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Bericht der

ständeräthlichen Kommission, betreffend das Tarifwesen der schweizerischen Eisenbahnen.

(Vom 9. Dezember 1884.)

I.

Allgemeine Betrachtungen über das Tarifwesen.

Der Bericht des Bundesrathes und derjenige der nationalräthlichen Kommission haben das Tarifwesen zum Gegenstande ausführlicher und gelehrter Erörterungen gemacht. Wir unserseits verfügen weder über ein Verwaltungspersonal noch über das statistische Material, welches durch den Vorort des schweizerischen Handels- und Industrievereins gesammelt worden ist. Wir begnügen uns daher, einige Hauptpunkte hervorzuheben und die Frage viel summarischer zu behandeln.

Zur Zeit, da die ersten Eisenbahnen in der Schweiz gebaut wurden, waren es die Kantonsregierungen, welche die Konzessionen ertheilten. Das Auftauchen von Konzessionsbegehren wurde jeweilen mit Genugthuung begrüßt, da Alles Eile hatte, die Vortheile dieses neuen Verkehrsmittels möglichst bald zu genießen.

Dagegen scheint man sich wenig darum bekümmert zu haben, ob die Bedingungen eines Pflichtenheftes die gleichen seien wie in andern derartigen Akten und ob deren Anwendung möglich sein werde; das Wesentliche war, wieder einmal eine Konzession ertheilen zu können.

Hätte man die ia jeder einzelnen Konzession enthaltenen Bedingungen in aller Strenge anwenden wollen, so wäre die Folge

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gewesen, daß an jeder Grenze eines Konzessionsgebietes eine neue Spedition nach den im neuen zu durchlaufenden Gebiete herrschenden Bedingungen hätte vorgenommen werden müssen. Ein solches Verfahren hätte großen Zeitverlust, Havarien und andere Nachtheile mit sich geführt, so daß man, statt ein rasches Verkehrsmittel zu erhalten, lediglich die bisherigen Transportmittel gegen ein zwar mächtigeres Mittel eingetauscht hätte, das jedoch hinsichtlich der Schnelligkeit noch sehr viel hätte zu wünschen lassen.

So mußte sich bald die Ueberzeugung Bahn brechen, daß es geboten sei, hintendrein das durchzuführen, was man von Anbeginn hätte durchführen sollen, nämlich die Vereinheitlichung der Waarenklassiflkation und der Transportbedingungen durch Schaffung eines Normaltypus, welcher in manchen Punkten von den Bedingungen dieser oder jener Konzession abweichen mußte.

Es ist zu bemerken, daß sämmtliche in der Schweiz eingeführten Waarentarifsysteme sich diejenigen unserer Nachbarstaaten Baden, Württemberg und Bayern zum Vorbilde genommen hatten.

Dabei wirkten zweierlei Gründe mit: erstlich wünschten jene Länder, direkte Tarife mit der Schweiz zu besitzen, d. h. solche von ihren Bahnhöfen zu den unserigen, so daß man bestrebt sein mußte, die Verbindung der Tarife nach dieser Seite möglichst zu erleichtern, während auf der andern Seite Frankreich nicht dasselbe Bestreben zeigt, mit uns in direkten Tarifverkehr zu treten. Zweitens begrenzen jene Länder die Schweiz auf einer Strecke von ungefähr 300 km. ; wollten daher die Nordostbahn und die Vereinigten Schweizerbahnen bezüglich des Verkehrs von und nach der Schweiz die Konkurrenz mit den Bahnen jener Länder siegreich bestehen, so waren sie durchaus genöthigt, dasselbe Tarifsystem anzunehmen.

Sehen wir zu, was bezüglich des Tarifwesens in den uns umgebenden Ländern geschieht, so müssen wir bekennen, daß Alles der Vereinheitlichung zuneigt. So wird Frankreich , in welchem gegenwärtig mehrere Waarenklassifikationen und mehrere Tariftafeln gelten, welcher Zustand die Berechnung eines verschiedene französische Bahngebiete durchlaufenden Transportes sehr erschwert, demnächst einer einzigen Waarenklassifikation und einer einheitlichen Tariftafel unterworfen sein. Deutschland, in welchem bis zur Angliederung Elsaß-Lothringens die größte Buntscheckigkeit herrschte,
hat sieh mehr und mehr jenem Systeme genähert, welches von der Direktion der Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen eiugeführl und auf Grund der damit gemachten Erfahrungen verbessert worden ist. Das Gleiche läßt sich sagen von Oesterreieh-Ungarn und Italien. Aber jedes dieser Länder besitzt ein eigenes Tarifsystem, und so hätte denn auch die Schweiz das ihrige haben können;

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denn wenn es sieh darum handelt, mit jedem andern Staate außer Deutschland einen gemeinsamen Tarif zu vereinbaren, so erweist sich das Reformtarifsystem als ungeeignet; man ist genöthigt, entweder das System des Landes anzunehmen, mit dem man in direkten Verkehr treten will, oder einen kombinirten, beziehungsweise gemischten Tarif festzusetzen (so z. B. die direkten Tarife mit Oesterreich-Ungarn durch den Arlberg). oder aber man muß an der Grenze eine Umspedition mit Abrechnung einrichten, wie' dies mil Frankreich und Italien geschieht, wobei jedes Land auf seiner Bahnstrecke seine internen Tarife berechnet.

Dieses Verfahren erleidet indessen Frankreich gegenüber einzelne Ausnahmen. Der Großverkehr z. B. in Getreide, Steinkohlen , roher Baumwolle wird durch gemeinsame Tarife geregelt, in welchen ein direkter Preis vom französischen Abgangsorte bis zur schweizerischen Bestimmungsstation berechnet wird ; eine derartige Vereinbarung erleichtert natürlich die Beziehungen von Land zu Land und liefert der Handelswelt bestimmte Anhaltspunkte, wodurch sie in den Stand gesetzt wird , ihre Geschäfte mit voller Gewißheit über die Preise abzuschließen.

Hätte die Schweiz einen autonomen Tarif gewollt, so hätte sie denjenigen des Herrn Cheronnet, Direktors der West- und Simplonbahngesellschaft, einfuhren können. Derselbe beruhte nicht, wie der Reformtarif, auf der vollständigen Ausnutzung des Raumes und Tonnengehaltes des Transportmaterials, sondern lediglich auf dem Gewichte, und hätte nicht die gleichen finanziellen Folgen nach sich gezogen, wie der Reformtarif. Ein solches Tarifsystem hätte sich denjenigen der umliegenden Länder leicht anschmiegen lassen.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen wollen wir dem gegenwärtigen Stande des Tarifwesens in unserm Lande eine kurze Betrachtung widmen. Aus diesem Labyrinthe heben sich drei Punkte, drei Hauptsysteme heraus, nämlich, in chronologischer Rangordnung, dasjenige von 1863, dasjenige von 1872 und der Reformtarif.

Die Waarenklassifikatkm vom 15. Oktober 1863 unterschied drei Klassen für Stückgüter und drei Klassen für Sendungen in voller Wagenladung.

