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Bericht des

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Bundesrates an die Bundesversammlung über die 341 Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (Vom 12. Dezember 1952)

Herr Präsident!

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Hochgeehrte Herren!

Wir erstatten Ihnen hiemit Bericht über die 84. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

| · I. Einleitung 1. Allgemeines und, Zusammensetzung der schweizerischen Delegation Die Internationale Arbeitskonferenz hielt ihre 34. Tagung vom 6. bis 29. Juni 1951 in Genf ab. Von den insgesamt 65 Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation nahmen 60 mit 603 Delegierten und technischen Beratern daran teil. Die Konferenz i beschloss die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland und die Wiederaufnahme Japans in die Organisation. Auch Jugoslawien trat ihr neuerdings bei.

l Zu ihrem Vorsitzenden wählte die Konferenz den schweizerischen Begierungsdelegierten Herrn Prof. William Eappard. Es war das zweitemal, dass unserem Land diese Ehre zufiel, nachdem 1939 Herr alt Bundesrat Schulthess die Konferenz präsidiert hatte.

· Die schweizerische Delegation setzte sich folgendermassan zusammen: Begierungsvertreter Herr Dr; William Bappard, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Genf und Direktor des Institut universitaire de hautes études internationales, und Herr Fürsprech Max Kaufmann, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit; Ersatzdelegierter Herr Dr. Arnold Saxer, Direktor-des Bundesamtes für Sozialversicherung; Arbeitgebervertreter Herr Charles Kuntschen (Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen); Arbeitnehmervertreter Herr Jean Möri (Schweizerischer Gewerkschaf tsbund). Dazu kamen einige technische Berater.

820 , 2. Tagesordnung der Konferenz Die Tagesordnung der Konferenz umfasste folgende Gegenstände: 1. Bericht des Generaldirektors, 2. Finanz- und Budgetfragen, 3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen, 4. Ziele und Mindestnormen der sozialen Sicherheit (erste Beratung), 5. Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, einschliesshch der Gesamtarbeitsverträge sowie des freiwilligen Einignngs- und Schiedswesens (zweite Beratung), 6. Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer (erste Beratung), 7. Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (zweite Beratung), 8. Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft (zweite Beratung), 9. Bezahlter Urlaub in der Landwirtschaft (erste Beratung), 10. Erneuerung des Verwaltungsrates des Internationalen Arbeitsamtes.

u. Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz Vorbemerkung In den folgenden Abschnitten betreffen diejenigen unter Ziffer l bis. 3 Traktanden, welche die Konferenz jedes Jahr beschäftigen, während es bei den Abschnitten unter Ziffer 4 bis 9 um sozialpolitische Fragen geht, welche die Konferenz in der Absicht behandelte, internationale Übereinkommen oder Empfehlungen aufzustellen. Soweit Beschlüsse dieser Art an der Tagung von 1951 abschliessend gefasst worden sind, enthält der III. Teil unseres Berichtes das Nähere über ihren Inhalt und über die Stellung, die wir ihnen gegenüber einzunehmen gedenken. Ihr Wortlaut ist wie immer im Anhang wiedergegeben.

!.. Bericht des Generaldirektors In seinem alljährlichen Bericht an die Konferenz befasste sich der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes diesmal hauptsächlich mit der Frage der Lohnpolitik in Zeiten der Vollbeschäftigung, einer Frage, die, wie er selbst bemerkt, in engem Zusammenhang steht mit den Problemen der Inflation und der Produktivität. Es geht hier vor allem darum, wie mit gesteigerter Produktivität auch das Lohnniveau gehoben werden kann, ohne dass die Lohnerhöhung durch Inflation illusorisch gemacht wird. Daneben enthält der Bericht vor allem auch wie üblich einen Überblick über die allgemeine Wirtschaftslage und das

821 sozialpolitische Geschehen sowie über die Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation im Berichtsjahr. Die Aussprache brachte über'hundert Redner auf die Tribüne, von denen sich ein guter Teil zu dem vom Generaldirektor behandelten Hauptthema äusserte, während die übrigen sich zahlreichen andern Gebieten und Fragen zuwandten, wie: Arbeitsmarkt. Berufsberatung und Auswanderung, Hilfe an die technisch ungenügend entwickelten Länder und Förderung der Weltwirtschaft im allgemeinen, soziale Sicherheit, Wohnungswesen.

Schutz der Kolonialbevölkerung, Vereinigungsfreiheit, Tätigkeit und Politik der Internationalen Arbeitsorganisation.

2. Finanz- und

Budgetfragen

Das Ausgabenbudget der Internationalen Arbeitsorganisation für das Jahr 1952 beläuft sich auf 6 470 639 Dollars gegenüber 6 219 506 Dollars im Jahre 1951. Diese Erhöhung ist teils das Ergebnis der Teuerung und teils die Folge vermehrter Aufgaben, die der Organisation im Zusammenhang mit der heutigen Weltlage gestellt werden. Immerhin fehlt das Bewusstsein nicht, Zurückhaltung üben zu müssen, dies schon darum, weil die Aufbringung des Mitgliederbeitrages für manche Staaten offenbar ein ernsthaftes Problem darstellt. Der Beitrag der Schweiz für 1952 bezifferte sich bei einem unveränderten Satz von 1,93 Prozent der Gesamtausgaben auf 112 880 Dollars (1951:106 567 Dollars). Die Konferenz nahm das Budget und die beantragte Verteilung der Lasten auf die einzelnen Staaten einstimmig an.

3. Anwendung der Übereinkommen. Durchführung des Übereinkommens über die Nachtarbeit der Jugendliciien in der Schweiz Wir haben in unseren Berichten immer wieder betont, dass die strenge Durchführung der von den Mitgliedstaaten ratifizierten Übereinkommen eine Lebensfrage für die Internationale Arbeitsorganisation bildet. Nicht minder haben wir stets wiederholen müssen, wie Wunsch und Wirklichkeit hier noch auseinanderklaffen und dass vielfach auch die vorgeschriebenen Bechenschaftsberichte, welche die Länder über die von ihnen ratifizierten Konventionen dem Internationalen Arbeitsamt zu erstatten haben, ausbleiben oder lückenhaft sind. Für den Zeitabschnitt vom 1. Juli 1949 bis zum 30. Juni 1950 schuldeten die Mitgliedstaaten insgesamt 831 Berichte über die Anwendung von 58 Übereinkommen, die zu Beginn dieser Periode in Kraft standen, ! während sich die Zahl der damals überhaupt bestehenden internationalen Arbeitsübereinkommen auf 98 belief und inzwischen auf 103 angestiegen ist. Bis Ende März 1951, d. h.

bis zum Zeitpunkt des Zusammentretens der Expertenkommission, welche regelrnässig die erste Prüfung der Berichte vornimmt, hatte das Internationale Arbeitsamt 597 Berichte oder 71,8 Prozent (Vorjahr 82,6 Prozent) erhalten.

Auf gewisse Schwierigkeiten stösst bei uns die Durchführung des Übereinkommens von 1919 über die Nachtarbeit der Jugendlichen im Gewerbe, das wir 1922 ratifiziert haben. Nach Artikel 3 des Bundesgesetzes über die Beschäf-

822 tigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben, das die Grundlage bildet für die Anwendung der Konvention und dessen Durchführung den Kantonen obliegt, dürfen Personen, die das achtzehnte Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, in den diesem Gesetz unterstellten Betrieben und deren Nebenbetrieben während der Nacht nicht beschäftigt werden. Unter «Naoht» ist ein Zeitraum von wenigstens elf aufeinanderfolgenden Stunden zu verstehen, der die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich sphliesst.

Diese Vorschriften entsprechen genau den Bestimmungendes Übereinkommens.

Seitdem nun das genannte Gesetz in Kraft ist, haben die Berufskreise immer wieder geltend gemacht, das Verbot, die Arbeit vor fünf Uhr zu beginnen, hindere die Bäckerlehrlinge daran, an den für die Herstellung des Brotes notwendigen Vorbereitungsarbeiten teilzunehmen, und 'beeinträchtige deshalb eine umfassende berufliche Ausbildung. Die Praxis war denn auch so, dass das erwähnte Verbot im Bäckereigewerbe nicht immer und überall streng eingehalten wurde und deshalb auch zu Beanstandungen durch die für die Durchführung der Konventionen zuständigen Kontrollinstanzen der Internationalen Arbeitsorganisation führte. Vom nationalen Standpunkt aus wären wir in der Lage gewesen, den besondern Bedürfnissen des Bäckereigewerbes Rechnung zu tragen, da das Gesetz den Bundesrat in Artikel 6 zu solchen Ausnahmen ermächtigt, wenn sie «im öffentlichen Interesse geboten oder in internationaten Übereinkommen vorgesehen sind». Es fragte sich jedoch, ob in gleicher Weise auch Artikel 7 des Übereinkommens, welches Abweichungen vom Verbot der Nachtarbeit zulässt, «wenn es das öffentliche Interesse infolge besonders schwerwiegender Gründe erfordert», auf den vorliegenden Fall angewendet werden dürfe. Die schweizerische Begierungsdelegation setzte sich in einem ausführlichen Memorandum an die Konferenz für diese Interpretation ein, drang aber mit ihrer Auffassung nicht durch. Es wurde auch an die Möglichkeit gedacht, den Internationalen Gerichtshof im Haag anzurufen oder aber zu versuchen, eine Eevision des Übereinkommens herbeizuführen ; aber auch diese Wege versprechen keinen Erfolg. Ebensowenig scheint das gewünschte Ziel dadurch erreicht werden zu können, dass das für den Eintritt der Bäckerlehrlinge in die Lehre vorgeschriebene
Alter heraufgesetzt wird. Da es schliesslich der Schweiz, die sich den Schutz der Jugendlichen von jeher besonders angelegen sein liess, nicht gut anstände, die Konvention zu kündigen, kann die Lösung der Frage unseres Erachtens nur darin bestehen, dass das Verbot der Nachtarbeit Jugendlicher auch in Bäckereien streng beachtet wird. Eine Aufforderung in diesem Sinn ist durch Kreisschreiben des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes vom 27. Oktober 1952 an die Kantonsregierungen ergangen.

4. Ziele und Mindestnormen der sozialen Sicherheit Mit der Vorlage über die Festsetzung von Mindestnormen der sozialen Sicherheit beschritt das Internationale Arbeitsamt einen grundsätzlich neuen Weg der internationalen Gesetzgebung. Während bisher einzelne Zweige der

823 Sozialversicherung " Gegenstand der Beratung und Beschlussfassung waren, sollte die nunmehr geplante Ordnung alle Zweige der sozialen Sicherheit umfassen und gewisse Mindestforderungen in jedem einzelnen Zweig der sozialen Sicherheit aufstellen. Abweichend von der Eegel war auch der Gedanke, dass die Staaten wahlweise verschiedene Teile des vorgesehenen Übereinkommens sollten ratifizieren1 können, so dass sich der Inhalt der Eatifikation von Land zu Land nicht decken würde. Diese Methode wurde in der Konferenz aus grundsätzhohen und rechtlichen Gründen angefochten, doch wurde sie mehrheitlich gutgeheissen.

