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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Eingaben von J. S.-Genußschein-Besitzern.

die

(Vom 16. März 1906.)

Tit.

Durch Beschluß vom 12. Dezember 1905 hat uns der Ständerat eine ,,Eingabe für die Besitzer von Genußscheinen der JuraSimplon - Bahngesellschaft an die Bundesbehörden" vom 3. Dezember 1905, unterzeichnet namens der Association des Porteurs de Bons Jura - Simplon von E. Berlie, A. Achard und 8. Miney in Genf, namens der deutschen Gruppe von Albert Heilmann in Berlin und namens der englischen Gruppe von Deutsch Schlesinger & Co. in London, sowie ,,eine Petition an die hohe Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft in Sachen der Liquidation des Simplon-Subventions-Kontos von Fr. 2,664,000", unterzeichnet von A. Brunner in St. Gallen, zum Bericht und Antrag überwiesen.

Dieser Einladung nachkommend, beehren wir uns, Ihnen folgendes zu unterbreiten : I. Eingabe der Besitzer von Genussscheinen.

1. Die Darstellung der Verhältnisse der Hülfskasse ist unrichtig und scheint auf einer Verwechslung zu beruhen. Die letzte vom Eisenbahndepartement geprüfte und vom Bundesrat im Sinne des

920 Hülfskassengesetzes gutgeheißene Bilanz der Hülfskasse der JuraSimplon-Bahn ist diejenige, die Herr Professor Graf auf Endo 1898 berechnete und die mit einem Defizit von Fr. 315,086 abschloß. Die späteren Berechnungen wurden von der Hülfskassenverwaltung der Generaldirektion der Bundesbahnen angestellt und sind durch Autoritäten des Versicherungsfaches, die Herren Professor Dr. Rebstein und Direktor Dr. Schärtlin in Zürich, als richtig anerkannt worden. Nach diesen Berechnungen betrug das versicherungstechnische Defizit der Hülfskasse der Jura-SimplonBahn auf Ende 1903, also nachdem die vom Rückkaufspreis abgezogenen 4J/2 Millionen in Wertschriften der Hülfskasse zugeteilt worden waren, immer noch Fr. 4,502,245.88. Mithin hätten nicht 4Ya, sondern n e u n M i l l i o n e n in Abzug gebracht werden sollen. Wenn nun auch die Herren Graf und Pareto zu einem günstigeren Resultate gelangt sind, so ist damit nicht bewiesen, ja, nicht einmal wahrscheinlich, daß der Abzug von 41/*! Millionen zu groß war. Im Gegenteil: der Überschuß von Fr. 373,081.62, den das Gutachten Graf-Pareto für sämtliche Hülfskassen der verstaatlichten Bahnen ausrechnet, beruht auf der Voraussetzung, daß die 41/! Millionen in den Aktiven der Kassen bereits enthalten sind. Also wäre auch nach diesem Gutachten auf Ende 1903 ohne die außerordentlichen Einlagen zufolge der Abzüge beim Rückkauf im ganzen ein Defizit vorhanden, so daß die Unrichtigkeit der durch Herrn Professor Graf auf Ende 1898 berechneten Bilanz als von ihm selbst zugestanden betrachtet werden muß.

2. Die bundesgerichtlichen Experten im Rechtsstreit betreffend den E r n e u e r u n g s f o n d s der Gotthardbahn haben die Einlagen für das Jahr 1896 auf Fr. 744,584 berechnet, statt der vom Bundesrate verlangten Fr. 1,145,126. Die Reduktion beträgt also nicht 40%, wie die Petenten behaupten, sondern 35 %. Es wäre aber unrichtig, diese Proportion einfach auf die Jura-Simplon-Bahn zu übertragen. Die Expertise im Gotthardbahnprozeß beruht auf einer Abschätzung der einzelnen Rückkaufsobjekte, ausgeschieden nach den Schienentypen, den Lokomotiv- und Wagenserien etc. Um eine Vergleichung auf Grund des Gutachtens vorzunehmen, müßte somit auch eine Abschätzung der Einzelobjekte der Jura-SimplonBahn vorgenommen und namentlich in Berücksichtigung gezogen werden, daß die
Ansätze des vom Bundesrat aufgestellten Regulativs über den Erneuerungsfonds für die Linien der JuraSimplon-Bahn niedriger sind als für diejenigen der Gotthardbahn.

Dazu kommt, daß von dem gegenüber der Jura-Simplon-Bahn

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berechneten Minderwert bei Berechnung der Rückkaufssumme ein Viertel in Abzug gebracht worden ist. Es kann keine Rede davon sein, daß der Erneuerungsfonds dieser Bahn den Anforderungen des Expertengutachtens entsprochen hätte.

3. Die Verantwortlichkeit für die A m o r t i s a t i o n der Gen u ß s c h e i n e ist res judicata. Wir haben den Ausführungen auf Seite 66 bis 71 des Urteils des Bundesgerichts vorn 8:/15. April nichts beizufügen. Von einer moralischen Verantwortlichkeit kann so wenig gesprochen werden als von einer rechtlichen.

