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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Soldaten Adolf Grubser, von Wallenstadt (St. Gallen).

(Vom 24. November 1885.)

Tit.

A d o l f G u b s e r , geboren 1859, von Wallenstadt, verheiratet, Soldat des Bataillons 77, Kompagnie III, wurde unterm 28. Oktober 1885 vom Kriegsgericht der VII. Division wegen Veruntreuung, in Anwendung von Art. 150, 152 und 135, lit. a des Bundesgesetzes über die Strafrechtspflege für die eidgenössischen Truppen vom 27. August 1851, verurtheilt: 1) zu 2 Monaten Gefängniß; 2) zu den Kosten gemäß Art. 395.

Der diesem Urtheile zu Grunde liegende Thatbestand ist folgender: Sonntag Abends den 27. September 1885 saß Johann Konrad Signer, geboren 1837, ledig, Korbmacher, von Herisau, in der Wirthschaft zur Eisenbahn in Herisau, trank ein Glas Bier und rauchte aus einer silberbesehlagenen Tabakspfeife. Ein Soldat, welcher in derselben Wirthschaft am gleichen Tische saß, sagte zu Signer, er solle essen und trinken so viel er wolle, er werde Alles bezahlen, er habe einige hundert Franken in der Tasche.

Dabei wünschte der Soldat aus der Tabakspfeife des Signer zu rauchen. Signer leistete diesem Wunsche Folge, und der Soldat nahm die Pfeife zur Hand. Aus der Wirthschaft zur Eisenbahn begab sich Signer etwas später mit dem Soldaten zum Bahnhof und hier machte sich Letzterer in einem unbewachten Momente mit der Tabakspfeife davon. Nun schlug Signer Lärm, veranstaltete eine Suche nach dem Soldaten, und in Folge dessen wurde derselbe noch gleichen Abend auf dem Polizeiposten in Herisau ein-

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gebracht. Es war Adolf Gubser, der Verurtheilte und heutige Petent.

Die Tabakspfeife hat sich bei der Festnahme des Schuldverdäohtigen nicht bei ihm vorgefunden, sondern ist erst 3 Tage später von einer Marktfrau in der Nähe der Eisenbahnstation aufgefunden worden.

In der Voruntersuchung behauptete Gubser fortwährend, er habe die Tabakspfeife dem Signer wieder zurückgegeben, obgleich konstatirt werden konnte, daß er den Versuch gemacht hatte, die Pfeife zu verkaufen. In der Hauptverhandlung hielt Gubser an seiner Behauptung fest, und in Folge dessen mußten Geschworne zur Gerichtsverhandlung beigezogen werden.

Von diesen wurde die Frage: ,,Hat Adolf Gubser, Soldat, III. Kompagnie, Bataillon 77, die ihm anvertraute, dem Johann Konrad Signer zugehörige silberbeschlagene Tabakspfeife im Werth von circa Fr. 15 am 27. September 1885 sich rechtswidrig zugeeignet?" bejahend beantwortet und vom Kriegsgericht hierauf das eingangserwähnte Urtheil gesprochen.

In einem an die hohe Bundesversammlung gerichteten Begnadigungsgesuche vom 28. Oktober 1885 bittet der Verurtheilte um Erlaß der Hälfte der ihm auferlegten Strafe. Er meint, die That sei an und für sich keine schwere, und es müßten verschiedene strafmildernde Momente in Betracht fallen ; ein Schaden sei nicht entstanden, da dem Damnifikaten die Tabakspfeife wieder zurückgestellt worden sei; sein, des Petenten, Unterscheidungsvermögen sei zur Zeit der That durch Trunkenheit getrübt gewesen und von den in Art. 32 des Militärstrafgesetzes angeführten Strafschärfungsgründen sei mit Ausnahme der Leumden keiner vorhanden. Bezüglich der Leumden wird sodann bemerkt, daß zwar allerdings früher eine Bestrafung wegen Mißhandlung stattgefunden habe und ·einige Polizeibußen wegen Nachtlärmen verhängt worden seien, von einem eigentlichen strafrechtlichen ,,Rückfall"- könne aber nicht die Rede sein und dieses Moment nur wenig in Betracht kommen, da der Gemeinderath von Wallenstadt, von den erwähnten, im jugendlichen Alter von circa 17 Jahren begangenen Delikten abgesehen, ein gutes Leumundszeugniß ausgestellt habe. Petent beruft sich überdies hauptsächlich auf seine Familienverhältnisse: Er sei verheiratet, seine Frau befinde sich in gesegneten Umständen, seine Familie sei auf seiner Hände Arbeit angewiesen, so daß eine zweimonatliche Gefängnißstrafe Noth und Elend über dieselbe bringen müßte, zumal der Verlust seiner verhältnißtnäßig guten Stelle die unausweichliche Folge wäre.

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Wir erlauben uns, unsere Ansicht über diese Motivirung des Begnadigungsgesuches wie folgt auszusprechen: Es ist leider nur zu wahr, daß die Strafe nicht immer den Schuldigen allein trifft. Dies ist namentlich der Fall, wenn, wie hier, der Verurtheilte der alleinige Erhalter und Ernährer seiner Familie ist. Aber Begnadigung aus diesem Grunde allein würde als Privilegium für diejenigen erscheinen, die sich doppelt hüten sollten, mit den Strafgesetzen in Konflikt zu geralhen.

Ein Schaden ist allerdings nicht entstanden, weil die Tabakspfeife wieder aufgefunden und dem Damnifikaten zugestellt worden ist. Allein Gubser kann dieses Moment für sich nicht in Anspruch nehmen, da er die Pfeife weggeworfen und für das Wiederfinden derselben nichts gethau hat.

Angetrunken mag Gubser zur Zeit der That gewesen sein^ doch nicht so, daß angenommen werden könnte, seine Willensfreiheit sei dadurch beschränkt gewesen. Dazu kommt, daß für die angebliehe Trunkenheit keine Entschuldigung vorhanden ist und das Gesetz selbstverschuldete Trunkenheit in der Regel nicht als Milderungsgrund gelten läßt.

Wenn von frühern Bestrafungen wegen Mißhandlung und Nachtlärm ganz abgesehen wird, so lautet das Leumundszeugnis des Gemeinderathes Wallenstadt für den Potenten in der That nicht ungünstig. Es darf aber um so mehr angenommen werden, daß das Kriegsgericht allen in Betracht kommenden Milderungsgründen bei der Strafausmessung volle Rechnung getragen habe, als ein Strafminimum für dee vorliegenden Fall gesetzlich nicht bestimmt war.

Aus diesen Gründen und weil Gubser durch sein beharrliches Leugnen eine kostspielige Gerichtsverhandlung provozirt hat, können wir dessen Begnadigungsgesuch nicht empfehlen, sondern müssen Abweisung desselben beantragen.

Wir benutzen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten -Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 24. November 1885.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Schenk» Der Kanzler der Eidgenossenschaft, Bingier,

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Soldaten Adolf Grubser, von Wallenstadt (St. Gallen). (Vom 24.

November 1885.)

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