: Eine grundsätzliche Neuerung hegt darin, dass beabsichtigt ist, für die soziale Sicherheit einen bestimmten Eahmen zu schaffen. Dies bedingt die Aufstellung von zwei Normen: einer Mindestnorm und einer höheren Norm. Der Grundgedanke dieses Vorgehens ist der, dass die Staaten stufenweise ihre soziale Sicherheit ausbauen und darnach die Eatifikationen schrittweise vornehmen sollten. Auch diese Neuerung wurde namentlich von Seiten der Eegierungs- und der Arbeitgebervertreter ziemlich stark angegriffen.

Es handelte sich anlässlich der Tagung der Internationalen1 Arbeitskonferenz von 1951 darum, die beiden Entwürfe -- der eine die Mindestnorm, der andere die höhere Norm betreffend -- einer ersten Beratung zu unterziehen. Diese Aufgabe erwies sich begreiflicherweise als nicht sehr einfach, mussten doch sämtliche Zweige der sozialen Sicherheit behandelt werden. Da die verschiedenen Systeme der sozialen Sicherheit zum Teil weit auseinandergehen, war es ausserordentlich schwierig, diese in eine allumfassende internationale Ordnung einzu' beziehen. Einer langen Diskussion rief vor allem auch die Frage, ob die Eegelung die Gestalt eines. Übereinkommens oder einer Empfehlung annehmen sollte.

Mit grosser Mehrheit entschied sich die Konferenz jedoch i für ein Übereinkommen, das an der Konferenz des folgenden Jahres aufgestellt werden sollte; auch die schweizerische Eegierungsvertretung stimmte in diesem Sinn.

Die Beratung über die höhere Norm der sozialen Sicherheit musste wegen Zeitmangels verschoben werden; die Frage wurde auf die Tagesordnung der Konferenz von 1952 gesetzt.

' 5. Beziehungen zvnschen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, einschliesslich der Gesamtarbeitsverträge sowie des freiwilligen
Einigungs- und Schiedswesens Das weite Gebiet der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern stand seit der Tagung von 1947 auf der Traktandenliste der Internationalen Arbeitskonferenz. Wir haben uns dazu in unseren frühern Berichten geäussert (BB11950, II, S. 851, und BEI 1951, III, S. 40). Die Konferenz nahm in diesem Zusammenhang an der Tagung von 1951 zwei Empfehlungen an. Der -- Empfehlung (Nr. 91) b e t r e f f e n d die Gesamtarb'eitsverträge stimmten 152 Delegierte ohne Gegenstimme, bei 29 Enthaltungen, zu. Auch die schweizerischen Eegierungsdelegierten stimmten dafür, jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass der in der Empfehlung verwendete Begriff der

824 «massgebenden Verbände» auch die Verbände der'Minderheiten einschliesse.

Die Konferenz erklärte sich mit dieser Auslegung des Begriffes stillschweigend einverstanden. Die andere der beiden Empfehlungen, die -- E m p f e h l u n g (Nr. 92) b e t r e f f e n d das freiwillige Einigungs\ und Schiedsverfahren, wurde mit 176 Stimmen ohne Gegenstimme, bei 2 Enthaltungen, angenommen.

Die schweizerischen Begierungsdelegierten stimmten dafür.

6. Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Auch die Frage der Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gehört in den Problemkomplex der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Ihre Behandlung war von der Internationalen Arbeitskonferenz im vorausgehenden Jahr vertagt worden und gelangte nun zur ersten Beratung. Die Konferenz nahm eine Aufteilung des Traktandums nach folgenden Gesichtspunkten vor: Zusammenarbeit 1. auf der Ebene des Einzelbetriebes, 2. auf der Ebene ganzer Wirtschaftszweige und 3. auf nationaler Ebene. Sie beschränkte sich zunächst auf die Erörterung der ersten Teilfrâge und beschloss, 1. das Thema der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf der Ebene des Einzelbetriebes auf die Tagesordnung der nächsten Konferenz zu setzen im Hinblick auf eine internationale Eegelung in Gestalt einer Empfehlung, 2. das Internationale Arbeitsamt zu ersuchen, als Diskussionsgrundlage einer ersten Beratung im Sinne von Eichtlinien der Konferenz von 1952 einen Textentwurf vorzulegen mit Angaben über empfehlenswerte praktische Verfahren, die bei Verhandlungen über .freiwillige Vereinbarungen wie auch bei der Aufstellung von Gesetzesvorschriften für die Bestellung von Organen der Zusammenarbeit zu berücksichtigen wären, 3. die Frage der Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf der Ebene ganzer Industriezweige und auf nationaler Ebene zum Zweck einer ersten Beratung auf die Tagesordnung der nächsten Konferenz zu setzen.

7. Gleichheit.des,Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit Über diese Frage hatte die Konferenz an ihrer vorausgehenden Tagung erstmalig beraten, und wir haben Ihnen über die Meinungsverschiedenheiten, die damals zutage traten, bereits
berichtet (siehe BB11951, III, S. 41). Aus den abschliessenden Beratungen der Konferenz vom Jahre 1951, die sich für eine Eegelung in Gestalt eines Übereinkommens mit zusätzlicher Empfehlung entschied, gingen die beiden folgenden Beschlüsse hervor:

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-- Übereinkommen (Nr. 100) über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit und ' -- Empfehlung (Nr. 90) betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit.

Das Übereinkommen wurde mit 105 gegen 83 Stimmen, bei 40 Enthaltungen, die Empfehlung mit 146 gegen 18 Stimmen, bei 19 Enthaltungen, angenommen. Unsere Regierungsdelegierten enthielten sich i beide Male der Stimme.

8. Verfahren zur Festsetzung von MindesÜöhnen in der Landwirtschaft Wie an der Tagung von 1950 in Aussicht genommen worden war (siehe unsere Ausführungen BB11951, III, S. 41), beschloss die Konferenz von 1951 ein -- Übereinkommen (Nr. 99) über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft, das mit 116 gegen 31 Stimmen, bei 27 Enthaltungen, angenommen wurde, und eine i : -- Empfehlung (Nr. 89) betreffend die Verfahren zur Pestsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft, bei der 131 Delegierte dafür und 3 dagegen stimmten, während sich 44 der Stimme enthielten. Mit Rücksicht; auf die besondern Verhältnisse unserer Landwirtschaft, auf die wir schon in unserem letztjährigen Bericht verwiesen haben (BB11951, III, S. 41) und über die wir uns weiter unten näher äussern werden, übten unsere Regierungsdelegierten wie damals Stimmenthaltung.

9. Bezahlter Urlaub in der Landwirtschaft

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Nach einer ersten Aussprache besohloss die Konferenz, die Erage des; bezahlten Urlaubes in der Landwirtschaft auf die Traktandenliste der nächsten Tagung zu setzen, um sie abschliessend in einem Übereinkommen und einer Empfehlung zu regeln. Dieser Beschluss wurde mit 138 Stimmen ohne Gegenstimme und bei 23 Enthaltungen gefasst. Unsere Regierungsdelegierten enthielten sich der Stimme.

10. Erneuerung des Verwaltungsrates des Internationalen Arbeitsamtes Nach der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation setzt sich der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes aus 32 Personen zusammen, Bundesblatt. 104. Jahrg. Bd. III.

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826 von denen 16 die Regierungen, 8 die Arbeitgeber und 8 die Arbeitnehmer vertreten. Wie alle drei Jahre waren den Ländern, die nicht auf Grund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung ständig im Verwaltungsrat vertreten sind, 8 Regierungssitze einzuräumen. Ebenso waren die Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer neu zu wählen.

Die ständigen Sitze werden eingenommen von Brasilien, Kanada, China, den Vereinigten Staaten, Frankreich, Indien, Italien und Grossbritannien.

Für die nicht ständigen Sitze gingen folgende Länder aus der Wahl hervor: Belgien, Chile, Finnland, Iran, Mexiko, Pakistan, Portugal und Venezuela.

Was die Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Verwaltungsrat betrifft, behielten die beiden bisherigen schweizerischen Delegierten ihren Sitz als stellvertretende Mitglieder.

Eine besondere Bedeutung erhielten die Wahlen in den Verwaltungsrat dadurch, dass die Regierungsvertreter an der Konferenz -- unter Ausschluss derjenigen der 8 Mitgliedstaaten mit ständigem Sitz -- zum erstenmal auf Grund einer Ergänzung des Konferenzreglementes ausser den 8 ordentlichen Mitgliedern 8 weitere Mitgliedstaaten zu bezeichnen hatten, womit jeder dieser Staaten das Recht erhielt, ein sogenanntes «beisitzendes Regierungsmitglied» (membre gouvernemental adjoint) in den Verwaltungsrat zu entsenden. Diese Neuerung war geschaffen worden, um die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Verwaltungsrat enger zu gestalten und einer möglichst grossen Zahl von Ländern die Mitwirkung an dessen Arbeiten zu ermöglichen.

Auch die Schweiz wurde auf diese Weise neben Australien, Burma, Columbien, Griechenland, Norwegen, den Philippinen und Uruguay gewählt und kehrte damit nach 30 Jahren erneut in den Verwaltungsrat zurück, dem sie bis 1922 auf Grund der ihr seinerzeit zuerkannten Stellung als einer der 8 wichtigsten Industriestaaten angehört hatte.

11. Resolutionen Ausser den bereits erwähnten Resolutionen, die sich auf die in der Tagesordnung der Konferenz aufgeführten Traktanden bezogen, nahm die Konferenz noch eine Resolution an über die Aufrechterhaltung und die Wiederherstellung des Weltfriedens und die Weltsicherheit. Darin bekundet die Internationale Arbeitsorganisation den festen Entschluss, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der Sache des Friedens zu dienen und zu diesem Zweck mit
den massgebenden Organen der Vereinigten Nationen zusammenzuarbeiten.

12. Reglement der Konferenz Die Konferenz nahm auch einige Änderungen an ihrem Reglement vor.

Davon betraf die wichtigste die bereits erwähnte Erweiterung des Verwaltungsrates durch die Wahl von 8 beisitzenden Regierungsmitgliedern.