4. Der Vorwurf, die Jura-Simplon-Bahn sei bei den Rückkaufsverhandlungen ungünstiger behandelt worden als die ändern verstaatlichten Bahnen, ist grundlos. Das Gegenteil kann an folgendem Beispiel nachgewiesen werden. In der Botschaft vom 21. November 1903 über den Rückkauf der Jura-Simplon-Bahn wurde deutlich gesagt, daß laut Rückkaufsbotschaft an M i n d e r w e r t wegen Abnützung Fr. 22,407,236 abzuziehen waren, daß aber noch ein Abzug von Fr. 2,350,000 erforderlich sei für dringend notwendige Verbesserung des Oberbaues, weil die Jura-SimplonBahn auf einem erheblichen Teil ihres Netzes die von der Aufsichtsbehörde schon längst verlangte Auswechslung der Schienen von weniger als 36 kg. Gewicht noch nicht vorgenommen hatte.

Hätte man bei der Jura-Simplon-Bahn gerechnet wie bei den ändern Bahnen, so hätte man von den Minderwerten im Betrage von Fr. 22,407,236 ein Viertel abgezogen und zu dem Resultat von Fr. 16,805,427 jene Fr. 2,350,000 wieder addiert, so daß der Totalabzug Fr. 19,155,427 betragen hätte. Statt dessen hat man die Addition zuerst vorgenommen und von der Summe von Fr. 24,757,236 ein Viertel mit rund 6 Millionen abgezogen, so daß ein Totalabzug von Fr. 18,757,236 resultierte, was gegenüber dem Betrage von Fr. 19,155,427 eine Differenz von Fr. 398,191 zu gunsten der Jura-Simplon-Bahn ausmacht.

5. Was die mehr oder weniger versteckten Vorwürfe über die D o p p e l s t e l l u n g des Bundes als Käufers und Hauptaktionärs betrifft, so genügt es, auf folgendes hinzuweisen : Die Liquidationskommission, welche die letzten Verhandlungen über den Rückkauf der Jura-Simplon-Bahn namens der in Liquidation befindlichen Gesellschaft führte, bestand aus neun Mitgliedern. Von diesen war eines der Direktion entnommen und sieben Mitglieder hatten dem Verwaltungsrat
angehört, und zwar drei als Vertreter der Aktionäre, zwei als Vertreter von Kantonen und zwei als Vertreter des Bundes. Daß bei diesem VertretungsVerhältnis der Bund als Großaktionär ungebührlich zur Geltung kam, wird im Ernste

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niemand behaupten wollen. Sodann ist ja bekannt, dass in der Generalversammlung der Aktionäre, welcher der Rückkaufsvertrag unterbreitet wurde, der Vertreter des Bundes sein Stimmrecht nicht ausübte.

II. Petition Brunner.

Soweit eine Widerlegung nicht schon im Abschnitt I hiervor enthalten ist, haben wir den Ausführungen des Petenten folgendes gegenüberzustellen: ^ 1. Der f r e i h ä n d i g e R ü c k k a u f der J u r a - S i m p l o n B a h n beruht, wie schon der Name sagt, auf einer freien Vereinbarung zwischen dem Käufer und der Verkäuferin. Wenn die Parteien dem Kaufvertrag eine neue Basis zu Grunde legen wollten, so hinderten sie die Vorverträge nicht. Die Einsendung im ,,Bund", auf welche sich der Petent beruft, war nichts weniger als offiziös und enthielt viele Unrichtigkeiten. Wir berufen uns auf die Ziffern, welche in unserer Botschaft vom 21. November 1903 über den freihändigen Ankauf der Jura-Simplon-Bahn enthalten waren und bestreiten die Richtigkeit aller widersprechenden Angaben. Von besonderen Reserven für den Simplon war gar keine Rede.

2. Die G r a t i f i k a t i o n e n , welche pro 1902 an das Personal der Centralbahn und der Vereinigten Schweizerbahnen ausgerichtet wurden, mussten auf Rechnung des Bundes getragen werden, weil der Betrieb der beiden Netze seit dem 1. Januar 1901 auf Rechnung des Käufers erfolgte. Das Netz der Jura-Simplon-Bahn ging aber erst mit Wirkung ab 1. Januar 1903 an den Bund über ; infolgedessen waren die Gratifikationen im Betrage von Fr. 311,000, welche der Verwaltungsrat für das Jahr 1902 zugesprochen hatte, von der Verkäuferin zu tragen.

3. Der Vergleich mit der Nordostbahn bezüglich des M i n d e r w e r t e s ist unzutreffend. Für den Bund war gegenüber der Jura-Simplon-Bahn ausschliesslich das gemäss Bundesbeschluss vom 19. Dezember 1889 (E. A. S. X, 214 fif) in die Bilanz aufgenommene Anlagekapital massgebend. Diese von der Bahngesellschaft ausdrücklich angenommene Basis für die finanzielle Situation der fusionierten Unternehmung konnte nicht nachträglich durch den Hinweis auf sehr zweifelhafte Baukostenzusammenstellungen früherer Perioden angefochten werden. Dass die ursprünglichen Baukosten der Linien Lausanne-Freiburg-Singine, Ligne de Jougne, Ligne d'Italie und Bern-Luzeru Fr. 106,973,628 betragen haben, müssen wir bestreiten.

