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Rede des Herrn Dr. Renold, Präsident der Vereinigten Bundesversammlung, anlässlich des Rücktrittes von Herrn Bundespräsident von Steiger # S T #

Herr Bundespräsident!

Am 2. Juli dieses Jahres war es Ihnen vergönnt, den 70. Geburtstag zu begehen. Sie feierten ihn nicht in der Geruhsamkeit beschaulichen Kückblicks, sondern aufrecht und kraftvoll mitten in der Erfüllung Ihrer verantwortungsvollen Aufgaben, welche Ihnen Ihr hohes Amt auferlegt. Das Schweizervolk hat Ihnen damals seine besten Glückwünsche zu Ihrem Ehrentage dargebracht.

Heute, da Sie sich von der schweren Bürde entlasten und in den wohlverdienten Euhestand zu treten wünschen, gestatten Sie mir, rückwärts schauend, die von Ihnen für Land und Volk geleisteten grossen Dienste in tiefer Dankbarkeit kurz zu würdigen: Der Eintritt von Herrn Bundesrat von Steiger in den Bundesrat erfolgte durch die Wahl vom 10. Dezember 1940. Es war eine ernste und gefahrdrohende Zeit, als der vom Vertrauen der Vereinigten Bundesversammlung Getragene als Nachfolger des Herrn Minger und als siebenter Berner Mitglied der Landesregierung wurde. Die nationalsozialistischen Heere hatten Frankreich niedergerungen und trugen Sieg auf Sieg davon, und es bedurfte der grössten militärischen nnd wirtschaftlichen Anstrengungen, um unser vom Nationalsozialismus und Faschismus eingekreistes Land abseits dieses furchtbaren Völkerringens zu halten. Als Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes hatte der neue Bundesrat ein enormes Arbeitsprograrnm zu bewältigen. Die in diesem Departement zusammengefassten beiden Abteilungen der Justiz und der Polizei verlangten den Einsatz einer starken und weitblickenden Persönlichkeit. Es galt einerseits dafür zu sorgen, dass trotz des notgedrungen eingeführten Vollmachtenrechtes die bestehende Eechtsordnung, soweit es die Verhältnisse zuliessen, aufrechterhalten blieb oder da, wo Eingriffe sich als notwendig erwiesen, sie mindestens in Bahnen geleitet wurden, die von der verfassungsrechtlichen Grundlage unserer freiheitlichen Demokratie nicht über Gebühr, abrückten; anderseits war es der Kampf um die Sicherheit des Landes gegen die verräterischen und antidemokratischen Umtriebe, zu denen sich bedauerlicherweise auch Schweizerbürger haben verleiten lassen. Es war ein schwerer und aufreibender Abwehrkampf, der sich im Zusammenhang mit dem Kriegs-

29 geschehen gegen die links- und rechtsextremistischen Elemente abspielte. Der vom Bundesrat dem Parlament: erstattete einlässliche Bericht über die antidemokratische, Tätigkeit von Schweizern und Ausländern legt für alle Zeiten Zeugnis ab von der festen Haltung unserer obersten Behörde, an der Herr Bundesrat von Steiger massgeblich beteiligt war.

Eine besonders schwierige und heikle Arbeit stellte die Frage des Asylrechtes und das Flüchtlingsproblem und die nach Kriegsende einsetzende Säuberungsaktion dar. Infolge der kriegerischen und politischen Ereignisse nahm der Zustrom von Flüchtlingen ein gewaltiges Ausmass an. Die Schweiz hat während des Krieges über 294 000 Zivil- und Militärflüchtlinge aufgenommen und sie kürzere oder längere Zeit beherbergt. Die Höchstzahl der gleichzeitig in unserem Lande weilenden Flüchtlinge wurde im Mai 1945 mit über 115 000 erreicht. Sie zu betreuen und unterzubringen, sie streng zu halten und doch deren menschliche Tragik nicht ganz ausser acht zu lassen, bedeutete für den Vorsteher des Justiz- und Polizeideparternentes eine besonders grosse und aufreibende Aufgabe. Sie wurde gelöst, und ich weiss, dass gerade in dieser Richtung Herr Bundesrat von Steiger oft persönlich eingegriffen und diesen armen Menschen grosses Verständnis entgegengebracht hat, soweit es die Interessen unseres Landes gestatteten, ebensosehr aber auch die starke Hand zeigte, als es galt, nach dem Kriege unser Land von all jenen ausländischen , Elementen, die sich durch ihre Tätigkeit eines weitern Verbleibes in unserem Land als unwürdig erwiesen hatten, auszuweisen, so schwer es vielleicht manchmal auch vom rein menschlichen Standpunkt aus betrachtet erscheinen mochte.

