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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung bestraften Kaspar Rytz, Weichenwärters auf dem Brünig bei Meiringen.

(Vom 25. September 1906.)

Tit.

Am 15. September 1905 entgleiste auf Station Brünig beim Manövrieren der mit einer Maschine zusammengekuppelte Fourgon eines Supplementzuges mit beiden Achsen. Das Zugspersonal wurde nicht verletzt, dagegen entstand an Material ein Schaden von Fr. 140.

Schuld an diesem Vorfall war Weichenwärter Rytz, der aus Unvorsichtigkeit die vom manövrierenden Zug befahrene Weiche umlegte, bevor die Komposition sie vollständig passiert hatte.

Der Polizeirichter von Meiringen verurteilte den Rytz, der seine Verantwortlichkeit nicht bestritt, wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung zu 2 Tagen Gefängnis und zu Fr. 10 Geldbusse, im Falle der Unerhältlichkeit umgewandelt in weitere 2 Tage Gefängnis, ferner zur Tragung der auf Fr. 11. 30 berechneten Staatskosten. Auf erfolgte Appellation bestätigte die Polizeikammer des Kantons Bern die Schuldigerklärung unter Abänderung der Strafe in l Tag Gefängnis und Verurteilung des Rytz zur Bezahlung der Hälfte der auf Fr. 25 angesetzten zweitinstanzlichen

653 Kosten. Sie stellte fest, dass dem Angeklagten eine strafbare Fahrlässigkeit zur Last falle und fand die Verhängung einer, wenn auch geringen Gefängnisstrafe dem Gesetze entsprechend, weil ein erheblicher Sehaden verursacht worden sei.

Rytz ersucht um Erlass der Gefängnisstrafe und der Kosten durch Begnadigung, indem er geltend macht, dass ihm lediglich ein im Drange der Dienstgeschäfte vorgekommenes Versehen zur Last falle, dessen Folgen keine schweren gewesen seien und auch nicht hätten sein können, weil der Unfall nicht einen Eisenbahnzug im gewöhnlichen Sinne, sondern nur das Manövrieren einer kleinen Komposition betraf. Er verweist darauf, dass er während langer Dienstzeit noch nie straffällig geworden sei und dass schon die Bezahlung der Kosten für ihn als vermögenslosen Familienvater eine harte Sühne wäre, während das Absitzen der Gefängnisstrafe eine öffentliche Schande bedeuten würde. Der Vorstand der Station Brünig als Vorgesetzter des Rytz empfiehlt dessen Gesuch warm mit dem Beifügen: Die verfrühte Umstellung der Weiche sei dem Weichenwärter, einem gewissenhaften und vollkommen nüchternen Manne, unbedingt nicht aus Gleichgültigkeit passiert, sondern aus seinem guten Willem uûd Eifer, das Manöver schnellstens abzuwickeln.

Die Polizei kam mer des Kantons Bern bemerkt in der Vernehmlassung zu dem Begnadigungsgesuch, sie könne mit Rücksicht auf die Dehnbarkeit des Begriffes ,,erheblicher Schaden", dessen Anwendbarkeit im vorliegenden Fall als zweifelhaft erscheinen könne und den gei'ingen Grad der Fahrlässigkeit des Täters, anerkennen, dass für Begnadigung des letztern wohl Gründe vorliegen.

Die Bundesversammlung hat in wiederholten Entscheidungen daran festgehalten, dass auf Gesuche um Kostenerlass im Wege der Begnadigung nicht eingetreten werden könne. Es fragt sich daher nur, ob Grund vorhanden sei, dem Potenten die Gefängnisstrafe zu schenken. Dafür spricht der Umstand, dass der Bundesbeschluss betreffend Abänderung des Art. 67 des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853, welcher am 5. Juni 1902 aus den Beratungen der Bundesversammlung hervorging, eben dem Bestreben entsprang, dem Richter die Möglichkeit zu geben, fahrlässige Eisenbahngefährdungen dann mit blosser Geldbusse zu ahnden, wenn sie sieh in subjektiver und in objektiver Beziehung als Fälle leichterer Art darstellen. Die
bernische Polizeikammer hat nun mit allem Recht angenommen, es handle sich bei Rytz um eine leichte Fahrlässigkeit, aber auch der eingetretene Materialschaden von Fi:. 140 ist nicht ein erheblicher mit Rücksicht auf die grossen Werte, die den Gegenstand des Eisenbahnverkehrs

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bilden. Es entspricht den Intentionen der neueren Gesetzgebung, wenn möglichst vermieden wird, dass unbescholtene Bürger wegen blosser Fahrlässigkeit Freiheitsstrafen erstehen müssen.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den A nt r ag:

Es sei dem Kaspar Rytz die Strafe von l Tag Gefängnis zu erlassen, im übrigen auf sein Gesuch nicht einzutreten.

B e r n , den 25. September 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

*Wvr-i.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung bestraften Kaspar Rytz, Weichenwärters auf dem Brünig bei Meiringen. (Vom 25. September 1906.)

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Jahr

1906

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39

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26.09.1906

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652-654

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