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Schweizerisches Bundesblatt,

37. Jahrgang. IV.

Nr. 49.

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7. November 1885.

Protokoll der

ständeräthlichen Kommission für Begutachtung des Gesetzesentwurfs Über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen. (Abänderung des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872.)

(Sitzungen in Z ü r i c h , vom 15. bis 17. September 1885.)

I. Sitzung Zürich, Dienstag den 15. September, Vormittags 9 Uhr.

Anwesend die Herren : Altwegg, Präsident, Estoppey, Fischer, Gavard, Loretan, Wirz.

Herr Ständerath H o f f m a n n ist wegen dringender Geschäfte verhindert, den Sitzungen der Kommission Dienstags und Mittwochs beizuwohnen.

Herrn Bundesrath R u c h o n n e t , als Vorsteher des eidg. Justizund Polizeidepartements, ist vom Präsidium von der heutigen Sitzung Kenntniß gegeben. Herr Ruchonnet hat aber die Einladung dahin beantwortet, daß es ihm seine Geschäfte kaum erlauben werden, an den Arbeiten der Kommission Theil zu nehmen.

Als Protokollführer ist der Sekretär des Ständerathes, Herr S c h a t z m a n n , Stellvertreter des eidgenössischen Kanzlers, beigezogen worden.

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Bandesblatt. 37. Jahrg. Bd. IV.

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Der Bundesrath hat den eidg. Käthen mit Botschaft vom 30. Oktober 1883 den Entwurf zu einem BundesgeseU betreffend die eidg. Wahlen und Abstimmungen unterbreitet (Bundesblatt Bd. IV, S. 193; zu vergleichen auch die Nachtragsbotschaften vom 24. Februar und 13. März 1885, Bundesblatt Bd. I, S. 503, und Bd. II, S. 8l).

Der Nationalralh, dem für diese Angelegenheit das Recht der Erstbehandlung zufiel, theilte dem Ständerath unterm 18. Juni d. J.

mit, daß er den von ihm in der Detailberathung ausgearbeiteten Entwurf in der Gesammtabstimmung (mit 55 gegen 48 Stimmen) verworfen habe.

Das Präsidium eröffnet nun die Berathung mit Bezug auf die Eintretensfrage, und zwar sowohl mit Hinsicht auf die Frage, ob ein Eintreten bei dieser Sachlage konstitutionell zuläßig, als auch zur Zeit durch die Verhältnisse als angezeigt erscheine.

Auf Antrag des Herrn Wirz wird über diese beiden Gesichtspunkte separatim verhandelt.

Sämmtliche Mitglieder sprechen sich dahin aus, daß das Eintreten auf den Entwurf konstitutionell zuläßig sei. Hiefür werden folgende Erwägungen geltend gemacht : Die Bundesverfassung enthalte keine Bestimmung, welche diese Frage regle; auch das Gesetz über den Geschäftsverkehr zwischen den beiden gesetzgebenden Käthen, vom 22. Dezember 1849, spreche sich über dieselbe nicht expressis verbis aus. Immerhin gehe aus der Fassung des Art. 3 dieses Gesetzes, welcher bestimmt, daß Gesetze und Beschlüsse, welche von einem der beiden Käthe ,,durchberathen a worden sind, dem andern Rathe zu weiterer Be handlung nach Maßgabe der folgenden Artikel mitgetheilt werden müssen, hervor, daß auch negative Beschlüsse, z. B. Nio.hteintreten auf einen bundesräthlichen Entwurf oder Ablehnung desselben, hierunter verstanden seien. Ueberdies stehen jedem der beiden gesetzgebenden Räthe von Verfassung wegen die gleichen Rechte zu und keiner derselben könne sich die BefugiiiU anmaßen, dem andern dadurch, daß er eine Vorlage des Bundesrathes einfach ablehne, die Möglichkeit zu benehmen, auf eine einläßliche Berathung derselben einzutreten. Der Ständerath würde auch den Beschluß des Nationalrathes nicht seiner Kommission zugewiesen haben, wenn er nicht von der Ansicht ausgegangen wäre, daß eine einläßliche Behandlung dieses Gegenstandes von seiner Seite zuläßig wäre.

(Estoppey, Gavard.)

Selbst der Nationalrath habe vor der Mittheilung seines Beschlusses an den Ständerath diese Frage erörtert und dieselbe offen gelassen.

(Loretan.)

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Von anderer Seite wird dagegen bemerkt: Die Ueberweisung des Beschlusses an die ständeräthliche Kommission habe ohne alles Präjudiz und ohne alle und jede Direktive stattgefunden.

(Fischer, Wirz.)

Nichtsdestoweniger müsse die Frage der konstitutionellen Zuläßigkeit bejaht werden. Es sei dies ein wichtiges Recht, das sich aus dem Wesen des Zweikammersystems und der Gleichberechtigung beider Räthe ableite. Der Bundesrath habe im vorwürfigen Falle von seinem Initiativrecht Gebrauch gemacht. Er habe nun auch das Recht, zu verlangen, daß über die Eintretensfrage von b e i d e n Käthen verhandelt werde. Beide Räthe haben über die Eintretensfrage zu entscheiden, dagegen bleibe es ihnen dann unbenommen, das Eintreten abzulehnen oder ein anderes Projekt ihrer weitern Berathung zu Grunde zu legen. Der Nationalrath habe korrekt gehandelt, daß er lediglich mitgetheilt, er habe das Gesetz nach dessen Durehberathung abgelehnt, und die Mittheilung seines in der Gesammtabstimmung verworfenen Entwurfes, wie es von Herrn Nationalrath Dr. S. Kaiser vorgeschlagen worden, wäre nicht am Platze gewesen. Es bestehe für den Ständerath gegenwärtig keine andere Grundlage, als der bundesräthliche Entwurf. Der vom Nationalrath in der Detailberathung angenommene, aber nachher verworfene Entwurf sei nur von der Kanzlei, gleichsam konfidentiell, als schätzbares Material für die weitere Berathung im Ständerath mitgetheilt worden. Der Ständerath habe nun aber nicht blos das Recht, sondern die Pflicht, sich schlüssig zu machen, ob er auf die bundesräthliche Vorlage eintreten wolle oder nicht. Eine andere Sache sei es, ob er aus politischen oder praktischen Gründen das Eintreten ablehne, wozu er das unbestrittene Recht habe. (Wirz.)

