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# S T #
Bericht des
Bundesrathes an die Bundesversammlung über die Ausführung der Motion von Herrn Nationalrath Morel und Mitunterzeichnern, betreffend eine Statistik der in eidgenössischen «Angelegenheiten nicht stimmfähigen Schweizerbürger.
(Vom 13. März 1885.)
Tit.
Unterm 21. März 1884 haben die Herren Nationalräthe Morel, Baud, Brosi, Carteret, Comtesse, Cuénoud, Favon, Forrer, Grosjean, Klein, Marmier,, Rohr (Bern), Stockmar, Stößel, Théli, Tissot, Vautier, Viquerat, Vögelin und Vonmatt folgende Motion eingereicht : ,,Im Hinblick auf die Ausarbeitung eines Bundesgesetzes über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen wird der Bundesrath eingeladen, statistische Erhebungen anzuordnen zum Zwecke der Feststellung der Zahl der Schweizerbürger, welche durch die das Stimmrecht in eidgenössischen Angelegenheiten einschränkenden Bestimmungen der kantonalen Verfassungen oder Gesetzgebungen von diesem Stimmrecht ausgeschlossen sind."
Die vorstehende Motion ist am 4. Dezember gleichen Jahres vom Nationalrathe angenommen worden.
Ueber die Frage, wie dem Begehren der Herren Morel und Genossen in geeignetster Weise entsprochen werden könnte, hat Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. II.
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82 das eidgenössische statistische Bureau in dem Sinne sich geäußert, daß die gewünschten Zahlen mit Anspruch auf Genauigkeit nur bei Anlaß einer der periodischen eidgenössischen Volkszählungen oder auf Grund einer ad h o c angeordneten Zählung sich feststellen lassen.
Der Bundesrath konnte aber keinen dieser beiden Wege einschlagen. Da er der Bundesversammlung bereits schon einen Gesetzesentwurf über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vorgelegt und dieselbe ihrerseits beschlossen hatte, in der gegenwärtigen Session auf den genannten Entwurf einzutreten, erschien es nicht mehr thunlich, die verlangte Auskunft noch länger hinauszuschieben , zumal das Hauptinteresse darin bestand, die gemachten Erhebungen in dem Zeitpunkte, wo die Bundesversammlung den Entwurf über das Wahlgesetz in Berathung ziehen würde, zu kennen.
Es blieb somit dem Bundesrathe kein anderer Weg mehr offen, als sich an die Kantone zu wenden, um von ihnen bezügliche Angaben über die Zahl der vom Stimmrechte ausgeschlossenen Schweizerbürger zu erhalten. Für diese Arbeit konnten wir aber den Kantonen mit Rücksicht auf die gegenwärtige Session nur eine sehr kurze Frist einräumen. Schon unterm 8. Dezember haben wir zu dem Ende an sämmtliche eidgenössische Stände folgendes Kreisschreiben erlassen : ,,Der Nationalrath liât am 4. Dezember 1884 die Motion der Herren Morel und Genossen betreffend Aufnahme einer S t a t i s t i k der in den eidgenössischen Angelegenheiten n i c h t s t i m m f ä h i g e n S c h w e i z e r b ü r g e r erheblich erklärt.
,,Da die Motion ausdrücklich im Hinblick auf die Ausarbeitung, bezw. Berathung eines Bundesgesetzes über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen gestellt und angenommen wurde und die bezügliche legislative Arbeit, welche schon seit Jahren an die Hand genommen, aber bis heute nicht zu Ende geführt ist, nicht mehr länger hinausgeschoben werden kann, so ist es nothwendig, daß die beabsichtigte statistische Aufnahme mit aller Beförderung vorgenommen und den gesetzgebenden Käthen zur Kenntniß gebracht werde.
,,Der vorgestellte Zweck kann aber nur dann erreicht werden, wenn die Erhebungen durch die Kantonsregierungen nach einem einheitlichen Fragenschema vorgenommen werden, und wir sind deßhalb im Falle, Ihre kräftige Mitwirkung zu dem Ende hiemit in Anspruch nehmen zu müssen.
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Die möglichst einfach gestellte Frage lautet: Wie viele Schweizerbürger sind in Ihrem Kanton, auf Ende des Jahres 1884 gezählt, des Stimmrechtes in eidgenössischen Angelegenheiten beraubt : a) wegen Falliments?
b) wegen öffentlicher Unterstützung infolge Verarmung?
c) wegen strafgerichtlicher Verurtheilung ?
d) wegen Bevormundung (Bevogtung)?
e) aus andern Gründen ?
Indem wir Sie einladen, diese Erhebungen in Ihrem Kanton mit gefälliger Beförderung anordnen und die betreffenden Antworten bis zum 1. Februar 1885 uns zur Verfügung stellen zu wollen, benützen wir diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen."
