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Schweizerisches Bundesblatt.

37. Jahrgang. IV.

Nr. 55.

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19. Dezember 1885.

Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die zwischen der Schweiz und dem Fürstenthum Monaco am 10. Dezember 1885 abgeschlossene Uebereinkunft über die gegenseitige Auslieferung von Verbrechern.

(Vom 11. Dezember 1885.)

Tit.

Hiemit haben wir die Ehre, Ihnen den A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g mit dem Fürstenthum M o n a c o , welcher gestern in Paris von den beidseitigen Bevollmächtigten unterzeichnet worden ist, zur Ratifikation vorzulegen.

In einigen Fällen sind wir veranlaßt gewesen, bei der Regierung des Fürstenthums Monaco die Verhaftung und eventuell die Auslieferung von Verbrechern nachzusuchen, welche die betreffenden kantonalen Behörden dorthin geflüchtet vermutheten. Wir konnten diese Ansuchen nicht mit einem Auslieferungsvertrage begründen, sondern mußten uns darauf beschränken, die Beobachtung der Reciprocität in ähnlichen Fällen anzubieten. Die monegaskische Regierung war stets in freundlicher Weise bemüht, uns zu unterstützen, glaubte jedoch im März 1881 bei Anlass der Bewilligung der Auslieferung des Waadtländers Pasche wegen Fälschung die Bemerkung machen zu sollen, daß sie sich nicht verpflichten könnte, in Zukunft alle Auslieferungsbegehren in gleicher Weise zu behandeln, wenn nicht eine diplomatische Uebereinkunft ähnlich denjenigen, wie sie zwischen dem Fürstenthum und der Mehrzahl anderer Staaten existiren, abgeschlossen würde.

Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. IV.

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560 Wir ermangelten nicht, sofort unsere Bereitwilligkeit, in die Unterhandlung über einen solchen Vertrag einzutreten, zu erkennen zu geben, und gleichzeitig die Regierung von Monaco zu ersuchen, uns ihre weiteren bezüglichen Anträge vorzulegen. Mit Depesche vom 30. März 1881 verdankte der Gouverneur des Fürstenthums unser Entgegenkommen, stellte den Antrag, daß die Verhandlungen durch die Gesandten beider Staaten in Paris gepflogen werden möchten, und legte uns die von Monaco mit Frankreich, Italien ^ Belgien und den Niederlanden abgeschlossenen Auslieferungsverträge vor, welche als Grundlage für den Vertrag mit der Schweiz dienen könnten.

Da jedoch in dem Vertrage zwischen Monaco und Frankreich vom 8. Juli 1876 die Bestimmung enthalten ist, daß Mord, Meuchelmord oder Vergiftung, verübt an dem Staatsoberhaupt oder an den Mitgliedern seiner Familie, nicht als politische Verbrechen angesehen werden sollen, so konnten wir diesen Vertrag nicht als Modell anerkennen und sahen uns deßhalb veranlaßt, mit den Unterhandlungen uns nicht zu beeilen, zumal wir aus dem Umstände, daß die andern erwähnten Verträge mit Monaco eine ähnliche Vorschrift nicht enthalten, auf die Streichung jener Klausel im schweizerischen Vertrage hoffen zu können glaubten. (Spätere Nachforschungen haben ergeben, daß Monaco auch mit Spanien einen Auslieferungsvertrag besitzt, in welchem die gleiche Bestimmung vorkommt.)

Nachdem inzwischen unsererseits der Ihnen bereits bekannte Entwurf, welcher künftig für die Auslieferungsverträge der Schweiz als Norm dienen soll, aufgestellt worden war, ermangelten wir nicht, im November 1883 auch der Regierung des Fürstenthums Monaco diesen Entwurf mitzutheilen und unsere Bereitwilligkeit auszusprechen, auf dieser Grundlage die Unterhandlungen in Paris eröffnen zu lassen.

In Folge dessen nahm die monegaskische Regierung unsern Entwurf als Basis an, machte jedoch verschiedene Gegenanträge, welche sie im April 1884 durch ihren Gesandten dem schweizerischen Gesandten in Paris mittheilen ließ. Der wichtigste Gegenantrag bestand in einem Zusätze zu Art. 6 unseres Projektes, dahingehend, daß der Angriff auf das Oberhaupt eines fremden Staates oder eines seiner Familienglieder nicht als politisches Verbrechen betrachtet werden soll, wenn es sich um Todtschlag, Mord oder Vergiftung handeln würde.
Es wurde jedoch der Gesandtschaft von Monaco ohne Rückhalt verdeutet, daß der Bundesrath in keine Unterhandlungen eintreten könne, so lange ihre Regierung auf Miesem Vorschlage glaube

561 beharren zu sollen, da eine solche Bestimmung für die Schweiz nicht diskutirbar sei.

