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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Maßregeln gegen Viehseuchen.

(Vom 12. Juni 1885.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 8. Februar 1872 über Maßregeln gegen Viehseuchen waren wir öfters im Falle, über kantonale Erlasse Beschluß zu fassen, welche wegen Auftretens der Maul- und Klauenseuche die Einfuhr von Rindvieh, Schafen, Ziegen und Schweinen von einem Kanton nach dem andern untersagten.

In Berücksichtigung dieses Umstandes sehen wir uns veranlaßt, Sie auf Artikel 15 des eingangserwähnten Gesetzes aufmerksam zu machen, welcher verordnet: ,,Ohne Bewilligung des Bundesrathes darf keine Erschwerung des Verkehrs zwischen den Kantonen stattfinden.

,,Ausnahmsweise ist eine Kantonsregierung befugt, in Fällen, in welchen die Anordnung sofortiger Schutzmaßregeln durchaus geboten ist, den Verkehr mit Vieh gegen einen angrenzenden Kanton zu beschränken.

,,In einem solchen Falle hat jedoch die betreffende Kantonsregierung dem Bundesrath von der getroffenen Maßregel sofort Kenntniß zu geben, und dieser entscheidet, nach vorgängiger Untersuchung, ob die Verfügung aufzuheben oder zu bestätigen sei."

Aus dem ersten Alinea dieses Artikels geht klar hervor, daß eine Erschwerung des Viehverkehrs zwischen den einzelnen Kantonen ohne Bewilligung des Bundesrathes nicht angeordnet werden kann. Das zweite Alinea, welches als Ausnahme von dieser Regel nur ,,ganz dringende Fälle* vorsieht, soll nur dann zur Anwendung gebracht werden, wenn es sich um eine bösartigere kontagiöse Krankheit handelt, als es die Maul- und Klauenseuche ist.

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Im Fernern glauben wir hier anfuhren zu sollen, daß eine Beschränkung des interkantonalen Viehverkehrs beim Auftreten dieser Seuche überhaupt mit den Ansichten des Bundesrathes nicht im Einklang steht.

Die Sperre, welche gegen einen Kanton nur deßhalb angeordnet wird, weil in demselben die Maul- und Klauenseuche herrscht, muß als hurte Maßregel bezeichnet werden, welche sowohl auf die Handels- als auch auf die allgemeinen Ernährungsverhältnisse höchst nachtheilig einwirkt, so, daß der Schaden, welcher durch dieselbe entsteht, dein durch die Seuche selbst verursachten oftmals gleichkommt. Die Infektionsherde können auf leichte Weise abgeschlossen werden, und es liegen namentlich auch deßhalb keine maßgebenden Gründe vor, zu einer allgemein verbindlichen Maßregel zu greifen, weil nie sämmtliches Groß- und Kleinvieh eines Kantons gleichzeitig an der Seuche erkrankt oder von derselben infizirt ist.

Wir hegen die Ueberzeugung, daß das eidg. Gesetz über Maßnahmen gegen Viehseuchen und die dazu gehörenden zwei Vollziehungsverordnungen genügend strenge Vorschriften aufstellen und den in der Nähe von Seuchenherden wohnenden Viehbesitzern ausreichende Garantien bieten, indem den Kantonen laut Artikel 28 des Gesetzes die Sequestrirung sowohl der verseuchten und der seucheverdächtigen als auch solcher Thiere vorbehalten bleibt, welche sich in deren Nähe befinden. Wenn die kantonalen Behörden die ihnen zu Gebote stehenden Mittel zur Bekämpfung der Ausbreitung ansteckender Thierkrankheiten regelmäßig und rückhaltslos zur Anwendung bringen, so dürfte es denselben künftighin nicht mehr nothwendig erscheinen, gegenüber einem Nachbarkanton das belästigende und vexatorische Verbot der Vieheinfuhr zu verlangen.

Die Maul- und Klauenseuche ist eine sehr ansteckende Krankheit, deren Virus oder Ansteckungsstoff nicht nur durch kranke oder infizirte Thiere übertragen werden kann, sondern auch durch das mit der Wartung derselben betraute oder sogar nur zufällig mit ihnen in Berührung gekommene Personal und durch die in den verseuchten Lokalen befindlichen Werkzeuge und Geräthschaften.

Immerhin haben die gemocht en Erfahrungen dargethan, daß die Ausdehnung dieser Seuche in der Regel durch die Veränderung des Standortes infizirter Thiere erfolgt (kranke, unvollständig geheilte oder angesteckte Thiere). Es handelt sich
somit in erster Linie darum, durch wiederholte und eingehende Untersuchungen die jeweiligen Ansteckungsherde rechtzeitig zu entdecken.

Aus diesem Grunde laden wir Sie ein, sowohl das Groß- wie das Kleinvieh, welches in Ihrem Kanton zu Markte getrieben wird,

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zu jeder Zeit durch einen patentirten Thierarzt untersuchen zu lassen und die krank oder verdächtig befundenen Thiere an Ort und Stelle und unter Vorbehalt der Anwendung der im Art. 26 des Gesetzes vorgesehenen Strafbestimmungen zu sequestriren.

Wenn auch die Maul- und Klauenseuche seit ungefähr vier Jahren in der Schweiz den Charakter einer ständigen Krankheit anzunehmen droht, so sind wir nichts desto weniger davon überzeugt, daß sich dieselbe ausschließlich durch Ansteckung verbreitet; die wenigen Fälle, welche dem Glauben an Selbstentwicklung allenfalls Raum geben könnten, lassen sich rneistentheils entweder auf unvollständige Desinfektion der Lokale, Greräthschaften etc. zurückführen, oder sind durch die Conservirung des Kraukheitsstoffes während einer gewissen Periode entstanden, deren Dauer zwar von der Wissenschaft bis anhin nicht sicher festgestellt worden ist, welche wir aber allen Grund haben, als ziemlich lange anzunehmen.

Diese Erwägungen veranlaßen uns schließlich, Ihnen die Anwendung der im Art. 27 des citirten Gesetzes vorgesehenen Desinfektionsmaßregeln auf das Dringlichste zu empfehlen. Es ist uns nicht unbekannt, daß die Vollziehung derselben in verschiedenen Kantonen sehr zu wünschen übrig läiit, obwohl gerade jene Maßnahmen dazu berufen sind, sowohl dein Viehbesitzer im Einzelnen als der Landwirtschaft im Allgemeinen von größtem Nutzen zu sein; sie allein sind dazu angethan, eine rasche Unterdrückung des Seucheprinzips und der Gefahr künftiger Ansteckungen zu bewirken und durch die Erstickung ihrer Keime eine Krankheit zu verhindern, welche, wenn sie auch nur ausnahmsweise den Tod der betroffenen Thiere herbeiführt, nichts desto weniger die Ursache so beträchtlichen Schadens ist, daß sich derselbe in der Schweiz allein auf Millionen von Franken beziffert.

Wir benutzen diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in den Machtschutz Gottes zu empfehlen.

B e r n , den 12. Juni

1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Maßregeln gegen Viehseuchen. (Vom 12. Juni 1885.)

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20.06.1885

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