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Kreisschreiben des

Bundesrates an die bei der internationalen Konferenz für Arbeiterschutz beteiligten Staaten.

(Vom 14. Juni 1906.)

Mit Kreisschreiben vom 26. Juni 1905 unterbreiteten wir den Regierungen derjenigen Staaten, die an der internationalen Konferenz für Arbeiterschutz (Bern im Mai gleichen Jahres) vertreten gewesen waren, die Beschlüsse der Konferenz, indem wir uns dahin äusserten, es erscheine als unerlässlich, dass behufs Umwandlung der Beschlüsse in Verträge eine diplomatische Konferenz stattfinde. Wir erbaten die Mitteilung der Regierungen, ob sie mit diesem Vorgehen einverstanden seien, sowie, bejahendenfalls, ihre Ansicht in bezug auf den Ort und den Zeitpunkt der neuen Konferenz.

Wir sind nunmehr im Falle, Ihnen über das Ergebnis unserer Umfrage Bericht zu erstatten.

1. D e u t s c h l a n d \ 2. Ö s t e r r e i c h > stimmen zu.

3. U n g a r n J 4. B e l g i e n stimmt zu, immerhin ist die königl. Regierung der Ansicht, dass die küpftige Konferenz am Text der Beschlüsse von 1905 einige Verbesserungen anzubringen, sowie verschiedene Punkte, deren Darlegung als zu knapp erscheine, genauer zu umschreiben hätte.

5. D ä n e m a r k stimmt zu.

6. S p a n i e n hat noch nicht endgültig geantwortet.

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7. F r a n k r e i c h stimmt zu.

8. G r o s s b r i t a n n i e n stimmt dem Vorschlage betreffend das Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen zu, unter den Bedingungen: a. dass sich alle Länder, deren Konkurrenz in den durch die Übereinkommen berührten Industrien als eine ernstliche erscheine, beteiligen, und dass für die an der Konferenz nicht vertretenen Staaten mit sich entwickelnden besondern Industrien die Möglichkeit des spätem Beitritts in Betracht gezogen werde; b. dass seitens der Vertragsstaaten für die strenge Durchführung der in den Übereinkommen enthaltenen Einschränkungen hinreichende Gewähr geboten werde; und dass die Fragen in Erwägung gezogen werden: a. ob nicht für die Dauer der Übereinkommen eine Grenze festzusetzen sei (die königl. Regierung behält sich vor, diese Frage in der Konferenz aufzuwerfen); b. ob es nicht wünschbar wäre, ein Gericht oder eine Kommission einzusetzen, wohin man sich wenden könnte, wenn behauptet würde, dass eine Regierung die angenommenen Vorschriften nicht anwende, oder wenn eine Abänderung der letztern zufolge neuer chemischer oder mechanischer Erfindungen in Vorschlag gebracht würde.

Die königl. Regierung bezeichnet es ferner als wünschbar, dass in der Konferenz die Bedingungen berührt werden, unter denen fernere Konferenzen stattfinden und Vereinbarungen getroffen werden könnten, und sie ist der Ansicht, dass künftig die einer Konferenz vorangehenden Enqueten nicht von einer privaten Vereinigung, sondern von amtlichen Organen der beteiligten Regierungen unternommen werden sollten.

Was das Verbot der Verwendung von weissem Phosphor in der Zündholzindustrie betrifft, so ist die königl. Regierung noch nicht in der Lage, eine Antwort zu erteilen.

9. I t a l i e n } i stimmen zu.

10. L u x e m b u r g j 11. N o r w e g e n würdigt zwar den sympathischen Zweck der Konferenz, hält es aber nicht für opportun, sich zu beteiligen, indem dieser Staat die zu vereinbarenden Verpflichtungen einstweilen nicht vollständig eingehen könnte.

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12. Die N i e d e r l a n d e stimmen zu.

13. P o r t u g a l stimmt dem Vorschlage betreffend das Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen zu, und hat sich hinsi'chtlich der Phosphorfrage noch nicht entschieden.

14. S c h w e d e n stimmt dem Vorschlage betreffend das Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen zu, immerhin wäre, angesichts der zufolge des Übereinkommens bedingten Änderungen in der Gesetzgebung, ^die in Art. 5 der ,,Grundzüge"1 für die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden vorgesehene Frist (31. Dezember 1907) für Schweden eine zu kurz bemessene.

In bezug auf die Verwendung des weissen Phosphors in der Zündholzindustrie habe die Erfahrung in Schweden gezeigt, dass die mit jener verbundenen Gefahren wirksam bekämpft werden können, ohne den Gebrauch des genannten Stoffes zu verbieten. Die königl. Regierung glaubt daher, dem in Aussicht genommenen Übereinkommen nicht beitreten zu sollen.

15. Die S c h w e i z ist bereit, sich am Vertragsabschlüsse zu beteiligen.

Die Zusammenfassung der Antworten ergibt: a. in der Frage betreffend die Nachtarbeit 13 Zustimmungen, l Ablehnung, 1 ausstehenden Entscheid, 6. in der Frage betreffend den Phosphor 10 Zustimmungen, 2 Ablehnungen, 3 ausstehende Entscheide.