Mit Depesche vom 8. Juni 1885 eröffnete sodann die monegaskische Gesandtschaft in Paris unserer Gesandtschaft daselbst, daß ihre Regierung mit unsern Vorschlägen vom November 1S83 einverstanden sei, das schweizerische Projekt mit einigen Modifikationen annehme und an dem oben erwähnten Zusätze zu Art. 6 nicht länger festhalte.

Auf dieser neuen Grundlage zögerten wir nicht, die übrigen Gegenanträge einer nähern Prüfung zu unterwerfen. Es ergab sich hiebei, daß die meisten derselben ohne Bedenken angenommen werden konnten, so daß dem raschen Abschlüsse des Vertrages keine Hindernisse im Wege standen.

Die Abänderungsanträge, welche Monaco zu unserm Normalprojekte machte, führten in Art. l des letzteren zu folgenden Modifikationen : 1) Die Aufnahme einer neuen Ziffer 6, lautend: ,,Drohung eines im Verbrechensgrade strafbaren Angriffes gegen Personen und Eigenthum.tt Die gleiche Bestimmung ist auch in den Verträgen der Schweiz mit Luxemburg und Belgien vorgesehen.

2) Zu Ziffer 10 ist beigefügt: ,,Unterdrückung von Kindern.'1 Die Verträge mit Luxemburg und Deutschland enthalten den gleichen Zusatz.

3) In Ziffer 11 ist auf unsern Antrag die ,,unabsichtliche Körperverletzung mit nachgefolgtem Todea aufgenommen worden. Die materiellen Folgen einer solchen Körperverletzung sind schwerer, als die einer absichtlichen Körperverletzung mit nachfolgender Arbeitsunfähigkeit von mehr als 20 Tagen, für welche die Auslieferung ohne Weiteres zugestanden wird.

Wir erinnern daran, daß die Wünschbarkeit der Auslieferung wegen unabsichtlicher Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode zu der im Geschäftsberichte pro 1884 erwähnten Reciprocität mit Frankreich geführt und im gleichen Jahre in zwei Fällen ihre Anwendung gefunden hat.

4) Im Einklang mit einer ähnlichen Bestimmung in unsern Verträgen mit Luxemburg und Belgien sind in Ziffer 17 die Worte ,,Mißbrauch ächter Siegel, Stempel, Kontrolstempel und Marken" beigefügt worden.

5") Die unter Ziffer 22 aufgezählt gewesene ,,gerichtliche Verleumdung"1 wurde gestrichen, dagegen ist

562 6) als neue Ziffer 25 aufgenommen worden, daß die Auslieferung auch stattfinden soll für ,,Jede Zerstörung oder Beschädigung von beweglichem oder unbeweglichem Eigenthum."

Zu Art. 13 des Entwurfes ist auf Begehren von Monaco ein Zusatz aufgenommen worden, wonach derjenige Staat, welcher genöthigt ist, für den Vollzug der Auslieferung eines Individuums den Transit durch das Gebiet eines dritten Staates nachzusuchen, die bezüglichen Bedingungen mit diesem dritten Staate zu vereinbaren hat.

Ein weiterer Zusatz zu Art. 14, wonach den in deutscher Sprache geschriebenen Requisitorien französische Uebersetzungen hätten beigegeben werden sollen, wurde von uns abgelehnt, weil im Widerspruche mit der Parität der Kontrahenten stehend, indem Monaco den französisch geschriebenen Requisitorien keine deutsche Uebersetzung beigegeben hätte. Wir gehen von der Ansicht aus, daß im einzelnen Falle nichts hindern würde, dem Requisitorium eine französische Uebersetzung beizuschließen, wenu dadurch eine Beförderung erzielbar scheint.

Aus vorstehenden Bemerkungen ist zu entnehmen, daß der vorliegende Vertrag in allen wesentlichen Punkten mit dem schweizerischen Normalprojekt und, wir fügen bei, auch mit allen übrigen Auslieferungsverträgen der Schweiz übereinstimmt. Wir schließen daher mit dem Antrage, es möchte demselben die vorbehaltene Ratifikation der gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft ertheilt werden.

Indem wir mit dieser Botschaft zugleich die sämmtlichen bezüglichen Akten vorlegen, benutzen wir diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 11. Dezember 1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

563 (Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

die zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Monaco am 10. Dezember 1885 abgeschlossene Uebereinkunft über die gegenseitige Auslieferung von Verbrechern.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 11. Dezember 1885, beschließt: Art. 1. Die zwischen der Schweiz und dem Fürstenthum Monaco am 10. Dezember 1885 abgeschlossene Uebereinkunft betreffend die gegenseitige Auslieferung von Verbrechern ist genehmigt.

Art. 2. Der Bundesrath ist rnit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die zwischen der Schweiz und dem Fürstenthum Monaco am 10. Dezember 1885 abgeschlossene Uebereinkunft über die gegenseitige Auslieferung von Verbrechern. (Vom 11. Dezember 1885.)

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1885

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19.12.1885

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559-563

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