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Bericht

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des

Bundesrates an die Bundesversammlung über ein Postulat betreffend die Einführung der Volksinitiative für die Bundesgesetzgebung (Vom 8. Dezember 1952)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Am 4. Oktober 1950 hat der Nationalrat das folgende, am 14. Dezember 1949 von Herrn Arthur Schmid, in Oberentfelden, und 42 Mitunterzeichnern eingereichte Postulat angenommen : «Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob nicht,im Interesse vermehrter Anteilnahme desVolkes an unserer Gesetzgebung, die formulierte Gesetzgebungsinitiative in die Bundesverfassung einzuführen sei.» : i

Wir beehren uns, Ihnen hiermit unseren Bericht vorzulegen:

, Es, geschieht · . " . ;:nicht' zum erstenmal, ! Ldass sich die. eidgenössischen ' : : Behörden ·' mit dem Problem der Gesetzesinitiative zu befassen haben.

Wir erinnern1 daran, dass dieses Volksrecht in der Verfassungsvorlage vorgesehen war, die in der Volksabstimmung vom 12. Mai 1872 verworfen wurde.

Die betreffende Bestimmung wurde im Jahre 1873 in den neuen Bevisionsentwurf aufgenommen, jedoch in der Folge fallen gelassen. Nachdem am 5. Juli 1891 das Initiativrecht auch für die Partialrevision der Verfassung eingeführt worden war, griff eine im Nationalrat im Dezember 1893 eingereichte Motion neuerdings die Frage der Gesetzesinitiative auf; sie wurde aber im Juni 1896 zurückgezogen und ohne Diskussion von der Geschäftsliste gestrichen.

In Ausübung ihres Vorschlagsrechtes (Art. 93, Abs. 2 BV) schlugen die Kantone Zürich und Solothurn im Jahre 1904 der Bundesversammlung vor, die Gesetzesinitiative in die Bundesverfassung aufzunehmen. Die Zürcher

780 Begierung empfahl sie insbesondere aus folgenden Gründen: Mit Eecht habe Prof. Berney erklärt, die Erfahrungen, welche die Kantone mit der Volksinitiative gemacht, hätten genügend gezeigt, dass das Schweizer Volk hiefür ausreichend politische Eeife und gesunden Menschenverstand. besitze. Souverän sei das Volk nur, wenn 'es seinen Willen jederzeit zur Geltung bringen könne, und zwar nicht erst auf Befragen der Behörden. Das Prinzip der Volkssouveränität verlange daher nicht nur das Referendum, sondern auch die Initiative.

Während das Volk durch das Eeferendum keine schöpferische Tätigkeit ausübe, sondern sich darauf beschränke, zu verneinen oder höchstens das Werk der Behörde bestätige, trage es durch die Initiative aktiv und direkt zur Gesetzgebung bei. Überdies erlaube die Gesetzesinitiative, auch diejenigen Anschauungen in wirksamer Weise, zum Worte kommen zu lassen, die in den Eäten nicht zur Geltung kommen. Das politische Leben eines Volkes bedürfe, um gesund zu bleiben,, der Bewegung. Ein Übermass von Bewegung sei nicht zu befürchten, wie die bisherigen Erfahrungen in den Kantonen bestätigt hätten. Selbst dann, wenn ein Initiativbegehren vom Volke verworfen werde, liege ein unbestreitbarer Gewinn in der durch die politische Diskussion herbeigeführten Abklärung der Situation. Die Gesetzesinitiative könne als die natürliche Folge und die notwendige Ergänzung der Verfassungsinitiative betrachtet werden. Da keinerlei Bestimmung darüber bestünde, was materiell als Verfassungsrecht gelten könne, .sei es rechtlich möglich, auf dem Wege der Partialrevision Bestimmungen, die zweifellos in Gesetze oder Verordnungen gehören würden, in die Bundesverfassung hineinzubringen (vgl. z. B. Art. 25Ms BV betreffend das Schlachten der Tiere). Es habe keinen Sinn, dem Volke das Eecht der Initiative mit Bezug auf einfache Gesetze zu versagen, wenn man ihm das Eecht gewähre, die ganze Verfassung jeden Augenblick durch eine andere zu ersetzen (BB11906, III, 3-5).

Der Bundesrat hat den Vorschlag der Kantone Zürich und Solothurn in seiner Botschaft vom G.März 1906 geprüft (BEI 1906, III, l ff.; speziell 28).

Er stellte darin zusammenfassend fest, das Bundesrecht gewähre dem Schweizervolk einen unbeschränkten Einfluss auf die Gestaltung der Bundesverfassung; es handle sich nun darum, einen Schritt weiter zu gehen,
indem, man ihm durch Einführung der Gesetzesinitiative ein Mittel in die Hand gebe, direkt auf die Gesetzgebung einzuwirken, ohne dass es zu Verfassungsrevisionen Zuflucht nehmen müsste. Deshalb beantragte der Bundesrat, in die Bundesverfassung einen neuen Artikel 93bls mit folgendem Wortlaut einzufügen: «FünfzigtaUsend stimmberechtigte Schweizerbürger oder acht Kantone haben das Recht, den Erlass, die Abänderung oder die Aufhebung eines Bundesgesetzes, ebenso die Abänderung oder die Aufhebung eines allgemein verbindlichen Bundesbescblusses zu verlangen.

