüber zur Folge gehabt. Eine kleine Eundschau in den beiden letzten Jahrgängen der « Freiheit » wird nicht ohne Nutzen sein.

In Nummer 39 vom 29. September 1883 finden wir einen Bericht über eine wahrscheinlich in Zürich abgehaltene Arbeiterversammlung, an welcher u. a. der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Grillenberger gesprochen hatte. Grillenberger hatte u. a. den Deutschen in der Schweiz gerathen, sie sollen die freien Institutionen der Schweiz studiren und sich davor hüten, durch unvernünftiges, provozirendes Benehmen das Asylrecht zu gefährden. Auch gegen die «Revolutionäre» scheint Grillenberger gesprochen zu haben. Zu den

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«freien Institutionen der Schweiz » macht die Redaktion der Freiheit die Bemerkung « o Hohngelächter der Hölle » und über die Versammlung selbst meint sie : « Rührend mag es allerdings in dieser Gesellschaft ausgesehen haben. Immer und immer wieder die alte Geschichte : Hinum, herum, ach Herr Jerum ! Und mit solchem Lumpenpack sollten wir Frieden halten ? Zu solchem Schwindel sollten wir schweigen ? Nimmermehr ! Die Arbeiter haben keine grösseren Feinde in der ganzen Welt, wie ihre Verführer. Darum halten wir es für unsere heiligste Pflicht, das Proletariat bei jeder Gelegenheit auf diese Eiterbeulen an dem Körper seiner Organisationen aufmerksam zu machen t>.

Einen Artikel « Die Reformbetrügerei » beginnt Nummer 21 vom 24. Mai 1884 mit den Worten : « Es wird gegenwärtig ungemein viel vom Normalarbeitstag und ähnlichem Eeformquark gefaselt ; und da die Dummen nicht aussterben, so strecken auch schon überall die Ochsen begeistert ihre Hörner heraus. Desshalb sind wir gezwungen, auch ein Wort zu diesem Narrentanz zu sagen ».

Dann heisst es : « Wenn irgend ein vernagelter Kopf, welcher gar keine Ahnung von dorn inneren Wesen der sozialen Frage und von den Zusammenhängen der wirthschaftlichen Dinge überhaupt hat, den Arbeitern empfiehlt : sie sollten für den Normalarbeitstag von so und so wenig Stunden eintreten, -- so kann man über solch' einen harmlosen Schafskopf lächeln und allenfalls die Arbeiter, die im Begriff stehen, auf solche Illusionen hereinzufallen, warnend belehren. Wenn hingegen « Sozialisten » solchen Schwindel betreiben, dann tritt an uns die Pflicht heran, ihnen nicht nur Eins hinter die Ohren zu schmeissen, sondern sie und ihr bewusst hinterlistiges und betrügerisches Treiben zu brandmarken.

«Ein jeder Sozialist -- gleichviel wie gemässigt oder wie radikal er sich sonst nennen mag -- muss wissen, dass sich die ganze soziale Frage auf das Wieso der bisherigen Ausbeutung der Arbeiter durch die Kapitalisten zuspitzt. Nicht minder muss er die entsprechende Antwort kennen.

« Letztere führt aber unwiderlegbar aus : 1) dass Diejenigen, welche ausser ihrer Arbeitskraft nichts besitzen, den bemittelten Klassen auf Gnade und Ungnade sich als Sklaven verkaufen müssen ; 2) dass die Käufer und nicht die Verkäufer der Arbeitskraft deren Preis feststellen ; 3) dass dieser im Durchschnitt den niedrigsten Betrag ausmacht, welcher überhaupt für die höchste Leistung bezahlt werden muss ; 4) dass die Grenze der Leistungsfähigkeit erst mit

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der völligen Erschöpfung des Arbeiters gegeben ist, während sich dessen Lohn nur nach der Menge der unentbehrlichsten Lebensrnittel richtet, welche täglich genossen werden müssen, wenn nicht eine Verringerung der Arbeitskraft eintreten soll; und 5) dass die durch die Entwickelung der Technik und die damit verknüpfte Vermehrung der Arbeitslosen stetig steigende Konkurrenz der Arbeiter bei der Bewerbung um Existenz die Tendenz hat, dieses Verhältniss stets zu verschärfen.

« Wer das nicht weiss, ist kein Sozialist ; wem das aber bekannt ist, der bildet sich auch nicht ein, dass diese Dinge geändert werden können, so lange das System, aus welchem sie entspriessen, fortbesteht. Und darum ist auch jeder wirkliche Sozialist Revolutionär, und zwar im doppelten Sinne des Wortes. Einerseits, indem er die Notwendigkeit begreift, dass die Eigenthumsverhältnisse unserer Zeit total verändert -- von privatkapitalistischen Einrichtungen in kommunistische Institutionen verwandelt werden müssen, wenn die Lage des Volkes eine andere werden soll ; und andererseits, indem er auf Grund aller historischen Erfahrung überzeugt ist, dass diese Umgestaltung nur auf dem Wege der Gewalt von statten gehen kann.

« Bin Mensch, der in seinem Denken zu solcher Logik vorgeschritten ist, kann dem arbeitenden Volke nimmermehr Palliativmittel vorschlagen, wenn er nicht gleichzeitig sich selbst und Andere belügen und seine eigenen Prinzipien und Ueberzeugungen aufgeben und verrathen will».

« Hinterlistiges und betrügerisches Treiben », Lüge und Verrath werden also da den Sozialdemokraten unverhüllt vorgeworfen.

Schon in der folgenden Nummer vom 31. Mai kommen die Sozialdemokraten neuerdings an die Eeihe. Unter der Aufschrift « Unsere Taktik » wird gesagt : « Während die Sozialdemokratie nach der Bedeutung dieses Begriffes und nach dem Wortlaut ihrer Programme günstigsten Falles nur auf eine Idealisirung des liberalen Staatsbegriffes, dem willkürlich eine sozialreforinerische Tendenz beigemischt worden, hinausläuft und mithin an Halbheit krankt, noch weniger aber den Anspruch erheben kann, als eine neue Idee oder als ein neues soziales System aufgefasst zu werden, ist der Anarchismus in seinen Grundprinzipien, wie überhaupt seinem ganzen Wesen nach, logisch und konsequent. Wie mit dem Prinzip, so steht es auch mit der Taktik ».

Weiter lesen wir da : « Für einen Sozialdemokraten schickt es sich recht wohl, von Zeit zu Zeit um Stimmkästen zu tanzen » ....

583 « ein Anarchist kann schon desshalb nicht zur Wahlurne gehen, weil er den Staat . . . . total verneint ». « Der Sozialdemokrat glaubt an eine langsame Entwicklung der Dinge und nimmt an, dass dieselbe « ganz von selbst » sich abspielen müsse ». « Der Anarchist aber begreift, . . . dass seine Aufgabe im Wesentlichen nur in der Vorbereitung auf die soziale Revolution bestehen könne».

« Eine « friedliehe und gesetzliche » Revolutionirung des Volkes charakterisirt sich indessen als ein arger Unsinn, daher der Anarchist von vorneherein darauf verzichtet, eine heuchlerische Reformationsmaske zu tragen und die Arbeiter nicht kalt und nicht warm werden zu lassen ».

Und zum Schlüsse : « Humanitäts-Phrasen, wie sie einem Sozialdemokraten auf den Lippen schweben können, weil es in seinem Kopfe überhaupt sehr gemüthlich aussieht, würden in dem Munde eines Anarchisten ebenso unglaubwürdig, wie lächerlich klingen. Derselbe vermeidet sie daher und reizt ohne Unterlass die Arbeiter zur Empörung auf.

Und da er weiss, dass eine jede einzelne revolutionäre Handlung viel weiterhin vernommen wird und in viel grossartigerer Weise überall aufregend wirkt, wie Tausende von Reden und Schriften, so betreibt er vor Allem die Propaganda der That.

« Ein Sozialdemokrat darf sich die Sophisterei erlauben, zu sagen : « Ich kämpfe nicht gegen Personen, sondern nur gegen das System ». Solche flauen Witze sind der Anarchisten unwürdig.

Dieselben wissen, dass die herrschenden Personen die Träger des bestehenden Systems sind, und dass Letzteres nicht eher fallen kann, als bis die Ersteren aufs Haupt geschlagen sind. Daher schonen sie Niemanden und Nichts in ihrem zerstörenden Werke gegenüber dem Kapitalismus.

« Kurzum, die Sozialdemokraten propagiren verschwommene Programme durch nichtssagende Mittel ; die Anarchisten erstreben den völligen Umsturz alles Bestehenden durch rücksichtslose Anwendung von Gewalt. Die Sozialdemokratie hat reformatorische Instinkte : die Anarchisten sind vollbewusste und entschlossene Revolutionäre ».

Weil die « modernen Sozialpfafien » (Sozialdemokraten) sich gelegentlich auf Marx beriefen, wurden sie in Nummer 23 vom 7. Jnni 1884 in der Freiheit abgekanzelt, wie folgt : « Zerstörung aller Autorität, Vorbereitung auf die Revolution, Vermeidung jeder Abwiegelei und jeglichen unnützen Geflunkers -- das ist es, was heutzutage am Platze ist, nicht ein blödsinniges Zitaten-Bombardenient ».

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Und wiederum gegen die Sozialdemokraten gerichtet ist der Leitartikel in Nummer 24 vom 14. Juni 1884 überschrieben « Kurser Prozess ». Da lesen wir : « Wenn die kommende soziale Revolution nicht ein Feblschlag sein soll, so muss mit dem Kapitalismus, sowohl mit dessen persönlichen Repräsentanten, als auch mit dem materiellen Untergrunde desselben, kurzer Prozess gemacht werden.

« Was von der Kapitalistenbrut nicht über die Klinge springt, bleibt ein Stachel im neuen Gesellschaftskörper ; mithin wäre es Dummheit und Verbrechen, wenn man mit dem Parasitengezüeht nicht gründlich Kehraus halten wollte.

« Das einfältige Geschwätz : als habe man, wenn man konsequent sein wolle, neun Zehntel der Menschheit auszurotten, da beim Ausbruch der Eevolution doch höchstens ein Zehntel in den Kampf ziehen werde, ist lediglich ein Beweis dafür, wie weit die Sophisterei Derjenigen geht, welche zwar die Revolution theoretisch predigen, dieselbe aber praktisch bis zum St. Nimmerleinstag verschieben möchten.

« Umgekehrt ist auch gefahren ! Kaum der zwanzigste Theil der Bewohner irgend eines « Kultur » (?)Landes braucht dem Schindanger einverleibt zu werden ; denn mehr wirkliche EigenthumsKanaillen (deren Helfershelfer eingerechnet) existiren glücklicher Weise nirgends. Möge man sie übrigens -- um kein übel angebrachtes Mitleid zu erwecken -- möglichst human, wissenschaftlich, etwa vermittelst Elektrizität, abthun ! Wir empfehlen keine Grausamkeiten, sondern nur Notwendiges ».

Wie bei dem Hymnus auf Stellmacher von den Sozialdemokraten in Nummer 25 vom 21. Juni 1884 gesprochen wurde, haben wir bereits gesehen.

Ein von der « Freiheit » mit besonderer Vorliebe befolgtes System besteht darin, die Sozialdemokraten als Denunzianten, Spitzel, Verräther und dergleichen zu bezeichnen und dieselben auf diese Weise der Masse der Arbeiter verhasst und verächtlich zu machen.

So wird in Nummer 33 vom 18. August 1883 behauptet, der « auf die Denunziation eines gemässigten Sozialisten in Wien verhaftete Stevens » sei vom « Sozialdemokrat » als « der Anarchist Neve, ehemaliger Expedient der Freiheit » verrathen worden. « Dieses Blatt war der zu Zürich erscheinende « Sozialdemokrat », also ein Organ, welches beständig in Spitzelriechereien macht und auf solche Weise neuerdings bewies, dass wir Eeeht hatten, als wir es schon vor Jahren ein Organ für Defektives nannten ».

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In Nummer 7 vom 16. Februar 1884 wird über dieselbe Angelegenheit gesagt : « Eine deutlichere und beabsichtigtem Denunziation ist nicht denkbar. Dieselbe ist verübt worden getreu nach der von Liebknecht, Bernstein, Moteller, Auer, Grillenberger, Reinthal, Kautzky und Aehnlichen ausgegebenen Parole : « Die Sozialrevolutionäre und Anarchisten müssen vernichtet werden und sei es auch durch die schlechtesten Mittel ! ·» In Nummer 9 vom ]. März 1884 heisst es von den Sozialdemokraten : « So lange es sich die deutsche « Sozialdemokratie » gefallen lässt, derart repräsentirt zu werden, möge sie es auch mit in den Kauf nehmen, wenn man sie ausserhalb ihrer Kreise als eine Partei ansieht, in welcher schmarotzende Abenteurer pfeifen und gedankenlose Kafiern tanzen. Wer noch fähig ist, roth zu werden, der schäme sich und emanzipire sich von einer unwürdigen Vormundschaft und werde Revolutionär.

« Der verbrecherische Jux, den sich eine Handvoll politischer Clowns mit der Arbeiterbewegung Deutschlands bisher erlaubt, hat lange genug gewährt. Es ist die höchste Zeit, dass auf die Possenreisserei ein ernstes Handeln folge ! » In Nummer 12 vom 22. März 1884 lesen wir : « Der Deutsche Verein in Zürich (eigentlich nur eine Suppenanstalt) hat « einstimmig » erklärt, dass er « eine grosse Abscheu vor der anarchistischen Mordpolitik » habe, wodurch die « gerechtfertigte (!) Arbeiterbewegung Schaden leide. Der Deutsche Verein in Winterthur (auch Suppenanstalt) hat eines seiner Mitglieder ausgestossen, weil dasselbe anarchistische Gesinnungen an den Tag gelegt habe. So lange es noch solche Hammelheerden gibt, r:i eigentlich gar nicht einzusehen, wozu noch eine uniformirtc Polisci nöthig ist ».

Am 20. September 1884 wird anlässlich der Eeichstagswahlen geschrieben : « Genossen ! Hintertreibt die Wahl von Liebknecht und Complicen mit allen Mitteln ; denn sie sind der Krebs der Arbeiter-Emanzipation. Nieder mit ihnen ! » In Nummer 2 vom 10. Januar 1885 finden wir folgende Notiz « Welch' eine wahrhaft dreckige Bande die « Führer » der deutschen « Sozialdemokratie » sind, hat jüngst VIEKEOE: in seinen vieltiteligen Zeitungen bewiesen, indem er dem Leipziger Hochverrathsprozess folgende Zeilen widmete : « Gegen Eeinsdorf und Genossen spielt sich jezt der Hochverrathsprozess vor dem Eeiçhsgericht in Leipzig ab. Die Bundeablatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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Verhandlungen gewähren einen tiefen Einblick in die Verlogenheit und Nichtigkeit der Anarchisterei. Hirnverbrannte Dynamitards, geleitet von einem Menschen, dessen Auftreten an Peukert und andere Apostel des Johannes Most lebhaft erinnert, ein trauriges Bild. Dass aber trots des Ausnahmegesetses die blutrünstige Propaganda der Tiiat in Deutschland keinen Boden bislang gewonnen hat, das dankt man einzig und allein der straff dissiplinirten Arbeiterpartei. Das möge wohl erwogen werden. » « Der hervorgehobene Satz ist dabei besonders in's Auge zu fassen. Derselbe besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass diese « disziplinirte Arbeiterpartei » sich zur Aufgabe gestellt hat, jedes revolutionäre Vorgehen zu verhindern, d. h. freiwillige Polizeidienste zu leisten. Demgemäss hat sich ja auch stets der Züricher « Sozialdemokrat » verhalten. Und wenn er auch jetzt "lurch eine sophistische Erklärung die Schamröthe, welche ihm ob der vorgehaltenen Denunziation, die er seinerzeit an Beinsdorf verübte, aufgestiegen sein dürfte, von den Wangen wischen möchte, so ist das doch nur ein Beginnen, das an dem allgemeinen Bekanntsein der betreffenden Thatsachen scheitern muss. Elendes Lumpenpack ! » In Nummer 6 vom 7. Februar 1885 finden wir die Erzählung einer Prügelei, welche an einer öffentlichen Versammlung in New York zwischen Sozialdemokraten und Anarchisten stattfand und bei der es mehrere Beinbrüche und sonstige Verletzungen absetzte. Der Gefechtsbericht meint zum Schlüsse : « Alles in Allem haben indessen die « Sozialisten » -- das ist der Fluch der bösen That ! -- von ihren Freunden, den Polizisten, weit mehr Hiebe bekommen, als die Anarchisten, wie wir nachträglich mit Vergnügen konstatiren konnten ».

Und weiter : « Kein Arbeiter, der auf Ehre und Charakter sieht, wird mit diesen elenden Schuften künftighin noch etwas gemein haben wollen.

Nieder mit diesem Lumpenpack ! » Wenn eben Jemand nicht durch Dick und Dünn mit Most geht, so ruft er sofort : « Nieder mit ihm ! » Ein gemeinsames Handeln von Sozialdemokraten und Anarchisten dürfte, ganz abgesehen von den zwischen beiden bestehenden prinzipiellen Gegensätzen, nach Vorkommnissen wie sie soeben geschildert wurden, sobald nicht möglich sein.

587 fë. Die ,,Freiheit" und die Schweiz.

Zum Schlüsse haben wir noch zu zeigen, wie sich Most und sein Blatt zur Schweiz und ihren Behörden stellen. Die Kundgebungen, welche wir da finden, bilden ein nicht unwichtiges Moment für die Beantwortung der Präge, ob den Anarchisten vernünftiger Weise der Plan, das Bundesrathhaus zu sprengen, zugetraut werden konnte. Sie sind von Bedeutung, wenn es sich darum handelt, die Haltung der Schweiz gegenüber dieser Gesellschaft überhaupt zu bestimmen.

Am 13. Januar 1883 wird gemeldet, dass Kennet in Bern von der Polizei belästigt und verhört worden sei. « Die Eepublik macht sich ! Die Bande ist überall die gleiche ! » heisst es dazu.

Am 27. Januar wird gemeldet, dass das Justiz- und Polizeidepartement in Bern auf die « Freiheit » abonnirt hat. Dabei wird «um das'fernere Wohlwollen der geneigten Polizeilmüppel » gebeten.

Am 26. Mai wird über den Verein « Freiheit » in Bern und Zunahme der Abonnenten des Blattes « Freiheit » in der Schweiz Bericht erstattet. Zum Schlüsse heisst es : « Die Schweiz, früher ein Palladium der Freiheit, ein Asyl für Verfolgte, hat sich schon mehrfach zum Schergen der Reaktion hergegeben -- was aber nicht zu verwundern ist, indem der republikanische Bourgeois ebensoviel Furcht hat vor dem Kommunismus, wie sein monarchischer Bruder. Hier wie dort werden die Gesetze missachtet, wenn es gilt, einen Feind unschädlich zu machen, bis -- das Volk den Stiel umkehrt, und die alte Gesellschaft zerschmettert.

CORNELIUS. » Am 2. Juni zieht « Bruder Unversöhnlich » gegen die Justiz in Basel zu Felde und schliesst mit den Worten : « Proletarier, seht doch, wie man Euch auf dem Kopfe tanzt ! Streifet die Fesseln von Euch ab, jagt die elenden Hunde aus dem Lande und seid Euch selbst Regierung ! » Unter'm 9. Juni schreibt Schulze aus Genf: « Der « freie » Schweizer unserer Tage lebt nur noch von der traditionellen Freiheit seiner Voreltern, er siecht in jeder Hinsicht dahin und glaubt zu leben, er wird beherrscht und wiihnt zu herrschen , er dünkt sich frei und wird geschunden und geknechtet !

Dieses Volk ist so recht der Typus eines verhätschelten, durch Schmeicheleien über alle Massen in sich verliebten und durch unausgesetztes Poussiren von Seiten seines verlumpten Bureaukratenthums unglaublich eitlen Weibes.

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« Wenn man die Bewohner dieses Ländchens ihre « Freiheit » und « Gleichheit » rühmen hört, weiss man nicht, ob man weinen oder lachen soll über diese « Freiheit » und über dieses Volk. Und doch ! Es gibt hier eine Freiheit : die Freiheit auf der Strasse oder günstigen Falls in der Fabrik mit knurrendem Magen verrecken zu dürfen ; die Gleichheit, sich von dem diebischen Beamtenthum kommandiren und aussaugen zu lassen ».

In Nummer 27 vom 7. Juni 1883 lesen wir: « Wie, tief die Schweiz bereits gesunken ist, geht so recht deutlich aus dein kürzlich veröffentlichten Geschäftsbericht des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements hervor. « Die in benachbarten Ländern immer drohender werdenden anarchistisch-revolutionären Bestrebungen », heisst es in demselben « werden auch in der Schweiz, in einem Theile der Presse und in zahlreichen Versammlungen genährt und gefördert ».

« Wenn die schweizerischen Arbeiter sich ihrer Pflicht bewusst wären, würden sie der organisirten Spitzelbande, die sich da brüstet nach dem Ausdruck des Volkswillens « Gerechtigkeit » und « Ordnung » zu wahren, zeigen, wo der Zimmermann das Loch gemacht hat. Aber stumm und dumm steht man um den Unglücksfall herum. Republikaner, wir rufen Buch zur Scham auf! » Unter'm 22. September 1883 wird geschrieben: « Der Bund, den die Tyrannen mit und ohne Kronen abgeschlossen, ist längst schon international geworden. Die Schweiz lieferte dem Scheusal an der Newa einen Netschajeff aus ». Dann werden aufgezählt : Belgien, England, Frankreich, Amerika, Spanien , um zu dem Schlüsse zu gelangen : « Die Arbeiter aller Länder werden wohl begreifen, dass auch sie sich international zu verbinden haben ».

Am 1. März 1884 wird von einer Haussuchung, die bei Stellmacher's Frau stattgefunden hatte, berichtet, mit dem Beifügen : « Das Bemerkenswertheste an der Sache ist, dass die schweizerische Polizei jetzt so diensteifrig für jene Habsburger arbeitet, deren Büttel 500 Jahr früher in der nämlichen Schweiz wie tolle Hunde zusammengeschossen wurden, und zwar unter einem Beifall, der bis auf unsere Tage nachgeklungen ist. Allgemeine Staatsverlumpung ist heute Staatsraison ». -- Am 15. März heisst es: «Genösse Kennel wurde in Bern wegen anarchistischer « Umtriebe » verhaftet. In der Schweiz gibt es kein Asylrecht mehr ! »

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Am 22. März folgt dieser Meldung folgender Erguss : « Dieser Tage hat der deutsche Gesandte in Bern betr. Dynamit und Anarchie einen derartigen Radau gemacht, dass der Bundespräsident der Schweiz wie ein siamesischer Hof-Eunuche auf ·den Bauch geflogen ist. Dieser traurige Tropf von « Republikaner » versprach sofort, er werde künftighin auf Verlangen stets dafür sorgen, dass die Anarchisten in der Schweiz als gemeine Verbrecher (?)

angesehen und behandelt werden. Moteller, Bernstein, Fischer, Tauscher, Reinthal und die ganze Lumpenkolonie von Zürich haben sich wegen dieses Erfolges ihrer bisherigen Denunzianten-Agitation toll und voll gesoffen. Man wird sie eines Tages für ihre Hallunkenstreiche zu entlohnen wissen -- ».

Auf derselben Seite heisst es : « Die Verhaftung des Gen. Kammer er soll in Wien erfolgt ·sein, nachdem die Polizei von Bern denselben avisirt hatte ! ! -- Zur Zeit des Befreiungskrieges zwischen Oesterreich und der Schweiz brachte einmal ein Habsburgisches Söldnerheer unzählige Stricke zu dem Zwecke mit, jeden Aufständischen, dessen man habhaft werden könnte, zu hängen. Die schwarz-gelben Banditen wurden aber todtgeschlagen und die Stricke sind nebst anderen Trophäen in den verschiedenen Zeughäusern der Eidgenossenschaft aufbewahrt worden. Dort kann man dieselben noch heute sehen. Die Herrrn Bundes- und Kantonsräthe thäten nun wohl daran, sich an diese k. k. Stricke selbst zu hängen ; denn sie sind samnrt und sonders Mandarinen der Habsburger und ähnlicher Schufte geworden. Eine verächtliche Galgengesellschaft ! » Am 29. März wird die Ausweisung von Kennel, Schultze, Falk und Lyssa gemeldet. « Was konnte wohl von preussisch-österreichischen Unterbütteln Anderes erwartet werden ? » Daselbst lesen wir : « Die Unterabtheilung der deutsch-österreichischen Polizei (genannt Schweizerischer Bundesrath) hat erklärt, künftighin jeden Anarchisten auf Verlangen irgendwelcher Regierungshäupüinge auszuliefern oder verjagen zu wollen. Klägliche Jämmerlinge -- diese « Republikaner ».

Am 5. April vernehmen wir, dass es einen « k." preussischen und k. k. österreichischen Bundesrath der Schweiz » gibt.

Am 3. Mai 1884 wird das « Schweizer Volk » darauf aufmerksam gemacht, dass « wenn es wirklich noch Etwas von seinen höchsten Gütern hat, es diesem Büttelregimente ein schnelles Ende bereiten muss ».

Am 7. Juni 1884 schreibt Kennel : « Wenn mich nicht andere Verhältnisse zwingen würden, die Schweiz vorerst zu meiden,

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so könnte der Eeferent der « Basler Nachrichten » versichert sein, dass ich auf den Ausweisungsbesehluss pfeifen würde ». .

Und in derselben Nummer sagt eine Korrespondenz aus Lausanne (Heilmann !) : « Wie es scheint, beruhigt sich die schweizer Regierung und deren Presse momentan ; sie scheint abzuwarten, ob der Schreckschuss genügend war. Hoffentlich werden wir Gelegenheit haben, ihnen das Gegentheil au betveisen ».

In Nummer 29 vom 19. Juli 1884 schreibt ein Rudolf Hochstrasser, Lithograph von Meilen, Kanton Zürich, aus Alexandrien, welcher behauptet unter der Anklage auf Diebstahl von der Genfer Polizei unschuldig verhaftet und mit seiner Entschädigungsforderung ungerechter Weise abgewiesen worden zu sein : « Verdienten solche Hunde nicht, dass sie kalt gestellt würden ? -- Möchte doch jede ehrbare Zeitung diese Notiz abdrucken, damit das «freie Schwyzerländli » gemalt wird, wie es in Wirklichkeit ist ! » Unter'm 30. August 1884 heisst es : « Wegen Verbreitung der Stellmacher-Plakate wurden in Bern zwei Genossen arretirt.

Helvetia, geh' in ein Kloster ! » -- Am 6. September lesen wir : « Die schiveizer Oberpolizisten (sogen. Eegierung) haben neuerdings erklärt, dass sie gegen die Anarchisten schärfer als je vorzugehen gedenken. -- Nächstens wollen sich die Gottesgnädlinge von Bussland, Deutschland und Oesterreich höchst eigenmäulig betreffend gemeinschaftlichem Anarchistenfrass verständigen, wie wäre es, wenn der schweizerische Bundesrath darum nachsuchte, bei diesem Anlass etwa als Stiefelputzer zugezogen zu werden ? Verdient hätte er nachgerade eine solche Auszeichnung. » Nummer 37 vom 13. September bringt folgende Liebenswürdigkeiten : «Bern, 25. Aug.

« Kaum war eine Jagd vorbei, so begann auch schon wieder eine andere. Genösse Bodenmüller wurde behaussucht, und ebenso schnüffelte die Polizeibande im Vereinslokale. Gefunden wurden nur alte « Freiheiten », etliche Stellmacher-Plakate u. dgl. Trotzdem wurde Bodenmüller verhaftet. Die einfältige Bande ist der Meinung, dass die Gedächtnissblätter hier gedruckt worden seien, und i'ahndet auf die betr. Geheimpresse. Diese Esel !

« Auf jeden Fall ist man ernstlich bemüht, uns alle sammt und sonders aus der « freien Schweiz » heraus zu werfen. Das Wechselfieber , der Bundesrath, ist natürlich wieder in voller Thätigkeit.

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Es wäre auch gar zu traurig, wenn diese Faullenzer nicht ab und zu Zerstreuung hätten.

« Der Telegraph meldet, dass in Bern ein Anarchist 10 Tage Gefängniss und 10 Jahre Verbannung wegen Verbreitung der « Freiheit » aufgebrannt bekommen hat. Es wird immer gemtithlicher in der Schweiz ».

In Nummer 39 vom 27. September 1884 wird behauptet, Wittwe Stellmacher sei verhaftet worden, und dazu bemerkt : « Ein Gemisch von Zorn und unsäglicher Verachtung muss sich eines Jeden bemächtigen, der dieses hodenlos feige und hinterlistige Gehahren der Schweizer-Justizstrolche-betrachtet. Die «Alpenrepuhlik », weit entfernt, noch ein Asyl für politisch Verfolgte zu sein, ist nur noch eine Mausefalle für Revolutionäre. Was aber sagt das Schweizer Volli, dazu? Rührt es sich nicht bald gewaltig, so hat es die Mitschuld an den Verbrechen seiner Staatsbanditen zu tragen. Möge es solche Schmach durch entsprechendes Verfahren alsbald von sich weisen ! » Als Pfau in Basel wegen Verbreitung des Stellmacherplakats verurtheilt worden war, hiess es in Nummer 40 vom 4. Oktober 1884: «In der Schweiz geht es immer -- russischer her».

Nummer 42 vom 18. Oktober 1884 widmet der « AnarclnstenJietse in der Schweig » einen besondern Leitartikel und sagt u. a. : « In der Schweiz, wie überall, weiss auch die raubmörderische diebische, betrügerische und beschwindelnde Kapitalistensippschaft dass ihr verbrecherisches Treiben dem Volke früher oder später die Augen öffnen und es rebellisch machen muss. Es ist den schweizerischen Kapitalstrolchen nicht weniger bekannt, als den ausbeuterischen Euppsäcken der übrigen Welt, dass unter solchen Umstanden ein ganz heilloses Donnerwetter über sie hereinbrechen kann, bei welchem Sie verdammt übel wegkommen möchten. Da sehen sich die Kerle bei Zeiten nach einem Blitzableiter am. Den glauben sie, in einer möglichst starken (flegelhaften und in jeder Beziehung barbarischen) Regierung gefunden zu haben. Daher sind alle Protzen der Schweiz -- und in Prankreich und Amerika liegt es gerade so --, mögen sie auch noch so viele « republikanische » Phrasen auf ihren Lippen tragen , im tiefsten Grunde ihres Herzens monarchistisch gesinnt. Was Wunder, wenn sie in Sachen der Arbeiterverfolgung den schurkischesten Tyrannen freudig in die Hände arbeiten ! » In derselben Nummer lesen wir : « Die im schweizerischen « Bundesrath » sitzenden preussisehen und österreichischen Polizisten haben einen Ukas erlassen, durch welchen die Genossen Grob-Senger,

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Stieglitz, Muck, Lederer und Zickbauer aus der Schweiz verwiesen wurden », . . . « Die schweizerischen Arbeiter scheinen einen kuriosen Begriff von ihrer « republikanischen Souverainetät » zu haben, sonst würden sie endlich einmal ihren Bundesräthlern und sonstigen Hausknechten der europäischen Reaktion einen Kommentar zum Asylrecht per Keilschrift blau auf den Kücken zeichnen ».

Am 8. November wird geschrieben : « Aus der Schweiz werden fort und fort alle erdenklichen Bütlelstreiche gemeldet. Die Kolporteure der « Freiheit » werden behaussucht, verhaftet und hochnothpeinlichen Verhören unterworfen. Die Post stiehlt Briefe und Zeitungen, kurzum : es geht zu, wie in Russland ».

Unter'm 22. November lesen wir : « Aus der Schweiz. Die Henker und deren Knechte ».

« Arbeiter, welche seit Jahren eine sichere Stelle inné hatten, werden ihrer Gesinnung und Ueberzeugung halber aufs Pflaster geworfen, in Untersuchung gesetzt und dann unter den nichtigsten Vorwänden aus dem Lande gejagt. Frauen und Kinder ihrer Ernährer beraubt, werden in's Elend gestürzt. Ueberall frohlockt die feile Presshure liber solchen Frevel und geifert über das « anarchistische Raubgesindel ». So ist die Schweiger Kepublik ! » -- Und weiter hinsichtlich einer angeblichen Abmachung, welche mit Bezug auf die Auslieferung von Anarchisten an der DreikaiserEusaramenkunft getroffen worden sein sollte : « Der schweizerische Bundesrath hat die diesbezügliche Einladung mit gekrümmtem Rücken und gebeugten Knieen unterthänigst entgegen genommen.

Geknechtetes Proletariat, wie lang noch bleibst du stumm, wenn Lotterbuben sprechen ? » Am 29. November ist der Bundesrath wieder eine « Unterabtheilung der deutschen Polizei » und ein c kgl. preussischer Bundesrath der Schweiz ».

Am 13. Dezember heisst es anlässlich der Verhaftung von Neve, Kaufmann und Hauser : « Wahrlich, Preussen hat keinen Grund mehr, die Schweiz zu annektiren -- sie ist borussifizirt genug ».

Und als der Bundesrath Neve, Kaufmann und Hauser ausgewiesen hatte, hiess es in Nr. 5 vom 81. Januar 1885 : « Wenn in Deutschland, Oesterreich oder Bussland derartige Gewaltakte passiren, so wissen wir, dass von diesen, mit Ausnahmegesetzen und Belagerungszu'stand gesegneten Ländern nichts anderes zu erwarten ist. Wenn aber eine « demokratische » Regierung, welche sich noch immer in frecher Weise mit den Lorbeeren ihrer tapferen Vorfahren schmückt, derartige Streiche begeht, so ist das

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nicht nur ein Hohn auf ihre Verfassung, sondern es zeigt auch, wie tief das schweizerische Volk in seiner politischen Stellung gesunken ist, wenn es solch' schändliches Grebahren ohne jedweden Protest geschehen lässt, zumal da es sich darum handelte, den ·Grossmächten Europa's einen Schergendienst zu erweisen. (Betonte doch der Staatsanwalt in seiner langen Tirade, dass er theilweise durch die ernsten Vorstellungen der österreichischen Polizei, die von einem Attentate auf den Habsburger Hallunken gelegentlich der Eröffnung der Arlberger Bahn faselte, förmlich gezwungen worden sei, energische Schritte gegen die Anarchisten zu thun.)

« Die Komödie fand hiermit ihren Abschluss. Der revolutionären Bewegung ist aber dadurch ein Dienst erwiesen worden, weil nachgerade Jedem klar werden muss, dass die heutigen sog. « Volksregierungen » auch nicht einen Pfifferling werth sind. Die Träger ·dieser jämmerlichen Institutionen aber haben nur Schande und Spott geerntet.

« Jungfer Helvetia, die ja längst zu einer Hetze herabgewürdigt, steht neuerdings wieder auf offenem Weltmärkte ohne Feigenblatt und bietet ihre Waare feil an Fürsten und Pfaffen, an Geldprotzen und ekelerregende Polizeispione -- Alle heran, meine Herrschaften !

«Pfui!

Welch' hässliches Bild!»

Nummer 8 vom 21. Februar 1885 brachte die weiter unten noch eingehender zu behandelnde Drohung: ,,In England dynamitert es bereits geivältig ; die Schweiz kann uns nicht entgehen!"

Wer diesen Kundgebungen aufmerksam folgt, wird leicht erkennen, wie sich die Polemik gegen die Schweiz und ihre Behörden, ·speziell gegen den Bundesrath, fortwährend verschärft, wie namentlich seit den Ausweisungen, insbesondere der Ausweisung Kennel's, Kaufmann's und Neve's, wiederholt zur thätlichen Auflehnung gegen die schweizerische Staatsgewalt aufgefordert wird und wie schliesslich Drohunggn folgen, welche mit Rücksicht auf den Charakter der Most'schen Propaganda durchaus ernst genommen werden müssen.

Wer etwa glauben mochte, der Anarchismus gelte nur der Monarchie oder gar nur den Ausnahmegesetzen, dürfte sich aus unsern Mittheilungen leicht überzeugen, dass dem nicht so ist und dass ein republikanisches Staatswesen und republikanische Behenden den Anarchisten der That wo möglich noch verhasster sind, als Monarchien und Monarchen.

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3. Die ersten Thaten.

Am 4. Juli 1882 wurde in Wien der Schuhwaarenfabrikant Joseph Merstallinger überfallen, mit Chloroform betäubt und an Werthschriften, Geld und Pretiosen im Werthe von mebr als 1000 fl.

ö. W. beraubt. Die That wurde unzweifelhaft von Anarchisten (Joseph Engel lind Franz Pfleger) und zu anarchistischen Zwecken verübt.

Am 27. September 1883 wurde bei der Einweihung des Germaniadenkmals auf dem Niederwalde bei Rüdesheim der Versuch gemacht, den deutschen Kaiser und sein Gefolge durch Dynamit zu tödten und am 28. September wurde das zu dem missgliickten Attentat bestimmte Sprengmaterial verwendet, um in der mit Menschen angefüllten Pesthalle zu Rüdesheim durch Veranstaltung einer Explosion Unheil zu stiften. Als Anstifter dieser Verbrechen wurde schliesslich ermittelt: Friedrich August Bcinsdorf, Schriftsetzer, zuletzt in Cannstadt, welcher denn auch in der « Freiheit » und bei den Anarchisten überhaupt um dieser Verbrechen willen verherrlicht wurde.

Am 22. Oktober 1883 wurde in Strassburg der Apotheker Lienhard ermordet und in derselben Nacht wurde der am Hospitalthor zu Strassburg auf Posten stehende Soldat Adels von mehreren Männern überfallen und durch einen Hieb mit einem Beil tödtlich verletzt. Adels konnte noch die Angabe machen, dass es vier Thäter gewesen seien, starb aber schon am folgenden Tage. Bei diesen beiden Mordthaten war unzweifelhaft betheiligt Anton Kämmerer, Buchbinder in Bern. Ferner sollen daran Theil genommen haben : Hermann Stellmacher, Schuhmacher in Zürich, und Michael Kumics, Schreiner in St. Gallen. Auch diese beiden Mordthaten sind der anarchistischen Propaganda der That in Eechnung zu bringen.

Am 29. Oktober 1883 fand im Frankfurter Polizeigebäude eineDynamitexplosion statt, welche zwar nur geringen Schaden anstiftete, die aber in der « Freiheit » als anarchistische That gepriesen wurde, und von der, wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, behauptet wurde, dass sie dem Polizeirath Rumpff gegolten habe. Als auf die Entdeckung des Tbäters 1000 Mark gesetzt wurden, erhielt die Polizeidirektion in Prankfurt einen am 4. November 1883 in Frauenfeld zur Post gegebenen Drohbrief, in welchem gesagt wird : « Wenn Sie auch dies Mal mit heiler Haut davon gekommen sind, so werden Sie doch mit Ihrer ganzen Sippschaft, sowie mit dem schuftigen Eeichsgericht eines schönen Tages in die Hölle befördert. »

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Am 21. November 1883 erfolgte das Raubmord-Attentat auf den Banquier Heilbronner in Stuttgart. Am Abend des genannten Tages erschienen im Bankgeschäft Heilbronner's drei anständig gekleidete Männer. Bei Hrn. Heilbronner befand sich bloss ein Bekannter, Namens Oettinger. Ohne Weiteres drangen die Fremden auf Heilbronner und Oettinger ein und versetzten denselben mit Todtschlägern (3 Pfund schweren Bleikugeln auf Holzstielen befestigt) wuchtige Schläge. Oettinger stürzte schwer verletzt zu Boden, während Heilbronner, der ebenfalls schwer verwundet war, nur durch Zufall dem tödtlichen Streich entging, indem der Bleiknopf von der Waffe seines Verfolgers absprang und durch das Schaufenster flog. Ein Vierter war bis dahin vor dem Lokal Wache gestanden, trat nun ebenfalls in dasselbe ein, schloss die Thüre von innen und machte sich mit den übrigen über den offenen Geldschrank her, aus welchem eine ansehnliche Summe in Papieren und Cassascheinen behändigt wurde.

Als einer der Thäter und zwar als jener Vierte, der zuerst Wache gestanden war, wurde bald darauf ermittelt der bereits genannte Michael Kumics. Kumics hatte sich von St. Gallen aus über Schaffhausen nach Stuttgart begeben, um die That zu verüben.

Er gestand die That, gab aber vor, dass dieselbe zu socialdemokratischen Zwecken verübt worden sei. Diese Behauptung rief einem energischen Protest der deutschen Socialdemokraten, und wirklich stellte es sich heraus, dass Kumics in St. Gallen in intimen Beziehungen zu bekannten Anarchisten gestanden war. Auch die Most'sehe Freiheit pries das Attentat als ein Werk der « Propaganda der That » und Kumics als Genossen. Später wurden als Theilnehmer an dem Unternehmen noch Anton Kämmerer und Hermann Stellmacher ermittelt.

Am 15. Dezember 1883 wurde in Florisdorf bei Wien der k. k. Polizeiconzipient Hlubeck meuchlings erschossen. Derselbe hatte eine Versammlung des Arbeiterbildungsvereins in Florisdorf, an welcher der Schlosser Ferdinand Schaffhauser einen Vortrag hielt, überwacht. Auch dieser Mord wurde von Anton Kämmerer verübt und ist ein Verbrechen, das auf Rechnung der anarchistischen Propaganda der That gesetzt werden muss.

Wir haben bereits gesehen, dass zur Ermordung des Hlubeck in der « Freiheit » durch Kämmerer förmlich aufgefordert worden war. Als Schaffhauser, welcher den Hlubeck im Momente, als er erschossen wurde, begleitete, als der That verdächtig verhaftet wurde, schrieb die « Freiheit » : « Wir sind unserer Sache

,596 ganz gewiss, wenn wir sagen, dass sich die schwarzgelben Hunde ganz und gar auf dem Holzwege befinden », und später : « In. zwischen hat sich der kühne Bächer in Sicherheit gebracht. So muss es gemacht werden. » Auch erklärte die « Freiheit » : « Jedenfalls heissen wir die Handlung vollkommen gut und empfehlen sie als nachahmenswerthes Beispiel. » Am 10. Januar 1884 folgte in Wien der Eaubmord an dem Wechselagenten Eisert und seinen zwei Söhnen. Abends des genannten Tages waren bei Eisert zwei Fremde erschienen, um sich zunächst über den Kurs der Eubel zu erkundigen. Bald jedoch warf der Eine Hrn. Eisert eine Hand voll Sand und Staub in's Gesicht, worauf Herr Eisert sich zu flüchten suchte. Er wurde von einem der Käuber verfolgt und mit einem Hammer niedergeschlagen. Im Vorbeigehen erschlug der Mörder die beiden im Nebenzimmer befindlichen Knaben Eisert's und verwundete deren Erzieherin gefährlich ; dann nahmen die Mörder an Geld und Werthsachen, was sie findÄa konnten, und machten sich davon. Die Thiiter waren auch hier Anton Kämmerer und Hermann Stellmacher.

Bevor der Letztere in die Hände der Justiz fiel, vollbrachte er noch eine weitere Blutthat. Er erschoss am 25. Januar 1884 in Florisdorf den k. k. Polizeiagenten Ferdinand Blöcli und verwundete bei der Verfolgung mit zwei Revolverschüssen den Arbeiter Melaun. Eine Bombe, welche er seinen Verfolgern zuletzt vor die Fusse warf, kam nicht zur Explosion.

Am 13. Januar 1885 endlich wurde in Frankfurt a/M. Poliseirath Rumpff vor seiner Wohnung meuchlings erstochen. Als Thäter ist angeklagt -Julius Lieske, Schuster, aus Berlin, der zuletzt in Basel gearbeitet hat.

Es ist am Orte, hier mit kurzen Worten zu sagen, in wieweit ·die genannten Verbrecher zur Schweiz in Beziehung standen.

Anton Kammerer, Buchbindergehilfe, aus Florisdorf bei Wien, war Ende 1882 oder Anfangs 1883 wegen socialistischer Umtriebe in eine bei dem Kreisgericht Kronenburg anhängig gemachte Untersuchung verwickelt und flüchtete sich in Folge dessen nach der .Schweiz. Hier arbeitete er in Thun und dann in Sern, wo er bald ein hervorragendes Mitglied des anarchistischen Vereins « Freiheit» war. Von Bern aus reiste er im Oktober 1883 zunächst nach Miihlhausen, um dort mit seinen Genossen ein Attentat gegen den Polizeidirektor Kaltenbach auszuführen. Als dieses naissglückte, begaben sich die Mordgesellen nach Strassburg, um wenigstens & irgend etwas » zu thun. Es liegen bestimmte Indizien dafür vor,

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dass seine Genossen in Bern, Kennel, Schultze, Lissa und Andere, sowie Falk und Otter in Freiburg über das Vorhaben Karnmerer's unterrichtet waren. Es war unter denselben abgemacht, dass überall ausgestreut werden solle, K. sei nach Amerika gegangen. Falk zahlte für ihn Kostschulden und schrieb ihm nach Wien unter der fingirten Adresse "V. Otter. Er sollte auch die Korrespondenz Kammerer's vermitteln. Otter schrieb an Kennel: « Du wirst vielleicht sein (Kammerer's) Vorhaben kennen. » Er hat wahrscheinlich dem Kammerer einen Pass seines verstorbenen Bruders gegeben. Schultze war ein intimer Freund Kammerer's und pflegte über Alles, was bei den Anarchisten ging, genau unterrichtet zu sein. Lissa endlich unterzeichnete einen Brief, den er zur Zeit, als Stellmacher und Kämmerer in Wien waren, dorthin schickte, mit « Stellmacher ».

Hermann Stellmacher, Schuhmacher, verheirathet, Vater von zwei Kindern, aus Grottkau, Eegierungsbezirk Oppeln in PreussischSchlesien, hatte sich in der Schweiz in Vivis aufgehalten, wo er Mitglied des Arbeitervereins gewesen, von diesem aber wegen seiner anarchistischen Tendenzen mit Andern ausgeschlossen worden war.

In Vivis wurde St. wegen Betrug mit 45 Tagen Gefängniss und fünf Jahren Ehrenverlust bestraft. Zuletzt hatte er in Fluntc.ni bei Zürich gewohnt, wo er seine Frau zurückliess, als er seine Verbrechertour unternahm. Stellmacher hatte schon 1882 der anarchistischen Gruppe Zürich angehört, soll dort die Administration und Redaktion der « Freiheit » eine Zeit lang besorgt haben und stand in intimen Beziehungen zu den Anarchisten Kaufmann, Neve und Hauser in Zürich, Schultze in Bern und Andern. In Zürich sollen damals die von Stellmacher und Consorten verübten Gräuelthaten geplant worden sein, und es ist höchst wahrscheinlich, dass Kaufmann, Neve und Andere Mitwisser dabei waren.

Michael Kumics, Schreiner aus Gzernick, Slavonien, war, wogen revolutionärer Umtriebe aus Wien ausgewiesen, ini Mai 1883 nach St. Gallen gekommen und hatte bis zur Ausführung des Attentats auf Heilbronner dort gearbeitet. Kumics war Mitglied der anarchistischen Gruppe St. Gallen und stand in nahen Beziehungen zu dem seither von dort ausgewiesenen Formanek, der seiner Seits wieder mit Kaufmann in Zürich in enger Verbindung stand. Kumics hatte mit Klinger sich auch am Schmuggel revolutionärer
Schriften nach Oesterreich betheiligt. Er hatte kurz vor seiner Abreise nach Stuttgart den Klinger mit Eemlinger besucht und ist höchst wahrscheinlich bei dem Drechslergesellen Daschner in Schaifhausen mit Kammerer zusammen getroffen.

Friedrich August Reinsdorf, Schriftsetzer, aus Pegau, Kreishauptmannschaft Leipzig, hatte in der Schweiz nacheinander in

598 Zürich, Genf, Bern, Freiburg und Lausanne gearbeitet und war schon in Zürich zu den dortigen Anarchisten in Beziehungen getreten.

Er hatte diese später fortgesetzt, war z. B. in Preiburg bei Viktor Otter in Pension gewesen, und er hat die Schweiz nur verlassen, um seine verbrecherischen Thaten in Deutschland auszuführen.

Endlich hatte auch LiesJce zuletzt in der Schweiz gearbeitet. Julius Lieske, Schuhmacher, aus Berlin, kam, wahrscheinlich Ende August 1882 nach St. Gallen und war daselbst schon mit dem bekannten Anarchisten Ondra befreundet. Von St. Gallen ging er nach Altorf, dann nach Chur, im Juli 1883 nach Lausanne, Anfangs September 1883 nach Genf, im Mai 1884 angeblich nach Zürich und zuletzt nach Hasel, welches er Ende Dezember 1884 verliess, um sich direkt nach Frankfurt zu begeben. Lieske war in Lausanne Mitglied des Allgemeinen Arbeiterbildungsvereins. In Basel verkehrte Lieske speziell mit Wagenbret, dann aber auch mit Pfau, Hindermann etc.

Seine Beziehungen in Genf, Lausanne, Zürich und Basel sind von nicht unerheblicher Bedeutung für die gegen ihn waltende Strafuntersuchung.

So sehen wir die Emissäre der anarchistischen Propaganda ihre verbrecherischen Unternehmungen in unser'm Lande vorbereiten.