Wir dürfen dieses Resultat als ein sehr erfreuliches bezeichnen, denn es gibt sich in ihm der feste Wille seitens einer bedeutenden Zahl von Staaten kund, eine internationale Verständigung über Fragen des Arbeiterschutzes zu treffen. Ist der Grundstein gelegt, so kann ein segensreicher Ausbau des internationalen und damit auch des nationalen Arbeiterschutzes erwartet werden.

Der Festsetzung eines internationalen Übereinkommens über das V e r b o t der i n d u s t r i e l l e n N a c h t a r b e i t der Fr au en steht nichts im Wege. Es erschien uns als im Interesse der Sache liegend, den Entwurf zu einem solchen aufzustellen. Wir beehren uns, Ihnen denselben hiemit zu übermitteln, in der Meinung, dass er ein unverbindliches Programm für die Beratungen der

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diplomatischen Konferenz bilde. Hierbei haben wir uns, auch in der Redaktion, im wesentlichen an die Beschlüsse der Berner Konferenz von 1905 gehalten, es der diplomatischen Konferenz überlassend, allfällige Änderungen vorzunehmen. Die genannten Beschlüsse sind von uns durch diejenigen Bestimmungen ergänzt worden, die den formellen Bestandteil des Vertrages bilden müssen. Über die beachtenswerten Vorschläge der Regierung Grossbritanniens wird die Konferenz ebenfalls zu entscheiden haben. Es sei hier noch beigefügt, dass die japanische Regierung über eine Beteiligung am Übereinkommen betreffend die Frauennachtarbeit eine Antwort noch nicht geben kann, da die betreffende Untersuchung noch nicht abgeschlossen sei.

Weniger günstig liegt die Sache in Bezug auf das V e r b o t d e r V e r w e n d u n g v o n w e i s s e m (gelbem) P h o s p h o r in der Z ü n d h o l z i n d u s t r i e . Gemäss Art. 4 der ,,Grundzüget' wird für das Inkrafttreten des Übereinkommens vorausgesetzt, dass die an der Berner Konferenz beteiligt gewesenen Staaten und ausserdem noch Japan beitreten. Von den erstgenannten Staaten würden aber, wie aus unserer Zusammenstellung der Antworten ersichtlich ist, einzelne am Abschlüsse eines Übereinkommens sich nicht beteiligen. Sodann befindet sich im gleichen Falle Japan. .Die Regierung dieses Staates teilt nämlich mit, dass sie zwar die Wichtigkeit der Frage vom sanitarischen Standpunkte aus anerkenne, aber einstweilen eine endgültige Entschliessung zu ihrem Bedauern nicht treffen, und daher dem Beschlüsse der Konferenz (von 1905) nicht beitreten könne.

Ob angesichts dieser Umstände der Abschluss eines Übereinkommens in der Phosphorfrage im Rahmen einer kleinern Gruppierung von Staaten vorzunehmen, oder ganz zu unterlassen sei, werden die Regierungen der beteiligten Staaten zu entscheiden haben. Wir glauben, nicht berechtigt zu sein, die genannte Frage vom Programm der diplomatischen Konferenz abzusetzen, und nehmen an, dass das weitere sich aus den Instruktionen der Bevollmächtigten ergeben werde. Dagegen halten wir die Aufstellung eines Vertragsentwurfes in dieser Angelegenheit durch uns nicht für tunlich.

Was Zeit und Ort der diplomatischen Konferenz betrifft, so hat ein Teil der Regierungen auf Vorschläge verzichtet, ein anderer die Festsetzung uns überlassen oder als Ort Bern genannt. Unter diesen Umständen gestatten wir uns, den Beginn der internationalen diplomatischen Konferenz für Arbeiterschutz

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·anzusetzen auf Montag den 17. September 1906, nachmittags 3 Uhr, und als Versammlungsort Bern (Ständeratssaal des Bundeshauses) zu bezeichnen.

Als Gegenstände der Verhandlungen der Konferenz schlagen wir vor: 1. Eröffnung durch den Vorsteher des eidgenössischen Industriedepartements, Herrn Bundesrat Deucher.j 2. Namensaufruf und Entgegennahme der Vollmachten.

3. Festsetzung des Geschäftsreglements.

4. Wahl'des Bureaus.

5. Festsetzung eines internationalen Übereinkommens betreffend das Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen.

6. Eventuell Festsetzung eines internationalen Übereinkommens betreffend das Verbot der Verwendung von weissem (gelbem) Phosphor in der Zündholzindustrie.

7. Unterzeichnung der vereinbarten Texte, mit Inbegriff eventueller Schlussprotokolle.

Wir laden Sie höflich ein, Ihre Bevollmächtigten zur Konferenz ernennen und uns deren Namen spätestens bis Ende Juli mitteilen zu wollen.

Dieses Kreisschreiben wird den Regierungen der folgenden Staaten zugestellt: Deutschland, Österreich, Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Grossbritannien, Japan, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Schweden.