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DL Die Beschlüsse der Konferenz and die Stellungnahme der Schweiz 1. Übereinkommen und Empfehlung betreffend die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landurirtschaft \ a. Inhalt der Beschlüsse Die Staaten, die das Übereinkommen ratifizieren, verpflichten sich, geeignete Verfahren einzurichten oder beizubehalten, die es gestatten, Mindestlohnsätze für die Arbeitnehmer in landwirtschaftlichen Betrieben und in verwandten Tätigkeiten festzusetzen. In bezug auf den Geltungsbereich einer solchen Regelung gewährt das Übereinkommen den Staaten einen breiten Spielraum (Art. 1). Eine teilweise Abgeltung des Mindestlohnes 'durch Sachleistungen ist unter gewissen Voraussetzungen zulässig (Art. 2). Ebenso steht es, vorbehaltlich des Mitspracherechts der massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, i den Staaten frei, die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen sowie deren Anwendungsweise zu bestimmen. Für körperlich oder geistig behinderte Arbeitnehmer können besondere Vorschriften aufgestellt werden (Art. 3). Weitere Bestimmungen des Übereinkommens befassen sich mit den Massnahmen, die Sicherheit bieten sollen für eine strenge Durchführung des Übereinkommens sowie mit der Art der Berichterstattung der Mitgliedstaaten an das Internationale Arbeitsamt (Art. 4 und 5).

Die Empfehlung, die das Übereinkommen ergänzt, enthält in Form von Vorschlägen weitere Einzelbestimmungen, die sich vor allem auf folgende Fragen beziehen : angemessene Entlöhnung der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer (Abschnitt I), Mitwirkung der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bei der Festsetzung der Mindestlöhne (Abschnitt II), Überprüfung der Mindestlohnsätze in angemessenen Zeitabständen (Abschnitt III) und Sicherung .der Auszahlung der |vorgeschriebenen Mindestlöhne^ (Abschnitt IV).

&. Stellungnahme

der Schweiz

Was das Tatbeständliche betrifft, sei zunächst gesagt, dass die Löhne der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer in der Schweiz im Verhältnis zu denjenigen der meisten andern europäischen Staaten hoch sind. Schon der ständige Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften hat zu einem Auftrieb der Löhne geführt und steht einem Abgleiten des Lohnniveaus entgegen. Auch die Tatsache, das& Vorsorge getroffen wurde, damit zur Verhütung eines Lohndumpings die ausländischen Arbeitskräfte, die wir für unsere Landwirtschaft i benötigen, nicht schlechter entlöhnt werden als unsere einheimischen Arbeiter,! zeugt für das bei uns bestehende relativ hohe Lohnniveau. In rechtlicher Beziehung verpflichtet das Landwirtschattsgesetz von 1951 (Art. 96) die Kantone, das landwirtschaftliche Dienstverhältnis für ihr Gebiet durch Normalarbeitsvertrag gemäss Artikel 324 des Obligationenrechts näher zu regem. Bund die Hälfte der Kantone

828 besitzen schon solche Verträge, welche durchwegs mehr oder weniger ausführliche Bestimmungen über den Lohn enthalten, ohne aber zumeist bestimmte Lohnsätze aufzustellen; immerhin kommen solche ganz vereinzelt vor. Der Frage des Naturallohnes wird vielfach besondere Aufmerksamkeit geschenkt; ebenso ist in verschiedenen Verträgen ein Zusammenwirken massgebender Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zur Eegelung der Löhne vorgesehen.

Das Problem der Löhne in der Landwirtschaft ist somit bei uns keineswegs unbeachtet geblieben. Vielmehr hat sich unser Land, wie die vorstehenden Ausführungen dartun, nicht ohne Erfolg darum bemüht, die Frage in einer unsern föderalistischen Grundsätzen und den verschiedenen regionalen Bedürfnissen angemessenen Weise zu ordnen. Eine Eatifikation des Übereinkommens über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft kommt jedoch nicht in Betracht.

Wenn wir die früher von der Internationalen Arbeitskonferenz aufgestellten landwirtschaftlichen Übereinkommen zumeist nicht ratifizieren konnten und dies damit begründeten, es fehle dem Bund in dieser Beziehung die Gesetzgebungsbefugnis und damit auch die Möglichkeit, sich für die Einhaltung der in den Konventionen enthaltenen Bestimmungen zu verpflichten (BB11923, II, 77,1939, 1,764), so gilt dieser Grund seit der Abänderung des Artikels M*** der Bundesverfassung und der Aufnahme der Wirtschaftsartikel zwar nicht mehr mit solcher Ausschliesslichkeit. Wohl aber fehlt uns die gesetzliche Grundlage, um gestützt darauf den Bestimmungen des in Betracht stehenden Übereinkommens Nachachtung zu verschaffen, und wir sehen uns nicht in der Lage, diese Lücke zu schliessen. Wir haben, namentlich während der Kriegsjahre, die Lohnentwicklung immer aufmerksam verfolgt und mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unsern Einfluss zugunsten der Lohnempfänger und vor allem der minderbemittelten Bevölkerungsteile geltend gemacht. Anderseits haben wir stets die Auffassung vertreten, dass direkte Lohnfestsetzungen, von besondern Ausnahmen abgesehen, mit dem Wesen unserer Wirtschaftsordnung nicht vereinbar seien, und sie deshalb abgelehnt (siehe besonders BB11946, III, S. 856). Eine solche Ausnahme bildete die Heimarbeit, für die wir gestützt auf das Bundesgesetz vom 12. Dezember 1940 Lohnfestsetzungen
vorgenommen haben. Die in der Heimarbeit teilweise bestehenden Verhältnisse und Voraussetzungen -- aussergewöhnlich niedrige Löhne und Unmöglichkeit einer wirksamen Eegelung durch die direkt Beteiligten -- treffen aber für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer keineswegs in gleicher Weise zu, so dass hier auch nicht an die Schaffung ähnlicher gesetzlicher Bestimmungen wie für gewisse Zweige der Heimarbeit zu denken ist. Damit entfällt jedoch die Möglichkeit, dem Übereinkommen beizutreten. Aber auch die Empfehlung wird für uns infolgedessen gegenstandslos, da sie lediglich das Übereinkommen durch Einzelbestimmungen ergänzt.

829 2. Übereinkommen und Empfehlung betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit a. Inhalt der Beschlüsse Das Übereinkommen, das abgesehen von den Formalbestimmungen lediglich aus vier Artikeln besteht, umschreibt zunächst die Begriffe «Entgelt» und « Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit» (Art. 1). Sodann verpflichtet es die Mitgliedstaaten, sich für die Anwendung des genannten Grundsatzes auf alle Arbeitnehmer einzusetzen, wobei die verschiedenen zu diesem Zwecke verfügbaren Möglichkeiten -- Gesetzgebung, kollektive Vereinbarung, Verbindung dieser Formen -- aufgeführt werden (Art. 2). Falls dadurch die Anwendung des Übereinkommens erleichtert wird, sind von den Behörden oder von den Vertragsparteien zu bestimmende Massnahmen zu treffen, die dazu dienen, die verschiedenen Arbeiten auf Grund der dabei erforderlichen Leistung objektiv zu bewerten. Ergeben sich Unterschiede in den Entgeltsätzen, die in der Arbeitsleistung objektiv begründet sind, so ist dies nicht als Verstoss gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts zu betrachten (Art. 3). Schliesslich wird den Staaten die Zusammenarbeit mit den beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden · bei der Durchführung des Übereinkommens vorgeschrieben (Art. 4).

| Nach der das Übereinkommen ergänzenden Empfehlung soll der Grundsatz des gleichen Entgelts auf die öffentlichen zentralen, regionalen und lokalen Verwaltungen angewendet werden (Ziff. 1), ebenso, sobald dies möglich ist, i auf alle weitern Tätigkeiten, in denen die Entgeltsätze behördlich geregelt oder überwacht werden (Ziff. 2). Falls die bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltsätze es gestatten, sollte der Grundsatz des gleichen Entgelts gesetzlich verankert werden (Ziff. 3). Die weitern Vorschläge betreffen die stufenweise Anwendung des Grundsatzes in Fällen, in denen er nicht sofort durchführbar ist (Ziff. 4), die Klassifikation der verschiedenen Beschäftigungen nach der Arbeitsleistung ohne Ansehendes Geschlechts (Ziff. 5) und endlich die Steigerung der Leistungsfähigkeit der weiblichen Arbeitskräfte sowie den Einsatz von Werbung und Forschung, um dem Postulat des gleichen Entgelts und seiner Verwirklichung den Weg zu ebnen (Ziff. 6 bis 8).

b. Stellungnahme der Schweiz

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Das Übereinkommen überbindet dem Staat Verpflichtungen, denen er nur durch Erlasa einer ganzen Eeihe verschiedener Massnahmen nachkommen kann. Diese sind zum Teil in der dazugehörigen Empfehlung im Sinne einer Wegleitung einzeln aufgeführt, zum Teil ergeben sie sich zwangsläufig daraus, dass der Lohn nur dann nach dem Grundsatz der Gleichheit der Entlöhnung bemessen und ausgerichtet werden kann, wenn feststeht, was der Begriff «gleichwertige Arbeit» bedeutet. Die objektive Bewertung der Beschäftigungen auf Grund der dabei erforderlichen Arbeitsleistung bedeutet zweifellos eine nicht

830 leicht zu lösende Aufgabe, der jedoch grosse Bedeutung zukommt, da von der Zuverlässigkeit der Bewertungsmethoden letzten Endes die Höhe des auszurichtenden Lohnes abhängt.

Anderseits ist das Übereinkommen so elastisch gestaltet, dass der einzelne Staat die mit der Eatifikation übernommene Verpflichtung auf verschiedene Art erfüllen kann. Damit fehlt aber diesem Übereinkommen gerade ein wichtiges Erfordernis, von dem es abhängt, ob die internationale Eegelung eines sozialen Problems auch dazu beiträgt, ausgleichend auf die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten auf dem Weltmarkt zu wirken, also auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zweckdienlich ist. Die sozialpolitische Tragweite des Übereinkommens liegt somit offensichtlich weniger auf internationalem als auf nationalem Gebiet. Auch wenn mit, der Eatifikatiou eine bessere Angleichung der Konkurrenzverhältnisse unter den einzelnen Ländern nicht unmittelbar herbeigeführt wird, so soll doch -- das dürfte zunächst der Sinn und Zweck dieses Übereinkommens sein --jeder Staat sich bemühen, die in den Industrieländern im Gange befindliche Anpassung der Stellung der Frau an die veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die aus dem Prozess der fortschreitenden Industrialisierung und den durch zwei Weltkriege verursachten Umwälzungen hervorgegangen sind, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern.