Sie missbrauchen das ihnen gewährte Asyl, um die Theorie des Terrorismus in blutige Wirklichkeit zu verwandeln und die Freiheit, welche ihnen unsere Institutionen gewährt, betrachten sie als eine Freiheit zur Verübung von Mord und Kaub. Diejenigen, welche sich aus unseren Mittheilungen über die Most'scbe « Freiheit » und ihre Doktrinen noch nicht von der Notwendigkeit energischen Einschreitens überzeugen konnten, mögen dieser ersten Unternehmungen der « Propaganda der That » eingedenk sein, sie mögen sich daran erinnern, dass Most und seine Genossen sich mit Stellmacher, Kammerer, Reinsdorf, Kumics und mit dem Mörder Rumpff's solidarisch erklären und dann mögen sie urtheilen.

4. Die Massnahmen des Bundesrathes.

Es geht aus dem bisher Gesagten zur Genüge hervor, dass die Theilnehmer an den erwähnten Verbrechen vielfach Ausländer waren, welche sich, vom Auslande ausgewiesen, in die Schweiz geflüchtet hatten, und nun von hier aus ihre verbrecherischen Pläne schmiedeten und ausführten. Handelte es sich dabei auch zunächst um gemeine Verbrechen, Diebstahl, Raub und Mord, die der gewöhnlichen Strafjustiz unterstellt sind, und mit denen sich daher .der Bund an und für sich nicht zu befassen hatte, so lag es doch

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in der Natur der Dinge, dass das eidgen. Justiz- und Polizeidepartement und der Bundesrath diesen. Vorgängen vollste Aufmerksamkeit schenken mussten. Abgesehen von dem Bestreben, ein.

einheitliches Verfahren der Kantone gegenüber den bezüglichen Eequisitionen auswärtiger Gerichte herbeizuführen, sah sich der Bundesrath zunächst veranlasst, die thätigsten Anhänger der « Propaganda der That », soweit sie Ausländer waren, in Anwendung des Artikel 70 der Bundesverfassung aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft auszuweisen.

Es wurden ausgewiesen : 1. Am 22. März 1884: Friedrich Philipp von Kennel, aus Schegenheim (Rheinbayern), Spengler, damals in Bern; Moritz Schnitze, aus Cottbus (Preussen), Schriftsetzer, ebenfalls in Bern ; Karl Falk, aus Höfling (Steiermark), Schneider, in Freiburg; Mathias Lissa, aus Gelier (Böhmen), Schneider in Bern.

2. Am 25. September 1884: Karl Theodor Weiss, Spengler, aus Dresden ; Franz Grob-Senger, Schreiner, aus Lidmeritz (Mähren) ; Frane Stieglitz, Schreiner, aus Pulgram (Mähren) ; Karl Julius Müh, Taglöhner, aus Sternberg (Mähren) ; Jakob Lederer-Haberkorn, Schneider, aus Nemcik (Böhmen); Leopold Zickbauer-Müchinger, Korbmaeher, aus Donawitz (Bezirkshauptmannschaft Leoben, Steiermark).

Diese sechs hatten sich sämmtlich in Basel aufgehalten.

3. Am 17. November 1884: Der angebliche Wladimir Waroffski aus Russland oder Emil Rühle von Ulm, vulgo Hamlet, der sich ebenfalls in Basel aufgehalten hatte, dessen Identität aber nicht festgestellt werden konnte.

4. Am 15. Dezember 1884 : Joseph Kaufmann, von Bludenz (Vorarlberg), Mechaniker, in Zürich ; Johann Neve, von Uellvesbüll (Schleswig), Schreiner, alias Jean Court, Ernest Stevens, Peter Jensen und Piotra Warchatowskiego, ebenfalls in Zürich ; Peter Hauser, von Tuttlingen (Wurtemberg), Messerschmied, auch in Zürich ;

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5. Der Plan, das Bundesrathhaus zu sprengen.

Mit dieser Ueberschrift soll keineswegs der Frage vorgegriffen werden, ob ein solcher Plan wirklich bestand. Die Beantwortung" dieser Präge kann erst später erfolgen. Wenn trotzdem von diesem Plane gesprochen wird, so geschieht es, weil damit die Sache am deutlichsten bezeichnet wird.

Am 25. Januar 1885 wurde in St. Gallen ein Brief der Post übergeben, adressirt «Herrn Bundespresident Schenk Bern». Der mit Nummer 5 unterzeichnete Brief enthielt u. a. folgende Sätze : « Schon seit der Ausweisung des Anarchisten Schulze hegten wir den Plan, das Bundesrathhaus während einer Sitzung des vollzählig anwesenden Bundesrathes in die Luft zu sprengen. Die Ausweisung von Neve (Nr. 4) machte den Plan zum Beschluss. Sofort meldeten sich 17 Genossen zur Ausführung der That. Das nöthige Sprengmaterial, genug um ganz Bern zu vernichten, wurde aus Oesterreich beschaffen, d. h. die dortigen Genossen beziehen es von New York und dieses Material liegt momentan in der Bundesstadt selbst und harrt nur des Befehls von Nr. l, um an seinen Bestimmungsort plazirt zu werden und seine entsetzliche Arbeit zu verrichten. Der betreffende Genösse versichert, ohne alle Gefahr für ihn selbst den Dynamit legen und vermittelst einer Zünduhr zur Explosion bringen zu können.

« Mich schaudert bei dem Gedanken, ein Mitwisser und Mithelfer des furchtbaren Verbrechens zu sein, ich lege daher auf das Drängen meines lieben Weibes dieses Geständniss ab. Glauben Sie ja nicht, dass die Genossen wenig Mitglieder zählen. Sie werden erschrecken ob der grossen Zahl, welche sich vereidet haben, an allen Behörden blutige Rache zu nehmen, welche Genossen durch Gefàngniss oder Ausweisung bedrängen. Ebenso täuscht man sich in den Mitteln. Wir erpressen grosse Summen von reichen Leuten durch Drohungen, und wir erhalten sozusagen stets das Geld, wenn nicht, so fällt Derjenige, welcher sich weigert, durch Blei oder Stahl. Heilbronner, Eisert und Kran (?) sind solche Opfer geworden, andere werden in nächster Zeit folgen. Ebenso ist ein Attentat geplant gegen den Polizeichef von Madai in Berlin und auf 8 Polizisten in Hainburg.

« Einer der ersten Anarchisten befindet sich im Kauton Thurgau und dies ist vielleicht der gefährlichste, da er der intelligenteste ist (Nr. 2). Nr. l befindet sich zur Zeit in Wien.

601 « Ich mache Sie noch darauf aufmerksam, dass der Briefwechsel der Mitglieder stets indirekt geführt wird, hauptsächlich durch Dienstmädchen und öffentliche Dirnen. Ebenso sind die Sprengstoffe mit Arbeitereffekten, Kleider, Esswaare bezeichnet und gelangen an völlig unverdächtig scheinende Personen und von da erst an's Ziel.

« Lassen Sie das Bundesrathhaus Tag und Nacht bewachen, wehren Sie jeder fremden Person den Eintritt, aber vorsichtig, da alle Genossen mit Waffen und Schwefelsäure versehen sind ».

Diesem Briefe folgte ein zweiter, der unter der Adresse « Herrn Bundesrath Schenk Bern» am I.Februar 1885 in Frauenfeld ambulant aufgegeben worden war. Der Brief, von derselben Hand geschrieben wie der erste, enthielt die Mahnung, die Postpakete einer genauen Untersuchung zu unterwerfen, hauptsächlich auf Frauenzimmer Acht zu geben, das Lokal auf der Hauptwache von Zeit zu Zeit zu untersuchen und die hintere Haiistlnlre des Bundesrathhanses von inwendig fest zu, verrammeln ; theilte mit, dass ein Theil des Sprengstoffes « gestern » von der Länggasse an die Metzgergasse geschafft worden sein solle und dass für einmal die jetzigen Vorsichtsmassregeln genügen. Der Brief schloss mit den Worten : « Ich bitte Sie die Hamburger Polizei schnellstens zu warnen, ebenso von Madai ».

Nicht lange nachher erhielt der Bundesrath einen am 4. Februar 1885 in Winterthur der Post übergebenen Brief folgenden Inhalts :

« Tit. !

« Nach Beschluss des Exekutiv-Komite wird die Sprengung des Bundespalastes in Bern unfehlbar im Laufe dieses Monats stattfinden. Zittert !

« Februar 1885.

X. » Am 17. Februar schrieb der Warner wieder von Frauenfeld aus an Herrn Bundesrath Schenk : « Das Ihnen enthüllte Verbrechen ist momentan aufgegeben, wir wollen uns doppelt rächen, sagte Nr. 2. Es ist möglich, dass sich noch Briefe vorfinden, in Bezug auf diese Sache, einer wenigstens wurde nicht abgeholt. Betreffender Genösse, dem die Ausführung übertragen, besitzt so viel ich weiss 3 Pässe, l lautend auf Jakob Müller von Crefeld, 2 lautend auf Gerhard Lieseregg von Prag und 3 lautend auf Christian Delle von Mühlhausen, der wirkliche Name ist mir selbst unbekannt. Verschiedene Briete Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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gingen theils direkt, theils indirekt an diese Adressen ab, enthaltend Instruktionen. Einer ging nach Wabern (poste restante), ein anderer soll nach Bümplitz adressirt worden sein. Nachdem uns bekannt geworden, dass man uns auf der Spur, blieben 3 Briefe unabgeholt (einstweilen) und es ist möglich, dass sich in Wabern oder Bümplitz ein solcher Brief auf die eine oder andere Adresse lautend vorfindet ».

Weiter hiess es in dem Briefe : « Unterlassen Sie aber nicht auf alle Arbeiterverbände ein wachsames Auge zu halten, den Grütliverein nicht ausgenommen, denn auch Nummer 2 ging aus diesem hervor, angespornt durch andere Mitglieder. Zudem theile Ihnen mit, dass ein schweizerischer Artillerieoffizier (Lieutnant) die Beschaffung des Sprengmaterials übernommen, und dass dieser der erste war, welcher solch' teuflische Pläne bei unsern Genossen aufbrachte ».

Bei den in Folge dessen auf den Postbüreaus in der Umgebung von Bern angestellten Nachforschungen fand sich in Wabern ein Brief mit der Adresse : « Herrn Jakob Müller, Kaufmann Postrestant Wabern bei Bern ». Der Brief trug den Poststempel Winterthur 31. Januar 1885 und wurde amtlich geöffnet. Er lautete : .

« An Genösse 8.

« Du findest das nöthige Geld am besagten Platz. Punkto Benehmen fahre in der Weise fort, wie es bis dato geschehen. Hüte Dich, in die Nähe des Bundesrathhauses zu gehen. Wenn Marie mitkommt, kann es nicht fehlen, du brauchst es nur an den genau bezeichneten Platz zu legen. Verwechsle ja die beiden Büchsen nicht. Wie die Hunde uns aufspüren konnten, ist mir nicht klar, aber nur so fortgefahren, wir haben die verdammten Bestien nun alle in der Falle. Richte ja die Zünduhr gut, sowie nebenbei :

«3

«Dann hast du also 30 Minuten Zeit.

« Nimm dich bei der Münze in Acht, dass du die Genossen nicht verlierst. Du schlägst diesen Weg ein :

603 Aare

f/4l^Lnea-Â'

·fy'^ASfiAfttAj^aiérs

n?£/£*é^ 7 [j^t\

« Bevor du Briefe holst, geh' zu Marie oder Louise, und sieh', ob Alles in Ordnung. An Nummer 5 mache keine Meldung, das dumme Vieh ist ein Feigling. Den Schlüssel zum linken Thor vom Eathhaus wirst du empfangen haben ? Wenn mau dich erwischt, so tödte, so viel du kannst, und zuletzt dich selber, wie verabredet.

Sobald in der Lorr. das Feuer ausgebrochen, eilst du zur That.

i- Du kennst den Lohn, wenn es dir gelingt.


Glück zur guten Sache ! !

Nummer 2.

Mochten nun auch nach diesen Briefen berechtigte Zweifel darüber bestehen, ob es sich bei der ganzen Sache nicht um eine blosse Mystification handle, so erschien nach allem bisher Gesagten und einigen weiteren Thatsachen, von welchen später die Eede sein wird, der Moment doch gekommen, um über das Treiben der Anarchisten in der Schweiz überhaupt und insbesondere mit Bezug auf das möglicher Weise wirklich geplante Attentat auf das Bundesrathhaus eine eidgenössische Untersuchung zu veranstalten, und so fasste der Bundesrath unter'm 26. Februar 1885 den Beschluss, eine strafrechtliche Verfolgung « gegen diejenigen Individuen zu eröffnen, die auf schweizerischem Gebiete zur Begehung von gemeinen Verbrechen im In- oder Auslande aufgefordert oder auf andere Weise versucht haben, die verfassungsinässige Ordnung und die innere Sicherheit des Landes zu stören ».

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H. Aussci'orrteiitliclie Verhältnisse und Schwierigkeiten bei dieser Untersuchung.

Bevor wir zur Schilderung des Ganges der Untersuchung übergehen, erscheint es angezeigt, auf verschiedene Umstände aufmerksam zu machen, welche ein erfolgreiches Arbeiten erschwerten und den Gang der Untersuchung verlangsamten. Es mögen diese Bemerkungen nicht nur als Antwort auf bereits laut gewordene Kritiken betrachtet werden, sondern auch als ein Hinweis auf Uebelstände, welche in der Organisation unseres Staatswesens be. stehen.

1. Mangel einer eidgenössischen politischen Polizei.

Bei'm Beginn der eidgenössischen Untersuchung wurde den Untersuehungsbeamten ein reichhaltiges Aktenmaterial übergeben, welches vom eidg. Justizdepartement unter Inanspruchnahme der kantonalen Polizeibehörden gesammelt worden war. Aus einzelnen Kantonen, wie Zürich, Bern, St. Gallen, Schatfhausen und Basel, lagen ziemlich eingehende Erhebungen vor, welche einen Einblick in die Verhältnisse der,betreffenden Kantone gestatteten. Aus andern Kantonen lagen theils sehr unvollständige, theils mangelnde Kenntniss der ganzen Frage verrathende Berichte vor, welche für die eigentliche Untersuchung nur von zweifelhaftem Werthe waren. Und auch Kantone, welche innerhalb ihrer eigenen Grenzen ordentlich orientirt waren, hatten von demjenigen, was über diese Grenzen hinausging, keine oder nur ganz mangelhafte Kenntniss. Vielfach konnte man konstatiren, dass über den prinzipiellen Unterschied zwischen Socialdemokraten und Anarchisten völlige Unklarheit bestand. Oft fehlte die Kenntniss der anarchistischen Taktik und Gebräuche. Und mit Bezug auf die persönlichen Beziehungen der einzelnen Anarchisten unter sich und von Kanton zu Kanton herrschte völliges Dunkel. So boten die Vorakten ein buntes Bild, wie es nur die Vielgestaltigkeit unserer kantonalen Souveränetäten und die Kleinheit der dabei im Vordergrund stehenden Verhältnisse erzeugen kann. Es soll mit dieser Kritik Niemandem ein Vorwurf gemacht werden, sie gilt den Zuständen, nicht den Personen, welche zufällig berufen waren, mit einem so mangelhaften Apparate zu arbeiten, wie es hier der Fall war.

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Diese Mängel machten sich nicht nur bei'm Beginn der Untersuchung geltend, sie wirkten in verschiedener Beziehung lähmend auf den Gang der Untersuchung selbst ein.

Das zeigte sich zunächst in der Verschiedenartigkeit der Anschauungen von Kanton zu Kanton. Doch konnte in dieser Richtung durch persönliche Rücksprache mit den competenten Organen der zunächst betheiligten Kantone ein etwelcher Ausgleich geschaffen werden. Deutlicher trat der Mangel zu Tage, da wo es sich um persönliche Beziehungen einzelner Anarchisten in verschiedenen Kantonen handelte. Personenkenntniss ist in einer derartigen Untersuchung von der allergrössten Bedeutung. Nur sie ermöglicht den Polizeibehörden, die Bedeutung einzelner Thatsachen rechtzeitig zu erkennen. Wenn aber Thurgau nicht weiss, was in St. Gallen geht, und umgekehrt, so ist es den beweglichen Elementen der Anarchisten äusserst leicht, sich der Entdeckung zu entziehen.

Zugleich muss eine Untersuchung, welche genöthigt ist, fortwährend von einem Kanton in den andern hinüberzugreifen und sich daselbst an andere Behörden zu wenden, dadurch gehemmt werden. Kam es doch vor, dass in Hörn gegen die Verhaftung des Nowotny Einsprache erhoben wurde, weil dieselbe durch einen St. Galler Polizisten vorgenommen werden sollte. Nowotny war stark coinpromittirt; mau vermuthete ihn in Rorschach und ersuchte desshalb die St. Galler Behörde uni seine Verhaftung. In Rorschach fand man, dass Nowotny in dem eine halbe Stunde entfernten Hörn arbeite. Rasches Handeln war geboten, denn man wusste, dass Nowotny im Begriff war, zu verschwinden. Da verlangte der thurgauische Gemeindeammann Befehl von seiner vorgesetzten Behörde.

Der St. Galler Polizist musste sich begnügen, den Nowotny zu überwachen und wurde dieser Aufgabe erst enthoben, als zufallig Herr Untersuchungsrichter Dedual eintraf und dem Warten ein Ende machte. Und bei diesem Nowotny fand man Gift, genug, um 40 Menschen umzubringen.

Hier ist auch ein Fall zu erwähnen, der sich im Kanton Genf ereignete. Ein Schlosser, Namens Michels, war aus Prankfurt a M.

nach der Schweiz geflohen, um der Strafverfolgung zu entgehen, welche ihm bevorstand, weil er verdächtig war, das Attentat auf das Frankfurter Polizeigebäude verübt zu haben. Michels hatte sich seither in Genf aufgehalten, wo er in intimen Beziehungen zu Liesice gestanden
sein soll. Am 15. März 1885 wurde er von Genf ausgewiesen, ohne dass davon dem Bunde Anzeige gemacht wurde.

Der Mangel einer eidgenössischen Polizei hatte weiter zur Folge, dass sich die eidgenössischen Untersuchungsrichter vielfach mit rein polizeilichen Nachforschungen abgeben mussteu. Wer unsere

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Institutionen nicht kennt, wird diese Art von Untersuchung nicht verstehen. Halb Polizei, halb Untersuchungsrichter! Halb administrativ, halb gerichtlich! Die Schwierigkeit zeigte sich schon in dem dem Unterzeichneten vom Buudesrath ertheilten doppelten Auftrage, der dahin ging, einmal dem angeblich geplanten Attentat auf das Bundesrathhaus nachzuforschen, also ein bestimmtes Verbrechen zu verfolgen, dann aber auch über den Anarchismus in der Schweiz überhaupt Nachforschungen zu veranstalten. Es konnte nicht ausbleiben, dass unter solchen Umständen auch bei den Kantonen Zweifel darüber entstanden, welche Organe zur Hülfeleistung berufen seien. Und wirklich kam es vor, dass am einen Orte sich die Beamten der administrativen und der richterlichen Gewalt darüber stritten, wer berechtigt sein solle, die Eequisitionen des eidgen. Untersuchungsrichters zu vollziehen, während am andern Orte Zweifel darüber enstanden, wer hiezu verpflichtet sei.

Das Verschmelzen von polizeilicher und strafgerichtlicher Thätigkeit hat denn auch in der Presse und im Publikum grosser Begriffsverwirrung gerufen. Nur dieser Unklarheit schreiben wir die sonderbaren Schlussfolgerungen zu, welche aus der frühzeitigen Freilassung einzelner Verhafteter fortwährend gezogen wurden.

Bndlich hatte die Ausdehnung der Untersuchung auf polizeiliche Erhebungen zur Folge, dass die Untersuchungsrichter sich mit einer Reihe von Personen einlässlicher befassen mussten, welche man ohne das kurzer Hand hätte entlassen können. Es gab diess der ganzen Untersuchung eine ungeheure Ausdehnung, von welcher sich nur derjenige einen Begriff machen kann, der das gesammte Aktenmaterial gesehen und gelesen hat.

2. Mangel des Beweismaterials fUr den objektiven und den subjektiven Thatbestand.

Als Beweismaterial lagen bei Eröffnung der Untersuchung vor einerseits die bisherigen Berichte und Erhebungen einzelner Kantone, andererseits die oben erwähnten Briefe. Die Erstem bezogen sich indessen vielfach auf solche Anarchisten, deren Ausweisung bereits erfolgt war, so ein Theil der Berner, Basler, Zürcher und St. Galler Akten. Nur gelegentlich fanden sich in denselben auch Hinweisungen auf Anarchisten, welche noch in der Schweiz lebten. Dagegen hatte Bern ein ziemlich vollzähliges Verzeichniss der Mitglieder des Vereins « Freiheit » mit Angabe ihrer Personalien
geliefert und die meisten auch einvernommen. Aehnlich verhielt es sich mit St. Gallen, dessen eingehender Bericht besondere Erwähnung verdient. Auch im Uebrigen fanden sich in diesen Vorakten

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vielfache. Mittheilungen, welche im Verlauf der Untersuchung verwerthet werden konnten. Bei den sub I. 5 erwähnten Briefen dagegen entstund zunächst die Frage, ob nicht eine blosse Mystifikation vorliege. Es war ja eine gar sonderbare Art, ein so gefährliches Unternehmen in der Weise einzuleiten, wie es durch Absendung des Wabernbriefes geschehen war. Es war fast nicht glaublich, dass Anarchisten eine so wichtige Instruktion der Post anvertraut hätten. Auch an den Warnungsbriefen konnte Einiges auffallen.

Welchen Anlass hatte der Warner, auf den Grütliverein hinzuweisen ? Wie sollte man sich den Widerspruch erklären, der darin bestand, dass im Brief vom 25. Januar gesagt war, « das nothige Sprengmaterial wurde aus Oesterreich beschaffen, d. h. die dortigen Genossen beziehen es von New-York », während im Briefe vom 17. Februar gesagt war, dass ein Schweiz. Artillerie-Offizier die Beschaffung des Sprengmaterials übernommen habe? Man glaubte auch indem «Tit», mit welchem der Brief vom 4. .Februar begann, und denjenigen «Tit», mit welchen die Warnungsbriefe eingeleitet wurden, eine gewisse Aehnlichkeit zu erkennen. Ueberhaupt aber machte man sich nur ungern mit dem Gedanken vertraut, dass ein solches Attentat auf das Bundesrathhaus wirklich geplant sein könnte, und bewies der Eifer, mit welchem bald darauf das Märchen colportirt wurde, es habe sich herausgestellt, dass Alles das Werk eines agent provocateur sei, am besten, wie sehr auch weitere Kreise geneigt waren, hinter der ganzen Sache eine Mystifikation zu erblicken.

Pur die Untersuchungsbehörden konnten indess solche Erwägungen nur insofern von Bedeutung sein, als sie es sich zur Pflicht machen mussten, nach allen Richtungen hin Umschau zu halten und vorurtheilsfrei überall zu suchen, wo die Möglichkeit, etwas zu finden, vorhanden zu sein schien.

Liessen die vorhandenen Briefe schon hinsichtlich der Frage ob es sich tun Ernst oder Täuschung handle, Zweifel zu, so gaben sie auch sonst für die Untersuchung nur äusserst dürftige Anhaltspunkte. Sie waren sämmtlich mit augenscheinlich verstellter Handschrift geschrieben, trugen keine Unterschrift, nannten keinen Namen, waren bestrebt, auch die Schuldigen zu schützen, und gingen lediglich darauf aus, das Attentat, wenn ein solches wirklich geplant war, zu verhindern oder dann, wenn ein solches nicht
geplant war, den Bundesrath zum Vorgehen gegen die Anarchisten zu veranlassen.

Man sah aus diesen Briefen nur, wo sie zur Post gegeben waren, entnahm denselben einige Zahlen, welche von Bedeutung zu sein schienen, und konnte aus ihnen, falls es gelang, den Personen auf die Spur zu kommen, den objektiven Thatbestand herstellen. Zur

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Vergleichung konnte man verwenden die Schrift, mit welcher die Briefe geschrieben waren, und das Papier, auf welchem sie standen, sowie die Couverts. Aber kein Couvert war gleich wie das andere und kein Brief war auf gleiches Papier geschrieben wie der andere.

Auf Handschriften- und Papier-Vergleichung angewiesen, in der ganzen Schweiz herum oder vielleicht noch auswärts derselben den oder die Schreiber dieser Briefe zu suchen, war nun freilich von vorneherein eine Aufgabe, deren glückliche Lösung man fast nur dem Zufalle verdanken konnte.

Für den allgemeinen Theil der Aufgabe fehlte es also von vorneherein noch am objektiven Thatbestande eines bestimmten Vergehens, für den besonderen Theil lag nur ein äusserst spärliches und unsicheres Beweismaterial vor.

3. Zeugen und Angeklagte. Oie Organisation der Anarchisten.

Zu den ausnahmsweise)! Verhältnissen, welche sich bei dieser Untersuchung zeigten und dieselbe so sehr erschwerten, gehört auch der Umstand, dass die zur Einvernahme citirten Personen sich meist von Anfang an als Angeklagte betrachteten und dass mit Bezug auf die Hauptfragen unbetheiligte Zeugen beinahe nicht existirten.

Es lag diess in der Natur der Dinge. Die Anarchisten entziehen ihr Thun und Lassen grundsätzlich der Oeffentlichkeit und der Zeugenschaft Uneingeweihter. Und die Hauptsache, das Attentat, musste das Geheimniss einer kleinen Zahl von Leuten sein. Da aber die Untersuchung gegen das Treiben der Anarchisten überhaupt gerichtet war und diese nicht wussten, welche Anklage schliesslich erhoben werden möchte, so betrachteten sich alle diejenigen, welche der Partei angehörten, von vorneherein als Beklagte und war ihr ganzes Streben dahin gerichtet, weder sich selbst noch einen Genossen durch unvorsichtige Aeusserungeu zu belasten.

lieber die Art und Weise, wie man die Behörden hinter's Licht führen könnte, hatte zudem die Most'sche Freiheit seit Jahren Anleitung gegeben. So brauchte man sich nicht zu wundern, dass bei Hausdurchsuchungen nur sehr selten Briefe compromittireuden Inhalts oder andere Gegenstände, welche der Untersuchung hätten förderlich sein können, gefunden wurden. Hatte sich doch zum Deberfluss auch ein Theil der Presse unseres Landes bemüssigt gefunden, die Meldung, der Bundesrath habe in Sachen der Anarchisten einen wichtigen Beschluss gefasst, in die Welt hinauszuposaunen, bevor nur die Untersuchungsorgane in Funktion getreten waren.

An einer Warnung der Bedrohten hatte es also nicht gefehlt.

609 Endlich brachte es auch die Organisation der Anarchisten von selbst mit sich, dass Leute, welche absichtlich oder unabsichtlich etwas hätten verrathen können, nichts oder nur sehr wenig von Bedeutung wussten. Die Organe der eigentlichen « Propaganda der That » sind nicht in den anarchistischen Vereinen zu suchen.

Die eigentlichen Leiter der Aktion pflegen sich, vom Yereinsleben systematisch zurückzuziehen, und geben dann vor, sie hätten es gethan, um Unannehmlichkeiten zu entgehen, sie hätten im Sinne zu heirathen, ein Geschäft zu übernehmen, sie seien mit den extremen Theorien Most's nicht einverstanden, und wie die Gründe alle lauten mögen. Ganz gelegentlich findet es sich aber, dass diese Leute nach wie vor tfcätig sind , dass sie Briefe unter Deckadresse empfangen, dass sie mit bekannten Anarchisten in Korrespondenz stehen oder geheime Zuzammenkünfte haben u. dgl. mehr. Diese Leiter nun sind dem Gross der Anarchisten persönlich gar oft nicht bekannt, sie kennen sich selbst nicht durchweg und ihr Verkehr unter einander macht sich oft durch dritte Hand, etappenweise von Ort zu Ort. Kommt dann die Untersuchung irgendwo auf eine Spur, so verliert sie dieselbe auch schon wieder beim nächsten Schritte.

Man darf sich überhaupt, wie aus dem bisher Gesagten zur Genüge hervorgeht, unter den Anarchisten nicht eine Gesellschaft vorstellen, welche etwa nach Art unserer Vereine organisirt wäre und vielleicht in einem allgemeinen Centralverbande, Bezirksverbände und einzelne Sektionen umfassen würde. Das wäre den Prinzipien des Anarchismus zuwider. Es mögen sich einzelne Gruppen, den lokalen, geographischen und politischen Verhältnissen entsprechend näher zusammenschliessen, welche hauptsächlich den Zweck haben, neue Anhänger der Partei zu gewinnen und Soldaten für die Propaganda der That zu schulen. Es mögen da und dort kleine leitende Ausschüsse bestehen. Das Schwergewicht liegt immer in der Bedeutung des einzelnen Mannes, in seiner Klugheit, Rührigkeit und Entschlossenheit. Die Hauptsache ist, dass etwas geht, was geht, das kommt erst in zweiter Linie in Betracht und darüber scheint, dem Einzelnen oder einzelnen Gruppen der Vorgerückteren freie Hand gelassen zu sein. Auch hierin liegt ein Moment, welches die Beurtheilung des Einzelnen und des Ganzen ausserordentlich erschwert.

Auch Herr Berdez weist
in seinem Berichte nachdrücklich auf die Schwierigkeiten hin, welche die Organisation und Taktik der Anarchisten einer Untersuchung bereiten. Er sagt : « Die Gruppen versammeln sich frei, ohne Statuten, ohne Vorstand, häufig ohne besonderes Lokal, bald in einem Café, bald in einem Zimmer. Die Mitglieder gehören oft auch sozialdemokratischen Vereinen an, die

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durchaus nicht anarchistisch sind ; sie stehen in persönlichen Beziehungen mit den Mitgliedern anderer Gruppen ; zerstören gewöhnlich ihre Korrespondenz nach dem Batfae des « Révolté » und der « Freiheit » ; sie schreiben sich unter Deckadressen, oft unter Adressen, die imaginär sind; sie brauchen Chifferschrift, um sich diese Adressen mitzutheilen. Unter solchen Uniständen muss man sich nicht darüber wundern, wenn die gerichtlichen Nachforschungen keine bessern Resultate haben ».

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IH. Die Untersuchung.

1. Die deutsche und die französische Schweiz.

Das bei Anhebung der Untersuchung vorliegende Beweismaterial wies bereits darauf hin, dass ein allfälliges Komplott gegen das Bundesrathhaus oder dann der oder die Schreiber der verschiedenen Briefe in der Ostschweiz zu suchen seien. Die meisten der auf ein solches Komplott hinweisenden Briefe kamen aus der Ostschweiz ·-- aus Winterthur, Frauenfeld und St. Gallen. Der Brief aus La Chaux-de-Fonds stand mit dein Komplotte in keinem direkten Zusammenhange und der Brief aus Montreux schien, ebenfalls nicht aus derselben Quelle zu stammen.

Auch im Uebrigen ergab sich schon aus den Vorakten, dass der Hauptheerd der Propaganda der That momentan in Zürich und St. Gallen gesucht werden müsse, während die Anarchisten in der Westschweiz eine ruhigere Haltung einzunehmen schienen.

Das hatte zunächst zur Folge, dass die Untersuchung in der Westschweiz weniger intensiv und mit mehr Rücksichten auf die in die Untersuchung verwickelten Personen geführt werden konnte, während für die Ostschweiz strenge Massnahmen und Verhaftung der als gefährlich erscheinenden Individuen geboten waren. Letzteres galt beim Beginn der Untersuchung auch für Bern, wo die Gefahr zunächst lag.

Abgesehen davon brachte es auch die grössere räumliche Ausdehnung mit sich, dass die Untersuchung in der deutschen Schweiz viel mehr Zeit und Arbeit forderte, als diejenige in der französischen Schweiz. Konnte Letztere sich in der Hauptsache auf Genf, Lausanne, Vevey-Montreux, Freiburg und La Chaux-de-Fonds beschränken , so war Erstere genöthigt, in Bern, Biel, Basel, Aarau, Luzern, Zug, Zürich, Winterthur, Schaffhausen, St. Gallen, Rorschach, Utzwil, an der ganzen Nordgrenze des Kantons Thurgau und für einzelne Thatsachen noch an diesem und jenem Orte zum Theil recht schwierige und zeitraubende Nachforschungen zu veranstalten.

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Der Unterzeichnete sah sich aus diesen Gründen von vorneherein veranlasst, sein Augenmerk vorzugsweise auf die deutsche Schweiz zu richten, ohne desshalb die französische Schweiz aus den Augen zu verlieren. Er glaubte, seiner Aufgabe entsprechend zu handeln, wenn er danach trachtete, den mit Arbeit überladenen Herrn Dedual möglichst zu unterstützen, und verband mit dieser Thätigkeit den Zweck, soweit es die Verhältnisse nur immer gestatten mochten, einen gleichzeitigen Abschluss der Untersuchung für die ganze Schweiz möglich zu machen.

Zu dem Ende fand namentlich auch mit Bezug auf die Form der Berichterstattung eine gegenseitige Verständigung statt, indem der Unterzeichnete im jeweiligen Einverständnisse mit Herrn Dedual das Material für die deutsche Schweiz sichtete und für den Bericht verarbeitete, während Herr Berdez für die Untersuchung in der französischen Schweiz einen einlässlichen Vorbericht abfasste.

2. Die ersteh Schritte.

Der Unterzeichnete hatte bereits am 24. Februar durch den Chef des Justiz- und Polizeidepartements von der Aufgabe Kenntniss erhalten, die ihm zugedacht war. Er hatte sich am selben Tage zur eventuellen Uebernahme des Mandats bereit erklärt und benutzte den 25., um einerseits seine Berufsgesehäfte vorläufig zu ordnen, andererseits sich in der Sache einigermassen zu orientiren.

Es fand an diesem Tage namentlich auch eine Besprechung statt zwischen den Herren Bundesrath Ruchonnet, Regierungsrath von Wattenwyl, Polizeidirektor des Kantons Bern, .Regierungsstatthalter von Werdt in Bern und dem Unterzeichneten. Abends langte auf telegraphische Weisung der Anklagekammer des Bundesgerichts Hr. Untersuchungsrichter Dedual aus Chur an.

Nachdem am 26. der Bundesrath den Beschluss, den er am 24. provisorisch gefasst hatte, zum definitiven gemacht und die Beeidigung des Bundesanwaltes stattgefunden hatte, erfolgte seitens desselben auch sofort der nach Mitgabe des Gesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 27. August 1851, Art. 19, erforderliche Auftrag zur Anhebungo der Untersuchung und fand zunächst eine Verständigung mit Hrn. Dedual statt über die ersten zu treffenden Massnahmen.

Nach den vorliegenden Informationen und Akten musste, wie bereits gesagt wurde, der Hauptheerd der anarchistischen Agitation in der Ostschweiz, speziell in St. Gallen, gesucht werden. Von dort aus war man auch am genauesten über die Personen unterrichtet.

In Bern dagegen drohte -- so musste man wenigstens als möglich

613 annehmen -- unmittelbare Gefahr. Gern hätten der Untersuchungsrichter und der Bundesanwalt zunächst die vorhandenen Akten eingehend geprüft, um in der ganzen Sache vollständig orientirt zu sein. Allein das Studium dieser Akten hätte mindestens 14 Tage erfordert, und schon hatte die Presse Lärm geschlagen. Man durfte nicht hoffen, das Geheimniss auch nur einen Tag länger waliren zu können, und musste sofort handeln, wenn man noch einiger Massen durch Ueberraschung Erfolge erzielen wollte. Ueberdies sollte am 9.

März die Bundesversammlung zusammentreten und schien das Attentat auf das Bundesrathhaus, wenn man von der Idee einer Mystifikation absah, unmittelbar bevorstehend. Eine rasche, kräftige Aktion konnte zur Entdeckung des Komplottes führen und musste in jedem Falle die ganze Gesellschaft einschüchtern und für einige Zeit wenigstens lahm legen. War die Massregel auch hart und mochte man auch Unschuldige treffen, entschiedenes und sofortiges Handeln war durch den Ernst der Sache geboten. Es wurde also noch am Abend des 26. beschlossen, in Bern und St. Gallen sämmtliche als gefährlich betrachteten Anarchisten am 27. Morgens in aller Frühe verhaften zu lassen. Die Polizeibehörden von St. G-allen und Bern wurden hievon unverzüglich verständigt und am 27. Februar wurde der Beschluss vollzogen. In Bern, erfolgten 24, in St. Gallen 7 Verhaftungen.

Ueberdies wurden in Zürich drei ausgesprochene Anarchisten verhaftet, welche unter verdächtigen Umständen eine Rundreise bei Parteigenossen in der Schweiz machten, deren Unschuld aber bald hergestellt werden konnte, und die daher bereits am 2. März wieder auf freien FUSS gesetzt wurden.

In Bern hatten die mit den Verhaftungen verbundenen Haussuchungen und die Durchsicht und Ordnung des dabei gefundenen Materials den ganzen 27. Februar in Anspruch genommen, doch hatte man noch an diesem Tage einen der Verhafteten, der gänzlich unschuldig zu sein schien, der Haft entlassen. Vom 28. Februar an begannen die Verhöre der Verhafteten in Verbindung mit ZeugenEinvernahmen, wie solche zur Verifikation der Aussagen der Erstem nöthig wurden. Da vielfach erheblich gelogen wurde, so war diese Arbeit äusserst mühsam und zeitraubend, und diejenigen, welche von der Verhaftung betroffen wurden, haben es wesentlich sich selbst oder ihren Genossen zu verdanken, wenn ihre
Haft nicht früher aufgehoben werden konnte.

Mit Bezug auf das Attentat auf das Bundesrathhaus gab namentlich der « Wabern-Brief » Anlass zu Combinationen. Nach demselben sollte Genösse 8 vom Bundesrathhaus den Bundesrain hinunter, den Münzrain hinauf und über den Münzgraben nach dem

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Münsterplatz zu verschwinden. « Nimm dich bei der Münze in Acht, dass du die Genossen nicht verlierst » -- hiess es. Nun wohnten an dem im Briete beschriebenen Weg die als Anarchisten bekannten Anton Felchlin, Schneider aus Schwyz, und Christian Locher, Schneider von Hasle bei Burgdorf, Aarziehle Nr. 2, Dominik Schön, Schneider von Neuheim, Kanton Zug, Münzgraben Nr. 10, direkt der Münze gegenüber, und die Brüder Emil und Joseph Weinstein, Schneider aus Ettlingen, Grossherzogthum Baden, Münzgraben Nr. 5. Diese fünf waren in den Polizeiberichten von Bern als besonders gefahrlich geschildert. Dominik Schön hatte sich zudem unter Genossen geäussert, wie er es anstellen würde, wenn er die Sprengung des Bundesrathhauses auszuführen hätte.

Die Haussuchungen hatten mit Bezug auf das Attentat nichts zu Tage gefördert. Weder Dynamit noch die Zünduhr oder eine Sprengmaschine, noch auch Briefe, welche etwa auf das Attentat Bezug gehabt hätten, waren gefunden worden. Alle Verhafteten bestritten entschieden, von einem solchen Komplotte etwas zu wissen, und Viele von ihnen erklärten, dass es ja eine grosse Dummheit wäre, wenn die Anarchisten sich durch eine solche That den Aufenthalt in der Schweiz unmöglich machen würden. Allein alle diese Aussagen mussten mit Vorsicht aufgenommen werden, da eben nebenbei konstatirt werden konnte, dass die Aussagen der Verhafteten häufig der Wahrheit widersprachen.

Man war indessen entschlossen, die Verhaftungen nicht länger dauern zu lassen, als es der Zweck der Untersuchung und die öffentliche Sicherheit absolut erforderten, und entliess daher successive diejenigen, deren Unschuld mit Bezug auf das Attentat hergestellt zu sein schien. So erfolgten nach einander die Freilassungen und zwar am 28. Februar eine, am 2. März eine, am 4. März acht, am 8. März fünf, am 9. März eine, am 11. März drei und am 16. März drei. Nur der Drechslergeselle Kaspar Bodenmüller aus Hürbel in Wurtemberg konnte erst am 21. März auf freien FUSS gesetzt werden, da er durch seine Verlogenheit stets neue Erhebungen nöthig machte und man in ihm überdiess den Führer der bernischen Gruppe und eines der thätigsten Mitglieder deiPropaganda der That erkannt hatte.

Das Resultat der Untersuchung in Bern war mit Bezug auf das Attentat auf das Bundesrathhaus vollständig negativ ausgefallen.

Man musste sich
sagen, entweder besteht das Komplott nicht oder der oder die in Bern wohnenden Theilnehmer sind der Polizei noch völlig unbekannt geblieben.

In Folge der inzwischen angestellten Nachforschungen lenkte sich der Verdacht eine Zeit lang auf einen gewissen W. B,., welcher

615 früher in Luzern gearbeitet hatte, am 25. Februar nach Bern gekommen war und seit dem 1. März für die Herren Pumpin, Ludwig und Schöpfer bei Erstellung des Wasserreservoirs für die AarziehleBahn beschäftigt war. E. hatte sich in der Wirthschaft L., dem Sammelpunkt der bernischen Anarchisten, als Stammgast etablirt, liess seine Correspondenz dorthin kommen und hatte in der kurzen Zeit von kaum zehn Tagen dort drei Briefe und drei Depeschen aus Luzern erhalten, über welche er die unwahre Angabe machte, sie kommen von seinem Prinzipal, während drei fernere Briefe, ebenfalls aus Luzern, bei Pümpin u. Cie. für ihn abgegeben worden waren. Die Untersuchung ergab, dass E. in Correspondenz stand mit einer Familie N. und einer Wittwe E. in Luzern. Bei Ersterer hatte er gesagt, er bekomme auf den 1. März Fr. 500, und darüber befragt, gab er vor, diese Summe sei ihm von seiner Schwester in Aussicht gestellt worden, welche demnächst heirathen wolle, eine Angabe, die von der Schwester bestimmt in Abrede gestellt wurde.

R. hatte kurz vor seiner Abreise den Besuch eines Freundes erhalten, mit dem er sich zwei Tage zwecklos herumtrieb. Es war ein gewisser P. E. gewesen, der aus ß.'s Heimath -- Brüppach in der Nähe von Mederuzwyl -- kam. Ein um dieselbe Zeit an die Adresse N. aus Antwerpen kommender Koffer, den in Luzern Niemand in Empfang nehmen wollte, erregte weitern Verdacht.

500 Pr. auf den ersten März ohne glaubwürdigen Ausweis über die Quelle; 6 Briefe und 3 Depeschen, welche alle vernichtet waren, in kaum 10 Tagen zum Theil unter « Deckadresse » ; Besuch eines unbekannten freundes ; Arbeit in unmittelbarer Nähe des Bundesrathhauses ; falsche Angaben über die Absender der Briefe und die an und für sich schon auffallende Summe von Fr. 500, wahrlich Grund genug, um Verdacht zu schöpfen ! Und was war es ? Weiber -- Schulden -- Grossthuerei !

Solche Irrfahrten musste die Untersuchung häufig machen, und übergrosser Pflichteifer, Gespensterseberei und die Sucht gewisser Leute, etwas zu entdecken, gaben ihr dazu reichlichen, oft auch sehr komischen Anlass. Wir wollen uns mit dem einen Beispiele begnügen, aus welchem hinreichend hervorgeht, wie eben oft Indizien auf eine Person hinweisen können, die gänzlich unschuldig ist. Allein nur die Verfolgung aller dieser Indizien, die unermüdliche und unabtreibliche
Erforschung der leisesten Spur wird eben eine Untersuchungsbehörde schliesslich zum Ziele führen, und so durfte man sich auch diessmal durch derartige Misserfolge nicht entmuthigen lassen.

War also die Untersuchung in Bern mit Bezug auf das Attentat auf das Bundesrathhaus für's Erste gänzlich resultatlos geblieben,

616 so hatte man andererseits für die Lösung des allgemeinen Theils der Aufgabe ziemlich reichhaltiges Material gewonnen. Man kannte die Anhänger der' anarchistischen Richtung in Bern ziemlich vollzählig, konnte ihre Bedeutung beurtheilen und wusste auch ihre Beziehungen zu andern Gruppen.

Als geistiges Haupt der Berner Gruppe erschien seit dem Weggange Kennel's der bereits erwähnte Sodenmütter. Neben ihm hatte mit Bezug auf geheime Correspondenz am thätigsten gewirkt Jalcob Brenner, Schneider aus Hördt im Elsass, von welchem ein chiffrirter Brief, enthaltend die Adressen bekannter Anarchisten, bei Viktor Otter in Preiburg gefunden worden war und welcher unter Deckadresse Briefe aus Winterthur- und Lausanne und auch von dem ausgewiesenen Moriz Schultze erhalten hatte.

Die Spedition der Most'schen « Freiheit » besorgte in letzter Zeit der bei Felchlin arbeitende Christian Locher, welcher aiich die Stellmacherplakate erhalten und in's Vereinslokal gebracht hatte.

Die von der Berner Polizei als gefährlich betrachteten Gebrüder Weinstein schienen, für diese Dinge gar nicht in Betracht zu fallen.

Dominik Schön zeigte sich, wie einige andere, als unverschämter Eaisonneur. Im Grossen und Ganzen aber gewann man den Eindruck, dass die Berner Gruppe seit dem Wegzug Kennel's nicht viel zu bedeuten habe, und dass die meisten Mitglieder des Vereins « Freiheit » mit Kammerer, Stellmacher und Konsorten denn doch keine Gemeinschaft haben wollten. Auch Wittwe Knuchel geb.

Purrer, welche zu Kammerer's Zeit eine aktive Rolle gespielt hatte, scheint, momentan zurückgetreten zu sein.

In St. Gallen, wohin wir uns nun wenden müssen, hatten sich ebenfalls keine Anhaltspunkte ergeben, welche auf das Bestehen eines Komplottes gegen das Bundesrathhaus hinwiesen. Man besass dort von Pormanek's Zeiten her ziemlich genaue Personalkenntniss, welche durch die Erhebungen der gegenwärtigen Untersuchung im Wesentlichen bestätigt wurde.

Als der gefährlichste und thätigste unter den St. Galler Anarchisten galt von jeher der in Borschach wohnende Seilergeselle Joseph Klinger aus Aussig in Böhmen. Ausser diesem waren verhaftet worden in Tablât Martin Etter, Schreiner aus Göttingen, und in Nieder-Uzwyl Johann Dorsi, Maschinenschlosser aus Jedlesee bei Wien, und in St. Gallen vier bekannte Mitglieder der dortigen Anarchistengruppe. Zwei
weitere -- Eemlinger und Nikitscher -- hatte man einstweilen nicht gefunden. Etter wurde am 6. März der Haft entlassen, er scheint, keine grosse Bedeutung zu haben.

Am gleichen Tage wurde freigelassen Joseph Ko-ubsky aus Jedla in Oesterreich, Drechsler in St. Gallen, welcher im Frühjahr 1884

617 wegen anarchistischer Umtriebe aus Wien ausgewiesen worden war und sich in St. Gallen der anarchistischen Gruppe angeschlossen hatte. Derselbe ist ausgesprochener Anarchist und nimmt ohne Zweifel an der Aktion thätigen Antheil, man fand auch bei ihm einen Revolver und eine ziemliche Zahl anarchistischer Zeitungen.

Eine Führerrolle schien er jedoch, nicht zu spielen. Am 12. März konnte entlassen werden Jakob Wackenreuter aus Neustadt a. d.

Saale, Schneider in St. Gallen, ein eifriger Verfechter propagandistischer Grundsätze, der indess gleich Koubsky und Etter kaum fähig schien, sich an einem Attentate, wie das in Frage stehende, aktiv zu betheiligen. Längere Zeit nahm die Untersuchung gegen Adolf Brylicki, Schuster aus Krakau, und Franz Zalvradniczecli,, alias Gärtner, Möbelschreiner aus Schwalkewicz in Mähren, in Anspruch.

Brylicki sollte sich laut erhaltener Mittheilung anerboten haben, Dynamit nach Oesterreich zu liefern, und es war möglich, dass er dasjenige Mitglied war, das auch die Dynamitlieferung in der Schweiz zu besorgen hatte- Darauf schien, der Warnungsbrief vom 1. März hinzudeuten, nach welchem die Lieferung des Sprengmaterials nach der Verhaftung Brylicki's auf einen andern Genossen übertragen worden sein sollte. Brylicki war wegen anarchistischer Umtriebe aus Wien ausgewiesen, führte von St. Gallen aus eine lebhafte Correspondenz, die er sorgfältig geheim hielt, und war eines der hervorragendsten Mitglieder der ostschweizerischen Gruppe.

Zahradniczeck war schon seit längerer Zeit wegen seiner propagandistischen Thätigbeit bekannt und seine Behauptung, er habe sich in jüngster Zeit zurückgezogen, erwies sich als unglaubwürdig, da er sich noch im September 1884 beim Schmuggel der Most'schen Freiheit nach Oesterreich betheiligte. Es musste vielmehr angenommen werden, Zahradniczeck sei auch heute noch der Führer der St. Galler Gruppe. Nachdem aber alle Nachforschungen betreffend eine Betheiligung von Brylicki und Zahradniczeck bei einem allfälligen Komplotte gegen das Bundesrathhaus resultatlos geblieben waren, wurden auch diese beiden am 21. März der Haft entlassen.

