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Bundesratsbeschluss betreffend

die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrages für die Marmor- und Granitindustrie sowie für das Bildhauer- und Grabmalgewerbe (Vom 11. März 1952)

Der Schweizerische B u n d e s r a t , gestützt auf Artikel 3, Absatz 2, des Bundesbeschlusses vom 23. Juni 1943 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen, . beschliesst : ·Art. l 1

Der in der Beilage wiedergegebene Gesamtarbeitsvertrag vom 1. Juli 1951 für die Marmor- und Granitindustrie sowie für das Bildhauer- und Grabmalgewerbe wird allgemeinverbindlich erklärt, mit Ausnahme der besonders bezeichneten Bestimmungen1).

2 Für den Arbeitnehmer günstigere gesetzliche Vorschriften und vertragliche Abmachungen bleiben vorbehalten.

Art. 2 1

Die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt sich auf das ganze Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft, ausgenommen die Kantone: a. Freiburg, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf; h. Basel-Stadt, solange die dort für die Marmor- und Granitindustrie und das Bildhauer- und Grabmalgewerbe geltenden Gesamtarbeitsverträge für das Baugewerbe sowie der Ergänzungsvertrag für das Marmor-, Granit- und Bildhauergewerbe in Kraft sind.

l ) Der Text der Bestimmungen, die nicht allgemeinverbindlich erklärt werden, ist in Kursiv gedruckt.

571 2

Sie gilt für die gelernten, angelernten und ungelernten Arbeiter, mit Ausnahme der Lehrlinge und derjenigen Arbeiter, welche ausschliesslich in.

Natursteinbrüchen arbeiten.

Art, 3 Dieser Beschluss tritt mit seiner amtlichen Veröffentlichung in Kraft und gilt bis zum 15. August 1953.

Bern, den 11. März 1952.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates,.

Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Kobelt 642

Der Bundeskanzler: Ch. Oser

572 Beilage

Gesamtarbeitsvertrag vom.

1. Juli 1951 für die Marmor- und Granitindustrie sowie für das Bildhauer und Grabmalgewerbe abgeschlossen zwischen

dem dem dem dem

Geltungsbereich

Arbeitszeit

Verband schweizerischer Marmor- und Granitwerke, Verband schweizerischer Bildhauer- und Grabmalgeschäfte, Schweizerischen Bau- und Holzarbeiterverband und Christlichen Holz- und Bauarbeiterverband der Schweiz.

Ziffer l 1 Dieser Gesamtarbeitsvertrag erstreckt sich auf die Marmor- und Granitindustrie der ganzen Schweiz. Im Kanton Tessin sind nur die dem Verband schweizerischer Marmor- und Granitwerke angeschlossenen Firmen diesem Vertrag unterstellt. Der Gesamtarbeitsvertrag gilt ebenfalls für das Bildhauer- und Grabmalgewerbe der deutschen Schweiz, inbegriffen den ganzen Kanton Graubünden.

2 Bestehende Gesamtarbeitsverträge, die über den Minimalbestimmungen dieses Vertrages stehen, bleiben in Kraft. Wo keine solchen Verträge bestehen, gelten die in diesem Gesamtarbeitsvertrag festgelegten Minimalbestimmungen als verbindlich.

3 Nicht unter diesen Vertrag fallen jene Arbeiter, welche ausschliesslich in Natursteinbrüchen arbeiten.

4 Durch die Allgemeinverbindlicherklärung sollen alle den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden nicht angeschlossenen Firmen und Arbeiter der Branche unter die Bestimmungen dieses Vertrages gestellt werden.

Ziffer 2 Die normale wöchentliche Arbeitszeit beträgt 48 Stunden. Der Samstagnachmittag ist normalerweise frei.

573 1

Ziffer 3 Die Minimallöhne inklusive Teuerungszulagen betragen:

Bildhauer

'

Zone l Fr.

