468

# S T #

Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Antoine Venat, französischen Bürgers, betreffend Ausweisung aus dem Kanton Genf.

(Vom 16. März 1906.)

Der schweizerische Bundes rat hat über die Beschwerde des Antoine V e n a t , französischen Bürgers, betreffend Ausweisung aus dem Kanton Genf, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Beschluss vom 16. Dezember 1905 hat der Staatsrat des Kantons Genf den französischen Bürger Antoine Venat und dessen Familie aus dem Gebiete des Kantons Genf ausgewiesen, weil Venat sich des Betruges schuldig gemacht habe.

II.

Venat hat gegen seine Ausweisung mit Eingabe vom 5. Januar 1906 die staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrat eingereicht, und die Aufhebung des Beschlusses vom 16. De-

469

zember 1905 verlangt. Er bringt zur Begründung vor, ein gewisser Duclos in Montier (Tarantaise), habe Klage wegen Betrug gegen ihn erhoben, das Strafverfahren sei aber durch Verfügung des Staatsanwaltes von Moutiers eingestellt worden ; damit sei auch das Delikt und der Ausweisungsgrund dahingefallen. Rekurrent verdiene sein Brot in Ehren und führe ein musterhaftes Leben.

III.

Der Staatsrat des Kantons Genf beantragt in seiner Antwort d. d. 26. .Januar 1906 die Abweisung der Beschwerde Venais und begründet dies mit folgendem : Schon im Jahre 1900 ist gegen Venat Klage wegen Betrugs (seitens eines gewissen Eisenhofer in Genf) erhoben worden, die dann allerdings infolge Ausstellung eines Sehuldübernahmeversprechens durch Venats Mutter zurückgezogen wurde.

Im Jahre 1901 schrieb Venat in die in Lyon erscheinende Zeitung ,,La Chronique"1 einen die Stadt Genf und deren Bewohner verleumdenden Artikel, was ihn nicht hinderte, im Jahre 1905 neuerdings nach Genf zu kommen, und tatsächlich erhielt er am 2. April 1905 eine Niederlassungsbewilligung. Seine Ausweisung erfolgte wegen eines neuen auf Antrag Ducloz eingeleiteten Strafverfahrens wegen Betruges; wenn das Strafverfahren auch diesmal eingestellt wurde, so geschah dies nur, weil Ducloz auf die Klage verzichtete; Venat ist aber seinen Verpflichtungen nach wie vor nicht nachgekommen, ebensowenig übrigens wie denjenigen gegenüber seinem Gläubiger Eisenhofer. Trotz der Einstellung der Strafklage gegen Venat bleibt sein Delikt bestehen ; deshalb ist auch seine Ausweisung auf Grund des Art. 19, Ziff. l, des Niederlassungsgesetzes vom 14. Oktober 1905 gerechtfertigt, welcher lautet: Unter Vorbehalt des Art. 45 der Bundesverfassung kann das Justiz- und Polizeidepartement die Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung verweigern oder zurückziehen, wenn die Unehrenhaftigkeit oder das schlechte Betragen des Fremden oder seiner Familie eine solche Massregel rechtfertigen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Nach Art. 5 des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrages vom 23. Februar 1883 kann der Franzose von der

470

Schweiz durch gesetzliche Verfügung oder gemäss den Gesetzen und Verordnungen über die Sittenpolizei und den Bettel weggewiesen werden. Eine solche Verfügung liegt im heute zu beurteilenden Falle vor. Es steht fest, dass der Rekurrent sich seit seiner letzten Niederlassung in Genf des Betruges schuldig gemacht hat; denn er hat die tatsächliche Grundlage der von Ducloz im August 1905 gegen ihn eingeleiteten ßetrugsklage weder gegenüber dem genferischen Staatsrate noch gegenüber dem Bundesrate bestritten; wenn auch beim Rückzug des Strafantrages des Verletzten das Strafverfahren eingestellt werden muss, so bleiben nichtsdestoweniger die für den Rekurrenten belastenden Tatsachen bestehen, und behalten ihre Bedeutung für die Beurteilung seines Rechtes auf Niederlassung. Da diese Tatsachen, wie der Regierungsrat. des Kantons Genf anführt, zur Ausweisung auf Grund des Art. 19 des genferischen Gesetzes vom 14. Oktober 1905, das die Ausweisung Fremder wegen schlechter und unredlicher Aufführung vorsieht, genügen, so bedeutet die Ausweisung des Rekurrenten keine Verletzung des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrages.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen, B e r n , den 16. März 1906.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringior.

->-3&^-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Antoine Venat, französischen Bürgers, betreffend Ausweisung aus dem Kanton Genf. (Vom 16. März 1906.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1906

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

20

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

16.05.1906

Date Data Seite

468-470

Page Pagina Ref. No

10 021 935

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.