Am 25. MäTz folgte ihnen der bereits genannte Johann Dorst, welcher durch seine Verlogenheit eine Verzögerung der Untersuchung betreffend seine Person verursacht hatte und neben Klinger einstweilen als einer der
getährlichsten zu betrachten war. Dorst suchte sich jedoch, bald der über ihn verhängten Polizeiaufsicht zu entziehen, indem er Nieder-Uzwyl verliess. Er wurde in Folge dessen in Winterthur neuerdings verhaftet und nun bis zum Schlüsse der Untersuchung festgehalten.

Joseph Klinger, der Seilergeselle in Rorsehach, endlich wurde nicht mehr freigelassen. Man war von vorneherein entschlossen, Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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618 ihn festzuhalten, bis er vor Gericht gestellt oder aus dem Lande gewiesen werden könne, denn man wusste seit Langem, dass man in ihm einen ebenso klugen als entschlossenen und verwegenen Führer der Propaganda der That vor sich hatte. Es konnte als sicher betrachtet werden, dass Klinger dabei war, wenn überhaupt ein Komplott gegen das Bundesrathhaus bestand, und auf ihn einzig konnte die Stelle im Warnungsbrief vom 1. März bezogen werden: « Einen davon haben Sie. » Er hatte unmittelbar vor seiner Verhaftung einen Artikel gegen die Schweiz geschrieben, welcher am 5. März im « Eadikal » erschien und in welchem gesagt war, dass er «die freie Schweiz bis zum 7. März verlassen müsse», eine unwahre Behauptung. Er hatte aber kurz nach seiner Verhaftung von dem berüchtigten Anarchisten Knauerhase in London Fr. 75 « für eine Eeise » erhalten, und es Hess sich somit vermuthen, dass Klinger für die nächste Zeit « etwas » vorhatte. Denn Klinger war bisher in Eorschach nicht belästigt worden und hatte keine Veranlassung, die Schweiz zu verlassen, wenn nicht ein besonderer Grund, den er nicht nennen wollte, dazu vorlag.

Neben den Verhafteten wurden In St. Gallen und NiederUzwyl auch andere Parteigenossen einvernommen und bei solchen Haussuchungen vorgenommen. Es ergab sich, dass die dortigen Gruppen unter sich und mit Klinger in regem Verkekr standen und dass deren gemeinschaftliche Thätigkeit fast ausschliesslich darauf gerichtet war, anarchistische Druckschriften, insbesondere die « Freiheit » nach Oesterreich zu schmuggeln. Auch sind die Mitglieder dieser Gruppe meist österreichische Staatsangehörige.

Endlich ergab es sich, dass diese Gruppen auch mit Winterthur und Zürich in Verbindung standen.

Während so in Bern und St. Gallen die Organisation und der Bestand der anarchistischen Gruppen festgestellt wurden, fanden auch anderwärts verschiedene Untersuchungshandlungen statt, bei welchen theilweise die Mitwirkung der kantonalen Behörden in Anspruch genommen werden musste.

Es galt zunächst auch, der Spur der drei in Zürich Verhafteten zu folgen und diese führte in Zug auf den Cigarrenmacher Jakob Bertschi von Dürrenäsch, Kanton Aargau, und in Lugern auf den Schuster Heinrich Friedrich Julius Peters aus Mölln in Lauenburg.

Diese beiden waren lange Zeit Agenten der « Freiheit » gewesen und bekannt als
Anarchisten extremster Richtung. Es waren daher sofort nach Anhebung der Untersuchung entsprechende Kogatorien an die Behörden von Zug und Luzern abgegangen.

Die in Folge dessen in Lugern gemachten Erhebungen förderten wenig Neues zu Tage. Petersen behauptete, in jüngster Zeit

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nicht mehr Agent der « Freiheit » gewesen zu sein, und ein Martin Glaser aus Neusteinhof in Böhmen, an welchen dieselbe seither aus New-York gelangt war, gab vor, er habe die Sendungen nicht bestellt und stets vergessen, dieselben zu refüsiren, er habe aber die « Freiheit » nicht vertheilt, sondern verbrannt und wisse auch nicht, wie viel Exemplare ihm jeweilen zugeschickt worden seien. Auch Schuster Felber, bei welchem Peters als Geselle arbeitete, spielte den Harmlosen, und dabei hatte es vor der Hand sein Bewenden.

Für die Annahme, dass die Fäden eines Komplottes in Luzern zu suchen seien, lagen, abgesehen von der bereits erwähnten Untersuchung gegen W. R., durchaus keine Anhaltspunkte vor. So konnte man hier einstweilen von weiteren Massnahmen abstrahiren, und auch später lag dazu kein Anlass vor, obschon es sich zeigte, dass die genannten Personen, namentlich Peters und Glaser zu den thätigen Mitgliedern der Partei gezählt werden müssen.

In Zug dagegen führte der Umstand, dass Oigarrenmacher Bertschi unmittelbar nach Anhebung der Untersuchung nach New York verreisen wollte, zu welchem Zwecke er bereits seinen Koffer nach Basel spedirt hatte, am 3. März zur Verhaftung BertschiV Man fand auf ihm einen Abschiedsbrief eines gewissen Ernst Feix n Zug, in welchem Bertschi auf den Tag der Revolution vertröstet wird, und der zum Schlüsse die Bemerkung enthielt : « Weisst, wie nothwendig hier verschiedenes gebraucht wird, welches Du besorgen kannst », woraufhin auch Feix>festgenommen wurde. Als man dem Feix den Brief vorwies, fing er an, zu zittern, und antwortete in grosser Verlegenheit, er habe den Brief nur geschrieben, um Bertschi Trost einzuflössen, mit der Schlnssstelle habe er nicht viel gemeint.

« Es war vielleicht mein eigener Fehler, dass ich so schrieb. Ich habe nur eine Zeitung gemeint». Bertschi behauptete, er habe nach Amerika auswandern wollen, weil ihm um seiner Ansichten willen die bisherige Stelle gekündet worden sei, und er hofl'e, in New York durch einen Freund Arbeit zu finden. Kr will nicht einverstanden sein mit den Most'sohen Theorien und bezeichnet Feix als den « Extremeren ». Die >S chiuse stelle in dem erwähnten Briete kann er nur auf Zeitungen beziehen. In Bertschi's Koffer, welcher in Basel angehalten und geöffnet wurde, fand sich nichts Verdächtiges vor. Nachdem Hr. Dedual
die Beiden noch persönlich einvernommen hatte, und die Untersuchung keine Belastungsmomente gravirender Art gegen dieselben zu Tage förderte, wurden Bertschi und Feix am 15. März aus der Haft entlassen. Feix begab sich nach Mailand, Bertschi fand Arbeit in Payerne und gab sein Auswanderungsprojekt auf.

Ebenfalls in diese Periode der Untersuchung fällt diejenige betreffend den Mechaniker Christian Hermann Wageribret in Basel,

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welcher im Verdachte stand, am 21. Februar einen anonymen Drohbrief an den Bundesrath geschrieben zu haben, sowie die Untersuchung gegen Gabriel Charitat aus Frankreich, welcher am 21. März, in Freiburg verhaftet wurde, weil er in Bern einen Aufruf anarchistischen Inhalts verbreitet hatte. Beide Fälle haben aher weder mit dem Attentat auf das Bundesrathhaus, noch mit den anarchistischen Umtrieben in der Schweiz direkten Zusammenhang, laufen, neben der allgemeinen Untersuchung während der ganzen Dauer derselben her und werden daher später besonders erörtert werden.

Dagegen müssen wir noch zwei Fälle kurz erwähnen, deren Verfolgung zwar zu keinem Besultate führte, die aber doch in diesem Berichte nicht vollständig übergangen werden dürfen.

Der Erste betrifft den Schneider Gustav Lücke aus Kretzen in Ungarn. Derselbe war am 25. Februar von Langenthal nach Wohlen (Aargau) gefahren und hatte sich laut privaten Mittheilungen im Eisenbahnwagen in anarchistischen Reden ergangen.

Man vermuthete in ihm nach dem angegebenen Signalement einen gewissen Thomas Tiefenbacher aus Luggen in Kärnthen, welcher sich in Wohlen aufgehalten haben sollte und als gefährlicher Anarchist signalisirt war. Lücke wurde am 9. März in Wohlen ausfindig gemacht und gab an, uru's Neujahr vierzehn Tage in La Chaux-de-Fonds und von da mit Unterbrechungen von je einigen Tagen, Arbeit suchend, über Neuenburg, Biel, Bern und Langenthal nach Wohlen gereist zu sein. Er bestritt, mit Tiefenbacher identisch zu sein, oder der anarchistischen Partei anzugehören. Die veranstalteten Erhebungen ergaben die Richtigkeit seiner Angaben, so dass sich die Untersuchung nicht weiter mit ihm befasste.

Der andere Fall betrifft einen Jakob Egli, Schneider aus Brütten, Kanton Zürich, welcher sich Anfangs März unter dem falschen Namen Henri Müller in Nyon niedergelassen hatte. Man vermuthete in ihm den Jakob Müller, welcher in den Warnungsbriefen erwähnt war und an welchen der Wabern-Brief adressirt war. Es zeigte sich indessen bald, dass Jakob Egli den falschen Namen nur desshalb angenommen hatte, weil er im Jahr 1876 wegen Mangel an Subsistenzmitteln aus dem Kanton Waadt ausgewiesen worden war. Und so hatte sich die Untersuchung auch mit ihm nicht weiter zu befassen.

Resultatlos oder für die Untersuchung ohne erhebliche Bedeutung waren die Nachforschungen,
welche um diese Zeit ausserdem in Biel, Burgdorf, Thun, Ölten, Aarau, Zofingen, Arbon und Frauenfeld angestellt wurden.

So schloss etwa um den 25. März der erste Abschnitt der am 26. Februar begonnenen Aktion. Man hatte in St. Gallen, Bern,

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Zug, Luzern und an einigen andern Orten Einsicht in die Organisation und den Bestand anarchistischer Gruppen gewonnen und die Kenntniss der in Frage kommenden Personen erheblich vermehrt, dagegen von einem Komplotte behufs Sprengung des Bundesrathhauses keine sichere Spur gefunden, eben so wenig aber Anhaltspunkte dafür gewonnen, dass die ganze Attentatsgeschichte Mystifikation sein könnte. Die Berichte aus der französischen Schweiz, über welche weiter unten zusammenhängend referirt werden soll, lauteten ziemlich übereinstimmend. So musste man sich sagen, dass für einen schliesslichen Erfolg nur sehr wenig Aussicht vorhanden sei und dass nur eine unermüdliche in's kleinste Detail gehende Untersuchung, bei der alle Kräfte herangezogen würden, zum Ziele führen .könne. Man war entschlossen, keine Anstrengung zu scheuen, und schritt sofort zu weiteren Operationen.

Bevor wir uns indessen mit denselben befassen, erscheint es angezeigt, die inzwischen mit Bezug auf das Attentat gegen das Bundesrathhaus erwachsenen neuen Beweise zu durchgehen.

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2. Weiteres Beweismaterial.

Die Indizien, welche dafür sprachen, dass an dem Attentat auf das Bundesrathhaus doch etwas sei, schienen sich, immerhin fortwährend zu mehren.

In der vom 21. Februar 1885 datirten Nr. 8 der Most'schen Freiheit, welche Ende Februar oder Anfangs März in Bern anlangte, stand folgender Artikel: « An die Oberordnungs-Banditen der verschiedenen Länder Europa's ist unlängst folgende Proklamation geschickt worden: « Hütet Euch ! Eure Contre-Kevolution ist nutzlos. Ihr habt die freie Schweiz zu einem niederträchtigen Pakt gezwungen und ·wollt gleichzeitig England den Puls fühlen. Hütet Euch ! In England dynamitert es bereits gewaltig. Die Schweiz kann wns ·nicht entgehen. Auch in andern europäischen Hauptstädten haben wir unsere Vorkehrungen getroffen. Die Fenier und die Franzosen, die deutschen und die schweizerischen Anarchisten sind Brüder. Einer für Alle und Alle für Einen! Unser Vaterland ist die Welt. Der Palast, in welchem Euer Vertrag abgekartet und unterzeichnet wurde, soll solchem Zwecke niemals wieder dienen. Die Anarchisten werden auf dem Platze, wo er steht, Salz streuen und die Erde umpflügen.

« Allgemeines Wuthschnauben, diktirt von heidenmässiger Angst, hat sich seitdem auf der ganzen Linie der Reaktionäre hören lassen.

So ist es recht. Die Sippschaft darf nicht mehr zur Ruhe kommen. »

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In der bei einer Haussuchung aufgefundenen Nummer 7 des « Rebell » vom Dezember 1884 war zu lesen : « Die Mameluken der schweizerischen Bourgeoisie sinken täglich tiefer und tiefer. Seit Monaten sitzen in Zürich unsere Genossen Kaufmann, Stevens in Untersuchung, ohne dass denselben etwas Strafbares nachgewiesen werden konnte. Selbst der Staatsanwalt sah sich veranlasst, das von der Polizei begehrte Strafverfahren zurückzuweisen, bis auf das Drängen von Oben herab eine Verhandlung inscenirt und die Angeklagten freigesprochen wurden.

Wie wir erfahren, sind Genossen Kaufmann und Stevens abermals und zwar sofort nach ihrer Freilassung verhaftet worden. Diese Schurkerei übersteigt alles, was das elende Bedienten-Gesindel der europäischen Keaktion bis dato geleistet. _E« ist Zeit, dass auch da einmal eine nachdrückliche Antwort erfolgt, welche jedenfalls nicht lange auf sich warten lassen wird. » Auch in der « Daily News » erschien Ende März ein Artikel, in welchem ein Correspondent, einem Anarchisten, der sich aus Genf geflüchtet haben sollte, u. A. folgende Worte in den Mund legte: « Sie spielen auf die Schweiz an, aber wissen Sie nicht, dass, soweit, es Fremde betrifft, keine intolerantere Regierung existirt, als diejenige der Schweiz? Ihre sogenannte Gastfreundschaft ist falscher Schein und vom Moment an, da ein Fremder mit dem Anschein, seinen Aufenthalt nehmen zu wollen, in's Land kommt, ist er einem inquisitorischen System der Spionage unterworfen. Man weiss alles über ihn, und er muss wahrhaft studirte Vorsicht übeii in all' seinem Thun und Lassen, wenn er sich nicht jeden Augenblick aussetzen will, gepackt und in's Gefängniss geschleppt zu werden, wo er weder Gerechtigkeit noch Milde findet. Ich selber, obschon ich alle Sorge getragen, um nicht in die Hand des Gesetzes zu fallen, bin doch mit inquisitorischer Wachsamkeit beobachtet worden, und da ich voraussetzte, dass auch ich in dem kürzliehen Beschluss der allgemeinen Verhaftungen mit inbegriffen sein würde, habe ich es vorgezogen, mich auf die sichere Seite der Grenze zu begeben. Das Eesultat der gegenwärtigen strengen Massregeln von Seite der Schweiz gegen die Anarchisten wird Wiedervergeltung sein. In Genf und Umgebung allein weilen mehr als 2000 Nihilisten, während die durch die Schweiz zerstreuten Nihilisten, Socialisten und Anarchisten
eine nahezu 5000 Mann starke Armee ausmachen. Solche Macht kann nicht zerstört werden, indem man bloss einige Glieder von der Einheit ablöst u. s. w. Most kenne iclj persönlich und ich kann sagen, dass es für England ein unglücklicher Tag war, als es diesen Mann in's Gefängniss setzte.

Derselbe ist eine Macht geworden und macht seinen Einfluss in

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allen Ländern Europa's geltend ; seine « Freiheit » ist überall verbreitet und deren Cirkulation kann nicht gehemmt werden. Und von dieser vollständig getrennt werden taglich in Frankreich, Deutschland und England Tonnen von Schriften gedruckt und überall hin verbreitet, um den revolutionären Geist in Thätigkeit zu erhalten. Die Dynamit-Politik hat in England begonnen und anderwärts Nachahmung und Anhang gefunden, da man deren Wirkung gesehen. Unter den Eevolutionären sind Männer, die all' ihre wissenschaftlichen Kenntnisse dazu verwenden, um einen noch wirksameren und zugleich einen ungleich kleinern Raum einnehmenden Sprengstoff zu finden, als der Dynamit ist. Die Dynamit-Politik hat die Hülfsmittel Englands vollständig in Anspruch genommen, und in Irland ist ein ganzes Armeekorps nothwendig geworden, trotzdem rüttelt der Revolutionsgeist an seinen Ketten und wird dieselben in Bälde brechen. In England hat man es für nöthig gehalten, ein ganzes Korps von Spionen /.u organisiren. Ich sage Ihnen, mein Herr, wichtige Ereignisse sind in raschem Anzüge und zwar nicht nur in England, sondern auch in der Schweig, Deutschland und Russland. Zehntausend Männer sind bereit, ihr Leben in die Schanze eu schlagen, um eine glücklichere Zukunft zu schaffen.» Bei Paul Schultze in Genf fand man einen Brief seines aus der Schweiz ausgewiesenen Bruders Moriz, datirt: New-York, den 5. November 1884, in welchem unter anderem folgendes gesagt war : « In deinem letzten Briefe an Most hast du dich ja in wenig erfreulicher Weise über die künftige Situation der Schweizer Genossen ausgelassen. Ueber diese von Euch nunmehr zu beobachtende Vorsicht wird schliesslich das Ganze einschlafen! Oder? Meiner Ansicht nach müsste der Provokation von Seiten des Schweiz. Bundesrathes ein Dämpfer aufgesetzt werden. » Am 1. März erhielt Herr Bundesrath Schenk einen « St. Gallen, Februar 1885 » datirten, am 1. März, Morgens 8 Uhr, in Winterthur zur Post gegebenen Brief, augenscheinlich herrührend von dem ersten Warner, welcher lautete : St. Gallen, Februar 1885.

Tit.

Der neue provisorische Vollziehungs-Ausschuss der Schweiz.

Anarchisten hat gestern folgende Beschlüsse gefasst : (Wörtlich) 1. Auf die Entdeckung des Verräthers der guten Sache sind 4000 Fr. ausgesetzt, auf dessen Vernichtung 2000 Fr.

2. Wenn die Zahl der Ausweisungen sich vermehrt, so verfallen sämmtliche Mitglieder des Bundesrathes, sowie Anwalt Müller in Bern, Dedual von Chur und Berdez von Lausanne der Todesstrai'e.

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3. Die Vollzieher der Strafe werden, durch das Loos bezeichnet.

4. Die Sprengung des Bundesrathhauses ist durchzuführen.

5. Die Vollzieher werden durch das Loos bezeichnet. Sie erhalten ihre Instruktion von 27 und 43.

6. Das neue Verkehrsreglement tritt am 1. März in Kraft.

7. Die Beschaffung des Sprengmaterials wird auf 16 übertragen.

8. Geld, Pässe und Material kann an den bisherigen Orten erhoben werden.

Weitere Einzelheiten wurden uns nicht mitgetheilt, sie bleiben einstweilen Geheimniss des Vollziehungs-Vorstandes. Es herrscht unter den Genossen unheimliche Rührigkeit. loh will mein Möglichstes thun, Unglück zu verhüten, aber suchen Sie um Gotteswillen meine Spur nicht, es wäre mein sicherer Tod. Ich fühle meine Schuld, ich will sie sühnen auf diesem Wege. Ich will die Bedrohten warnen, ich will Verbrechensanschläge vereiteln, aber ich darf mich nicht nennen, sonst bin ich unrettbar verloren. Sie werden die gefährlichsten Genossen nicht so leicht in Ihre Gewalt bekommen, weil sie nie an öffentlichen Versammlungen Theil nehmen, die Organisation ist so raffinirt, dass es einem gewiegten Detektiv schwer fiele, sie genau zu ergründen ; die Verhaftungen, welche Sie vorgenommen, sind zum grossen Theil für uns gleichgültig, erst wenn Sie die richtigen belästigen, und einen davon haben Sie, so wird Beschluss 2 vollzogen.

Haussuchungen werden nie viel zu Tage fördern, weil kein Genösse die Sache betr. Papiere und Material bei sich aufbewahren darf.

Most treibt mit aller Kraft daran, nicht nur mit Dynamit, sondern besonders auch mit Feuer zu operiren, überall an allen Ecken, Furcht und Entsetzen einzuflössen.

Sind Ihnen an den im letzten Briefe bezeichneten Orten keine Briefe in die Hände gefallen ? Wenn ja, so lassen Sie mich es wissen, dann müssen anderwärts auch noch solche sein, weil an den gleichen Genossen im Ganzen 7 Correspondenzen abgegangen sind, wovon er nur 3 abholen konnte, weil, wie er selbst sagte, man ihm jedenfalls auf den Fersen war. Lassen Sie ja nichts verlauten, dass Ihnen Briefe in die Hände gespielt worden, man könnte mir auf die Fährte kommen, weil nur etwa 15 Genossen wissen, wohin jene Briefe spedirt wurden.

Sollte ich dennoch verrathen werden, so werden Sie mich nicht lebend erwischen. Lieber will ich mich selbst tb'dten, als durch Genossen ermordet werden. »

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Am 3. März wurde in Paris ein Brief an den Bundesrath der Post übergeben, überschrieben : « Les représentants des comités anarchistes et révolutionnaires de Paris au conseil fédéral suisse. » In diesem Briefe war u. a. gesagt: « Noch ist es Zeit, treiben Sie uns nicht zum Aeusserten, stellen Sie die angeordnete Untersuchung ein und geben Sie ihr unter keinen Umständen Folge, denn Sie würden damit Ihr Todesurtheil aussprechen.

« Wir können Ihnen sagen, dass alle Vorsichtsmassregeln nichts nützen werden und dass unser Wille an dem Tage, den wir bestimmen, vollzogen werden wird. Euer Präsident mag sich lange mit zahlreichen Wachen umgeben, er wird wie ein Hund sterben, denn wir werden seinen Palast in die Luft sprengen. Wir haben schon erfahrenere Polizei getäuscht, als die Ihrige. Geben Sie daher Acht. Machen Sie nicht die Polizisten Bismarck's, Sie haben eine edlere Aufgabe zu erfüllen. Geben Sie uns das Asyl, auf welches wir ein Recht haben, und reichen Sie uns die Bruderhand. Dann werden wir mit Ihnen sein. Wenn Sie sich aber als unsere Feinde erklären, dann wird Ihr Schicksal schrecklich sein !

« Noch ist es Zeit. Zeigen Sie, dass Sie nicht ebenfalls Unterdrücker des Volkes sind.

« Ihr Schicksal ist in Ihren Händen, Sie haben zu entscheiden.

« Wir hoffen für Sie, dass wir nicht genöthigt sein werden, Sie energischer zu mahnen. » Am 12. März langte in Bern ein fernerer Brief an, datirt « New-York, 25.JII. 8 5 » , welcher unzweifelhaft am 26. Februar in New-York der Post übergeben worden war. Der Brief war an Hrn. Bundesrath Ruchonnet adressirt und in schlechtem Französisch geschrieben. Der Schreiber dieses Briefes erklärte, dass er «weder Anarchist, noch Socialist, noch ein unglücklicher Unzufriedener » sei, dass er aber seit zwei Jahren einer geheimen Gesellschaft angehöre, deren Name nicht bekannt sei und die nur etwa zwanzig Mitglieder in der ganzen Schweiz zähle. Er habe sich in den Verband dieser Uebelthäter aufnehmen lassen, indem er sich gestellt habe, als sei er mit ihnen einverstanden, und weil'er beabsichtige, ein Buch über verschiedene geheime Gesellschaften zu schreiben.

Nachdem er nun aber täglich von der Ausbreitung des Anarchismus in der Schweiz gelesen habe, fühle er sich als Sehweizerbürger gezwungen, verschiedene Mittheilungen zu machen, um wo möglich Unglück zu verhüten und die schlechten Pläne jener Elenden zu durchkreuzen.

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Die grossie Zahl jener Leute sei in Zürich und Genf und an ersterm Orte sei das Hauptbureau. Es seien meist Deutsche oder Oesterreicher.

Mit Bezug auf die angedrohte Sprengung des Bundespalastes könne er folgendes sagen : Es sei dieser Beschluss schon seit ziemlich langer Zeit gefasst worden, aber der Moment zur Ausführung sei noch nicht gekommen. Ein wie ein Gentleman gekleideter Deutscher mit blondem Bart und Schnurrbart, ziemlich gross und stark, sei mit der Ausführung betraut gewesen. Sollte man seit seiner (des Briefschreibers) Ankunft in Amerika einen andern beauftragt haben, so werde er es in Kurzem melden können. Der Betreffende werde die Sprengmaschine in einer kleinen Tasche (porte-poche) oder vielleicht unter seinem Hute tragen. Er sei beauftragt, dieselbe mitten im Palast, etwa im Audienzsaal, wo die japanesischen Sachen sind, abzulegen. Er werde das Gebäude besichtigen und bei diesem Anlasse die Kiste ablegen. Dann werde er dem Aufseher 5 Pr. oder mehr geben, um ihn zu verwirren, und sagen, er habe etwas vergessen, um sich schnell zu entfernen.

Das Ganze sei das Werk einiger Minuten und, um eine schwere Explosion zu vermeiden, solle man überall Gefässe mit Wasser hinstellen, in welches die Maschine, wenn sie entdeckt werde, geworfen werden müsse. Die Uhr, welche die Entzündung bewirke, stehe im Wa
Endlich gelangte am 13. März ein Brief an das eidgen. Justizund Polizeidepartement, der am 12. März in Zofingen zur Post gegeben worden war und lautete : « Tit. Justiz- und Polizeidepartement zu Händen des Bundesrath und Bundesversammlung der Schweiz. Eidgenossenschaft.

« Heute hat der Anarchistenbund der Mittelschweiz beschlossen: unbedingt das Attentat auf das Bundesrathhaus
zu vollziehen, und die Nationalräthe, Ständeräthe, begreiflich aber vorerst die Bundesrathe und Kleeblatt mit Dynamit zum Teufel zu sprengen. Es wird sich dann zeigen: ob die Höllenmaschine oder Bundeshudelcompanie der stärkere zieht.

627 « Beschlossen und ausgeführt in Zofingen am Tage der Mittefasten ! Methode Dynamit macht's präzis um 12 Uhr.

« Daher Fluch und Rache ! !

« Vom Anarchisten-Bund ».

Mochte man über diesen letzten Briet' denken, wie man wollte, so waren folgende zwei Aktenstücke eher von Bedeutung : Schon vor Anhebung der Untersuchung hatte die Redaktion des « Bund » einen Drohbrief erhalten und dem Justizdepartemente übermittelt, welcher über einem Zeitungsausschnitt die Worte enthielt : « Si vous tenez à vos presses ménagez vos expressions ».

Statt der Unterschrift stand unter diesen Worten « N" 2 ·» und daneben waren zwei gekreuzte Dolche gezeichnet. Dieser Brief war am 17. Februar 1885 in La Chaux-de-Fonds der Post übergeben worden.

Am 22. Februar langte in Bern ein ebenfalls an die Redaktion des « Bund » adressirter Brief an, welcher in Montreux am 21. zur Post gegeben worden war und welcher lautete : « Justice ou Feu

Egalité Travail et Sang !

« Montreux le 21. II. 1885.

«Monsieur le rédacteur du Bund à Berne.

« Pour le bien public, pour la tranquillité de votre peuple, au nom du Comité Révolutionnaire nous confirmons aux Autorités Fédérales l'avertissement qui leur a été adressé par l'intermédiaire de votre estimable journal.

< Nous vous prions donc d'avertir à nouveau le conseil Fédéral, car les conséquences qui résulteraient de l'expulsion de nos confrères seraient certainement à, regretter pour le pays tout entier.

« Nous vous saluons Monsieur le Eédacteur.

Quelques partisans de la bonne cause, en séjour à Montreux ».

Am 1. März erhielt der Bundesrath vom Polizeipräsidenten von Prankfurt einen andern Brief zugeschickt, welcher an die Polizeidirektion von Frankfurt gelangt war und mit Bezug auf die Untersuchung gegen den Mörder Rumpff's Drohungen enthielt.

Auch dieser Brief, der iu La Chaux-de-Fonds am 5. Februar zur Post gegeben worden war, war unterzeichnet mit « N° 2 » und den beiden gekreuzten Dolchen.

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Diese beiden Briefe waren augenscheinlich von derselben Hand geschrieben und damit darüber ja kein Zweifel bestehe, so waren sie sogar auf zwei Oktavblätter desselben Papiers geschrieben, die ursprünglich zusammen einen Bogen gebildet hatten.

Mit Bezug auf die Frage, ob wirklich ein Komplott gegen das Bundesrathhaus bestehe, mussten diese neuen Beweisstücke zu folgenden Betrachtungen Anlass geben : 1. Es durfte angenommen werden, dass die beiden letzterwähnten in La Chaux-de-Fonds aufgegebenen Briefe keine Mystifikation waren, sondern dass dieselben vollständig ernst zu nehmen seien.

2. Bei diesen Briefen musste auffallen, dass dieselben ebenfalls mit N° 2 gezeichnet waren, doch war N° 2 in Winterthur nicht nothwendig identisch mit N° 2 in La Chaux-de-Fonds und war es ja überhaupt nicht sicher, ob der oder die ßriefschreiber auch wirklich in Winterthur und in La Chaux-de-Ponds wohnten.

3. Es war kaum glaublich, dass der New Yorker Warnungsbrief blosse Mystifikation sein könne. Derselbe war zu einer Zeit geschrieben, wo in New York schwerlich Jemand wissen konnte, dass der Bundesra.th eine Untersuchung anzuordnen gedenke. Auch hätte es ungewöhnliche Vorsicht seitens eines Mystifikanten vorausgesetzt, wenn man hätte annehmen wollen, der Autor der Schweizer Warnungsbriefe stehe auch zu dem New Yorker Warnungsbrief in Beziehung. Und zwei Mystifikanten, welche zufällig zur selben Zeit unabhängig von einander auf * dieselbe Idee verfallen, durfte man nicht vermuthen. Es sprach daher die grösste Wahrscheinlichkeit dafür, dass der New Torker Brief ernst zu nehmen sei. Doch mag dabei schon hier daran erinnert werden, dass Kammerer, als er den Glauben zu erwecken suchte, dass er in Amerika sei, sich nicht damit begnügte, dies in der « Freiheit » zu publiziren, sondern dass er auch einen Brief nach Amerika schickte, um denselben von New York aus an seine Mutter in Plorisdorf spediren zu lassen. Es war immerhin möglich, dass ein Mystifikant sich Kammerer zum Muster genommen hatte.

4. War der New Yorker Brief ernst zu nehmen, so folgte daraus, dass auch die Schweizer Warnungsbriefe ernst genommen werden mussten, denn sie stimmten in der Hauptsache auffallend mit dem New Yorker Briefe überein.

5. Grosse Bedeutung mnsste dem Artikel in Nummer 8 der « Freiheit » beigelegt werden, worin gesagt war : « In
England dynamitert es bereits gewaltig. Die Schweiz kann uns nicht entgehen ». Wir haben oben an zwei Beispielen gezeigt, welche Bedeutung solchen Aeusserungen des Hauptorgans der Anarchisten der

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That zukommt. Hier wurde die Bedeutung jener Stelle noch erhöht durch die feindselige Haltung, welche die « Freiheit » seit geraumer Zeit gegenüber der Schweiz und speziell gegenüber dem Bundesrathe eingenommen hatte ; durch die vom Dezember 1884 datirende Drohung des « Rebell » : « Es ist Zeit, dass auch da einmal eine nachdrückliche Antwort erfolgt, welche jedenfalls nicht lange auf sich warten lassen wird » ; durch den Artikel der « Daily News » und endlich durch den Brief Schulze's, nach welchem dem Bundesrathe « ein Dämpfer » aufgesetzt werden sollte. Dabei war zu beachten, dass der Artikel der « Freiheit » zu einer Zeit gedruckt worden war, wo man wiederum in New York über das bevorstehende Einschreiten des Bundesrathes unmöglich unterrichtet sein konnte.

Gegen das Vorhandensein eines bereits fertigen Komplottes schien der Pariser Drohbrief zu sprechen, da in demselben die^ Sprengung des Bundesrathhauses nur eventuell in Aussicht gestell war. Doch waren drei Möglichkeiten denkbar, unter deren Annahme auch der Pariser Drohbrief das Bestehen eines Komplottes nicht ausschloss. Entweder bestand in Paris eine Zentralleitung, welche nach Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesrathes beschloss, eine nochmalige Warnung resp. Drohung zu erlassen und für den Fall, dass dieselbe Erfolg haben sollte, von der Sprengung des Bundesrathhauses zu abstrahiren, oder der Brief wurde erlassen, um den Bundesrath zu dem Glauben zu veranlassen, der Plan habe bisher nicht bestanden, oder endlich es bestand zwischen Paris und der ostschweizerischen Gruppe kein direkter Zusammenhang und handelte jede derselben auf eigene Paust. Der Pariser Brief schien dagegen immerhin den Beweis zu liefern, dass man auch in Paris sich mit der Idee der Sprengung des Bundesrathhauses befasste.

7. Den Zofinger Drohbrief mit seiner bombastischen Sprache konnte man füglich als Mystifikation betrachten, .es sei denn man hätte annehmen wollen, derselbe sei etwa am Schlüsse einer Zusammenkunft im Bausche geschrieben worden. Jedenfalls durfte man aus ihm keine Schlüsse auf die Richtigkeit der Warnungsbriefe ziehen.

8. Nach dem Gesagten lag also eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass ein gegen das Bundesrathhaus gerichtetes Komplott wirklich bestehe und dass die dem Bundesrathe zugekommenen Warnbriefe vollkommen ernst zu nehmen
seien. Diese Wahrscheinlichkeit wurde nicht beseitigt durch die Unwahrscheinlichkeiten, welche der Warnbrief vom 1. März neuerdings enthielt, indem er die Nummerirung der Genossen bis auf Nummer 43 steigen liess, was gar nicht möglich wäre, neuerdings von der « Beschaffung » des Sprengmaterials sprach, welches nach den früheren Brieten

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schon beschafft sein sollte, und von 7 Korrespondenzen erzählte, welche alle an denselben Genossen abgegangen sein sollten. Es war ja immerhin denkbar, dass auch der Warner etwas faselte, um die Behörden von seiner Spur abzulenken. Es war denkbar, dass der Warner auch den Wabembrief t'abrizirt hatte, sei es um seine Warnung plausibler zu inachen, sei es, dass er überhaupt nur darauf ausging, im Bundesrathhause Furcht und Schrecken zu stiften. Es war endlich auch denkbar, dass Warnung und Wabembrief bestimmt waren, den Bundesrath zu kräftigerem Einschreiten gegen die Anarchisten zu veranlassen, und dass unabhängig davon die Idee, etwas gegen den Bundesrath zu unternehmen, in anarchistischen Kreisen bereits mehr oder weniger eingehend erörtert worden war. Kombinationen konnten da zu keinem Ziele führen, es blieb wiederum nichts übrig, als mit allem Nachdruck nach allen Richtungen hin Umschau zu halten.

4. Weitere Massnahmen in der deutschen Schweiz.

Man hatte nach den ersten vierzehn Tagen erkannt, dass mit Ueberrumpelung das Hauptziel der Untersuchung -- Ermittlung des Komplottes gegen das Bundesrathhaus, oder des oder der Verfasser der verschiedenen Droh-, Warnungs- und Instruktionsbriefe -- nicht zu erreichen sei. Nachdem der erste Coup in dieser Richtung vollständig fehlgeschlagen war, musste man an eine mehr systematische Behandlung der Sache denken und die Einleitungen dazu wurden getroffen, bevor die Einvernahme der zunächst verdächtig gewesenen und desshalb in Haft gesetzten Personen beendigt war.

Zu dem Zwecke namentlich wurde Herr Photograph Vollenweider in Bern beauftragt, je die erste Seite und die Adresse des Wabernbriefs, der Warnungsbriefe, des Wintertliurer- und des Zofinger Drohbriefs, sowie die beiden Briefe aus La Chaux-de-Ponds zu photographiren, und wurden dann die von den Originalien theilweise kaum zu unterscheidenden photographischen Abbildungen an die Polizeidirektionen derjenigen Kantone verschickt, in welchen man don oder die Urheber der Briefe vermuthen konnte. An der Hand dieser Photographien wurden nun überall die sorgfältigsten Nachforschungen durch Handschriftenvergleichung von Seiten der kantonalen Behörden vorgenommen und wir werden später sehen, mit welchem Erfolg.

Ausserdem wurde, sobald die Originalbriefe wieder zur Verfügung standen, in allen Papierhandlungen von Rorschach, St. Gallen, Winterthur und Zürich nach Papier und'Couverts gefahndet, welche

'631 den zu den verschiedenen Briefen verwendeten entsprechen möchten.

Es war das eine ausserordentlich zeitraubende Arbeit, einmal weil die Briefe immer nur in einer Hand sein konnten, dann aber auch, weil mit Ausnahme der beiden Briefe aus La Chaux-de-Fonds sämmtliche Briefe auf verschiedenem Papier geschrieben und in verschiedenen 'Couverts verschickt worden waren. So kamen für die deutsche Schweiz mindestens acht Papier- und acht Couvertsorten in Frage. Und obschon im Ganzen weit über hundert Papierhandlungen abgesucht wurden, gelang es erst sehr spät, für zwei Papiersorten in Winterthur die Pendants zu finden.

Selbstverständlich durfte man sich damit nicht begnügen, sondern musste die Untersuchung auch in der Richtung fortgesetzt werden, dass man überall dazu gelangte, die Anhänger der anarchistischen Partei, ihre persönlichen Beziehungen unter einander und ihr Thun und Lassen kennen zu lernen. In dieser Richtung ging ja die Untersuchung betreffend das Attentat Hand in Hand mit derjenigen betreffend die anarchistischen Umtriebe im Allgemeinen.

Man beschloss nun' zunächst die Kantone Zürich, Schaffhausen und Thurgau, mit welchen man sich bisher nur vorübergehend beschäftigt hatte, etwas °schärfer in's Auge zu fassen. Am 29. März fand zu dem Ende in Zürich eine eingehende Besprechung statt zwischen den Herren Regierungspräsident Dr. Stössel und Polizeihauptmann Fischer einerseits, Herrn Dedual und dem Unterzeichneten andererseits. Man kam überein, dass Hr. Polizeihauptmann Fischer am 30. März Morgens in Winterthur gegen den als Anarchist bekannten Wagnergesellen August Leonhard aus Schwerin und allfällige Genossen desselben vorgehen solle, während Herr Dedual und der Unterzeichnete noch am 29. nach Sehaffhausen gehen und dort am 30. gegen den Drechslergesellen Theodor Daschner aus Straubing in Bayern und einige Andere operireri wollten. Noch am 29. Abends fand auch mit den Schaffhauser Behörden eine entsprechende Verständigung statt und am 30. März wurde das am 29. Beschlossene vollzogen.

Befassen wir uns zunächst mit Schaffiiausen.

Dort war in erster Linie in Betracht zu ziehen der bereits erwähnte Theodor Daschner. Derselbe war bis zum Juli 1883 in Biel gewesen, war während dieser Zeit Agent der « Freiheit » und hatte auch eine anarchistische Gruppe gegründet. Er unterhielt von Biel aus
nahe Beziehungen mit den Berner Genossen und war speziell befreundet mit Kammerer. Dieser hatte ihn am 17./18. November 1883 in Begleitung eines Andern, der wahrscheinlich Kumitsch war, besucht, unmittelbar bevor dieselben ihre Mordreise nach Stuttgart unternahmen. Noch Ende 1883 hatte Daschner zwei Pakete des « Rebell»

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nach Deutsehland geschmuggelt. Seine in jüngster Zeit aufgestellte Behauptung, er habe sich seit Verübung der Mordthaten vom Anarchismus losgesagt, ist durchaus unglaubwürdig und wurde auch widerlegt durch die Eesultate der am 30. März bei ihm vorgenommenen Haussuchung, welche eine Anzahl anarchistischer Druckschriften aus neuester Zeit zu Tage förderte. Neben Daschner kam zunächst in Frage Reinhold Günther, Lehrer aus Berlin, welcher in täglichem g.eheimnissvollem Verkehr mit Daschner stand, sich viel in socialistischen Kreisen bewegte und von den Einen als Spion, von den Andern als Anarchist betrachtet wurde. Auch bei Günther wurde eine Haussuchung vorgenommen und Günther selbst abgehört. Sein intimer Verkehr mit Daschner ergab sich aus dem von ihm selbst geführten Tagebuche; in einem Aufsatze zu einem Vortrage schloss dagegen Günther, indem er gegen die Propaganda « durch die That » zu Felde zog. Aus andern bei ihm gefundenen Schriften ging hervor, dass er sich eifrig mit militärischen Fragen befasste. Auf seinem Arbeitstisch lag ein geladener sechsläufiger Revolver und daneben ein Bild mit den Photographien hervorragender russischer Nihilisten. Korrespondenzen wiesen darauf hin, dass Günther eher Socialdemokrat, als Anarchist sein möchte. Es war schwer, aus dein Mann klug zu werden, Ulme Zeit lang dachte man daran, er möchte die Nummer 5 sein, doch gab man den Gedanken bald wieder auf und beschloss, ihn einstweilen einfach im Auge zu behalten.

Neben diesen beiden waren von den Schaffhauser Behörden noch signalisirt worden Peter Kade, Uhrenmacher aus Glogau, und Karl August Hertel, Fabrikarbeiter aus Berlin. Ersterer entpuppte sich sofort als Socialdemokrat, Letzterer gab ebenfalls vor, dieser Richtung anzugehören. Man konnte ihm's glauben, obschon er zu den weitergehenden Elementen zählen dürfte und nach der bei ihm vorgenommenen Haussuchung kein Zweifel darüber besteht, dass er sich stark mit Schmuggel socialdemokratischer Litteratur nach Deutschland befasst. Das war aber kein Grund, gegen ihn einzuschreiten, und so liess man die beiden letztgenannten nicht weiter in Betracht fallen. Eine anarchistische « Gruppe » schien sonach in Schaffhausen nicht zu bestehen, denn Daschner, der einzige ausgesprochene Anarchist, verkehrte mit Niemandem, als mit Günther.

In Winterthur hatte inzwischen
Hr. Polizeihauptmann Fischer bei August Leonhard Haussuchung gehalten und denselben der Abrede gemäss verhaftet. Denn Leonhard gehörte zu den weitestgehenden Anhängern Most's und hatte bis in die jüngste Zeit sehr aktiven Antheil an der propagandistischen Thätigkeit genommen.

Nach Leonhard kam zunächst in Betracht der Schuster Carl Halbedl aus Wörismart in Ungarn, welcher in Eäterschen bei Winterthur

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niedergelassen war; ferner Hermann Haller von Zofingen, und Joseph Seidl aus Bilin in Böhmen, ebenfalls Schlosser. Bei diesen vier wurde am 30. März Vormittags Haussuchung gehalten, deren Eesultate dazu führten, alle vier einstweilen in Haft zu behalten.

Hermann Haller hatte von 1879 bis 1884 in Florisdorf gearbeitet, war dort in die Untersuchung betreffend die Ermordung von Hlubek, Blöch und Eisert verwickelt und, nachdem sich seine Unschuld ergeben, aus Oesterreich ausgewiesen worden. Er war dann nach Winterthur gekommen und bald mit Leonhard in intimen Verkehr getreten. Korrespondenzen, die man bei ihm gefunden , bewiesen auch seine Beziehungen zu Dorst und Briefe aus Florisdorf meldeten ihm « Neuigkeiten » über Kammerer und Stellmacher. Es zeigte sich indess bald, dass Haller bei einem Komplotte gegen das Bundesrathhaus jedenfalls nicht betheiligt war, und so wurde er am 13. April wieder auf freien FUSS gesetzt.

Ebenso erging es dem Joseph Seidl, welcher im Jahre 1884 aus Wien ausgewiesen worden und im Februar 1885 in die Schweiz gekommen war. Er hatte in Korschach Klinger und in NiederUzwyl Dorst besucht und arbeitete nun in Winterthur in derselben Fabrik wie Haller. Ein bei ihm gefundener Brief mit, dem Poststempel « Hörn, 13. März 1885 » und gezeichnet « N. » enthielt Mittheilungen über Klinger, Brylicki und die übrigen St. Galler Genossen und deutete darauf hin, dass Seidl an der Propaganda gegen Oesterreich aktiven Antheil nehme. Der Brief führte später auf Nowotny, mit dem wir uns demnächst zu befassen haben; dagegen konnte iSeidl für seine Person glaubwürdig darthun, dass er nicht Mostianer sei und dass er^sich von der Agitation zurückgezogen habe.

Anders verhielt es sich mit Leonliard und \Halljedl. Ersterer war früher in Bern Mitglied des Vereins « Freiheit » gewesen, hatte sich dann einige Zeit in Lausanne aufgehalten und dort dem Arbeiterverein angehört und figurirte, seit er in Winterthur war, als dortiger Agent für die Most'sche « Freiheit ». Er stand in fortwährender Korrespondenz mit Lausanne und Bern und scheint, die Verbindung der Ostschweiz mit der Mittel- und Westschweiz vermittelt zu haben. Am 14. Oktober 1884 hatte ihm Heilmann eine Anzahl Stellmacherbilder zum Vertheilen geschickt und dazu einen Brief geschrieben, welcher u. a. die Anfrage enthielt, ob sich in Winterthur
nicht ein guter Genösse finde, welcher eine Expedition nach Deutschland unternehmen würde. Leonhard selbst glaubt nicht, dass damit der Schmuggel von Zeitschriften gemeint sei, und wir glauben es auch nicht, obschon Heilmann diess behauptet. Was gemeint war, muss dahin gestellt bleiben, man ist über Vermuthungen nicht hinausgekommen.

Buudesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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Halbedl war im November 1882 aus Wien ausgewiesen worden und kam im Dezember gl. Jahres nach VVinterthur, wo er wegen seiner extremen Ansichten, gleich wie Leonhard, aus dem allgemeinen Arbeiterverein ausgestossen wurde. Er steht in Verbindung mit Peukert, Walecka, Dorst und andern bekannten Anarchisten und hatte auch von Nowotny einen Brief erhalten. Man fand bei ihm eine kleine Bibliothek, bestehend aus Werken über Chemie, hauptsächlich betreifend die Herstellung von Sprengstoffen ; ferner eine Art von Laboratorium, welches Halbedl namentlich benutzt zu haben scheint, um Knallquecksilber zu erstellen. Er wusste ganz genau, wie diess gemacht werden muss, und hatte auch ein kleines Quantum bereits fabrizirt. Es war diess die erste Spur, welche auf die Fabrikation von Sprengstoffen in der Schweiz hinwies, und da Halbedl mit Leonhard in intimer Verbindung stand und die beiden nach dem Gesagten zu den weitestgehendon Anarchisten gezählt werden mussten, so entschloss man sich, dieselben bis auf Weiteres in Haft zu behalten.

Die in Winterthur gemachten Erhebungen hatten auch auf die bisher nicht bekannt gewordene Thatsache geführt, dass im Sommer 1884 in St. Gallen ein Congress der ostschweizerisehen Anarchisten stattfand, an welchem sämmtliche hervorragenden Mitglieder aus der Ostschweiz Theil genommen zu haben scheinen. Leonhard nennt als Theilnehmer die Genossen Kaufmann und Neve aus Zürich, Halbedl, Dorst, Walecka, Formanek, Klinger und sich selbst, er fügt aber bei, dass ihm nicht alle Theilnehmer bekannt waren. Behandelt habe man den Ankauf einer Broschüre und den Schriftenschmuggel nach Oesterrèich. Man sei bezüglich des letztern zu keinem Beschlüsse gekommen, ^Formanek und Kaufmann hätten sich schliesslich zurückgezogen und, was diese abgemacht haben, wisse er nicht. Es sei eine fernere Versammlung in Aussicht genommen worden, welche aber nie stattgefunden habe. Interessant ist, dass Halbedl absolut nicht an dieser Versammlung Theil genommen haben will, während Leonhard diess mit aller Bestimmtheit und offenbar der Wahrheit entsprechend behauptet.

Es liegt auf der Hand, dass die Untersuchung in Winterthnr am 30. März wohl begonnen, aber nicht zu Ende geführt werden konnte. Was wir im Vorstehenden als hauptsächliches Resultat derselben erwähnt haben, ist die Quintessenz eingehender Verhöre und
Nachforschungen, der Auszug aus einem Aktenmaterial, das für sich einen dicken Band ausmacht und neben dem Angeführten eben noch gar Manches enthält, was die Untersuchuug ebenfalls aufklären musste, was aber hier nicht erwähnt wird, weil die bezüglichen Resultate kein weiteres Interesse haben. Diese Untersuchung hatte in zuvorkommender Weise Herr Polizeihauptmami

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'Fischer in Zürich an die Hand genommen, welcher gleichzeitig auch in Zürich selbst eingehende Nachforschungen anstellen liess. Herr Dedual mnsste ihn noch am Abend des 30. März verlassen, da eine neue Spur ihn nach St. Gallen führte.

