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Schweizerisches Bundesblatt.

.37. Jahrgang. II.

Nr. 20.

6. Mai 1885.

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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Georg Güttinger, Journalist, aus Augsburg (Bayern), dermalen in Basel, betreffend Ausweisung.

(Vom

14. April 1885.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e sr ath

hat in Sachen des G e o r g G ü t t i n g e r , Journalist, aus Augsburg (Bayern), dermalen in Basel, betreffend Ausweisung; nach angehörtem Berichte des eidg. Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : I. Georg Güttinger erhielt unterm 31. Marx 1881 gegen Hinterlegung eines Heimatscheines, d. d. 12. Juli 1878, in Basel die Niederlassungsbewilligung.

Da der Bundesrath des Deutschen Reiches am 20. Januar 1881 ein neues einheitliches Formular der Heimatscheine aufgestellt und zugleich verfügt hat, die Gültigkeitsdauer eines Heimatscheines dürfe nicht auf eine längere Zeitdauer als fünf Jahre bemessen werden, so wurde Güttinger im August 1883 von der Basler Behörde aufgefordert, seinen abgelaufenen Heimatschein erneuern zu lassen.

Als der Erneuerung des Heimatscheines sich Hindernisse entgegenstellten, wurde dem Rekurrenten am 2. April 1884 ein weiterer Termin von sechs Monaten und am 10. Januar abbin eine letzte Frist zur Beschaffung der erforderlichen Ausweisschrift bis 15. Februar Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. II.

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1885 gewährt. Gleichzeitig ermächtigte der Regierungsrath des Kantons Basel-Stadt das Polizeidepartement, dem Petenten die Niederlassung auf 15. Februar nächsthin zu entziehen, sofern derselbe bis xu diesem Zeitpunkt einen erneuerten Heimatschein nicht einzulegen im Stande sei.

II. Unter dem Datum des 17. Februar 1885 reichte hierauf G. Güttinger gegen den regierungsräthliehen Beschluß vom 10. Januar eine Besehwerdeschrift beim Bundesrathe ein, und da der Regierimgsrath auf des Beschwerdeführers Gesuch um Sistirung der Vollziehung des Ausweisungsbeschlusses ihm auferlegte, binnen acht Tagen den Beweis zu erbringen, daß der Bundesrath mit der Sistirung einverstanden sei, so wandte sich der Rekurrent zu diesem Behufe mittelst einer neuen Eingabe vom 20. Februar 1885 an den Bundesrath. Es hatte aber bereits Tags zuvor das zur Vorberathung dieses Rekursgeschäftes berufene eidg. Justiz- und Polizeidepartement die Regierung von Basel-Stadt ersucht, die Vollziehung des Ausweisungsbeschlusses gegen G. Güttinger bis zum definitiven Entscheid des Bundesrathes ÄU suspendiren.

III. Aus der Rekursschrif't des G. Güttinger sind folgende Angaben hervorzuheben : Der Rekurrent war während der Jahre 1878 und 1879 iu Konstanz wohnhaft, als Redaktor des ,,Konstanzer Tagblatta. In mehrere Preßprozesse verwickelt, wurde er wegen Beleidigung des Stadtrathskollegiums und des Stadtverordneten und Staatsanwalts Frieser zu einer Getangnißstrafe von sechs Monaten verurtheilt, welche Strafe dann durch Verfügung des Amtsgerichts Konstanz vom 15. April 1880 auf vier Monate und vierzehn Tage rediuirt wurde. Da ein von ihm eingereichtes Begnadigungsgesuch, obschon im Jahre 1880 vom Stadtrathskollegium Konstanz einstimmig befürwortet, abschlägig beschieden wurde, habe er sich gezwungen gesehen, außerhalb Deutschland Verdienst zu suchen, da seine Familie sonst der bittersten Noth und der öffentlichen Mildthätigkeit preisgegeben gewesen wäre.

Während seiner Niederlassung in Basel sei er wiederholt bei Seiner Königl. Hoheit dem Großherzog von Baden um Begnadigung, eventuell Umwandlung der Gefängnißstrafe in eine angemessene Geldbuße eingekommen, aber jedesmal abgewiesen worden.