«Unter Umständen muss man hart und unnachgiebig scheinen, rnuss Vorwürfe, Bekämpfungen und Verleumdungen ertragen und trotzdem widerstehen können und nicht umfallen. Was tut:s, wenn wir ein gutes Gewissen haben und wissen, dass wir es nicht für uns, sondern für andere tun. Wenn zwischen Gemüt und Verstand Konflikte einsetzen, das Herz wohl:tun möchte und die Pflicht Halt gebietet, dann lernt man kennen, was widerstehen heis.st.» So sprach damals an einer grossen Landsgemeinde der jungen Kirche in Zürich Herr Bundesrat von Steiger. Es sind Worte, die von einem unverrückbaren Pflichtgefühl für das Landeswohl eines
verantwortungsbewussten Staatsmannes Zeugnis ablegen.

Seit dem 1. Februar 1942 wurde dem Bundesrat die Abteilung Presse und Funkspruch unterstellt und gleichzeitig dem Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes das Pressesekretariat zugeteilt. Durch dessen Vermittlung und das Verständnis, das Herr Bundesrat von Steiger der Presse gegenüber stets erwiesen hat und das auch m der gegenwärtig vor den Räten liegenden Vorlage betreffend die Revision des Presserechtes zum Ausdruck kommt, wurde der Kontakt mit der Presse hergestellt. In zahlreichen Konferenzen unter Leitung des Departementsvorstehers wurden die Fragen der Presse und des Nachrichtendienstes, Neugründungsgesuche für Zeitungen und Zeitschriften, Filmfragen, Papierkontingentierung usw. eingehend und loyal behandelt. Es

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mag die Presse gerade heute mit besonderer Genugtuung erfüllen, dass der Bundesrat in seinem Bericht an die Bundesversammlung zum Bericht des Generals feststellen konnte: : «Die während des Aktivdienstes gesammelten Erfahrungen zeigen, dass der Presse und Publizität im weitesten Sinne als einem wesentlichen Faktor der geistigen Landesverteidigung besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist.» Herr Bundesrat von Steiger darf für sich in Anspruch nehmen, weitgehend zu dieser Erkenntnis beigetragen zu haben.

Das Überfliegen unseres Territoriums durch fremde Flugzeuge und die damit immer grösser werdende Gefahr des Bombenabwurfes veranlassten den Vorsteher des Justiz-, und Polizeidepartementes im Jahre 1942 in Zusammenarbeit mit den öffentlichen und privaten Versicherungsinstitutionen, den Bundesrat zwei Beschlüsse beschliessen zu lassen, der eine zwecks Errichtung eines Fonds zur Deckung von Neutralitätsverletzungsschäden an in der Schweiz gegen Feuer versicherten Gebäuden, und den andern betreffend die Beitragsleistung des Bundes an einer Hilfeleistung bei Neutralitätsverletzungsschäden.

Die getroffenen Massnahmen haben sich bei den schweren Bombardierungen, von denen unser Land verschiedenenorts heimgesucht wurde, aufs beste bewährt.

Die Tätigkeit des Vorstehers des Justiz- und Polizeidepartementes erschöpfte sich jedoch nicht in den eben geschilderten kriegsbedingten Aufgaben.

Es lag nahe, dass sich der hervorragende Jurist von Steiger, der, bevor er im Jahre 1939 bernischer Eegierungsrat geworden war, eines der bekanntesten Anwaltsbureaus in Bern führte, auch mit gesetzgeberischen Problemen befasste, die dem friedlichen Auf- und Ausbau unseres Rechtsstaates zu dienen vermochten oder die im Zuge des Abbaues der Vollmachten notwendig waren.

Ich möchte von der grossen Zahl der in die Amtszeit des Herrn Bundesrat von Steiger fallenden Gesetzes'eiiasse nur folgende nennen: das Bundesgesetz vom 10. Dezember 1941 über die Revision des Bürgschaftswesens; das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege ; das Bundesgesetz vom. 28. September 1944 über rechtliche Schutzmassnahrnen für die Hotel- und Stickereiindustrie, abgeändert durch Bundesgesetz vom 23. Juni 1950; .

