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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung bestraften Johannes Nötzli, Bohrer in Dietikon, Kanton Zürich.

(Vom 28. Mai 1906.)

Tit.

Nötzli war im Sommer des Jahres 1905 als Reserve-Wagenführer angestellt bei der Limmattal-Strassenbahn und bediente als solcher am Abend des 13. August einen von Schlieren nach Engstringen-Weiningen fahrenden Kurswagen. Auf offener Streke kam ihm dabei ein eingeschalteter Supplementwagen entgegen, der seinerseits rechtzeitig angehalten wurde, den aber der mit 20--25 Kilometer Schnelligkeit fahrende Nötzli erst auf eine Distanz von wenigen Metern bemerkte. Er versuchte, durch Anwendung der elektrischen Bremse einen Zusammenstoss noch zu vermeiden, aber vergeblich; die beiden Wagen kollidierten und dadurch in Verbindung mit dem heftigen Choc, den die Bremsung verursachte, wurde nicht nur ein Schaden von Fr. 274 am Rollmaterial herbeigeführt, sondern auch die körperliche Verletzung von zwei Insassen des von Nötzli geführten Wagens, mit Arbeitsunfähigkeit von l Monat resp. 2--4 Wochen.

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Das Bezirksgericht Zurich erklärte erstinstanzlich den Nötzli der fahrlässigen Gefährdung des Tramverkehres schuldig unter Verhängung von einer Strafe von acht Tagen Gefängnis. Dabei wurden die Kosten mit einer Staatsgebühr von Fr. 25 dem Verurteilten aufgelegt und er verpflichtet, der Strassenbahngesellschaft den Materialschaden zu vergüten. Nach erfolgter Appellation bestätigte das Zürcher Obergericht das Erkenntnis hinsichtlich der Schuldfrage, ermässigte aber die Freiheitsstrafe auf 4 Tage mit Zusatz einer Geldbusse von Fr. 40. Der Ersatzanspruch der Bahngesellschaft wurde definitiv gutgeheissen und Nötzli zu den zweitinstanzlichen Kosten verurteilt.

Die Gerichte gelangten übereinstimmend zu dem Schlüsse, dass Nötzli als Tramführer der vor ihm liegenden Fahrbahn nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und dadurch den Zusammenstoss der beiden Wagen mit den weitern Folgen in fahrlässiger Weise verschuldet habe. Beide Instanzen qualifizieren den Fall nicht als einen leichten, bei dem nach Gesetz blosse Geldbusse angewendet werden könnte, das Obergericht begründet die Herabsetzung der Gefängnisstrafe mit dem Satze, dass dadurch jedenfalls dem Hauptzweck der Strafe, der Besserung des Angeklagten, kein Abbruch getan werde.

Nötzli ersucht um gänzlichen Erlass der Gefängnisstrafe durch Begnadigung. Er macht geltend, dass unterlassen worden sei, ihm von der Einlegung des Supplementswagens vorschriftsgemäss Kenntnis zu geben und dass die blendende Abendsonne ihn verhindert habe, den entgegenkommenden Wagen rechtzeitig zu bemerken, um so mehr, da er sein Augenmerk auf die sehr zahlreichen, auf der Strasse sich bewegenden Fussgänger habe richten müssen. Es könne ihm deshalb der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens nicht mit Recht gemacht werden. Durch amtliche und private Zeugnisse weist er sich über bisherigen guten Leumund und befriedigende Arbeitsleistungen aus, die obergerichtlichen Kosten hat er nach vorgelegter Quittung bezahlt.

Die kompetenten Gerichte haben mit zutreiFender Begründung festgestellt, dass Nötzli durch Fahrlässigkeit den eingetretenen Unfall verschuldet hat. Da bedeutende Verletzung von zwei Menschen erfolgte, so musste der Fehlbare nach dem Bundesgesetz vom 5. Juni 1902 mit Gefängnis, verbunden mit Geldbusse, bestraft werden, und die Höhe der Strafe ist von den Gerichten mit so
eingehender Berücksichtigung aller Begleitumstände festgesetzt worden, dass eine Milderung des zweitinstanzlichen Spruches durch Begnadigung nicht zulässig erscheint.

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Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: Es sei- das Begnadigungsgesuch des Johannes Nötzli abzuweisen.

B e r n , den 28. Mai 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung bestraften Johannes Nötzli, Bohrer in Dietikon, Kanton Zürich. (Vom 28. Mai 1906.)

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1906

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30.05.1906

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