92» 4. Der Jura-Simplon-Bahn einen D r i t t e l der F o n d s v e r m e h r u n g pro 1903 gutzubringen, ging nicht an, weil die ersten vier Monate dieses Jahres über die dem Bunde auffallende Verzinsung (Dividendenzahlung) von 4 Va % und 4 °/o.

hinaus keinen Überschuss ergaben.

5. Ein G u t h a b e n für N a c h t z ü g e bestand nur nach der Meinung der Jura-Simplon-Bahn ; die Forderung war bekanntlich bestritten und es war keineswegs sicher, dass sie vom Richter geschützt worden wäre, wenn es zu einem Urteil hätte kommen müssen. Übrigens wurden dieser Forderung d r e i Posten zur Kompensation gegenübergestellt, nämlich ausser den Defektendes Chexbres-Tunnels die unerledigten Haftpflichtfälle und die beanstandeten Posten in der Baurechnung über den Simplontunnel (Fr. 392,615).

6. Die Darstellung des Potenten ändert nichts an der Tatsache, dass der Jura-Simplon-Bahn über den an die Aktionäre fallenden Betrag des Kaufpreises hinaus Fr. 1,180,000 verblieben, welche in erster Linie für die L i q u i d a t i o n s k o s t e n verwendet werden sollten, und dass gerade mit Rücksicht hierauf der Kaufspreis auf Fr. 104,100,800 angesetzt worden war.

(Vgl. Botschaft vom 21. November 1903, Bundesblatt 1903, V, 58.)

7. Was in der Petition über die S i m p l o n - S u b v e n t i o n gesagt wird, ist total unrichtig. Die nicht ausbezahlte Quote im Betrage von Fr. 2,664,000 stellt nicht einen Gewinn des Bundes dar. Wenn auch die Bundeskasse diesen Betrag nicht mehr verausgabte, so hat ihn dafür die Bundesbahnkasse -- nebst, anderem -- für die Vollendung des Simplontunnels auslegen müssen. Und dass der einbezahlte Teil der Subventionen am Baukapital in Abzug gebracht wurde, entspricht der klaren Vorschrift des Rechnungsgesetzes.

8. Die Verschiedenheit in der W e r t u n g der A n l e i h e n , ist nur scheinbar. Beim Rückkauf der Vereinigten Schweizerbahnen wurde der Abzug für das 4 °/o Anleihen vom Jahre 1865 deshalb auf Fr. 1,757,000 herabgesetzt, weil der Bund die Konversion früher zustande bringen kann, als es der Bahngesellschaft möglich gewesen wäre. Der Jura-Simplon-Bahn war nur für die billigen Anleihen Jougne-Eclépens und Franco-Suisse eineVergütung zu leisten ; dagegen bedurfte es einer solchen nicht für das 3 J/2 % Anleihen von Fr. 140,000,000. Ebensowenig war ein Beitrag an die Beschaffungskosten angezeigt, weil die Bahngesellschaft diese durch die Zinsreduktion selbst wieder eingebracht hatte.

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9. Es ist unrichtig, wenn die Petition die auf Seite 10 aufgeführten Beträge aus den Jahren 1896--1902 als r e i n e Ü b e r s c h ü s s e bezeichnet, weil diese Zahlen nicht Gewinne darstellen, sondern Abschreibungen auf Kursverlusten und Einlagen in die Amortisationsreserve. Die Bahnverwaltung bediente sich also der genannten Beträge, um bereits verfallene oder noch bevorstehende Lasten (Heimfallsrechte, Minderwerte etc.) auszugleichen. Die Behauptung, dass das Netz der Jura-Simplon-Bahn gegen 7 °/o rentiere, kann nicht ernst genommen werden, sonst müssten die ändern verstaatlichten Netze beinahe nichts abwerfen, weil bekanntlich der Überschuss der Bundesbahnen nur ausreicht zur Verzinsung der Obligationen und zur gesetzlichen Amortisation des Anlagekapitals, somit für eine Rendite von ungefähr 4 % !

Der Nachweis, dass der Bund verpflichtet sei, den Inhabern ·der Genussscheine über die Entschädigung, welche sie aus der Liquidation der Jura-Simplon-Bahngesellschaft erhalten, hinaus ·eine Zuwendung zu machen, ist unseres Erachtens weder den Herren Berlie und Mitunterzeichnern, noch Herrn Brunner gelungen. Wir beantragen Ihnen daher, über beide Eingaben zur Tagesordnung zu schreiten.

Genehmigen Sie, Tit., auch bei diesem Anlasse die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung !

B e r n , den 16. März 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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