, das Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über die Revision des Bundeszivilprozesses; das Bundesgesetz
vom 4. Dezember 1947 über die Schuldbetreibuug gegen Gemeinden und andere Körperschaften des kantonal-öffentlichen Rechtes; das Bundesgesetz vom 4, Februar 1949 über den Agenturvertrag; das Bundesgesetz vom 1. April 1949 betreffend die Vorschriften über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen ; endlich die Teilrevisiou des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes vom 28. September 1949.

31 Alle diese Erlasse, die zum Teil eine recht komplizierte Materie beschlagen, tragen den Stempel von Bundesrat von Steiger; sie sind bis in alle Details durchgedacht, zeichnen sich durch Klarheit in der Eedaktion aus und lassen nicht schwer d e n früheren Praktiker erkennen.

; ' · ' . ' · Was sodann seinem Vorgänger im Amte nicht geglückt war, ist. Herrn Bundesrat von Steiger gelungen. Ich nenne die Abänderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches mit den neuen den Erfordernissen der heutigen Zeit angepassten -Staatsschutzbestimrnungen vom S.Oktober 1951. Auch die Abänderung des Militärstrafrechtes und der Militärgerichtsördnüng fällt in die Amtszeit des heute Zurücktretenden.

,Im Jahre 1943 hat der Bundesrat dem Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes ;die Ausarbeitung der Landwirtschaftsgesetzgebung übertragen, deren Ziel die Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes und die Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft in der Nachkriegszeit sein sollte. Heute darf es Herrn Bundesrat von Steiger mit besonderer Genugtuung erfüllen, dieses grosse Gesetzeswerk in enger Zusammenarbeit mit einer Expertenkommission und zahlreichen Unterkommissionen und in Übereinstimmung, mit den wirtschaftlichen Spitzenverbänden unseres Landes, abgestützt auf die Wirtschaftsartikel, zu einem glücklichen Abschluss gebracht zu haben. Für das bäuerliche Bodenrecht ist die Eeferendumsfrist unbenutzt abgelaufen; dessen Inkraftsetzung steht daher nichts mehr entgegen. Das in der letzten Session beschlossene Bundesgesetz über die Förderung der Landwirtschaft und die Erhaltung des Bauernstandes, kurz Landwirtschaftsgesetz genannt, harrt des Urteils, des Volkes. Die Landwirtschaft dankt Herrn Bundespräsident von Steiger für seinen kraftvollen wie ebenso klugen Einsatz für diese beiden gesetzgeberischen Werke, die der Existenzsicherung unserer Landwirtschaft dienen, die aber auch für die Existenz und Unabhängigkeit unseres ganzen Landes von grösster Bedeutung sind. Die Haltung von Herrn Bundesrat von Steiger der Landwirtschaft gegenüber zeugt von der hohen staatspolitischen Auffassung des aus altem Patriziergeschlecht stammenden Magistraten.

Im Jahre Ì945 war es Herrn von Steiger als Bundespräsidenten vergönnt, namens des gesamten Schweizervolkes die Fahnen und Feldzeichen unserer Armee, die während sechs Jahren in
treuer Pflichterfüllung an der Grenze stand, entgegenzunehmen. Das Präsidialjahr 1951 gab dem Bundespräsidenten Gelegenheit, an den grossen Feiern in Zürich, Liestal. Basel und Schaffhansen dem eidgenössischen Gedanken und der Solidarität und Zusammengehörigkeit aller Eidgenossen in erhebender Weise Ausdruck zu geben.

Herr Bundespräsident, das sind einige wenige Hauptmerkmale Ihrer erfolgreichen Magistratenlaufbahn. Für weitere grosse gesetzgeberische Arbeiten haben Sie den Grund gelegt, auf dem Ihr Nachfolger wird aufbauen können., Ich nenne u. a. das Bundesgesetz betreffend die Erleichterung der Stimmabgabe, das neue Bürgerrechtsgesetz und die Pievision des Artikels 55 BV.

Alle die genannten Werke zeugen von der gewaltigen Arbeit, die Sie in schwerer und ernster Zeit dem Lande geleistet haben. Sie dürfen mit Stolz und Genug-

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