Am 1. Juni 1872 nahmen die Nordostbahu und die Vereinigten Schweizerbahnen für ihren internen und gemeinsamen Verkehr die Klassifikation der süddeutschen Bahnen an. Dieselbe wurde auf den gleichen Zeitpunkt zwischen Nordostbahn und Vereinigten Schweizerbahnen einerseits, Centralbahn und Westbahnen anderseits in Kraft erklärt.

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Diese Klassifikation unterscheidet: für Stückgüter die Klasse I und II; für Waarengruppirungen im Gesammtgewichte von mindestens 5000 kg. die Klassen A, B und C; für die vollen Wagenladungen von 10,000 kg. die Klassen D und E.

Welches sind nun die Grundsätze des Reformtarifsystems,, welches von Deutschland eingeführt und fast von allen schweizerischen Gesellschaften angenommen worden ist, zuerst aus Nothwendigkeit und später unter dem Drucke des Bundesrathes? Diese Grundsätze lassen sich wie folgt zusammenfassen und in folgenden Sätzen logisch aneinander reihen.

1. Es ist nicht möglich, ein erschöpfendes Verzeichniß der Transportgüter aufzustellen. Je umfangreicher man dasselbe durch ein Eingehen in alle Einzelheiten gestaltet, um so willkürlicher und verworrener wird es, um so mehr gibt seine Verwendung zu Mißverständnissen, zu verschiedenen Auslegungen und zu Ungebilhrlichkeiten Anlaß. Aus diesem Grunde gibt das deutsche Tarifsystem nur über diejenigen Güter ein Verzeichniß, die aus besonderen Gründen einer ausnahmsweisen Taxermäßigung theilhaft zu werden bestimmt sind.

2. Es ist im Interesse der Verkehrsentwicklung wünschbar,, daß bei allen Waaren, ohne Rücksicht auf deren Werth, die Ersparung an Transportkosten Berücksichtigung finde, welche die Eisenbahngesellschaften durch die Massentransporte zu erzielen im Stande sind, bei welchen das in der Taxberechnung auf jeder Gewichtseinheit in Anschlag zu bringende Todtgevvicht (Wagengewicht) auf ein Minimum reduzirt erscheint.

In der That gewährt das Reformtarifsystem für alle Transporte im gewöhnlichen und im Eilgutverkehr, welches auch immer der Werth der verschickten Waare sei, Taxermäßigungen, sofern dieselben Mengen von 5000 kg. beschlagen, und weitere Ermäßigungen, sofern das Gewicht 10,000 kg., die Maximaltragkraft der meisten Waggons, beträgt.

Die beiden Klassen von ganzen Wagenladungen mit 5000, resp.

10,000 kg., alle Waaren beschlagend, welche eine stärkere Taxentlastung nicht zu erheischen scheinen, heißen Klasse A, resp* Klasse B.

3. Die Logik der eben besprochenen Taxermäßigungen für die beiden ganzen Wagenladungsklassen verlangt, daß die 5000 oder 10,000 kg. gleichzeitig aufgegebener "Waaren in einem einzigen Wagen untergebracht werden können. Wenn das innerhalbder gegebenen Maßgrenzen sich bewegende Transportgut ein nie-

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driges spezifisches Gewicht hat und nicht in einem Wagen Plate findet, hat der Versender für die volle Wagenladung von 5000, resp. 10,000 kg. Zahlung zu leisten, sofern er in den Genuß der Taxermäßigung treten will.

4. Der Transport von spezifisch leichten Gütern, die nur einen unbedeutenden Werth haben und deshalb zu hoch tarifirt würden, wenn man auf sie nach Anleitung der in Ziffer 3 gegebenen Prinzipien die Ansätze der allgemeinen Tarifklassen in Anwendung brächte, ist durch die U e b e r r e i h u n g besagter Güter in einen der für die geringwertigen Waaren vorgesehenen Spezialtarife erleichtert worden.

5. Bei den vollen Wagenladungen ist die Hauptaufgabe der Eisenbahn auf den Transport beschränkt, so daß Auf- und Abi ad gegen eine billige Ermäßigung der Expeditionsgebühr dem Versender, resp. dem Empfänger obliegen.

6. Für den Transport voller Wagenladungen zu ausnahmsweis ermäßigten Taxen steht es dem Versender frei, das Gut in offenen Wagen transportiren zu lassen, dasselbe durch eigene oder von der Eisenbahnverwaltung geliehene Blachen zu decken oder endlich eine Zuschlagstaxe für den Transport in gedeckten Wagen zu be-.

zahlen, sofern die Beschafi'enheit der Waare nicht von vorneherein zur Verhütung von Schaden die Beförderung in gedeckten Wagen nothwendig macht. In den beiden ersten Fällen übernimmt er das Risiko allfälliger Beschädigungen oder wenigstens die Pflicht, die Waare gegen Feuersgefahr etc. zu versichern, dagegen erwächst ihm eine merkliche Ersparnis an Taxen.

7. Die Tarifvorschriften stellen eine Klassifikation auf, wonach die Waaren, welche bei Beförderung iu voller Wagenladung eine besondere Taxermäßigung genießen, in drei Klassen eingetheilt sind ; die Tarife umfassen somit neben den zwei Hauptklassen vier Spezialtarifklassen für volle Wagenladungen. Die erste dieser Klassen begreift alle Waaren, welche unter die Klassifikation der Spezialartikel gehören, jedoch in Massen von bloß 5000 kg. per Wageu aufgegeben werden ; die drei andern, mit I, II und III bezeichnet, begreifen die Sendungen von 10,000 kg. per Wagen und jede derselben entspricht je einer Unterabtheilung der Klassifikation. Die Rohstoffe, Abfälle, Brennmaterialien, Düngstoffe, gewisse Ackerbauerzeugnisse u. s. w. sind in Klasse III eingereiht, deren Taxen die Selbstkosten der befördernden Gesellschaft
kaum übersteigen.

Im Tarif II begegnen wir den gewerblichen Erzeugnissen von geringerem Werthe, den geläufigen Eisen- und Stahlwaaren, den behauenen Steinen, dea Glaswaaren, dem Flachs, dem Hanf, dem Bauholze u. s. w. Der Spezialtarif No. I, welcher der höchste ist und

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doch noch bedeutend herabgesetzte Ansätze autweist, umfaßt die Metallerzeugnisse von mittlerem Werthe, die rohe Baumwolle, die rohe Wolle, dio Gerberrinde, Getreide und Mehl, Rohzucker u. s. w.

Das hier gegebene Bild der deutschen Klassifikation, das wir der Eingabe der schweizerischen Bahngesellschaften entnehmen, läßt erkennen, daß diese Klassifikation im Großen und Ganzen von einer richtigen Erkenntniß der wirthschaftliehen Interessen des Landes eingegeben ist.