Einem solchen Initiativbegehren wird nur dann Folge gegeben, wenn die Bundesversammlung erklärt, dass es weder gegen die Bundesverfassung noch gegen die auf einem Staatsvertrage beruhenden Verpflichtungen des Bundes verstosse.

Das Begehren um Erlass eines Bundesgesetzes1 oder um Abänderung eines Bundesesetzes oder eines allgemein verbindlichen Bunde'sbeschlusses kann sowohl in der Form er allgemeinen Anregung als in der Form des ausgearbeiteten Entwurfes gestellt werden.

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Wird das Initiativbegehren in der Form der allgemeinen Anregung gestellt und ist die Bundesversammlung mit demselben einverstanden, so · erlässt sie ein ent. sprechendes Gesetz oder eirien entsprechenden Bundesbesohluss, und es findet alsdann Artikel 89, Absatz 2, Anwendung. Sind nicht beide Räte mit dem Initiativbegehren einverstanden, so ist die Frage, ob dem Initiativbegehren Folge zu;geben sei, dem Volke zur Entscheidung vorzulegen. Spricht sich die Mehrheit der stimmenden Bürger für das Initiativbegehren aus, so erlässt die Bundesversammlung ein entsprechendes Gesetz oder einen entsprechenden Bundesbeschluss, und es findet alsdann Artikel 89, Absatz 2, Anwendung.

Wird das Initiativbegehren in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfes gestellt, oder wird die Aufhebung eines Gesetzes oder eines allgemein verbindlichen Bundesbeschlusses verlangt, und ist die Bundesversammlung damit einverstanden, so erhält das Initiativbegehren, unter Vorbehalt des Artikels 89, Absatz 2, Gesetzeskraft. Sind nicht beide Räte:mit dem Initiativbegehren einverstanden, so ist dasselbe dem Volke ; ohne weiteres zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen.

Die Bundesversammlung kann dem Volke bei der Abstimmung über ein Initiativbegehren, mit dem sie nicht einverstanden ist, Verwerfung beantragen, oder ihm gleichzeitig mit dem Initiativbegehren einen Gegenentwurf zum Entscheide vorlegen.»

Dieser Vorschlag übernahm: demnach für die Ausübung des Gesetzesinitiativrechts teils Vorschriften, die für das fakultative Referendum gelten, und teils solche, die für die Verfassungsinitiative bestehen (Art. ,89, Abs. 2, und Art. 120/121 BV) ; 'das Gesetzesinitiativrecht hätte von 50 000 Aktivbürgern oder 8 Kantonen ausgeübt werden' können ; der aus einem Volksbegehren hervorgehende Gesetzeserlass hätte indessen der Abstimmung nur des Volkes (nicht auch der Stände) unterbreitet werden müssen, und zwar fakultativ oder obligatorisch, je nachdem die Bundesversammlung mit dem Erlass einverstanden gewesen wäre oder nicht.

, Der Entwurf des Bundesrates fand keine Gnade vor den eidgenössischen Bäten. Der Nationalrat, dem die Priorität zukam, unterzog ihn einer gründlichen Prüfung.: Die Mehrheit der Kommission beantragte ; eine Ergänzung in dem Sinne, dass eine Initiative die Aufhebung von Gesetzen oder allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüssen erst drei Jahre nach deren Inkrafttreten verlangen könnte. Anderseits beabsichtigte eine Minderheit der Kommission, nicht nur das Volks-, sondern auch das Ständemehr zu fordern, wie dies für die Ver-, fassungsinitiativen der Fall ist. Andere Batsmitglieder verlangten die Aufnahme einer Bestimmung, die dafür Gewähr biete, dass die durch Volksbegehren vorgeschlagenen Gesetze eine verfassungsmässige Grundlage hätten. Bundespräsident Forrer gab eine Übersicht über die historische Entwicklung der Frage und führte aus, dass die Gesetzesinitiative auf eidgenössischem Boden noch nicht eingeführt sei, obwohl die Mehrheit der Kantone sie bereits besitze. Er bezeichnete sie als einen Schutz gegen wirkliche oder vermeintliche Vergewaltigung von Minderheitsparteien ; diese könnten damit den Volksentscheid anrufen.

Er bestritt ferner, dass das Ständemehr neben dem Volksmehr erforderlich sei, denn ein besonderer Entscheid der beiden eidgenössischen Eäte müsste feststellen, ob die Gesetzesinitiative mit der Bundesverfassung in Einklang stehe.

Der Nationalrat beschloss indessen am 11. Dezember 1906 mit 78 gegen 66

782

Stimmen, den Entwurf zur neuen Prüfung und Ausarbeitung eines ergänzenden Berichts an den Bundesrat zurückzuweisen (vgl. StenB 1906, S. 1287-1330).