Auch Herr Präsident Altwegg vindizirt dem Räthe das Recht, nach seinem Ermessen auf den Gesetzesentwurf einzutrelen. Er hält aber dafür, daß der Nationalrath nach Art. 3 des zitirten Gesetzes über den Geschäftsverkehr beider Räthe den Entwurf, wie er aus der Detailberathung hervorgegangen war, ohne über denselben in globo abzustimmen, dem Ständerath hätte übermitteln sollen.

Es wird somit zu Protokoll konstatirt, daß sämmtliche anwesende Mitglieder die Frage der konstitutionellen Zuläßigkeit, dermalen auf den Entwurf einzutreten, in bejahendem Siane beantwortet haben.

Bezüglich der Frage der Opportunität, auf eine Detailberathung einzutreten und dem Räthe eine solche zu empfehlen, manifestiren sich zwei Richtungen. Von der einen Seite wird angebracht:

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Die Kommission müsse unter allen Umständen die Detailberathung vornehmen, damit sie selbst auch für den Fall, wo der Rath entgegen dem Antrag der Kommission das Eintreten beschlösse, zur Berichterstattung bereit sei. Der Erlaß des fragliehen Gesetzes sei jedoch sehr wünschenswerth. Das Schweizervolk sei oft im Falle, eitig. Wahlen und Abstimmungen vorzunehmen, insbesondere da in letzter Zeit vom Referendum ziemlich häufiger Gebrauch gemacht werde. Die Bundesverfassung habe aber vorgesehen, daß für die Stimmbereehtigung einheitliche Vorschriften aufgestellt werden (exercice du droit de vote). Wenn nun auch der Nationalrath bei Berathung dieses Gesetzes keine glückliche Lösung gefunden hahe, so sei es nicht ausgeschlossen, daß es dem Ständerath gelingen werde. Die Sache sei so wichtig, daß es sich lohne, eine Lösung zu versuchen. Der Ständerath habe ja noch die Freiheit, selbst nach der Detailberathung, wie es vom Nationalrath geschehen, das Ganze zu verwerfen, wenn es ihm nicht gut erscheine.

(Estoppej.)

Der Ständerath sei es seiner Würde schuldig, dieses Gesetz an die Hand zu nehmen, durch welches eines der Grundrechte des Bürgers, das Stimmrecht, geregelt werde. Alle Parteien haben gleiches Interesse, daß die Bürger in der Ausübung dieses wichtigen Rechtes geschützt werden.

(Gavard).

Es sei daher angezeigt, in die Detailberathung einzutreten und dem Rathe ebenfalls das Eintreten zu empfehlen.

Von anderer Seite wird beantragt, dem Ständerathe vorzuschlagen, auf den Gesetzesentwurf dermalen nicht einzutreten, die Angelegenheit dem Bundesrathe zurückzuweisen und ihm anheimzugeben, wann und wie er die Angelegenheit wieder vorlegen wolle.

Es wäre daher auch von einer üetailberathung seitens der Kommission als unnütz abzusehen.

Dieser Antrag wird im Wesentlichen folgendermaßen begründet: Der Beschluß des Nationalrathes habe neuerdings gezeigt, mit welchen Schwierigkeiten die Aufstellung allgemein geltender Grundsätze in dieser Materie verbunden ist. Es würde schwerlich im Ständerath für den Entwurf eine Mehrheit zu finden sein, und dann würde es sich fragen, ob ein solcher Entwurf von der Mehrheit des Nationalrathes und gar von der Mehrheit des Volkes gutgeheißen würde. Einheitliche Bestimmungen wären wirklich sehr wünschenswerth, der Nationalrath habe es aber bezüglich der wichtigsten Bestimmungen
des Gesetzes in's Ermessen der Kantone gestellt, ob sie das eidg. Gesetz anwenden wollen oder nicht.

Nicht einmal über das Obligatorium für die Ausübung des Stimm-

205 rechtes habe der Nationalrath gewagt, einheitliche Vorschriften zu erlassen. Durch das Gesetz wären sehr schwierige und heikle Fragen zu erledigen, bezüglich weicher eine Einigung kaum zu erzielen wäre, z. B. die Stimmberechtigung der Falliten etc., die Frage, wëï den Ausweis Über die Stimmberechtigung zu erbringen habe (Arf. 43 der Bundesverfassung). Sodann werde durch den vorliegenden Entwuif die kapitale Frage einer bessern Wahlkreiseintheilüng beziehungsweise einer richtigeren Vertretung der Minoritäten nicht gelöst, und es werde dieselbe ad calendas greecas verschoben, indem das vom Nationalrath, diesfalls angenommene Postulat zu unbestimmt und vag gehalten sei.

Es empfehle sich auch nicht, im jetzigen Momente ein Wahlund Abstimmungsgesetz zu erlassen, da eine Motion über Erweiterung der Volksrechte erheblieh erklärt worden sei. Auch sei es nicht wünschenswerth, noch am Vorabend vor der Abstimmung über die Verfassungsrevision (Alkohol- und Ohmgeldfrage) andere Fragen aufs Tapet zu bringen, die zu politischem Streit Veranlaßung bieten könnten. Die Rückweisung wäre auch nicht als eine unbedingte aufzufassen, und es könne dei Bundesrath das Gesetz zu geeigneter Zeit und in geeigneter Form wieder vorlegen. Inzwischen werden weitere Erfahrungen gemacht, wie denn auch infolge der bisher gemachten Erfahrungen vom Bundesrath und der Bundesversammlung verschiedene allgemeine Regeln aufgestellt worden seien.