Der deutsche Reformtarif liât bei seiner Einführung in der Schweiz verschiedene Aenderungen erfahren. So wurde unter anderai eine zweite Stückgutklasse, zu bedeutend herabgesetzten Ansätzen geschaffen. Wir werden auf diesen Punkt zurückkommen.

Anstatt einer Unterabteilung für Ladungen von 5000 kg.

in den Spezialtarifklassen wurde für jede dieser Klassen eine Unterabtheilung mit ermäßigten Taxen eingeführt.

Den Verlad und Ablad der Waaren in den allgemeinen Wagenladungsklassen haben die schweizerischen Bahnen auf ihre eigenen Kosten zu bestreiten.

Ein Theil der Haftbarkeit für Havarien, welcher in Deutschland den Spediteuren auferlegt ist, ist in dei' Schweiz von den Gesellschaften zu tragen.

Im Vergleiche zum Reformtarife weist das 1863er System folgende wesentliche Unterschiede a u f : Das Eilgut hat stets dieselben hohen Taxen zu bezahlen, wenn auch die Waare in voller Wagenladung aufgegeben wird.

Zum Zwecke der Tarifirung der Stückgüter wurde die Waaren · klassiflkation weiter getrieben , als dies mit Bezug auf die für volle Wagenladungen aufgestellten Grundsätze wünschbar erschiene.

Eine große Zahl stark in Betracht fallender Waaren zahlen die volle Stückguttaxe selbst dann , wenn sie als volle Wagenladung aufgegeben werden, so z. B. Baumwolle, Cément, Glas und Glaswaaren, Leder, Maschinen, Oel, Petroleum, Kolonialwaaren, Speck, Wein und «ndere Spirituosen.

In den Fällen, wo für Massen von 5000 kg. Taxermäßigungen eintreten, gewährt das 1863er System keine fernere Ermäßigung für größere Quantitäten.

Es gibt nur drei Stückgutklassen mit ermäßigten Taxen, während die Reformtarife deren acht aufweisen.

Das 1872er Sj'stem, welches für den gesammten Verkehr der Ostsehweiz und den direkten Verkehr der Ostschweiz mit der

35 Central- und Westschweiz au die Stelle des 1863er Systèmes getreten ist, leidet auch an gewissen Mängeln. Es besitzt ebenfalls keine Wagenladungstaxen im Eilgutvevkehr; es bezieht, wie jenes, dieStückguttaxee von einer Anzahl wichtiger Waarenselbst' dann, \venn dieselben in voller Wagenladung aufgegeben werden; es gewährt den übrigen Watiren nur eine einzige Wagenladungsklasse; ' es nimmt nur eine verhältnißmäßig geringe Zahl von Waaren au ermäßigten Wagenladungstaxen auf; endlich enthält es eine veraltete, komplizirte und doch unvollständige Klassifikation. Immerhin steht es dem Reformtarifsysteme schon bedeutend näher.

Laut dem Berichte des Bundesrathes ist der gegenwärtige Stand der Sache in der Schweiz folgender : 1. Nordostbahn und Vereinigte Schweizerbahnen : Interner Verkehr : Klassifikation des Reformtarifs.

Direkter Verkehr: Klassifikation vom 1. Juni 1872.

2. Centralbahn, Jura-Bern-Luzern-Bahn, Emmenthalbahn: Interner und wechselseitiger direkter Verkehr : Klassifikation des Reformtarifs.

Direkter Verkehr mit, den Bahnen der Ostschweiz : Klassifikation von 1872.

Direkter Verkehr mit der Westschweiz- und Simplonbahn : Klassifikation vom 15. Oktober 1863.

3. Westschweizerische Bahn.

Interner Tarif und direkter Tarif mit den Bahnen der Centralschweiz : Klassifikation vom 15. Oktober 1863.

Direkter Verkehr mit den ostschweizerischen Bahnen : Klassifikation vom \. Juni 1872.

IQ ihrer interessanten Studie über die so schwierige Frage der Tarife faßt die Kommission des Nationalrathes die zu lösenden Aufgaben in folgenden Punkten zusammen : 1. Möglichste Einheitlichkeit und Uebersichtlichkeit der Tarife.

2. Möglichste Billigkeit der Tarife.

3. Gleichheit für alle Verkehrsinteressenten.

4. Möglichste Stabilität der Tarife.

5. Möglichst kurze Lieferfristen.

6. Möglichst zweckdienliche Veröffentlichung der Tarife.

Wir glauben, die Aufgabe sei hiemit ganz richtig gestellt worden und stimmen unter dem einzigen Vorbehalt des rechtsstandpunkttes hei.

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Die nationalräthliche Kommission schließt ihren Bericht mit der Erklärung, sie habe aus dem Berichte des Bundesrathes, wie aus ihren eigenen Untersuchungen, die Ueberzeugung geschöpft, daß unsere Tarif Verhältnisse nicht so schlecht sind, als sie oft geschildert werden. Wir schließen uns diesem Urtheile gerne an. Die Verbesserung und Vereinheitlichung des Tarifwesens hat in den letzten 30 Jahren eine große Spanne Weges zurückgelegt. Ohne uns gerade allzu optimistischen Hoffnungen hinzugeben, wollen wir gerne annehmen, daß auch auf diesem Gebiete die Zeit ein Hauptfaktor sein wird.

II.

Die Rechtsfrage und der Beschlußentwnrf.

Die Kommission, welche Sie mit der Prüfung des bundesräthlichen Berichtes über das Eisenbahn-Tarifwesen betraut hatten, ist im vergangenen Monat Oktober zusammengetreten. Drei Mitglieder, welche aus verschiedenen Gründen am Erscheinen verhindert waren, hatten ihre Abwesenheit entschuldigen lassen.

Nach einer vorläufigen Diskussion entschied sich die Kommission mit einer Mehrheit von 3 gegen l Stimme für Eintreten. Das in der Minderheit befindliche Mitglied, Herr Théraulaz, beabsichtigte, vor dem Ständerathe seinen abweichenden Standpunkt zu begründen; er ist jedoch inzwischen in den Nationalrath übergetreten.

Eventuell, d. h. nachdem einmal die Eintretensfrage in bejahendem Sinne gelöst worden war, nahm auch Herr Théraulaz, an den fernem Beschlüssen Theil.

Die Kommission war einstimmig der Ansicht, daß der den Käthen vorzulegende Beschlußentwurf gleichzeitig sowohl den Bericht des Bundesrathes üher die Motion Zschokke und Konsorten, als auch den Bericht über das Eisenbahn-Tarifwesen im Allgemeinen zu berücksichtigen und zu erledigen habe.

Was die von der Motion Zschokke behandelte Frage betriffï, ist die Kommission der Ansicht, daß das Bundesgesetz vom 23. Dezember 1872 über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen das Tarifwesen, soweit der Bund in dieser Materie kompetent ist, dein Bundesrathe unterstellt hat. Ueberall. wo ein Eingreifen der Staatsgewalt vorgesehen ist. mit Ausnahme der Konzessionsertheilungen, nennt das Gesetz den ^Bundesrath" und nicht die ,,Bundesversammlung".