Dabei blieb es. Im Ständerat wurde im Jahre 1909 eine Interpellation eingereicht, die vom Bundesrat wissen wollte, was in den vergangenen drei Jahren geschehen sei, und bis wann er seinen endgültigen Bericht vorzulegen gedenke.

Bundespräsident Deucher erwiderte, der Bundesrat sei mehrheitlich immer noch für die Einführung der Gesetzesinitiative ; er behalte sich vor, in einem späteren Zeitpunkt, jedenfalls erst nach dem Entscheid des Volkes über die Verfassungsinitiative betreffend die Verhältniswahl des Nationalrates, auf die Frage der Gesetzesinitiative zurückzukommen. Die Interpellanten erklärten sich befriedigt, behielten sich aber vor, im geeigneten Zeitpunkt eine Motion einzureichen (vgl.

Burckhardt, Schweizerisches Bundesrecht, II, Nr. 577, S. 386-388). Wenn auch die erwähnte Verfassungsinitiative von 1909 in der Volksabstimmung vom 23. Oktober 1910 verworfen wurde, so erhielt doch die Proportionalwahl des Nationalrates später in der Abstimmung vom 13. Oktober 1918 über die Verfassungsinitiative vom 13. August 1913 die Billigung durch Volk und Stände.

Wir erwähnen ferner die im Frühjahr 1918 von Nationalrat ScherrerFüllemann und fünf Mitunterzeichnern eingereichte Motion, die den Bundesrat einlud, eine Vorlage auf Totalrevision der Bundesverfassung auszuarbeiten, und zwar wesentlich im Sinne des Ausbaues der Volksrechte und der Einführung von sozialen Eeformen. Sie wurde am 3. Dezember 1918 vor dem Nationalrat begründet. Der Motionär erklärte in bezug auf den Ausbau der Volksrechte, wohl auch unter dem Einfluss der damaligen Zeitumstände, dass die Einführung der Gesetzesinitiative das beste Mittel wäre, um die wirkliche Meinung des Schweizer Volkes auf dem Gebiete der Gesetzgebung kennen zu lernen. Keine politische Partei solle sagen können, sie müsse zur Gewalt greifen, weil sie nicht die nötigen verfassungsmässigen Mittel habe, um ihren Willen zur Geltung zu bringen. Bei uns entscheide die Mehrheit, und sie könne jederzeit zum Ausdruck gebracht werden, wenn die Gesetzesinitiative eingeführt werde. In seinen Ausführungen vom 14. Februar 1919 nahm Bundesrat Calonder auch Stellung zur Frage der Gesetzesinitiative. Er erklärte sich als Anhänger
dieser Einrichtung, ohne jedoch ihre Mängel zu verkennen. Es liege eine gewisse Gefahr vor, dass man mit der Gesetzesinitiative in das Verfassungsrecht übergreife und dass so Gesetzesbestimmungen, die ihrer Natur nach der Zustimmung der Stände bedürften, ohne deren Zustimmung angenommen würden. Bei der praktischen Ausübung der Gesetzesinitiative könnte die recht unangenehme und unter Umständen schwierige Frage auftauchen, ob es sich um eine Materie der Gesetzgebung oder des Verfassungsrechtes handle. Vielleicht könnte man, bemerkte der Vertreter des Bundesrates, diesen Schwierigkeiten dadurch begegnen, dass man solche Streitfragen dem Bundesgericht als Staatsgerichtshof zur Entscheidung unterbreite, falls eine bestimmte Minderheit beider Eäte, z. B. ein Drittel, es verlange (vgl. StenB NE 1918, 486; 1919, 251). Die Motion Scherrer-Füllemann wurde 1947 abgeschrieben (vgl. Geschäftsbericht 1946, S. 8 und 103; Burckhardt, Schweizerisches Bundesrecht, I, Nr. 213, S. 494-498).

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Eine Motion von Arx vom 25. Juni 1930, die nachher Nationalrat SchererBasel übernahm, wollte den Bundesrat einladen, in naher Zeit die durch den Beschluss vom 11. Dezember 1906 verlangte Ergänzungsbotschaft vorzulegen* Der Bundesrat hatte beschlossen, diese Motion zu bekämpfen; sie wurde jedoch im Nationalrat nicht behandelt und im Jahre 1932 abgeschrieben, weil sie seit mehr als zwei Jahren hängig war.

,

,

; ii.

.

Bevor wir auf das Postulat des Herrn Schmid näher eingehen, machen wir noch einige Angaben über das Funktionieren der Verfassungsinitiative auf eidgenössischem'Boden und der Gesetzesinitiative in den Kantonen.

a. Das Initiativrecht auf Partialrevision der Bundesverfassung wurde am 5. Juli 1891 eingeführt. Von diesem Zeitpunkt an bis Ende 1951, d. h. während einer Periode von sechzig Jahren, wurden neunundfünfzig Initiativen eingereicht, also durchschnittlich fast eine Initiative im Jahr. ; Eine Initiative vom 5. September 1934, welche die Totalrevision der Bundesverfassung zum Gegenstand hatte, wurde vom Volk am 8. September 1935 verworfen.