(Wirz, Fischer, Loretan.)

Wenn übrigens Garantien geboten würden, daß der konservativen Partei Zugeständnisse bezüglich der berührten Fragen gemacht würden, so erklären sich die genannten Herren bereit, zu einer weitem Behandlung die Hand zu bieten.

Dieser Anschauung gegenüber wird hervorgehoben : Es sei unstatthaft , die Frage der Kreiseintheilung und der proportionalen Vertretung der Minderheiten in diese Angelegenheit hineinzuziehen.

Die Wahlkreiseintheilung sei durch ein Spezialgesetz geregelt und Verbesserungen seien am besten auf dem nämlichen Wege anzubringen. Was die proportionale Vertretung der Minderheiten anbetreffe, so sei diese Frage noch nicht abgeklärt, um im Bunde praktische Verwendung zu erhalten. JMan könne da den Vertretern der konservativen Partei auch zurufen, wie es von den Franzosen in der Schlacht bei Fontenoy geschehen sei : Messieurs les Anglais, tirez les premiers. In
den Kantonen mögen diese Projekte zuerst erprobt werden. Die konservative Partei könne sich übrigens nicht über Zurücksetzung beklagen, da sie beinahe über die Hälfte der Sitze im Ständerathe verfüge.

(Gavard.)

206 Herr Allwegg erachtet die Situation als sehr schwierig und würde es sehr begrüßen, wenn der Siänderath wirklich ein annehmbares Gesetz zu Stande brächte. Mit einem Gesetz, wie der Nationalrath eines geschaffen, wo Alles in's Belieben der Kantone gestellt sei, könnte er sich dagegen nicht befreunden. Auch er hält dafür, daß die Frage der proportionalen Vertretung der Minderheiten nicht auf dem Boden des Bundes probirt und die Wahlkreiseinthcilung einem besondern Gesetz überlassen werden solle.

Immerhin wird auf den Antrag des Hrn. Altwegg beschlossen, heute über die Eintretensfrage nicht abzustimmen und die Abstimmung zu verschieben, bis die Kommission sich über folgende Kardinalfragen ausgesprochen habe: 1) Stimmberechtigung ; 2) Ausweis über die Stirn mberechtigung; 3) Verfahren ; 4) Obligatorium der Ausübung des Stimmrechts; 5) Proportionale Vertretung der Minoritäten und Wahlkreiseintheilung.

Es soll damit der Versuch gemacht werden, ob zwischen den verschiedenen Ansichten nicht eine Einigung möglich wäre, da, wenn die Kommission im Rathe nicht mit einer kompakten Mehrheit auftreten könne, an einen Erfolg nicht zu denken sei.

Schluß der Sitzung um l Uhr.

II. Sitzung Zürich, den 16. September, Vormittags 9 Uhr.

Anwesend die Nämlichen wie gestern. Das Protokoll der gestrigen Sitzung wird genehmigt. Hierauf wird zur Diskussion der prinzipiellen Fragen übergegangen.

207 1. Frage der Stimmberechtigung.

Herr Estoppey erklärt sich mit der Fassung des Art. 3 des nationalräthlichen Entwurfes, lautend: ,,Art. 3. Bin A u s s c h l u ß v o m S t i r n m r e c h t in eidgenössischen Angelegenheiten findet gegenüber denjenigen Seh weizerbüi gern statt, welche a. infolge gerichtlichen (kriminellen oder korrektionellen) Urtheils ihrer bürgerlichen Ehrenrechte verlustig geworden; b. wegen Verschwendung, Geisteskrankheit oder Blödsinn bevormundet sind ; c. in Konkurs gefallen sind und nicht der zuständigen Behörde den Nachweis leisten, daß der Konkurs ohne ihr eigenes Verschulden eingetreten sei; Wegen Konkurs kann der Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von höchstens zehn Jahren eintreten.

d. dauernd almosengenössig sind, während der Zeit dieser A Imosengenössigkeit.

Die unter litt, c und d erwähnten Beschränkungen im Stimmrecht brauchen in denjenigen Kantonen nicht zur Anwendung zu kommen, deren Gesetzgebung die in Konkurs Gefallenen und die Almosengenössigen vom Stimmrecht nicht ausschließt^ einverstanden, wenn es ihm auch schwer falle, das Stirnmrecht den dauernd Almosengenössigen für die Zeit, während welcher die Almosengenössigkeit besteht, zu entziehen. Die Almosengenössigen seien nämlich als Unglückliche zu betrachten, und solche, welche sich dem Bettel hingeben, aber keine öffentlichen Unterstützungen beziehen, seien doch nicht von dieser Bestimmung betroffen. Der Kanton Waadt kenne eine solche Beschränkung nicht und befinde sich bei dieser Praxis sehr wohl.

Herr Wirz wünscht für litt, b (Geisteskranke und Bevormundete) eine andere Redaktion. Er erachtet, daß die Almosengenössigkeit als solche keine Strafe und keine capitis diminutio verdiene.

Er will aber diesbezüglichen Rechtsanschauungen der einzelnen Kantone nicht zu nahe treten und könnte sich auch mit litt, d (Almosengenössige) in Verbindung mit dem Grundsatz einverstanden erklären, dnß die Kantone diese Beschränkung fallen lassen können; ebenso mit litt, c, 1. Alinea, betr. Stimmrecht der Falliten, dagegen nicht mit dem 2. Lemma, welches also lautet: Wegen Konkurs kann der Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von höchstens zehn Jahren eintreten.