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Es ließe sich die Frage aufwerfen, ob und inwieweit die Regierungen der Kantone, deren Gebiet von einer Bahn durchzogen wird, das ihnen in den Konzessionsakten eingeräumte Recht behalten haben, die Einführung neuer Taxen von ihrer Einwilligung abhängig zu machen. Allein nach dem Wortlaute des Bundesgesetzes von 1872, gegen das die Kantonsvegierungen keine Einsprache erhoben haben, halten wir dafür, daß mit diesem Gesetze die diesl'allsigen Rechte der Kantonsregierungen an den Bundesrath übergegangen sind.

Der Bundesrath ist es, welchem die Oberaufsicht über das Tarifwesen der Eisenbahnen zusteht, und die Bundesversammlung «oll sich keinen Uebergriff in dessen Rechte erlauben.

Wir werden im Verlaufe dieses Berichtes auf die Motion der Herren Zsehokke und Konsorten näher eingehen.

Was das Tarifwesen im Allgemeinen betrifft, so fühlt sich die Kommission gedrungen, einstimmig zu erklären, daß nach ihrem Dafürhalten dasselbe nicht auf dem Gesetzgebungswege geregelt werden darf. Wir betrachten die Eisenbahnkonzessionen als zweiseitige Verträge, halten aber in allen andern Beziehungen daran fest, daß der Staat sich weder seiner Hoheitsrechte entäußern, noch seine Gesetzgebung zum Stillstand verurtheilen konnte, so wenig ein einzelner Mensch vertragsmäßig auf seine Testirfähigkeit oder auf die Ausübung der väterlichen Gewalt verzichten kann.

Die vom Nationalrath beliebte Fassung des Bundesbeschlusses läßt verschiedene "Deutungen zu. Ihre Kommission hat sich, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, angelegen sein lassen, ihren Kechtsstandpunkt deutlich auszusprechen.

Sie stellt, wie bereits erwähnt, als obersten Grundsatz auf, daß.

soweit es sich um das Tarifwesen handelt, die Konzessionen Verträge sind, welche nicht einseitig von der Bundesgewalt aus Gründen des öffentlichen Interesses abgeändert werden dürfen, und daß anderseits, soweit die Bundesgewalt in Ausübung ihres Oberaufsichtsoder Bestätigungsrechtes in die Anwendung und Abänderung der Tarife einzugreifen hat, es der Bundesrath ist, dem die Ausübung dieses Rechtes zukommt.

Will daher die Bundesversammlung sich in dieses Gebiet einmischen, so vermag sie dies nur auf dem Wege der Gesetzgebung, indem sie ein bezügliches Gesetz erläßt.

Der Beschluß dagegen, den wir die Ehre haben, Ihnen zu unterbreiten, ist im Grunde nichts weiter, als ein ausführlicheres Postulat.

Neben der Bezugnahme auf die beiden Berichte des Bundesrathes, beantragt Ihnen die Kommission im Eingange des Beschlusses,

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auch das Eisenbahngesetz von 1872, welches der ganzen Streitfrage zu Grunde liegt, und insbesondere den Art. 35 dieses Gesetzes zu erwähnen, letztern sowohl mit Rücksicht auf das, was nicht darin steht, als auf das, was er enthält. An der Spitze dieses Artikels wird dem Bunde das Recht gewahrt, über das Tarifwesen eine Kontrole auszuüben. Davon aber, daß der Bund selbst diese Tarife bestimme, steht im Artikel nichts.

Die Kommission nimmt ferner auf die bestehenden Konzessionen Bezug, um damit zu betonen, daß dieselben im Tarifweseu maßgebend sind und daß daran nichts geändert werden kann, ohne die beidseitige Zustimmung der Staatsgewalt und der Gesellschaften.

Sie sucht, innert den Schranken des Rechts, den Beschwerden gerecht zu werden, zu welchen die Expeditionsgebühr der Centralbahn Anlaß gegeben hat, und nimmt daher auch, nach dem Vorgange des Nationalrathes, auf diese Beschwerden Bezug.

Anderseits ist die Kommission nicht gewillt, das Inkrafttreten des Reformtarifs zu Sanktioniren, wie dies in Art. l litt, a des nationalräthlichen Beschlusses geschehen ist. Es ist dies nicht Sache der Bundesversammlung. Dieselbe hat einfach die vorhandene Thatsache als einen Versuch zur Herstellung der Tarifeinheit zu konstatiren. Von diesem Standpunkte aus billigt die Kommission den Schritt, zu welchem sich die Gesellschaften auf Veranlaßung des Bundesrathes entschlossen haben, und sie wünscht, es möchte auch die Gesellschaft der schweizerischen Westbahnen und des Simplon diesem Uebereinkommen beitreten.

Zwei Punkte sind indessen hiebei wohl zu beachten. Die Ein. l'ührung des Reformtarifs darf den Eisenbahngesellschaften keine Einbuße verursachen. Sie darf auch nicht den Transitverkehr auf Kosten des internen Verkehrs und der Interessen des Kleinhandels in höherem Maße begünstigen, als dies nach Maßgabe der Konzessionen zuläßig ist. Mit andern Worten, die Expeditionsgebühr darf auf die Maximaltaxen nur dann zugeschlagen werden, wenn die Konzessionen dies gestatten. Sollte die Beobachtung des letztern Satzes für die Gesellschaften eine Einbuße zur Folge haben, so hätten dieselben diesem Uebelstande durch Abänderung ihrer Transittaxen abzuhelfen.

Aus dem weiter oben ausgeführten Programme ergibt sich in der That, daß die Einführung des Reformtarifs praktisch zur Folge gehabt hat, den internationalen Verkehr
zu begünstigen, den direkten Verkehr von einer schweizerischen Gesellschaft zur andern nur unbedeutend zu modifiziren, während dagegen die Transporttaxen innerhalb eines und desselben Bahngebietes erheblich gesteigert worden sind.

39 Mit ihrer dritten Erwägung bezweckt die Kommission , den Gedanken zu betonen , daß die Annahme des Reformtarifs für die Bundesversammlung kein Vorwand sein darf, um sich in revolutionärer Weise eine Verfügungsgewalt über das Tarifwesen anzumaßen , welche ihr nicht zukommt. Ein derartiger Staatsstreich gegen die Gesellschaften wäre dermalen in keiner Weise gerechtfertigt.

Diese Auffassung wird übrigens auch vom Bundesrathe in seinem umfangreichen Berichte vom 23. November 1883 getheilt.

,,Ein einheitliches Tarifwesen a , so heißt es am Schlüsse dieses Berichtes, ,,setzt nicht bloß eine allgemein gültige Waarenklassifikation, sondern auch e i n h e i t l i c h e T a x e n voraus. Um zu dieser Einheit zu gelangen, fehlen den Bundesbehörden alle rechtlichen Mittel " Und etwas weiter unten äußert er sich wie folgt: ,,Eine gesetzliche Aenderung dieses Verhältnisses, welches als der wesentlichste Mißstand bezeichnet werden muß , ist gegenüber den Zusagen, welche der Bund in den Konzessionen gemacht hat, nicht zuläßig, und die völlige Einheit im Tarifwesen erscheint nur auf dem Wege der Uebernahme der Bahnen durch den Bund erreichbar."