Angesichts dessen, dass die Frau dank gleichen Lern- und Ausbildungsmöglichkeiten und dem Willen zur beruflich qualifizierten Leistung in einer immer grösseren Zahl von Berufsgebieten und Beschäftigungsarten in engeren Wettbewerb mit dem Manne tritt, war es zweifellos gerechtfertigt, das damit zusammenhängende Lohnproblem, der Internationalen Arbeitskonferenz zu unterbreiten und die Mitgliedstaaten zu veranlassen, die Frage zu prüfen, inwieweit der Stand der Frauenlöhne eines staatlichen Eingriffes bedarf. Auch in unserm Lande, in dem die Erwerbstätigen beinahe zu einem Drittel weiblichen Geschlechtes sind und ganz allgemein Produktion und wirtschaftliches Woblergehen zu einem beträchtlichen Teil auf der Hände Fleiss und den Leistungen der Frau beruhn, verdient diese Frage alle Aufmerksamkeit. Dabei ist festzustellen, dass die Angleichung der Löhne für Männer- und Frauenarbeit bei uns bemerkenswerte Fortschritte gemacht hat,
wie dies aus den amtlichen Lohnstatistiken hervorgeht. Es zeigt sich, dass der Grundsatz, der Frau bei gleicher Leistung den gleichen Lohn zu gewähren wie dem Manne, sowohl in der Privatwirtschaft wie in den öffentlichen Betrieben schon vielfach Anwendung findetj vor allem, wenn es sich um Arbeitsplätze handelt, auf denen von der Frau dieselbe Arbeit verlangt wird wie vom Manne. Dagegen machen sich schon bei nur gleichartigen und erst recht bei nicht ohne weiteres vergleichbaren Arbeiten die erwähnten Schwierigkeiten einer objektiven Bewertung vermehrt geltend. Ferner lässt auch der Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen mit gleichen Grundlohn- oder Akkordlohnansätzen auf eine fortschreitende Verwirklichung des erwähnten Grundsatzes schliessen. Eine solche Lohnpolitik kommt nicht nur den Frauen zugute, deren Leistungsfreudigkeit und Verant-

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wortungsbewusstsein dadurch gesteigert werden, sondern schützt zugleich den Mann vor ungesunder Konkurrenzierung durch sohlecht bezahlte Frauenarbeit.

So naheliegend es aber auch war, diese für alle Industrieländer bedeutsame Präge der Lohnangleichung vor das Forum der Internationalen Arbeitskonferenz zu bringen, so wenig erachten wir die Aufstellung eines internationalen Übereinkommens, das die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte mit Hilfe staatlicher Intervention herbeiführen iwill, als geeignete Lösung. Dass das Übereinkommen viel zu elastisch ist, um auf internationalem Boden für beide Geschlechter gleichartige Lohnverhältnisse herzustellen, wurde schon ausgeführt. Anderseits müssen wir aber in Anbetracht der besonderen Verhältnisse unseres Landes auch vom nationalen Standpunkt aus gegen das Übereinkommen entscheidende Einwände erheben.

Wie schon oben (S. 828) bei Behandlung der Frage der Mindestlöhne in der Landwirtschaft dargelegt wurde, gilt bei uns der Grundsatz, dass die Festsetzung der Löhne Sache der Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie ihrer Verbände sei und dass der Bund nur dort einzuschreiten habe, wo ausgesprochene Mißstände bestehen und die direkt Beteiligten selber nicht in der Lage sind, die Verhältnisse angemessen zu regeln. Diese Einstellung, die ja bei uns auch sonst für das Verhältnis zwfschen Staat und Individuum gilt, entspricht dem Charakter unserer Wirtschafts- und Staatsordnung. Deshalb wird der Bund, wo er nicht selbst Arbeitgeber ist, im allgemeinen keine Lohnfestsetzungen vornehmen. Bisher hat er dies einzig im Gebiete der Heimarbeit getan, weil er hier die erwähnten Voraussetzungen als erfüllt betrachtete.

Nun erhielt zwar der Bund durch die revidierten Wirtschaftsartikel die allgemeine Befugnis, zum Schutze der Arbeitnehmer Vorschriften zu erlassen.

Nach dem Gesagten käme aber offenbar ein solcher staatlicher Eingriff nur in Frage, wenn bei uns die Frauenarbeit allgemein derart schlecht entlöhnt würde, dass der Bund sich im öffentlichen Interesse veranlagst sähe, einzuschreiten.

Dazu besteht jedoch kein Anlass. Dagegen steht es den Verbänden selbstverständlich frei, Gesamtarbeitsverträge abzuschliessen, die den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts für männliche und weibliche Arbeitskräfte verwirklichen, und um
die Allgemeinverbindlicherklärung solcher Verträge nachzusuchen.

Aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hätten wir grosse Bedenken gegen staatliche Massnahmen zur Angleichung der für Frauen- und Männerarbeit bezahlten Löhne. Wohl kann sich in gewissen Fällen niedrig bezahlte Frauenarbeit im Konkurrenzkampf zum Nachteil der Männer auswirken. Umgekehrt wäre es aber auch durchaus möglich, dass bei einer staatlich veranlassten Lohnangleichung im Sinne des Übereinkommens die Arbeitgeber, herkömmlichen Überlegungen folgend, den männlichen Arbeitskräften den Vorzug geben würden und die Frauen somit den Schaden hätten. Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass eine vom Staat mehr oder weniger erzwungene Erhöhung der Löhne für Frauenarbeit zahlreiche Wirtschaftszweige erheblich belasten, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markte beeinträchtigen und zu

832 Verhältnissen führen könnte, die ebensowenig im sozialen wie im wirtschaftlichen Interesse unseres Landes liegen.

Mag auf den ersten Blick das weit gefasste und mit keinen Einzelheiten belastete Übereinkommen auch den Anschein erwecken, als enthalte es keine schwer erfüllbaren Verpflichtungen, so dass seine Eatifikation leicht zu verantworten wäre, so trügt dieser Schein. Es ist der Kerngedanke des Übereinkommens, dass sich der Staat mit allen ihm zur Verfügung stehenden gesetzlichen und praktischen Möglichkeiten dafür einsetzen soll, dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Frau und Mann im Gebiete der Löhne zum Durchbruch zu verhelfen und dessen Einhaltung sicherzustellen. Diesem Erfordernis vermag der Bund, wie gezeigt wurde, beim gegenwärtigen Stand der Dinge nur inäusserst bescheidenem Umfang zu entsprechen, und es besteht für ihn auch keine Aussicht, seinen Einfluss auf die Lohngestaltung in absehbarer Zeit erweitern und damit den Anforderungen des Übereinkommens besser genügen zu können. Wir legen aber der Eatifikation eines internationalen Arbeitsübereinkommens eine zu ernste Bedeutung bei, als dass wir uns bei dieser Sachlage für eine Unterschrift ohne eigentliche reale Deckung hergeben könnten. Der Beitritt zu diesem Übereinkommen müsste zweifellos Erwartungen wecken, die zu erfüllen wir gar nicht in der Lage wären. Die Eatifikation würde deshalb Enttäuschungen und Beanstandungen zur Folge haben und uns nicht zuletzt auch als Mitgliedstaat der Internationalen Arbeitsorganisation ernsthafte Schwierigkeiten bereiten.

Aus den genannten Gründen sehen wir keine Möglichkeit, .Ihnen zu beantragen, uns zur Eatifikation des Übereinkommens zu ermächtigen.

Diese Haltung berührt in keiner Weise die Würdigung der von der Schweizer Frau geleisteten Arbeit, deren volkswirtschaftliche Bedeutung, ganz abgesehen von ihren ausserwirtschaftliohen Werten, eine feststehende Tatsache ist. Auch verbinden wir damit keinerlei Urteil über Billigkeit und Wiinschbarkeit der vom Übereinkommen geforderten Gleichstellung. Unsere Ablehnung beruht einzig darauf, dass die bei uns bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten nicht in Einklang zu bringen sind mit der Konzeption des Übereinkommens, die vom Staate die massgebende Führung zur Verwirklichung des in Betracht stehenden Grundsatzes verlangt. Dass
die Entwicklung auch in unserem Land im Sinne einer Angleiohung der Löhne für Frauen- und Männerarbeit fortschreitet, wurde schon gesagt, und es ist in erster Linie Sache der unmittelbar beteiligten Organisationen, die sich zum Grundsatze der Konvention bekennen, diese natürliche Entwicklung mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu fördern. . , Was die Empfehlung betrifft, war die Frage, ob sie sich an alle Mitgliedstaaten wende oder nur an diejenigen, die dem Übereinkommen beitreten, an der Konferenz umstritten; doch siegte die These, dass sie für alle Mitglieder gelte. Trotzdem ist die Empfehlung in einer Weise mit der Konvention und ihrer Durchführung verknüpft, dass die darin enthaltenen Vorschläge zu einem guten

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Teil nur diejenigen Staaten berühren, die das Übereinkommen ratifizieren.

Soweit sie sich anderseits in mehr allgemeiner Art auf die Stellung der Frau im Wirtschaftsleben beziehen, geht es verschiedentlich um Postulate, die in unserem Lande erfüllt sind, wie etwa die Forderung nach Gleichbehandlung der Frau im Gebiete der Berufsberatung, der beruflichen Ausbildung und der Arbeitsvermittlung oder nach besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Frau bei Schaffung von Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen. Wenn sodann die Empfehlung verlangt, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Zulassung zu den verschiedenen Berufen und Stellungen; sollte gefördert werden, so ist zu sagen, dass diese Gleichstellung--jedenfalls soweit sie von den Behörden abhängt und eine Sonderregelung nicht durch besondere Verhältnisse bedingt ist -- bei uns weitgehend besteht und dass die Frau mehr und mehr auch in Berufen und Stellungen ihren Platz findet, die einstmals als Domäne des Mannes galten. Dass anderseits bei der Wahl und Ausübung des Berufes auch die Natur ein Wort mitzureden hat und es immer Tätigkeiten geben wird, für die entweder der Mann oder die Frau sich besser eignet, ist wphl unbestritten.

Zum Schluss fordert die Empfehlung, es sollte alles getan werden, um in der öffentlichen Meinung ein besseres Verständnis für den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts zu wecken, und es seien des weitern alle wünschbaren Untersuchungen über die mit dieser Gleichstellung zusammenhängenden Probleme durchzuführen, um die Anwendung des genannten Grundsatzes zu fördern.

Unseres Erachtens sind auch solche propagandistischen Bestrebungen nicht Sache des Staates, sondern der interessierten Organisationen. Was dagegen die wichtige Frage der Untersuchungen anbelangt, möchten wir folgendes bemerken.

Das vom Übereinkommen in Verbindung mit der Empfehlung gestellte Problem besteht zweifellos ganz unabhängig von der Ratifikation. Es besteht sogar in einer Weise, die weit über den Eahmen des Übereinkommens hinausgeht. Im Hintergrund steht die Frage der Gleichheit des Entgelts für gleichwertige Arbeit überhaupt, also die Frage des gerechten Lohnes schlechthin.