' Die andern achtundfünfzig Initiativen verlaugten eine Teilrevision der Verfassung. Davon wurden nur sieben von Volk und Ständen angenommen, also ungefähr eine auf acht. Sie betrafen das Schächtverbot (Art. 25Ms), das Absinthverbot (Art. 32ter und 31), die Verhältniswahl des Nationalrates (Art. 73), das fakultative Eeferendum bei Staatsverträgen (Art. 89), das Verbot der Errichtung von Spielbanken und die Kursaalspiele (zwei Initiativen von 1914 und 1926 .betreffend Art. 35) sowie die Rückkehr zur direkten Demokratie (Art. 89Ms). In drei von diesen Fällen (Art. 25bls, 73 und 89bls)'hatte die Bundesversammlung die Verwerfung der Initiative empfohlen: den Initiativen betreffend das Absinthverbot, das i fakultative Eeferendum bei Staatsverträgen und die Kursaalspiele stimmte sie zu, dagegen stellte sie im Falle des Verbots der Errichtung von Spielbanken einen Gegenentwurf auf, der aber nicht angenommen wurde. Sechzehn Verfassungsinitiativen wurden z u r ü c k g e z o g e n , davon fünf zugunsten von Gegenentwürfen der Bundesversammlung, von denen vier in der. Abstimmung von Volk und Ständen angenommen wurden; diese Gegenentwürfe betrafen die Nutzbarmachung der Wasserkräfte (Art. 24Ms), das Ordensverbot (Art. 12), die Dringlichkeitsklausel (Art. 89) und den Familienschutz (Art. 34Quinauies)_ Der in der Volksabstimmung verworfene Gegenentwurf betraf die Gütertransportordnung. Schliesslich wurden; eine Initiative für den Ausbau der Alpenstrassen und der Zufahrtsstrassen in Hinblick auf den Bundesbeschluss vom 4. April 1935 über den Ausbau der Strassen und des Strassennetzes im Alpengebiet und die zweite Initiative für die Bückkehr zur direkten Demokratie mit
Bücksicht auf den Bundesbeschluss vom 18. Dezember 1950 über die Aufhebung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates zurückgezogen. Während der untersuchten Zeitspanne wurden z w e i u n d dreissig Initiativen v e r w o r f e n , d. h. mehr als die Hälfte der Gesamtzahl

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von neunundfünfzig. In zwei Fällen wurden indessen die Gegenentwürfe der Bundesversammlung angenommen; sie betrafen die Versorgung des Landes mit Getreide (Art. 23bls) und die Einführung des Banknotenmonopols (Art. 39).

Ferner haben die eidgenössischen Eäte mit Beschluss vom 13. Oktober 1922 eine Initiative vom 1.0. April 1922 betreffend die Eeform der Bundesverwaltung als nicht z u s t a n d e g e k o m m e n erklärt. Schliesslieh sind zwei andere Initiativen noch nicht behandelt: eine vom 29. Dezember 1934 betreffend die Wahrung der Volksrechte in Steuerfragen, die im Zusammenhang mit der Bundesfinanzreform steht, und die vom 31. Mai 1935 über die Pressefreiheit, die gleichzeitig mit dem Eevisionsentwurf zum Artikel 55 BV der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet werden soll (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 19. Oktober 1951 und Bericht vom 80. Oktober 1951, BEI 1951, III, 241 und 547; siehe auch die Übersicht über die Initiativen in BB1 1908, VI, Beilage, S. 44; 1934, III, 922; 1951, III, 1155). Von den achtundfünfzig Initiativen auf Partialrevision der Verfassung waren bloss zwei in der Form der allgemeinen Anregung gehalten; diejenige vom 29. Dezember 1937 betreffend die Neuordnung des Alkobolwesens und diejenige vom 21. Oktober 1946 betreffend die Heranziehung der öffentlichen Unternehmen zu einem Beitrag ,an die Kosten der Landesverteidigung. Beide wurden in der Volksabstimmung verworfen, die erste am 9. März 1941, die zweite am 8. Juli 1951.

Unter Einrechnung der angenommenen Gegenentwürfe ergibt sich, dass die Verfassungsinitiativen während einer Zeitspanne von 60 Jahren in fünfzehn Fällen zu einem positiven Ergebnis geführt haben, was rund einem Viertel der neunundfünfzig eingereichten Initiativen entspricht; dabei betrafen einige eher zweitrangige Fragen von nicht grundsätzlicher Tragweite (vgl. z. B. Sohächtverbot, Absinthverbot, Kursaalspiele, Ordensverbot).

b. Die Botschaft des Bundesrates vom 6. März 1906 gab Aufschluss über die Eegelung der Gesetzesinitiative in den verschiedenen Kantonen. Diese Einrichtung besteht nunmehr in allen Kantonen; zuletzt wurde sie 1906 in Luzern, 1907 im Wallis und 1921 in Freiburg eingeführt. Schon im Jahre 1932 anlässlich der Motion von Arx-Scherer und sodann 1952 im Hinblick auf das vorliegende Postulat haben wir die Kantone um nähere
Angaben über die Ausübung des Gesetzesinitiativrechtes ersucht. Ohne den Gegenstand der verschiedenen Initiativen anzuführen -- dies würde zu weit führen -- geben wir nebenstehend eine Statistik für die Zeit von 1900 bis 1952.