Die nationalräthliche^ Köm mission nimmt hier einen weniger festen Standpunkt ein.

Die Eisenbahngesellschaften hatten sich nämlich in ihrer Eingabe folgendermaßen ausgesprochen: ,,Die Bahnen haben das Recht, ihre Tarife innert der von den Konzessionen bestimmten Schranken nach freiem Ermessen zu flxiren, und sie nehmen für dieses Recht die gleiche Anerkennung und den gleichen Schutz wie für jedes andere Privatrecht in Anspruch. tt Auf diese Behauptung antwortet die nationalräthliche Kommission in ihrem Berichte: ,,Wir sehen uns mit Bezug auf das so stark betonte Recht; zu einigen Einwendungen veranlaßt. Der großartige und von Niemandem geahnte Umschwung in den wirthschaftlichen Verhältnissen im Allgemeinen und den Verkehrsverhältnissen im Besondern hat die strikte Aufrechterhaltung der ursprünglichen Bestimmungen der Konzessionen unhaltbar gemacht.

So sind denn auch Modifikationen nach allen möglichen Richtungen ü b e r den Wortlaut der Konzessionen und der Eisenbahngesetzgebung und den starren Pflichten des Bundes h i n a u s nicht nur zu Lasten, sondern auch zu Gunsten der Bahngesellscbaften nothwendig geworden. Auf diesem Boden ist der öffentliche Charakter

40 der Bahnen gegenüber dem privatwirthsohaftlichen mehr und mehr K in den Vordergrund getreten Aus diesen Worten scheint der Gedanke durchzuschimmern, als könnte der Bund nicht sowohl durch einen jener Gewnltstreiche, welche wie eine Sturmfluth die erworbenen Rechte wegfegen, als vielmehr durch die langsam nagende Arbeit der Gesetzgebung die Privatinteressen der Gesellschaften im Gebiete des Tarifwesens dem Outdünken der öffentlichen Verwaltung als der Vertreterin der allgemeinen Interessen unterordnen.

Unsere Absicht ist es nicht, es dahin kommen zu lassen.

Die ständeräthliche Kommission hat darum , wie sie die für das Tarifwesen maßgebenden, die Kompetenz der Bundesgewalt beschränkenden Grundsätze in bestimmterer Weise betont hat, so auch keinen Anstand genommen, das Gebiet der an den Bundesrath zu richtenden Mahnungen zu erweitern.

Sie fordert ihn zum Handeln auf, doch nur ipnert den Schranken seiner Kompetenz. Wir gingen dabei von der Voraussetzung aus, daß eine Exekutivbehörde, an deren Weisungen die Bahngesellschaften ja in andern Beziehungen gebunden sind, außer dem eigentlichen Zwange noch über manche Machtmittel verfügt, mit deren Zuhülfenahme sie auch bezüglich des Tarifwesens das gewünschte Ziel erreichen kann.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen sei es uns gestattet, das Dispositiv unseres Beschlußentwurfes eines Ueberblickes zu würdigen.

Die Fassung des Nationalrathes lautet dahin, es sei der Bericht des Bundesrathes über das Eisenbahntarifwesen genehmigt. Wir halten es nicht für angezeigt, daß die Bundesversammlung eine eigentliche Genehmigung ausspreche. Es genügt, wenn dem Bundesrathe von seinen Berichten und den darin enthaltenen Folgerungen Akt gegeben wird.

Die Lettern a und b des Art. 2 sind im Beschlüsse des Nationalratlies in einen einzigen Absatz zusammengefaßt. Wir hielten dafür, es seien das zwei verschiedene Gedanken , die beide sich besser a-bheben würden, wenn man sie auseinander hielte.

Litt, c unseres Entwurfes ist eine Wiedergabe der litt, b des Nationalrathes, nur haben wir, um deren Sinn besser hervorzuheben, die Worte angefügt: ,,im Interesse des schweizerischen Kleinverkehrstt.

Der Bundesrath führt diesbezüglich auf Seite 16 seines Berichtes aus, daß jene zweite Stückgutklasse mit bedeutend herab-

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gesetzten Taxen im Vergleich zum deutschen Systeme sich als einen nicht zu unterschätzenden Fortschritt darstelle. Sie umfaßt eine Reihe von Artikeln, welche sich im Berichte aufgezählt finden.

Die nationalräthliche Kommission verlangt, daß man in diese Klasse auch den Stampfzucker, Käse, rohe Häute, Bleiweiß und Zinkweißfabrikate, Parqueteriefabrikate, rohe baumwollene Garne und Tücher einreihe. Wir stellen dasselbe Begehren mit Bezug auf andere Waaren , welche für unser Land von großer Bedeutung sind , insbesondere: Wein in Fässern, Alkohol, Oel in Fässern, Essig, Tabakblätter und Tabakcarotten, geräuchertes und gesalzenes Fleisch, Bier in Fässern, Teigwaaren, Kerzen und Seifen.

Litt, d ist die wörtliche Wiedergabe der litt, c des Nationalrathes. Keine Bemerkung.

Mit litt, e berühren wir eine neue Frage sehr heikler Art, die Frage der Differentialtarife. Um die Konkurrenz mit den deutschen Bahnen aufnehmen zu können, haben sich die schweizerischen Eisenbahnen genöthigt gesehen , für den Transittransport gewisser Waaren durch die Schweiz sehr niedrige Taxansätze zu O O gewähren. Es scheint uns natürlich, daß diese Taxermässigungen auch den einheimischen Waaren, welche in's Ausland spedirt werden, zu Gute kommen sollen. Doch haben wir deutlich hervorheben wollen, wie dies auch der Nationalrath gethan hat, daß es sich dabei nur um Waaren von gleicher Art handeln kann, welche, die einen von ausländischer, die andern von inländischer Herkunft, sich auf den Märkten des Auslandes Konkurrenz machen. So z. B.

das Holz, welches, aus Ungarn kommend, durch die Schweiz nach Südfrankreich transitirt Wir finden, daß das Holz, welches aus unserm Land nach demselben Bestimmungslande spedirt wird, auf dem schweizerischen Bahngebiet derselben Reduktion im VerO hältniß der durchlaufenen Bahnkilometer theilhaft werden soll. Es ist uns entgegenhalten worden,, daß,> wenn eine derartige MaßO O O rege! auf irgend welche Weise den Bahngesellschaften aufgedrungen w ü r d e , dieselbe zur Folge hätte, die Bahnen zum Verzicht auf diesen wesentlichen Bestandtheil ihres Transitverkehrs zunöthigen, indem sich die Bahnen lieber zu einem solchen Verzicht entschließen würden , als daß sie sich dazu verstünden , denWaarenn schweizerischer Herkunft die geforderte Gleichheit der Behandlung zu gewähren. Wir sind nicht in der Lage ,
die Gewichtigkeit dieses Einwandes zu ermessen. Möge der Bundesrath, weun er unser Postulat zur Ausführung zu bringen trachtet, untersuchen, inwieweit jener Einwand berechtigt ist. Bisher hatten die Gesellschaften der litt, d des nationalräthlichen Beschlusses die Deutung gegeben , es dürfe die Gesammttaxe, die schweizerische und die ausländische Bundesblatt. 37. Jahrg. Bd. 1.