Aber schon, wenn wir innerhalb der vom Übereinkommen gezogenen Grenzen bleiben, erkennen wir, dass vorläufig noch fast alle Grundlagen fehlen, die einen klaren
Einblick in die Verhältnisse gestatten würden. So ist wohl im allgemeinen eine Annäherung der Löhne für Frauen- und Männerarbeit festzustellen, während es jedoch an genaueren Einzelheiten noch weitgehend fehlt. Wie schwer sodann der für die Lohnbemessung massgebende Begriff der gleichwertigen Arbeit theoretisch au erfassen und praktisch anzuwenden ist, wurde bereits angedeutet.

Problematisch ist auch, in wessen Hände die Aufgabe zu legen wäre, die verschiedenen Arbeiten und Beschäftigungen objektiv zu bewerten.; Diese und andere Fragen, die durch das Übereinkommen zur Erörterung gestellt sind, verdienen zweifellos, schon um ihrer allgemeinen volkswirtschaftlichen Bedeutung willen, unsere Aufmerksamkeit, und wir werden gerne die Möglichkeit, wo sie sich bietet, wahrnehmen, um in Verbindung mit den beteiligten Organisationen und Institutionen zu ihrer Abklärung beizutragen.

834 3. Empfehlungen betreffend die Gesamtarbeitsverträge sowie das freimüige Ewigungs- und Schiedsverfahren a. Inhalt der Empfehlungen Die sich auf die Gesamtarbeitsverträge beziehende Empfehlung stellt eine Eeihe von fundamentalen Grundsätzen aus dem Eechtsgebiet des Gesamtarbeitsvertrages zusammen, mit der Forderung an die Mitgliedstaaten, ihnen bei der Eegelung dieses heute für die kollektiven Beziehungen so wichtigen Eechtsinstrumentes Beachtung zu schenken. So wird die Schaffung von Einrichtungen zur Förderung des Abschlusses und der Eevision von Gesamtarbeitsverträgen empfohlen (Ziff. 1) und eine Begriffsbestimmung dieser Vertragsart aufgestellt (Ziff. 2). Im weitern wird die Unabdingbarkeit der Gesamtarbeitsverträge festgelegt, wobei aber in Einzeldienstverträgen sich vorfindende Bestimmungen, die für den Arbeitnehmer günstiger lauten als diejenigen des Gesamtarbeitsvertrages, nicht als diesem widersprechend zu betrachten sind.

Können die Parteien die Anwendung der Gesamtarbeitsverträge selber durchsetzen, so brauchen die Vorschriften über die Unabdingbarkeit nicht mit gesetzlichen Mitteln gestützt zu werden (Ziff. 3). Die Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages sollten, vorbehaltlich anderer Abmachungen, auf alle in den unter den Gesamtarbeitsvertrag fallenden Betrieben tätigen Arbeitnehmer Anwendung finden (Ziff. 4). Hinsichtlich der Ausdehnung des Geltungsbereiches eines solchen Vertrages auf alle zu dessen beruflichem und räumlichem Geltungsbereich gehörenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden sodann gewisse durch die nationale Gesetzgebung der Mitgliedstaaten zu berücksichtigende Grundsätze aufgestellt (Ziff. 5), während sich weitere Bestimmungen auf die Beilegung von Streitigkeiten, die bei der Auslegung von Gesamtarbeitsverträgen entstehen können (Ziff. 6), und auf die Überwachung der Anwendung solcher Verträge beziehen (Ziff. 7). Endlich wird unter anderem die Eegistrierung der Gesamtarbeitsverträge und der daran vorgenommenen Abänderungen empfohlen (Ziff. 8).

Die Empfehlung über das freiwillige Einigungs- und Schiedsverfahren erklärt zunächst, dass Einrichtungen zur Verhütung und Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten geschaffen werden sollten (Ziff. 1), und verlangt, dass in den Einigungsstellen, in denen die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer vertreten sind, diese Vertretung eine
gleichmässige sei (Ziff. 2). Das Einigungsverfahren sollte rasch und kostenlos durchgeführt werden und entweder auf Betreiben einer an der Streitigkeit beteiligten Partei oder von Amtes wegen eingeleitet werden können (Ziff. 3). Ist eine Streitigkeit mit Zustimmung der beteiligten Parteien einem Einigungs- oder einem Schiedsverfahren unterworfen worden, so sollte darauf hingewirkt werden, dass die Parteien während des Verfahrens auf Streiks und Aussperrungen verzichten (Ziff. 4 und 6). Eine weitere Bestimmung betrifft Form und Geltung der im Laufe oder als Ergebnis des Verfahrens erzielten Abmachungen (Ziff. 5), und schliesslich wird jede Auslegung, als ob die Empfehlung das Streikrecht irgendwie beschränke, ausgeschlossen (Ziff. 7).

835 b. Stellungnahme der Schweiz Die Empfehlung über die Gesamtarbeitsverträge berührt das Recht des Einigungsverfahrens (Ziff. l und 6), das Privatrecht (Ziff. 2, 4, 7, 8, lit. a und c), das Recht der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (Ziff. 5) und das Arbeitsverwaltungsrecht (Ziff. 8, ht. V). Die Erhaltung und Förderung des Gesamtarbeitsverträges und die Beilegung der:aus solchen Vertragen entstehenden Streitigkeiten gehören zu den Aufgaben, denen sich die Einigungsstellen der Kantone und Verbände durchaus im Sinne der Empfehlung widmen. Im Zusammenhang mit dem gegenwärtig in Vorbereitung befindlichen Bundesgesetz über den Gesamtarbeitsvertrag und dessen Allgemeinverbindlichkeit wird sich sodann Gelegenheit geben, zu prüfen, ob und inwiefern das kommende schweizerische Gesamtarbeitsvertragsrecht auf die weitern Bestimmungen der Empfehlung ausgerichtet werden soll. Was insbesondere die in Ziffer 8, lit. b, vorgesehene Hinterlegung der Gesamtarbeitsverträge anbelangt, so ist diese im Bereiche des Bundes auf freiwilligem Wege ebenfalls praktisch weitgehend verwirklicht, während gewisse Kantone im Zusammenhang mit den von ihnen erlassenen Bestimmungen über das Einigungswesen die Einsendepflicht vorgeschrieben haben. Auch hier wird dem Sinne nach der Empfehlung also bereits nachgelebt, und es drängen sich keine weitern besondern Massnahmen auf.

Die Empfehlung betreffend das freiwillige Einigungs- und Schiedsverfahren enthält zur Hauptsache Gesichtspunkte, die im schweizerischen Einigungswesen durch ausdrückliche Bestimmungen oder in der Praxis anerkannt sind und Berücksichtigung finden. Verwiesen sei auf das Fabrikgesetz, Artikel 30 ff., das Bundesgesetz vom 12. Februar 1949 über die eidgenössische Einigungsstelle zur Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten und die zugehörige Vollziehungsverordnung vom 2. September 1949, ferner auf die zahlreichen kantonalen Erlasse sowie auf die Bestimmungen in Gesamtarbeitsverträgen. Soweit dagegen die Verhältnisse bei uns den Vorschlägen der Empfehlung zurzeit noch nicht oder nicht vollständig entsprechen, wird sich Gelegenheit geben, die dort enthaltenen Anregungen, wo immer ,man sich künftig in Bund, Kantonen und Verbänden mit den Problemen des Ausbaus unserer Einiguugsinstitutionen befasst, zu prüfen und je nach den gegebenen
Möglichkeiten zu berücksichtigen.

IV. Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Vorlage der Übereinkommen und Empfehlungen an die zuständige Behörde Entsprechend der nach Artikel 19, Absätze 5 und 6, der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation den Mitgliedstaaten auferlegten Verpflichtung, die von der Internationalen Arbeitskonferenz aufgestellten Übereinkommen und Empfehlungen ein Jahr oder keinesfalls später als 18 Monate nach Schiusa der Konferenz der zur Entscheidung berufenen Behörde zu unterbreiten, erstatten wir Ihnen den vorhegenden Bericht. Die Notwendigkeit, die

836

vom Internationalen Arbeitsamt in Verbindung mit den beteiligten Regierungen besorgte deutsche Übersetzung der französisch und englisch abgefassten Originaltexte abzuwarten, ist wiederum der Grund, weshalb wir für unsern Bericht von der verlängerten Frist von 18 Monaten Gebrauch machen mussten.

Wir empfehlen Ihnen, unsern Ausführungen zuzustimmen, und versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 12. Dezembei 1952.

973

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Kobelt Der Bundeskanzler: Ch. Oser

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Beilage

Vierunddreissigste Tagung der

Internationalen Arbeitskonferenz (Genf, 6. bis 30. Juni 1951)

Übereinkommen und Empfehlungen Die nachstellend abgedruckten deutschen Texte bilden die in Übereinstimmung mit Artikel 42 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz angefertigten offiziellen Übersetzungen der französischen und englischen Urtexte.

Übereinkommen (Nr. 99) über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 zu ihrer vierunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Antrage anzunehmen betreffend die .Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft, eine Frage, die den achten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen, !

; Die Konferenz nimmt heute, am 28. Juni 1951, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Landwirtschaft), 1951, bezeichnet wird.

Artikel l 1. Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, geeignete Verfahren einzurichten oder beizubehalten, die es gestatten, Mindestlohnsätze für die Arbeitnehmer in landwirtschaftlichen Betrieben und in verwandten Tätigkeiten festzusetzen.

2. Jedem Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, steht es frei, nach Anhörung der massgebendeh beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-

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verbände, falls solche bestehen, die Betriebe, Tätigkeiten und Personengruppen zu bestimmen, auf welche die im vorstehenden Absätze vorgesehenen Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen anzuwenden sind.

3. Die zuständige Behörde kann von der Anwendung aller oder einzelner Bestimmungen dieses Übereinkommens Personengruppen ausnehmen, auf die diese Bestimmungen infolge ihrer Anstellungsbedingungen unanwendbar sind, wie zum Beispiel die vom Betriebsinhaber beschäftigten Familienangehörigen.

Artikel 2 1. Die Gesetzgebung, Gesamtarbeitsverträge oder Schiedssprüche können die teilweise Abgeltung des Mindestlohnes durch Sachleistungen in Fällen zulassen, in denen diese Zahlungsweise wünschenswert oder üblich ist.

2. Soweit die teilweise Abgeltung des Mindestlohnes durch Sachleistungen statthaft ist, sind geeignete Massnahmen zu treffen, damit a. die Sachleistungen dem persönlichen Gebrauch des Arbeitnehmers und seiner Familie dienen und ihren Bedürfnissen entsprechen, b. der Wert dieser Leistungen gerecht und angemessen berechnet wird.