Löhne Zone 2 Fr.

a. mit Modellieren . . 2.81 2.60 b. .Schriftenhauer mit Lehrausweis 2.65 2.45 c. Schriftenhauer ohne Lehrausweis . 2.55 2.34 Stein-und Granithauer mit Lehrausweis 2.70 2.50 Polisseur mit Lehrausweis: a. Granit 2.65 2.45 b. Marmor 2.55 2.34 Marmoristen 2.65 2.45 Fräser mit Lehrausweis vom Marmorschleifer. . . . . . . 2 . 5 5 2.34 Fräser und Säger, angelernt . 2.18 2.02 Schurrer 2.12 1.96 Hilfsarbeiter, Platzarbeiter, Packer usw..

2.06 1.91 2 Günstigere Lohnbedingungen dürfen nicht verschlechtert werden.

3 Die Zoneneinteilung erfolgt nach dem Ortschaftsverzeichnis der Lohn- und Verdienstersatzordnung. Zone l gilt als Zone mit städtischen, Zone 2 als solche mit halbstädtischen und ländlichen Verhältnissen. Der Ort des Betriebes ist für die Zoneneinteilung massgebendi 4 Arbeiter mit Lehrausweis gelten als gelernte Arbeiter. Ihnen gleichgestellt sind diejenigen, die doppelt so lange, als die Lehrzeit gedauert hätte, in dem Beruf gearbeitet haben und als bewährte Berufsarbeiter zu betrachten sind. Die seit 1939 im Gewerbe tätigen Arbeiter gelten als Berufsarbeiter, sobald sie eine Lehrabschlussprüfung bestanden haben.

5 Nach Abschluss der Lehrzeit erhalten die jungen Arbeiter mit Lehrausweis im ersten Jahre nach der Lehre 10% weniger, im zweiten Jahre 5% weniger als den Mindestlohn. Nach vollendetem 19. Altersjahr hat der Arbeiter Anspruch auf den Minimallohn gemäss Absatz 1.

6 Als angelernte Arbeiter gelten solche, welche 2 Jahre lang im betreffenden Beruf gearbeitet und das 19. Altersjahr vollendet haben.

7 Für minderleistungsfähige Arbeiter wird der Lohn durch Einzeldienstvereinbarung festgelegt.

8 Wird ein Arbeiter in einer tiefer entlöhnten Berufsarbeit verwendet, so bezieht er trotzdem seinen Berufslohn. Bei dauernder Versetzung kommt diese Bestimmung nicht zur Anwendung.

Ziffer 4 Für Überzeitarbeit wird ein Lohnzuschlag von 25 %, für Nachtund Sonntagsarbeit ein solcher von 100% vergütet.

Bundesblatt. 104. Jahrg. Bd. I.

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Zuschläge

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Als Nachtarbeit gilt die Arbeit, die in der Zeit von 20 Uhr bis 6 Uhr und an Samstagen nach 17 Uhr verrichtet wird. Als Sonntagsarbeit die Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Die übrige Zeit ausserhalb der normalen Arbeitszeit gilt als Überzeit.

,3 Schichtarbeit ist in bezug auf die Entlöhnung der Normalarbeitszeit gleichgestellt. Für die dritte Schicht (Nachtschicht) ist hingegen ein Lohnzuschlag von 15% zu bezahlen, sofern hiefür nicht eine höhere gesetzliche Lohnzuschlagspflicht besteht.

Akkordarbeit

Ziffer 5 Bei Akkordarbeit sind die Ansätze so festzulegen, däss die Arbeitnehmer unter normalen Verhältnissen einen der Mehrleistung entsprechenden Mehrverdienst auf den in Ziffer 3 genannten Minimallöhnen erreichen, und zwar soll letzterer ' 20 % betragen können.

Ziffer 6 Zulagen Durch auswärtige Arbeit darf der Arbeiter nicht schlechter gestellt ur Arbeit '^ werden, als wenn er am Domizil des Betriebes arbeitet.