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42 Fahrstrecke zusammengenommen, bei der Ausfuhr schweizerischer Produkte nicht höher sein, als die Gesammttaxe, ausländische und schweizerische Fahrstrecke zusammengenommen, für fremde Produkte , welche auf dem "Wege nach ihrem Bestimmungsorte durch die Schweiz transitiren. Die von uns vorgeschlagene Fassung geht weiter ; sie gibt dem Gedanken Ausdruck , daß , von dem ausländischen Bahngebiet ganz abgesehen , die kilometrischen Transportkosten auf dem schweizerischen Bahngebiete für fremde und für einheimische Waaren die nämlichen sein sollen. Aber wir wiederholen es, wir bringen damit bloß ein Postulat vor, dessen Durchführbarkeit noch der Untersuchung bedarf.

Litt, f spricht in etwas abweichender Form das Nämliche aus, was litt, e des Nationalrathes.

Litt, g enthält den Keim zu einer wichtigen Besserung, deren Bedeutung von selbst einleuchtet. Das Studium der Eisenbahntarife ist eine höchst verwickelte Sache. Es gibt nur eine beschränkte Zahl von Leuten, welche den Schlüssel dazu völlig besitzen. Das große Publikum ist daher in diesem Punkte der diskretionären Gewalt der Bahngesellschaften überliefert. Es geht aber nicht an, daß letztere aus dieser Unkenntniß Vortheil ziehen, indem sie den Absendern von Waaren höhere Taxen abfordern, als diese zu zahlen gehabt hätten, wenn sie aus eigener Kenntniß der Sache die billigste Transportkombination herausgefunden hätten.

In diesem Punkte halten wir den Bundesrath für kompetent, um es durchzusetzen , daß die Gesellschaften ihr Bahnnetz im wahren Sinne der Konzessionsakte betreiben.

Wir haben der litt, h eine deutlichere Fassung gegeben, ala sie der litt, f des Nationalrathes eigen ist. Es genügt nicht, daß die Tarifabänderungen zeitig veröffentlicht werden ; es muß die gesammte Tarifliteratur dem Publikum thatsächlich zur Einsicht offen stehen. Es ist uns nämlich bekannt, daß das Bahnpersonal in dieser Beziehung nicht immer den wünschbaren guten Willen an den Tag legt.

Litt, i ist die Wiedergabe der litt, g des Nationalrathes.

Litt, k bezweckt die Erledigung der Motion Zschokke und Konsorten. Verweilen wir etwas bei diesem Punkte.

Die genannte Motion ist vom Ständerathe in der Dezembersession 1883 nicht endgültig erledigt worden. Derselbe faßte damals, am 13. Dezember, folgenden Beschluß: ,,Der Bericht des Bundesrathes vom 23. November 1883, betreffend die Motion Zschokke und Konsorten über den

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Reformtarif der Centralbahn, wird an denselben zurückgewiesen, mit der Einladung, bis zur nächsten Session der Bundesversammlung darüber Bericht zu erstatten , ob und eventuell in welcher Weise er den zahlreichen an ihn gelangten Beschwerden, betreffend den Gütertarif der Centralbahngesellschaft, Abhilfe zu verschaffen gedenke."

Der verlangte Bericht wurde dem ' Ständerathe vom ßundesrathe am 27. Mai 1884 erstattet. Der Bundesrath legt in diesem Berichte dar, daß die speziell auf die Centralbahn bezüglichen Beschwerden, nämlich diejenigen der Regierungen von Baselland und von Luzern, vom 7. Februar und vom 20. März 1883, als erledigt zu betrachten seien. Danach bliebe nur noch zu erledigen eine Petition, bedeckt mit 2200 Unterschriften, welche auf die Anregung einer am 3. Juni 1883 in Ölten abgehaltenen Versammlung von Gewerbtreibenden hin in mehreren Kantonen gesammelt worden sind. Diese Petition richtet sich aber nicht bloß gegen die Centralbahn, sondern gegen sämmtliche großen Bahngesellschaften, welche dem Reformtarife beigetreten sind. Sie behandelt die Erhöhung der Stückguttaxen und den dadurch dem Kleinhandel zum Vortheil des Großhandels zugefügten Nachtheil, sowie den Mangel an solchem Rollmaterial, das den Grundlagen entspräche, auf welchen der Reformtarif fußt ; ja es wird darin sogar die Aufhebung jenes Tarifes verlangt. Der Bundesrath erklärt, daß es ihm unmöglich sei, Alles drüber und drunter zu werfen und. von eiijem.Tag auf den andern wieder Alles in Frage zu stellen. Bezüglich der geforderten Ermäßigung der infolge der Annahme des Reformtarifs angewendeten Taxen gelangt der Bundesrat.h zum Schlüsse, daß sich jene Taxerhöhungen nicht anfechten lassen, weder vom Standpunkte der Konzessionen, noch von demjenigen des Eisenbahngesetzes. Der Bundesrath beantragt daher , die Motion Zschokke einstweilen von den Traktanden y.u streichen.

Wir können diese Auffassung nicht vollkommen theilen. Allerdings ist es von Interesse, wie der jüngste Bericht des Bundesrathes sich ausdrückt, zuerst das Ergebniß der Enquête kennen zu lernen, welche im Nationalrathe durch das Postulat des Herrn Cramer-Frey gefordert wurde und mit deren Durchführung der schweizerische Handels- und Industrie verein betraut ist. Indessen enthält die Eingabe , welche die Centralbahn auf die vom Eisenbahndepartement an sie
gerichtete Einladung hin erstattet hat, Behauptungen von solcher Art, daß eine .sofortige Widerlegung derselben geboten erscheint.

Die Direktion der genannten Gesellschaft legt das Bekenntniß ab, sie habe sieh genöthigt gesehen, die Eilgut- und die Stückgut-

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taxen zu erhöhen, um den durch den Reformtarif sich ergebenden Ausfall wett zu machen. Sie gibt zu, daß einzelne Versender dadurch zu Schaden kamen, und setzt dann auseinander, daß im Reformtarife die Taxe in zwei Bestnndtheile auseinander falle: die eigentliche Transporttaxe und die Expeditionsgebühr, welch' letztere die Kosten für Aufgabe, Magazinirung und Ablieferung der Waare in sich begreift. Bezüglich des lettiera Punktes fügt die Direktion bei : ,,Wir halten dafür, daß die Expeditionsgebühren, als die mit der Abfertigung der Güter verbundenen Kosten veprasenti rend, au deii ,,,,in den Konzessionen nicht vorgesehenen Taxen für die den Bahngesellschaften konzessionsgemäß obliegenden Verrichtungen aa zu rechnen sind, welche nach Art. 35, Ziffer 2 des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1872 der Bundesrath zu bewilligen berechtigt ist.11 Diese Auffassungsweise ist unseres Erachtens allzu kategorisch.