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Dagegen könnte Hr. Wira zum Antrage, den Hr. Häberlin im Nationalrathe stellte, stimmen, welcher also lautet: ,,Art. 3. Ein Ausschluß vom Stimmrecht in eidgenössischen Angelegenheiten darf' nur stattfinden : 3) wegen gerichtlich ausgesprochenen selbstverschuldeten Konkurses, bis zur Rehabilitation; 4) wegen öffentlicher Almosengenössigkeit, so lange dieselbe dauert.

Es bleibt der Kantonalgesetzgebung freigestellt, die unter Ziffer 3 und 4 erwähnten Beschränkungen im Stimmi-edite fiillen zu lassen.a Die unverschuldet in Konkurs Gekommenen sollen nach seiner Ansicht nicht bestruft werden, aber es gehe nicht an, daß mit den» Inkrafttreten eines neuen Gesetzes eine große Anzahl selbstverschuldeter Konkursiten in den Genuß des Stimmrechts treten.

Die Präsumption, daß ein Konkurs unverschuldet, sei nicht zuläßig. Man möge sich hüten , die bisherige Folge des verschuldeten Konkurses, die Einbuße des Aktivbürgerrechts, aufhören zu lassen, da er sonst nicht mehr gefürchtet werde. Wenn die leichtsinnigen Konkursiten im eidgen. Wahlgesetz stimmberechtigt, erklärt werden, so habe dies auch seine Konsequenzen für die kantonale und kommunale Gesetzgebung. Es wäre aber gewiß sehr gefahrlich, Leuten, welche aus eigener Schuld um ihr Vermögen gekommen und Andere zu Verlust gebracht haben, dasStimmrecht einzuräumen, und es könnte dies für den Geineindehaushalt durch leichtfertige Dekretirung von Steuern von schwer wiegenden Folgen sein.

Das Stimmrecht sei ein Ehrenrecht, und man müsse den Muth haben, wie es von Herrn Dr. Keller in Zürich erklärt worden sei, den Lumpen als Lumpen hinzustellen. Gegen die Bestimmung, daß andere Kantone auch diese Beschränkung fallen lassen könnet), sei aus praktischen Gründen nichts einzuwenden.

Herr Fischer will andern Kantonen keinen Zwang anthun, dagegen kann er sich in dieser Frage auch keinen solchen gefallen lassen.

Die Anschauungen der romanischen und der deutschen Schweiz sind diesfalls zu verschieden. Die Mehrzahl der Falliteli wie auch der Almosengenössigen sind es durch eigene Schuld geworden. Dea Kantonen soll mit Bezug auf die Stimmberechtigung die bisherige Freiheit belassen werden. Herr Fischer beantragt daher, Art. 2 des bisherigen Gesetzes beizubehalten. Derselbe lautet:

209 ,,Art. 2. Stimmberechtigt ist jeder Schweizer, der das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt hat und kn Uebrigeü nach der Gesetzgebung des Kautons, in welchem er seinen Wohnsitz hat, nicht vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ist. (Art. 63 der Bundesverfassung.)"1 Herr Gavard : Im Kanton Genf sind die Falliten und die Almosengenössigen als solche nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen.

Als Kompromiß wäre aber die vom Nationalrath angenommene Fassung annehmbar. Herr Gavard kann sich jedoch auch dazu verstehen, dem Antrage des Herrn Wir/ beizutreten.

Herr Loretan ist ebenfalls einverstanden, daß nur sellistverSühuldete Falliten ausgeschlossen werden sollen. Als solche wären aber nach seiner Ansicht diejenigen nicht zu betrachten, die in Folge ererbter Schulden in Konkurs fallen.

Den Falliten sollten dagegen gleichgestellt werden diejenigen Insolventen, die es durch eigenes Verschulden geworden sind.

Herr Altwegg erklärt sich des Bestimmtesten dahin, daß er zu keinem Kompromiß, welcher auf dem Boden des Föderalismus abgeschlossen werde, stimmen könne. Es wäre ein solches Vorgehen eine Schwächung des schweizerischen Nationalgefühls. Durch ein Vorgehen im Sinne des Herrn Wirz wäre nicht viel erreicht.

Allerdings werde im Gesetz ein Unterschied zwischen verschuldetem o und unverschuldetem Konkurs gemacht. Diese Unterscheidung sei aber eine ziemlich theoretische; die Einen werden nach ihrer bisherigen Praxis beinahe alle Konkurse als verschuldet, die Andern dagegen als unverschuldet betrachten. Herr Altwegg könnte dagegen zürn Entwurf des Bundesrathes stimmen, sofern die Frist, auf 10 Jahre erstreckt würde. Der bezügliche Artikel lautet: ,,Art. 3. Ein A u s s c h l u ß vom S t i m m r e c h t in eidgenössischen Angelegenheiten findet gegenüber denj jnigen Schweizerbürgern statt, welche a) durch gerichtliches (kriminelles oder korrektionelles) Urtheil ihrer bürgerlichen Ehrenrechte verlustig geworden oder b) wegen Versehwendung, Geisteskrankheit oder Blödsinn bevormundet oder c) gemäß gerichtlichem Urtheile «aus eigenem Verschulden in Konkurs gefallen sind.

Aus dem letztgenannten Grunde kann der Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von höchstens fünf Jahren gerichtlich ausgesprochen werden. tt

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Herrn Gavard persönlich würde der bundesräthliche Artikel ·ebenfalls besser zusagen. Die Fassung des Nationalrathes sei aber ein Kompromiß zwischen den beiden divergirenden Anschauungen und deshalb sei ihr der Vorzug zu geben.

Herr Wirz erklärt, daß, wenn man in dieser Frage einander nicht entgegenkomme, ein Gesetz nie werde ermöglicht werden.