Aus diesen Zahlen ist ersichtlich,' dass während der ersten Hälfte des Jahrhunderts in den Kantonen von der Gesetzesinitiative in verschiedenem Umfange Gebrauch gemacht wurde. Die Zahl der Initiativen war in den Kantonen Zürich, Uri, Unterwaiden, Glarus und Basel-Stadt beträchtlich, in den andern Kantonen .

erheblich geringer; in den Kantonen Schwyz, Freiburg, Thurgau, Waadt und Wallis hat dieses Volksrecht überhaupt keine grosse praktische Tragweite.

Immerhin lässt sich die Bedeutung der Einrichtung nicht nach der Zahl der in einer bestimmten Periode eingereichten Initiativen beurteilen, denn eine einzige Initiative vermag je nach ihrem Gegenstand einen tiefgreifenden Einfluss arus-

Die Gesetzesinitiative in den Kantonen von 1900 bis 1952 Zahl der Initiativen

Zürich . .

Bern . . .

. . Luzern (seit 1906) .

Uri Schwyz Obwalden Nidwalden 6). . . .

Glarus Zug Freiburg (seit 1921).

Solothurn .

Basel- Stadt . . . .

Basel-Land 8) . . .

Schaffhausen . . .

Appenzell AR . . .

AppenzellIR 10)) . .

St. Gallen . 1 Graubünden 1) . .

Aargau . .

Thurgau Tessiti Waadt -Wallis- (seit 1907).

Neuenburg . . . .

Genf

Formulierte

43 13

37

13

11

5

28 2 67 29 245 10 1 20 59 16 16 22 2 11

8 2 67 23 85 7

9 6 13 6 4 9 24

8 4 9 4 4 7 6

11 29 14 15 2 8

Nicht formulierte

Angenommen -

6 8 2 20 6 160 3 1 9 30 16 2 7

631 3

1 13 4 20 144') 2 4 21 5 2 3

3

1

1

1 1 4 2

2 4 2 2 18

24

. -7 5 11 ^ 2 16 9 96 8

Zurückgezogen !)

Unzulässig erklärt

39

Noch hängig

4 1

1

8

5 2

Gegenstandslos geworden 2)

2 1

2 1

8») --

--

3

1 2

1 8

4 1

5

64) 35 6 4 16 4) 2 6

1 3

4

1

1 2

2

1

3 4 9 3 -- 2 9) 5 17

2 1

3

1

1 -2 2 1

1 2

«) Nur für die Jahre 1932 bis 1952.

') In vier Fällen wurde die Initiative teilweise angenommen.

) Dieser Kanton kennt die formulierte Initiative nicht, ») Gleichzeitig wie die Gegenentwürfe des Grossen Rates, 10) Nur für die Jahre 1900 bis 1932.

11) Keine Angaben.

1

8

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1) In gewissen Fällen zugunsten eines Gegenentwurfes.

2) Weil auf eine andere Art verwirklicht.

3) In einem Falle hat das Volk eine Gcsetzesvorlage verworfen, zu deren Ausarbeitung eine nicht formulierte Initiative den Anstoss gegeben hatte.

4 ) In gewissen Fällen wurde ein Gegenentwurf angenommen.

) 5 In einem Falle handelte es sich um einen Verzicht auf die Initiative.

4

Ver- worfen

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zuüben. Es ist natürlich, dass- die Initiativen in den Landsgemeindekantonen Uri (bis 1928), Unterwaiden, Glarus und Appenzell verhältnismässig zahlreich sind, weil dort die Ausübung dieses Eeohts sehr erleichtert ist und jeder Aktivbürger der Landsgemeinde Gesetzesvorschläge unterbreiten kann, ausgenommen in Appenzell AE, wo die Zahl der Unterzeichner mindestens derjenigen der Mitglieder des Kantonsrates (zurzeit 59) entsprechen muss. Was insbesondere den Kanton Uri betrifft, ist festzustellen, dass unter der Herrschaft der Landsgemeinde (aufgehoben 1928) 24 Initiativen eingereicht wurden, seither bloss noch 4. Einzig in Uri, Nidwaiden und Glarus übersteigt die Zahl der angenommenen Initiativen diejenige der verworfenen (13 gegen 11; 20 gegen 9; 144 gegen 96). In den andern Kantonen wurde die Mehrzahl oder sogar die Gesamtheit der Initiativen verworfen.