Das von uns beantragte Postulat will darum dem Buniesrath eine erneute Prüfung der Frage nahe legen. Unsere Meinung ist, daß, sofern die Konzessionsakte einer Gesellschaft na<-h vcrgängiger Bewilligung der betreffenden Kantonsregierung den Bezug einer solchen Zuschlagstaxe gestattet, der Bundesrath noch heute berechtigt ist, derartige Bewilligungen zu ertheilen. Schweigt dagegen die Konzessionsakte über diesen Punkt, so hat der Bundesrath unmöglich eine Kompetenz erben können, welche die Kantonsregierung selber nicht besaß, und es muß die Konzession in diesem Falle pünktlich beobachtet werden.

Indessen vermag, wir wiederholen es, eine etwaige Meinungsäußerung der Räthe über diesen Punkt keinerlei zwingenden Charakter zu beanspruchen. Es handelt sich da um eine Frage der Auslegung und Rechtsanwendung, worüber ihnen kein Entscheid zusteht.

Es mag in dieser Beziehung der Thatsache Erwähnung gethan werden, daß in einer unter .dem 29. September abhin an uns gerichteten Eingabe der Tarifverein zwar über den Beschluß des Nationalrathes seine Befriedigung ausspricht, »ber in demselben eine Lücke nachweist und die Aufnahme einer Bestimmung verlangt, des Inhalts, die Bahngesellschaften hätten auf die Berechnung einer Expeditionsgebühr zu verzichten, sofern eine solche mit Einschluß der Transporttaxe eine das in den Konzessionsakten vorgesehene Maximum übersteigende Summe ergibt.

Fügen wir jedoch zur Ergänzung hei, daß laut dem jüngsten Berichte des Bundesrathes die Centralbahn, die Jura-Bera-LuzeruBahn, die Emmenthalbahn, die Gotthardbahn und die Vereinigten

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Schweizerbahnen dem eidgenössischen Eisenbahndepartement gegenüber skh dazu verpflichtet haben, die Eilguttaxen von 35 auf 34 Rappen und die Stückguttaxen in gewöhnlicher Fracht von 17 Va auf 17 Rappen per Tonnenkilometer herabzusetzen. Ob diese Neuerung schon in Kraft getreten, ist UDS nicht bekannt.

Es war geboten, diesem von der Motion Zschokke berührten Punkte eine längere Betrachtung zu widmen, nachdem derselbe in Spezialberichten behandelt worden und zahlreiche Diskussionen hervorgerufen hatte.

Ihre Kommission lenkt schließlich Ihre Aufmerksamkeit auf litt, e ihres Entwurfes, welche das Beschwerdewesen betrifft. In diesem Punkte vermag der Bundesrath zweifelsohne seinen Einfluß und nöthigenfalls auch die ihm zustehenden Befugnisse geltend zu machen, um eine bessere Bedienung des Publikums zu erzielen.

Am Schlüsse unserer Berichterstattung angelangt, erübrigt uns nur noch, die verschiedenen Eingaben und Petitionen aufzuzählen, die uns in Sachen des Taiilwesens seit der letzten Session der Räthe zugestellt worden sind.

Außer der bereits erwähnten Petition ,des Tarifvereins vom 29. September 1884 haben wir noch empfangen: 1) Eine kurze Eingabe der Genfer Handels- und Industriegesellschaft; 2) eine ausführlichere Eingabe des Handels- und Industrievereins des Kantons Waadt; 3) eine ebensolche von der Handelskommission von La Chauxde-Fonds.

Diese drei Eingaben behandeln die Tariffrage im Allgemeinen.

4) Eine gedruckte Broschüre, herausgegeben von der Mühle von Bossi iu Lugano, betreffend die Tarife der Gotthardhahn, insbesondere diejenigen für den Mehltransport. In diesem Schriftstücke wird der Gedanke verfochten, daß die internen Taxen nicht höher sein sollen, als die Transittaxen.

5) Ferner hat uns das eidgenössische Eisenbahndepartement dieser Tage eine Petition des Vereins schweizerischer Handelsreisender übermittelt, welche die Eingabe des Tarifvereins in folgenden Punkten unterstützt: a. Ermäßigung der Taxen innert den Grenzen der Konzessionen ;

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b. Aufhebung der Sperrgüterklasse; c. Durchführung einer Waarenklassifikation, welche den Bedürfnissen des schweizerischen Handels besser entspreche.

Ehe wir diese Arbeit schließen, fühlen wir uns gedrungen, die gewissenhaften Studien rühmend anzuerkennen, denen sich das eidgenössische Eisenbahndepartement unterzogen hat, um die von der Motion Zschokke und Konsorten behandelte Spezialfrage der Expeditionsgebühren in's richtige Licht zu stellen.

B e r n , den 9. Dezember 1884.

Namens der ständeräthlichen Kommission, D e r B e r i c h t er s t a 11 e r : Cornaz.

Kote. Die (schon am 10. Oktober 1884 festgesetzten) Anträge folgen in Beilage.

Mitglieder der Kommission: HH. Cornaz.

Birmann.

Clausen.

Hoffmann.

Schaller.

Schmid (Uri).

Zschokke.

Für getreue Uebersetzung : Brüstlein

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!$ e i 1 a g- e.

Beschluß des Nationalraths.

18. Juni 1884.

Anträge der Kommission des S tänder aths.

10. Oktober

1884.

Bundesbeschluß

Bundesbeschluß

betreffend

betreffend

das Tarifwesen das Tarifwesen der schweizerischen Eisenbahnen. der schweizerischen Eisenbahnen.

Die Bundesversammlung Die Bundesversammlung der der S c h w e i z .