Ungeachtet der sehr kurzen Frist, die für Vornahme dieser Erhebungen angesetzt war, sind 22 Kantone oder Halbkantone bereitwillig und meistens auch schnell dem Ansuchen des Bundesrathes nachgekommen und haben demselben die gewünschten Ziffern mitgetheilt. Leider aber können wir Ihnen über die Zahl der in den Kantonen Luzern, Uri und Appenzell I.-Rh. vom Stimmrechte ausgeschlossenen Schvveizerbürger keinen Aufschluß ertheilen.
Die Regierung von Luzern hat nämlich erklärt, daß sie nicht in der Lage sei, die gewünschten Angaben machen zu können, und von Uri und Appenzell I. - Rh. haben wir weder auf unser Kreisschreiben vom 8. Dezember 1884, noch auf ein Ermahnungsschreiben vom 26. Februar 1885 eine Ruckäußerung erhalten.
Sollten uns die bezüglichen Antworten noch vor Ende dieser Session zukommen, so werden wir uns beeilen, Ihnen selbe in einem nachträglichen Berichte zur Eenntniß zu bringen.
Nach den von den Kantonen gemachten Erhebungen belauft sich die Zahl der vom Stimmrechte ausgeschlossenen Schweizerbürger auf 39,185 (die in den Kantonen Luzern, Uri und Appenzell I.-Rh. zu dieser Kategorie gehörenden Bürger nicht inbegriffen).
Obige 39,185 Schweizerbürger vertheilen sich auf die nachstehenden Rubriken wie folgt:
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Nicht stimmfähig sind : wegen Falliments .
T, Unterstützung y, strafgerichtlicher ,, Bevormundung a u s andern Gründen
.
.
.
.
.
.
Verurtheilung .
.
.
.
.
.
. 21,661 Schweizerbürger . 7,540 ,, . 2,066 ,, .
5,271 ,, . 2,647 ,,
In die letzte Rubrik ,,aus andern Gründen"1 fallen im Kanton Bern die Geisteskranken, sowie die Individuen, denen der Wirthschaftsbesuch untersagt ist, im Kanton St. Gallen die Zahlungsunfähigen und im Kanton Tessin diejenigen Bürger, die während zwei Jahren die Staats- oder Gemeindesteuern nicht entrichtet haben.
In der auf Seite 87 abgedruckten Tabelle sind übrigens kantonsweise die einzelnen Ergebnisse zusammengestellt.
Die meisten Kantone haben diese statistischen Erhebungen durch die Gemeinden selbst vornehmen lassen und sind in Folge dessen in der Lage gewesen, der Bundesbehörde nicht nur das Gesammtresultat, sondern auch das Ergebniß in den einzelnen Bezirken und sogar in den einzelnen Gemeinden vorzulegen. Trotzdem aber dürfen wir den von ihnen mitgetheilten Zahlen mit Rücksicht darauf, daß diese statistische Arbeit rasch und ohne jegliche Kontrole vor sich gehen mußte, nur einen approximativen Werth beimessen.
Einige Kantone haben denn auch sich veranlaßt gesehen, in ihren Berichten uns darauf aufmerksam zu machen, daß auf die Richtigkeit ihrer Angaben nicht allzu großes Gewicht gelegt werden dürfe.
Wir betonen nochmals, daß den erwähnten Ziffern nur ein approximativer Werth zukommt oder, genauer ausgedruckt, daß sie als Minimalzahlen angesehen werden müssen. Denn mit Gewißheit darf man darauf rechnen, daß die Gemeinden in die Kategorie der nichtstimmfähigen Bürger ausschließlich nur solche Leute aufgenommen haben, die in Wirklichkeit ihres Stimmrechtes verlustig waren. Wenn sie nun aber unter keinen Umständen ihre Zahlen zu hoch gegriffen, so ist es andererseits wohl denkbar, daß sie unterlassen haben, eine große Anzahl Bürger mitzuzählen, die von Rechts wegen in dieser Statistik flguriren sollten. Dies darf auch als sehr wahrscheinlich angenommen werden, wenn man bedenkt, in welch kurzer Zeit die Arbeit vollendet werden mußte.
Fernerhin läßt sich aus zwei Vergleichungen der Schluß ziehen, daß die im vorliegenden Berichte enthaltenen Zahlen nothwendig unter der Wirklichkeit sich bewegen müssen.
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Anlaß zu einem ersten Vergleiche bietet die im Jahre 1884 vom statistischen Amte des Kantons Bern veröffentlichte Arbeit über die Anzahl der in diesem Kantone alljährlich in den Geltstag fallenden Personen. Aus genannter Arbeit geht hervor, daß daselbst in jedem Jahre durchschnittlich 1212 Schweizer- oder Bernerbürger falliren und 145 Bürger rehabilitirt werden. Diese Durchschnittszahl basirt auf den Jahren "1878 bis 1882. Es würden demnach einzig im Kanton Bern jährlich 1067 Bürger wegen Falliments ihrer politischen Rechte verlustig gehen. Angesichts dieser Thatsache sind wir wohl berechtigt, die Frage aufzuwerfen, ob die von den bernischen Gemeinden angegebene Ziffer von 6167 gegenüber der Wirklichkeit nicht viel zu niedrig gegriffen sei.