Artikel 3

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1. Jedem Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, steht es frei, vorbehaltlich der in den folgenden Absätzen genannten Bedingungen, die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen sowie deren Anwendungsweise zu bestimmen.

2. Bevor darüber entschieden wird, sind die massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, falls solche bestehen, wie auch nach.

Ermessen der zuständigen Behörde andere durch ihren Beruf oder ihren Wirkungskreis dazu besonders geeignete Personen eingehend zu Eate zu ziehen.

3. Die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben an der Durchführung der Verfahren teilzunehmen oder müssen dabei zu Eate gezogen werden oder das Eecht haben, angehört zu werden, und zwar in der Form und in dem Masse, wie die Gesetzgebung dies vorsieht, jedenfalls aber auf dem Fusse völliger Gleichberechtigung.

4. Die festgesetzten Mindestlohnsätze haben für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindliche Kraft; sie dürfen nicht unterschritten werden.

5. Die zuständige Behörde kann erforderlichenfalls Einzelausnahmen von den Mindestlohnsätzen zulassen, um eine Verminderung der Beschäftigungsmöglichkeiten für körperlich oder geistig behinderte Arbeitnehmer zu verhüten.

Artikel 4 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um sicherzustellen, dass die beteiligten Arbeit-

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geber und Arbeitnehmer Kenntnis von den geltenden Mindestlohnsätzen erhalten und dass die wirklich gezahlten Löhne nicht niedriger sind als die geltenden Mindestsätze; diese Massnahmen haben die erforderlichen den! landwirtschaftlichen Verhältnissen des betreffenden Landes am besten entsprechenden Überwachungs-, Aufsichts- und Zwangsmassnahmen zu umfassen.

2. Jedem Arbeitnehmer, für den die Mindestlohnsätze gelten, der aber einen geringeren Lohn erhalten hat, ist das Eecht zu wahren, im EeChtsweg oder in einem anderen geeigneten Verfahren die Zahlung des ihm gebührenden Lohnrestes innerhalb einer von der Gesetzgebung zu bestimmenden Frist zu erwirken.

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Artikel 5

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Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat dem Internationalen Arbeitsamt allj ährlich eine allgemeine Darlegung zu übermitteln, die über die Art und Weise der Anwendung sowie über die Ergebnisse der Verfahren Auskunft gibt. Diese Darlegung hat zusammenfassende Angaben über die Tätigkeiten und die ungefähren Zahlen der von der Eegelung erfassten Arbeitnehmer, über die festgesetzten Mindestlohnsätze und gegebenenfalls über die sonstigen für die Mindestlohnregelung besonders wichtigen Umstände zu enthalten.

Artikel 6 i . ' Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 7

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1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Eatifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate, nachdem die Eatifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 8 1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gemäss Artikel 85, Absatz 2, der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation übermittelten Erklärungen hat das beteiligte Mitglied die Gebiete bekanntzugeben, a. für die es die Verpflichtung zur unveränderten Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens übernimmt, b. für die es die Verpflichtung zur Durchführung der Bestimmungen des 1 Übereinkommens mit Abweichungen übernimmt, unter Angabe der Einzelheiten dieser Abweichungen, :

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e. in denen das Übereinkommen nicht durchgeführt werden kann, und jn diesem Falle die Gründe dafür, .

.

.

d. für die es sich die Entscheidung bis zu einer weiteren Prüfung der Lage in bezug auf die betreffenden Gebiete vorbehält.

2. Die Verpflichtungen nach Absatz l, a und b, dieses Artikels gelten als wesentlicher Bestandteil der Ratifikation und haben die Wirkung einer solchen.

8. Jedes Mitglied kann die in der ursprünglichen Erklärung nach Absatz l, b, c und d, dieses Artikels mitgeteilten Vorbehalte jederzeit durch eine spätere Erklärung ganz oder teilweise zurückziehen.

4. Jedes Mitglied kann dem Generaldirektor zu jedem'Zeitpunkt, in dem dieses Übereinkommen nach Artikel 10 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt in bestimmten Gebieten bestehende Lage angegeben wird.

Artikel 9 1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach .Artikel 85, Absätze 4 und 5, der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation übermittelten Erklärungen ist anzugeben, ob das Übereinkommen in dem betreffenden Gebiet mit oder ohne Abweichungen durchgeführt wird; besagt die Erklärung, dass die Durchführung des Übereinkommens mit Abweichungen erfolgt, so sind die Einzelheiten dieser Abweichungen anzugeben.

2. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können jederzeit durch eine spätere Erklärung auf das Recht der Inanspruchnahme jeder in einer früheren Erklärung mitgeteilten Abweichung ganz oder teilweise verzichten.

8. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem das Übereinkommen nach Artikel 10 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt bestehende Lage in bezug auf die Durchführung dieses Übereinkommens angegeben wird.

Artikel 10 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung
wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen

1

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!

Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden.

In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 11 ' 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Liternationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Eatifikationen, Erklärungen und Kündigungen, die ihm von deii Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Eatifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

.

; · Artikel 12 ' \ Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinigten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charte der Vereinigten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Eatifikationen, Erklärungen und Kündigungen.

, ; ; i Artikel 13 : Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, so oft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über!die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung;der Konferenz gesetzt werden soll.

; : Artikel 14 ': 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an; welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen'nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a. Die Eatifikation des1 neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Überein1 kommens in sich, ohne Rücksicht auf Artikel 10, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen; in Kraft getreten ist.

b. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

\ 2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.: Artikel 15 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

: Bundesblatt. 104. Jahrg. Bd. III.

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Empfehlung (Nr. 89) betreffend die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 zu ihrer vierunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Verfahren zur Pestsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft, eine Frage, die den achten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung zur Ergänzung des Übereinkommens über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Landwirtschaft), 1951, erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 28. Juni 1951, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Landwirtschaft), 1951, bezeichnet wird.

Die Konferenz empfiehlt den Mitgliedern, die folgenden Bestimmungen anzuwenden, sobald es die Verhältnisse in ihrem Lande gestatten, und dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die zu ihrer Verwirklichung getroffenen Massnahmen zu berichten.

I.

1. Bei der Festsetzung der Mindestlohnsätze ist es wünschenswert, dass die mit dieser Aufgabe betraute Stelle unter allen Umständen der Notwendigkeit Kechnung trägt, den beteiligten Arbeitnehmern eine angemessene Lebenshaltung zu sichern.

; 2. Bei der Festsetzung der Mindestlohnsätze sollten unter anderem folgende Umstände berücksichtigt werden: die Kosten der.Lebenshaltung, der gerechte und angemessene Wert der geleisteten Dienste, die für ähnliche und vergleichbare Arbeiten nach den in der Landwirtschaft bestehenden Gesamtarbeitsverträgen gezählten Löhne und der allgemeine Stand der Löhne für die eine ähnliche Befähigung erfordernden Arbeiten in andern Berufen des betreffenden Gebietes, in denen die Arbeitnehmer ausreichend organisiert sind.

II.

3. Zwecks Durchführung der Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft, gleichviel .welcher Art sie sind, sollte eine Erhebung über die in der Landwirtschaft und den verwandten Tätigkeiten bestehenden Verhältnisse vorgenommen werden; die wesentlich und hauptsächlich beteiligten Parteien, d. h. die Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder ihre massgebenden Verbände, falls solche bestehen, sollten angehört werden. Die Meinung der beteiligten Parteien sollte über sämtliche mit der Festsetzung von Mindestlöhnen zusammenhängende Fragen eingeholt und gebührend berücksichtigt werden.

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843

4. Um den etwaigen Lohnfestsetzungen grösseres Gewicht zu sichern, sollte, falls es die für die Festsetzung von Mindestlöhnen eingeführten Verfahren ermöglichen, den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern eine unmittelbare und paritätische Teilnahme an der Tätigkeit der mit der Festsetzung von Mindestlöhnen betrauten Stellen durch Vertreter in gleicher Zahl oder jedenfalls mit gleichem Stimmrecht gewährt werden.

5. Um sicherzustellen, dass die Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer das Vertrauen derjenigen besitzen, deren Interessen sie in den Fällen des Absatzes 4 vertreten, sollte den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern, soweit die Umstände dies gestatten, das Eecht eingeräumt werden, bei der Bestimmung ihrer Vertreter mitzuwirken. Jedenfalls sollten die Verbände der · Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, falls solche bestehen, aufgefordert werden, diejenigen Personen namhaft zu machen, die zu Mitgliedern der mit der Lohnfestsetzung betrauten Stelle ernannt werden sollen.

6. Falls das für die Festsetzung von Mindestlöhnen eingeführte Verfahren die Mitwirkung unabhängiger Personen entweder für das Schiedsverfahren oder in anderer Eigenschaft vorsieht, sollten Personen des einen oder anderen Geschlechts gewählt werden, die anerkanntermassen die erforderliche Befähigung zur Erfüllung ihrer Aufgabe besitzen und an der Landwirtschaft oder einer verwandten Tätigkeit nicht derart beteiligt sind, dass dadurch ein Zweifel an ihrer Unparteilichkeit entstehen könnte.

III.

7. Es sollte ein Verfahren vorgesehen werden, das eine Überprüfung der Mindestlohnsätze in angemessenen Zeitabständen ermöglicht. '

· · ÏV' 8. Zum wirksamen Schutze der Löhne der beteiligten Arbeitnehmer sollten unter den Massnahmen, die eine Gewähr dafür bieten, dass keine geringeren als die festgesetzten Mindestlöhne gezahlt werden, insbesondere die folgenden getroffen werden: ; ' .

.

a. Vorkehrungen, um die geltenden Mindestlohnsätze bekanntzumachen und insbesondere die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der den Verhältnissen des betreffenden Landes am besten entsprechenden Weise über diese Sätze auf dem laufenden zu halten, b. eine amtliche Überwachung der wirklich gezahlten Löhne, c. Zwangsmassnahmen bei Verstössen gegen die geltenden Lohnsätze wie auch Massnahmen zur Verhütung solcher Verstösse.

: 9. Es erscheint angezeigt, geeignete Aufsichtspersonen in genügender Zahl zu verwenden, die ähnliche Befugnisse erhalten sollten, wie sie für Arbeitsaufsichtsbeamte im Übereinkommen über die Arbeitsaufsicht, 1947, vorgesehen

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sind. Diese Aufsichtspersonen sollten sich durch Erhebungen bei den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern davon überzeugen, ob die tatsächlich gezahlten Löhne den geltenden Mindestlohnsätzen entsprechen, und gegebenenfalls die bei Verstössen gegen die Lohnsätze zulässigen Massnahmen treffen.

