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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuche des wegen fahrlässiger Gefährdung des Eisenbahnverkehres bestraften Rudolf Glarner, Weichenwärter in Meilen, Kantons Zürich.

(Vom 23. Oktober 1906.)

Tit.

Am 5. März 1906, abends, ist auf der Eisenbahnstation der schweizerischen Bundesbahnen in Meilen der auf Geleise II ausfahrende Zug 2297 Zürich-Meilen-Rapperswil auf einen hinter der Weiche 5 stehenden Materialwagen gestossen, welch letzterer durch den Anprall Beschädigungen erlitt, deren Reparaturkosten zirka Fr. 100 betrugen. Die im ausfahrenden Zuge befindlichen Personen wurden nicht verletzt, der Zusammenstoss war nicht heftig, da der Materialwagen nur leicht beladen und nicht gebremst war und der Vorfall sich innerhalb des Stationsgebietes ereignete, während der Zug sich noch mit geringer Geschwindigkeit bewegte.

Wegen dieses Vorfalles wurde Weichenwärter Glarner mit 2 ändern Bahnangestellten der fahrlässigen Gefährdung eines Eisenbahnzuges angeklagt, wobei ihm speziell zur Last gelegt wurde, dass er den vom Stationsvorstand erhaltenen Befehl, den im Durchfahrtsgeleise Steheaden Materialwagen ins Stumpengeleise zu verbringen, nicht ausgeführt habe. Das Bezirksgericht Meilen erklärte den Glarner schuldig und verurteilte ihn zu 4 Tagen

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Gefängnis und Fr. 30 Geldbusse, ferner zur Tragung der Hälfte der Gerichtskosten. Die beiden ändern Angeklagten wurden freigesprochen, ihnen aber die Hälfte der Kosten Überbunden, weil auch ihnen eine gewisse Unsorgfältigkeit zur Last fiel.

Glarner stellt das Gesuch, dass ihm die vom Richter ausgesprochene Freiheitsstrafe erlassen werden möchte, während er das Urteil im übrigen annimmt. Er stehe seit 1883 ununterbrochen im Bahndienst und sei bis zu dem kritischen Vorfall noch nie der Verursachung einer Betriobsgefährdung beschuldigt worden. Er legt günstige Zeugnisse seines jetzigen Vorgesetzten und der Gemeindebehörde von Meilen vor und eine Bescheinigung des Betriebchefs der Eisenbahn Wädensweil-Einsiodelu, nach der ihm am 23. Mai 1885 wegen Verhütung eines Unfalles eine Belohnung von Fr. 10 zugesprochen wurde. An dem Unfall vorn 5. März 1906 könne er sich eigentlich nicht schuldig fühlen, da er sich an den Befehl zum Wegstellen des Materialwagens, den ihm der Stationsvorstand gegeben haben will, durchaus nicht erinnern könne, ebensowenig an eine bestätigende Rückäusserung von seiner Seite, die mehrere Zeugen gehört haben wollen. Es sei ihm unmittelbar, bevor er zum Stationsgebäude gekommen, bei Reparaturarbeiten eine elektrische Bogenlampe auf den Kopt gefallen, was ihm starken Schmerz und Erregung verursacht habe.

Erst am Vormittag des folgenden Tages habe er von dem Unfall und dessen Ursache gehört. Er stelle das Gesuch um Erlass der Freiheitsstrafe hauptsächlich seiner Ehre wegen, um nicht vor seinen Kindern und der Welt die Schande erleben zu müssen, wie ein Dieb oder Betrüger eingesperrt zu werden.

Das Bezirksgericht glaubte nach der Begründung des Urteiles annehmen zu dürfen, dass zu dem Verhalten des Glarner der Umstand mitgewirkt habe, dass der Tag des Unfalles Fastnachtmontag und der Weichenwärter deswegen nicht vollständig bei der Sache gewesen sei. Die Glarner zur Last fallende Fahrlässigkeit könne nicht als leichte taxiert werden, sein Verschulden erscheine vielmehr als ein ganz erhebliches, da er mit den besonderen Gefahren des Eisenbahnverkehres vertraut und dienstlich verpflichtet gewesen, auch ohne besondern Befehl den im Durchfahrtsgeleise stehenden Wagen zu entfernen. Dass der Zusammenstoss kein grösseres Unglück zur Folge gehabt, könne dem Glarner nicht als Milderung
angerechnet werden.

Glarner hat unterlassen, durch Appellation dem obersten kantonalen Gerichtshof die Möglichkeit zur Prüfung der Frage zu geben, ob die vom Bezirksgericht ausgesprochene Strafe den

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Verhältnissen des Falles entspreche. Er hat auch im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht, dass er im kritischen Momente durch einen Unfall im Gebrauche seiner Geisteskräfte beeinträchtigt gewesen sei. Die Begnadigungsbehörde ist nicht in der Lage, auf solche neue Behauptungen einzutreten, sie muss vielmehr ihren Erwägungen die Resultate des gerichtlichen Verfahrens zu Grunde legen, welche dahin schliessen, dass Glarner in selbstverschuldeter Aufregung den ihm erteilten Dienstbefehl überhört oder zu befolgen unterlassen habe. Die Gefahr für eine weit grössere Schädigung des einfahrenden Zuges und seiner Insassen, die den Richter zur Verhängung von Gefängnisstrafe verbunden mit Busse veranlasste, war unzweifelhaft vorhanden, und da auch die Milderungsgründe der langjährigen, tadellosen Dienstleistung bereits im Urteile gewürdigt sind, so scheint es nicht gerechtfertigt, den Richterspruch durch Begnadigung zu mildern.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den A n t r a g:

Es sei das Begnadigungsgesuch des Rudolf Glarner abzuweisen.

B e r n , den 23. Oktober 1906.

im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forcer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuche des wegen fahrlässiger Gefährdung des Eisenbahnverkehres bestraften Rudolf Glarner, Weichenwärter in Meilen, Kantons Zürich. (Vom 23. Oktober 1906.)

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07.11.1906

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