Im Laufe des 30. März war nämlich Herr Landjägerhauptmann Maggion aus St. Gallen in Winterthnr eingetroffen, welcher dem Verfasser des Wabernbriefes in der Person eines gewissen Wilhelm Huft, der sich als Coiffeur in Heiden aufhalten sollte, entdeckt zu haben glaubte. Er hatte Handschriften zur Vergleichung mitgebracht und die von ihm. geltend gemachten Gründe, sowie eine vorläufige Vergleichung der zur Verfügung stehenden Handschriften bestimmten Hrn. Dedual und den Unterzeichneten, noch am gleichen Abeud nach St. Gallen zu reisen. Was von dort ans am 31. März und seither mit Bezug auf Wilhelm Huft weiter geschah, soll in ·einem besondern Kapitel eingehend erörtert werden. An dieser Stelle wollen wir zunächst berichten, was im Uebrigen in der deutsehen Schweiz noch geschah.

Am 26. März war es gelungen, den längst gesuchten Schreiner ßtephan Nikitscher aus Güssiag in Ungarn in Mörschwyl bei St.

·Gallen festzunehmen. Es ergab sich, dass er in sehr nahen Beziehungen zu Klinger stand und dass er es war, der in- der letzten Zeit die für Klinger in Rollen von je hundert Exemplaren an die Adresse Th. Körner poste restante Hörn dorthin gelangende «Freiheit» dort abgeholt und an Klinger abgeliefert hatte. Er schien überhaupt, stark zum Botendienst verwendet worden zu sein, und war mit sätumtlichen Anarchisten jener Gegend bestens bekannt.

Bald darauf, am 4. April, gelaug es auch, den Schneider Julius Eemlinger von Gögglingen in Württemberg, welcher St. Gallen am Abend, bevor er verhaftet werden sollte, heimlich verlassen hatte, in Rorschaeh ausfindig zu machen. Auch Bemlinger gehörte der St. Galler Gruppe an und der Umstand, dass er sich ini entscheidenden Momente zu flüchten wusste, machte ihn besonders verdächtig. Doch liess sich weiter nichts ermitteln, als dass, er eben zur anarchistischen Partei gehört und an der Propaganda gelegentlich auch aktiven Antheil nimmt.

Am 1. April telegraphirte Herr Polizeihauptmann Fischer aus Zürich, dass laut einem bei Nowak gefundenen Briefe, der Schreiber des bei Seidl gefundenen mit « N » gezeichneten Briefes Nowotny heisse. Derselbe
musste sich in Rorschaeh aufhalten, wo man sofort nach ihm fahndete. Man fand ihn noch am gleichen Tage in Hörn und entdeckte in ihm einen der thätigsten Agitatoren, der seit Klingers Verhaftung dessen Stelle eingenommen zu haben schien. Die bei ihm vorgenommene Haussuchung förderte u. a. zu Tage: ein Quantum Cyankali, laut gutachtlichem Bericht genug, um vierzig Mensehen,

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zu tödten, ein Verzeichniss mit den Adressen von etwa vierzig' bekannten Anarchisten, vier Bollen Most'sche « Freiheit » und einig» Korrespondenzen. Bei sich trug er einen sechsläufigen geladenen Eevolver -- « zum Vergnügan » -- wie er sagte. Obschon erst Mitte Februar nach der Schweiz gekommen, hatte er doch schon mit den meisten bekannteren Anarchisten der Ostschweiz Beziehungen angeknüpft. Aus Wien waren einzig im Monat März 7 chargirte Briefe an ihn gelangt, von vielen andern, nicht chargirten» Briefen nicht zu reden.

Aus seinen Briefen ging hervor, dass er sich eifrig mit Agitation gegen Oesterreich befasste, die bei ihm gemachten Funde bewiesen,, dass er ein gefährlicher Mensch war, und sein Benehmen vor dem Untersuchungsrichter verrieth den ausgebildeten Soldaten der Propaganda der That. Bei ihm glaubte man, zum ersten Mal die bisher umsonst gesuchte Nummerirung gefunden y,u haben, und seine räthsel·haften Antworten Hessen errathen, dass er zu den eingeweihtesten Mitgliedern der Partei gehören müsse. Weiter kam man aber auch da nicht, und auch mit der Nummerirung war es schliesslich nichts.

Wenden wir uns nach Zürich. Dort hatte man seit einiger Zeit nach dem unlängst aus Oesterreich nach der Schweiz gekommenen Schneider Frane Jonata aus Jenowes in Böhmen gefahndet.

Endlich entdeckte man ihn bei dem Genossen Nowak und die bei ihm vorgenommene Haussuchung führte am 31. März zu einer Reihe von weiteren Entdeckungen. Obschon Jonata bestritt, zur anarchistischen Partei zu gehören, und obschou er erst am 20. oder 21, Februar 1885 nach Zürich gekommen war, fand man doch bei ihm die Protokolle des anarchistischen Vereins « Ceska Beseda » nebst dem Mitgliederverzeichniss dieses Vereins, anarchistische Druckschriften, ein Notizbuch mit anarchistischen Liedern, ein Bechnungsbuch mit den Namen einer ganzen Anzahl von Vereinsmitgliedern u. a. m. Abgesehen von Anderem war Jonata namentlich mit den bereits von früher her bekannten Anarchisten Franz FitzeJc, Schlosser aus Eibis in Böhmen, und Anton Nowak aus Senovhrali in Böhmen in regem. Verkehr gestanden. Die bei demselben aufgefundene' Korrespondenz bewies hinreichend die lebhafte Verbindung, welche die Mitglieder der Ceska Beseda mit ihren Genossen in Oesterreich unterhalten und die agitatorische Thätigkeit, welche in dieser Richtung von dem Züricher
Slavenbunde ausgeht. Ein bei Nowak gefundener Brief Nowotny's enthielt unter anderin die Mittheüung, dass « etwas missglückt » sei, « was wir wollten » und dass Nowotny beabsichtige, einen Schriftenschmuggel nach Oesterreich auszuführen.

« Hier ist uin jeder. todt, kann ja nichts machen, während man drüben alle Hände voll zu thun hat » -- klagt Nowotny. Nowak selbst schrieb in einem Briefe an Kaufmann, dessen Concept bei ihm gefunden wurde : « Dier habe ich erkann, als ser solieder und

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gebildete mann in sozialistische Bewegung, trum mechte ich gerne von dier aies, wo mier noch feld erfaren. Und in unser prinziep fehlen dichtige Agitatoren, und ich mechte eine sein, ich pin (bin) noch nicht lange als gempfer (Kämpfer) in unsere heilige gampf und habe ich schon fiel mitgemacht, ich habe mier meine Heimat :gestert und oles megliche und jetzt habe ich mier forgenommen das ich frier nicht abkom bis die tyranen werden nicht nunter gerisen und die schwarze Banne Jesowyten alle aufgehengt. Ich muse meine rechnung ausgleichen eher gebe ich mir geine ruhe, wier mtisen jezt dichtig trieber gehn, andersch körnen wir nicht zum aiel. Jezt ist grade zeit, jezt der greste theil arbeiter ist kann wier sagen ohne brod, oder bei schlechte Leben und fiel müssen arbeiten.

Hoch die rothe rewulution und nieder mit die tyranen. Mit Revulutionar gruss A. NotvaJc. » .Das Material, welches die in Zürich vorgenommenen Haussuchungen mit Bezug auf die Kenntniss der persönlichen Beziehungen zu Tage förderten, ist ein ausserordentlich reichhaltiges und wird an anderem Orte verwerthet werden. Hier genügt es auf die Thatsache hinzuweisen. Mit Bezug auf die deutsche Gruppe der Anarchisten in Zürich -- im Gegensatz zur slavischen -- war man schon vor Anhebung der Untersuchung seitens der Züricher Behörden hinreichend orientirt. Die eidgen. Untersuchung konnte sich hier weiterer Nachforschungen füglich entschlagen, und wir begnügen uns damit, zu konstatiren, dass seit der Ausweisung von Kaufmann ·und Neve die Parteileitung für die Schweiz augenscheinlich nicht mehr in Zürich, sondern bei Heilmann in Lausanne, Schulze in G-enf, Bodenmüller in Bern, Leonhard in Winterthur und Zahradniczek in St. Gallen zu suchen ist, ohne dass eine eigentliche Zentralleitung besteht.

Die Resultate der solcher Gestalt in der Ostschweiz geführten Untersuchung hatten ergeben, dass die ostschweizerische Gruppe der Anarchisten ihre Thätigkeit hauptsächlich gegen Oesterreich richtete und dass diese Thätigkeit wesentlich im Schriftenschmuggel und in der Versorgung ausgewiesener Genossen bestand. Gefährliche Leute, welche im Stande waren, im gegebenen Augenblicke auch gegen die Schweiz zur That zu schreiten, hatte man allerdings auch gefunden, allein dafür, dass eine solche « That » wirklich geplant war, hatten sich ausser den im vorigen
Abschnitt erwähnten, keine neuen Beweise von Belang ergeben.

Eine besondere Ueberwachung forderten indessen immer noch die Nordgrenze des Kantons Thurgau und die Nordostgrenze von St. Gallen. Korschach und das kaum eine halbe Stunde davon in einer zum Kanton Thurgau gehörenden Enclave liegende Hörn

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bildeten den Mittelpunkt der gegen Oesterreich gerichteten propagandistischen Thätigkeit. Mit gewohntem Scharfblick hatten es di& Führer der St. Galler Gruppe längst herausgefunden, dass die !St. Galler Polizei in Hörn nichts zu suchen hatte und dass Thnrgau den vom übrigen Kanton getrennten Flecken nicht gehörig im Auge halten konnte. So gelangten seit langer Zeit die r/.nm Schmuggel nach Oesterreich bestimmten Bollen der « Freiheit » nach. Hörn.

Dorthin wurden die Korrespondenzen gesandt und dort wurden solche mit Vorliebe aufgegeben. Daneben schienen Rorschucb, Rheineck, Arbon, Romanshorn n. s. w. die Ausgangspunkte für verschiedene Expeditionen zu sein. Um nun auch in dieser Richtung vollständig klar zu sehen, wurde im Einverständnisse mit den betheiligten kantonalen Behörden ein Züricher Polizeibeamte beauftragt, die ganze Grenze von St. Margarethen bis Konstanz zu durchforschen und mit den Behörden der benachbarten Grenzorte in Verbindung zu treten. In Folge der Nachforschungen, welche jener Beamte überall anstellte, wurde der Verdacht, den WabernBrief geschrieben zu haben, auf einen Hermann Schroff, Sattler und Tapezierer aus Merkelfingen, Grossberzogthum Baden, gelenkt, welcher bis vor Kurzem in Winterthur gearbeitet haben sollte.

Mau glaubte, in dem Wabern-Brief die Schrift des Schroff mit aller Bestimmtheit zu erkennen, und war erbötig, Handschriften desselben zur Vergleichung zu liefern. Schroff wurde in Folge dessen im Fahndungsblatt ausgeschrieben und schliesslich in Ragaz ausfindig gemacht. Die inzwischen eingelangten Schriftproben hatten aber bereits ergeben, dass der Verdacht ein gänzlich unbegründeter war, und die über Schroff angestellten Erhebungen zeigten, dass derselbe ein ganz harmloser Mensch ist. Aehnlich verhielt es sieh mit einem gewissen Joli. Aug. Fr. Taizlty ans Petersburg, welcher sich eine Zeit lang in Veitheim bei Winterthnr aufgehalten hatte und durch sein Benehmen der Polizei aufgefallen war. Mehrerer Sprachen mächtig, viel gereist, ohne bestimmte Beschäftigung, in den Wirtschaften herum politisirend und doch immer bei Geld -- schien er, alle Eigenschaften eines agent provocateur in sich zu vereinigen. Nachdem man in Erfahrung gebracht, dass er auch viele Briefe poste restante Winterthur erhielt, schritt man gegen ihn ein.

Allein die Untersuchung ergab bald,
dass der Verdacht nicht begründet war, und nach kurzer Haft wurde er wieder entlassen.

Resultatlos war endlich auch eine Untersuchung gegen den Musiker OslMr Ernst aus Dresden, der ungefähr um die Zeit, um welche die verschiedenen Briefe in Winterthur, Frauen feld und St. Gallen abgingen, in Winterthur gewohnt hatte und von dort nach Lausanne gegangen war. Heilmann in Lausanne hatte an Ernst einen Brief geschrieben und Leonhard ersucht, denselben

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durch einen « unbekannten Genossen » an Ernst gelangen zn lassen.

Der Brief enthielt eine dunkle Stelle, worin Ernst um wichtige Mittheilungen gebeten wurde. Die Handschrift Ernst's schien, einige Aehnlichkeit mit den. Warnungsbriefen von Nummer 5 zu haben.

Der Unterzeichnete reiste desshalb selbst nach Lausanne, um sich über die' Sache Gewissheit zu verschaffen. Obschon daselbst Heilmann nicht sagen wollte, was er unter den « wichtigen Mittheilungen » verstanden habe, so ergab sich doch bald, dass der gegen Ernst gehegte Verdacht ein völlig unbegründeter war.

Während so unsere Irrfahrten ihr Ende noch nicht erreicht zu haben schienen, sass der Schöpfer der ganzen Attentatsgeschichte schon seit dem 31. März in Untersuchungshaft, ohne ein Geständniss abgelegt zu haben. Bevor wir aber mit der Behandlung des Falles « Huft » dem Schlüsse unserer Thätigkeit entgegen gehen, wollen wir auch den Gang der Untersuchung in der französischen Schweiz etwas näher verfolgen.

5. Die Untersuchung in der französischen Schweiz.

Nachdem am 27. Februar in aller Frühe die ersten Sehritte in Bern, St. Gallen ttnd Zurich erfolgt waren, traf noch im Laufe desselben Tages auch der Untersuchungsrichter für die französische Schweiz, Herr Berdez, in Bern ein und fand zwischen ihm, Herrn üedual und dem Unterzeichneten eine einlässliehe Besprechung der ganzen Angelegenheit statt. Es lagen für die französische Schweiz nur gegen Victor Otter, Schneider in Freiburg, Thatsachen vor, welche die Annahme zuliessen, derselbe möchte bei dem Komplott gegen das Bundesrathhaus möglicher Weise betheiligt sein. Er stand von früher her in intimen Beziehungen zu den Berner Anarchisten und hatte höchst wahrscheinlich auch um die Pläne Kammerers gewusst. Dagegen schien Paul Schulze, Buchbinder in Geuf, sich in der letzten Zeit von der Aktion zurückgezogen zu haben, und lauteten auch die Lausanner Berichte über Louis Heilmann und dessen Genossen nicht ungünstig.

Abgesehen von dem Attentate auf das Bundesrathhaus rnusste es sich zunächst um die Redactoren und Drucker des « ßovolto », welcher damals noch in Genf erschien und als Parteiorgan für die Westschweiz und Prankreich betrachtet wurde, handeln. Doch hatte der « Révolté » im Grossen und Ganzem bisher eine gernlissigtere Sprache geführt als die Most'sche « Freiheit », wesshalb keine Veranlassung zu besonders rigorosem Vorgehen in dieser Richtung vorlag.

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Der Drohbrief aus Montreux und derjenige aus La Chaux-deFonds, beide an den « B u n d » adressirt, trugen allerdings einen ernsten Charakter, doch fehlte jeglicher Anhaltspunkt mit Bezug auf den oder die muthmasslichen Autoren.

Aus allen diesen Gründen kam man überein, sich mit der vorläufigen Verhaftung Otter's zu begnügen und im Uebrigen vor Allem aus überall durch sofort vorzunehmende Haussuchungen den Versuch zu machen, allfälligen verbrecherischen Anschlägen auf die Spur zu kommen und die Beziehungen der einzelnen Gruppen unter sich, sowie die Betheiligung einzelner Personen desfNäheren festzustellen.

Noch am gleichen 27. Februar wurde demnach Victor Otter in Freiburg verhaftet und durch die dortige Behörde bei ihm eine Haussuchung vorgenommen ; am 28. Februar fanden in Folge Weisung des eidg. Untersuchungsrichters Haussuchungen statt in Genf bei Paul Schultze, Jean Grave, und Gaetano Nagglia und in Lausanne bei Darbellay, Louis Heilmaun, Ulrich Muff und im Cafo Del Vecchio. Am 1. März folgten neue Haussuchungen bei Grave und Nagglia und wurden weiter Haussuchungen vorgenommen bei Anton Perrare und in der Imprimerie jurassienne.

Fassen wir die Resultate dieser ersten Massnahmen kurz zusammen : a. Bei Victor Otter, aus Edermannsdorf, Kanton Solothurn, verheirathet und Vater von zwei Kindern, Schneider in Freiburg fand man unter Anderm einen chiffrirten Brief datirt « Bern, den 17. September 1884 », unterzeichnet mit « B. ». Nach einigen Versuchen , den Untersuchungsrichter irre zu führen, gab Otter den Schlüssel zu den Chiffern, und es zeigte sich nun, dass jener Brief die Mittheilung einer Reihe von Adressen, zum Theil Deckadressen an verschiedene Genossen enthielt. Der Brief kam, wie sich später nachweisen liess, von Schneider Brenner in Bern.

Ferner fand man bei Otter ein Billet mit den Adressen verschiedener Anarchisten und eine grosse Zahl von anarchistischen Zeitungen und Broschüren (Révolté, Freiheit, Précurseur, Radical, Prolétaire, Kebell, La Parole, La Délivrance, La Révolution sociale, La lutte, l'Affamé, etc.)IÇ P'Sodann einen Brief des Anarchisten Kopp aus Montreux vom 24. Februar 1885, worin ihm dieser u. a. anzeigt, dass er in 14 Tagen mit H. in L. (Heilmann in Lausanne) sprechen werde und worin er ihm Grüsse an einen gewissen Hebra aufträgt ; endlich einen Brief und eine Korrespondenzkarte von J. Knll, Schneider, gegenwärtig in Aarau.

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Otter gibt an, es bestehen geheime Gesellschaften in Basel, Zürich und Genf. Mitglieder des Vereins « Freiheit » in Bern stehen persönlich mit Most in New York in Korrespondenz. In Preiburg seien zu weijig Genossen gewesen, um einen Verein zu gründen, doch habe er häufig mit seinen Freunden liber sociale Fragen gesprochen. Otter will weder Heilmann noch Hebra kennen und sagt schliesslieh, er habe sich die chiffrirten Adressen von Brenner kommen lassen, um zu wissen, an wen er sich in Fragen der anarchistischen Organisation wenden solle.

Diese Adressen lauten : Fritz Hämmerli, aligera. Arbeiterverein, rue du Pré 13, Lausanne (Deckadresse für Heilmann) ; Kaufmann, Eudolf Morf, Kassier des Arbeiterbildungsvereins, Häringsstrasse 20, Zurich" ; Paul Schultze, route de Lyon, Genève ; Mathias Schneider, Postgasse 46, Bern (Deckadresse für Brenner) ; Marx Ripper, Tour de Boël, Nr. 10, IVme, Genève.

Das war Alles, was in Preiburg konstatirt werden konnte.

Eine Betbeiligung Otter's an einem Komplotte ist nicht nachweisbar.

Ebenso wenig das Bestehen einer anarchistischen Gruppe in Freiburg. Dagegen steht fest, dass Otter bis auf den heutigen Tag zu den eifrigsten Anhängern der Partei gehört und dass ihm innerhalb derselben eine gewisse Bedeutung beigelegt wird.

&. In Lausanne richtete sieh die Untersuchung zunächst gegen den Buchbinder Louis Heilmann aus Schifferstadt iu Baiern und gegen den notorischer Massen anarchistischen Tendenzen huldigenden allgemeinen Arbeiterverein.

Das bei den Haussuchungen in Lausanne gewonnene Material war reichhaltig und für die Kenntniss der persönlichen Beziehungen und der anarchistischen Organisation zum Theil von grossem Werth.

Da fand sich z. B. im Lokal des Arbeitervereins das Mitgliederverzeichniss, aus welchem sich u. a. ergab, dass der nunmehr der Ermordung des Polizeiraths Rumpff beklagte Schuster Lieske am 15. Juli 1883 in den Verein eingetreten, am 5. September gleichen Jahres wieder abgereist ist, eine Thatsache, die Lieske läugnen soll !

Ferner fand sich das Protokollbuch des allg. Arbeitervereins, worin die Aufnahme von Lieske unter'm 28. Juli 1883 vermerkt wird.

Es ergiebt sich aus diesem Protokoll, dass der Arbeiterverein Lausanne sich lebhaft mit anarchistischer Propaganda befasst. Da finden ·wir zunächst die anarchistische Litteratur. Am 30. April 1888
wird auf Antrag von Feitl einstimmig beschlossen, den neu erseheinenden « Radikal » anzuschaffen. Am 2. Juni 1883 plaidirt Bürger Breitier, unterstützt von Heilmann, für Sammlung von Beiträgen zur Unterstützung von Flugblättern der Propaganda. Am 14. Juli 1883 gelangt ein Brief aus Budapest zur Verlesung, in

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welchem von zwei Broschüren je 600 Stück bestellt werden. Am 28. Juli 1883 sehen wir, dass iu Bern eine Filiale des « Hadikal » besteht. Am 10. August 1883 ref'erirt Heilmann über eine « Zeitung » und berichtet, dass sich Leute gefunden haben, welche die Sache an die Hand nehmen wollen, dass dies aber noch geheim zu halten sei, da bereits eine Haussuchung stattgefunden habe. In Genf haben die Mitglieder bereits Fr. 150 gesammelt. Feitl beantragt hierauf, eine Liste cirkuliren zu lassen, um Beiträge für diese Zeitung zu sammeln und auch aus der Vereinskasse Fr. 20 beizutragen. Diese Anträge werden einstimmig angenommen. Am 9. September 1883 wird von dieser Zeitung als dem «Parteiorgan» gesprochen und berichtet, dass das Erscheinen sich verzögere, weil das Geld nur langsam eingehe. Am 23. Oktober 1883 ermahnen Heilmann und Peitl, den ,,Rebell" zu abonniren, von welchem nun die zweite Nummer erschienen sei, und welcher das eigentliche Parteiorgan sei. Es wird gesagt, dass die Abonnenten ein bestimmtes Motto angeben möchten, um auf dieses hin quittiren zu können. Auch am 3. November 1888 kommt die « Angelegenheit des Parteiorgans » zur Sprache und mahnt Bürger Peitl zu möglichster Agitation für dasselbe, « da ja dieses das einzige ist, welches unsere Interessen vertritt und worin wir uns richtig aussprechen können. » Neben der Litteratur und Presse kommt auch die Unterstützung politisch Verfolgter wiederholt zur Sprache. Am 2, Juni 1883 mahnt Breitier daran, « für die Wittwen und Waisen der verfolgten politischen Arbeiter » zu sammeln. Am 22. März 1884 fliesst ein Beitrug von Fr. 7 für die « Unterstützung der Inhaftirten ». Am 8. März 1884 fordert Heilmann die Mitglieder auf, « sich mehr an der Unterstützung der Eingekerkerten zu betheiligen». Am 14. Juni 1884 wird ein Schreiben der Berner Genossen mitgetheilt, worin dieselben zur Sammlung von Beiträgen auffordern, « um die Unkosten des Vertheidigcrs für unsere Genossen (Kaufmann vmd Cons.) bestreiten zu können ». Die Sammlung von Beiträgen für Frau Stellmacher wird am 28. Juni 1884 folgender Massen angemerkt: «Von einem Genossen aus Zürich ist uns ein Schreiben zugeschickt worden, wodurch wir aufgefordert werden,, freiwillige Beiträge zu sammeln, zur Unterstützung einer armen Frau, deren Mann wegen Befolgung des Prinzips ist verhaftet worden, worauf
beschlossen wurde, eine Verloosung von Broschüren zu veranstalten und das Geld davon dieser Frau zu schicken. » Am 23. August 1884 wird « von mehreren Bürgern der Wille ausgesprochen, die verhafteten Genossen in Basel zu unterstützen, wozu eine- Subscriptionsliste aufgestellt werden soll. » Am 6. September 1884 wird beschlossen, « immerwährend » eine Subscriptionsliste aufzulegen, « für Unterstützung der Familien der Inhaftirten ».

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Vom 4. Oktober 1884 an ist das Protokoll nicht weiter geführt.

Bei Heilmann wurden zahlreiche anarchistische Broschüren, Proklamationen und Zeitungen gefunden, unter anderm 326 Exemplare der « Freiheit ». Ferner fand man bei ihm verschiedene Manuscripte, darunter den Aufsatz zu einer Korrespondenz, überschrieben « Schweiz » und enthaltend einen Bericht über die in Lausanne abgehaltene Märzfeier. Wir lesen darin, dass eine Verloosung von Broschüren etc., welche bei diesem Anlasse veranstaltet wurde, Fr. 77 abwarf, wovon ein Theil « für Linderung der Noth der Angehörigen unserer eingekerkerten Freunde in Oesterreich » verwendet werden soll. Endlich fanden sich auch einige Adressen vor.

Bei dem Schneider Félicien Darbellay fand sich ebenfalls reichhaltige anarchistische Litteratur vor. In zahlreichen Exemplaren Eévolté, Défi, Emeute, Drapeau noir, Prolétaire, Précurseur und Terre et liberté. Ferner 17 Stück der Broschüre « L'Esprit de Révolté » und 10 Stück « La loi et l'autorité ». Sodaun fand man hier die Statuten der Association internationale des travailleurs, Proklamationen der «Section de propagande anarchiste de Genève », zahlreiche Korrespondenzen betreffend die « Association internationale » u. a. m., woraus sich ergiebt, dass Darbellay bis in die jüngste Zeit ein eifriger Mitarbeiter der anarchistischen Propaganda war. Auch war es Darbellay, welchem von Genf aus sofort von der Schliessung der Imprimerie jurassienne Anzeige gemacht wurde.

Einige weitere Haussuchungen in Lausanne förderten wohl wieder anarchistische Litteratur, weiter aber nichts von Belang zu Tage.

Aus den Verhören aber ergab sich, dass der allg. Arbeiterverein Lausanne in jüngster Zeit erheblich zusammengeschmolzen ist. Nach den Aussagen von Otto Beatler und Martin Grasser würde der Verein gegenwärtig nur noch aus folgenden Mitgliedern bestehen : Louis Heilmann, Buchbinder aus Schifferstadt in der Pfalz; Alois Wöhrle, Schneider aus Wurtemberg; Félicien Darbellay, Schneider aus Liddes ; Franz Nusca, Schneider aus Daschiz, Böhmen ; K. Breutler (oder Breitier), Schuhmacher aus dem Kanton Thurgau ; Martin Grasser, Schneider aus Schoppershof, Baiern ; Johann Klein, Schuhmacher aus Mainz, und Hermann Maring, Sehneider von Coblenz.

Das geistige Haupt des Vereins war fortwährend Heilmann.

Er war es, der den Verein allmählig
zu anarchistischen Grundsätzen brachte und die Ausschliessung der gemässigteren Elemento veranlasste. Er war der Korrespondent des Vereins, er einzig kannte die auswärtigen Adressen und ausser ihm wusste Niemand,

<344 was die Korrespondenz enthielt. « Es sei nicht gut, wenn viele Mitglieder es wissen ». (Deposition von Otto Beutler.) Heiltnann war ausserdem der Agent der « Freiheit », er vertheilte diese, die -Stellmacher-Plakate, Proklamationen u. s. w. Welcher Art seine Korrespondenz mit auswärtigen Genossen war, beweist am besten sein Brief an Leonhard, von welchem bereits früher gesprochen wurde.

Neben Heilmaun scheint, Darbellay am meisten Bedeutung zu haben, speziell für die Verbindung mit den französisch sprechenden Genossen. Er sagt, dass er in den aligera. Arbeiterverein eingetreten soi, als sich die Section der Internationale in Lausanne und der Cercle pour l'étude des questions sociales aufgelöst hatten, weil .der Arbeiterverein dieselben Ideen verfolge, wie die Internationale.

Befragt, was er von dea Attentaten Kammerers und Stellmachers halte, erklärt Darbellay, er wolle sich nicht aussprechen, da er -darüber zu wenig unterrichtet sei.

Das Resultat der Untersuchung in Lausanne lässt sich dahin zusammenfassen, dass an diesem Orte ein ausgesprochen anarchistischen Tendenzen huldigender Verein besteht, der jedoch momentan im Rückgänge zu sein scheint, und dass die genannten Heilmann und Darbellay zu den rührigsten Agenten der Propaganda der That zu zählen sind. Von einem Komplotte gegen das Bundesrathhaus konnte auch in Lausanne keine Spur gefunden werden.

(?. Wie bereits bemerkt wurde, handelte es sich in G-enf in erster Linie um den & Révolté» und es zeigte sich denn auch bald, dass dieselben Personen, welche sich mit Herausgabe dieses Blattes befassten, auch die Section der anarchistischen Propaganda in Genf bildeten. Nebstdem hatte sich die Untersuchung in Genf speziell noch mit Paul Schwitze zu befassen.

Fassen wir zunächst die Eesultate der Haussuchungen zusammen.

In der Imprimerie jurassienne wurden beschlagnahmt eine Reihe von Artikeln und Manuscripten zu Broschüren über anarchistische Theorien meist von Jean Grave verfasst, zahlreiche Korrespondenzen, worunter vier Briefe von Elisée Reclus adressirt an Grave, aus welchen der rege Antheil ersichtlich ist, den Reclus am Révolté nahm. Ferner das Manuscript eines augenscheinlich ebenfalls von Elisée Reclus verfassten Artikels : « La peur des Mouchards » ; endlich ein Manuseript von unbekannter Hand, enthaltend eine Anleitung, wie man
sich Gift und explodirbare Stoffe verschaffen könne. Unter den saisirten Drucksachen mag erwähnt werden : « Johan le Vagre (Jean Grave), organisation de la propagande révolutionnaire, 1883 » ; « La section de propagande anarchiste

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de Genève aux groupes anarchistes, Genève, 28 juillet 1884»; « Au peuple bernois » -- der bekannte rothe Aufruf betreffend die Verfassungsrevision.

Bei Antoine Perrare wurden zahlreiche Korrespondenzen beschlagnahmt, ans welchen sich ergiebt, dass Perrare in regem Briefwechsel mit bekannten Anarchisten steht. Neben Briefen von Herzig und Grave waren namentlich vier Briefe von Jacques Gross in Boncourt von Interesse, aus welchen hervorgeht, dass Gross sich anerboten hat, den « Révolté » nach Prankreich zu schmuggeln.

Auch zum Schmuggel der « Freiheit » nach Deutschland will Gross Hand bieten.

Bei Paul Schultze fanden sich wichtige Briefe seines ausgewiesenen Bruders Moriz Schultze aus New-York und London. Da schreibt Moriz Schultze am 25., 28. und 29. Dezember 1884 aus New-York : « Seit ungefähr vierzehn Tagen bin ich im Besitze deines umfangreichen Briefes, der mich nicht wenig in Erstaunen versetzte.

Most und Kenuel haben denselben ebenfalls gelesen und sind nicht minder verwundert über die neue Species von anarchistischer Taktik und Organisation, die du darin empfiehlst.

« Das Ganze nennst du eine Kriegslist. Ich glaube aber,' dass dein Vorschlag an und für sich eine moralische Niederlage, die Realisation jedoch den wirklichen- Untergang des Anarchismus in der Schweiz zur Folge haben würde.

« Wenn der Feind im Felde auf Kriegslist sinnt, so geschieht das, um den Gegner zu täuschen. Wir aber würden mit deiner Kriegslist nicht den Gegner, sondern unsere eignen Soldaten hinter's Licht führen. Der Feind im Felde macht seinem lauernden Gegenüber glauben, dass er ungeschickt operire, seine besten und stärksten Kräfte an ganz ungefährdeten Punkten in Schlachtordnung aufstelle und die schwierigsten Positionen ausser Acht lasse. Seine kampfbereiten Colonuen wissen aber, dass bei Beginn der Schlacht ihre scheinbar schlechten Stellungen durch eine einzige Bewegung in uneinnehmbare, dem Feinde Tod und Verderben bringende Positionen verwandelt werden.

« Anders ist es in unserm Kriege. Erstens sind wir bisher über die Mobilmachung noch nicht hinausgekommen und müssen den grössten Theil unserer Kräfte auf die Werbung von Truppen verwenden. Diesen aber müssen wir unser ganses Wollen begreiflich machen ; denn sie unterscheiden- sich von den Soldaten der Monarchen gerade dadurch, dass sie nicht blindlings
und ohne zu wissen, ob für eine gute oder schlechte Sache, in den Kampf ziehen.

Da heisst es also, die Stimme der socialen ßevolution allen kriegstüchtigen Proletariern laut und vernehmlich in's Ohr zu schreien!

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« Zweitens stehen wir nicht inmitten, sondern sozusagen am Vorabend der grossen Schlacht. Bis jetzt fanden immer nur kleine Gefechte zwischen Einzelnen von unsern Truppen und dem Feinde statt. Inwieweit bei diesen Vorpostengefechten die Kriegslist gebraucht wird, ist jedenfalls nicht unsere, sondern Sache- derer, welche den Kampf wagen. An uns ist es nur, zu diesen Einzelgefechten jederzeit und präzise Stellung za nehmen. Thun wir das nicht, sondern erMären, deiner Kriegslist gemäss, mit der Sache nichts gemein zu haben, so wird die freiwillige Eekrutirnng von Vorkämpfern der soe. Revolution aus dem revolutionären Lager bald ganz aufhören, denn du begreifst, lieber Freund, dass es einem Manne der That nicht im Schlaf einfallen würde, sich mit einer Partei solidarisch zu erklären, von der er im Voraus weiss, dass sie nach seinem Vollbriugen sein Thun verläugnet « Ich glaube gerne, dass die von den Bundesräthlicken inscenirte Treibjagd auf unsere Parteigenossen in so mancher Gruppe Verwirrung angerichtet hat und noch anrichtet. Doch bin ich überzeugt, dass sich der Sturm legen und eine verhältnissmässig ruhige Agitation an Stelle der momentanen Aufregung treten wird.

« Aus deinem Briefe spricht Pessimismus und dieser ist es, der unserer Bewegung in der Schweiz viel gefährlicher zu werden droht, als alle Verhaftungen, Ausweisungen und Vorurtheilungen. Der Pessimismus unter einem grossen-Theil unserer Genossen im Alpenlande -- nicht die Verfolgungen von Seiten der Regierung -- ist der Krebsschaden, der Alles nach rückwärts treibt. Daher stimmen wir anch ganz mit dir überein, wenn du sagst, dass die Bewegung mit aller Energie wieder in Fluss gebracht werden mwss. » Der Brief enthält dann noch einige interessante Notizen : « Vor einigen Tagen sandte ich 5 Dutzend K.(Kammerer)Bilder. Zwei oder drei Dutzend davon (wie es die Nachfrage bestimmt) sende gefälligst an Bodenmüller in Bern. Derselbe verlangte drei Dutzend, lieber dein Flugblatt wird dir Most hoffentlich nächstens schreiben. » Weiter: « Wie mir gestern Abend Most sagte, hat er das Flugblatt nach London gesandt mit dem Bedeuten, dasselbe könnte vielleicht einen Platz in den Spalten des Révolté finden. » Ein Brief Moriz Schultze's vom 5. November 1884 beginnt mit den Worten : « Ich habe in Etwas mit dir zu reden. Diverse Briefe, Zeitungs- und
Manuscriptsendungen, theils mir, theils Most gehörend, habe ich erhalten. » Dann folgen verschiedene Mittheilungen über eine von der Frau des Paul Schultze ausgearbeitete lieber-

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Setzung einer Krapotkin'schen Broschüre. Dann wird ein Plugblatt besprochen, welches Most entworfen hatte. Dann kommt die bereits citirte Stelle, welche mit den Worten schliesst: «Meiner Ansicht, nach müsste der Provokation von Seiten des Schw. Bundesrathes ·ein Dämpfer aufgesetzt werden. » Der Brief schliesst mit der Bitte, einen eingelegten zweiten Brief unter der Deckadresse : Gottlieb Affolter, chez Mr Blum-Javal an Brenner in Bern gelangen zu lassen.

Man konnte diesen Schriftstücken entnehmen, dass Paul Schultze durchaus nicht von der anarchistischen Propaganda zurückgetreten war, wie er sich den Anschein zu geben suchte. Darauf deutete auch folgender Vorfall hin: Als die Behörde bei Schultze Haussuchung hielt, meldete sich bei diesem ein fremder. Mann. Schultze sprach einige Worte mit demselben und winkte ihm dann, zu gehen, worauf derselbe sich rasch entfernte, so rasch, dass ihn die Polizei nicht mehr einholen konnte. Schultze, befragt wer der Mann gewesen sei, erwiderte, er kenne denselben nicht mit Namen, es sei ein Genösse, der von einem Freunde aus London an ihn empfohlen worden und der eben erst in Genf angekommen sei; er glaube übrigens, derselbe sei wieder abgereist.

Im Uebrigen gab Schultze zu, die « Freiheit » in Genf an die Abonnenten zu vertheilen, auch durch Vertheilung von Gratisexemplaren Propaganda zu machen und seit vier oder fünf Jahren der anarchistischen Richtung anzugehören. Er gab auch zu, vor etwa zwei Jahren eine Korrespondenz « die freie Schweiz » in die « Freiheit » geschrieben zu haben. (1. September 1883.) Dagegen protestirte er « im Namen der Anarchisten » gegen die Anklage, als hätten dieselben ein Komplott gegen die Schweizer Regierung gemacht. Er will nicht wissen, was sein Bruder mit dem « Dämpfer » gemeint habe, der dem Bundesrath aufgesetzt werden müsse.

Ebensowenig will Schultze wissen, wer Brenner ist und woher es kommt, dass sein Name auf verschiedenen Adressenverzeichnissen figurirt.

lieber den « Révolté « sagt der Bericht des Herrn Untersuchungsrichters Berdez folgendes : « Der « Révolté » wurde als Nachfolger der « Avante-garde"» im Jahre 1879 von der Fédération jurassienne de l'internationale gegründet. Krapotkin und Elisée Reclus nahmen Theil an -der Leitung des Blattes. Nach der Ausweisung Krapotkin's lieferte Elisée Reclus die Geldmittel,
er war Mitarbeiter, Verwalter und oft sogar Korrektor des Blattes.

Bis Ende 1883 war Georges Herzig Redaktor, er war als verantwortlicher Herausgeber auf der Genfer Staatskanzlei eingeschrieben. Er setzte auch das Blatt selbst auf der Imprimerie

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jurassienne, liess es aber in Ermangelung einer eigenen Presse bei Buchdrucker Falk drucken. 1883 wurde Herzig wegen eines Defiziten in der Verwaltung des Blattes entlassen und seither hat er sich nicht mehr mit dem « Eévolté » beschäftigt.

Elisée Eeclus liess hierauf den Schuhmacher Grave von Paria kommen und übertrug demselben die Funktionen eines Eedaktora und Setzers. Grave besorgte nun gegen eine Besoldung von Fr. 80 monatlich gleichzeitig die Bedaktion, Administration und das Setzen des Blattes. Die Bechnungeri des Eévolté wurden Elisée Eeclus abgelegt, welcher die Defizite deckte, Artikel schrieb, Korrespondenzen nachsah und die Korrektur besorgte. Die bei Reclus und in der Imprimerie jurassienne beschlagnahmten Aktenstücke lassen keinen Zweifel über die bedeutende Rolle, welche Reclus in der Redaktion und Verwaltung des « Révolté » spielte.

Grave muss als der eigentliche Herausgeber und Drucker des Blattes betrachtet werden. Wenn auch Herzig immer noch als verantwortlicher Herausgeber auf der Genfer Staatskanzlei eingeschrieben ist, so hat er sich doch thatsächlich seit Ende 1883 vollständig von dem Blatte zurückgezogen. » Ich habe diesen Bemerkungen nur noch beizufügen, dass sich als Eigenthümer der Imprimerie jurassienne ein Mechaniker John Eies aus Genf ausgiebt, welcher dieselbe von Dumartheray gekauft haben will und behauptet, er betreibe die Druckerei auf seine .Rechnung und Grave sei sein Angestellter. Allein Ries ist zweifelsohne nur ein Strohmann. Seine eigenen Aussagen widersprechen denjenigen von Grave und Consorten und sind ganz unglaubwürdig und so sagt denn auch Jacques Cretton auf die Frage, wem die Imprimerie jurassienne gehöre : « aux anarchistes du monde entier » und Charles Terzaghi sagt: « Eies ist nur ein Strohmann (prete-noin), weil er Schweizer ist; er ist Mechaniker und nicht Buchdrucker. » In der Imprimerie jurassienne trafen sich die Mitglieder der Section de propagande anarchiste de Genève. Als solche müssen betrachtet werden: Jacques Cretton, Taglöhner, Jean Grave, Schuhmacher und Schriftsetzer, Antoine Perrare, Mechaniker, Georges Herzig, Schriftsetzer, Jules Alexandre Sadier, Schuhmacher, Graetano Nagglia, Schuhmacher, Belnet, Schriftsetzer, Dumartheray, Inocenti und Finet. Abgesehen von den mehr zufälligen Zusammenkünften in der Imprimerie jurassienne hielt
die Section de propagande regelmässige Sitzungen zuerst im Café Verrat, rue de la croix d'or, dann in einem Café auf der Insel, dann im Restaurant du Piémont, im Café Pittet, rue des Grottes, und sehliesslich im Café de la Comète.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Section de propagande zu

649 den thätigsten Gruppen der Schweiz gehört. Sie hat namentlich in Presserzeugnissen viel geleistet und scheint, durch ihre Beziehungen zu Elisée Reclus über mehr Geldmittel verfügen zu können, als andere Gruppen. Schultze scheint mit der Gruppe nur in geringem Verkehr gestanden zu sein, während mit dem Arbeiterverein Lausanne oder doch mit einzelnen Genossen in Lausanne regere Beziehungen stattfanden.

In Folge der Untersuchung siedelte der « Révolté » nach Paris über und auch Grave begab sich dorthin. Die Sprache des Blattes gegen die Schweiz wurde herausfordernder und ein grosser Unterschied zwischen Révolté und Freiheit dürfte auf den heutigen Tag nicht zu machen sein.

Die Section de propagande aber liess sich in Nr. 8 vom 10.

Mai über ihr künftiges Verhalten also vernehmen : « In Folge der drakonischen Massregeln, welche die schweizerische Kegierung gegen den « Révolté » anwandte, musste derselbe auswandern. Das hat uns indess nichts gemacht ; im Gegentheil, unsere Propaganda wird jetzt nur um so kräftiger und feuriger sein. Anderseits unterrichten wir die Anarchisten der ganzen Welt, dass die mit der Jurassischen Druckerei (Eue des Grottes 24, Genf) bestehenden Beziehungen fortdauern werden, sowohl in Bezug auf die Publikation und den Verkauf von Broschüren und Zeitungen, als in Bezug auf Auskunft, welche die Streiter der revolutionären Partei interessirt. » In den letzten Tagen erfolgte die Ankündigung, dass in der Imprimerie jurassienne von nun an ein neues anarchistisches Blatt, der «Egalitaire» erscheinen werde, und soeben geht uns davon die erste Nummer zu.

Xeben den Anarchisten hatte die Untersuchung in Genf ihr Augenmerk auch auf angebliche Agents provocateurs zu richten.

Es war klar, dass solche Leute die iiussere und innere Sicherheit der Schweiz gerade so gut gefährden, wie die Anarchisten selbst, und es braucht nicht besonders betont zu werden, dass solchem Volke gegenüber nicht die geringste Kücksicht zu nehmen ist. Als verdächtig wurden von verschiedenen Seiten bezeichnet Emil Scliopen, cand. med., und Max Trautner, ehemaliger bairischer Offizier, nunmehr Schriftsteller, welche beide früher in Bern gewohnt hatten und sich nun seit einiger Zeit in Genf aufhielten. Leider war Trautner rechtzeitig verschwunden, indem er am Tage nach Eröffnung der Untersuchung seinen Koffer
packte und über Bern angeblich nach Berlin reiste, um sich von dort nach BrÜKSel zu wenden. Ueber die Resultate der gegen diese beiden geführten Bnmlesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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Untersuchung sagt der Bericht des Herrn Untersuchungsrichters Berdez : « Mit Bezug auf Schopen scheint mir durch die Untersuchung festgestellt zu sein, dass er weder Anarchist noch agent provocateur ist. Sein Benehmen während der Untersuchung war freimüthig und loyal und er war bestrebt, mir alle Dokumente und Aufschlüsse zu geben, welche ich von ihm verlangte. Schopen war thätiger Socialdemokrat in Deutschland ; er steht in Beziehungen mit den Führern der Partei, z. B. mit Bebel und Bios; dagegen hat er die anarchistischen Theorien Peukerts in Bern bekämpft und gegenwärtig scheint er, sich ausschliesslich damit zu beschäftigen, seine medizinischen Studien zu vollenden. Er hat sich über seine finanziellen Hülfsmittel vollständig ausgewiesen, durch Schriftstücke, welche er mir übergeben hat.

« Was Trautner betrifft, so scheint mir, dessen Stellung sehr zweideutig zu sein ; leider hat er Genf am Tage nach Eröffnung der Untersuchung verlassen und hat er sich wohl gehütet, dahin zurückzukehren. Nach gewissen Mittheilungen könnte Trautner wohl ein agent provocateur sein, aber ich habe keinen Beweis dafür gefunden, dass er der Verfasser der Warnbriefe der Nr. 5 wäre. Die Schrift ist gänzlich verschieden. » Lassen wir also diesen Mann einstweilen in Brüssel, aber fassen wir ihn scharf in's Auge, wenn er die Schweiz wieder betreten sollte.

d. Eine Gruppe der Anarchisten sollte schon von früher her auch in Vevey-Montreux bestehen, und die Untersuchung musste sich daher auch mit diesen Ortschaften, des Nähern befassen. Sie hatte dazu besondern Anlass durch den aus Montreux an die Redaktion des « Bund » gelangten Drohbrief. Ausserdem hatte ein Anonymus von Vivis aus drei Warnbriefe an das eidg. Justiz- und Polizeidepartement geschrieben, welche in ziemlich confuser Weise über das Treiben der Anarchisten in der Schweiz überhaupt und in Montreux speziell Aufschlüsse zu geben suchten.

Es gelang, nach einigen Nachforschungen den Verfasser dieser Briefe in der Person eines gewissen BurTcJiardt Niggli, Schuhmacher aus Ölten, ausfindig zu machen. Allein es zeigte sich bald, dass dessen Aussagen kein grosses Gewicht beigelegt werden konnte, wesshalb denn auch auf seine Briefe nicht weiter Rücksicht genommen wurde.

Im Uebrigen ergab es sich, dass der Arbeiterverein in Vivis vor ein bis anderthalb Jahren diejenigen Mitglieder, welche anarchistischen Ideen huldigten, ausgestossen oder zum Austritte veranlasst

651 hatte. Es waren indessen nur wenige und soll ihre Zahl namentlich seit der Abreise Bisenhauers sich erheblich vermindert haben. Eine organisirte Gruppe dürfte zur Zeit weder in Vivis noch in Montreux bestehen. Die dortigen Anarchisten scheinen sich vielmehr an Lausanne anzuscbliessen, und stehen mit Heilmann in regem persönlichem Verkehr. Als solche sind namentlich zu erwähnen: Josapait, August, aus Königsberg, Schreiner in Vivis, Kopp, Adolf, aus Sachsen, Schneider in Montreux, und Lienhard, Rudolf, aus Buchs (Aargau), Schneider in Montreux. Dagegen scheinen sich Wilhelm Stein, Schuhmacher, und Jean Bastorfer, ebenfalls Schuhmacher, welche früher als thätige Mitglieder der anarchistischen Propaganda betrachtet wurden, von der Partei vollständig zurückgezogen zu haben.

Ausser den Genannten kommt für das französische Element in dieser Gegend hauptsächlich in Betracht der bereits erwähnte Elisée Reclus. Das Verhör mit demselben wurde bereits an anderer Stelle mitgetheilt. Ebenso sind seine Beziehungen zum « Révolté » und den Genfer Anai-chisten bereits erörtert worden. Es bleibt daher nur noch übrig, über das Resultat der bei ihm vorgenommenen Haussuchung zu berichten. Man fand bei Reclus das vollständige Abonnentenverzeichniss des « Révolté », eine ganze Zahl von Rechnungen betreffend die Administration des Revolte, Briefe von Perrare, Grave und Anderen, welche neuerdings bewiesen, in wie enger Beziehung Reclus zum « Révolté * und den Genfer Anarchisten steht ; ferner fand sich vor ein Manuscript, überschrieben : « Propagande Socialiste (entre paysans) », für welches Reclus die Verantwortlichkeit übernahm und in welchem in populärer Form die Darlegung der anarchistischen und communistischen Doktrinen und der Nachweis der Notwendigkeit der sozialen Revolution versucht wird. Verfasser des italienischen Originals ist der bekannte Anarchist De. Malatesta.

e. Endlich müssen wir uns noch mit dem Kanton Neuenburg und dem Berner Jura befassen. Während die Untersuchung in Genf, Lausanne und Vevey-Montreux im Gange war, waren die kantonalen Behörden von Neuenburg eifrig bemüht, nach dem Urheber der beiden in La Chaux-de-Fonds zur Post gegebenen Drohbriefe zu forschen. Es wurden in La Chaux-de-Fonds, Locle und Neuenburg Verzeichnisse derjenigen Personen aufgenommen, welche verdächtig waren, dem Anarchismus
zu huldigen. Man suchte, durch Handschriftenvergleichung dem Thäter auf die Spur zu kommen.