Herr Estoppey könnte sich auf dem Wege des Kompromisses ebenfalls mit der Streichung des 2. Alinea der lit. c -- nach Antrag des Herrn Wirz -- einverstanden erklären.

Herr Altwegg nimmt gegenüber dem Antrag des Herrn Wirz den bundesräthlichen Vorschlag auf.

In eventueller Abstimmung wird der Antrag des Herrn Wirz auf Streichung des Alinea 2 der litt, c mit 5 gegen l Stimme gegenüber der nationalräthlichen Passung angenommen, und auch festgehalten gegenüber dem Antrage des Herrn Altwegg. In definitiver Abstimmung siegt der Antrag des Herrn Wirz gegenüber demjenigen des Herrn Fischer auf Beibehaltung des Art. 2 des jetzigen Gesetzes mit 4 Stimmen ob. Die Redaktion und Amendements bleiben vorbehalten.

2. Frage des Ausweises Über die Stimmberechtigung.

Herr Wirz bringt an: Art. 43 der Bundesverfassung ist keineswegs unklar oder zweideutig. Vielmehr hat nach dem Wortlaut desselben derjenige, welcher auf das Stimmrecht Anspruch machen ·will, sieh gehörig auszuweisen. Bei der früheren Bundesverfassung war dieser Beweis bei Eintragung in das Stimmregister nicht nöthig, da Jemand, um die Niederlassungsbewilligung zu erlangen, den Nachweis zu leisten hatte, daß er im aktiven Bürgerrecht nicht eingestellt sei. Dies ist nac-h der neuen Bundesverfassung nicht mehr der Fall. Deßwegen muß der Nachweis bei Eintragung in das Stimmregister geschehen, ansonst der betreffende Bürger für die Stimmberechtigung nicht gehörig ausgewiesen wäre. Das Volk hat auch durch Verwerfung des frühem Gesetzes über die politischen Rechle der Niedergelasseneu und Aufenthalter gezeigt, daß es die herwärtige Anschauung (heilt. Der Ausweis ist nicht, wie behauptet worden, schwer zu erbringen. Er kann in einer Bescheinigung der Behörde der letzten Wohnsitzgemeinde bestehen, und es soll der Gemeinderath der neuen Wohnsitzgemeinde gehalten sein, diese Bescheinigung beizubringen, falls dies vom Bürger gewünscht wird.

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Herr Wirz nimmt also den von der Minderheit der nationalräthlichen Kommission gestellten Antrag auf, welcher also lautet: ,,Art. 4. Wer in einer Gemeinde zum ersten Male sein Stimmrecht ausüben will, hat, sofern er nicht ein Angehöriger dieser Gemeinde ist, ein Stimmfähigkeitszeugniß des Gemeinderathes seiner frühern Wohngemeinde abzugeben.

Der Gemeinderath der neuen Wohngemeinde ist gehalten, auf Verlangen des Betreffenden das Stimmfähigkeitszeugniß für denselben von Amts wegen vom Gemeinderathe der frühem Wohngemeinde einzufordern. u Herr Estoppey glaubt, daß der Artikel des nationalräthlichen Entwurfes einen wirklichen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfahren und zugleich einen glücklichen Kompromiß zwischen den beidseitigen Anschauungen bilde; ebenso die Herren Gavard und Altwegg.

Dieser Artikel lautet: ,,Art. 4. Der Nachweis der Stimmbereehtigung wird durch eine den Besitz des Schweizerbürgerrechts und das Vorhandensein des gesetzlichen Alters beurkundende amtliehe Bescheinigung geleistet.

Der Gemeinderath derjenigen Gemeinde, in welcher ein ihr nicht Angehöriger zum ersten Mal sein Stimmrecht ausüben will, ist berechtigt und auf Verlangen verpflichtet, bei der frühern Wohngemeinde des Betreffenden sieh über allfälliges Vorhandensein von Ausschlussgrüuden (Art. 3) zu erkundigen."

Die Herren Loretan und Fischer unterstützen den Antrag des Herrn Wirz.

Herr Gavard findet die Passung des zweiten Alineas des Antrages des Herrn Wirz für diejenigen Bürger, welche aus Kantonen, wo für die Stimmberechtigung an den eidgenössischen Minimalforderungen festgehalten wird, in solche übersiedeln, wo die nach eidgenössischem Recht zuläßigen Beschränkungen fallen gelassen sind, als .geradezu gefährlich und daher für die Westschweiz nicht wohl acceptabel.

Es wird hierauf Vormerk zu Protokoll genommen, daß drei Mitglieder sich für den Antrag des Herrn Wirz, beziehungsweise für den Antrag der Minderheit der nationalrälhlichen Kommission, und zwei, sowie das Präsidium, für die nationalräthliche Fassung ausgesprochen haben.

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3. Frage des Obligatoriums.

Art. 14 des nationalräthlichen Entwurfs lautet in Alinea 6: ,,Es bleibt den Kantonen überlassen, die Stimmabgabe obligatorisch zu erklären, und die Unterlassung derselben mit Buße zu bedrohen.11 Herr Estoppey will, wie es dem Nationalrath beliebte, es dea Kantonen überlassen, die Stimmabgabe obligatorisch zu erklären und das Ausbleiben von der Abstimmung mit Buße zu bedrohen, kann aber nicht zum Obligatorium stimmen ; lieber würde er das betreffende Alinea streichen, in dem Sinne, daß den Kantonen nicht gestattet sei, für ihr Gebiet das Obligatorium einzuführen.

Herr Altwegg stellt den Antrag, es sei die Stimmabgabe obligatorisch zu erklären, und die unentschuldigt Abwesenden seien zu einer Buße zu verfallen. Der Wille des Sehweizervolkes soll in einer Abstimmung über die für die Gesammtheit oft höchst wichtigen Vorlagen seinen wahren Ausdruck finden, und es soll nicht infolge der Gleichgültigkeit einer großem Zahl von Bürgern ein falsches Resultat zu Tage treten dürfen. Mit dem Rechte des Bürgers zur Ausübung des Stimmrechtes soll auch die Pflicht des Bürgers, dasselbe wirklich auszuüben, korrespondiren. Wenn den Kantonen hierin Freiheit belassen würde, so werden einzelne Gebiete einen größern Einfluß ausüben, als ihnen von Redits wegen zukommt.