Allgemein kann gesagt werden, dass die Gesetzesinitiative in den Kantonen in befriedigender Weise funktioniert und dass keiner auf diese Einrichtung verzichten möchte. Die Staatskanzlei von Obwalden bemerkt, dass in politisch ruhigen Zeiten hievon wenig Gebrauch gemacht werde, dass hingegen in politisch bewegten Zeiten die Initiative ein beliebtes Kampfinstrument sei. Von der Möglichkeit, bloss eine allgemeine Anregung auf dem Initiativwege einzureichen, sei bisher nie Gebrauch gemacht worden. Die Staatskanzlei ist der Meinung, es gehe zu weit, jedem einzelnen Bürger das Initiativrecht einzuräumen ; deshalb hätte eine Vorlage auf Totalrevision der Kantonsverfassung, die jedoch vom Volke im Jahre 1948 verworfen wurde, eine Mindestzahl von 100 Bürgern vorgesehen. Diese Zahl hätte sicher keine irgendwie ins Gewicht fallende Beschneidung der politischen Eechte der Bürger bedeutet. Die Staatskanzlei des Kantons Solothurn führt aus, dank der Gesetzesinitiative müasten Wünsche und Anregungen wirtschaftlicher und politischer Kreise aktuelle Bedeutung erlangen und die Behörden sich mit ihnen auseinandersetzen. Selbst wenn Initiativen kein unmittelbarer Erfolg beschieden sei, so wirkten sie doch als Impuls zum Erlass von Gesetzen, in denen die Ideen der Initianten wenigstens teilweise berücksichtigt würden. Für die Staatskanzlei des .Kantons Schaffhausen hat die Gesetzesinitiative auf kantonalem Boden grundsätzlich durchaus ihre Berechtigung, wenn auch ihr
Gegenstand manchmal bundesrechtswidrig sein könne; unter dem Druck der öffentlichen Meinung könnten bisweilen gesetzliche Bestimmungen angenommen werden, bei denen keine Gewähr bestehe, dass sie im Falle ihrer Anfechtung auch vom Bundesgericht geschützt würden. Dies schade natürlich der Eechtssicherheit. Die Staatskanzlei des Kantons St. Gallen ist der Meinung, dass der Wert der formulierten Gesetzesinitiative als sehr fraglich erscheine, weil die Vorbereitung und Entwerfung eines Gesetzes hohe Ansprüche stelle, denen «private» Gesetzesredaktoren nur in den seltensten Fällen zu entsprechen vermöchten. So bestehe die Gefahr, dass Gesetze entstehen, die1 lückenhaft, in sich widerspruchsvoll oder in Widerspruch mit der übrigen Eechtsordnung des Kantons oder des Bundes seien. Dies zeige deutlich die einzige formulierte Initiative, die in der Volksabstimmung angenommen wor* den sei, übrigens entgegen der ablehnenden Empfehlung des Grossen Eates.

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Diese Initiative habe zum Eiiass eines Jagdgesetzes geführt, von dem verschiedene Bestimmungen nicht oder nur unter der Bedingung einer Abänderung oder Ergänzung durch den Bundesrat habe genehmigt werden können. Überdies sei ein Artikel vom Bundesgericht als ungültig erklärt worden: Deshalb habe der Grosse Eat später, 1946, dem Entwurf für ein Nachtragsgesetz zugestimmt; diese Eevisionsvorlage sei jedoch in der Volksabstimmung verworfen worden.

Eine befriedigende rechtliche Ordnung sei erst mit dem Inkrafttreten eines neuen Jagdgesetzes im Jahre 1950 zustandegekommen. Die Staatskanzlei des Kantons Wallis führt im allgemeinen aus, dass, sofern sich die Initiänten und die Behörden nicht auf einen einzigen dem Volke vorzulegenden Text zu einigen vermöchten,, weder die Initiative noch der Gegenvorschlag eine Mehrheit zu erzielen vermöge, und zwar auch dann, wenn die Stimmberechtigten der vor gesehenen Eeforim günstig gesinnt seien. Die Annahme eines Gegenvorschlages durch den Grossen Eat stelle ein fast unfehlbares Mittel dar, um eine Initiative scheitern zu lassen. Die Volksinitiative sei nichtsdestoweniger eine sehr nützliche Einrichtung; sie löse die Bewegung zugunsten irgendeiner; Verbesserung aus und führe, wenn sie im Grossen Eat ein günstiges Echo finde^ zu einer Kompromisslösung, die gute Aussichten für die Annahme in der i Volksabstimmung habe.

.

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in.