Unzweifelhaft waren die beiden Briefe von derselben Person gesehrieben worden. Auch war als höchst wahrscheinlich anzunehmen, dass der Schreiber der französisch sprechenden Bevölkerung ange-

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höre. Allein alle Nachforschungen waren fruchtlos und die gemachten Erhebungen ergaben nur, dass die Anhänger der Internationale, welche früher in La Chaux-de-Fonds und Neuenburg ihren Hauptsitz hatten, an diesen Orten im Abnehmen begriffen sind.

Der in Neuenburg bestehende deutsche Arbeiterverein huldigt der sozialdemokratischen Richtung und steht in scharfer Opposition zu jeder anarchistischen Tendenz. Das daselbst bis 1881 oder 1882 bestandene Zentralkomite der Fédération jurassienne hat sich um diese Zeit aufgelöst. Von seinen Mitgliedern wohnt nur noch Henri Alfred Robert, der Korrespondent desselben war, in Neuenburg.

Derselbe will sich aber in Folge seiner Verheirathung von der Aktion zurückgezogen haben.

Auch in La Chaux-de-Fonds steht der Arbeiterverein im Gegensatz zur anarchistischen Bichtung und Leute, welche sich ofl'en als Anarchisten bekennen, erklären, dass ihres Wissens gegenwärtig keine anarchistische Gruppe daselbst existire. So Jean Louis Pindy, der früher Mitglied des Zentralkomites der Fédération jurassienne in La Chaux-de-Fonds war, sich gegenwärtig aber von der Aktion zurückgezogen hat und über seine Stellung zum Anarchismus sagt : « Als ich aktiven Antheil nahm, unterstützte ich die Theorie deiPropaganda durch die That, jetzt erlaube ich mir, nicht darüber zu urtheilen, aber ich würde sie persönlich nicht zur Anwendung bringen » ; ferner Charles Auguste Dulche, welcher sagt, er sei « Sozialrevolutionär und nicht Anarchist » und kenne keine anarchistische Gruppe in La Chaux-de-Fonds und Auguste Chochard, welcher erklärt : « Ich bin Anarchist und bin Abonnent des Bévolté. Ich kenne keine anarchistische Gruppe in La Chaux-de-Fonds und weiss nicht, ob die Partei hier Zusammenkünfte hat». Ebenso spricht sich aus der Graveur Albert Nicolet.

Es mag dahin gestellt bleiben, in wiefern diese Aussagen Glauben verdienen. Jedenfalls konnte das Gegentheil nicht koustatirt werden.

Aber ebenso wenig fand sich die Handschrift der Drohbriefe vor.

Verdächtig machte sich einzig der bereits erwähnte Albert Nicolet, welcher sich nicht nur weigerte, das Protokoll zu unterzeichnen, sondern auch nicht unter Diktat schreiben wollte. Seine Handschrift wurde auf anderra Wege ermittelt, hatte aber keine Aehnlichkeit mit derjenigen der Drohbriefe.

Im Berner Jura galt früher als eifrigster Anarchist
und Führer der Partei der Graveur Ademar Schwitzguebel von Saanen, wohnhaft in Sonvillier. Allein Schwitzguebel hat sich seit zwei Jahren vollständig von der Partei getrennt und Chochard sagt von ihm, er habe die anarchistische Sache verrathen.

653 Dagegen scheint sich nunmehr eifrig mit anarchistischer Propaganda befassen zu wollen Jacques Gross, von Zurzach, Handelsreisender in Boncourt. Derselbe trat in Verbindung mit Paul Schultze und Grave und erhielt .von Letzterem mehrere Sendungen des «Révolté», um dieselben nach Frankreich zu schmuggeln, von Ersterem in mehreren Exemplaren die Most'sche « Freiheit ». Er korrespondirte unter dem Namen Jean Guise und gibt vor, seit seinem 15. Jahr der Internationale angehört zu haben. Er hatte sich zugestandener Massen auch anerboten, die « Freiheit » nach Deutschland zu schmuggeln, und betheiligte sich ferner bei Vertheilung des « Appel au peuple bernois » anlässlich der bernischen Verfassungsrevision.

Zum Schlüsse dieses Kapitels verweisen wir noch auf den Vorbericht des Hrn. Untersuchungsrichter Berdez über die Untersuchung in der Westschweiz. Die Kechtsfrage soll für die ganze Schweiz gleichzeitig behandelt werden.

6. Drei besondere Fälle, a. Christian Hermann TVagenbret.

Am 21. Februar 1885 wurde in Basel ein « An den Bundesrath in Bern » adressirter Brief zur Post gegeben folgenden Inhalts : « An den Bundesrath !

« Die indirekten Auslieferungen -- der sogen. Grenzschub -- nehmen in der Schweiz erschreckend zu. Die Schweizer hauptsächlich suchen darin eine ergiebige Erwerbsquelle, die Dienste eines Verräthers und Spions zu verrichten. Ein Flüchtling kann von jedem Lumpen angeschuldigt werden, und insofern der Letztere Schweizer, hat der Erstere überhaupt zu schweigen, und das Geschäft hat der Schweizer gemacht. Er geht nur an die Grenze und «rklärt den Gendarmen, wenn der Flüchtling gebracht wird. In Zeit von 3 Monaten sind hier, zu Basel, 8 solcher Fälle vorgekommen und hat die Nationalehre hier aufgehört.

« Der Bundesrath wird ersucht, sofort folgendes Dekret zu erlassen und öffentlich bekannt zu geben : « Die Nationalehre der Schweiz erfordert, dass jeder Flüchtling, ob er Geld oder Schriften habe, bei Anschuldigungen gegen ihn in der Schweiz einen Eechtsbeistand erhalte, und dass er, insofern eine Strafe gegen ihn erkannt werde, nach Abbüssung derselben, nicht an die Grenze gestellt werde . sondern nur einen Ausweis erhalten dürfe. Im iius-

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sersten Palle, und indem er solchem nicht nachkäme,. sei er nur an die Grenze zu stellen, welche er wählt».

« Die Bekanntmachung dieses Erlasses wird schleunigst gefordert, wenn nicht Mittel ergriffen werden sollen, die moralisch gesunkene Schweiz wieder zu heben.

Die Unbesiegbaren ». ,,> « Erlass der Vehme vom 15./2 85.

« Im Wiederholungsfalle sind die Polizeidirektoren der Grenzbezirke zu füseliren ».

Dieser Brief wurde vom eidgen. Justiz- und Polizeidepartement schon mit Schreiben vom 21. Februar an das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt geschickt, mit dem Ersuchen, nach dem Autor zu forschen und über die Sache Bericht zu erstatten. Sofort wurden die eingehendsten Nachforschungen angestellt.

Zufolge Bericht vom 27. Februar wurde zunächst zwm Inhalt des Briefes konstatirt, dass in der Zeit vom 20. Januar bis 19. Februar sieben von Basel Abgeschobene in der Nähe der Grenze (Neuhaus) verhaftet wurden, worunter sechs Deserteure. Dieselben seien dann in Lörrach in Haft genommen und später weiter geliefert worden.

Bald darauf wurde auch der Urheber des Briefes ausfindig gemacht. Die Nachforschungen, welche in Basel nach den persönlichen Beziehungen1 Lieskes angestellt wurden, führten zur Einvernahme des Mechanikers Christian Hermann Wagenbret aus Géra.

Seine Unterschrift fiel dem damit betrauten Sekretär des Polizeidepartements, Hrn. Lutz, wegen ihrer Aehnlichkeit mit der Schrift des Drohbriefes auf und, nachdem am selben Tage eine Mittheilung aus Géra eingelangt war, laut welcher derselbe Wagenbret seit Mitte Januar fortgesetzt Schreiben dorthin sendete, in denen er deutsche Beamte und Behörden der Justizverbrechen beschuldigte und mit Ausführung eines Racheplanes drohte, ersuchte Hr. Lutz den Wagenbret, ihm seinen Lebenslauf schriftlich einzureichen.

Gleichzeitig wurde auch nach Géra gesehrieben und um Hersendung der Originalbriefe gebeten.

Nachdem Wagenbret die Beschreibung seines Lebenslaufes eingereicht hatte, zeigte sich eine auffallende Aehnlichkeit seiner Handschrift mit derjenigen des Drohbriefes, wesshalb er am 10. Mär/ in Untersuchungshaft genommen wurde. Noch am selben Tage einvernommen, gab Wagenbret zu, im Laufe dieses Jahres etwa secha Briefe an den Bürgermeister von Géra und andere Behörden daselbst gerichtet zu haben. Als ihm dann der Drohbrief « Die Unbesiegbaren » vorgewiesen und er gefragt wurde, ob er denselben

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geschrieben habe, erwiderte er nach längerer Besichtigung des Briefes: «Ich habe das nicht geschrieben». Weiter befragt meinte er : « Ich glaube ganz sicher, dass die preussischen Spione dahinter stecken. Das Schriftstück ist jedenfalls gefälscht. Grossrath Hohl, Schuhmacher in Genf, welcher ein preus.sischer Spion ist, setzt Alles daran, um mich aus der Schweiz zu vertreiben, er besitzt Schriftstücke von meiner Hand und steht wahrscheinlich mit dem Briefe im Zusammenhang Ich habe durchaus keine Ursache weder den Schweiz. Bundesrath, noch die Polizeibehörden der Schweiz zu bedrohen, da ich ja in der Schweiz von den Behörden nobel behandelt worden bin. Ich erblicke in dem anonymen Schriftstück ein elendes Machwerk, um mir den fernem Aufenthalt in der Schweiz unmöglich zu machen ».

Am 11. März wiederholt Wagenbret diese Aussagen, indem er den Verdacht äussert, die Leute in Géra möchten dahinter stecken.

« E s wäre ja lächerlich von mir, dem Schweiz. Bundesrathe und den Schweiz. Polizeidirektionen Drohungen zu machen ».

Wagenbret bestritt, Anarchist zu sein, und die h er üb er angestellten polizeilichen Nachforschungen gaben keine Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme. Nur den Schuhmachergesellen Lieske kannte Wagenbret von G-enf her und mit diesem war er auch in Basel gelegentlich zusammengekommen.

Da es fraglich sein konnte, welche Gerichte in erster Linie zur Beurtheilung des Falles kompetent seien, sandte das Polizeidepartement von Baselstadt die Akten am 13. März an das eidgen.

Justizdepartement und dieses überwies dieselben mit Kiicksicht auf die inzwischen vom Bundesrath beschlossene eidgen. Untersuchung dern Unterzeichneten, welcher seiner Seits den Untersuchungsrichter für die deutsche Schweiz einlud, die Sache weiter zu verfolgen.

Es wurden nun zunächst noch eine Handschriftenvergleichung durch Sachverständige und eine ärztliche Untersuchung des Wagenbret angeordnet, letzteres weil seine Zurechnungsfiihigkeit von einer Seite her in Zweifel gezogen worden war.

Mit Vornahme der Sehr iftenvergleichling wurde beauftragt Herr Professor Fr. Burkhardt, Rebtor des Gymnasiums in Basel, welcher anfänglich glaubte, die Frage ob Wagenbret den Drohbrief an den Bundesrath geschrieben habe, verneinen zu müssen, dann aber bei genauerer Prüfung zu dem Schlüsse kam : « Es sei grosse Wahrscheinlichkeit
vorhanden », dass Wagenbret den Brief geschrieben habe.

Mit Abfassung des ärztlichen Gutachtens wurde betraut Herr Professor Wille in Basel. Derselbe gelangte nach einlässlicher Be-

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gründung zu dem Schlüsse, dass Wagenbret als ein Geisteskranker zu betrachten sei, der an partieller VerrücJctheit leide.

Derselbe sei nicht als gemeingefährlich zu betrachten und seine Unterbringung in einer Irrenanstalt erscheine nicht als geboten.

Wir heben aber ausser den Schlüssen folgende Stelle des Gutachtens hervor, nach welcher die Frage offen bleibt, ob Wagenbret mit Bezug auf den Drohbrief an den Bundesrath vom strafrechtlichen Standpunkte aus als zurechnungsfähig zu betrachten ist oder nicht^ Herr Prof. Wille sagt nämlich : « Was den Geisteszustand betrifft, so spricht W. über alle seine Person nicht betreffenden Vorkommnisse und Verhältnisse mit vollemVerständniss, soweit sie in den Bereich seiner Beurtheilungsfähigkeit fallen, und mit völliger Klarheit, ohne irgend welchen formalen oder materiellen Verstoss».

Nun bezieht sich der Drohbrief an den Bundesrath auf Vorkommnisse und Verhältnisse, welche die Person des Wagenbret nicht betrafen, und auch der auf den Drohbrief Bezug nehmende Schluss des Gutachtens _schliesst die Zurechnung der Handlung als einer strafbaren .nicht absolut aus. Derselbe lautet: « Was schliesslich noch den Zusammenhang des bei W. vorhandenen abnormen Geisteszustandes mit der fraglichen strafbaren Handlung betrifft, so glaube ich, dass derselbe grössten Theils auf dem verkehrten Rechtsbewusstsein des W. beruht. Er sieht in allen Handlungen Unrecht, betrachtet sich als eine Art Rächer der verletzten Gerechtigkeit, dessen Beruf es ist, gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Daneben mag hiebei die Lust zum Täuschen eine Rolle gespielt und ihn zum fingirten Schreiben veranlagst haben ».

Unter solchen Umständen und Angesichts der mit Bezug auf die übrigen anonymen Briefe angeordneten Expertise erachtete es Herr Untersuchungsrichter Dedual für angezeigt, die mit derselben beauftragten Herren Lämmlin und Scheuner in Thun auch um Begutachtung des « .BasZer-Drohbriefes » zu ersuchen. Dieselben ' schlössen nach einlässlicher Untersuchung ihr eingehend raotivirtes Gutachten mit den Worten : « Wir kommeji sonach an der Hand der geführten Expertise zu der vollendeten Ueberzeugung, « dass der mit Datum 15/2 85 « an den Bundesrath » adrcssirte und « Die Unbesiegbaren » unterzeichnete Drohbrief sammt Couvert vom Mechaniker Wagenbret aus G-era verfasst und geschrieben ist ».

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Inzwischen war aber der Verfasser der meisten übrigen Briefe in Wilhelm Huft enldeckt worden und war festgestellt, dass Wagenbret in keiner Beziehung zu der Attentatsgeschichte stand. Er hatte seit Jahren ein abenteuerliches, wechselvolles Leben geführt, war aber mit dem Anarchismus und seinen Vertretern nirgends in nähere Beziehung getreten. Soweit die in seinem Briefe enthaltene Drohung gegen den Bundesrath gerichtet war, musste es fraglich erscheinen, ob dieselbe unter eine Bestimmung des eidgen. Strafrechts subsuniirt werden könne ; jedenfalls aber war dieselbe an sich nicht der Art, um eine eidgenössische Strafverfolgung zu rechtfertigen. Endlich war es ja sogar zweifelhaft, ob Wagenbret mit Bezug auf diese That als zurechnungsfähig zu betrachten sei. Aus allen diesen Gründen beschlossen der Untersuchungsrichter für die deutsche Schweiz und der Unterzeichnete, es sei gegen Wagenbret seitens der Eidgenossenschaft keine Anklage zu erheben.

Dieser Beschluss unterlag nach Art. 29 des Bundesstrafverfahrens der Genehmigung des Bundesrathes, welche ani 8. Juni erfolgte.

Den Basler Behörden blieb es somit überlassen, ob gegen Wagenbret wegen der gegen sie gerichteten Drohungen vor den Baslergerichten Klage erhoben werden solle.

b. Gabriel Charitat.

Am 21. März Nachmittags wurde in Bern von einem Unbekannten, der das Aussehen eines Arbeiters hatte und französisch sprach, ein Aufmf verbreitet, überschrieben : « Appel aux Travailleurs Suisses ». Der Aufruf schloss mit folgenden Sätzen : «Allons, travailleurs, réunissez-vous et révoltez-vous! Sus aux exploiteurs ! Sus aux dirigeants ! Brûlons leur châteaux, emparonsnous de toutes leurs richesses, qui, après tout, sont les nôtres, fusillons-les, pillons-les, et rappelons-nous cette devise : Contre les Tyrans tous les moyens sont Ions.

« Mort aux tyrans qui osent se proclamer nos dirigeants !

« Mort à la bourgeoisie !

« Mort à tous les représentants de l'autorité !

« Vive la Eévolution sociale ! » Unter dem Aufruf stand die Firma : « CMlon, Imi). Grncmry et C ie ».

Die hievon in Kenntniss gesetzte Polizei konnte nur noch konstatiren, dass der Unbekannte 6 Uhr 22 Minuten mit dem Freiburgerzug fortgefahren sei. Es wurde daher sofort nach Freiburg

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telegraphirt, wo der Unbekannte verhaftet wurde. Nach Bern gebracht, gab er zuerst vor, er heisse Eaphael Slinger, dann gab er zu, dass dies nicht sein wahrer Name sei, und schliesslich gestand er, dass er in Wirklichkeit Gabriel Charitat heisse und aus Firminy, Département Haute Loire in Frankreich, stamme.

Charitat gab vor, er habe keinen Beruf erlernt und habe den Aufruf verfasst und verbreitet, um in ein Zuchthaus gesteckt zu werden, wo er dann einen Beruf erlernen würde. Er habe den Aufruf in der Schweig verbreitet, damit seine Familie nichts da.von erfahre, und er habe denselben in Genf in einer Druckerei Coursde Rive oder Cité de Rive N° 3 drucken lassen. Er sei nicht Mitglied eines politischen oder revolutionären Vereins und habe sich nie mit solchen Dingen befasst.

Bei Charitat wurden u. a. gefunden : 1. Ein Arbeiterbuch lautend auf den Namen Eaphael Slingerr aus Andruïk, Arrondissement St. Orner, Département Pas-de-Calais, welches er sich selbst angefertigt haben will. Er behauptet, dassman bezügliche Formulare in Prankreich überall kaufen könne.

2. « Evolution et Eévolution » von Elisée Eeclus, welche man ihm in dem Cafe neben der Imprimerie jurassienne in Genf gegeben habe.

3. Einen Brief an Alexander Lallechère, tìls, in Firminy, in welchem er sich darüber beklagt, dass ihn seine Mutter schlecht behandelt habe, und worin er sagt, er habe eine Ahnung, als ob ihm nächstens ein Unglück zustossen würde.

4. Nummer 2 und 3 des Journal « L'Audace »,. die er in Prankreich behommen haben will und 5. Ein Notizbüchlein, enthaltend Adressen der Redaktionen anarchistischer Zeitungen, welche Charitat sich aus dem Audacenotirt haben will.

Die Untersuchung ergab, dass Charitat Mittwoch den 18. Mära nach Genf gekommen war. Am 19. März hatte er sich von einem Dienstmann auf die Imprimerie jurassienne führen lassen, welche aber geschlossen war. Bei einer andern Druckerei, wohin er sich begab, um seinen Aufruf drucken zu lassen, wurde er abgewiesen.

Schliesslich übernahm ein Angestellter der Buchdruckerei Schira den Druck von 1000 Exemplaren gegen Bezahlung von Fr. 15, welche Charitat sofort erlegte. Die Uebernahme erfolgte unter eigenthümlichen Umständen, welche hier kurz 'erwähnt werden müssen.

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Am 18. März war der Inhaber der Buchdruckerei Schira, Herr Kémy Schira gestorben, seine Wittwe mochte sich daher mit der Sache nicht befassen und wies den Charitat an einen als zuverlässig, betrachteten Angestellten des Geschäfts. Dieser übernahm die Arbeit, liess sich den Preis von Fr. 15 sofort dafür bezahlen und lieferte den Aufruf am folgenden Tage an Charitat ab. Um seine Prinzipalin nicht zu kompromittiren, hatte er eine imaginäre Firma hingesetzt.

Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass Charitat mit Anarchisten in der Schweiz in Verbindung steht, und wir müssen dahin gestellt sein lassen, ob seine Angaben wahr sind oder nicht.

Obschon nun gegen Charitat, gestützt auf Art. 48 und 45 des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht eine Anklage hätte erhoben werden können, so richtete sich doch der von ihm verbreitete Aufruf nicht speziell gegen die Bundesbehörden und lag nicht eines derjenigen Vergehen vor, welche nach Art. 73 des Bundesstrafrechta der ausschliesslichen Kompetenz der Bundesassisen unterstellt sind..

Vielmehr musste das Vergehen des Charitat unter Art. 97, 98 oder 100 des bernischen Strafgesetzbuches subsumirt werden und stand daher die Beurtheilung dieses Falles den bernischen Gerichten zu.

Aus diesen Gründen stimmten der Untersuchungsrichter für die deutsche Schweiz und der Unterzeichnete darin überein, dass von einer eidgenössischen Assisenverhandlung dieser Sache halber Umgang zu nehmen und die Beurtheilung des Charitat den bernischen Gerichten zu überlassen sei. Nach Mitgabe des Art. 29 des Gesetzesüber die Bundesstrafrechtspflege wurde hierüber die Weisung des Bundesrathes eingeholt, welcher am 3. Juni im Sinne des gestellten Antrages entschied.

c. Wilhelm Huft.

Eine besonders eingehende Behandlung fordert die durch ihren tragischen Ausgang bereits bekannte Untersuchung gegen Wilhelm Huft. Anfänglich fast ohne Aussicht auf Erfolg, sollte diese Untersuchung für die Hauptsache die Entscheidung bringen.

Wilhelm Huft, von Opfingen, bei Freiburg i. Br., im Grossherzogthum Baden, wurde geboren am 9. Dezember 1858, als der eheliche Sohn des Landwirths Johann Huft und der Maria Magdalena Dannegg. Er genoss eine gute Schulbildung und erlernte sodann im Jahre 1873 in Schopfheim, im Wiesenthal, den Beruf eines Coifieurs. Dort besuchte er auch die Fortbildungs- oder

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Gewerbeschule. Nach 18monatlicher Lehrzeit arbeitete Huf't zuerst in Ludwigsburg und dann 14 Monate lang in Tübingen. Er will sich dort durch Sparsamkeit eine Summe Geldes erübrigt haben, ·die es ihm ermöglicht habe, Norddeutschland, Südrussland, Skandinavien. England, Prankreich, Italien und Spanien zu «durchstreifen.» Doch mag das dahin gestellt bleiben. Kaum. 19 Jahre alt kam er zum ersten Male 1877 in die Schweiz, wo er bis zum Frühjahr 1878 in Thun arbeitete. Von da ging er nach Rastatt, wo er zwei Jahre und zwei Monate blieb, um sich dann nach Basel zu begeben. Er verliess Basel im Herbst 1881, war bis zum März 1882 in St. Immer, machte von dort eine kleine "Vergnügungstour nach Lausanne und Genf und begab sich über Bern nach Bad Schinznach, wo er bis Oktober 1882 arbeitete. Von dort kam er nach fiorschach zu Frau Wittvve Sophie Frey, geb. Hauser. Mitte April 1883 gieng er,wieder nach Schinznach, um im Oktober gleichen Jahres zu Frau Frey nach Rorschach zurückzukehren. Ini Spätherbst 1884 trat er bei Frau Frey aus, begab sich zunächst für etwa vierzehn Tage in seine Heimath, gieng dann nach St. Gallen, wo er sechs Wochen lang arbeitslos war, bis er am 8. oder 10. Dezember 1884 bei Herrn Coiffeur ^Ulrich Schuppli in Heiden Arbeit fand.

Dort wurde er am 8k März 1885 verhaftet.

Huft war nach den durchaus glaubwürdigen Aussagen seiner Meisterleute ein solider, guter und eingezogener Arbeiter, gieng an Wochentagen nicht in Wirthschaften, trank höchstens Sonntags ein paar Glas Bier und war äusserst sparsam. Die häufigen Touren, welche er von Heiden aus nach Rorschach und St. Gallen unternahm, machte er in der Regel zu FUSS."

Neben seinem Beruf als Coiffeur beschäftigte sich Huft beständig mit Schriftstellerei. Er schrieb gewandt und korrekt über alle möglichen Gegenstände. Als Schriftsteller hatte er sich den Namen « von Straus » beigelegt, unter dem er Korrespondenzen versandte und empfieng. Huft schrieb regelnlässig Artikel in den in Leipzig erscheinenden « Friseur » ; seine Briefe aus der Gefangenschaft unterzeichnete er : Wilhelm Huft (von Straus), Friseur Gehülfe und Literat, weiland Redaktor des « Neue Coiffeur » , oder Wilhelm Huft (von Straus), Friseur und Schriftsteller.

In einein Briefe an Frau Frey unterzeichnete er: «Wilhelm Huft, als Fachautor bekannt' unter dem Pseudonym Straus
». Auch an Klinger schrieb er : « In deTi « Friseur » schreibe ich unter dem Pseudonym W. Straus. » Huft korrespondirte nicht nur in Fachblätter, er versuchte sich auch in sozialen und politischen Fragen. So schrieb er bis in die letzte Zeit in den «Weinläncler», auch in den «Rorschacherboten»,

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in das «Ostschweizerische Wochenblatt», in das «St. Galler Volksblatt», in die in Pfäffikon (Zürich) erscheinende «Volkszeitung» und in das «Unterhaltungsblatt» (Rorschach). Als ihm der Untersuchungsrichter die Frage stellte : « Sie sollen sich in Heiden sehr um den Bestand der Beamten im Kanton Appenzell bekümmert haben?» erwiderte Huft: «Das wird erlaubt sein. Man muss sich doch über die staatliehen Organe informiren, wenn man darüber schreiben soll.» Huft bildete sich auf seine Schriftstellerei nicht wenig ein. Er sprach gern und mit grossem Selbstbewusstsein davon und er hatte dazu schon einigen Grund. Die zweite Expertise sagt über die Schreibweise des Huft: «Die Schrift des W. H. zeigt ganz unbestritten eine grosse Gewandtheit und Sicherheit der Form lind des Ausdrucks; er schreibt mit Leichtigkeit, drückt sich gut und geläufig aus, wie es einem Manne geziemt, der sich selber Schriftsteller nennt und sich einen Schriftstellernamen beilegt. » Und über die Form sagen die Experten : «Speziell dor Form nach, um die es sich namentlich handelt, ist die Schrift sauber, leicht leserlich und entbehrt in mancher Beziehung nicht einer gewissen kalligraphischen Zierlichkeit und Schönheit, obwohl sie eine wirklich schöne Handschrift in Folge der nachlässigen Behandlung vieler Formen, namentlich der kleinen Buchstaben der deutschen Kurrentschrift, nicht genannt werden kann. Wollten wir, was streng genommen nicht hieher gehört, etwas über den psychologischen Charakter der Schrift sagen, so wäre es dies, dass sie auf eine gewisse Affektirtheit, Effekthascherei des Schreibers schliessen llisst, wohl auch auf Eitelkeit und Unbeständigkeit.» Ganz dieser Affektirtheit entsprechend war die Antwort, welche Huft nach einigem Besinnen auf die Frage des Untersuchungsrichters, ob er mit Klinger Uebungen in der Schönschreibekunst durchgenommen habe, ertheilte, «Das wäre ja von mir eine Anmassung, indem ich selbst nicht schön schreiben kann.» So bescheiden war Huft einige Wochen zuvor nicht, als ihm das Couvert des Wabernbriefes vorgewiesen wurde. Da meinte er: «Das ist mir eine unbekannte Adresse. Uebrigens ist diess schon orthographisch falsch und das lasse ich mir nie zu Schulden kommen.» Den von den Experten erwähnten Charaktereigenschaften entsprach es vollständig, dass Huft sich mit Vorliebe als, ein «Studirter»
ausgab. Bald sagte er, er sei Seminarist gewesen, bald erzählte er, er sei ursprünglich Lehrer im Badischen gewesen, habe dann al berseine Heimath wegen eines Pressprozesses, den er sich durch Kritik des Schulwesens zugezogen, verlassen müssen. Seiner letzten Geliebten , Emilie, sagte er sogar, er sei Doktor der Philosophie, er wies ihr auch ein « Diplom » vor, nannte sich dann gelegentlich

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wieder «Doktor in spe», was natürlich die gute Emilie nicht verstand. Auf einer Korrespondenzkarte an Klinger unterzeichnete er: «Semper der alte Magister und Doktor der Philosophie in spe. » Huft hatte sich auch einige lateinische Brocken angeeignet, die er gelegentlich effektvoll zu verwenden suchte. Vom Untersuchungsrichter befragt, bestritt Huft, Seminarist, Lehrer oder gar Doktor der Philosophie gewesen zu sein, und die in seiner Heimath gemachten Erhebungen ergaben, dass er wirklich weder das Eine noch .das Andere war. Huft gab aber zu, dass er sich diese Eigenschaften beigelegt habe, und meinte mit Bezug auf Emilie: «Das habe ich ihr gesagt, aber es ist nicht wahr und ich war einigermassen gezwungen dazu . . . . Ich muss das Wort « gezwungen » zurücknehmen, es war eine Marotte, eine Grossthuerei.» In der Schilderung seines Lebenslaufs, welche er auf Veranlassung des Untersuchungsrichters im Gefängnisse schrieb, sagt Huft : ,, Studiren " -- das war mein sehnlichster Wunsch ; allein zur Realisirung desselben erwiesen sich die vorhandenen Geldmittel als unzulänglich. » Mit Vergnügen erinnert er sich in einem Briefe vom 19. April daran, dass « der kleine Karl » seines Meisters ihn den « Papierlimann » zu nennen pflegte. Häufig finden wir in seinen Briefen den Gedanken, dass ihm sein « Studium » das Höchste sei.

Und seine verschiedenen Prinzipale bestätigen, dass er in seiner freien Zeit fortwährend schrieb oder « studirte. » Seiner Eitelkeit entsprach sein reger Verkehr mit Frauenzimmern. Wir finden ihn in Korrespondenz mit fünf oder sechs Mädchen und alle scheinen, noch auf ihn zu hoffen, während er der ·bereits genannten Emilie die Ehe versprochen hat. Seinen Briefen weiss er da, einen gewissen poetischen Schwung zu geben, schöne Phrasen sind ihm stets zur. Hand, auch jenes für Mädchenherzen so verhängnissvolle ahnungsreiche Dunkel steht ihm im geeigneten Momente zu Gebote. An Anna W. in Eorschach schreibt er am 5. Februar 1885 von Heiden aus: «Womit kann ich Sie am besten und lehrreichsten unterhalten? Was ich nämlich auch schreibe, ob Briefe oder Zeitungsartikel, -- stets will ich belehrend unterhalten oder unterhaltend belehren. Ich müsste denn kein deutscher Seminarist gewesen sein. Und wenn ich mit einem jungen und braven Mädchen rede, so nehme ich mich stets besonders zusammen. Augenblicklich
bin ich allein zu Hause. Ganz mutterseelenallein. Patron und Patronin -- sie sind verreist.» Dann sehreibt er von seiner Emilie, wie sie ihn besucht, wie sie sich um ihn geängstigt habe, weil er ihr über einen Monat lang nicht geschrieben. «Eine unbegründete, eine ungerechtfertigte Besorgniss ! Wohin sollte ich mich wenden, ohne dass sie mich nicht wiederfände ? ? ? Ich frage. -- »

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Dann fährt er fort: «Ich lebe noch genau so wie einst, liebe Anna.

Stille und zurückgezogen, einfach und genügsam. Meine einzige, meine genussreichste Erholung bildet meine Schriftstellerei und wenn ich die nimmer pflegen und hegen kann -- dann ist es aus mit mir. Aus und vorbei.» Charakteristisch für Huft ist auch der Schluss dieses Briefes : « Schon nahe ich mich dem Schlüsse und hätte Ihnen doch, liebe Landsmännin, noch so Manches zu offenbaren, -- aber es ist vielleicht besser, wenn ich schweige Das Bild, das ich in Ihrem Gedächtniss zurückgelassen, mein Bild, -- es lässt vielleicht an Reinheit und Deutlichkeit zu wünschen übrig. Sie kennen midi nicht von meiner ernsten Seite, Anna, -- und Sie wissen auch nicht, wie schwer, wie unendlich schwer es mir zuweilen auf dem Herzen ist . . . .

Und nun leben Sie wohl und gedenken Sie manchmal meiner -- gerade so, wie man eines alten Freundes gedenkt'. Auf Wiedersehen!» Umsonst suchen wir in dem Briefe die versprochene unterhaltende Belehrung oder belehrende Unterhaltung. Vielleicht steckt sie in den Fragezeichen und in den Gedankenstrichen. Wohl aber mahnt uns Huft an den Knaben, der eine arme Fliege quält oder an die Katze, die mit der Maus spielt. Er weiss, dass Anna W. ihn liebt und dass er sie nicht liebt. Während er ihr aber in den wärmsten Tönen die Zusammenkunft mit seiner Emilie schildert, wissend, dass es ihr das Herz brechen muss, sucht er, in raffinirter Weise ihre alte Neigung zu nähren und wach zu halten. Nicht um ihre Liebe ist es ihm zu thun, er selbst kommt sich interessant dabei vor, und ·wenn er, Wilhelm Huft, genannt von Straus, interessant sein kann, dann ist Alles andere Nebensache.

In einem Briefe an Fräulein F. M. vom 3. Februar 1885 tritt eine andere Seite seines Charakters wieder mehr in den Vordergrund. Er sehreibt: «Ich schreibe sehr, viel. Aber keine oder doch nur wenige Briefe. Meine Manuskripte sind meistens für den Druck und folgerichtig für die Oeffentlichkeitf bestimmt -- eine ausserordentlich mühevolle und undankbare Mission und hätte ich mich damals in Berlin dieser Mission nicht hingegeben, so wäre mir Vieles, ach gar Vieles erspart geblieben. » Ob Huft je in Berlin gewesen, muss dahin gestellt bleiben, wir finden sonst nirgends eine Andeutung dafür.

Der Anna W. schrieb er am 19. März 1885: «Ich war letzten
Dienstag in Rorschach und als ich wieder von dannen zog, da haben Sie mir recht wehmüthig nachgeschaut. Wesshalb ? Sie wussten, dass ich nach St. Gallen gieng. Fühlten Sie Mitleid mit mir? Ihr Mitleid, es war nicht so ganz ungerechtfertigt.

Weiter will ich mich heute nicht äussern. Sie sind noch zu jung und zu

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unschuldig, um mich vollkommen zu verstehen. Und wenn ich bei der Sache bleiben wollte, so müsste ich weit zurückgreifen und Gefahr laufen, Ihre keusche Seele zu vergiften. . Ich befinde mich in einem moralischen Gefangnisse. Habent sua fata! Die Suppe, die ich mir eingebrockt -- ich muss sie selbst auslöffeln.» Meinte er damit sein Verhältniss zu Emilie, der er um dieselbe Zeit wiederholt hoch und theuer'versicherte, wie er einst seine Schuld bei ihr einlösen wolle? Oder meinte er etwas Anderes, was ihn um jene Zeit so sehr beschäftigte?

Während Huft mit Mädchen gern und leicht in Verkehr trat, war er gegen Männer verschlossen und einsilbig. Freunde hatte er selten. Wozu auch, sie hätten ja seine glänzenden Eigenschaften nicht zu schätzen gewusst. Und er war sich selbst genug. Nur in Eorschach scheint er sich näher an Klinger, den berüchtigten Anarchisten, angeschlossen zu haben. Klinger würdigte ihn, suchte ihn auf, trug seinen geistigen Bedürfnissen Eechnung und lieferte ihm Stoff für seine phantastischen Kombinationen. Huft sagte noch nach seiner Verhaftung, er sei ein persönlicher Freund Klingers geblieben, obschon er politisch nicht mit ihm harmonirt habe.

Bevor wir jedoch die Beziehungen Hufts zu Klinger näher in's Auge fassen, müssen wir sehen, wie es kam, dass Huft in unsere Untersuchung verwickelt wurde.

Am 12. November 1884 war Huft in St. Gallen verhaftet worden, weil er im Verdachte stand, im Gasthof zum « Möhrlin » ein Paar Schuhe gestohlen zu haben: Nach 12stündiger Haft stellte sich seine Unschuld heraus, wesshalb er sofort entlassen wurde.

Eine Entschädigung wurde ihm indess nicht zuerkannt, weil er sich im betreffenden Gasthof unter falschem Namen, nämlich unter seinem Pseudonym v. Straiis, eingeschrieben hatte. Huft reichte de.sshalb und wegen der ihm bei diesem Anlasse angeblich zu Theil gewordenen Behandlung dem Justizdepartement des Kantons St. Gallen am 18. November eine Beschwerde ein, in. welcher er Fr. 50 Entschädigung verlangte. «Ich verlange Fünfzig Franken; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und sollten mir diese nicht umgehend übermittelt werden, so verzichte ich auf jeden Centime, nehme mir jedoch, wie ich bereits in heutiger Nummer der « Ostschweiz » hervorgehoben, die Freiheit, das in St. Gallen gegen mich verübte Justizverfahren in allen seinen Theilen durch
die Presse zu veröffentlichen -- und zwar werden mir dazu nicht bloss namhafte Schweizerblätter, sondern auch die weitgelesensten deutschen Journale ihre Spalten bereitwilligst zur Disposition stellen. » Diese Beschwerde wiederholte Huft am 27. November, indem er schlos.s:

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« Ich mache in der Presse nicht gern viel Aufhebens ; aber ich will zu meinem Rechte gelangen -- und aas, wie gesagt, noch im Laufe dieser Woche. » Die Reklamation Hufts wurde als durchaus unbegründet abgewiesen, was ihn veranlasste, am 22. Dezember 1884 eine sogen.

,,Rechtfertigimg" zu schreiben, welche in Nummer 2 des « Weinländer » vom 7. Januar 1885 erschien und in der Huft behauptet, der Grund der Abweisung seines Entschädigungsbegehrens habe darin gelegen, dass ihn die Polizei in Rorschach als « brandrothen Anarchisten » signalisirt habe.

An Fräulein F. M. schrieb Huft dagegen am 12. Januar 1885 über diese Verhaftung folgendes : « Denken Sie sich : kaum hatte ich mich dort (in St. Gallen) recht eingerichtet, als ich mein gemüthliches Junggesellenstübchen auch schon mit der Gefüngnisszelle vertauschen musste. Und wesshalb das ? War ich ein Verbrecher ?

Hatte ich gestohlen, geraubt, gemordet? Hatte ich einen Brand verursacht oder sonstwie das Gesetz verletzt? Nichts von alle dem, liebe F., mein Gewissen und meine Hände, sie waren damals so rein, wie sie es jetzt sind. Weil ich in St. Gallen für mich allein wohnte, kein öffentliches Geschäft betrieb, viel schrieb und hinwiederum eine Menge Korrespondenzen empfing -- weil ich ferner oft des Nachts ausging, Arbeiterversammlungen besuchte und dabei die eine oder die andere Eede dieses oder jenes Eeferenten in mein Notizbuch eintrug -- endlich aber, weil man wusste, dass ich gelegentlich für deutsche Zeitungen correspondirte : aus diesen Gründen entzog man mir die Freiheit. Sie können die Sache noch immer nicht begreifen -- was? So vernehmen Sie denn, dass der zuständige Polizeicommissär respektive Staatsanwalt einen preussischen Gensdarmerie-Spion hinter mir vermuthete. Glücklicherweise klärte sich das Dunkel bald auf -- man entliess mich, nachdem ich zwölf Stunden hindurch « gesessen » hatte. Einerseits hatte mich das Intermezzo ungemein belustigt, andererseits aber sehr wüthend gemacht. Ich verklagte den Kanton St. Gallen wegen falscher Verdächtigung und ungerechtfertigter Brandschatzung meiner persönlichen Freiheit -- und der Kanton St. Gallen, er musste mir nicht bloss eine angemessene Geldentschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft, sondern auch eine moralische G-enugthuwng im Amtsblatt geben. » Stellen wir dem gegenüber sofort
nochmals fest, dass Huft einzig und allein aus dem Grunde verhaftet worden war, weil er im Verdachte stand, einen Diebstatü begangen zu haben, dass er weder Entschädigung noch Genugthuung im Amtsblatt erhielt und Bnndesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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dass sein Entschädigungsbegehren aus keinem andern Grunde abgewiesen wurde als dem, dass er sich im Gasthof eines falschen Namens bedient und dadurch Anlass zur Verhaftung gegeben hatte !

Das aber hatte sich Huft wohl nicht träumen lassen, dass seine Beschwerde an die Polizeidirektion von St. Gallen zu seiner Entdeckung in der Anarchisten-Untersuchung führen sollte.

Nachdem die Untersuchung betreffend das Attentat auf das Bundesrathhaus eröffnet worden war, wies Herr Landjägerhauptmann Maggion in St. Gallen, welcher seiner Zeit die Beschwerden Hufts beantwortet hatte, schon frühzeitig auf die Möglichkeit hin, dass Huft der Autor des Wabernbriefes sein möchte. Bin am 11. März von der Polizeidirektion des Kantons Appenzell Ausserrhoden aufgenommenes Verhör schien jedoch, die Vermuthung durchaus nicht zu bestätigen, und so blieb Huft einstweilen unbehelligt. Inzwischen wurden die verschiedenen Briefe und Couverts, welche hauptsächlich in Betracht kamen, photographirt und an die Behörden derjenigen Kantone versandt, welche bei der Sache zunächst in Präge zu kommen schienen. Herr Landjägerhauptmann Maggion erhielt ebenfalls solche Photographien und darunter auch diejenige des Wabernbriefes.

Neuerdings erinnerte er sich der Handschrift Hufts. Er Hess sich die beiden Schreiben desselben an das Justizdepartement St. Gallen geben und fand bei eingehender Vergleichung der verschiedenen Schriftstücke seine Vermuthung bestätigt. Unverzüglich begab er sich nach Winterthur, wo zu jener Zeit Herr Untersuchungsrichter Dedual und der Unterzeichnete beschäftigt waren, und man beschloss, noch am gleichen Abend nach St. Gallen zu reisen und am folgenden Tag gegen Huft vorzugehen.

Man wTisste, dass Huft bis in die jüngste Zeit in Heiden gewesen, doch war man im Zweifel darüber, ob er noch dort sei.

Seine Geliebte Emilie wusste man in St. Gallen. Schliesslich kam man überein, dass der Unterzeichnete sich nach Heiden begeben, dort den Huft erforschen und im Betretungsfalle verhaften solle, ·während Herr Untersuchungsrichter Dedual in St. Gallen bleiben sollte, um dort bei Emilie Haussuchung zu halten, dieselbe einzuvernehmen und nöthigenfalls auch in Borschach einschreiten zu können. Sofort sollte auch eine Schriftenvergleichung durch Sachverständige augeordnet werden, von deren Eesultat es namentlich abhängen musste,
ob Huft in Haft zu bleiben habe. Denn es bestanden ja damals noch grosse Zweifel über seine Schuld.

So kam der 31. März, an welchem Huft in Heiden verhaftet, verhört und nach St. Gallen in Untersuchungshaft gebracht wurde, während bei Emilie in St. Gallen verschiedene Briefe Hufts be-

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.schlagnahmt und diese selbst eingehend verhört wurde. Ausserdem wurden in Heiden noch. Verschiedene Zeugen einvernommen und erhielten die Herren J. A. Helbling und Conr. Schlumpf, beide Professoren am Lehrerseminar Mariahilf bei Rorschach, den Auftrag, so rasch als möglich ein Befinden über die Handschrift des Wabernbriefes abzugeben. Endlich fand an diesem Tage auch noch in Eorschach bei Frau Prey Haussuchung statt, da Huft seinen Koffer ·dort gelassen hatte, und wurde auch Frau Frey einvernommen. Das Resultat dieser Massnahmen war scheinbar nicht bedeutend. Man hatte in Huft einen gewandten und verschlagenen Menschen erkannt, der bis in die letzte Zeit mit Klinger in Beziehungen gestanden, häufig in St. Gallen und Rorschach gewesen war, der viel korrespon·dirte und gewandt im Schreiben war, und der endlich auch gelegentlich gelogen hatte. Seinen Briefen an Emilie konnte man einstweilen keine grosse Bedeutung beilegen. Die Haussuchungen bei ihm selbst und bei Frau Frey hatten ein negatives Resultat gehabt und nur Eines war aufgefallen, das nämlich, dass bei Huft, der täglich schrieb und korrespondirte, auch nicht ein Fetzen Papier 7,u finden war. Doch auch darüber hatte der Zeuge Joh. Blatter, bei welchem Huft sein Papier zu kaufen pflegte, Aufschluss gegeben, indem er bestätigte, dass Huft stets nur einen oder zwei Bogen zusammen gekauft habe.

Am 1. April gaben die Sachverständigen ihr Gutachten dahin ab : « es sei mit hoher WahrscheinlichJceit anzunehmen, dass der Schreiber der Vergleichaktenstücke auch das Original des photographirten Briefes (Wabernbrief) geschrieben habe. » Huft wurde am 1. und 2. April durch Herrn Untersuchungsrichter Dedual einlässlich einvernommen, läugnete aber bestimmt, den Wabernbrief geschrieben zu haben. Nachdem ihm das Gutachten eröffnet und zum grössten Theil vorgelesen worden war, antwortete er: « Die Expertise kann sich irren, wie andere Mensehen auch.

Ich habe den Brief nicht geschrieben und, wenn Sie mich auf diese Expertise hin in Haft behalten, so werde ich mich dem Gesetze fügen. Es kann auch Jemand meine Schrift nachgemacht haben. ·» Weiter hierüber befragt, äusserte er sich : « Anhaltspunkte habe ich nicht, ich behaupte nur die Möglichkeit. Ich habe ein gutes Gewissen und mehr kann ich nicht sagen.

Klinger kennt meine Schrift, aber ich möchte ihn doch
nicht denunziren. Ein solcher war auch Eemlinger, der meine Schrift auch kennt. Ich habe persönliche Feinde in Rorschach und wahrscheinlich auch in St. Gallen und es wäre mir sehr wünschenswerth, die

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Herren Experten zu kennen, denn es könnten dieselben solche FeindeSein. » Als seine persönlichen Feinde nannte er dann Landjäger Wachtmeister Germann und Kornhändler Stiegeier. Er sagte aber sofort :.

c Ich glaube nicht, dass Germann und Stiegeier meine Handschrift kennen werden. Darauf, andere zu nennen, verzichte ich. » Auch in seinem Verhöre vom 8. April erklärte Huft:
Am 14. April erklärten sich die Herren Lämmlin und Scheuner einverstanden, die Expertise zu übernehmen, worauf ihnen Herr Dedual folgende zwei Fragen zur Beantwortung vorlegte : 1. Sind die Schriftstücke, die Ihnen vorliegen, von der gleichen Hand geschrieben worden ?

2. Hat eventuell der Schreiber des Wabernbriefes die Schrift in den andern Schreiben als Vorlage benützt, mit andern Worten die Schrift nachgeahmt ?

Zur Abfassung des Befindens lag ein reichhaltiges Material vor.

Es war aber überhaupt die Aufgabe keine leichte, da der Schreiber des "Wabernbriefes bei Verstellung seiner Handschrift mit grosser

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Vorsicht und Gewandtheit zu Werke gegangen war. Es darf daher durchaus nicht auffallen, dass die Abfassung des Gutachtens volle drei Wochen in Anspruch nahm. Um so gründlicher, sorgfaltiger und zuverlässiger fiel dasselbe aus, und wir dürfen es wesentlich der schlagenden Beweisführung der Herren Experten zuschreiben, wenn wir heute mit Bestimmtheit sagen können: Huft hat den Wabernbrief gesehrieben.

Das Befinden ging am 7. Mai von Thun ab nach Chur, während Herr Dedual inzwischen nach Bern gereist war. Kaum war derselbe aber von Bern abgereist, um sieh nach Chur zu begeben, so langte das Gutachten von Chur aus in Bern an, so dass dasselbe erst am 11. Mai in die Hände des Untersuchungsrichters gelangte, nachdem der Unterzeichnete zuvor davon Einsicht genommen hatte.

Der Schluss des Befindens lautet: « Die Experten sind am Schlüsse ihrer Untersuchung angelangt.

Sie glauben, dieselbe mit möglichster Gewissenhaftigkeit und Objektivität begonnen und durchgeführt zu haben. Es hätte die Untersuchung selbst noch weiter ausgedehnt werden können, d. h. es hätten weitere Vergleichungspunkte herangezogen werden können ; am schliesslichen Eesultate hätte diess nichts geändert. Die Experten sprechen ihre bestimmte Ansicht und feste Ueberzeugimg, die bei ihnen Gewissheit geivorden, dahin aus: 1. Der Wabernlrief ist eine absichtlich entstellte Handschrift 'Und keine Nachahmung; 2. der Wabernbrief ist von der Person geschrieben, welche die £wr Vergleichung vorliegenden, Seite 2 des Gutachtens speziell genannten AJctenstücJce A--H geschrieben hat, das heisst: Wilhelm JEfuft hat den Wabernbrief geschrieben. » Es ist nicht möglich, das Gutachten hier auszugsweise wiederzugeben, noch weniger geht dessen vollinhaltliche Reproduktion an.

Wir können nur wiederholen, dass dasselbe mit voller Sachkenntniss und ausserordentlieher Sorgfalt abgefasst und dass dessen Beweisführung für die Untersuehungsbehörden überzeugend war.

Herr Dedual begab sich nun zunächst am 12. Mai nach Heiden, um noch durch Einvernahme von Zeugen verschiedene Punkte klar zu stellen, welche für die Anklage gegen Huft von Bedeutung werden konnten. Am 13. Mai schritt er in St. Gallen zu einem nochmaligen eingehenden Verhör mit Huft.