Herr Fischer will dem Bürger die Freiheit wahren, seine Meinung auszusprechen oder aber nicht Will man Bürger, welche der Minderheit angehören, zwingen, an die Urne zu gehen, obwohl sie von vorneherein wissen, daß ihre Stimmabgabe doch ohne Erfolg ist? Es ist daher angemessener, zu bestimmen, daß die Stimmabgabe nicht unter Androhung einer Buße geboten werden dürfe.

Herr Gavard spricht sich dahin aus: Die Ausübung des Stimmrechts ist allerdings eine Bürgerpflicht, diese hat aber mehr einen moralischen Charakter und soll nicht in einem Gesetz zur Kechtspflicht gemaelit werden. Die Stimmen, welche nur wegen der Bußandrohung abgegeben werden, haben wenig innern Werth.

Es kann ja gar leicht vorkommen, daß Bürger, welche mit dem System der bestehenden Regierung nicht einig gehen, doch mit einer Vorlage derselben grundsätzlich einverstanden sind ; diese wollen aber der Regierung durch Annahme derselben kein Zutrauensvotum aussprechen. Soll man diese Leute zwingen, an der Abstimmung Theil zu nehmen?

Herr Wirz kann zum Obligatorium aus Opportunitätsgriinden nicht stimmen, weil ein Gesetz mit einer solchen Bestimmung nicht

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angenommen und, wenn angenommen, in gewissen Kantonen doch nicht zur Ausführung kommen würde. Herr Wirz ist daher für Streichung des fraglichen Satzes im nationalräthlichen Entwurfe.

Herr Loretan unterstützt den Antrag des Herrn Fischer.

In der Abstimmung spricht sich die Mehrheit, für den Fall, daß den Kantonen diesfalls keine Freiheit eingeräumt werden solle, dahin aus, daß das Obligatorium als unstatthaft erklärt werde gegenüber dem Antrag, dasselbe einzuführen.

In definitiver Abstimmung erklären sich sodann drei Stimmen für das Verbot des Obligatoriums und zwei für den Antrag, es den Kantonen freizustellen, ob sie das Obligatorium in ihrer kantonalen Gesetzgebung aufnehmen wollen. Herr Präsident Altwegg enthält sich der Abstimmung.

4. Abstimmungsverfahren.

Art. 27 lautet nach dem Entwurf des Nationalrathes : ,,Art. 27. Es ist den Kantonen freigestellt, statt des in den Art. 18 bis 24 in Verbindung mit Art. 26 enthaltenen Systems eine andere Art der Stimmgebung in Anwendung zu bringen. Dieselbe muß jedoch sowohl mit Rücksicht auf das Geheimniß, als mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Stimmgabe vollständige Garantie bieten.a Diese Fassung ist -- nach Herrn Gavard -- ein Zugestand niß zu Gunsten des in Genf bisanhin beobachteten Verfahrens. In Genf hat der Bürger beim Bureau seine Identität nachzuweisen, erhält hierauf eine Stimmmarke, und diese hat er dann auf seine Stimmkarte aufzukleben. Dadurch erhält der Stimmzeddel Gültigkeit.

Dieses Verfahren ist sehr einfach und hat sich bis anhin sehr bewährt.

Herr Estoppey bemerkt, daß das System der Stimmcouverts eich im Kanton Waadt sehr bewährt habe; er kann aber der Fassung des Nationalraths beistimmen.

Herr Wirz verlangt, daß das Verfahren einheitlich regulirt werde.

Herr Altwegg könnte hier Konzessionen machen, da das Verfahren immerhin eine untergeordnete Sache sei und es sich hier nicht utn Prinzipien handle. Durch die Aufstellung eines einheitlichen Verfahrens werde dem Gesetze eine Unzahl von Gegnern geschaffen. Wem es mit der Schaffung eines Gesetzes Ernst sei, müsse hier den Kantonen Freiheit gewähren. Wenn man sieh aber für die Freigebung des Verfahrens entschließe, könne man dann füglich

214 die Bestimmungen über das Verfahren mit Slimmcouverts streichen, indem man dann kein Muster- oder Normal verfahren mehr brauche.

Herr Fischer hat gegen Art.. 27 des nationalräthlichen Entwurfes nichts einzuwenden.

In der Abstimmung wird mit drei Stimmen die Beibehaltung des Art. 27 beschlossen, und ebenfalls mit drei Stimmen, daß im Gesetz selbst ein Normalschema aufgestellt werden soll.

5. Frage: Soll in das Gesetz eine Bestimmung aufgenommen werden Über die proportionale Vertretung und über die Wahlkreiseintheilung ?

,Herr Fischer stellt den Antrag, es sei zu Art. 34 des bundesräthlichen Entwurfes, lautend: ,,Art. 34. Als gewählt sind Diejenigen zu betrachten, auf welche sich die a b s o l u t e M e h r h e i t der gültig stimmenden Wähler vereinigt.

Wenn die absolute Mehrheit von Niemand, beziehungsweise nicht, von so vielen Personen erreicht wird, als Wahlen zu treffen sind, so findet vierzehn Tage später ein zweiter, ebenfalls gänzlich freier Wahlgang statt. Im zweiten Wahlgange entscheidet die r e l a t i v e M e h r h e i t . " 1 folgender Zusatz anzunehmen : ,,Die Eintheilung der Wahlkreise erfolgt in der Weise, daß im gleichen Kreise höchstens drei Mitglieder des Nationalrathes zu wählen sind."