10. Damit die Aufsichtspersonen ihre Aufgabe bestmöglich zu erfüllen vermögen, sollten die Arbeitgeber, wenn die zuständige Behörde es für angezeigt oder notwendig erachtet, verpflichtet werden, vollständige und genaue Aufzeichnungen über die von ihnen gezahlten Löhne zu führen und den Arbeitnehmern Lohnbücher oder andere ähnliche Unterlagen auszuhändigen, auf Grund deren sich feststellen lässt, ob die tatsächlich gezahlten Löhne den geltenden Mindestlohnsätzen entsprechen.

11. Für den Fall, dass die Arbeitnehmer nicht allgemein in der Lage sind, selbst ihr Eecht auf Zahlung des ihnen nach den bestehenden Mindestsätzen noch geschuldeten Lohnbetrages im Bechtsweg oder in einem anderen geeigneten Verfahren geltend zu machen, sollten andere zu diesem Zwecke wirksam erscheinende Massnahmen vorgesehen werden.

Übereinkommen (Nr. 100) über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 'zu ihrer vierunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, eine Frage, die den siebenten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am .29. Juni 1951, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts, 1951, bezeichnet wird.

Artikel l , Für dieses Übereinkommen gelten folgende Begriffsbestimmungen: a. Der Ausdruck «Entgelt» umfasst den üblichen Lohn, den Grund- oder Mindestlohn oder das übliche Gehalt, das Grund- oder Mindestgehalt sowie alle zusätzlichen Vergütungen, die der Arbeitgeber auf Grund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zu zahlen hat.

b. Der Ausdruck « Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit» bezieht sich auf Entgeltsätze, die ohne Eücksicht auf den Unterschied des Geschlechts festgesetzt sind.

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:

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Artikel 2

;

1. Jedes Mitglied hat mit den Mitteln, die den bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltsätze entsprechen, die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit auf alle Arbeitnehmer zu fördern und, soweit es! mit diesen Ver: fahren vereinbar ist, sicherzustellen.

2. Dieser Grundsatz kann verwirklicht werden durch a. die Gesetzgebung, b. gesetzlich geschaffene oder anerkannte Einrichtungen zur Lohnfestsetzung, c. Gesamtarbeitsverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder ] d. eine Verbindung dieser verschiedenen Mittel.

: Artikel 3 ; 1. Wird die Anwendung dieses Übereinkommens dadurch erleichtert, so sind Massnahmen zu treffen, die einer objektiven Bewertung der Beschäftigungen auf Grund der dabei erforderlichen Arbeitsleistung dienlich sind.

2. Die bei dieser Bewertung anzuwendenden Methoden können entweder von den für die Festsetzung der Entgeltsätze zuständigen Behörden oder, wenn die Entgeltsätze auf Grund vdn Gesamtarbeitsverträgen festgesetzt werden, von den Vertragsparteien bestimmt' werden.

. ; 3. Unterschiede zwischen den Entgeltsätzen, die ohne Bücksicht auf das Geschlecht des Arbeitnehmers derart objektiv festgestellten Unterschieden der Arbeitsleistung entsprechen, sind nicht als Verstoss gegen den Grundsatz der .Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit anzusehen.

\ . ; · . .

Artikel 4 : ; ·· \ ' Jedes Mitglied hat in geeigneter Weise mit den beteiligten Arbeitgeberund Arbeitnehmerverbänden bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens ziisammenzuarbeiten.

Artikel 5

\

Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 6 !

1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Eatifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

i ; 2. Es tritt in Kraft zwölf Monate, nachdem die Batifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

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3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Eatifikation in Kraft.

·

·

Artikel 7

1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gemäss Artikel 35, Absatz 2, der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation übermittelten Erklärungen hat das beteiligte Mitglied 'die Gebiete bekanntzugeben, .

a. für die es die Verpflichtung zur unveränderten Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens übernimmt, b. für die es die Verpflichtung zur Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens mit Abweichungen übernimmt, unter Angabe der Einzelheiten dieser Abweichungen, c. in denen das Übereinkommen nicht durchgeführt werden kann, und in diesem Falle die Gründe dafür, d. für die es sich die Entscheidung bis zu einer weiteren Prüfung der Lage in bezug auf die betreffenden Gebiete vorbehält.

2. Die Verpflichtungen nach Absatz l, a und b, dieses Artikels gelten als wesentlicher Bestandteil der Eatifikation und haben die Wirkung einer solchen.

3. Jedes Mitglied kann die in der ursprünglichen Erklärung nach Absatz l, b, c und d, dieses Artikels mitgeteilten Vorbehalte jederzeit durch eine spätere Erklärung ganz oder teilweise zurückziehen.

4. Jedes Mitglied kann dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem dieses Übereinkommen nach Artikel 9 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt in bestimmten Gebieten bestehende Lage angegeben wird.

- Artikel 8 1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach Artikel 35, Absätze 4 und 5, der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation übermittelten Erklärungen ist anzugeben, ob das Übereinkommen in dem betreffenden Gebiet mit oder ohne Abweichungen durchgeführt wird; besagt die Erklärung, dass die Durchführung des Übereinkommens mit Abweichungen erfolgt, so sind die Einzelheiten dieser Abweichungen anzugeben.

2. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können jederzeit durch eine spätere Erklärung auf das Recht der Inanspruchnahme jeder in einer früheren Erklärung mitgeteilten Abweichung ganz oder teilweise verzichten.

3. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem das Übereinkommen nach Artikel 9 gekündigt werden kann, eine Er-

;

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klärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt bestehende Lage in bezug auf die Durchführung dieses Übereinkommens angegeben wird.

Artikel 9 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige .an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem ^eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden.

In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 10 ; 1, Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen, Erklärungen, und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

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; Artikel 11 l Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes: übermittelt dem Generalsekretär der Vereinigten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charte der Vereinigten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen.

Artikel 12 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes 'hat, so oft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 13 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an^ welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen:

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ä. Die Eatifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich, ohne Bücksicht auf Artikel 9, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

o. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

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Artikel 14

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Empfehlung (Nr. 90) betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 zu ihrer vierunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, eine Frage, die den siebenten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und hat dabei beschlossen, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung zur Ergänzung des .Übereinkommens über die Gleichheit des Entgelts, 1951, erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 29. Juni 1951, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die Gleichheit des Entgelts, 1951, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dass das Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts, 1951, bestimmte allgemeine Grundsätze betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit aufstellt.

: Sie zieht in Betracht,: dass das genannte Übereinkommen bestimmt, die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit sei durch Mittel zu fördern oder sicherzustellen, die den bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltsätze in den beteiligten Ländern entsprechen.

Sie hält es für angezeigt, bestimmte Verfahren für die stufenweise Anwendung der durch das Übereinkommen aufgestellten Grundsätze anzugeben.

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Sie vertritt die Auffassung, es sei ausserdem wünschenswert, dass alle Mitglieder bei der Anwendung dieser Grundsätze die in bestimmten Ländern als zufriedenstellend erachteten Anwendungsmethoden berücksichtigen.

Die Konferenz empfiehlt deshalb jedem Mitglied, die nachstehenden Bestimmungen unter Berücksichtigung des Artikels 2 des genannten Übereinkommens anzuwenden und, dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die Massnahmen zu berichten, die es zur Durchführung dieser Bestimmungen getroffen hat: 1. Nach Anhörung der beteiligten Arbeitnebmerverbände oder, falls solche nicht bestehen, nach Anhörung der beteiligten Arbeitnehmer sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um a. die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit auf alle Personen sicherzustellen, die in den Dienstzweigen und Stellen der öffentlichen Zentralverwaltung beschäftigt sind, b. die Anwendung dieses Grundsatzes auf Personen zu fördern, die in den Dienstzweigen und Stellen der Verwaltung von Gliedstaaten oder Provinzen eines Bundesstaates oder einer örtlichen Verwaltung beschäftigt sind, sofern diese für die Festsetzung der Entgeltsätze zuständig sind.

2. Nach Anhörung der .beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um sobald wie möglich die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit in allen nicht in Absatz l erwähnten Tätigkeiten sicherzustellen, in denen die Entgeltsätze einer öffentlichen Regelung oder Überwachung unterliegen, insbesondere a. bei der Festsetzung von Mindestlohnsätzen oder sonstigen Lohnsätzen in Wirtschaftszweigen oder Diensten, in denen diese Sätze durch eine : Behörde festgesetzt werden, ' .

· b. in Wirtschaftszweigen und in Betrieben, die in öffentlichem Eigentum stehen oder öffentlich überwacht werden, und, c. wo dies zweckmässig erscheint, bei Arbeiten, die auf Grund von Aufträgen einer Behörde ausgeführt werden.

3. (1) Falls es die bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltsätze gestatten, sollte die allgemeine Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit durch gesetzliche
Bestimmungen sichergestellt werden.

; (2) Die zuständige Behörde sollte die erforderlichen und geeigneten Massnahmen treffen, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer über diese gesetzlichen Bestimmungen vollkommen unterrichtet und nötigenfalls in bezug auf deren Anwendung beraten werden.

, i 4. Stellt es sich nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, falls solche bestehen, als unmöglich heraus, den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleich-

850 wertige Arbeit hinsichtlich der unter die Absätze l, 2 oder 3,fallenden Beschäftigungen sofort anzuwenden, so sollten so bald wie möglich geeignete Bestimmungen zur stufenweisen Anwendung dieses Grundsatzes getroffen oder veranlasst werden, insbesondere durch Massnahmen wie a. Verminderung der Unterschiede zwischen den Entgeltsätzen männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, b. falls ein System von Entgeltzulagen besteht, Gewährung gleicher Zulagen für männliche und weibliche Arbeitskräfte, die gleichwertige Arbeit verrichten.

5. Sofern die Festsetzung von Entgeltsätzen nach dem Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit dadurch erleichtert wird, sollte jedes Mitglied im Einvernehmen mit den beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden Methoden einführen oder deren Einführung begünstigen, die eine objektive Bewertung der bei den verschiedenen Beschäftigungen zu leistenden Arbeit, entweder durch eine Analyse der betreffenden Arbeit oder durch andere Mittel, zum Zweck einer Einteilung der Beschäftigungen ohne Bücksicht auf das Geschlecht erlauben; die genannten Methoden sollten nach den Bestimmungen des Artikels 2 des Übereinkommens angewendet werden.