Nun verweigere ihm der Magistrat der Stadt Augsburg die Ausstellung eines neuen Heimatscheines an Stelle des abgelaufenen, da das Großherzoglich Badische Amtsgericht Konstanz dagegen Einspruch erhoben habe. Er könne aber die 4 1 /amonatliche Gefängniß-

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strafe nicht antreten, ohne seine Familie der Existenzmittel, die ihr lediglich seine Arbeit verschaffe, zu berauben (der Rekurrent ist 43 Jahre alt, verehelicht und Vater von mehreren Kindern).

Der Entzug der Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz und speziell in Basel wäre nicht nur eine harte, sondern auch eine ungerechtfertigte Maßregel, denn er habe sich in keiner Weise des ihm gütigst bewilligten Asyls in der Schweiz unwürdig gezeigt.

Allein auch vom streng rechtlichen Standpunkte aus müsse die Ausweisungsverfügung als ungerechtfertigt und unhaltbar erscheinen.

Wenn einem Deutschen die Niederlassung einmal bewilligt sei, so könne sie ihm nur aus den im Art. 7 des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrages vorgesehenen Gründen, von denen in casu keiner zutreffe, entzogen werden.

Der zeitweilige Nichtbesitz der Heimatschriften werde die Schweiz in durchaus keinen ernsten Konflikt mit seinem Heimatstaate bringen. Wie den Basler Behörden wohlbekannt sei, werde sein Familienstand u. s. w. vom Augsburger Stadtmagistrat nicht bemängelt; man wolle nur durch Verweigerung der Papiere die Vollstreckung der Haftstrafe an ihm erzwingen, wohl wissend, daß die Schweiz wegen Injurien so wenig als wegen politischer Vergehen Jemanden ausliefere.

Schließlich bemerkt der Rekurrent, daß im nächsten August fünf Jahre über seine Verurtheilung hinweggegangen sein werden ; mithin werde in jenem Zeitpunkte die Vollstreckung der erkannten Strafe verjährt sein. Dann werde es ihm ein Leichtes sein, die Behörden in Augsburg zur Ausstellung seiner Legitimationspapiere zu zwingen.

Gestützt auf die vorstehend skizzirten Ausführungen bittet der Rekurrent um Aufhebung des Ausweisungsbeschlusses der Regierung des Kantons Basel-Stadt vom 10. Januar 1885.

In E r w ä g u n g : 1) Der Bundesrath hat sieh im vorliegenden Rekursfalle lediglich zu fragen, ob der Rekurrent mit denjenigen Ausweisschriften versehen sei, die gemäß dem Niederlassungsvertrag zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche vom 27. April 1876, Art. 2, zur Wohnsitznahme eines Deutschen in der Schweiz erforderlich sind.

Es leuchtet ein, dass, wenn ein Deutscher im Besitze der nöthigen Legitimationspapiere gewesen ist und auf Grund dessen in der Schweiz seinen Wohnsitz genommen hat, in der Folgezeit jedoch derselben verlustig wird, ohne sie auf gestelltes Ersuchen von den

868 Behörden des Heimatstaates ersetzt zu erhalten, das Recht zur Fortsetzung des Aufenthaltes in der Schweiz von ihm gerade so wenig in Anspruch genommen werden kann, als die Befugniß zur Wohnsitznahme früher für ihn vorhanden gewesen wäre, wenn er sich nicht im Besitz der betreffenden Papiere befunden hätte. Mit andern Worten: es müssen die im schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrage (Art. l, 2 und 3) enthaltenen Voraussetzungen des Niederlassungsrechtes der beidseitigen Staatsangehörigen während der ganzen Dauer der Niederlassung erfüllt sein.

Der Bundesrath hat diesen Grundsatz wiederholt ausgesprochen; so in den Rekursfällen Benedix (Bundesbl. 1884, II, 744), Morat (Bundesbl. IV, 687) und Best (Bundesbl. 1885, I, 65), und die schweizerische Bundesversammlung hat in den an sie rekurrirten letztgenannten Fällen die Anschauungsweise des Bundesrathes gutgeheißen (Bundesbeschlüsse vom 24. und 27. März 1885).

2) Wenn demnach eine Kantonsregierung einem Deutschen, gestützt auf den Umstand, daß ihm die. im Art. 2 des allegirten Vertrages vorgeschriebenen Ausweisschriften mangeln, die Niederlassung entzieht, so kann deren in Anwendung der Vertragsbestimmungen erlassene Verfügung von der Bundesbehörde nicht umgestoßen Werden; beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Basel-Stadt,, sowie dem Rekurrenten schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 14. April 1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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06.05.1885

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