Herr Estoppey zieht vor, diese Frage bei Revision des Gesetzes über die Wahlkreiseintheilung zu erörtern. Die Ausführung dieses Grundsatzes werde in der Praxis auf sehr große Schwierigkeiten stoßen, insbesondere müßte beim Zunehmen der Bevölkerungszahl wieder eine andere Kreiseintheilung stattfinden.

Herr Fischer bemerkt, die Ausführung dieser Bestimmung müßte allerdings einem Spezialgesetz, vorbehalten bleiben. Durch die Annahme des Grundsatzes würde aber der Wahlkreisgeometrie einigermaßen entgegengetreten, und bei kleinei-n Wahlkreisen könnten größere Minoritäten eher zu einer Vertretung gelangen.

Diese Ansicht wird auch von Herrn Wirz vertreten.

Gegen den Antrag des Hrn. Fischer sprechen sich die Herren Gavard und Altwegg aus. Diese Frage könne nicht allein, sondern nur im Zusammenhang mit andern Fragen diskutirt werden Es gehe nicht an, daß man einerseits Beibehaltung der Kantonsgrenzen verlange und andererseits für einen Kreis das Maximum von drei

215 Vertretern vorschreiben wolle. Es gebe Kantone mit homogener Bevölkerung, wie Thurgau und Neueuburg, wo kein Grund bestehe, mehr als einen Wahlkreis zu bilden.

Für deu Antrag des Hrn. Fischer sprechen sich drei Mitglieder aus, gegen denselben zwei. Herr Präsident Altwegg erklärt, daß, wenn er Stimmreeht hätte, er letzterer Ansicht beipflichten würde.

Herr Fischer stellt nunmehr den Antrag, hier abzubrechen und morgen über die Eintretensfrage abzustimmen. Herr Estoppey beantragt dagegen, die Kommission möge ihrerseits auf den Entwurf eintreten, und sich je nach dem Ergebniß ihrer Berathung vorbehalten, ob dem Rathe das Eintreten empfohlen werden solle oder nicht.

Herr Wirz schlägt eine Nachmittagssitzung zur Besprechung des weitern Vorgehens vor.

Dieser Antrag wird zum Beschlüsse erhohen.

Nachmittagssitzung um 3*/2 Uhr.

Schluß der Sitzung um 12Va Uhr.

III. Sitzung in

Zürich, den 16. September 1885, 3Va Uhr Nachmittags.

Anwesend die Nämlichen wie gestern.

Das Protokoll der Vormittagssitzung wird genehmigt.

Herr Estoppey nimmt den Antrag, welchen er heute Morgen gestellt, wieder auf.

Herr Altwegg stellt den Gegenantrag, auf eine artikelweise Berathung nicht einzutreten, dem Rathe zu empfehlen, auf die Gesetzes vorläge dermalen nicht einzutreten und dein Bundesrath zu überlassen, den Entwurf nach seinem Ermessen zu gelegener Zeit wieder zu unterbreiten. Von den Verhandlungen der Kommission wäre dem Rathe durch Mittheilung des Protokolles Kenntniß zu geben.

Herr Wirz findet, daß seiner Partei zu wenig Konzessionen gemacht worden seien. Die Einigung der Kommission in der Falliten-

216 frage sei allerdings sehr wichtig. Bezüglich des Stimmrechtsausweises sei er geneigt, die weitere Konzession zu machen, daß im 2. Alinea gesagt werde, der Gemeinderath der neuen Wohngemeinde sei gehalten, auf Verlangen des Betreffenden sieh über allfälliges Vorhandensein von Ausschlußgründen -/.u erkundigen (statt einen Stimmrechtsausweis einzuholen). Jedoch sollte an dem Grundsatz festgehalten werden, daß in Uebereinstimmung mit der Bundesverfassung bei Niedergelassenen, die zum ersten Mal zum Stimmrecht zugelassen werden, der Nachweis der Stimmbereehtigung erforderlich sei.

Dagegen hält er dafür, daß, nachdem von seiner Partei auf ein einheitliches Verfahren verzichtet worden sei, nunmehr derselben bezüglich einer besseren Wahlkreiseintheilung Zusicheruugen ertheilt werden sollten, wie dies wenigstens anfänglich von der nationalräthlichen Kommission auch geschehen sei.

Herr Wirz stimmt daher dem Antrage des Präsidiums bei.

Wenn im Ständerath den Begehren seiner Partei mehr entgegengekommen werde, könne dann die Kommission eine Detailberathun» vornehmen oder es könne der Bundesrath eingeladen werden, auf Grund der erfolgten grundsätzlichen Einigung hin auf eine nächste Session eine neue Vorlage auszuarbeiten.

Herr Fischer ist der Ansicht, man solle sich über die Eintretensfi-age noch nicht aussprecheu, vielmehr dem Rathe das Protokoll über die Verhandlungen vorlegen und seine Weisungen einholen.

Herr Estoppey hält an seinem Antrage auf Eiatreten fest; ihm schließt sich auch Herr Gavard an und macht geltend, die Vertreter der in der Kommission waltenden verschiedenen Stnndpunkte sollten zu einer Verständigung Hand bieten. Die Frage der Wahlkreiseintheilung sei eine politische und gehöre nicht hieher.

Der gegenwärtige Moment sei auch nicht geeignet zur Besprechung .einer solchen Frage. Gegenwärtig seien die Differenzen noch zu bedeutend und aus dem Protokoll der Kommission könne der Bundesrath für die Umgestallung des Projektes doch keine Belehrung schöpfen. Der Ständerath sollte die Lösung selbst versuchen, und -deswegen sollte von der Kommission auf den Entwurf eingetreten werden. Wenn die Käthe dieses Gesetz nicht zu Stande brächten, müßte man in ihre legislatorische Befähigung Zweifel setzen.