6. Um die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit zu erleichtern, sollte nötigenfalls in zweckdienlicher Weise eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der weiblichen Arbeitskräfte angestrebt werden, insbesondere durch a. Gewährung gleicher oder gleichwertiger Möglichkeiten für Arbeitnehmer beider Geschlechter auf den Gebieten der Berufsberatung, der Arbeitsberatung, der beruflichen Ausbildung und der Arbeitsvermittlung, &. geeignete Massnahmen, welche die Frauen veranlassen sollen, von den Möglichkeiten auf den Gebieten der Berufsberatung, der Arbeitsberatung, der beruflichen Ausbildung und der Arbeitsvermittlung Gebrauch zu machen, , o. Schaffung von Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen, die den Bedürfnissen der weiblichen Arbeitskräfte, insbesondere solcher mit Familienlasten, entsprechen, und Finanzierung dieser Einrichtungen aus allgemeinen · öffentlichen Mitteln oder aus Fonds der sozialen Sicherheit oder aus Betriebs- oder Industriefonds, die für Wohlfahrtszwecke bestimmt sind
und deren Mittel durch Zahlungen zugunsten der Arbeitnehmer ohne Eücksicht auf das Geschlecht aufgebracht werden, d. Förderung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Zulassung zu den verschiedenen Berufen und Stellungen, vorbehaltlich der internationalen Eegelungen und der nationalen Gesetzgebung zum Schutze der Gesundheit und der Wohlfahrt der Frauen.

7. Es sollte mit allen Mitteln angestrebt werden, in der öffentlichen Meinung das Verständnis für die Gründe zu fördern, die zugunsten der Anwendung des

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Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit sprechen.

; 8. Es sollten alle zwecks Förderung der Anwendung dieses Grundsatzes wünschenswerten Untersuchungen vorgenommen werden.

Empfehlung (Nr. 91) betreffend die

Gesamtarbeitsverträge

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 zu ihrer vierunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene; Anträge anzunehmen betreffend die Gesamtarbeitsverträge, ' eine Frage, die zum fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und hat dabei bestimmt, d'ass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen, deren Durchführung je nach dem den Verhältnissen des betreffenden Landes entsprechenden Verfahren von den beteiligten Parteien oder von den Behörden sicherzustellen wäre.

Die Konferenz nimmt heute, am 29. Juni 1951, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die Gesamtarbeitsverträge, 1951, bezeichnet wird.

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: I. Verfahren für Kollektivverhandlungen 1. (1) Im Wege der Vereinbarung oder der Gesetzgebung, je nach dem den Verhältnissen des betreffenden Landes entsprechenden Verfahren, sollten den Umständen jedes einzelnen Landes angepasste Einrichtungen zur Verhandlung über Gesamtarbeitsverträge sowie für den Abschluss, die Änderung und die Erneuerung solcher Verträge oder zur Unterstützung der Parteien bei der Verhandlung über Gesamtarbeitsverträge sowie beim Abschluss, bei der Änderung oder der Erneuerung solcher Verträge geschaffen werden.

(2) Die Organisation, die Tätigkeit und die Aufgaben dieser Einrichtungen sollten durch Vereinbarungen zwischen den Parteien oder durch die Gesetzgebung, je nach dem den Verhältnissen des betreffenden Landes entsprechenden Verfahren, geregelt werden.

II. Begriffliche

Bestimmung des Gesamtarbeitsvertrages

2. (1) Im Sinne dieser Empfehlung gilt als «Gesamtarbeitsvertrag» jede schriftliche Vereinbarung über die Arbeits- und Anstellungsbedingungen, die von einem Arbeitgeber, einer Gruppe von Arbeitgebern oder einem oder mehreren Arbeitgeberverbänden einerseits und von einem oder mehreren rnassgebenden Arbeitnehmerverbänden oder, mangels solcher Verbände, von Vertretern der beteiligten Arbeitnehmer, die von diesen nach gesetzlicher Vorschrift ordnungsmässig; gewählt und bevollmächtigt sind, anderseits abgeschlossen worden ist.

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(2) Diese Begriffsbestimmung sollte keinesfalls so ausgelegt werden, als ob sie die Anerkennung eines von den Arbeitgebern oder ihren Vertretern ins Leben gerufenen, beherrschten oder finanzierten Arbeitnehmerverbandes in sich schlösse.

' III. Wirkungen der Gesamtarbeitsverträge 8. (1) Gesamtarbeitsverträge sollten die Unterzeichner sowie alle diejenigen binden, in deren Namen sie abgeschlossen sind. Die durch einen Gesamtarbeitsvertrag gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten nicht durch Einzelarbeitsverträge Bestimmungen vereinbaren dürfen, die den Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages entgegenstehen.

(2) Die einem Gesamtarbeitsvertrag entgegenstehenden Bestimmungen solcher Einzelarbeitsverträge sollten als nichtig angesehen und ohne weiteres durch die entsprechenden Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages ersetzt werden.

(3) Sind Bestimmungen von Einzelarbeitsverträgen den Arbeitnehmern günstiger als die von dem Gesamtarbeitsvertrag vorgesehenen Bestimmungen, so sollten sie nicht als dem Gesamtarbeitsvertrag entgegenstehend erachtet werden.

(4) Wird die tatsächliche Einhaltung der Bestimmungen der Gesamtarbeitsverträge von den vertragschliessenden Teilen gewährleistet, so sollten die in den vorstehenden Unterabsätzen vorgesehenen Bestimmungen nicht so ausgelegt werden, als ob sie gesetzgeberische Massnahmen erforderten.

4. Die Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages sollten auf alle Arbeitnehmer der beteiligten Gruppen, die in den unter den Gesamtarbeitsvertrag fallenden Betrieben beschäftigt sind, Anwendung finden, sofern der Gesamtarbeitsvertrag nicht ausdrücklich das Gegenteil vorsieht.

IV. Ausdehnung der Gesamtarbeitsverträge 5. (1) Wo es mit Eücksicht auf die bestehenden Verhältnisse im Gesamtarbeitsvertragswèsen angebracht erscheint, sollten gesetzlich zu bestimmende und den Umständen jedes Landes angepasste Massnahmen getroffen werden, um alle oder einzelne Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages auf alle in den beruflichen und räumlichen Geltungsbereich des Vertrages fallenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer auszudehnen.

(2) Die Gesetzgebung kann die Ausdehnung eines Gesamtarbeitsvertrages .insbesondere an folgende Voraussetzungen knüpfen: a. Der Gesamtarbeitsvertrag sollte bereits eine nach Ansicht der zuständigen Behörde hinlänglich massgebende Zahl von beteiligten
Arbeitgebern und Arbeitnehmern erfassen.

b. Der Antrag auf Ausdehnung des Gesamtarbeitsvertrages sollte in der Eegel durch einen oder mehrere dem Gesamtarbeitsvertrag angeschlossene Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverbände gestellt werden.

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e. Die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, auf die der Gesamtarbeitsvertrag im Falle der Ausdehnung zur Anwendung gebracht würde, sollten zuvor Gelegenheit erhalten, sich dazu zu äussern.

V. Auslegung, der Gesamtarbeitsverträge '

' 6. Die aus der Auslegung eines Gesamtarbeitsvertrages entstehenden Streitigkeiten sollten in einem geeigneten Verfahren beigelegt werden, das je nach den Verhältnissen des einzelnen: Landes durch Vereinbarung zwischen den Parteien oder durch die Gesetzgebung zu regeln wäre.

VI. Überwachung der Anwendung der Gesamtarbeitsverträge 7. Mit der Überwachung der Anwendung der Gesamtarbeitsverträge sollten entweder die an den Gesamtarbeitsverträgen beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände oder die bestehenden Überwachungsstellen oder eigens zu diesem Zweck errichtete Stellen betraut werden.

VII. Verschiedene Massnahmen ; 8. Die Gesetzgebung kann insbesondere vorsehen ; a. die Verpflichtung der durch die Gesamtarbeitsverträge gebundenen; Arbeitgeber, geeignete Massnahmen zu treffen, um den Wortlaut der auf; ihre Betriebe anwendbaren Gesamtarbeitsverträge den beteiligten Arbeitnehmern zur Kenntnis zu bringen, '· ', b. die Eintragung oder die Hinterlegung der Gesamtarbeitsverträge und aller nachträglich daran vorgenommenen Abänderungen, c. eine Mindestdauer, während der die Gesamtarbeitsverträge, falls darin nichts Gegenteiliges bestimmt ist, als in Kraft befindlich zu gelten haben; vorausgesetzt, dass sie nicht: vor ihrem Ablauf von den Parteien abgeändert oder gelöst werden.

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Empfehlung (Nr. 92) betreffend das freiwillige Einigungsund Schiedsverfahren Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 zu:ihrer vierunddreissigsten .Tagung zusammengetreten ist, !

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend das freiwillige Einigungs- und Schiedsverfahren, eine Frage, die zum fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung gehört, und hat dabei bestimmt, dass diese Anträge die .Form einer Empfehlung erhalten sollen, deren Durchführung je nach dem den Verhältnissen des betreffenden : Landes entsprechenden Verfahren von den beteiligten Parteien oder von den Behörden sicherzustellen wäre.

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Die Konferenz nimmt heute, am 29. Juni 1951, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend das freiwillige Einigungs- und Schiedsverfahren, 1951, bezeichnet wird.

I. Freiwilliges Einigungsverfahren I..ES sollten den Landesverhältnissen angepasste Stellen für freiwillige Einigung errichtet werden, die bei der Verhütung und Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mitzuwirken haben.

2. In jeder auf paritätischer Grundlage errichteten Stelle für freiwillige Einigung sollten die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer in gleicher Zahl vertreten sein.

8. (1) Das Verfahren sollte kostenlos sein und ohne Verzögerung durchgeführt werden; jede von der Gesetzgebung vorgeschriebene Frist sollte im voraus bestimmt und auf ein Mindestmass beschränkt sein.

(2) Durch entsprechende Bestimmungen sollte dafür gesorgt werden, dass das Verfahren entweder auf Betreiben einer der an der Streitigkeit beteiligten Parteien oder von Amts wegen durch die Stelle für freiwillige Einigung eingeleitet werden kann.

4. Ist eine Streitigkeit mit Zustimmung aller beteiligten Parteien einem Einigungsverfahren unterworfen worden, so sollte den Parteien nahegelegt werden, während des Einigungsverfahrens von Streiks und Aussperrungen abzusehen.

5. Alle zwischen den Parteien im Laufe des Verfahrens oder als Ergebnis des Verfahrens erzielten Abmachungen sollten schriftlich niedergelegt und im üblichen Weg abgeschlossenen Vereinbarungen gleichgehalten werden.

II. Freiwilliges Schiedsverfahren 6. Ist eine Streitigkeit mit Zustimmung aller beteiligten Parteien einem Schiedsverfahren unterworfen worden, so sollte den Parteien nahegelegt werden, während des Schiedsverfahrens von Streiks und Aussperrungen abzusehen und den Schiedsspruch anzunehmen.

III. Allgemeines 7. Keine Bestimmung dieser Empfehlung darf so ausgelegt werden, als ob sie das Streikrecht irgendwie beschränke.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die 34. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (Vom 12. Dezember 1952)

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1952

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18.12.1952

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819-854

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