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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Gefährdung des Eisenbahnverkehrs bestraften Reinhard Frei, Brunngasse 35, in Winterthur.

(Vom 17. Mai 1906.)

Tit.

Petent war im Sommer 1905 bei der Tösstalbahn als Lokomotivführer angestellt und bediente als solcher am 3. Juli den Personenzug, welcher von Winterthur nach Bauma fahrend kurz nach 7 Uhr vormittags die Station Saland zu passieren hatte.

Bei der Einfahrt in diese Station befindet sich eine Weiche zur Verbindung des Hauptgeleises mit dem zur Viehrampe führenden Nebengeleise. Dieselbe darf nach reglementarischen Vorschriften, wenn sie auf das Rampengeleise gestellt ist, von einfahrenden Zügen nur passiert werden, sofern sie von einem Manne bedient und mit der grünen Flagge, bezw. mit grünem Lichte signalisiert ist. Andernfalls soll der einfahrende Zug vor der Weiche anhalten (vgl. die Feststellung des Bezirksgerichtes Pfäffikon in Erwägung 5 des Strafurteiles vom 21. November 1905 in Sachen Gnehm und Konsorten).

Am kritischen Vormittag war bei Herannahen des von Frei geführten Zuges die fragliche Weiche auf das Rampengeleise gestellt. Trotzdem Frei, wie er selbst zugibt, dies bemerkte, fuhr

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er über die Weiche hinaus gegen die Station, was zur Folge hatte, dass seine Lokomotive an dem Punkte, wo das Rampengeleise mit dem Stumpengeleise zusammentrifft, mit einem Viehwagen kollidierte, mit dessen Rangieren in jenem Momente Stationsvorstand Gnehm beschäftigt war. Der Choc hatte zur Folge, dass der Viehwagen umgeworfen wurde und Gnehm einen Bruch des rechten Wadenbeines und andere Verletzungen erlitt, die eine gänzliche Arbeitsunfähigkeit von 15 Wochen und eine teilweise von 5 Va Wochen nach sich zogen. Der Schaden an Geleise und Rollmaterial war unbedeutend, dagegen musste eine Kuh, die sich in dem umgestürzten Viehwagen befunden hatte, abgetan werden und erlitt ihr Eigentümer dadurch einen Schaden von Fr. 590.

Auf Grund dieses Tatbestandes wurden der Stationsvorstand Gnehm und Lokomotivführer Frei, sowie dessen Heizer Näher, wegen fahrlässiger Eisenbahngefährdung angeklagt. Das Bezirksgericht Pfäffikon als erste Instanz sprach den Näher frei, dagegen erklärte es sowohl Gnehm als Frei des eingeklagten Deliktes schuldig, weil jener in fahrlässiger Weise das von ihm besorgte Rangieren des Viehwagens nicht durch Schliessen oder Decken der Weiche gesichert und weil dieser die offene Weiche vorschriftswidrig überfahren hatte. Gnehm wurde zu Fr. 40 Geldbusse, Frei zu zwei Tagen Gefängnis und Fr. 20 Geldbusse verurteilt und die zirka Fr. 70 betragenden Gerichtskosten unter gegenseitiger Solidarhaft dem Frei zu 8/s und dem Gnehm zu 1 /a auferlegt. Das Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.

Frei ersucht um Nachlass der Gefängnisstrafe durch Begnadigung. Er behauptet, es komme nicht selten vor, dass auf der Tösstalbahn, deren Stationen vielfach in allen Beziehungen von einem einzigen Beamten bedient werden, einfahrende Züge gezwungen seien, ohne genaues Einhalten des Réglementes in Nebengeleise einzufahren. Sein Verhalten im kritischen Momente sei daher entschuldbar. Im übrigen sei ihm der Ausblick auf den Viehwagen, mit welchem Stationsvorstand Gnehm noch manövriert habe, trotzdem der Zug bereits fällig gewesen, durch einen ändern Wagen so lange verdeckt gewesen, bis er den Zusammenstoss nicht mehr habe verhindern können. Nachdem der Heizer freigesprochen und der Stationsvorstand, den nach Preis Ansicht die Hauptschuld treffe, auch gelinde bestraft worden sei, so hoffe er auf Erlass der Gefängnisstrafe, besonders da er einen guten Leumund besitze.

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Pètent hat unzweifelhaft einen schweren Dienstfehler begangen dadurch, dass er entgegen den ihm bekannten Vorschriften über die nicht bediente und nicht mit Signal versehene Weiche in das Nebengeleise einfuhr, dessen Überblicken ihm nach eigener Angabe durch ein Hindernis versperrt war. Gerade der letztere Umstand hätte ihn davon abhalten sollen, das verbotene Manöver zu riskieren. Die konkurrierende Mitschuld des Stationsvorstandes Gnehm kann den Lokomotivführer von den strafrechtlichen Folgen seiner eigenen Fahrlässigkeit nicht befreien, und bei der Strafausmessung hat das urteilende Gericht mit Fug, und Recht die schweren Verletzungen, die Gnehm davongetragen, als Grund zur Milderung seiner Strafe berücksichtigt. Für Frei dagegen handelt es sich um Anwendung des Art. 67 des Bundesstrafrechtes in der Fassung vom 5. Juni 1902, wonach Gefängnisstrafe auszusprechen ist, wenn durch derartige Gefährdung des Eisenbahnverkehrs ein Mensch bedeutend verletzt wurde. Die Reduktion der Strafe des Frei auf bloss Fr. 20 Busse würde überdies zu einem unleidlichen Widerspruch zwischen seiner Behandlung und derjenigen des Gnehm führen.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den A n t r a g:

Es sei das Begnadigungsgesuch des Reinhard Frei abzuweisen.

B e r n , den 17. Mai 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch des wegen fahrlässiger Gefährdung des Eisenbahnverkehrs bestraften Reinhard Frei, Brunngasse 35, in Winterthur. (Vom 17. Mai 1906.)

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23.05.1906

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