Ein zweiter Punkt, der als Vergleich dienen mag, führt zu derselben Annahme. Anläßlich der schweizerischen Volkszählung von 1880 wurde nämlich konstatirt, daß damals in der Schweiz 732,800 majorenne Schweizerbürger lebten. Bei den eidgenössischen Wahlen vom Oktober 1881 waren hingegen, trotzdem die Bevölkerung im genannten Jahre in normaler Weise sich vermehrt hatte, nur 638,589 Bürger in die Stimmregister eingetragen. Bringt man hievon die 12 bis 13,000 Tessiner, die, obwohl außerhalb des Kantons wohnend, damals als Wähler eingeschrieben waren, noch in Abzug, so ergibt sich, daß mehr als 100,000 Schweizerbürger nicht in die Stimmregister eingetragen waren. Zweifelsohne sind in letzterer Zahl viele Bürger inbegrifien, die aus dem Grunde nicht in diesen Registern flgurirten, weil sie kurz vor deren Bereinigung ihr Domizil verändert hatten oder überhaupt übergangen worden waren ; allein vernünftigerweise muß man annehmen, daß der größte Theil dieser 100,000 Schweizerbürger aus solchen Leuten besteht, die ihres Stimmrechtes beraubt waren. Es darf daher die Zahl 39 bis 40,000, welche aus den Antworten der Kantone sich ergibt, nur als eine Minimalzahl, die vielleicht weit hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, angesehen werden.
Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.
B e r n , den 13. März 1885.
Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :
Schenk.
Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.
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Mach trag.
Am 16. d. Mts., als der vorliegende Bericht bereits im Drucke sich befand, haben wir die Antworten von Uri und von Appenzell I. Rh. erhalten.
Dieselben weisen folgende Zahlen auf: Uri: Falliten 61} 12 Verurtheilte l 95 Aus andern Gründen nicht stimmfähige j Personen 22 j Appenzell l. Rh.: Falliten 112\141 Verurtheilte 29 / * Wir besitzen somit die Angaben sämmtlicher Kantone mit Ausnahme von Luzern.
Darnach gestaltet sich das Gesammtresultat, wie folgt: In eidgenössischen Angelegenheiten sind vom Stimmrecht ausgeschlossen : 1) wegen Falliments .
.
. 21,834 Schweizerbürger 2) wegen Unterstützung :.
.
. 7,540 ,, 3) wegen gerichtlicher Verurtheilung 2,107 ,, 4) wegen Bevormundung .
.
. 5,271 ,, 5) aus andern Gründen .
.
. 2,669 ,, Total
39,421 Schweizerbürger.
128 985
2092 12,244
33 43 15 8 29 266 49 36 46 32 26
213
721 195 814 259 101
143 60 105 45 46
151 254 579 71 62
71
151 83 ' 218
494 10 37
7,540
2,066
175 77 48 550 127 52 128
257
403 35 105 24 519
2,885 989 6,149 902 741
155
1,218 93 255
82972 139,957 39,471 4668 13,196 4,054 3,131 8,991 6,195 32,717 20,975 11,370 14,725 8,807 14,581 3,583 56,928 24,652 53,271 26,939 25512 64506 27,891 24,604 19,104
73 191 107,276 29,977 4064 12^131 3,680 2,794 7,882 5,236 28,555 16,279 10,076 10,830 7,814 12,730 3,153 50,382 22,683 40,049 23,574 38380 57648 26,449 24,015 19,741
2,647
39,185
732,800
98 37
706 179 199 361 495 2,104 3,691 877 1,595 421 141
44 19 489 468 52 88 101 108
302
5,271
81 19 58
848
638,589
r>
Total.
514 1,215
MinusDifferenz.
Andere Gründe.
87 298
Ind. Stimmregister eingetragene Schweizerbürger (eidg. Wahlen v. Oktober 1881).
21,661
643 3,579
Majorenne Schweizerbürger (Volkszählung von 1880.)
·
Bevormundete.
Zürich .
720 Bern 6,167 LnzernJ .
.
.
.
Uri 187 Sohwyz .
.
.
Obwalden .
.
.
.
99 Nidwal(len .
.
.
.
63 Glarns 353 Zug.
399 Freibnrg 718 Solothurn .
.
.
. 3,047 Basel-Stadt .
.
.
.
789 Basel-Landschaft .
1,390 102 Schaffhausen Appenzell A. Eh.
_7 Appenzell I. Rh. .
S t . Gallen .
.
.
. 1,467 Graubünden 455 Aargau .
.
.
. 4,546 Thurgau .
.
.
.
503 Tessin .
.
.
13 Waadt .
289 347 Wallis Neuenburg .
.
.
.
~ Genf
Verurtheilte.
"S u.
Unterstützte.
g
Kantone.
9781 32,681 9,494 604 1,065 374 337 1,109 959 4,162 4,696 1,294 3,895 993 1,851 430 6,546 1,969 13,222 3,365 6858 1,442 589 107,716
00
-a
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1885
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13
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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum
21.03.1885
Date Data Seite
81-87
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10 012 670
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