604

# S T #

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch der wegen Fälschung von Bundesakten und Pfändungsbetrug bestraften Eheleute Rudolf Dietrich, Uhrmacher in Grossaffoltern, Kantons Bern und Rosine Dietrich, geb. "Wölfli, daselbst.

(Vom 9. November 1906.)

Tit.

Durch rechtskräftiges Urteil des korrektionelle Gerichtes von Aarberg vom 15. März 1906 sind die Eheleute DietrichWölfli wegen Fälschung von Bundesakten und Pfändungsbetrug mit je Fr. 50 Geldbusse und 20 Tagen Gefangenschaft bestraft worden. Gegenstand der Anklage bildete die von der Ehefrau im Einverständnis mit dem Ehemann vorgenommene Fälschung des Inhaltes von Postempfangscheinen, durch deren Produktion im Betreibungsverfahren der Ehemann versuchte, Pfändung vorhandenen Vermögens dem Betreibungsbeamten zum Nachteil der Gläubiger zu verheimlichen.

Im gerichtlichen Urteil wird in der Begründung des Strafmasses gegenüber den geständigen Angeklagten bemerkt: ,,Es sei zu berücksichtigen, dass einerseits Dietrich schon einmal wegen Pfändungsbetruges (allerdings nur mit einer Busse) bestraft worden, dass sowohl er als seine Frau ausdrücklich auf die Folgen eines Pfändungsbetruges aufmerksam gemacht worden seien, andererseits dass sie im Wahne befangen waren, es sei

605 ihnen bisher in ihren Prozessen Unrecht geschehen und sie hätten dadurch das Recht erworben, sich so gut wie möglich gegen das vermeintliche Unrecht zu wehren, endlich dass alle Gläubiger, welchen Verlustscheine ausgestellt werden mussten, aus dem nachträglich zum Vorschein gekommenen Geld befriedigt worden seien."

Die Eheleute Dietrich haben die Prozesskosten bezahlt, stellen aber das Gesuch um Erlass der Gefängnisstrafe mit Rücksicht auf schwere Krankheit des Ehemannes und den Umstand, dass die Ehefrau zu dessen Pflege nötig sei. Von dem Arzte Dr. Stähli in Schupfen wird bezeugt, dass er am 14. September 1906 durch eine Untersuchung der Petenten folgendes konstatiert habe: ,,Rudolf Dietrich ist 65 Jahre alt ; es musste demselben schon vor vielen Jahren das rechte Bein oberhalb dem Knie amputiert werden; ausserdem leidet er an einem rechtsseitigen Leistenbruch und arthritischen Deformationen im rechten Hand- und linken Kniegelenk, sowie an chronischem Lungenkatarrh. Dietrich ist vielfach auf die Hülfe seiner Frau angewiesen ; meiner Ansicht nach würde eine länger dauernde Gefangenschaft einen schädlichen Einfluss auf seinen Gesundheitszustand ausüben.

Frau Rosina Dietrich ist 46 Jahre alt; sie leidet zuweilen an nervösen Kopfschmerzen, sonst ist sie gesund und noch ziemlich rüstig; dieselbe kann eine Gcfangenschaftsstrafe ohne Nachteil für ihre Gesundheit absitzen ; hingegen ist zu bedenken, dass sie öfters genötigt ist, ihrem Mann behülflich zu sein, und dass derselbe nicht wohl im stände ist, ohne seine Frau eine Haushaltung zu führen. a Die Direktion der Polizei des Kantons Bern, an welche das Gesuch gerichtet wurde, hat dasselbe an die Bundesbehörden übermittelt, damit diese zuerst entscheiden, ob Grund vorhanden sei, denjenigen Teil der Strafe, welcher sich auf Übertretung des Bundesstrafrechtes bezieht, auf dem Wege der Begnadigung aufzuheben. Das ist aber nicht der Fall. Der Richter hat bei Ausmessung der Strafen in seinem Urteil offenbar alle diejenigen Momente subjektiver und objektiver Natur berücksichtigt, die zu gunsten der Angeklagten in Betracht gezogen werden konnten und welche im Begnadigungsgesuch wiederum vorgebracht werden. Die körperlichen Gebrechen des Ehemannes Dietrich und seine Hülfsbedürftigkeit bilden keinen Grund zur Aufhebung der verdienten Strafen ; sie sind aber geeignet, bei den zuständigen Behörden die Prüfung der Frage anzuregen, ob der Vollzug der Bundesblatt. 58. Jahrg. Bd. V.

39

606

Freiheitsstrafe gegenüber dem Kranken oder gegenüber seiner Ehefrau zeitweise aufgeschoben werden solle (Art. 197 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege und Art. 538 des bernischen Gesetzes über das Strafverfahren).

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: Es sei das Begnadigungsgesuch der Eheleute Dietrich abzuweisen.

Bern, den 9. November 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Rillgier.

-$a-Ocr-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch der wegen Fälschung von Bundesakten und Pfändungsbetrug bestraften Eheleute Rudolf Dietrich, Uhrmacher in Grossaffoltern, Kantons Bern und Rosine Dietrich, geb. Wölfli, daselbst....

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1906

Année Anno Band

5

Volume Volume Heft

46

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

14.11.1906

Date Data Seite

604-606

Page Pagina Ref. No

10 022 153

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.