B e r n , den 14. Juni 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

l Beilage.

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(Entwurf.)

Internationales Übereinkommen betreffend

das Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen.

(Aufzählung der Vertragsparteien.)

in der Absicht, den Arbeiterschutz durch Vereinbarung gewisser einheitlicher Bestimmungen zu fördern, haben als ihre Bevollmächtigten ernannt : (Folgen die Namen.)

die nach Vorweisung ihrer in guter und gehöriger Form befundener Vollmachten folgende Bestimmungeii vereinbart haben : Artikel 1.

Die industrielle Nachtarbeit der Frauen soll ohne Unterschied des Alters, unter Vorbehalt der folgenden Ausnahmen, verboten sein.

Das Übereinkommen erstreckt sich auf alle industriellen Unternehmungen, in denen mehr als zehn Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt sind. Es findet keine Anwendung auf Anlagen, in denen nur Familienglieder tätig sind.

Jeder der vertragschliessenden Staaten hat den Begriff der industriellen Unternehmungen festzustellen. Unter allen Umständen sind aber hierzu zu rechnen die Bergwerke und Steinbrüche, sowie die Bearbeitung und die Verarbeitung von Ge-

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genständen ; dabei sind die Grenzen zwischen Industrie einerseits, Handel und Landwirtschaft anderseits durch die Gesetzgebung jedes Staates zu bestimmen.

Artikel 2.

Die im vorhergehenden Artikel vorgesehene Nachtruhe hat eine Dauer von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden.

In diesen elf Stunden soll in allen Staaten der Zeitraum von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens i,nbegriffen sein.

In denjenigen Staaten jedoch, in denen die Nachtarbeit der erwachsenen industriellen Arbeiterinnen gegenwärtig nicht geregelt ist, darf die Dauer der ununterbrochenen Nachtruhe während einer Übergangsfrist von höchstens drei Jahren auf zehn Stunden beschränkt werden.

Artikel 3.

Das Verbot der Nachtarbeit kann ausser Kraft treten : 1. im Falle einer nicht vorherzusehenden, sich nicht periodisch wiederholenden Betriebsunterbrechung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist ; 2. für die Verarbeitung leicht verderblicher Gegenstände, zur Verhütung eines sonst unvermeidlichen Verlustes an Rohmaterial.

Artikel 4.

In den dem Einflüsse der Jahreszeit unterworfenen Industrien (Saisonindustrien), sowie unter aussergewöhnlichen Verhältnissen in allen Betrieben, kann die Dauer der ununterbrochenen Nachtruhe an sechzig Tagen im Jahre bis auf zehn Stunden beschränkt werden.

Artikel 5.

(Stellung der überseeischen Provinzen, Kolonien und auswärtigen Besitzungen.)

Artikel 6.

Das Übereinkommen ist zu ratifizieren und die Ratifikationsurkunden sollen spätestens am beim schweizerischen Bundesrat hinterlegt werden.

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Über die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden ist ein Protokoll aufzunehmen, wovon eine beglaubigte Abschrift allen.« Vertragsstaaten auf diplomatischem Wege mitgeteilt wird.

Das Übereinkommen tritt drei Jahre nach dem Schluss des ninterlegungsprotokolls in Kraft.

Die Frist für das Inkrafttreten beträgt zehn Jahre : 1. für die Fabriken, die Rohzucker aus Rüben herstellen, 2. für die Schafwollkämmerei und -Spinnerei, 3. für die Arbeiten über Tag in Bergwerken, sofern diese Arbeiten für die Dauer von mindestens vier Monaten im Jahre infolge von klimatischen Verhältnissen eingestellt werden müssen.

Artikel 7.

Die am Übereinkommen nicht beteiligten Staaten können ihm beitreten. Zu diesem Zwecke haben sie ihren Beitritt und den Beginn seiner Wirksamkeit durch eine schriftliche Erklärung dem schweizerischen Bundesrat mitzuteilen, der allen ändern Vertragsstaaten davon Kenntnis gibt.

Artikel 8.

Das Übereinkommen kann jederzeit gekündigt werden. Die Kündigung wird erst ein Jahr nach der schriftlich an den schweizerischen Bundesrat erfolgten und von diesem sofort an alle ändern Vertragsstaaten vermittelten Mitteilung wirksam.

Die Wirkungen der Kündigung bleiben auf denjenigen Staat beschränkt, von dem sie ausgegangen ist.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten das vorliegende Übereinkommen unterzeichnet.

"o Ausgefertigt in B e r n , den in einem einzigen Exemplar, das im schweizerischen Bundesarchiv hinterlegt bleibt und wovon beglaubigte Abschriften den Vertragsstaaten auf diplomatischem Wege zugestellt werden sollen.

(Folgen die Unterschriften der Bevollmächtigten.)

--ÈT-0-OEÎ

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Kreisschreiben des Bundesrates an die bei der internationalen Konferenz für Arbeiterschutz beteiligten Staaten. (Vom 14. Juni 1906.)

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1906

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27.06.1906

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