Herr Arthur Schmid hat sein Postulat am 4. Oktober 1950 im Nationalrat begründet. Nachdem er ebenfalls die historische Entwicklung]der Frage skizziert hatte, führte er aus, dass mehr als vierzig Jahre seit den parlamentarischen Verhandlungen vom Dezember 1906 verflossen seien, ohne dass!die Gesetzesinitiative auf eidgenössischem Boden verwirklicht worden sei, obwohl die Probleme von damals geblieben seien und die Einrichtung sich in den Kantonen bewährt habe. Für den Urheber des Postulats hat die Einführung des Nationalratsproporzes im Jahre 1919 keineswegs die Notwendigkeit abgeschwächt, die Gesetzesinitiative in die Bundesverfassung aufzunehmen. Denn die Macht und der Einfluss der Verwaltung seien seit damals gewachsen, während der Einfluss der eidgenössischen Bäte zurückgegangen sei. Die Gesetzgebungsmaschine laufe seit Jahren auf vollen Touren, und die neuen Gesetze gingen immer mehr auf Einzelheiten ein, ohne die allgemeinen Grundsätze in Betracht zu ziehen. Die Ausarbeitung" der Gesetzesvorlagen werde je länger je mehr eine ausschliessliche Angelegenheit der Verwaltung; das Volk habe keine Möglichkeit, sich im Stadium der Vorbereitungsarbeiten auszüsprechen, und werde als «quantité négligeable» behandelt. Die eidgenössischen Eäte werden meistens vor fast vollendete Tatsachen gestellt, und' die Volksvertretung verliere immer mehr an Einfluss auf die Gestaltung der Gesetze. Damit schwinde das Zutrauen des Volkes zu den Verwaltungsbehörden und · zu den gesetzgebenden Bäten immer mehr, und das Volk sehe oft in der Negation das einzige Mittel, urn die allgemeinen Interessen zu verteidigen. Man müsse sich deshalb nicht wundern, wenn die politische Interesselosigkeit zunehme. Die Demokratie sei aber nur stark, wenn

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sie von der politischen Mitarbeit des Volkes gestützt werde. Die Einführung der Gesetzesinitiative sei ein Mittel, um diese Mitarbeit zu fördern, dem Volke wieder Vertrauen zu geben und die einseitige Einstellung.der Verwaltung abzuschwächen. Denn je mehr die Verwaltung wachse, um so stärker werde ihre Macht und um so grösser auch die Kluft zwischen Volk und Staat. Die Einwände, die gegen den Vorschlag des Bundesrates vom Jahre 1906 erhoben wurden, seien nicht unüberwindlich oder von geringer Bedeutung. Es sei klar, dass die eidgenössischen Eäte die Verfassungsmässigkeit der Gesetzesinitiativen überprüfen sollen; damit käme der Ständerat auch zum Wort, auf,mehr hätten die Kantone nicht Anspruch. Es wäre auch kein Nachteil, wenn man eine Karenzzeit für die Änderung oder Aufhebung neuer Gesetze durch eine Gesetzesinitiative vorsehen würde. Dagegen wäre es unrichtig, die auf dem Wege der Gesetzesinitiative entstehenden Gesetze dem obligatorischen Eeferendum zu unterstellen. Die Gesetzesinitiative sei heute notwendiger als vor 50 Jahren.

Der Urheber des Postulates erblickt in ihr ein Mittel, das Misstrauen des Volkes gegen Staat und Verwaltung abzuschwächen, seine positive Mitarbeit zu fördern und die vielen guten Ideen, die im Volke vorhanden sind, der Gemeinschaft nutzbar zu machen.

Das Postulat bezweckt somit, das Eecht der Gesetzesinitiative dem Volke zu gewähren, um dessen direkte Beteiligung an der Ausgestaltung des Bundesrecbtes zu verstärken. Es sieht ausdrücklich nur die .formulierte Initiative vor, wohl in der Meinung, der Initiative in der Form der allgemeinen Anregung (nicht formulierte Initiative) sei, vom Gesichtspunkt der tätigen Mitwirkung des Volkes am Gesetzgebungswerk aus betrachtet, weniger Bedeutung beizumessen.

Die vorgeschlagene Einführung der Gesetzesinitiative gäbe dem Volke das Eecht, formulierte Entwürfe einzureichen, die den Erlass, die Abänderung oder die Aufhebung von Bundesgesetzen wie auch die Abänderung ' oder Aufhebung von allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüssen bezwecken.

Wenn man dieses Volksrecht auf eidgenössischem Boden einführen wollte, ist es klar, dass die Gesetzesinitiativen nur unter den folgenden Voraussetzungen zulässig sein könnten : Einmal müssten sie in Übereinstimmung mit der Bundesverfassung stehen; diese Kontrolle der Verfassungsmässigkeit des
Inhaltes der Initiativen wäre nicht nur zur Wahrung der Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen, sondern auch,zum Schutze der Eechte des Bürgers unerlässlich. Ferner sollte die Aufhebung oder Abänderung von Gesetzen oder allgemeinverbindlichen Bundesbesohlüssen auf dem Wege der Initiative erst nach einer gewissen Frist seit ihrem Inkrafttreten verlangt werden können (man hat z. B. drei Jahre vorgeschlagen) ; eine solche Bestimmung wäre .notwendig im Interesse der Eechtsbeständigkeit und -Sicherheit. Schliesslich müssten die Gesetzesinitiativen die gesetzlichen Vorschriften in' bezug auf Fristen und Verfahren einhalten. Man könnte die Gesetzesinitiative nicht einführen, ohne alle diese Fragen sorgfältig zu regeln, wenn es auch vielleicht -- insbesondere hinsichtlich der Prüfung der Verfassungsmässigkeit und des Inhaltes der Initiativen -- sehr schwierig wäre, eine gute Lösung zu finden.