Nachdem demselben zunächst der Schluss des zweiten Befindens eröffnet worden war, erklärte er : « Ich habe den Wabernbrief nicht geschrieben. » Das Gutachten wurde ihm hierauf vorgelegt. Nachdem er von demselben Einsicht genommen hatte, wiederholte er:

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« Ich habe den Wabernbrief nicht geschrieben. » Als er ntur gefragt wurde, wen er im Verdacht habe, erwiderte er : « Ich habe nichts dazu zu thun und nichts wegzunehmen von demjenigen, was ich in meinem ersten Verhör deponirt habe. » Und zu der Expertise meinte er zuerst: < Ich kann nichts anderes sagen, als die Experten müssen sich irren, ich habe den Brief nicht geschrieben. » Man musste also weiter ausholen und auf verschiedene Fragen näher eintreten, welche inzwischen aufgetaucht waren und den Indizienbeweis betrafen. Einstweilen wollen wir uns jedoch darauf beschränken, den Schluss des Verhörs mitzutheilen : Frage. Haben Sie mit Klinger auch zusammen gearbeitet ?

Antwort. Ja das ist so : Er verlangte von mir Unterricht zu nehmen im deutschen Styl, ich zeigte mich dazu erlötig und ersuchte ihn um Ausarbeitung eines Aufsatzes. Er verfasste eine Zeitungskorrespondenz über die Arbeitsverhältnisse in der Schweiz im Allgemeinen und legte mir diese Korrespondenz zur Korrektur vor.

Ich machte ihn auf die verschiedenen grammatikalischen und stylistischen Fehler aufmerksam und brachte das Schriftstück in die Reinschrift, worauf er es copirte und es einem in Oesterreich erscheinenden Arbeiterblatt (Kadikai) zur Publikation einsandte.

Fr. Und damit war Ihr Zusammenarbeiten fertig, haben Sie mit ihm sonst gar nichts ausgearbeitet?

A. Er hat dann noch eine Korrespondenz geschrieben für irgend ein Schweizerblatt, welche er mir zur Begutachtung vorlegte. Diese korrigirte ich nicht, erklärte ihm aber, diese Korrespondenz werde wegen etwelcher anarchistischer Wendungen nicht aufgenommen werden.

Fr. Also es kam vor, dass Sie Klinger'sche Arbeiten copirtert und ihm die von Ihnen geschriebenen Arbeiten zur Verfügungstellten ?

A. Die Frage ist nicht richtig gestellt. Er kann solche Schriftstücke besitzen, die er entworfen, ich aber grammatikalisch und stylistisch korrigirt, dann in's Reine geschrieben und ihm übergeben, habe.

Fr. Wie viele solche Schriftstücke ?

A. Ich erinnere mich zweier.

Fr. Haben Sie für ihn auch Adressen geschrieben ?

A. (Nach langem Besinnen.) Nein, diese Frage muss ich verneinen. -- Ich will mich aber noch besser besinnen. (Wieder Besinnen.) Ich habe die Adresse an den Radikal geschrieben. Sie

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lautete ·. An die Administration des .Radikal in Beichenberg Böhmen.

Fr. Haben Sie noch andere Adressen geschrieben ?

A. Nein, ich weiss sonst keine.

in

So ging es noch eine Zeit lang fort. Als dann Huft nochmals auf die Wichtigkeit der Expertise aufmerksam gemacht wurde, antwortete er : « Die Expertisen sind mir nicht massgebend, sie sind nur Scheinbeweise, die gesetzlich gar nicht in Betracht kommen. » Zum Schlüsse erklärte Herr Dedual dem Inquisiten : « Wenn Sie mir noch irgend etwas sagen wollen, so lassen Sie mich heute oder morgen rufen. » Huft zog sich hierauf in durchaus normaler Weise zurück.

Kaum eine halbe Stunde später wollte ihn der Gefängnisswärter zu einer Récognitions-Confrontation mit Nowotny vor den eidgen.

Untersuchungsrichter rufen. Er fand ihn vermittelst seines seidenen Nastuchs an der Thürangel aufgeknüpft, noch ganz warm. Alle Wiederbelebungsversuche des Aufsichtspersonals und des sofort herbeigerufenen Arztes waren fruchtlos.

Bevor wir jedoch nach den Gründen forschen, welche Huft zu diesem Schritte veranlasst haben, müssen wir wissen, welche Beweise gegen ihn vorliegen. Verschiedene und wichtige Beweise ergeben sich bereits aus dem Gesagten. Wir haben aber noch eine grosse Zahl zum Theil sehr beachtenswerter Indizien anzuführen.

Nehmen wir zunächst einige briefliche Aeusserungen Hufts und erinnern wir uns daran, wie er dunkle Andeutungen liebte und wie er es verstand, seine Gedanken anzudeuten, ohne sie direkt auszudrücken.

Am 5. Februar 1885 schrieb Huft an seine Emilie : « Ich weiss nicht, liebe Emilie! Heiden ist mir verleidet, verleidet mir immer mehr. Heiden ist doch kein Rorschach ! Der einstige Muth und (Las einstige TJnbesorytsein -- sie sind mir abhanden gekommen. » Am 19. Februar schreibt er ihr : « Hier oben dürfte ich die längste Zeit gewesen sein. Und ich singe dann nicht: Et meminisem (sie) semper juvat. » Man sucht umsonst nach einem Grunde, wesshalb Huft plötzlich den Muth und das Unbesorgtseia verloren und wesshalb ihm Heiden beim Herannahen des Frühjahrs und der Saison auf einmal verleidet sein soll.

Am 2. März 1885 schrieb Huft wieder an Emilie :

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« Dem Vernehmen nach ist Herr Klinger am leUten Sanistag in "Rorschach verhaftet worden. Dessgleichen soll auch sein Freund ßemlinger hinter Schloss und Riegel sitzen. Welches Vergehens oder Verbrechens man sie bezichtigen will -- ich weiss es nicht.

Bekanntlich aber sind die beiden sehr extreme Anarchisten. Das mag jetzt genug sagen.

« Man hat bei Herrn Klinger Haussuchung gehalten und möglicherweise auch Briefe von mir gefunden ; allein dieselben können, mich kaum bloss stellen ; denn ich habe ja seine politischen Grundsätze und Gesinnungen me getheilt. Am Ende wird Madame FreyHauser noch in die Geschichte verwickelt. Es gibt jedenfalls eine grossartige Untersuchung. » Man begreift, dass sich Huft um seinen Freund Klinger interessirt. Man kann es nicht auffallend finden, dass er sich daran erinnert, demselben gelegentlich geschrieben zu haben. Sonderbar klingt dagegen der von ihm angeführte Grund, wesshalb diese Briefe ihn (Huft) nicht blossstellen können. « Ich habe ja seine Grundsätze nie getheüt. » Weiter wird man sich fragen : Wieso kommt Huft dazu, zu glauben, dass Madame Frey-Hauser « in die Geschichte verwickelt » werden möchte ? Er konnte dazu nur gelangen, unter der im Briefe nicht ausgesprochenen Voraussetzung, dass er selbst « in die Geschichte verwickelt » werden könnte. Denn nur dann konnte man auch auf Frau Frey geführt werden. Und zum Schluss die Worte : « Es gibt jedenfalls eine grossartige Unter suchung.^ Klingt es nicht durch, als ob er sich, nachdem er seine momentane Beklemmung losgeworden, freue auf diese « grossartige » Untersuchung, die er, Wilhelm Huft, herbeigeführt ? Erinnern wir uns daran, wie gern er sich « interessant » vorkam !

Angeblich unter'm 12. März 1885 -- das Datum ist schwerlich richtig, da Huft an diesem Tage von Heiden abwesend war -- schrieb er an Frau Frey mit Bezug auf das am 11. März erfolgte Verhör : « Ich blieb natürlich überall strenge bei der Wahrheit und konnte mich somit in keine Widersprüche verwickeln. Es ist Ihnen bekannt und Sie können es nötigenfalls eidlich erhärten, dass ich wohl öfters die « Freiheit » gelesen, sie jedoch niemals zu verbreiten suchte. Ferner wissen Sie, dass ich im Prinzip die anarchistischen Bestrebungen stets energisch bekämpfte und dafür von Herrn Klinger nicht selten die anzüglichsten Verbalinjurien an den Kopf
geworfen bekam. Frei und offen habe ich zu Protokoll gegeben, dass ich mir innerhalb der schweizerischen Union von Niemanden Vorschriften diktiren lasse, was ich lesen dürfe, -- um so weniger, als der eidgenössische Postdebit meines Brinnerns keiner

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politischen Zeitung entzogen sei. -- Sie werden übrigens kaum in die Lage kommen, für mich zeugen zu müssen, werthe Frau Frey, denn aus des Verhörrichters eigenem Munde vernahm ich, dass man die Strafuntersuchung gegen meine Person definitiv niedergeschlagen habe. » Ferner : « Ist Herr Klinger wirklich schuldig -- so soll er die gesetzliche Strafe erhalten. Die Gesehwornen werden ein gerechtes Urtheil fällen. Ich habe ihm einst diese Zukunft prophezeit -- allein ich war leider Gottes der Prophet in der Wüste.» Weiter: « Am Samstag sende ich Ihnen den «Weinliln·der ». Der Wachtmeister Germann und der Bezirksammann Buckstuhl -- sie werden mich nach dem Studium meines Artikels nicht mehr Anarchist heissen. » Und zum Schlüsse : « Dieser Brief wird nicht zerrissen, geehrte Frau Frey ! Was ich schreibe, darf marmiglieli lesen ! Haben Sie « uns » verstanden ? » Ist es nicht, als ob Huft sich einen Beweis sichern wollte mit diesem Briefe ? Er wusste ja, dass man bei Frau Prey Nachfrage halten würde. Die Zuversicht, die er gegenüber Frau Frey an den Tag legt, suchen wir umsonst in einem Briefe, den er am Nachmittag des 11. März an Emilie schrieb. Dort lesen wir u. a.: « Der Anarchismus ist meine Sache nicht --- mit Klinger und Consorten bin ich nie in politischen Beziehungen gestanden . . . . Schleppt man mich heute oder morgen in den Kerker -- wohlan ich muss mich dem Gesetze fügen; aber die Unschuld wird siegen und das Recht wird triumphiren . . . Was das Schicksal über mich verfügen mag -- Herr Schuppli wird dir Kunde davon geben. » . .

Wie kommt er zu solchen Sätzen, unmittelbar nachdem er « ohae Verdacht » entlassen worden war ?

In einem Briefe vom 24. März sagte er zu Emilie : « Jedoch kann sich und wird sich im Zeitraum von 14 Tagen noch Manches ändern : Zum Guten und zum Schlimmen. Wappnen und bepangern wir uns also gegen jede Eventualität ! » Ende März schreibt er an Anna W. ganz in gleichem Sinne : « Heiden kann mir's entschieden nicht mehr, liebe Anna, bald werde ich ihm den Scheidegruss zurufen. Nicht, dass es mir hier zu eintönig und zu monoton wäre -- o nein, ich liebe die Einsamkeit und die Monotonie . . . Aber es fehlt mir etwas : Die innere Zufriedenheit ! Die innere Zufriedenheit, welche ich beispielsweise in Rorschach besessen. Ob sie jemals wieder bei mir einziehen wird?

Möglich --
die Zeit heilt Vieles. Zeit bringt Bath und sie bringt bisweilen auch Eosen. » An gut gewählter Stelle meint er: «Wenn das Schaf übennüthig ist, so will es das Flötenblasen lernen. » Der Boden brennt ihm unter den Füssen und man sollte meinen, er hätte gewusst, dass am 31. März der eidgenössische

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Staatsanwalt kommen und ihn in's Gefängniss führen werde, das er nicht mehr verlassen sollte.

Am 12. April schrieb Huft aus der Gefangenschaft an seinen Prinzipal in Heiden : « Sie können sich keinen Begriff machen, geehrter Herr Schuppli, wie monoton und trübselig einem die Welt inmitten des Gefängnisses erscheint. Sie waren noch nie in einer ähnlichen Lage. Das Gemüth wird umnachtet und die Sinne werden abgestumpft -- man fühlt sich nicht mehr als Mensch und man ist auch kein Mensch mehr. Man ist Gegenstand, Werkzeug -- mit einem Wort : man ist eine Nummer. » Als ihn der Untersuchungsrichter fragte, was er mit dem.

letzten Satze gemeint habe, erwiderte Huft : « Diess Alles ist man im Gefängniss. » Und auf die Frage : « Wieso ist man da « Werkzeug » ? meinte er : « Ich will diese drei Ausdrücke für gleichbedeutend wissen. » Nun muss man wissen, dass Huit noch am 6. April vollkommen der Wahrheit entsprechend an seinen Prinzipal geschrieben, hatte : « Man behandelt mich hier sehr human. Ich bewohne im Criminalgebäude eine ziemlich helle und geräumige Einzelzelle, die an frostigen Morgen geheizt wird und in der ich nach Herzenslust lesen und schreiben kann. -- Einmy hat mich denn auch reichlich mit Büchern versorgt -- Papier erhalte ich vom Gefangnissdirektor, Tinte und Feder ebenfalls und so schwindet mir die Zeit leidlieh schnell dahin. » Welchen Sinn konnte es nun haben, wenn Huft sechs Tage später behauptet, man sei im Gefängniss « Gegenstand », «Werkzeug», «Nummer»? Keinen. Wohl aber finden wir, dass sich Huft um jene Zeit mit dem Gedanken beschäftigt haben muss,.

für den schlimmsten Fall die Vermuthung zu erwecken, er sei nur als « Werkzeug » von Andern -- Klinger und Remlinger -- gebraucht worden, als « Nummer » -- denn « Nummer 2 » lautetedie Unterschrift des Wabernbriefes. Er konnte den Brief von sich aus geschrieben haben oder er konnte dazu angestiftet worden sein -- in beiden Fällen hatten seine Worte einen Sinn. Und wiederum kam es ihm « interessant » vor, sieh seinem Meister als « Gegenstand », «Werkzeug» und « N u m m e r » vorzustellen. Wir haben keine andere vernünftige Erklärung für jenen mysteriösen Satz.

Nach einer andern Richtung hin interessant ist eine Aeusserung" in einem Briefe, den er am 19. April an seinen Meister schrieb : « Was macht der Conkurrent Ehoner für Portschritte ? Mit seinem Hausmeister, dem Postcommis Tobler, habe ich später einige Wortezu reden -- Worte, die wohl keines Senfes von dritter Seite 'bedürfen. »

675Darüber befragt, sagt Huft : « Ich war weder Freund noch Feind zu ihm. Ich sah, wie er schmutzig war wegen der Conkurrenz, und desswegen mochte ich ihn nicht. Er wollte meinen Prinzipal schädigen und unterdrücken und das ist für mich Faktum genug als Fachschriftsteller. » Herr Tobler deponirt dazu : « Was Huft gegen mich haben sollte, ist mir vollends unbekannt. Wir kamen überhaupt gar nicht in Berührung. » Wir aber kennen den Grund. Huft war im Verhör vom 1.

April gefragt worden, wesshalb er seine Briefe in Heiden nicht in, den Briefschalter, sondern meistens in den Schalter des Rheineckerpöstchens geworfen habe. Er hatte auf die Frage zuerst mit einer Lüge geantwortet und später gesagt, er müsse falsch verstanden haben. Niemand anders als Herr Tobler konnte den Untersuchungsrichter von dem auffallenden Faktum in Kenntniss gesetzt haben.

Daher der Hass und die Drohung. Daher nachträglich der Versuch, den wahren Grund beider zu verheimlichen.

Anschliessend an Hufts Briefe wollen wir hier erwähnen, wa« er unter'm Datum des 3. März 1885 in einer Korrespondenz schrieb, welche am 14. März im « Weinländer » erschienen ist und auf welche Huft in dem Briefe an Frau Frey vom 12. März anspielt.

« Da lobe ich mir doch das idyllische Appenzellerländchen. « Hier ist gut sein -- hier lasset uns Hütten bauen ! » Selbst der heilige Petrus würde diese seine Worte wiederholen, falls er sich jetzt in Person unter uns befände. Nimmer aber ginge er zu Euch hinab in's St. Galler und Züribiet oder gar nach Bern und Freiburg --· ich weiss es ganz genau, denn wenn er dort predigte, was er einst zu Jerusalem und Rom gepredigt, er käme sicherlich in don Huf eines eingefleischten Anarchisten und die gestrenge Polizei müssto ihn ohne Weiteres dingfest machen. So überaus gemüthlich mag es hei Buch entschieden nicht mehr sein ; der « sozialen Revolution » scheint es, stark zu pressiren, und ihre Anhänger können das « Heimzahlen » kaum erwarten. Sogar auf unsere friedliebenden Landesväter im ehrwürdigen Bundespalast drinnen haben es die mordbrennerischen Strolche abgesehen -- der Verstand steht mir stille.

« In's Loch mit ihnen ! » lautete der kategorische Imperativ von Bern aus und welcher rechtschaffene Mensch möchte darob missbilligend den Kopf schütteln? Gewiss Niemand. Denn man hat es hier keineswegs mil blossem
Politikfanatismus, nein, man hat es mit einer ausgeprägten Schinderhansbande zu thun, welcher nichts mehr heilig ist, -- weder der Säugling in der Wiege, weder der Greis an der Krücke. Darum gehe man unnachsichtlich vor ; aber unnachsichtlich nur gegen die wirklich Schuldigen; es dürften auch

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weniger Schuldige -- es dürften gama Unschuldige im Gefängniss sitzen und wo bliebe da die vielgerühmte republikanische Parteilosigkeit und Gerechtigkeit ? » Im Briefe vom 1. März schrieb bekanntlich Nr. 5 : « Die vorgenommenen Verhaftungen sind für uns zum grössten Theil ohne Bedeutung. Erst wenn Sie die Sichtigen behelligen, und Einen davon haben Sie, wird Beschluss 2 vollzogen. » Prüfen wir nun auch die Aussagen, welche Huft im Laufe der Untersuchung machte. Hier sind es zunächst die Angaben über seine Beziehungen zu Klinger, welche uns interessiren.

Am 11. Märe gibt Huft an, Klinger sei schon in der letzten Zeit seines Aufenthalts in llorschach wegen Zahlungsdifferenzen nicht mehr zu Frau Frey gekommen und von da an habe er ihn nur noch selten gesehen. Von Heiden au? habe er ihn nur noch zwei Mal besucht, beide Mal auf der Seilerbahn und da habe er nur einige Worte mit ihm gewechselt. Am 31. Mars sagt er, er sei mit Klinger in letzter Zeit auseinander gekommen, weil er seine Ansichten über anarchistische Propaganda nicht getheilt habe.

Klinger sei desshalb gegenüber ihm über seine Pläne verschlossen gewesen, persönliche Freunde seien sie aber dennoch geblieben. Er sei Anfangs dieses Jahres zwei Mal bei Klinger gewesen, den er aber nur in Gegenwart seines Prinzipals gesprochen habe. Am 1.

April gibt er zu, dem Klinger von Heiden aus eine Korrespondenzkarte geschrieben und ihm eine Nummer des «Weinländer » geschickt zu haben ; ferner gibt er zu, auch noch vor etwa sechs Wochen bei Klinger gewesen zu sein. Am 2. April sucht er, den Verdacht auf Klinger zu lenken. « Klinger kennt meine Schrift, aber ich möchte ihn doch nicht denunziren ». Am 8. April kommt er nochmals damit : « Ich kann nur sagen, dass Jemand meine Handschrift nachgemacht haben inuss. Es ist auch möglich , dass Klinger dies gewesen ist Wenn Eemlinger nicht der Verfasser des Briefes ist, so kommt Klinger in erster Linie in Betracht : Erstens ist er fanatischer Mostianer und zweitens ist er federgewandter als Kemlinger ». In seinem « Lebenslauf » (verfasst vom 8. bis zum 13.

April) sagt er : « Und dann, wenn ich bedenke, dass die Anarchisten alle Mittel heiligen, so könnte mir sehr leicht auch Klinger diesen Streich gespielt haben, Klinger, der gleichfalls Briefe von mir hatte und eine erhebliche Federgewandtheit besitzt ». Am 13.
Mai gab Huft, wie wir bereits gesehen haben, zu, mit Klinger gearbeitet und demselben einen Artikel korrigirt, in's Reine geschrieben und an den « Badikal » versandt zu haben.

Wir sehen : Anfänglich sucht Huft, seine Beziehungen zu Klinger als möglichst lose und harmlose darzustellen ; dann sucht

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er, den Verdacht von sich auf Klinger abzulenken, und schliesslich gesteht er, mit Klinger gemeinschaftlich in anarchistischem Sinne gearbeitet zu haben. Unmittelbar nachdem er dies Geständniss abgelegt, erhängt er sich !

Verfolgen wir die Verhöre mit Huft auch in anderer Richtung !

Huft behauptete im Verhör vom 1. April, es seien ihm sämmtliche Briefe von der Post in's Haus gebracht worden. Er habe auch keine poste restante kommen lassen. Als ihm dann eröffnet wurde, dass es feststehe, dass er Briefe in Hörn poste restante erhalten und persönlich abgeholt habe, zeigte er sich sehr verlegen und antwortete schliesslich : « Während ich in Borschach war, erhielt ich drei Sendungen Briefe und Friseurnummern (2 Nummern) auf diesem Wege ; weil ich dort eine Kur machen wollte ». Der Emilie aber hatte er gesagt : « Frau Frey müsse nicht Alles wissen. Er lasse sie namentlich auch im Glauben, er bekomme für seine Korrespondenzen keine Bezahlung ». Eines von Beiden war erlogen, höchstwahrscheinlich Beides. Denn Huft hatte nie im Sinn, in Hörn eine Kur zu machen. Er erhielt für seine Korrespondenzen in Eorschach nur 2 Mal je zirka 30 Fr. und das wusste Frau Frey.

Dagegen war Hörn diejenige Station, nach welcher Klinger, Nowotny n. s. w. alle verdächtigen Korrespondenzen kommen Hessen, und ist die Thatsache, dass Huft sich Briefe dorthin kommen liess, auch von Anna W. in folgender Weise bestätigt : « Es ist richtig, dass er lange Zeit, ich glaube mehrere Monate, Briefe und Postsendungen nach Hörn adressiren liess. Er und Emilie gingen oft Sonntags nach Hörn, um zu sehen, ob etwas dort sei. Er lud auch mich ein, mitzukommen ».

Seinen Meisterleuten hatte Huft, als er zum letzten Mal nach Rorschach gehen wollte, erklärt, er habe einen Brief von Frau Frey erhalten. Darüber befragt, sagte er : « Ich werde davon gesprochen haben ». lieber den Inhalt befragt, antwortete er : « Geschäftssache ; was, weiss ich nicht mehr ». Als ihm später eröffnet wurde, dass er nie einen solchen Brief erhalten habe, meinte er unverzagt : « Das war nicht von Belang ». Er hatte wieder gelogen.

In Bern hatte er vor ä/4 Jahren eine Cousine M. J. besucht.

Er sagte darüber im Verhör vom 31. März : « Ich hielt mich drei Stunden oder einen halben Tag in Bern auf. Wir spazierten mit einander. In der Stadt selbst war ich nicht ». Hierüber
befragt, erklärte M. J. bestimmt und durchaus glaubwürdig, Hnft sei Vormittags gekommen ; Nachmittags seien sie zusammen spaziert, auf dem Eückwege seien sie über die NidecJcbrücke durch die Stadt

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.hinauf gegangen und an der Kramgasse hätten sie in der Bierbrauerei Jucker noch ein Glas Bier getrunken ; Abends sei sie dann mit ihm über die grosse Schanze spaziert und hätten sie im Cafe Sternwarte wiederum Bier getrunken ; er habe sie dann noch nach Hause begleitet (etwa um 10 Uhr) und sei wahrscheinlich im Hôtel de France übernachtet. Huft hatte also auch da gelogen und es lag auf der Hand wesshalb. Er wollte von Bern so wenig, als möglich wissen.

Aus demselben Grunde behauptete er auch, er sei von Thun aus nur einige Male nach Bern gereist, um sich die Haare schneiden .au lassen, weil er allein im Geschäft gewesen sei ! Er habe in der Nähe des Bahnhofs sich scheeren lassen und dann bei Jucker ein Glas Bier getrunken. Bern selbst habe er nie angesehen !

Der Anna W. dagegen « erzählte er viel von Bern ». « Er sagte, dass er dort gewesen sei, bevor er nach Eorschach kam.

Ich erinnere mich ganz bestimmt, dass er sagte, er habe dort ein halbes Jahr gearbeitet. Er sagte auch, früher habe Bern nur schwerfällige enge Gassen gehabt, jetzt sei Alles erweitert u. s. w. » Klinger erzählte er, er habe in Bern zwei Mädchen das Haarschneiden gelehrt und im « Weinländer » vom 22. Dezember 1884 schrieb er : « Je mehr Schnee es hat, desto besser und sanfter laufen in Bern drinnen die Schlitten durch die Metzger- und Spitalgasse der « Matten » zu ».

Als ihm am 2. April die Adresse des Wabernbriefes vorgewiesen wurde, meinte er : « Diese Adresse trägt ja den Stempel Winterthur und ich war nie dort, ich fuhr nur einmal vorüber ! » Klinger dagegen deponirt in glaubwürdiger Weise : « Ich erinnere mich, dass Huft Anfangs Februar bei mir war, es war an einem Wochentag, und mir mittheilte, er komme von Winterthur, hätte eine kleine Reise gemacht und Bodmer (den Redaktor des Weinländer) im Gefängnisse besucht». Und Emilie erklärt, Huft habe ihr, wahrscheinlich ain 4. Februar 1885 von Eorschach aus geschrieben , er komme von einer Keise und kehre nach Heiden zurück. Sie habe ihn dann darüber zur Kede gestellt und er habe ihr erwiedert, er sei in Winterthur gewesen. Er habe zuerst gesagt : « Ich war bei Bodmer » und dann wieder « nein, ich war nicht bei Bodmer, ich hatte andere Geschäfte ». Zu beachten ist hiezu, dass um diese Zeit zur Post gegeben wurden : Sonntag den 25. Januar in St. Gallen der erste Warnungsbrief,
Samstag den 31. Januar in Winterthur der Wabernbrief, Sonntag den 1. Februar in Frauenfeld der zweite Warnungsbrief, Mittwoch den 4.

.Februar in Winterthur ein Drohbrief an den Bundesrath.

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Dass Huft mit grosser Fertigkeit lögt, wissen wir zur Genüge.

Schliessen wir die Blumenlese aus seinen Verhören mit einer jener geheimnissvollen Aeusserungen, welche wir schon bei ihm gefunden taben und denen wir eine gewisse Bedeutung wohl beilegen dürfen.

Er sagt im Verhör vom 8. April, unmittelbar nachdem er auf Klinger als den möglichen Urheber des Wabem- Briefes hingewiesen : >flch vermuthe, dass dieser Brief von einer Seite herrührt, die sowohl den Anarchisten, wie dem Spitzelthum fern steht".

Noch haben wir einige Zeugenaussagen zu notiren.

Coiffeur Schuppli in Heiden sagt aus : « Er (Huft) sprach sich gewöhnlich gegen den Anarchismus aus. Dagegen nahm er die Verhafteten « kolossal » in Schutz ». Huft erklärt dazu : « Das gebe ich zu, ich habe mein TJrtheil ausgesprochen. Ich habe wahrscheinlich gesagt, der Bundesrath ist zu voreilig gewesen ». Wie stimmt dazu der erwähnte Artikel im «Weinländer»?

Anna W. sagt : « Klinger und Huft waren bald einig, bald uneins. Huft machte gegen die anarchistischen Tendenzen Klingers stets Opposition ». Aehnlich spricht sich Frau Frey aus.

Postverwalter Kühn in Heiden deponirt, nachdem ihm der Wabernbrief vorgelesen worden : « Mir fällt der Ausdruck « das dumme Vieh » in diesem Briefe auf, diesen Ausdruck hat Huft oft im Munde gehabt ». Huft meint : « Daran kann ich mich nicht erinnern ».

Johann Blatter, Besitzer des Bazar in Heiden, sagt aus : « A.ls von den Verhaftungen der Anarchisten die Eede war und die Berichte in den Zeitungen waren, las ich ihm einen solchen vor und «s fiel mir auf, dass er dabei ein ganz ausserordentlich « verächtliches » Gesicht machte, das mir in hohem Grade missfiel *>. Huft erklärt hierauf: «Daran erinnere ich mich nicht ».

Hören wir endlich, was Klinger, dessen Aussagen, wir wiederholen es, den Eindruck der Wahrhaftigkeit machen, über Huft sagte : « Sie kennen Wilhelm Huft ? » -- « Gewiss kenne ich den I » -- Dann erzählt er, wie er den Huft veranlasst habe, in Rorschach in den Arbeiterverein einzutreten, dessen Sitzungen Huft jedoch nie besucht habe, wie er denselben als einen gebildeten Mann kennen lernte und desshalb ziemlich viel mit ihm verkehrte und wie er auch, als Huft zeitweilig in Schinznach war, mit ihm korrespondirt habe. In der letzten Zeit habe er sich jedoch von ihm zurückgezogen und von da an habe er wenig Umgang mit ihm gehabt? «Warum d a s ? » -- «Ich sah und erfuhr aus seinen Reden, dass er vorsätzlich lügt. Dann hat es mir auch nicht gefallen, dass

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er in die Zeitungen, besonders in den Weinländer, diese Hetzartikel gegen die Juden und satyrische Lokalnotizen schrieb. Er wollte immer etwas haben, auf welches er unerkannt und ungenirt drauf los dreschen konnte. Das habe ich ihm in's Gesicht gesagt ».

Klinger erzählt weiter, wie er unmittelbar vor seiner Verhaftung -- es war am 26. Februar -- noch mit Huft über die Bumpffaffaire gesprochen. « Bei diesem Anlass fiel mir auf, dass er mich fragte : Ist es mit Dir noch gut verkehren ? und als ich ihm sagte, ja warum nicht, sagte er, ja eben wegen diesen Drohungen bezüglich der Zerstörung des Bundespalais . . . . Sofort frug er mich, wie spät es sei, und ich sagte, da der St. Galler Zug bald kommt, so wird es bald eilf Uhr sein. Darauf entfernte sich Huft so rasch, dass es mir vorkam, er wolle nicht bei mir gesehen sein ». Klinger bestätigt sodann die Aussagen Hufts über ihr gemeinsames Arbeiten im Wesentlichen und fügt bei, Huft habe von der Redaktion des « Radikal » noch speziell 2 Exemplare der Nummer verlangt, in.

welcher der Artikel erscheinen würde, « da gewissermassen zwei Arbeiter an diesem Artikel thätig gewesen seien ». Als dann am Schlüsse des letzten Verhörs dem Klinger eröffhet wurde, dass Huft sich in seiner Zelle erhängt habe und man ihn fragte : « Welchen Eindruck macht dies auf Sie ? » erwiederte Klinger : « Dass er sein Leben abgeschlossen hat, wie. er gelebt liât. Sein Leben war Lug una Heuchelei, dem der Tod entspricht. Schon Frau Frei sagte, er lüge, und ich habe es ihm in's Gesicht gesagt.

Als Sie mich zum ersten Mal verhörten, war er auch hier und hat mich vom Hause der Frau Frey aus mit einer Grimasse angeschaut, die ich mir nicht erklären konnte ».

Frau Frey und Anna W. bestätigen, dass Huft um jene Zeit da war und nach Klinger hinüber schaute. Und dass Klinger ihm das Lügen vorgehalten, ergibt sich aus dem erwähnten Brief Hufts an Frau Frey und deren Depositionen.

Bemerkenswert!! ist auch folgende Aussage, welche Klinger am Schlüsse des Verhörs vom 22. Mai machte : « Beim zweiten Besuche, als wir von der Bundesrathhausaifaire sprachen, sagte er (Huft), es könnte sich doch ein Denunziant unter den Anarchisten finden, worauf ich erwiderte, dass ein solcher wohl entdeckt würde. Dann sagte er, es könnte ja ein solcher sich als geheimer Zeuge anbieten, worauf ich dann wieder
sagte, es würde sich wohl kein Gerichtsforum auf einen solchen Zeugenbeweis einlassen. Wieder bei'm ersten oder zweiten Besuch sagte er mir, ob in Bern auch ein Arbeiterverein sei und wo dieser sein Lokal habe. Ich sagte ihm : ja und ich glaube. er habe sein Lokal in der Metzgergasse, ich wusste Letzteres aber nicht genau ». Nun erinnere man sich daran,

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dass in dem einen Wanmngsbriefe gesagt ist, das Sprengmaterial sei von der Länggasse an die Metzgergasse geschafft worden !

Bevor wir untersuchen, ob Wilhelm Huft auch in der Lage war, ob er fähig war, den Wabernbrief zu schreiben, müssen wir uns mit einer anderen Frage beschäftigen.

Der Wabernbrief und die vier Warnungsbriefe waren scheinbar von durchaus verschiedener Hand geschrieben, so zwar, dass die vier Warnungsbriefe trotz verstellter Handschrift augenscheinlich demselben Autor zu verdanken waren, während der Charakter der Handschrift des Wabernbriefes ein grundverschiedener zu sein schien.

Wieder anders schien die Schrift zu sein, mit welcher der Winterthurer-Drohbrief, der Zofinger-Brief und die beiden Drohbriefe aus La Chaux-de-Fonds geschrieben waren. Nur die beiden Letzteren stammten offenbar von derselben Hand, unterschieden sich aber ebenfalls von allen übrigen. Einige Aehnlichkeiten konnte auch der Laie ausfindig machen namentlich zwischen dem Wabernbrief, den Warnungsbriefen und dem Winterthurer-Drohbriefe, auch die Zahl 2 auf dem Wabernbrief schien mit der Zahl 2 auf den Briefen aus La Chaux-de-Fonds übereinzustimmen. Der Untersuchungsrichter ertheilte daher den Herren Lämmlin und Scheuner den weiteren Auftrag, auch eine Schriftenvergleichung betreffend die sämmtlichen anonymen Droh- und Warnungsbriefe unter sich vorzunehmen. Das daherige Gutachten langte indessen erst ein, nachdem sich Huft bereits das Leben genommen hatte, und so war es nicht mehr möglich, ihm zu zeigen, dass sein ganzes frevelhaftes Spiel aufgedeckt sei.

Die Sachverständigen gelangten in ihrem zweiten Gutachten zu folgenden Schlüssen : 1. Wilhelm Huft hat auch die vier Warnungsbriefe (von Nummer 5) geschrieben.

2. Wilhelm Huft hat auch den Zofinger-Drohbrief geschrieben.

3. Ferner hat Wilhelm Huft den Winterthurer-Drohbrief (4.

Februar 1885) geschrieben.

4. Die beiden Drohbriefe aus La Chaux-de-Fonds (an die Kedaktion des « Bund » und an die Polizeidirektion in Frankfurt) sind entschieden von derselben Hand geschrieben. Es sprechen schwerwiegende Beweise dafür, dass Wilhelm Huft der Schreiber ist.

5. Es sind Momente vorhanden, welche den Verdacht begründen, dass Wilhelm Huft auch den Pariser-Drohbrief geschrieben habe. Doch sind die Experten nicht im Falle, darüber eine bestimmte Ansicht auszusprechen.

ßundesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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7. Dagegen sind die Experten der bestimmten und festen Ueberzeugung, dass Wilhelm Hilft auch den Drohbrief an das Polizeipräsidium in Frankfurt, aufgegeben in Frauenfeld am 4. November 1883, geschrieben hat.

Endlich wurde denselben Experten auch der Drohbrief aus Montreux zur Begutachtung unterbreitet. Sie gelangten mit Bezug auf diesen Brief zu folgenden Schlüssen: « 1. Die Schrift des Montreux-Briefes ist eine absichtlich entstellte Handschrift.

« 2. Es finden sich in dem Montreux-Briefe verschiedene Momente, welche für die Ansicht sprechen, es habe Wilhelm Huft denselben geschrieben, und welche einem dahingehenden Verdachte wohl als Grundlage dienen können ».

« Eine bestimmte Uêberzeugung oder gar Gewissheit darüber sind die Unterzeichneten nicht im Falle auszusprechen ».

Es braucht, wohl nicht besonders betont zu werden, dass auch diese Gutachten sich durch grosse Sachkenntniss und Sorgfalt auszeichneten.

Und nun entsteht die Präge, war Hilft fähig und in der Lage, alle diese Briefe zu schreiben und so nur Post m bringen, wie, es geschehen ist ?

Es unterliegt nach den bisherigen Ausführungen wohl keinem Zweifel, dass Huft Charakters halber einer solchen That wohl fähig war. Erinnern wir uns daran, wie er die Anna W. quälte, nur um sich ein Vergnügen zu machon, wie er seiner Emilie triumphirend schrieb : « Es gibt jedenfalls eine grossartige Untersuchung», wie Klinger von ihm sagt : « Kr wollte immer etwas haben, auf welches er unerkannt und ungenirt drauf los dreschen konnte » und «sein Leben war Lug' und Heuchelei». Erinnern wir uns daran, wie er gelogen hat. Seinem Prinzipal gegenüber, dem er von einem Briefe der Frau Frey erzählte, den er nie erhalten hat ; seiner Emilie gegenüber, der er vormachte, er sei Doktor der Philosophie, oder er wolle sie nächstens heirathen, der Anna W. gegenüber, der er im selben Augenblicke andeutete, er wolle die Emilie loszuwerden suchen ; seinem Freunde Klinger gegenüber, dem er sagte, er sei Lehrer, und dem er einmal vorgab, er habe sich mit Hinterlassung eines Bockes flüchten müssen, während er denselben Rock am folgenden Morgen trug ; wie er log im « Weinländer » und in dem Briefe an P. M., als er seine St. Galler Affaire behandelte ; wie er log vor dem Untersuchungsrichter -- multum und multum ! Erinnern wir uns weiter, mit welcher Perfidie er den Verdacht auf seinen « persönlichen Freund » Klinger zu leiten

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suchte, und welche miserable Gesinnung sich darin bekundet, dass er den Artikel für den Radikal korrigirte und verschickte, während er öffentlich gegen den Anarchismus eiterte. Lug' und Heuchelei , Perfidie und Niederträchtigkeit, grenzenlose Eitelkeit und nimmersatte Skandalsucht, das sind die Charaktereigenschaften Hufts wie sie uns die Untersuchung in grellstem Lichte zeigt. Wir stimmen dem Zeugen Johann Blatter bei, welcher erklärte : « Ich traue diesem Menschen, offen gestanden, Alles zu ».

Hut't besass auch die nöthigen Fertigkeiten, um solche Briefe zu fabriziren. Wir haben bereits erwähnt, wie die Experten seine Schreibkunst beurtheilen. Man sieht es seiner Schrift auf den ersten Blick an, dass er dieselbe von Jugend auf mit Vorliebe gepflegt und sorgfältig ausgebildet hat. Er gibt im Verhör vom 13. Mai auch zu, in der Schule verschiedene Schreibarten, z. B. Gothische, Frakturschrift etc. gelernt und dieselben später geübt zu haben.

Es stimmt dies vollkommen zu einer Bemerkung der Sachverständigen, welche an einer Stelle ihres Befindens sagen: «Es drängt sich bei sehr vielen Formen des Wilhelm Huft die Ueberzeugung auf, dass derselbe solche Formen der Kundschrift oder einer Kanzleischrift entlehnt habe. Anklänge Hessen sich genügend nachweisen.» Klinger, welchem die Photographie eines der Warnungsbriefe vorgewiesen wurde, sagt: «Huft hat einen ganz flüchtigen Zug, der von seiner gewöhnlichen Schrift verschieden war». Und dieser «flüchtige Zug", er lässt sich nicht besser bezeichnen, ist das charakteristische Merkmal des Warnungsbriefes vom 25. Januar 1885.

Die Fähigkeit, seine Schrift in verschiedener Weise zu verstellen, muss dem « Schriftsteller » Huft unbedingt zuerkannt werden.

Besass er auch die Fähigkeit, stylistisch und inhaltlich so zu schreiben, wie er geschrieben hat V Gewiss besass er sie !

Ueber seinen Styl sagt Jas erste Gutacht en der Herren Lämmlin und Scheuner: «Der Styl des Wilhelm Huft ist durchschnittlich kurz, bestimmt, körnig. Wilhelm Huft bewegt sich mit Vorliebe in Hauptsätzen, obwohl er sich des zusammengesetzten Satzes auch sieher bedient, so wendet er ihn doch verhältnissmässig wenig an.

Allerdings trifft dies in erster Linie für seine Briefe zu; in den Aktenstücken an Behörden, wo es sich um Auseinandersetzungen verschiedener Art handelt, gestaltet sich das
Verhältniss etwas anders. Einen kurzen, körnigen befehlenden, bestimmten Ton und Styl weist auch der Wabernbrief auf. Man vergleiche: (Brief an Emilie.) «Am Ende wird Madame Frey-Uauser auch noch in die Geschichte verwickelt. Es gibt jedenfalls eine großartige Untersuchung. Vergangenen Freitag war ich in Rorschach. Herr Schuppli schickte mich zum Scherenschleifer. Ich musste da ich diesen nicht antraf, nach Goldach wandern» Oder:

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(Anderer Brief an Emilie.) « Soeben ist Deine Sendung in bestem Zustande bei mir angelangt. Meinen aufrichtigsten Dank für Deine Bemühungen.. Es wird die Zeit erscheinen, wo ich Dir Alles doppelt und dreifach wieder vergelten kann. Habe einstweilen Geduld mit mir. Ueber meine nunmehrige Stellung lässt sich augenblicklich wenig sagen ».

(Wabern-Ürief.) « Du findest das nöthige Geld an besagtem Platze. Punkto Benehmen fahre in der Weise fort, wie es bisher geschehen ist. Hüte Dich in die Nähe des Bundesrathhauses zu gehen. Wenn Marie mitkommt, kann es nicht fehlen. Du brauchst es nur an den genau bezeichneten Platz zu legen. Verwechsle ja die beiden Büchsen nicht ».

Fahren wir fort : (Winterthurer-Drohbrief.) « Zittert ».

(La Chaux-de-Fonds 5. Februar.) « Vous savez que nous ne hadinons pas ».

(La Chaux-de-Fonds 17. Februar.) «Ménagez vos expressions».

(Warnungsbrief Nr. 1.)

Folgendes zu offenbaren ».

* Mein Gewissen zwingt mich, Ihnen

(Warnungsbrief Nr. 2.) Unterwerfen Sie die Postpakete einer genauen Untersuchung. Haben Sie hauptsächlich Acht auf Frauenzimmer. Der Posten auf der Hauptwache soll von Zeit zu Zeit das Lokal untersuchen. Die hintere Hausthüre lassen Sie von inwendig fest verrammeln Verzeihen Sie, wenn ich nicht mehr sage.

. . . . Zählen Sie auf mich ». -- Halten wir dem gegenüber zum Schlüsse den Brief an Anna W. « Heute vor- acht Tagen besachte mich Emilie. Und zwar unerwarteter Weise. Ich hatte ihr wohl einen vollen Monat über nicht geschrieben Ich habe diese Zeilen lediglich für Sie gesehrieben, bitte also um Diskretion. Darf ich demnächst ein Briefchen von Ihnen gewärtigen ? Empfangen Sie die besten Grlisse ».

Es klingt, als hörte man denselben Menschen aus all' diesen Briefen.

Eä drängt sich hier die Frage auf, ob Huft genügend französisch konnte, um die beiden Briefe aus « La Chaux-de- Fonds » zu schreiben. Bekanntlich arbeitete er längere Zeit in St. Immer.

Emilie sagt : « Er spricht nur wenig italienisch , dagegen geläufig französisch»; er selbst meint: « italienisch verstehe ich nicht, französisch auch nicht geläufig, » Sein früherer Prinzipal in St. Immer

685 glaubt, Huft habe nur wenig französisch verstanden. Dagegen ersucht ihn eine Freundin, M. W., in einem Briefe vom 15. Januar 1885, den sie ihm aus Prankreich sehrieb, er möchte ihr ein französisch geschriebenes Stellengesuch abfassen, und geht aus einem spätem Briefe hervor, dass Huft dem Wunsche entsprochen und auch das Inserat selbst besorgt hat. Um die kurzen Sätze der beiden Briefe aus La Chaux-de-Fonds zu schreiben, kannte daher Huft das Französische wohl hinlänglich, während die Frage mit Bezug auf die Drohbriefe aus Paris und Montreux offen gelassen werden muss.

Der Briefschreiber musste aber auch eine gewisse Kenntniss der Organisation der Anarchisten, ihrer Gebräuche und ihrer Eedensarten besitzen. Die verschiedenen Drohbriefe, der Wabernbrief und die Warnungsbriefe, verrathen diese Kenntniss, bis zu einem gewissen Grade wenigstens. Die Geschichte mit der Zünduhr und dem Koffer, mit den falschen Pässen und den hülfeleistenden Frauenzimmern setzten entschieden voraus, dass sich der Briefschreiber schon ordentlich umgesehen hatte. Sogar die Uebertreibungen und prahlerischen Phrasen, denen man in der anarchistischen Litteratur und im Briefwechsel der « Genossen » so häufig begegnet, fanden sich in all' diesen Briefen wieder. Nun -- Huft besass auch diese Kenntnisse. Er hatte nicht umsonst mit Klinger intimen Verkehr gepflogen und die Most'sche « Freiheit » , welche ihm dieser jeweilen zustellte, eifrig studirt. Mit der ihm eigenen Gabe erfasste er sofort die Most'schen Redensarten, er fand die Artikel, welche Zünduhren und Sprengapparate beschrieben, er fand im Briefkasten die Bezeichnung mit Nummern, und ohne ihre eigentliche Bedeutung zu kennen, brachte er sie in seinen Briefen, anfänglich nicht ungeschickt, zur Anwendung. Er hatte auch gelernt, dass man derartige Briefe nicht an seinem Wohnorte zur Post gibt, sondern möglichst weit davon entfernt, dass man Deckadressen benutzt, kurz er war soweit orientirt, als für seinen Plan nöthig war.

Endlich besass Huft auch die nöthige Phantasie und Kombinationsgabe, das erforderliche theatralische Talent, um den ganzen Plan zu fassen und in geschicktester Weise durchzuführen. Ein Müsterchen bot uns schon oben der Brief an F. M., in welchem er aus der Diebstahlsgeschichte eine Verfolgung aus politischen Motiven mit vielen Ausschmückungen
herzurichten weiss. Sehen wir, wie er's im Gefängniss trieb mit den Briefen an seinen Meister: Am 6. April schreibt Huft aus der Untersuchungshaft: «Hätte ich ahnen können, dass sich mein Geschick in dieser Weise erfüllen muss, -- wahrhaftig, geehrter Herr Schuppli, ich wäre niemals nach Heiden gekommen. Aber hier meine Hand! Sie dürfen sie

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erfassen! Sie hat nichts Unrechtes begangen -- und dieses Bewusstsein weiss mir die Nacht dos Kerkers wunderbar zu erhellen.

Ich bin relativ heiter und diese relative Heiterkeit -- sie f'undamentirt in meinem reinen Gewissen! Gott Lob und Dank, dass Ostern vorüber ist! Immer und ewig wird es mir denkwürdig sein, das diessjährige Osterfest ! Ich wollte es in Heiden verleben, mit Ihnen und mit Emilie, wollte mich wieder einmal « gehen lassen » wie einst . . . Und nun ? ? ? Gottes liathschluss oder, wie der Naturalist sagt, die Wege des Fatums sind unerforschlich. Ich klage nicht. Einmal wieder wird es Tag! Und hoffentlich bald! Verleihe mir der Himmel Geduld und Frieden ! » Am 12. April schrieb er: « Sonntagmorgen ! ! !

Ich habe das Fenster meines Kerkers geöffnet, damit mir kein Ton der Glocken verloren gehe. Das Kirchengeläute -- ich höre es lieber als die schönste M u s i k . . . . » Und weiter: «Zwei Wochen lang schmachte ich schon in dieser engen Zelle. Vierzehn Tage!

Eine Ewigkeit ! Und wen habe ich inzwischen gesehen ? Den Kerkermeister, den Landjäger und den Untersuchungsrichter. Keinen Menschen sonst! Doch -- einmal war Emilie hier und sie ist mir wie ein Engel vorgekommen. Und ein Engel ist sie an mir ! Nicht in der Freude und im Glück. -- Nein ! sondern im Leid und Schmerz lernt man die Menschen kennen und die wahre Freundschaft und die echte Liebe ! Ich bin verlassen und doch nicht verlassen ! Ich bin einsam und doch nicht einsam! Freilich -- wie unwohl bin ich, körperlich sowohl als auch geistig; rnuss ich mich aber nicht stark, geradezu riesenstark stellen, nur um Emilie zu trösten? -- -- » Denken wir an die Briefe, die er hinter dem Rücken von Emilie an Anna W. schrieb, und wir werden uns sagen: Komödie, nichts als Komödie!

Am 19. April schreibt er : « Wäre ich mir irgend einer Gesetzesübertretung bewusst -- kein Wort würde ich zu meiner Vertheidigung verlieren. So aber rauss ich schliesslich dem Pessimismus und der Verzweiflung anheimfallen. Die Gefangenschaft ist nicht das Einzige. Ob ich heute oder morgen entlassen werde -- wie stehe ich da? Ohne Stelle, ohne Geld? mit einem kompromittirten Namen, leiblich und seelisch ruinirt. Eine reizende Perspektive -- wahrhaftig! Eine Perspektive, die selbst einen Sokrates aus der Contenance brächte. Warum hat man mich verhaftet?