Herr Altwegg rechtfertigt den von ihm eingenommenen Standpunkt im Wesentlichen wie folgt:
Wenn man ein Bundesgesetz zu Stande bringen wolle, so müssen die Vertreter der verschiedenen Kantone und Parteien sich .auf einheitliche Vorschriften einigen können, und es müsse dicht jn jedem einzelnen Falle wieder das kantonale Recht vorbehalten

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werden. Es gehe aber aus den in der Kommission vertretenen Ansichten schon zur Genüge hervor, daß derzeit kein Wahl- und Abstimmungsgesetz möglich sei, welches gegenüber dem bisherigen einen wesentlichen Fortschritt bilden würde. Dazu komme noch, daß bei der Verschiedenheit der waltenden Anschauungen und gerade deswegen, weil das Projekt die.Wenigsten befriedigen würde, keine Aussicht vorhanden wäre, daß das Gesetz von den fläthen und vom Volk angenommen würde. Es wäre daher verlorene Arbeit und Zeitverlust, auf den Entwurf einzutreten.

Für den Fall, daß der Antrag des Hrn. Estoppey nicht angenommen werden sollte, beantragt Herr Gavard, dem Ständerath ohne Weiteres Nichteintreten vorzuschlagen.

In der Abstimmung wird mit 3 gegen 2 Stimmen die artikelweise Berathung abgelehnt. Herr Altwegg erklärt zu Protokoll, daß er der Mehrheit beipflichten würde, wenn er Stimmrecht hätte.

Hierauf wird der Antrag des Herrn Gavard gegenüber demjenigen des Herrn Altwegg mit 2 gegen 3 Stimmen verworfen.

Hierauf Anordnung einer Protokollsitzung auf morgen Vormittags J /29 Uhr.

IV. Sitzung in

Zürich, den 17. September, Vormittags x /a9 Uhr.

Anwesend die Nämlichen wie gestern.

Das Protokoll der gestrigen Nachmittagssitzung wird verlesen und genehmigt.

Hierauf erklärt das Präsidium die Sitzung als geschlossen.

Für getreue Wiedergabe der Verhandlungen:

Hans Schatzmann, Stellvertreter des eidgenössischen Kanzlers.

Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. IV.

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Ergebniß der Verhandlungen: Sämmtliche anwesende Mitglieder sind einvers t a n d e n , d a ß e i n Ein t r e t e n des S t ä n d e r a t h e s auf den Gesetzesentwurf betreffend eidgenössische Wahlen und Abstimmungen, welcher vom Nationalrath nach der Detailberathung in der Gesammtabstimmung verworfen worden ist, konstitutionell z u l ä ß i g ist.

Vor der Abstimmung, ob von der Kommission die Detailberathung vorzunehmen und dem Rathe das Eintreten auf den Entwurf zu beantragen sei, findet zum Zweck, zwischen den verschiedenen Ansichten eine Verständigung zu erzielen, eine Besprechung der grundsätzlichen Fragen statt, welche folgendes Resultat aufweist : 1. S t i m m b e r e c h t i g u n g .

Mit der Fassung des Art. 3 des nationalräthlichen Entwurfes, jedoch unter Streichung des zweiten Alineas von litt, c (Antrag des Herrn Wirz), Redaktion und Amendements vorbehalten, erklären sich vier Mitglieder (die Herren Estoppey, Gavard, Loretan und Wirz) einverstanden.

Eine Minderheit (Herr Fischer) wollte am Art. 2 des bisherigen Gesetzes (Regelung der Stimmberechtigung durch die kantonale Gesetzgebung) festhalten.

Eine andere Minderheit (Herr Altwegg) war für einheitliche Regelung im Sinne des Art. 3 des bundesräthlichen Entwurfes, mit Erstreckung der Frist von 5 auf 10 Jahre.

2. Frage des Aus weises ü b e r die S t i m m b e r e c h t i g u n g .

Für die nationalräthliehe Fassung (Art. 4) erklären sich die Herren Altwegg (Präsident), Estoppey und Gavard (3 Mitglieder); für den Antrag der Minderheit der nationalräthlichen Kommission die Herren Fischer, Loretan und Wirz (3 Mitglieder).

3. O b l i g a t o r i u m der S t i m m a b g a b e .

Das Verbot des Obligatoriums verlangen 3 Mitglieder (die Herren Fischer, Loretan und Wirz).

219 2 Mitglieder (die Herren Estoppey und G-avard) wollen den Kantonen gestatten, das Obligatorium vorzusehreiben.

Herr Altwegg will die Stimmgabe für die ganze Schweiz obligatorisch erklären.

4. V e r f a h r e n .

Art. 27 des nationalräthlichen Entwurfes wird mit 3 gegen 2 Stimmen gutgeheißen und mit 3 gegen 2 Stimmen an der Aufstellung eines Normalschemas festgehalten.

5. W a h l k r e i s e i n t h e i l u n g .

Für den Antrag der Minderheit der nationalräthlichen Kommission (Aufnahme eines Artikels in das Gesetz betreffend DreierWahlkreise) stimmen die Herren Fischer, Loretan und Wirz ; für Ablehnung desselben erklären sich die Herren Altwegg, Estoppey und Gavard.

Nach dieser Besprechung über die Hauptfragen des Entwurfes wollen die Herren A l t w e g g , F i s c h e r , L o r e t a n und W i r z a u f d e n E n t w u r f d e r z e i t nicht e i n t r e t e n ; f ü r Eintreten stimmen dagegen die Herren Estoppey und Gavard.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Protokoll der ständeräthlichen Kommission für Begutachtung des Gesetzesentwurfs über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen. (Abänderung des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872.) (Sitzungen in Zürich, vom 15. bis 17. September 1885.)

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1885

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.11.1885

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201-219

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