2 Es sind folgende Spesen zu vergüten: bei ganztägiger Abwesenheit mit täglicher Heimkehr . . . . Fr. 3.50 ohne tägliche Heimkehr mit Übernachten » 9.-- Fahrkosten.

3 An besonders teuren Orten, wo diese Entschädigung die Kosten nicht zu decken vermag, sind gegen Vorlage der Eechnung die effektiven Kosten zu vergüten.

4 Fahrt- und Wartezeit "ausserhalb der täglichen normalen Arbeitszeit wird mit dem vollen Lohn vergütet, jedoch ohne Überzeitzuschläge.

1

Ziffer 7 Lohnzahlung

1

Die Lohnzahlung findet in der Eegel wöchentlich, längstens jedoch alle 14 Tage statt; sie muss vor Schluss der Arbeitszeit beendet sein.

2 Am Zahltag darf nicht mehr als der Lohn für die letzten drei Arbeitstage, bei Akkordarbeit nicht mehr als ein dem Lohn der letzten drei Arbeitstage ungefähr entsprechender Betrag ausstehend bleiben.

8 Die Auszahlung hat unter Beifügung einer detaillierten schriftlichen Abrechnung, aus der auch die Abzüge ersichtlich sind, zu erfolgen.

Ziffer 8

Sozialversicherung

1

Die Versicherung der Arbeiter gegen Unfall erfolgt nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung.

575 2

Der Arbeitgeber hat liei der Schiveizèrischen 'Unfallversicherungsanstalt auf Kosten der Arbeiter die Abredeversicherung für Ausserbetriebsunfälle einzugehen. Das Unfallgeld ivird, sofern keine Beanstandung vorliegt, jeden Zahltag ausbezahlt.

3 Jeder versicherungsfähige Arbeiter hat sich gegen Krankheit zu versichern. Diese Versicherung hat zu umfassen: Krankenpflege und Tuberkuloseversicherung sowie ein Taggeld von mindestens o Franken für Ledige und mindestens 8 Franken für Verheiratete. In Ablösung von Artikel 385 des Obligationenrechtes bezahlt die Firma 50% an die Versicherungsprämien, im Maximum jedoch 7 Franken im Monat. Der Arbeiter hat den Beweis zu erbringen, dass er eine Krankenversicherung abgeschlossen hat.

Ziffer 9 Jeder Arbeiter hat Anspruch auf bezahlte Ferien, und zwar: im 1. und 2. Dienstjahr im Ausmass von 2% des Bruttolohnes, im 3. bis und mit 10. Dienstjahr im Ausmass von 3% des Bruttolohnes, nachher im Ausmass von 4% des Bruttolohnes.

.

.

2 Als Dienstjahr gelten nur die Jahre, während denen i ein Arbeiter im betreffenden Betrieb gearbeitet hat.

3 Über den Antritt der Ferien hat sich der Arbeiter mit seinem Arbeitgeber rechtzeitig zu verständigen. Die Ferien müssen bezogen und dürfen in keiner Form abgelöst werden.

1

Ferien

Ziffer 10 1

Während der Dauer des Jahres werden dem Arbeiter 6 gesetzliche Feiertage, welche auf einen Werktag fallen, zu folgenden Ansätzen entschädigt : Ledige Fr. 12.-- pro Feiertag Verheiratete Fr. 15.-- pro Feiertag 2 Es werden folgende Absenzen mit dem vollen Tagesverdienst ver: gütet : ' , a) bei Geburt eigener ehelicher Kinder l Tag b) bei Tod eigener Kinder oder des Ehegatten 2 Tage c) bei Tod der Eltern l Tag .

d) bei Heirat l Tag Zifferll

Jfelertagsund Absenzentschädlgnng

'

Den in einem Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmern ist die Schwarzarbeit Ausführung jeglicher Berufsarbeit für Drittpersonen untersagt. Zuwiderhandlungen berechtigen zur sofortigen Entlassung.

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Kündigung

Ziffer 12 i Die gegenseitige Kündigungsfrist beträgt 14 Tage. Dasselbe gilt im überjährigen Dienstverhältnis.