E i d g enossenschaft, Schweiz. E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht der Berichte des nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrathes an die Bundesver- Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend das Tarifwesen sammlung vom 23. November 1883 der schweizerischen Eisenbahnen, und 27. Mai 1884 über die Motion vom 23. November 1883, und in Zschokke und Genossen und vom Erledigung der mit Bezug auf den 23. November 1883 über das Tasogenannten Reformtarif eingelangten rifwesen der schweizerischen Eisenbahnen ; Beschwerden, unter Bezugnahme.auf das Bunbesehließt: desgesetz über den Bau und Betrieb Der Bericht des Bundesrathes an der Eisenbahnen vom 23. Dezember die Bundesversammlung; betreffend 1872, insbesondere den Art. 35 o das Tarifwesen der schweizerischen desselben, und auf die bestehenden Eisenbahnen vom 23. November Konzessionen ; 1883 wird in nachstehender Form in Würdigung der Klagen und genehmigt : der durch die Einführung des so-

48 1) Das bei der Mehrzahl der schweizer. Eisenbahngesellschaften eingeführte Reformtarifsystem wird als in Kraft erwachsen betrachtet, der Bundesrath jedoch eingeladen, darauf hinzuwirken, daß:

genannten Reformtarifs veranlaßten Beschwerden ;

in B e t r a c h t : 1) daß es sowohl im öffentlichen Interesse als in demjenigen der Eisenbahnen selbst liegt, a. das Reformtarifsystem unter daß auf dem Wege gemeinZugrundelegung der bei den samer Verständigung ein einübrigen Bahnen angenomheitlicher Tarif für den Transmenen Waarenklassifikation in port der Waaren erzielt thunlichster Bälde auch auf werde ; das Netz der Suisse Occiden2) daß alleschweizerischen Eisentale ausgedehnt und die noch bahnen, mit Ausnahme der aussiehenden direkten Tarife Suisse Occidentale - Simplon, schnellst möglich in's Leben im gemeinsamen Einverständgerufen werden; niss versuchsweise, unter der b. die ll. Stückgutklasse erweitert BezeichnungReformtarif,, beu n d einzelne a l s S p e reits r r g ü t ein e r k Tarifsystemi l a s s i f i z i r t eeingee führt h a b e n , welches eine fizirt werden ; neue Klassifikation der Waaren zur Grundlage hat ; c. für Eilgut nicht mehr die ganze doppelte Expeditions3) daß die Einführung des Regebühr berechnet und überformtarifs unter den gegenhaupt die Expeditionsgebühren wärtigen Verhältnissen für nicht schon bei 30 Kilometer, die Bund es Versammlung keinen sondern erst bei 40 Kilometer Anlaß bietet, auf dem Wege voll bezogen werden ; der Gesetzgebung auf die Frage des Tarifwesens im d. die Taxen für den Export Allgemeinen einzutreten, schweizerischer Erzeugnisse annähernd oder voll den Transbeschließt: porttaxen für diejenigen durch Art. 1. Von den erwähnten Bedie Schweiz transitirenden ausländischen Güter gleich- richten des Bundesrathes und den gestellt werden, mit welchen darin enthaltenen Schlußfolgerungen die einheimische Produktion wird Vormerkung genommen.

auf fremdem Gebiete zu konArt. 2. Der Bundesrath wird kurriren hat ; eingeladen , innert den Grenzen e. eine Verkürzung der Liefer- seiner Kompetenz dahin zu wirken, fristen eintrete; daß: a. das sogenannte Reformsystern f. für zweckmäßigere und naauch bei der Suisse Occimentlich zeitigere Veröffentdentale-Simplon angenommen lichung der Tarife gesorgt werde; werde ; O

'

49 bei Auflieferung von wenigstens 10,000 Kilo" auch dann der bezügliche Tarif zur Berechnung komme, wenn momentan kein entsprechender, einen Minimai-Laderaum von 40 Kubikmeter haltender Wagen zur Hand ist und zu zwei Wagen mit je 5000 Kilo Tragkraft Zuflucht genommen werden muß.

2) Von der Aufstellung neuer gesetzlicher, speziell das Tarifwesen beschlagender Vorschriften -wird zur Zeit abgesehen.

b. die noch ausstehenden direkten Tarife si-hnellst möglich zur Ausführung gebracht werden ; c. im Interesse des schweizerischen Kleinverkehrs die II. Stückgutklasse erweitert und einzelne als Sperrgüter klassiflzirte Gegenstände deklassiflzirt werden ; d. für Eilgut nicht mehr die ganze doppelte Expeditionsgebühr berechnet und überhaupt die Expeditionsgebühren nicht schon bei 30 Kilometer, sondern erst bei 40 Kilom. voll bezogen werden; e. auf dem seh weizerischen Bahnnetz die kilometrischen Taxen, welche auf den fiir das Ausland bestimmten Waaren erhoben werden, in keinem Falle diejenigen für ähnliche konkurrenzirende Erzeugnisse des Auslandes auf ihrem Transit durch die Schweiz überschreiten ; f. eine Verkürzung der gegenwärtig bestehenden Lieferfristen eintrete; g. die Taxen für den Waarentransport stets auf Grundlage der kürzesten und wohlfeilsten Bahnrichtung, und unter Anwendung der günstigsten General- und Spezialtarife berechnet werden , seihst für den Fall, daß der Versender keinerlei hierauf bezügliche Bestimmungen getroffen hätte ; h. jede Abänderung bestellender Tarife, sowie jeder neue Tarif in genügender Weise veröf-

50 fentlicht werde, und daß dieselben auch wirklich den Interessenten gegen billige Entschädigung zur Verfügung stehen ; i. bei Aufgabe von wenigstens 10,000 Kilos auch dann der bezügliche Tarif zur Berechnung komme, wenn momentan kein entsprechender, einen Mimmai-Laderaum von 40m* haltender Wagen zur Hand ist und zu zwei Wagen mit je 5000 Kilos Tragkraft Zuflucht genommen werden muß ; k. im Stückgüterverkehr oder im Güterverkehr keine Taxen bezogen werden, welche mit Einschluß der Expeditionsgebühren die durch die Konzessionen festgesetzten Maximaltaxen überschreiten ; l. im RekLamationswesen der schweizerischen Eisenbahnen eine besser oi'ganisivte und gleichmäßigere Behandlungsweise eingeführt werde.

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# S T #

Bericht des

französischen Berichterstatters der ständeräthlichen Kommission zur Begutachtung einer Petition betreffend die Leichenverbrennung.

(Vorn 17. Dezember 1884.)

Herr Präsident, Herren Räthe !

I.

Mit Denkschrift vom 26. März 1884 wandte sich das InitiativKomite einer zu Chaux-de-Fonds in Bildung begriffeneu Gesellschaft für fakultative Leichenverbrennung mit dem Gesuche an die Bundesversammlung, es möge diese folgende Beschlüsse fassen: 1) Die Leichenverbrennung ist in jeder Beziehung die beste Bestattungsart.

2) Sie wird als schicklich erklärt und darum im Sinn der Bundesverfassung in allen Kantonen und Gemeinden gestattet, die sie einzuführen für gut finden.

., Der "Nationalrath, dem für die Berathung der Angelegenheit die Priorität zustand, wies die Petition mit Schlußnahme vom 27. Juni an den Bundesrath.

Diese Ueberweisung stützte sich im Wesentlichen auf die Erwägung, daß der unter Nr. l hievor wiedergegebene Vorschlag eine rein wissenschaftliche Frage beschlage, mit der die Bundesversammlung sich nicht zu belassen habe, dass dagegen der Beschlußantrag Nr. 2 nach der für die Behandlung derartiger Fragen bisher immer inné-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der ständeräthlichen Kommission, betreffend das Tarifwesen der schweizerischen Eisenbahnen. (Vom 9. Dezember 1884.)

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1885

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1

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02

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10.01.1885

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