Immer und immer muss ich fragen. Die richtige Antwort aber -- sie ist mir bis zur Stunde nicht zu Gehör gekommen.»

(387 Der erste Theil dieser Lamentation ist darauf berechnet, die Stelle in Heiden behalten zu können, denn in demselben Briete sagt Huft : « Sollten Sie bereits einen neuen Gehülfen besitzen ?

Wenn nicht, dann engagiren Sie vorläufig noch keinen. Falls ich selbst nicht mehr Anspruch auf die Stelle erheben darf, so werde ich Ihnen zum Beginn der Sommer-Saison einen zuverlässigen jungen Mann zu beschaffen wissen.» Der zweite Theil des Briefes ist erlogen, denn Huft kannte den Grund seiner Verhaftung ganz genau, und wir haben gesehen, dass er im Verhör vom 2. April erklärte : « Wenn Sie mich auf diese Expertise hin in Haft behalten, so werde ich mich dem Gesetze fügen». Auch hier lügt er und spielt er Komödie, nur um Mitleid zu erwecken und sich interessant zu machen.

Ziehen wir in Erwägung, was Huft nach dem bisher Gesagten sonst gegenüber dem Untersuchungsrichter, gegenüber Klingor, gegenüber Emilie und Anna W. u. s. w. alles gelogen, phantasirt und intriguirt hat, so werden wir wohl zu dem Schlüsse gelangen, dass er auch fähig war, ein fingirtes Attentat auf das Bundesrathhans so zu kombiniren und plausibel zu machen, wie er es gethan hat. An der nöthigen Phantasie, Kombinationsgabe und Frechheit fehlte es ihm entschieden nicht. Man missdeute diese Sätze nicht.

Wir schliessen absolut nicht aus den angeführten Aeusserungen Hufts in seinen Briefen auf seine Thäterschaft, diese Thäterschaft ist vielmehr die Voraussetzung zu unserm Urtheil über die Briefe.

Wir schliessen aber aus den Briefen und anderem darauf, dass Huft im Stande war, den Wabernbrief, die Warnungsbriefe u. s. w.

zu erfinden und zu schreiben. -- Es bleibt nur noch zu prüfen, ob Huft auch im Stande war, alV diese Briefe so sur Post zu bringen, wie er es getlmn hat.

Ueber diese Frage herrscht auf den heutigen Tag noch am meisten Ungewissheit, da namentlich die Meistersleute des Huft sich nicht mehr genau an seine Abwesenheiten erinnern. Wir haben indess für deren Beantwortung folgende Anhaltspunkte: Was zunächst den Drohbrief an den Polizeipräsidenten von Frankfurt anbetrifft, so wurde dieser am 4. November 1883 in Frauenfeld zur Post gegeben. Huft war im Oktober 1883 zum zweiten Male nach Borschach gekommen und konnte von dort aus sehr wohl den Brief zur Post gebracht haben.

Klinger sagt : « Ich erinnere mich mit aller Bestimmtheit,
dass Hnft im November 1883 angeblich eine Eeise nach Brugg gemacht hat. Ueber den Zweck dieser Reise hat er sich später verschieden ausgesprochen. Er sagte, er sei bei Geyers Hochzeit als Zeuge gewesen und diese habe ihn Fr. 40 gekostet. Dann sagte er auch, er sei beim Leichenbegängnis» Gotth. Eomans ge-

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wesen. » Frau Frey deponirt : « Während seines zweimaligen Hierseins reiste er 2 bis 3 Mal nach Winterthur. So gab er an, wohin er aber gereist ist, weiss ich nicht. Das erste Mal verreiste er nicht gar lange, nachdem er bei mir eingetreten war.

Es ist desshalb sehr leicht möglich, dass er um den 4. November 1883 herum in Winterthur oder Frauenfeld war. » Coiffeur Geyer dagegen erklärt : c Die Angabe des Huft, dass er im November 1883 bei meiner Hoohzeit als Zeuge fungirt habe, ist schon desswegen nicht richtig, weil ich schon im November 1879 Hochzeit machte. » Wohl aber ist Gotthold Roman oder mit seinem eigentlichen Namen Carl August Küng am 4. November 1883 in Steffisburg gestorben und war Huft wirklich mit demselben in Thun bekannt gewesen.

Es ist durchaus nicht glaublich, dass Klinger die Hochzeitsgeschichte mit Geyer erfunden haben sollte. Dass dagegen Huft am Leichenbegängniss Gotth. Eomans war, bestätigt Herr Coiffeur Tschagular, bei -welchem Hnft in Thun gearbeitet hatte. Diess Leichenbegängniss muss am 6. November 1883 stattgefunden haben und so konnte Huft am 4. November wohl auf der Durchreise in Frauenfeld sein.

Besonders auffallend ist dabei, dass Huft auch über diese Reise verschiedene und zum Theil also falsche Angaben gemacht hat.

Welchen Grund hatte er, Klinger zu sagen, er sei in Brugg gewesen, während er in Thun war? Da er ihm von Thun ebenfalls sprach, so erwähnte er Brugg, um etwas Anderes zu verbergen.

Man wird kaum fehl gehen, wenn man Frauenfeld statt Brugg setzt.

Im Uebrigen handelte es sich zunächst darum, zu constatiren, wand Huft seit Ende Januar 1885 Heiden verlassen hat.

Frau Marg. Schuppli geb. Keller sagt, Huft sei gewöhnlich Montags nach St. Gallen gegangen. Einmal, wahrscheinlich drei Wochen vor dem 81. März, sei er Donnerstags nach ßorschach gegangen und Nachmittags wieder heimgekommen.

Coiffeur Schuppli deponirt, Huft sei in der Regel Montags fortgegangen, nach St. Gallen zur Emilie, wie er gesagt habe. Vor 8 oder 14 Tagen (vor dem 31. März) sei er an einem Donnerstag in Eorschach gewesen. Später, am 16. Mai, erklärt Herr Schuppli: « Huft war im Monat Februar einige Male und zwar meist an Montagen, bald auf einen, bald auf zwei Tage verreist, nur ein einziges Mal an einem Donnerstag. Während des Januars war derselbe meines Wissens nicht abwesend. (Im letzten Punkte irrt sich Herr Schuppli jedenfalls und mehrere Zeugen glauben, das Gegentheil bestimmt sagen zu können.) Auf den Datum entsinne

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ich mich nicht mehr. Seine Ausgänge fanden hauptsächlich seit seiner ersten Einvernahme (11. März) häufiger statt. » Emilie sagt aus : « Seitdem er in Heiden ist, kam er cirka alle 14 Tage, wenigstens seit der Fasnaeht, zu mir. » Und nach dem Tode Hufts, am 17. Mai, deponirte sie : « Ich erinnere mich ganz genau, dass Huft Ende Jänner und Anfangs Februar dieses Jahres mehrere Tage von Heiden abwesend war. An einem Mittwoch Abend, ich glaube sicher zu sein, dass es der 4. Februar war, erhielt ich von ihm eine Korrespondenzkarte mit der Notiz : « ich kehre nach Heiden zurück, komme von einer Keise. » Diese Karte kam von Rorschach. Ich wusste gar nicht, was diese Karte zu bedeuten habe, und da ich überhaupt längere Zeit, d. h. ca 14 Tage, keinen Brief mehr von ihm erhalten hatte, so wurde ich unruhig . . , des andern Tages, es war Donnerstags, gmg ich nach Heiden. Ich wollte Gewissheit hahen . . . . Ich fragte ihn dann, ob er in Winterthur gewesen. « Ja », sagte er, « ich war bei Bodmer ». Nachher bemerkte er wieder « nein, ich war nicht bei Bodmer, ich hatte andere Geschäfte. » Weiteres war nicht aus ihm herauszubringen, überhaupt antwortete er mir auf alle Fragen ausweichend und unbestimmt, so dass ich aufs Neue stutzig wurde. » Am 23. Mai sagt sie mit Bezug auf dieselbe Frage : « Ich müsste träumen, sonst sagte er mir, er sei acht Tage weggewesen.

Mit Bestimmtheit erinnere ich mich, dass er sagte, er sei auch in Zürich gewesen. » Landjäger Julius Schmid vom St. Gallischen Polizeicorps bezeugt in Uebereinstitnmung hiemit, dass er den Huft am 2. Februar in Zürich gesehen habe, und wenn wir dazu noch die bereits erwähnte Aussage Klingers vergleichen, wonach Huft Anfangs Februar nach Korschach kam und sagte, er komme von Winterthur und habe eine kleine Reise gemacht, so werden wir nicht im Zweifel sein, dass Emilie richtig gerechnet hat.

Huft selbst bestreitet bekanntlich, anders wohin als nach St.

Gallen und Rorschach gegangen zu sein. Sehen wir nun aber, wann und wo die verschiedenen Briefe, soweit sie hier in Betracht kommen, zur Post gegeben wurden : Sonntag den 25. Januar, Morgens 10 Uhr in St. G-allen, I.

Warnungsbrief.

Samstag den 31. Januar, Morgens 8 Uhr in Winterthur, Wabernbrief.

Sonntag den 1. Februar, Abends 8 Uhr in Frauenfeld (Ainbnlant), Ti. Warnungsbrief.

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Mittivoch den 4. Februar, Morgens 12 Uhr in Winterthur, Drohbrief an den Bundesrath.

Donnerstag den 5. Februar, Abends 9 Uhr in La Clwtux-deFonds, Drohbrief nach Prankfurt.

Dienstag den 17. Febriiar, Morgens 9 Uhr in La Cliaux-deFonds, Drohbrief an die Redaktion des « Bund ».

Dienstag den 17. Februar, Abends 3 Uhr in Frauenfeld, III.

Warnungsbrief.

Sonntag den 1. Mura, Morgens 8 Uhr in Wintertlvur, IV.

Warnungsbrief.

Donnerstag den 12. Märe, Abends l Uhr in Zofingen, Drohbrief an den Bundesrath.

Drei Wochen vor dem 31. März, an einem Donnerstag, sei Hilft nach Rorschach gegangen -- sagt Frau Schuppli. Das trifft genau auf den 12. März ! Konnte Huft an diesem Tage l Uhr Nachmittags in Zofingen einen Brief zur Post geben und noch am gleichen Tage wieder in Heiden sein ? Nehmen wir den Fahrtenplan zur Hand und setzen wir voraus, Huft habe sich, wie das nachgewiesener Massen seine Gewohnheit war, in aller Frühe zu FUSS nach Rorschach begeben. Dort konnte er um 6 Uhr 10 Min.

abfahren und dann war er um 12 Uhr und 6 Min. in Zofingen ; 3 Uhr 3 Min. musste er den Rückweg antreten und 9 Uhr 13 Min. Abends war er wieder in Rorschach, von wo er noch am selben Abend Heiden zu FUSS erreichen konnte.

Sehen wir weiter. Sonntag den 25. Januar, Morgens 10 Uhr, in St. Gallen. Abfahrt von Heiden 7 Uhr 20 Min. -- Ankunft in St. Gallen 9 Uhr 28 Min. ! Freilich Huft ging regelmässig Montags nach St. Gallen, an Sonntagen hatte er im Geschäft zu arbeiten. Ausnahmen kamen aber doch vor. Und Emilie sagt, es sei wobl möglich, dass Huft an einem Sonntag in St. Gallen gewesen sei, ohne zu ihr zu kommen, da sie an Sonntagen gewöhnlich in Wirthschaften servirt habe.

Samstag den 81. Januar, Morgens 8 Uhr, Winterthur. Zu FUSS nach Rorschach, dort Abfahrt 6 Uhr 10 Min. und Ankunft in Winterthur 7 Uhr 40 Minuten !

Sonntag den 1. Februar, Abends 8 Uhr, in Frauenfeld (Ambulant). Es passirt in Frauenfeld um 7 Uhr 56 Min. Abends der Zug Winterthur-Komanshorn mit einer Minute Aufenthalt. Huft musste in dem Zuge gewesen und in Frauenfeld den Brief rasch in den Postwagen geworfen haben. Warum nicht ?

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Mittwoch den 4. Februar, Morgens 12 Uhr, Winterthur. Abfahrt von Heiden 7 Uhr 30 Min. -- Ankunft in Winterthur 11 Uhr 52 Minuten!

Donnerstag den 5. Februar, Abends 9 Uhr, La Chaux-deFonds. Wir müssen annehmen, Huft sei am 5. Februar in Heiden gewesen. Es ist nicht möglich, dass er an diesem Tage überdiess in La Chaux-de-Ponds war. Dagegen wäre es denkbar, dass er den Brief von Winterthur aus am 4. Februar an einen Freund (Genossen ?) in La Chaux-de-Fond s sandte, welcher denselben dann am 5. Abends nach der Arbeit auf die Post legte. Oder es wäre denkbar, dass sein Freund, der Apothekergehülfe Wiesinger, welcher um jene Zeit mehrere Reisen gemacht haben soll, damals in La Chaux-de-Fonds war. Es konnte jedoch in dieser Richtung einstweilen nichts Bestimmtes eruirt werden.

Dienstag den 17. Februar, Morgens 9 Uhr, in La Chaux-deFonds und ani gleichen Tage, Abends 3 Uhr in Frauenfeld. Man kann folgendermassen combiniren. Huft ging wie gewohnt Montag den 16. Februar nach Rorschach und St. Gallen und schickte von dort den Brief an seinen Freund in La Chaux-de-Ponds. Dann erhielt dieser den Brief am 17. Februar mit der ersten Post und war im Stande, denselben Morgens 9 Uhr weiter zu spediren. Am folgenden Tage ging dann Huft auf irgend einem Wege nach Frauenfeld, um dort Nachmittags 3 Uhr den zweiten Brief aufzugeben. Auch hier könnte aber die Combination mit Wiesinger zutreffen.

Endlich Sonntag den 1. März, Morgens 8 Uhr, Winterthur, gleich wie am 3.1. Januar.

Wenn wir uns nun erinnern, dass Herr Schuppli sagt, Huft sei bald auf einen, bald auf z~,-ei Tage verreist, und dass Emilie bestätigt, dass Huft Ende Januar und Anfangs Februar melirere Tage von Heiden abwesend war, so werden wir zugeben müssen, dass er recht wohl im Stande war, die sämmtlichen Briefe in der angegebenen Weise zur Post zu bringen, und dass wir nur in La Chaux-de-Ponds die Hülfeleistung eines Freundes supponiren müssen, um auch diese Briefe in den Bereich unserer Berechnungen ziehen zu können.

So dürfte denn auch das letzte Glied in der Kette unserer Beweisführung gefunden und der Ring geschlossen sein. Die Resultate bestätigen vollkommen das Gutachten der Sachverständigen und so stehen wir keinen Augenblick an, unsere bestimmte Ueberzeugung dahin auszusprechen : 1. Es muss als sicher betrachtet werden, dass Huft den Walernbrief, den Wintertlmrer Drohbrief, die vier Warnungsbriefe und den Zofinger Drohbrief geschrieben hat;

692 2. Es ist Wehst wahrscheinlich, dass Huft auch den Frauenfelder Drohbrief an den Polizeipräsidenten von Frankfurt und die beiden in La Chaux-de-Fonds aufgegebenen Briefe geschrieben hat.

Mit Bezug auf die Drohbriefe aus Paris und Montreux müsste man ähnlich combiniren, wie bei den Briefen aus La Chaux-deFonds. Wir halten es aber für angezeigt, diese Briefe nicht weiter in Betracht zu ziehen, da es gar wohl möglich ist, dass Huft diese beiden nicht geschrieben hat. An der Hauptsache ändert das durchaus nichts.

Dagegen müssen wir noch auf die Möglichkeit hinweisen, dass Huft auch den New-Yorker Warnungsbrief veranlasst haben kann!

Die ursprüngliche Vermuthung, Huft möchte diesen Brief durch den Apothekergehülfen Wiesinger, welcher um jene Zeit von St.

Gallen nach Amerika auswanderte und mit dem Huft befreundet war, spedirt haben, ist zwar hinfällig geworden, da constatirt wurde, dass Wiesinger erst am 7. März in New-York anlangte. Der in New-York wohnende Bruder Hufts, mit welchem derselbe korrespondirt hat, seheint nicht von seiner Art zu sein, und müsste von Huft selbst düpirt worden sein, wenn er bei der Sache die Hand im Spiele haben sollte. Allein der erfinderische Huft konnte auck andere Verbindungen besitzen, welche uns unbekannt geblieben sind.

Wir wollen die Frage nicht beantworten und beschränken uns darauf, nochmals daran zu erinnern, dass das Manöver mit einem New-Yorker Briet schon von Kammerer praktizirt wurde und dass es recht sehr zu unserem Huft passen würde, wenn er sich Kammerers Beispiel gemerkt und zum Muster genommen hätte.

Und endlich wäre es sogar denkbar, dass Huft auch den Artikel in Nummer 8 der « Freiheit » vom 21. Februar 1885 geschrieben hat. Klinger meint zwar, Most hätte ihm darüber Mittheilung gemacht. Vergessen wir aber nicht, dass die Untersuchung gegen die Anarchisten begann, bevor die Nummer 8 in der Schweiz angelangt war und dass Most es gar wohl als klüger betrachten mochte, mit Bezug auf diesen Artikel einstweilen Stillschweigen zu beobachten. Der Styl, in dem der Artikel geschrieben ist, erinnert uns ausserordentlich an Huft .. « Hütet Euch ! Eure Contre-Kevolution ist nutzlos . . . Hütet Euch ! In England dynamitert es bereits gewaltig. Die Schweiz kann uns nicht entgehen . . . Die Fenier und die Franzosen, die deutschen und die schweizerischen
Anarchisten sind Brüder. Einer für Alle und Alle für Einen !

Unser Vaterland ist die Welt ! Der Palast, in welchem Euer Vertrag abgekartet und unterzeichnet wurde, soll solchem Zwecke niemals wieder dienen. Die Anarchisten werden auf deui Platze, wo

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er steht, Salz streuen und die Erde umpflügen. > Das sind lauter Sätze, welche Huft recht wohl geschrieben haben kann. Mehr können wir darüber nicht sagen.

Wir haben absichtlich den Selbstmord Hufts bisher nicht eingehender besprochen. Wir wollen aus dieser dunklen That nicht einen Beweis herleiten für Hufts Schuld. Mag man darüber urtheilen, wie man will, mag man sagen, das war das Geständniss, das er anders nicht ablegen wollte, oder mag man den Grnnd in seinem phantastischen, exaltirten Wesen suchen -- unsere Ueberzeugung von Hufts Schuld steht ohne diese Thatsache fest. Aber wir dürfen uns dennoch der Aufgabe nicht entschlagen, zu prüfen, was den Huft zum Selbstmord getrieben haben mag.

Man ist geneigt, bei einem Selbstmorde zunächst an Geistesstörung zu denken. Es ist auch eine bekannte Thatsache, dass andauernde Einzelhaft leicht zu Geistesstörungen führt. Bei Huft suchen wir indess umsonst nach Spuren solcher Geistesstörung. Er natte bei dem Verhöre vom 13. Mai absolut nichts derartiges verrathen, war während der mehrstündigen Einvernahme in seinen Antworten stets klar, schlagfertig und klug gewesen. Seine letzten Antworten klingen geradezu herausfordernd. Hören wir ihn nochmals : Frage: Sagen Sie gerade Alles, dass Sie sich auch im Verstellen der Schrift geübt haben?

Antw. : Darauf gebe ich gar keine Antwort mehr. Wozu soll ich meine Schrift verstellen, ich schreibe ja offen.

Frage : Sie sollen sich in Heiden sehr um den Bestand der Beamten im Kanton Appenzell bekümmert haben?

Antw.: Richtig. Das wird erlaubt sein. Man muss sich doch über die staatlichen Organe informiren, wenn man darüber schreiben soll.

Während des ganzen Verhörs kein Wort der Klage, keine Andeutung, welche etwa melancholische Anwandlungen verrathen hätte. Seine Zelle hatte Huft in durchaus normaler Weise wieder betreten. Nichts verrieth seinen finsteren Entschluss, den er unmittelbar nachher ausgeführt haben muss.

Der ärztliche SeJctionsbefund erklärt, dass sämmtliche Organe Hufts durchaus normal waren.

Auch die Briefe, die er aus der Gefangenschaft an seinen Meister schrieb, verrathen nichts von geistiger Störung. Er beklagt sich über sein Schicksal, er findet die Einzelhaft langweilig

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und drückend. «Langsam, faul, träge und schwerfällig kriechen mir die Tage dahin . . . Und dann die endlosen Nächte! Man schläft wohl ein paar Stunden über -- aber man schläft den leisen, den unruhigen Schlaf des Gefangenen. » In demselben Briete (19. April) sagt er auch : «Anfänglich fasste ich die Sache weniger ernst auf -- nun aber beginnt mir das Leben zu entleiden. » Allein das hindert ihn nicht, gleich darauf schlechte Witze zu reissen. « Horribile dictu -- bald hätte ich vergessen, mich nach dem Wohlergehen von Fräulein Emma Blatter zu erkundigen.

Fräulein Emma Blatter wird sich zwar um den Gefangenen im St. Galler Kriminalgebäude den Henker bekümmern -- ist ja derselbe nur ein « Schwabe » und dazu ein sehr wunderlicher « Schwabe » -- allein man darf doch fragen! Freund Hans, weiss der, wo ich bin? Sagen Sie ihm, ich sei in die Wüste G-obi oder Sahara gegangen und werde ihm demnächst einen Moloch schicken ·-- per Post natürlich und einen lebendigen . . . . Herr Blatter aber möge mir nicht nachtragen, dass der eidgenössische Bundesanwalt in « Amtsgeschüften » dort war ; -- ich habe ihn nicht geholt und so ohne Weiteres ihn zum Tempel hinausjagen, das gieng auch nicht gut. » Das ist nicht der Ton eines Melancholikers, wohl aber wissen wir von früher her, dass Huft es liebt, seinen Gefühlen drastischen Ausdruck zu geben und sich interessant zu machen, und dahin zielen die Klagen in seinen Briefen.

Huft hatte auch schon vor seiner Verhaftung an don Selbstmord gedacht. Schon 1883 schrieb er an Klinger, nachdem er über Kopfschmerzen geklagt : « Besagte Krankheit trägt, wie gesagt, einen entschieden chronischen Charakter, treibt mich, glaube ich, falls sie nicht bald auf Nimmerwiedersehn verschwindet, noìlì vor den Terzerollauf» . . . Man hat indess von diesem Kopfweh sonst nie etwas vernommen. Im Wabernbrief räth er seinem fingirten Genossen dazu. « Tüdte so viel du kannst und zuletzt dich selbst. » Und in den Warnungsbriefen sagt er es geradezu.

«Ich bitte Sie flehentlich, von meinem Geständnisse keinen Missbrauch zu machen, sonst wäre mein Leben verwirkt. » . · . « Wenn Sie sich in meiner entsetzlichen Lage befänden, Sie würden begreifen, dass mein ganzes Leben nur an einem Faden hängt. » Und schliesslich : « Lieber gebe ich mir selbst den Tod, als dass ich der Rache der Genossen verfalle. »
Die Selbstmordsgedanken sind dem Huft nicht erst in der Gefangenschaft gekommen.

Wir brauchen wirklich auch nicht lange zu suchen. Der stolze und eitle Huft, der phantastische, affektirte und eingebildete Mensch, sah nach dem letzten Verhör, nachdem er das zweite Gutachten gelesen hatte, dass er entlarvt war. Der Nimbus, mit dem er sich

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umgeben hatte, musste schwinden. In öffentlicher Gerichtsverhandlung sollte es aller Welt offenbart werden, welch' elender Tropf er war, wie er gelogen hatte, wie er Mädchen beschwindelt und seinen Freund in's Verderben zu stürzen gesucht, wie er in frevelhafter Weise die ganze Eidgenossenschaft in Aufregung gebracht, der Verhaftung Unschuldiger ruhig zugesehen und ob dem von ihm heraufbeschworenen Skandal mit verächtlicher Ueberlegenheit Grimassen geschnitten hatte. Huft wusste, dass die Verachtung unserer ganzen Bevölkerung sein unausweisliches Schicksal war.

Das brach ihm den Hals. Dieses Bewusstsein erdrückte ihn und trieb ihn zum Aeussersten.

So berichtete denn auch Herr Untersuchungsrichter Deduai mit Bezug auf die Schlussfrage des letzten Verhörs mit Huft : -- « Ich will Sie zum heutigen Schluss nochmals aufmerksam miiclien auf die Wichtigkeit der vorliegenden Expertise » -- an den Unterzeichneten : « Ich versichere Sie, es war das ein eben so feierlicher, als peinlicber Akt. Ich erhob mich unwillkürlich langbam v.ia meinem Sitze und erinnerte ihn ebenso ruhig als gemessen und ernst an die Wichtigkeit dieser Expertise. Sein Auge floh meiueîi Blick und seine Antwort war ausweichend, ungenügend und, ich möchte sagen, verwirrt. Den letzten Satz, es könna diese Expertise von keinem rechtlichen Belange sein, wollte ich gar nicht niederschreiben, er wiederholte ihn aber zum zweiten, dritten Mal. Er hatie offenbar die geistige, dialektische Schärte verloren, er wollte sich retten, aber er schwankte bereits. » Das Gestiindniss seiner That hat Huft nicht über die Lippen gebracht, dazu war er zu stolz. Dass ihm sein Läugnen nichts mehr helfen werde, sah er ein. So zog er den Tod «1er Schande vor !

Noch bleibt uns nun die Frage zu beantworten : Welche Motive hatte Iluft zu seinem schändlichen Tre/ben? Handelte «v im Einverständnisse und Auftrag von Anarchisten, etwa um den Bundesrath einzuschüchtern, eine Panik zu voranlassen, Furcht und Schrecken zu verbreiten? War seine That ein Manöver der Sozialdemokraten, wie die Anarchisten meinten V War er ein Agent provocateur? Handelte er auf eigene Faust, aus Rachsucht gegen Klinger, aus Skandalsucht, aus Lust am Intriguiren und Verhetzen?

Nochmals müssen wir den Mann mit seinem Charakter und seinem ganzen Treiben Eevue passiren lassen, denn ohne die
Antwort nuf diese letzte Frage wäre unsere ganze Untersuchung nur Stückwerk.

War Huft Anarchist? Von seinen Beziehungen zu Klingor haben wir schon viel gesprochen. Nachzuholen ist noch einiges a,us seiner Korrespondenz mit Klinger. Er schrieb demselben wiederholt von Schinznach oder Brugg aus. In einem Briefe vom

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1. Mai 1883 erzählt er demselben die Reise, welche er von Rorschach in seine Heimath unternommen hatte. Wir notiren folgende Stellen: «Aber allda (in Pveiburg) war meines Bleibens nicht lange -- der kosmopolitische Geist regte sich mächtig in mir.

Plan- und ziellos reiste ich nach Badenweiler im südbadischen Schwarzwald, um nach kaum anderthalbtägigem "Verweilen daselbst landabwärts zu dampfen. In Carlsruhe machte ich Halt -- nicht etwa um den Grossherzog zu sehen, o nein: Fürstengesichter sind keim Magnete mehr für mich, bieten mir zu wenig Sympathie und Interesse . . . » « Ueber eine Woche bummelte ich in den fächerförmigen Strassen der Soldateska-, Büreankratie- und Bourgeoisiestadt Carlsruhe umher. Dann verduftete ich still und geräuschlos : ich fuhr hinauf nach Rastatt, wo man die Leute das Massenmorden lehrt. -- Ich stand eines Morgens auf dem Leopoldsplatze und sah zu. Hei, war das ein Bekrutengedrille ! Und mit welch' fabelhafter Geschicklichkeit die schleppsäbelklappernden Lieutenants ihre Augenklemmer handhabten ! ...

,, Und noch kein Völkerzorn ? " hättest du an meiner Seite wüthend ausgerufen. Ich aber musste schweigen; denn mein leiblicher Onkel, in dessen Hause ich Gastrecht genoss, befand sich neben mir; seine goldbetresste Uniform belehrte mich, dass er königlicher Vicefeldwebel der Artillerie sei -- und zudem prangte auf seiner Brust im Vereine mit andern Kriegs- und Friedensdekorationen auch das eiserne Kreuz II. Klasse.

-- Wer, frage ich, hätte da kommunistische Gefühle äussern dürfen ?

Nicht ein Klinger, wäre er an meiner Stelle gewesen, würde das fertig gebracht haben!!-- Besitzen wir nicht genug Beispiele, dass der Blutsverwandte den Blutsverwandten denunzirte und wegen «Hochverrath» in's Zuchthaus 'brachte?» Am 1. Juni 1883 sehreibt Huft ; « Besten Dank für die bisherige Expedition der beiden polizeiwidrigen Pressorgane. Ich habe deine ironische Randglosse auf der « Zukunft » wohl verstanden : in Oesterreich scheint es, Anfangs ebenso faul oder noch fauler zu sein, als im Staate Dänemark . . . Wo ist das freie Wort??? Censorenwillktir, speichelleckerisches Hofschranzenthum und kein Ende! Ich frage dich nochmals, besitzt ein transleitbaniseher Scherge die Kompetenz, die Qualifikation, die geistige Reife, ein politisches Blatt zu censiren, zu Jconfisniren? Wo will er jene
Eigenschaften hernehmen? Angeboren sind sie ihm gewiss nicht -- auch nicht anerzogen . . . » Weiter : « Hätte ich nur . . . Heinrich Heines Humor besessen !

Oder -- was mir weitaus angenehmer gewesen wäre -- einige Nummern der « Freiheit ». Ferner : « Die Korrespondenten -- « Schmierfinken » nennt sie die « Freiheit » -- der schweifwedelnden Bourgoisieblätter treiben sich momentan zu Moskau auf der Stoffjagd umher. Und letztere muss ausserordentlich ergiebig sein.

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Auch die « Republik » Schweiz stimmt die Czarenhymne an, huldigt dem Krönungskultus, -- ein Faktum, das ich bei dem heutigen Zustande dieses Duodezstaates vollkommen billige ; denn der Epigone Wilhelm Teils hat längst aufgehört, ein freier Mann su sein.

-- Der « Kaiser und Selbstherrscher aller Reussen » verschanzt sich während der Krönungsceremonie hinter einer halben Million Wachtrabanten -- aus Furcht vor dem Volk, aus Furcht vor seinem eigenen Volk! . . . Fürwahr, ein merkwürdiges, originelles Zeitbild! -- Und wird es, dies Zeitbild, ebenfalls in die Bücher der Weltgeschichte eingetragen?

Sie hatten drinnen in Russland bis dato wenigstens vor dem Dynamit Ruhe, diesem gefürchteten, unsichtbaren Spuck- und Spottteufel in allen Ecken und Enden. » . . . « Kürzlich las ich in Schinznach, erinnere ich mich recht in der Gazzette de Lausanne, einen ganz vorzüglichen Leitartikel . . . derselbe war werth, in der «Freiheit» publizirt zu werden ; er war genau im Tone letzterer gesetzt und ein stylistisches Meisterstück nebenbei. Unter seinem Studium -- du verstehst doch französisch ? -- hätte dir einerseits das Herz im Leibe gelacht und andrerseits wäre dir die Galle ausgelaufen . . . » Am 4. Juli 1883 schreibt Huft über Schinznach: «Es ist, falls mir dieses Prädikat erlaubt, vollständig « verbourgeoisirt». Hier könntest du allerhand Studien anstellen. Freilich, es lohnte sieb kaum der Hübe, wäre schade um die schöne Zeit. . . Die hiesigen Kuristen, welche sich namentlich aus französischen, resp. elsass-lothringischen Juden rekrutiren, sind die ausgeprägteste Bornirtheit -- mit einem Wort: der personifisirte Geldsack Was willst du mehr?» . . . .

« Geld regiert die Welt » lautet eine geflügelte Eedensart. « Und Geld regiert auch den modernen Sozialismus», meinte kürzlich ein Brugger Philister, als er in der Zeitung las, dass « Bürger Bebel wieder in den Besitz eines Reichstagsabgeordneten-Mandats gekommen. Und hatte der Mann nicht Recht? In seinem Sinne gewiss.

Denn auch mir erscheinen die Umtriebe der z\vei sächsischen «Führer» mehr als katilinarisch, mehr als egoistisch; mir erscheinen sie -- bismarckisch » . . . Und an anderer Stelle : « Wieland, sage ich, war in gewissem Sinne Anarchist . . . Anarchist betreffs der «freien Liebe», die ja der Kommunismus protektirt. » Eine Korrespondenzkarte vom
10. Mai 1883 unterzeichnet Huft: «Mit gesinnungsgenössischem Gruss und Handschlag». Dagegen vermeidet er stets den sonst unter Genossen üblichen « Sozialrevolutionären Grass ». Er schreibt « freundlichen Gruss », « schliesse hiemit und verbleibe treugesinnt unter freundschaftlichen Grüssen dein alter ergebener», «mit bestem Gruss und ehrlichem Handdruck verbleibe dein alter», «lebe wohl und schenke ein intensives Gedenken deinem alten Huft ».

Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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Manche der angeführten Sätze scheinen, darauf hinzudeuten, dass Huft damals wirklich anarchistischen Grundsätzen huldigte.

Man sieht daraus jedenfalls, dass er sich mit Vorliebe mit solchen Ideen befasste. Betrachtet man sich aber die Sache genauer, so wird man finden, dass er es sorgfältig vermeidet, sich selbst als den Träger oder Repräsentanten des Anarchismus hinzustellen. Die «freie Liebe» liegt ihm noch am nächsten. Ueber die «Propaganda der That » und über den Kampf gegen den Staat und die heutige Gesellschaft spricht er sich nirgends direkt aus. Und wenn wir alles recht erwägen, so gewinnen wir den Eindruck, dass Huft sich schon damals darin gefiel, gegenüber Klinger den kleinen Anarchisten zu spielen, während im Grunde seine Auslassungen mit wenigen Ausnahmen ebenso gut hätten im « Weinländer » stehen können. Ganz bezeichnend ist in dieser Richtung die Art und Weise, wie Huft seine Briete sohliesst. Das ist nicht der Gruss eines Genossen !

Wollte man aber annehmen, Huft habe im Sommer 1883 zeitweilig in Anarchismus « gemacht », so müsste man dennoch zugeben, dass er davon sehr bald zurückgekommen ist. Wir haben bereits gesehen, wie er zu den Ansichten Klingers Stellung nahm, wie er dieselben bekämpfte. Das war schon der Fall zur Zeit, als er noch in ßorschach war, also spätestens im Sommer 1884. Es hiesse wirklich dem Huft eine ungewöhnliche Schlauheit und Vorsicht zumuthen, wenn man annehmen wollte, seine Opposition gegen Klinger sei nur Schein gewesen. Dass er diese Opposition nicht etwa nur vor dritten Personen machte, gebt aus den Aussagen Klingers zur Evidenz hervor.

In der bereits erwähnten «Rechtfertigung» vom 22. Dezember 1884 (Weinländer Nr. 2 vom 7. Januar 1885) schreibt Huft: « Also ein brandrother Anarchist bin ich ? Das ist mir nichts Neues ! Im Gerüche eines brandrothen Anarchisten stund ich in Rorscliach schon längst. Einmal -- und auch Herr Kegierungsrath Thoma meinte, diess sei keine spezielle Empfehlung für mich -- weil ich ab und z u . . . nun, es muss heraus . . . in den « Weinländer» schrieb; ferner hatte ich -- um als Zeitungskorrespondent einen möglichst weiten Blick über die gesammten Welthändel zu gewinnen -- thatsächlich die Marotte, regelmässig den « Sozialdemokrat » , den « Radikal » und die Jlfos^'sche « Freiheit » zu studiren ; endlich zählte -- und das
war wohl der gravirendste Umstand! -- zu meinen besten Freunden ein junger Mann, der allerdings betreffs der Diplomatie des deutschen Beichskamlers und der biblischen Schöpfungsgeschichte seine ureigenen Thesen verficht, ja sogar frei und offen für eine « gewaltsame Universalrepublik » sehwärmt, -- nichts destoweniger aber eine geistige Bildung be-

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sitzt, welche die geistige Bildung seiner und meiner Feinde um ein beträchtliches zurücklässt.

« Dieser junge Mann also war in meinen Mussestunden vielfach mein Begleiter. Wenn nun Jemand mein persönlicher Freund ist, soll dann, frage ich, immer gesagt sein, dass er auch zu meinen politischen Freunden gehört ? ? ? Was man inskünftig noch über mich fabeln und faseln mag -- es kann mir so ziemlich gleichgiltig sein; allein diejenigen, die stetsfort der Behauptung Beine zu geben suchen, ich sei nicht blos ein eifriger Mitarbeiter der Most'schen « Freiheit » und hätte die jüngsten Schandartikel gegen den schweizerischen Bundesrath geschrieben, sondern mache zeitweilig auch den preussischen Polizeispion, -- solche Subjekte erkläre ich öffentlich als spitzbübische Lügner und hundsgemeine Verlüumder !

So Manches ich in meinem Leben auch schon geschrieben habe und drucken liess -- ein sozialdemokratisches oder anarchistisches Parteiorgan aber war noch nie im Falle, jemals eine Zeile von mir zu publiziren, und ebenso wenig habe ich sonstwie den Bestrebungen der Sozialdemokraten und Anarchisten irgend welchen Vorschub geleistet! Hinwiederum betrachte ich einen deutschen Gensdarmeriespitzel als die jämmerlichste Kreatur auf Gottes Erdboden und dürfte somit die Zumuthung als hätte ich selbst schon Spitzeldienste verrichtet, gebührend und endgiltig zurückgewiesen sein. » Dass diese « Rechtfertigung » nicht lautere Wahrheit enthält, wissen wir. Dagegen dürfen wir sie als wahr betrachten, soweit es den Protest gegen die Zugehörigkeit zur anarchistischen Partei l etrifft In Nummer 4 vom 15. Februar 1885 des «Barbier und Friseur» lesen wir in einer seiner Korrespondenzen : « Und dann möchte ich jeden rechtlich gesinnten Kollegen dringend gewarnt haben, hier irgend einem « internationalen Arbeiterfortbildungsverein » beizutreten. Die Tendenzen dieser Institute sind höchst zweideutiger Natur und wussten schon, in manches junge Gemüth den Samen der Unzufriedenheit und des Klassenhasses zu streuen -- mit einein Wort: in den meisten internationalen Arbeiterfortbildungsvereinen wird dem Sozialismus und seinem Zwillingsbruder, dem Anarchismus gehuldigt. » Huft hätte sich sicherlich den « Friseur » nicht ausgesucht, wenn es ihm bei dieser Korrespondenz darum zu thun gewesen wäre, den Verdacht der eidgenössischen Behörden
von sich abzuwenden.

Huft war nicht Anarchist und konnte nicht Anarchist sein.

Seine ganze Charakteranlage widersprach dem. Er war mir mit seinem werthen Ich beschäftigt, sein ganzes Thun und Lassen, sein Dichten und Trachten bestand in der Pflege seiner Eitelkeit, last

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möchten wir sagen seines -- Grössenwahns. Ideale Anwandlungen simulirte er wohl, ernst war es ihm nicht damit. Und ein Anarchist -- verräth seinen Freund nicht, wie es Huft gegenüber Klinger gethan hat!

Endlich aber ist es auch gar nicht glaublich, dass eine Mystifikation, wie wir sie nun vor uns sehen, von anarchistischer Seite verübt worden sein sollte. Man vergesse nicht, dass Drohbriefe, Warnungsbriefe und dia Instruktion von demselben Huft geschrieben sind. Es könnte also damit nur bezweckt worden sein, die Bundesbehörden einzuschüchtern. Dass aber die ganze Machenschaft gerade den gegentheiligen Erfolg haben müsse, das konnte sich jeder Anarchist an den Fingern abzählen. Es haben denn auch zahlreiche Anhänger des extremsten Anarchismus rundweg erklärt, dass sie ein Attentat gegen das ßundesrathhaus als eine grosse Dummheit betrachten würden.

Wenn dabei die Anarchisten meinten, die Attentatsgeschichtesei von den Sozialdemokraten eingefädelt worden, so waren sie offenbar im Jrrthum. Wir wollen gar nicht untersuchen, ob die « Sozialdemokraten » in der Schweiz einer solchen Schlechtigkeit fähig wären. Es genügt, zu konstatiren, dass Huft zu der sozialdemokratischen Eichtung absolut keine Beziehungen hatte und dass er gegen die Sozialdemokraten gerade so Stellung nahm, wie gegen die Anarchisten. Nannte er die beiden doch, wie wir gesehen haben, Zwillingsbrüder !

Schwieriger gestaltet sich dagegen die Frage, ob Huft ein agent provocateur war. Wir gehören nicht zu denen, welche hinter jedem Baum einen Polizeispitzel wittern und welche alles und jedes auf Rechnung der agents provocateurs sehreiben. Wir läugnen aber auch nicht, dass es Polizeispitzel gibt, und dass solche Agenten schon gelegentlich unsauberes Spiel getrieben haben. Nicht im Einverständnisse mit ihren Vorgesetzten -- aber in der Hoffnung nachträglich Billigung und Gewinn zu finden. So lag denn auch der Gedanke von vorneherein nahe, es möchte ein solcher Mensch die Attentatsgeschichte inscenirt haben, um den Bundesrath zu energischem Einschreiten gegen die Anarchisten zu veranlassen und sich damit nachträglich höhern Orts in Gunst zu setzen. Die Untersuchung hatte auch nach dieser Eichtung von Anfang ein offenes Auge gehabt und war nun bestrebt, auch bei Huft die Sache klar zu stellen.

Charakters halber konnte Huft schon ein
Polizeispion sein.

Gewisse Thatsachen scheinen, den Verdacht in dieser Eichtung zu bestärken. Wir haben gesehen, dass er sich längere Zeit hindurch gewisse Korrespondenzen nach Hörn kommen liess, ohne dafür

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«inen stichhaltigen Grund angeben zu können. Er war darüber in grosse Verlegenheit gerathen, hatte seine Zuflucht zu durchaus unglaubwürdigen Ausflüchten genommen und hatte durch sein Benehmen die Thatsache nur noch um so auffälliger gemacht. Um anarchistische Korrespondenzen handelte es sich nicht. Was konnte den Huft veranlassen, seine Korrespondenz in dieser Weise zu verdecken? Man wusste, auf diese Frage keine Antwort zu finden, nnd musste also die Thatsache als eine sehr kompromittirende betrachten. Ebenso gravirend ist die Deposition der Anna W., welche bestimmt erklärt : « Huft hat mir wirklich gesagt, er biete sich der deutschen Polizei als Spion an, ob er's gethan, weiss ich nicht. » Die Anna W. hatte hievon schon früher dem Klinger Mittheilung gemacht, beide legten aber der Sache kein Gewicht bei, wie Klinger sagt, « weil wir wussten, dass auf sein Gerede kein Gewicht zu legen sei ». Dass Huft selbst öfter an den « Polizeispion » dachte, haben wir schon wiederholt gesehen. Wir erinnern an seinen Brief an Frl.

F. M., worin er aus der St. Galler üiebstahlsaffaire eine Verfolgung als « preussischer Gensdarmeriespion » fabrizirte ; wir erinnern an seine Aeusserung gegenüber Klinger, es könnte sich ein Denunziant finden, der sich als geheimer Zeuge anböte und an seine Erklärung im « Weinländer », worin er sich gegen den Verdacht, er sei ein Polizeispion, vertheidigt, ohne dass man eigentlich begreift, wozu er diese Verteidigung nöthig hat. Ferner gaben Grund zu Vermuthungen, die Reise, welche Huft im Frühjahr 1883 nach Deutschland machte, weil er sich daselbst trotz jahrelanger Abwesenheit nur drei Tage bei seinen Eltern aufhielt, um dann ohne ersichtlichen Grund nach Karlsruhe und Rastatt zu reisen.

Endlich hatte sich Huft öfters nach Bregenz begehen, doch meinte Emilie, es sei dies bloss zum Vergnügen geschehen.

Auch die Beziehungen Hufts zu Wiesinger hatten Anlass zu allerlei Vermuthungen gegeben, namentlich weil Wiesinger im letzten Winter nach Deutschland gereist war. Es wurde jedoch konstatirt, dass diese Reise einer anzutretenden Erbschaft gegolten hatte, und liegt in dieser Richtung durchaus kein Grund zu fernerein Verdacht vor.

Andere, und unseres Erachtens entscheidende Gründe, sprechen aber gegen die Annahme, dass Huft ein Polizeispion war.

Es handelte sich für die Untersuchung
vor Allem aus darum, zu konstatiren, woher Huft allfällig Geld erhalten hat. In dieser Beziehung steht folgendes fest: Huft bezog bei Frau Frey ein monatliches Salair von Fr. 25 im Winter und Fr. 40 im Sommer.

.Bei Herrn Schuppli erhielt er monatlich Fr. 25. Ueberdiess bezog

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er einige kleinere Summen für seine Korrespondenzen in den « Weinländer » und in den «Friseur». Als Huft Rorschach verlassen hatte, hielt er sich sechs Wochen lang beschäftigungslos in St. Gallen auf. Er lebte dort von Ersparnissen, entlehnte überdies von Wiesinger Fr. 25 und von Emilie ebenfalls Fr. 25. Von Letzterer erhielt er überdiess Manches an Kleidungsstücken. Es darf als sicher betrachtet werden, dass er in St. Gallen kein Geld anders woher erhielt.

Ebenso sicher ist wohl, dass er, als er nach Heiden kam, ziemlich auf dem Trockenen war. Von Herrn Schuppli hat Huft den Monatlohn pro Dezember und Januar, also Fr. 50 bezogen, überdiess wird über Neujahr etwas an « Trinkgeldern » für ihn abgefallen sein. Wahrscheinlich erhielt er dort von der Redaktion des « Friseur » auch dreissig Mark. Dagegen sind andere Geldbezüge des Huft für die Zeit, da er in Heiden war, nicht nachgewiesen.

Die Ausgaben, welche Huft machte, waren äusserst gering.

Frau Schuppli sagt, er habe oft in der Woche kaum 20 Cts ausgegeben. Seine Eeisen nach Rorscrach und St. Gallen machte er in der Regel zu FUSS. Dann trank er ein Glas Bier oder zwei.

Das Papier zu seinen Korrespondenzen kaufte er bogenweise, zu 5 und 10 Cts. per Mal. Kost und Logis hatte er frei, Kleider 'schaffte er sich während dieser Zeit nicht an. Dagegen hatte er an Wiesinger angeblich Fr. 20. -- zurückbezahlt und fanden sich »bei seiner Verhaftung noch einige Pranken bei ihm vor. Was ihm blieb, reichte eben hin, um die Reisen zu bestreiten, welche er machen musste, um seine Briete zur Post zu bringen, und Emilie klagt in ihren Briefen an ihn wiederholt darüber, dass er sein Geld, statt zu sparen, für seine Reisen brauche. Unter Thränen erklä'.-te sie, dass sie sich für ihn geopfert und dass sie oft für ihn Hunger gelitten habe.

Unter solchen Umständen ist die Annahme, dass Huft auch noch für Polizeidienste Geld erhalten habe, vollständig ausgeschlossen.

Ein weiteres wichtiges Moment liegt in dem Benehmen Hufts.

Wäre er Polizeispitzel gewesen, er hätte sich schwerlieh Heiden als Beobachtungsposten ausgesucht. Wäre er «agent provocateur» gewesen, er hätte den Arbeiterverein Korschach, dessen Mitglied er ja war, besucht, er hätte Klinger in seinen extremen Theorien unterstützt, statt ihn zu bekämpfen, und er hätte nie und nimmer öffentlich erklärt,
dass er mit den Anarchisten nichts gemein haben wolle. Wie leicht wäre es dem Huft nicht gewesen, sich zum Intimus Klingers zu machen, von diesem nach und nach die Geheimnisse der Propaganda zu vernehmen, durch ihn mit den übrigen Genossen bekannt zu werden ? Es hätte nur eines Wortes von Klinger bedurft und Huft hätte auch mit Most in direkte Beziehung treten

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können. Statt dessen gewinnen wir aus der Untersuchung den Eindruck, dass nicht Huf t den Klinger, sondern Klinger den Huft gesucht hat und dass es dem Huft gar nicht darum zu thun war, mit weitern anarchistischen Kreisen in Berührung zu treten. Er beschäftigte sich mit dem Anarchismus, weil ihn die Sache interessirte, er las die «Freiheit», weil ihm ihre Schreibweise gefiel und er gar manche « Wahlverwandtschaft » darin finden mochte, aber nirgends lässt sein Benehmen das Interesse des Spions vermuthen. Und wenn er ein Spion hätte sein wollen, dann hätte er das sicher nicht der Anna "W. gesagt, von der er wusste, dass sie Klinger kannte und dass sie sogar als « Deckadresse » für ihn benutzt wurde !

Der absolute Mangel unerklärter Geldquellen und das vollständige Fehlen provokatorischen oder schnüfflerischen Wesens scheinen uns die Annahme, dass Huft ein « Spitzel » gewesen sei, unbedingt auszuschliessen.

Was bat ihn dann zu seinem teuflischen Plan getrieben, fragt man nun mit Recht? Alle bisherigen, wir möchten sagen, landläufigen Suppositionen haben sich als nicht stichhaltig erwiesen und doch hat er die Briefe geschrieben. «Wir stehen vor einem Problem», sagte Klinger, als ihm Einblick in die ganze Sachlage gegeben wurde.