2 Die Kündigung kann an jedem Zahltag erfolgen. Die ersten 2 Wochen nach Arbeitsantritt gelten als Probezeit, während welcher das ArbeitsVerhältnis jederzeit ohne Kündigung gelöst werden kann.

Ziffer 13

Härtung

Die Sorgfaltspflicht richtet sich nach den Bestimmungen des Obligationenrechtes. Das Zurverfügungstellen des Werkzeuges und anderer Hilfsmittel zur Ausführung des Berufes ist Sache des Arbeitgebers. Wenn der Arbeiter auf Verlangen des Betriebes mit eigenem Werkzeug arbeitet, wird er dafür besonders entschädigt.

Ziffer

14

sMic/ituna von Entstehen Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder Anwenijlerenzen. düng dieses Vertrages, so ist für deren Schlichtung und Erledigung folgendes Verfahren zu befolgen: a. In erster Linie sind solche Meinungsverschiedenheiten im Betriebe selbst, zwischen der Geschäftsleitung und der betreffenden Belegschaft, zu behandeln und zu lösen zu suchen und, sofern dies nicht zum Ziele führt, zwischen Geschäftsleitung und Gewerkschaft. .

b. Ist eine Einigung auf diesem Wege nicht erzielbar oder handelt es sich um eine allgemeine Differenz, so suchen die Parteien dieses Vertrages eine Einigung herbeizuführen.

'·'··.

c. Lassen sich die Differenzen auch auf diesem Wege nicht regeln, so ·'. .

wird die Angelegenheit einem Schiedsgericht zum endgültigen Entscheid unterbreitet.

Ziffer 15 1

Innert 14 Tagen nach Erhalt einer entsprechenden Aufforderung seitens einer Vertragspartei bestimmen die Parteien ein Schiedsgericht.

2 Die Vertragsparteien bestimmen den Obmann. Können sich diese nicht auf eine Persönlichkeit einigen, so ist der Obmann des Schiedsgerichts vom Vorsitzenden des Obergerichts desjenigen Kantons zu bezeichnen, in dem die Firma ihren Sitz hat, auf welche sich die Differenzen beziehen.

3 Die Vertragsparteien bestimmen je einen Vertreter und einen Ersatzmann in das Schiedsgericht. Die Nominationen sind dem Obmann sofort zu melden.

4 Bei Differenzen zwischen den Vertragsparteien über Belange für das ganze Vertragsgebiet wird der Obmann des Schiedsgerichts durch den jeweiligen Präsidenten des Obergerichts des Kantons Zürich bezeichnet.

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Das Schiedsgericht tagt an dem vom Obmann bezeichneten Ort. Es bestimmt das Verfahren, das einfach und rasch sein muss.

6 Die Entscheide des Schiedsgerichts sind endgültig und für beide Parteien verbindlich.

7 Über die Tragung der Kosten des Schiedsgerichtsverfahrens bestimmt das Schiedsgericht.

8 Die Vertragsparteien verpflichten sich, während der Dauer der Einigungsverhandlungen und des Schiedsgerichtsverfahrens alles zu, unterlassen, was zu einer Verschärfung des Konfliktes fuhren könnte.

Ziffer 16 Vorstellender Vertrag gilt ab 1. Juli 1951 und dauert bis 15. August 1952. Er kann drei Monate vor Ablauf gekündigt werden. Wird er nicht gekündigt, läuft er jeweilen um ein Jahr weiter.

2 Dieser Vertrag ersetzt den Gesamtarbeitsvertrag vom 1. April 1947 samt Zusatzabkommen vom 15. August 1948 und Vereinbarung vom 12. Juni 1951.

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Vertragsdauer

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss betreffend die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrages für die Marmor- und Granitindustrie sowie für das Bildhauerund Grabmalgewerbe (Vom 11. März 1952)

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Jahr

1952

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

12

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

20.03.1952

Date Data Seite

570-577

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10 037 803

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