«Schade, dass sich dieser Mensch erhängt hat». Einverstanden!

Suchen wir trotzdem, das Problem zu lösen.

Es liegt in der Natur der Dinge, dass wir schon in der bisherigen Darstellung unserer subjektiven Auffassung gelegentlich Ausdruck gegeben haben und dass wir an geeignetem Orte gewisse Thatsachen, welche diese Auffassung unterstützen, besonders betonten.

Wenn wir auch bestrebt waren, unsere ganze Darstellung möglichst objektiv zu halten, so durften wir darin doch nicht so weit gehen, die eigene Meinung ganz bei Seite zu legen. Diese Meinung stützte sich ja auf das Studium der Akten und war erst das Resultat langer Erwägungen. Wir können uns daher nunmehr auch auf Manches bereits Gesagte berufen und werden Niemanden mehr überraschen, wenn wir sagen, dass unserer vollen Ueberzeugung nach die That des Huft einzig und allein auf Räch- und Skandalsucht und auf seine Freude am Erfinden und um Schreiben zurückzuführen ist.

Wir theilen zunächst noch mit, wie Huft von einigen Zeugen, insbesondere von seinen verschiedenen Prinzipalen, beurtheilt wird.

Herr Schuppli in Heiden
sagt: «er war ein guter, stiller und eingezogener Arbeiter». Frau Schuppli meint: «Er war ein guter, solider, eingezogener Arbeiter, ehrlich und redlich meines Eraehtens, ging an Wochentagen nicht in Wirthschaften, trank Sonntags höchstens ein paar Glas Bier in der Krone. Er war auch sehr

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sparsam». Job. Blatter in Heiden urtheilte dagegen, wie bereits bemerkt: «Ich traue diesem. Menscben, offen gestanden, Alles zu».

Frau Prey sagt: «leb wurde schliesslich seiner müde, weil er mieb in vielfacher Beziehung anlog. Das Lügen warf ihm auch Klinger vor. Bald sagte er, er sei politischer Flüchtling, bald sagte er, er babe in Thun das Bürgerrecht erworben und sei nunmehr auch Schweizerbürger, bald, eine badische Excellenz, die in den Coiffeur laden kam, habe ihm versprochen, seine Bückkehr nach Baden zu ermöglichen. Auf einer Lüge ertappt, wurde er wild und kündete mir den Dienst». -- Herr Geyer in Brugg deponirt: «Was seinen Charakter betrifft, so kann ich ihm hierin das beste Zeugniss geben, er war gegen mich und meine Familie immer offen und aufrichtig und einer der besten Arbeiter, die ich schon in meinem Geschäft hatte». D i e Herren Bezirksamtmannn Amsler u n d Mensch, den man seiner sonderbaren Frisur wegen belachte, nebenbei aber, da er sonst zu Klagen nicht die mindeste Veranlassung gab, auch seiner Wege gehen liess. Den beiden Unterzeichneten ist er durch seine Unterhaltung beim Haarschneiden und Basiren noch in guter Erinnerung. Er liebte es, von schöner Litterat' ,,u sprechen, wobei Schiller und Göthe eine Hauptrollespielten.. Er rühmte sich, auch einmal in Thun einen Leseverein gegründet zu haben, sowie dass er mit d e m r T e m m e e in Zürich schon in Verbindung gestanden und ihn schriftlich' .1 angefragt habe, wo seine Werke zu kaufen seien . . . Auf die Unterzeichneten machte Hufts Benehmen den Eindruck, als halte er sich für ein verkanntes Genie».

Coiffeur Tschagular in Thun bezeugt : « Huft war ein guter Bursche, wie wir noch keinen solchen hatte». Die Kunden hatten ihn alle gern. Er war treu, still, eingezogen und bescheiden, ich könnte absolut nichts Böses von ihm s a g e u n d r d wir bedauern sehr, d-ss er ein solches Ende genommen hat. Huigehörtefe in Thun keinem Verein an. Er hatte a,uch keine spezielleBekanntschaften.n. In der Zwischenzeit beschäftigte er sich mit s c h r i f t s t e l l e r i s c h e i n und Gedichten». Coiffeur Huber in St. Immer erklärt: «Huft war wenig mittheilsam, er hatte einen sehr finstern Charakter und ich kann sagen, dass ich ihn bei seinem Austritt nicht besser kannte, als bei seinem Eintritt. Ich kann seine Aufführunwährend:d der
ganzen Zeit nur loben und weiss nichts davon, dass er mit Anarchisten oder analogen Gesellschaften in Beziehungen gestanden wäre».

.Coiffeur Selinger in Basel urtheilt : « Er benahm sich frech, war ein Schwätzer und befriedigte durch seine Leistungen nicht, wesshalb er entlassen wurde » und Ernst Ohnymus, welcher mit ihm in Basel bei Hrn. Selinger gearbeitet hatte, sagt überdies : « Huft sei ein verschrobener Kopf gewesen, der sich gerne, um Aufsehen zu

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erregen, hervorgedrängt, jedoch sich über anarchistische Gesinnungen nicht ausgesprochen habe. Nach seiner Meinung hätte sich Huft nur aus Ueberspanntheit und im Bestreben Sensation zu erregen, .an den die Sprengung des Bundesrathhauses berührenden Vorgängen betheiligt. » Aus seiner Heimath endlich, welche er ja sehr früh verliess, bezeugt sein ehemaliger Lehrer, Herr Jäkle, dass Huft ein sehr unruhiges Benehmen. gezeigt, hingegen aber ein sehr talentvoller fleissiger Schüler war.

Wie Klinger den Huft beurtheilte, haben wir bereits erwähnt.

Dem Gesagten wollen wir indess noch beifügen, was er in einem Aufsatze vom 16. Mai 1885 über Huft schrieb. Er sagt da : « Huft ist ein verbissener Zeitungsschreiber und «sich selbst gedruckt zu sehen» (wie er sich gern ausdrückte) steigerte sich förmlich bis zur Manie. Alles, was nur halbwegs Stoff zu einer Korrespondenz darbot, ergriff er begierig. Er beobachtete bei seinen literarischen Arbeiten zweierlei Taktik. Schrieb Huit einen Leitartikel, so zeichnete er nicht selten mit seinem vollen Namen, oder mi!"denn Initialen W. H. Schrieb er hingegen sarkastischeLokalnotizen,, sozeichnetee er mit W. S. oder auch gar nicht. Mit besonderer Vorliebe arbeitete er im Antisemitischen; hin und wieder zog er auch den Anarchismus durch die Gosse. Nicht selten drückte ihn Stoffmangel -- . . . Was soll ich noch sagen. Huft brauchte Stoff. Ergriff' zu den verwerflichsten Mitteln, sich solchen zu verschaffen, indem er die Behörden durch ein raffinirt ersonnenes Manöver in Bewegung setzte und dadurch eine Situation schuf, welche ihm gestattete, seine Brandartikel gegen die Anarchisten loszulassen. » Wie verschieden dieser Huft beurtheilt wurde ! Die besten und die schlimmsten Zeugnisse je werden ihm ausgestellt und man muss sieh fragen,wiePsindu solche Widersprüche zu erklären?

Nicht alle Menschen haben dieselbe Schärfe des Urtheils und selten wird derselbe Mensch von mehreren Personen vollständig übereinstimmend charakterisirt werden. Im Falle Huft, glauben wir aber, für die scheinbaren Widersprüche eine annehmbare Lösung geben zu können. In der Schule ein « unruhiger Kopf », in Thun unter dem guten Einflüsse von Gotthold Roman sich der Schriftstellerei hingebend und allgemein beliebt ; in Basel, nachdem er zwei Jahre in der Soldatenstadt Rastatt gewesen, ein « frecher und
«verschrobener Kopf», den man nicht brauchen konnte; in Folge dessen in St. Immer «finster und wenig mittheilsam», gekrä sich von den Mitmenschen, die ihn doch nicht zu würdigen wussten, abschliessend in Schinznach allmählig wieder erwärmend, in angenehmen Beziehungen zur Familie seines Prinzipals und daher selbst liebenswürdig, in Rorschach von Klinger

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gesucht und angeregt, vom alten Grössenwahn erfasst, allmählig einem heuchlerischen und erlogenen Spiel verfallend ; nach allerhand Wechselfällen ohne Aussicht je auf einen grünen Zweig eu kommen in Heiden angelangt, spielt er in den letzten Jahren den Braven, während er im Grunde seines Herzens mit der Welt zerfallen ist und seine höchste Lust darin findet, unerkannt über Andere herzufallen. Schon die Experten schlössen aus seiner Handschrift auf Unbeständigkeit seines Charakters und dem entspricht vollkommen der geschilderte Entwicklungsgang. Wie alle oberflächlichen und eitlen Menschen, so war auch Huft ungeheuer abhängig von den Verhältnissen, unter denen er leben musste. Die Ansprüche seines Ehrgeizes und seiner Einbildung wollte Niemand gehörig befriedigen und so rächte er sich an der undankbaren Menschheit, indem er von seinem schriftstellerischen und schreibkiinstlerischen Talent einen, allerdings unerhörten Gebrauch machte.

Die Untersuchung hat nach dem früher Gesagten zur Genüge konstatirt, wie sehr verlogen Huft in den letzten Jahren geworden war, wie weit seine Sucht «Geschichten» zu erfinden, abentheuerliche Kombinationen zu schaffen und seiner rastlosen Phantasie zu fröhnen, gediehen war. Unser Urtheil stand schon gestützt auf alle jene Erwähnungen fest, bevor wir die Bestätigung desselben durch Klinger und Ohnymus in so evidenter Weise erhielten. -- Und doch hatte Ifuft noch ein weiteres Motiv, das Motiv der Kache ! -- Klinger hatte ihn einen Lügner gescholten. Huft schreibt noch am 12. März an Frau Frey, er habe ihm nicht selten «die anzüglichsten Verbalinjurien an den Kopf geworfen». Und Klinger hatte sich von ihm zurückgezogen, sich verschlossen gegen ihn gezeigt. Grund genug für den selbstgefälligen, eitlen und verbissenen Huit', um sich an dem «Freunde» zu rächen. Daher in dem Warnungsbriefe vom 1. März die Mittheilung «Einen davon haben Sie», daher die « Grimasse » , als er Klinger zum Verhör führen sah, daher die Versuche den Verdacht auf Klinger zu lenken und den angeblichen «Freund» in's Verderben zu bringen!

Wenn wir so die richtige Lösung des «Problems» gefunden haben sollten, so können wir zum Schlüsse wiederholen, Huft seilst hat diese Lösung gegeben, als er sagte : « Ich vermuthe, dass dieser Brief von einer Seite herrührt, die soivohl dem Anarchismus als dem Spiteelthum
fern steht.» Der Unterzeichnets ist sich wohl bewusst, dass die Beurtheilung des Wilhelm Huft Uusserst schwierig ist. Er hat desshalb mit grösster Sorgfalt aus den Akten Alles und Jedes hervorgehoben, was ihm von Bedeutung zu sein schien, und er hat fortwährend nach allen Richtungen Umschau gehalten, um allfällige Irrungen

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zu entdecken. Wenn in Folge dessen der Bericht über diese spezielle Untersuchung lang geworden ist, so dürfte dafür die Bedeutung, welche man dieser Untersuchung allgemein beigelegt hat, bevor man nur ihre Ursache recht kannte, einige Rechtfertigung geben. Die Ueberzeugung, welche der Unterzeichnete in Vorstehendem ausgesprochen hat, stimmt -- und das darf zum Schlüsse wohl noch besonders betont werden -- in allen Punkten überein, mit der Art und Weise, wie Herr Untersuchungsrichter Dedual den Fall Huft beurtheilt.

IV. Die Resultate der Untersuchung.

Bevor wir uns der Frage zuwenden, ob der Untersuchung in irgend einer Richtung Folge gegeben werden soll, erscheint es angemessen, die gewonnenen Aesultate zusammenzufassen und den Gesammteindruck wiederzugeben, den wir aus der Untersuchung mit Bezug auf den Anarchismus und seine Bedeutung für die Schweiz gewonnen haben.

Das angebliche Attentat auf das Bundesrathhaus dürfen wir mit derjenigen Bestimmtheit, welche in einer solchen Sache überhaupt zulässig ist, als eine grossartige Täuschung, als das Werk eines auf sonderbare Abwege gerathenen Menschen, als ein Werk der Skandal- und Rachsucht betrachten.

Bei aller Beruhigung, welche uns dies gewährt, dürfen wir dennoch nicht vergessen, dass die sonderbare Idee nicht bloss von ungefähr entstanden ist. Den Anstoss gab unzweifelhaft die vehemente Sprache der Most'schen «Freiheit» und die unbestreitbare Thatsache, dass in den anarchistischen Kreisen in jüngster Zeit von gewaltthätigem Vorgehen gegen die Schweiz ab und zu die Rede war.

Es muss dahingestellt bleiben, ob Klinger oder ein Anderer den Huft angestiftet hat, die Drohbriefe nach Frankfurt zu schreiben, da Klinger dies bestimmt bestreitet und keine gegentheiligen Beweise vorliegen. Sicher ist aber, dass Huft durch den Umgang mit Klinger u;:d die Lektüre anarchistischer Blätter, welche ihm dieser verschafft', mit dem Anarchismus vertraut wurde und dass er auf diesem Weg? die nöthigen Kenntnisse erlangte, um seiner Mystifikation die erforderliche Glaubwürdigkeit geben zu können.

Sicher ist ferner, dass die von Huft in's Werk gesetzte Täuschung ·durch mehrere, zufälliger Weise in die gleiche Zeit fallende Thatsachen, sowie "durch das Benehmen der Anarchisten überhaupt, wesentlich an Wahrscheinlichkeit gewann. Der Brief Schultzes, die Haltung der Most'schen «Freiheit», der Artikel des «Rebell», der Pariser Drohbrief, sofern er nicht von Huft stammt, -- das waren lauter Momente, welch : die Möglichkeit eines solchen Komplottes nahe legen mussten.

709' Darin liegt auch heute noch der grosse Ernst der Sache und die Anhänger der Most'schen Theorien, die Leute, welche sich bei jeder Gelegenheit mit dem gemeinen Verbrechen und jeglicher Schandthat solidarisch erklären, dürfen sich nicht darüber wundern, wenn man ihnen zutraut, was sie fort und fort thun zu wollen erklären, und wenn man sie dem entsprechend behandelt.

Eigentliche Zweifel bestehen heute nur noch über den Pariser Drohbrief, den Drohbrief aus Montreux und den New-Yorker Warnungsbrief. Es wird Niemand darüber erstaunt sein, dass die Untersuchung diese Zweifel nicht beseitigen konnte. Im Uebrigen aber liegt die Geschichte dieser anonymen Briefschreiberei vollständig aufgedeckt vor uns, und können wir daher wohl sagen, dass der spezielle Theil der Aufgabe vollständig gelöst wurde.

Auch den allgemeinen Theil der Aufgabe hat die Untersuchung, soweit es irgendwie verlangt werden kann, erfüllt. Wir können die anarchistischen Gruppen, welche in der Schweiz bestehen, und unter den in der Schweiz wohnenden Anarchisten von einiger Bedeutung dürfte uns nicht Mancher entgangen sein. Bin besonderer Bericht wird über circa 120 Namen und über die Bedeutung und Beziehungen ihrer Träger eingehenden Aufschluss geben. Daneben können wir uns aber auch Eechenschaft darüber geben, wie viel von alledern, was man den Anarchisten zugeschrieben und was man über sie schon behauptet hat, wahr, und wie viel davon erfunden ist. Wir können die Uebertreibungen auf ihr richtiges Mass zurückführen, können aber auch denjenigen, welche der ganzen Bewegung keine Bedeutung beilegen wollten, sagen, dass sie sich in einem grossen Irrthum befanden.

An den übertriebenen Vorstellungen, welchen man vielfach begegnet, sind zunächst die Anarchisten selbst schuld. Ihre Berichte über anarchistische Thaten sind zumeist stark aufgetragen, tragen den Stempel der Renommisterei und Yieles, was Most in seinem grenzenlosen Grössenwahn auf seine Rechnung schi-eiben möchte, gehört ' nicht auf diese Rechnung. Wenn in den Daily News zu lesen war, in Genf einzig halten sich 2000 Nihilisten und in der Schweiz 5000 Anarchisten auf, so ist diess eine lächerliche Aufschneiderei, Die stärksten anarchistischen Gruppen, welche wir in der Schweiz gefunden haben, zählen nicht über 20 höchstens 30 Mitglieder nnd meist finden sich nur 4, 5, 6 Genossen,
selbst in grösseru Städten. Die grosse Mehrzahl der Arbeiter will nichts gemein haben mit Most's verbrecherischen Lehren und die Zahl derer, die sich offen zu denselben bekennen, ist verschwindend klein.

Das Schwergewicht der anarchistischen Bewegung liegt also durchaus nicht in der Masse der Parteigenossen, die Partei wUre, wenn

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nur die Zahl der Genossen in Präge käme, ohne Bedeutung. Bedeutung gewinnt diese kleine Partei durch die Energie und Verwegenheit, durch die Rührigkeit und fanatische Hingabe weniger Führer einerseits, durch ihre Presse andererseits. Die anarchistische Litteratur, vorab die Most'sche Freiheit, haben Kammerer, Stellmacher, Reinsdorff, Kumitsch und Andere zu Verbrechern ausgebildet und zum Verbrechen getrieben ! In den Führern und in der Presse liegt die Gefahr des Anarchismus für die heutige Gesellschaft. Diese Gefahr besteht nicht nur für die Organe der öffentlichen Ordnung, sie besteht für alle, welche aus irgend einem Grunde die Mordiust Moät's und seiner Gesellen reizen.

Glücklicherweise verfügt die Partei nur über spärliche Geldmittel. Nicht umsonst erhebt Most fortwährend den Ruf, raubend und mordend dio '« Kriegskussen » zu füllen. Es fehlt der Partei an Geld und dieser Mangel lahmt bedeutend ihre Kraft.

Speziell mit Bezug auf die Schweiz muss vor allem konstatirt werden, dass verhältnissmässig wenig Schweizerbürger sich der Most'schen Schaar angeschlossen haben. Die Wenigen, welche es thaten, gehören zu den unzufriedenen Elementen oder sind überspannte Köpfe und Raisonneurs, wie sie sich überall finden. Kein einziger Schweizer spielt eine eigentliche Führerrolle, selbst Otter in Freiburg und Stierli oder Wehrli in Zürich nicht. Die Führung liegt in Händen der Deutschen und Oesterreicher, welche meist aus ihrem Vaterland wegen anarchistischer Umtriebe ausgewiesen worden sind und sich in Folge dessen nach der Schweiz gewendet haben. Es lässt sich recht gut beobachten, dass die Oesterreicher gegen Oesterreich, die Deutschen gegen Deutschland Front machen. In erster Linie handelt es sich dabei um die Erhaltung der Verbindung mit den Genossen in der Heimath, welchen eventuell auch für Arbeit in der Schweiz gesorgt wird, und um den Schmuggel anarchistischer Litteratur. Immer und immer wieder tritt uns dabei der Kampf gegen die Ausnahmegesetze dieser beiden Liinrler entgegen, deren Härte die Verbannten eben zu spüren bekommen und welche sie mit grenzenlosem Hass gpgen ihre heimathlichen Institutionen erfüllt haben. Die Ausnahmegesetze treiben uns die anarchistischen Agitatoren zu und führen sie bei uns zu agitatorischer Thätigkeit gegen ihr Vaterland ! Umsonst werden wir diesen Leuten begreiflich
zu machen suchen, dass unser Asylrecht nur denjenigen schützt, der auch seinerseits die Pflichten eines Gastes erfüllt und sich hütet, durch sein Treiben unserm Lande Verlegenheiten zu bereiten. Sie ivollen unsere Lage nicht verstehen, und sie wollen nicht verstehen eine Freiheit, der die Kücksicht auf Andere gewisse Schranken setzen muss !

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Wie empfindlich die « Propaganda der That » durch die Ausweisung der Führer getroffen wird, das beweisen uns zur Genüge die Briefe, welche Moriz Schultze aus New York an seinen Bruder schrieb ; das beweisen uns die Aussagen vieler Parteigenossen, welche bestätigen, dass z. B. in Bern seit dem Weggang Kennels nichts mehr los ist ; das beweist uns die Beobachtung der Wirkungen, welche die Ausweisung Kanfmann's, Nève's und Formanek's hatte.

Es ist nicht wahr, wenn Most grosssprecherisch verkündet, dass für jeden kampfunfähig gemachten^, Genossen sofort ein Ersatzmann dastehe.

Wie unschwer die propagandistische Thätigkeit völlig lahm gelegt werden kann, beweist die gegenwärtige Untersuchung, welche Nowotny zu dem Geständniss nöthigte, « hier ist ein Jeder todt » und welche der Verbreitung anarchistischer Litteratur vollständig den Eiegel schob. Wir bilden uns nicht ein, dass Most plöt/lich seine Meinung geändert habe, weil er seit Anhebung der Untersuchung seine Hetzereien gegen die Schweiz eingestellt hat. Aber das wissen wir, dass jedes Einschreiten der Behörden die unmittelbare Folge hat, alle diejenigen, welche aus purer Eitelkeit oder Skandalsucht bei dem Ding waren, zur Fahnenflucht zu veranlassen.

Irren wir nicht, so hat die anarchistische Bewegung in der Schweiz bereits den Höhepunkt überschritten und befindet sich die Partei bei uns bereits in rapidem Verfall. Aber auch im Hauptquartier selbst herrscht Uneinigkeit über die zu befolgende Taktik und Most's Terrorismus übt seine zersetzende Wirkung in der eigenen Partei. Seit Most mehr und mehr die « Propaganda der That » zu einer « Propaganda des Verbrechens » gemacht hat, verweigern ihm viele frühere Anhanger die weitere Heerfolge und wenn sie auch seine « Freiheit » noch lesen, so protestimi sie doch bei jedem Anlasse gegen die Gemeinschaft mit der Theorie des Verbrechens. So liisst sich bei uns die auffallende Abnahme der Mitgliederzahl der anarchistischen "Vereine in den letzten zwei Jahren leicht erklären.

Damit wollen wir keineswegs gesagt haben, dass die Behörden nunmehr die Hunde in den Schooss legen dürfen. Wie wir die « Propaganda der That » kennen gelernt haben, steht zu erwarten, dass nach geschlossener Untersuchung seitens der Parteileitung Alles gethan werden wird, um den nachtheiligen Einfluss, wo] dien die Untersuchung auf
die Genossen übte, ra vorwischen, und dass man dabei in den Mitteln durchaus nicht wühlerisch sein wird.

Unausgesetzte Wachsamkeit und energisches Vorgehen gegen allo Ausschreitungen sind also nach wie vor geboten. Nachdem man die Stärke und die Schwächen des Gi'gners erkannt hat und Keine

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Taktik weiss, wird es nicht schwer fallen, demselben mit Erfolg entgegen zu treten.

Neben den Anarchisten befasste sich die Untersuchung auch mit dem Spitzelwesen. Auch hier konnte konstatirt werden, dass darüber im Publikum höchst übertriebene Vorstellungen herrschen.

Wenn auch einzelne Personen sieh berufsmässig damit befassen mögen, über hier wohnende Anarchisten und Sozialdemokraten an auswärtige Polizeibehörden Bericht zu erstatten, und wenn gelegentlich Polizeibeamte des Auslandes mit besonderem Zwecke nach 'der Schweiz kommen, um ohne Mitwirkung unserer staatlichen Organe Erkundigungen einzuziehen, so ist doch die Zahl der Ersteren sehr gering und wird in Fällen der letztern Art nicht in unzulässiger Weise provozirt. Die Berichte der eigentlichen « Polizeispitzel » zeichnen sich, wie wir gelegentlich konstatiren konnten, vielfach durch Uebertreibungen aus und werden wohl auch von der auswärtigen Polizei in ihrem Werth oder Unwerth entsprechend gewürdigt. Macht aber solch' ein Spitzel bei uns den Agent provocateur, nun, so wird man ihn eben gerade so behandeln, wie diejenigen, welche sich von ihm provoziren lassen. Man wird ihn.

ausweisen, nöthigenfalls auch vor den Richter stellen, wie man es mit Weiss in Basel gethan hat.

V. Schlnss.

Es erübrigt uns noch, die Frage zu untersuchen, und darüber Bericht zu erstatten, ob der Untersuchung in irgend einer Richtung weitere Folge gegeben werden soll. Sehen wir zunächst, ob Grund zu einer strafrechtlichen Verfolgung vorliegt.

Wir haben gesehen, dass die Geschichte des Attentates gegen das Bundesrathhaus auf eine Täuschung zurückzuführen ist. Der Urheber derselben hat sich der Strafverfolgung durch Selbstmord entzogen. Mitschuldige kennen wir nicht. Wir brauchen uns daher auch nicht weiter mit der juristischen Qualifikation der von Huft begangenen Handlung zu befassen.

Im Uebrigen kommt zunächst in Frage Art. 45 des Bundesstrafrechts, welcher lautet : « Die Theilnahme an einem Unternehmen, welches den gewaltsamen Umsturz der Bundesverfassung, oder die gewaltsame "Vertreibung oder Auflösung der Bundesbehörden oder eines Theils derselben zum Zwecke hat, wird reit Zuchthaus bestraft ». Der Artikel wäre anwendbar gewesen, wenn das Komplott gegen das Bundesrathhaus bestanden hätte. Da dasselbe aber nicht bestand, so kann es sich höchstens noch fragen, ob die Angehörigkeit zur anarchistischen Partei nach Art. 45 bestraft werden kann.

Die Frage muss verneint werden. Wohl predigen Most und seine Anhänger die gewaltsame Zerstörung eines jeden Staatsorganismus und deutlich genug auch diejenige unseres Volksstaates. Allein aus diesem Grunde allein bilden die Anhänger jener Theorien noch kein ,, Unternehmen ", mit dem bestimmten Zwecke « den gewaltsamen Umsturz der Bundesverfassung, oder die gewaltsame Vertreibung oder Auflösung der Bundesbehörden » herbeizuführen.

Weiter kommt in Frage Art. 46 in Verbindung mit Art. 48 des Bundesstrafrechts.

« Art. 46. Wer sich mit andern Personen zusammenrottet uud durch gewaltsame Handlungen die Absicht an don Tag legt, einer Bundesbehörde Widerstand zu leisten, dieselbe zu einer Verfügung zu zwingen, oder an der Erlassung einer Verfügung xu hindern, oder au einem Bundesbeamten oder an einem Mitgliede einer Bundesbehörde als solchem Rache zu nehmen, wird mit (}efängniss und Geldbusse und in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft. » Bundeeblatt. 37. Jahrg. Bd. III.

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« Art. 48. Wer durch mündliche oder schriftliche Aeusserungen oder durch bildliche Darstellungen öffentlich zu einer der in den Art. 45 und 46 vorgesehenen Handlungen aufreizt, wird, wenn auch die Aufreizung erfolglos geblieben ist, nach den Bestimmungen über den Versuch bestraft.» Nach diesen Bestimmungen hätte Gabriel CJiaritat unter Anklage gestellt werden können. Wir haben aber oben gesehen, dass sieh seine Aufreizung nicht unmittelbar gegen die Bundesbehörden richtete und dass es sich daher empfahl, dessen Bestrafung dem kantonalen Gerichte anheimzustellen.

Unter die Bestimmungen der Art. 46 und 48 fallen ferner eine ganze Anzahl von Artikeln, welche theils in der Most'schen « Freiheit », theils im « Révolté » erschienen sind. Einige derselben finden sich in dem Abschnitt, welcher von der Most'schen « Freiheit » handelt, abgedruckt. Da es sich dabei um Verbrechen handelt, welche mittels der Druck erpresse verübt worden sind, so fällt überdiess in Betracht Art. 69 des Bundesstrafrechts, wonach für solche Verbrechen zunächst der Verfasser der Druckschrift haftet, und wenn er nicht ausgemittelt werden kann oder sich ausser dem Bereiche der Bundesgewalt befindet, der Herausgeber, eventuell der Verleger, eventuell der Drucker.

Die Verfasser der bezüglichen Artikel in der Most'schen « Freiheit » sind unbekannt geblieben, oder befinden sieh ausser dem Bereiche der Bundesgewalt. Herausgeber, Verleger und Drucker des Blattes sind in New-York. Die Agenten, welche die Spedition der « Freiheit » in der Schweiz besorgten : Schultze, Heilmann, Otter, Locher, Bertschi, Peters, Leonhard, Zahradniczek, Klinger und Andere können kaum als « Herausgeber » behandelt werden.

Man kann sie als Gehülfen, unter Umständen als Begünstiger betrachten nnd wir sind unbedingt der Ansicht, dass ein Strafantrag in dieser Richtung mit Bezug auf die Verbreitung einzelner Nummern der « Freiheit » wenigstens nach kantonalem Strafrecht begründet wäre.

Da es sich aber vorzugsweise um kantonales Recht handelt, indem die Aufforderung zum Verbrechen an sich diesem anheimfällt und das Bundesstrafrecht nur insofern Platz greift, als das Verbrechen gegen die Behörden, die Verfassung oder das Eigentaum des Bandes speziell gerichtet ist, und da bisher ein solcher Strafantrag nicht erhoben wurde, so dürfte es sich rechtfertigen, für dies
Mal davon Umgang zu nehmen und sich darauf zu beschränken, auf die Tragweite und Polgen der in Frage kommenden Handlungen hinzuweisen und den Entschluss kund zu thun, in Zukunft Fehlbare rücksichtslos zur Verantwortung zu ziehen.

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Etwas weniger heftig als die Freiheit » war bis in die jüngste Zeit der « Révolté ». Doch enthielt auch dieser verschiedene Artikel, welche theils zu Diebstahl, Raub und Mord, theils zum Aufruhr aufforderten. Auch hier kennen wir aber die Verfasser dieser Artikel nicht. Herr Berdez sagt in seinem Bericht über den i Révolté » im Anschluss an das bereits früher Erwähnte folgendes : « Ich glaube nicht, dass Elisée Reclus in Anklagezustand versetzt werden könnte, trotz der grossen Rolle, welche er gespielt hat. Selbst dann nicht, wenn Grave sich nicht stellen würde. In Wirklichkeit liefert er das Geld, gibt er den geistigen Anstoss und ist er Mitarbeiter, aber er ist weder Herausgeber, noch Verleger und das eidgenössische Strafgesetz erklärt nur diese beiden als haftbar.

« Es würde also als haftbar nur Jean Grave bleiben. Aber dieser hat die Schweiz verlassen und befindet sich gegenwärtig in Paris, wohin der Verlag des « Révolté » verlegt wonlen ist.

« Unter diesen Umständen scheint es mir, nicht angezeigt zu sein, Grave in Anklagezustand zu versetzen.

« Ich füge bei, dass mit Bezug auf Pressdelikte die Bestrafung sofort erfolgen mnss, wenn sie wirksam sein soll. Heute Artikel zu verfolgen, welche vor einem Jahre oder sechs Monaten veröffentlicht worden sind, scheint mir, höchst unpraktisch zu sein».

Der Unterzeichnete kann nur erklären, dass er mit diesen Auseinandersetzungen des Hrn. Berdez vollkommen einverstanden ist. -- Endlich könnte man in Präge ziehen den Artikel 41 des Bundesstrafrechts, welcher lautet: « Wer ein fremdes Gebiet verletzt oder eine andere völkerrechtswidrige Handlung begeht, ist mit Gefängniss oder Geldbusse zu belegen ».

Es wurde in diesem Berichte wiederholt darauf hingewiesen, dass die Untersuchung das wirkliche Bestehen einer Vereinigung von Personen, welche den Zweck hat, Verbrechen im Sinne Most's vorzubereiten, zu veranlassen und zu unterstützen, nicht nachweisen konnte. Wir sind sogar davon überzeugt, dass eine solche Gesellschaft in der Schweiz nicht besteht, und dass die Betheiligung Einzelner bei bereits verübten Verbrechen auf persönlicher Initiative beruht, welche allerdings durch Most's Brandschriften wachgerufen wurde. Alles, was den gegenwärtig in der Schweiz lebenden Anarchisten nachgewiesen werden konnte, beschränkt sich auf den Schmuggel anarchistischer
Literatur nach benachbarten Staaten, und es kann sich daher einzig fragen, ob Artikel 41 auch Bezug habe auf den Schmuggel von Druckschriften nach benachbarten Staaten, deren Verbreitung in diesen Staaten verboten ist.

716 Was mag das Bundesstrafrecht unter einer « völkerrechtswidrigen Handlung » verstehen ? Man wird zugeben müssen, dass dieser Begriff ein ausserordentlich vager ist und dass aus diesem Paragraph sehr leicht ein recht schlimmer « Kautschukparagraph » gemacht werden könnte. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts darf diese Bestimmung nicht ausdehnend und im Zweifelsfalle nicht zu Ungunsten des Angeklagten interpretirt werden. Was daher in theoretischen Exkursen über das Völkerrecht gelehrt werden mag, kommt an und für sich nicht in Betracht.

Wir könnten nicht einmal dazu Hand bieten, völkerrechtliche Gebräuche, das völkerrechtliche Herkommen als massgebend zu betrachten, denn dieselben haben nicht den Charakter bindender Normen und ihre Kenntniss kann dem Bürger nicht zugemuthet werden. Es bleibt also nur das codifizirte Völkerrecht, d. h. vertragliches Recht einzelner Staaten unter sich. Denn für die Verletzung eines fremden Gebietes und die öffentliche Beschimpfung eines fremden Volkes oder Souverains oder seiner Repräsentanten bestehen besondere Vorschriften.

Ueber die Verhinderung des Schmuggels anarchistischer Litteratur hat sich die Schweiz mit einem fremden Staute so wenig in einen Vertrag eingelassen, als über die Verhinderung des Schmuggels irgend einer andern Waare. Und so lange solche Verträge nicht bestehen, kann jener Schmuggel auch nicht unter Art. 41 des Bundesstrafrechts gestellt werden.

Ueber die Erledigung des Falles Wagenbret ist bereits oben berichtet worden.

So kommt der Unterzeichnete in vollkommener Uebereinstimmung mit den beiden Untersuchungsrichtern zu dem Schlüsse, dass von Erhebung einer gerichtlichen Anklage seitens der Eidgenossenschaft in jeder Bichtung Umgang zu nehmen sei.

Eine andere Frage ist es, ob mit Bezug auf die anarchistische Propaganda auf administrativem oder gesetzgeberischem Wege weitere Massnahmen getroffen werden sollen. Diese Präge fällt eigentlich nicht in den Bereich gegenwärtiger Berichterstattung. Auf den Wunsch des Chefs des Justiz- und Polizeidepartements will indessen der Unterzeichnete auch hierüber seine Meinung, wie er sie in Folge der ihm übertragenen Thätigkeit gewonnen hat, in möglichster Kürze aussprechen. Er betont aber zum Vorneherein, dass er damit rein seine subjektive Auffassung wiedergibt.

Ueber die Frage der
Ausweisungen wurde Ihnen bereits früher besonders Bericht erstattet und, da Ihr bezüglicher Beschluss bereits erfolgt ist, so ist in dieser Richtung nicht bereits Gesagtes1 zu wiederholen. Der Vollständigkeit halber wollen wir nur feststellen, dass durch diesen Beschluss die hervorragendsten Führer,

717 die rührigsten Agitatoren und die verbissensten Mostianer aus dem Lande gewiesen wurden. Nach dem Gesagten dürfte diese Massregel dem anarchistischen Treiben in der Schweiz für längere Zeit die Spitze abbrechen.

Es fragt sich weiter, ob mit Bezug auf die anarchistischen Druckschriften, namentlich mit Bezug auf die Most'sche « Freiheit » und den « Révolté » weitere Massnahmen getroffen werden sollen.

Es herrscht vielfach die Ansicht, dass mit der Unterdrückung der genannten Blätter der anarchistischen Bewegung der Todesstoss gegeben würde und unter der Voraussetzung, dass diese Unterdrückung vollständig und ausnahmslos durchgeführt werden könnte, ist sicher anzunehmen, dass damit dem Anarchismus ein schwerer Schlag versetzt wäre.

Der Unterzeichnete kann eine solche Massregel trotzdem nicht empfehlen. Dieselbe ist nicht durchführbar und kann auf mancherlei Wegen umgangen werden. Als die « Avantgarde » unmöglich wurde, entstund der « Révolté », und wenn wir « Freiheit » und « Révolté « verbieten, so werden sofort neue Namen auftauchen und unter neuer Flagge wird der alte Kampf fortgesetzt werden.

« Freiheit » und « Révolté » sind zudem jetzt schon nicht die einzigen anarchistischen Zeitungen. « Rebell » , « Eadikal », « Boudouenost», «Vorbote» n. s. w. müssten ebenfalls verboten werden.

Um den Schmuggel dieser Blätter in unser Land zu verhindern, müssten wir ein ausgedehntes System polizeilicher Ueberwachung namentlich auch des Postverkehrs etabliren, voraussichtlich ohne wesentlichen Erfolg, denn auch Deutschland und Oesterreich waren bis zur Stunde nicht im Stande, sich durch die strengsten Massnahmen die anarchistische Litteratur vom Leibe zu halten. Ueberhaupt aber wären wir mit einer derartigen Massregel auf dem Wege der Ausnahmegesetzgebung angelangt, deren schlimme Folgen wir gerade bei Anlass dieser Untersuchung genugsam beobachten konnten. Statt die bereits im Rückgange befindliche Bewegung zu unterdrücken, würden wir ihr neue Anhänger zuführen und den wegen ihrer Ansichten über politische oder soziale Fragen Verfolgten Grund zu verschärfter Agitation geben. Das Gift, das wir öffentlich scheinbar fern gehalten hätten, würde im Geheimen dennoch in unserm Lande Verbreitung finden und um so schlimmer wirken. Es darf gesagt werden, dass gerade die Extravaganzen, welche Most in seiner «
Freiheit » verübt, die grosse Mehrzahl der Arbeiter über die Verirrungen desselben aufgeklärt haben und dass sehr Viele von denen, welche die « Freiheit » gelesen haben, gerade durch die «Freiheit» vom Anarchismus im Sinne Most's zurückgekommen sind.

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Beschränken wir uns darauf, das allgemeine Strafgesetz streng zn handhaben und da, wo ein Blatt oder eine Druckschrift zur Bestrafung des Verfassers Anlass geben würde, auch die Verbreiter dieses Blattes oder dieser Druckschrift vor den Richter zu stellen, erklären wir das von vorneherein öffentlich und mit aller Bestimmtheit, und wir werden ohne Ausnahmegesetz und ohne Verläugnung des Grundsatzes der Pressfreiheit unser Ziel ebenfalls erreichen.

In anderer Bichtung ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob wir nicht zur Bekämpfung des Anarchismus, zur Einführung einer eidgenössischen politischen Polizei schreiten sollten. Die grossen Nachtheile, welche das Fehlen einer solchen Polizei mit sich brachte, sind im zweiten Theile dieses Berichtes eingehend geschildert worden und der Unterzeichnete gesteht, dass er anfänglich eine solche Massregel für unumgänglich nothwendig hielt. Doch gibt dieselbe zu vielen Bedenken Anlass und will der Schritt wohl überlegt sein.

Es würde eine solche Massregel einerseits der Opposition der Föderalisten und andererseits der natürlichen Abneigung unseres Volkes gegen alles, was Polizei heisst, namentlich aber gegen eine politische Polizei, begegnen. Und es ist allerdings die Errichtung einer Polizei, welche die aussehliessliche Bestimmung hat, eine politische Partei oder eine soziale Bewegung zu überwachen, mit grossen Gefahren verbunden. Debertriebener Diensteifer, Ungeschicklichkeit, unter Umständen selbst persönlicher Hass, können zur Verletzung der Eechte und Freiheiten von Bürgern führen, welche das Eecht auf diese Freiheiten durch die Solidarität mit Most's Mordbanden nicht verwirkt haben. Zudem wäre es überaus schwierig, ja wohl ganz unmöglich, von vorneherein eine überall zutreffende Kompetenzausscheidung zwischen eidgenössischer und kantonaler Polizei zu ' treffen. Konflikte recht heikler Art wären fast unausweichlich. Man denke nur an Verhaftungen, Haussuchungen, u. s. w.

Und am Ende würde die Polizei der Kantone, welche mit den Niederlassungs Verhältnissen stets besser vertraut sein wird, als es eine eidgenössische Polizei sein kann, mit Bezug auf den Anarchismus die Hände in den Schoss legen und alles der eidgenössischen Polizei überlassen. Dann wären wir schliesslich schlimmer daran, als zuvor. Es ist also mit einer solchen Massnahme wieder nichts. Etwas
aber sollte und könnte geschehen.

Es ist in diesem Berichte wiederholt betont worden, dass Personerikenntniss und Kenntniss der persönlichen Beziehungen der Anarchisten unter sich in dieser ganzen Angelegenheit die Hauptsache ist. So lange unsere Kantone unter sieh nicht in Beziehung stehen und keiner weiss, was im andern geht, so lange werden alle Anstrengungen der kantonalen Behörden nur mangelhafte Resultate zu Tage fördern. Eine erfolgreiche Verfolgung der anar-

719 chistischen Bewegung ist erst dann möglich, wenn allseitig eine einheitliche Orientirung stattfindet. Diese herzustellen, sind die Kantone als solche nicht im Stande, es muss dazu die Vermittlung durch den Bund in Anspruch genommen werden. Zu dem Zwecke hätte der Bund eine Centralstelle zu errichten, welcher sämrntliche Kantone periodisch Bericht zu erstatten, Domizilveränderungen, neuen Zuzug, neue Erscheinungen, welche mit Bezug auf die anarchistische Bewegung beobachtet wurden, u. s. w. zu melden, in besonders wichtigen Fällen auch sofort Anzeige zu machen hätten. Die Centralstelle würde dann das eingegangene Material sichten und wiederum, an die Kantone dasjenige mittheilen, was für jeden Einzelnen von Bedeutung sein könnte. Ueberdiess könnte diese Centralstelle da, wo es nöthig erscheinen sollte, Aufschlüsse geben über den Stand der Bewegung, über Organisation und Taktik der Partei, über Mittel und Wege dem geheimen Treiben derselben auf die Spur zn kommen u. dergl. m. Auf diese Weise dürfte man jeder Zeit über den Stand der Partei genau unterrichtet sein und nöthigenfalls im gegebenen Momente auch mit Sicherheit operiren können.

Auch dürften gegen eine solche Ordnung der Dinge die oben erwähnten Bedenken kaum ernstlich erhoben werden.

Als das wirksamste Mittel zur Bekämpfung des Anarchismus betrachtet der Unterzeichnete die möglichst weitherzige Erfüllung der berechtigten Forderungen des Arbeiterstandes. Der Anarchismus ist nicht von ungefähr entstanden; er entstand und besteht, weil grosse Kreise der Menschheit wirklich Noth leiden oder doch im Kampfe um's Dasein keine Aussicht haben, sich aus ihrer elenden Lage durch eigene Arbeit zu befreien; er besteht, weil unsere Zeit zwischen Kapital und Arbeit eine unheilvolle Kluft geschaffon hat, welche ganze Klassen unserer Bevölkerung in schroffen Gegensatz zu einander bringt. Die sogen, besitzenden Klassen müssen in liberaler, opferwilliger und loyaler Weise den sogen, arbeitenden Klassen entgegen kommen, der Staat muss zwischen beiden den versöhnenden Vermittler machen und mit seiner ganzen Kraft die Beseitigung wirklich vorhandener socdaler Missstände anstreben.

Dann wird auch der Arbeiter von Verirrungen zurückkommen, wie sie uns in Most's ' Lehren und in den Thaten seiner Schüler entgegentreten. Bekämpfe man unablässig den krassen
Egoismus, welcher die Signatur unserer Zeit ist, welcher uns im Grossen in der Schutzzollpolitik der G rossmächte und im Kleinen auf Schritt und Tritt im täglichen Handel und Wandel begegnet. Sorge man dafür, dass dem Arbeiter für sich und die Seinigen körperliche und geistige Gesundheit bewahrt bleibe und dass er für die Tage der Krankheit, der Arbeitsunfähigkeit und für den Fall seines Todes sich und die Seinen gegen Noth und Elend sicher stellen kann.

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Dann wird der Anarchismus verschwinden, denn dann, aber auch erst dann hat man das Uebel an der Wurzel erfasst. Diese Ueberzeugung hat sich in den letzten Jahren in immer weiteren Kreisen Bahn gebrochen, die gesetzgebenden Behörden aller Kulturstaaten stehen bereits auf diesem Boden. Verfolge man den betretenen Weg und es werden keine ausnahmsweisen Massregeln nöthig sein.

Eine letzte Präge drängt sich dem Unterzeichneten auf mit Bezug auf unser eidgenössisches Bundessti'af'recht. Wohl ist der Anarchismus älter als dieses Gesetzbuch, wohl haben auch schon frühere Zeiten terroristische Doktrinen ini Sinne Most's gekannt; allein zur Zeit, als unser Bundesstrafreeht erlassen wurde (1853), hatte die Bewegung weder den internationalen Charakter, noch die auf gemeine Verbrechen hinauslaufende Tendenz, wie heute. Es ist schon viel darüber gestritten worden, ob die Ermordung von Polizeibeamten, Hlubek, Blöch, Rumpff, oder die Beschädigung von staatlichem Eigenthum, Frankfurter Polizeigebäude, politische Verbrechen seien oder nicht. Der Bundesrath hat die Präge verneint. Es lässt sich aber nicht bestreiten, dass die Motive, aus welchen jene Verbrechen entsprangen, denselben einen eigenartigen Charakter geben.

Bisher war man gewohnt, unter politischen Verbrechen solche zu verstehen, welche gegen einen bestimmten Staat oder dessen Repräsentanten aus politischen Motiven begangen wurden. Bei den verbrecherischen Thaten der Anarchisten ist die bestehende Gesellschaft und ihre gewaltsame Zerstörung das Endziel. Dieselben haben einen sozialen, weniger einen spezifisch politischen Charakter.

Wenn in der Schweiz ein Anarchist einen Banquier ermordet, um Gelder für die «Kriegskasse» zu « confisziren» oder einen Polizeibeamten, um ihn «unschädlich» zu machen, so unterliegt er dem kantonalen und nicht dem eidgenössischen Strafrecht. Wenn Most zu. Mord, Brand, Eaub auffordert und dabei nicht speziell gegen die Eidgenossenschaft, ihre Institutionen oder ihre Behörden eifert, so unterliegen seine Helfershelfer dem kantonalen und nicht dem eidgenössischen Strafrecht und kantonaler, nicht eidgenössischer Strafverfolgung. Wie sehr aber die kantonalen Strafgesetze von einan?

der abweichen, ist männiglich bekannt. Der eigentümliche Oha-\^r/ rakter aber, der den anarchistischen Verbrechen zukömmt, fordert eine möglichst
einheitliche Behandlung derselben. Es sollte in ein und demselben Staate für diese Verbrechen nur ein Recht und für ihre Verfolgung nur ein Verfahren gelten. Unser Bundesstrafreeht kennt ferner den Begriff der öffentlichen Beschimpfung oder Verleumdung der Bundesbehörden, wie den Begriff der Gewalt gegen dieselben, aber umsonst sucht man darin eine Vorschrift, welche Drohungen gegen die Bundesbehörden mit Strafe bedroht, und selbst Wilhelm Huft hätte schwerlich nach

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eidgenössischem Strafrecht zur Verantwortung gezogen werden können.

* Unter solchen Umständen darf man sich wohl fragen, ob nicht eine Revision unseres Bundesstrafgesetzes geboten sei.

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

Die Kürze der Zeit, in welcher dieser Bericht abgefasst werden musate, und die Masse des zu behandelnden Stoffes bringen es mit sich, dass da und dort Lücken bestehen mögen, und dass Fragen von mehr oder weniger sekundärer Bedeutung nicht einlässlich behandelt werden konnten. Umgekehrt hätte der Unterzeichnete gewünscht, seinem Berichte auch mit Bezug auf die Hauptfragen eine gedrängtere, präzisere Form geben zu können, allein gerade dies hätte wiederum mehr Zeit und mehr Müsse gefordert, als zur Verfügung stand. Sie wollen diese Mängel unter Berücksichtigung der bestehenden Schwierigkeiten entschuldigen.

Wie aus dem Berichte hervorgeht, sind die beiden Untersuchungsrichter und der Unterzeichnete der Ansicht, dass der Untersuchung keine weitere Folge zu geben sei. Nach Art. 29 dos Gesetzes über die Bundesstrafrechtspflege ist in einem solchen Falle bei politischen Vergehen die Weisung des Bundesrathes einzuholen.

Der Unterzeichnete stellt daher bei Ihnen, Herr Präsident, hochgeachtete Herren, ehrerbietig den

Antrag : Es sei der Untersuchung betreffend die anarchistischen Umtriebe in der Schweiz und das Attentat auf das ßundesrathhaus keine weitere Folge zu geben.

Mit Hochachtung !

Bern, im Mai und Juni 1885.

Der Bundesamvalt für die Untersuchung betr. die anarchistischen Umtriebe :

Müller.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des eidgenössischen General-Anwaltes Über die anarchistischen Umtriebe in der Schweiz. (Mai und Juni 1885.)

In

Bundesblatt

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Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1885

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

32

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

16.07.1885

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537-722

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10 012 817

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