:

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Nach diesen Ausführungen sind die Vor- und Nachteile der Einrichtung zu prüfen und das Dafür und Dagegen objektiv abzuwägen1).

Vom theoretischen Standpunkt aus betrachtet, anerkennen wir,' dass die Einführung der Volksinitiative auf dem Gebiete der Bundesgesetzgebung dem demokratischen Ideal und dem Grundsatz der Volkssouveränität entsprechen würde ; sie würde die Volksrechte ergänzen, zu denen vor allem die Verfassungsinitiative und das fakultative Gesetzesreferendum gehören. .Überdies könnte es als logisch erscheinen, diese Einrichtung, die nunmehr in Ballen kantonalen Verfassungen verankert ist, auch auf eidgenössischem Boden vorzusehen. Aber in den Kantonen hat man noch andere Volksrechte eingeführt · die im eidgenössischen Bereich unbekannt sind. Wir erwähnen beispielsweise die Wahl der Begierung durch das Volk, das obligatorische Gesetzesreferendum und das Finanzreferendum.

, ; Es wird auch behauptet, es seiunlogisch, dem Volke, das jederzeit Eevisionen der Bundesverfassung vorschlagen kann, das Vorschlagsrecht für eidgenössische Gesetze zu versagen, so dass ihm die Möglichkeit fehlt, selbst einzugreifen, falls die beiden Räte über eine Vorlage nicht einig werden. Anderseits bewirkt die ständige Ausdehnung der Gesetzgebungskompeteuz des Bundes zum Nachteil derjenigen der Kantone eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Gesetzesinitiative des kantonalen Eechts ; hiefür würde die Einführung dieser Einrichtung auf, eidgenössischem Boden einen gerechten Ausgleich bilden.

Nun ist aber die reine Demokratie ein Ideal, dessen Verwirklichung gewisse Schranken gesetzt sind. Die Meinung, der Fortschritt der Demokratie bestehe einfach in .der Ausweitung der Volksrechte, geht von einer zu formalistischen Betrachtungsweise aus (vgl. W. Kägi, An den Grenzen der direkten Demokratie? Zu einem Grundproblein unserer Verfassungspolitik, im Jahrbuch «Die Schweiz», 1951, S. 53 ff.). Würde man nicht im Gegenteil der wahren Demokratie durch die Einführung der : Gesetzesinitiative auf eidgenössischem Boden einen schlechten Dienst, erweisen? Notwendig ist vielmehr, das Funktionieren der bestehenden Volksrechte zu verbessern, damit die Bürger sie in der Weise ausüben, dass sie sich ihrer Verantwortung immer mehr bswusst sind und:sich vom Allgemeininteresse leiten lassen. Die Ausübung der Volksrechte ist infolge
der beträchtlichen Zunahme .der dem Staate übertragenen Aufgaben und der Vielgestaltigkeit mancher Gesetzesvorlagen schwieriger geworden. Deshalb ist es angezeigt, Wünsche auf Ausdehnung der Volksrechte mit einer gewissen Zurückhaltung aufzunehmen, besonders in unserer Zeit, wo die Stimmberechtigten schon sehr oft an die Urnen gerufen werden, aber auch im |Hinblick auf die Mittel der Propaganda und die lärmende Publizität, die häufig verwendet werden; denn die objektive und abgewogene Gegenüberstellung der Meinungen scheint leider immer mehr masslosen Behauptungen und allzu vereinfachenden *) Wir verweisen hier speziell auf: Büeler Heinrich, Die; Entwicklung und Geltendmachung des Schweizerischer! Volksinitiativrechts, Diss. Zürich 1925. und Battelli, Les institutions de démocratie directe en droit suisse et comparé moderne, thèse Genève 1932.

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; · : . Bundesblatt. 104. Jahrg. Bd. III.

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Schlagworten zu weichen. Diese Tendenzen sind nicht ohne Gefahr ; sie können zur Folge haben, dass die Sorge um das Gemeinwohl immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird und dass das Verantwortungsbewusstsein und der staatspolitische Sinn der Bürger abnehmen. Deshalb darf man einige Zweifel am erzieherischen Wert hegen, der bisweilen der Gesetzesinitiative beigemessen wird.

Jedenfalls könnte man sich nicht einfach auf die Erfahrungen in den Kantonen stützen. Was auf kantonalem Boden zum Vorteil gereicht, braucht nicht notwendigerweise auch für eidgenössische Angelegenheiten gut zu sein, da die Voraussetzungen nicht die gleichen sind. Bin Unterschied ist insbesondere wesentlich: Während die kantonale Souveränität einzig auf dem Volke beruht, gründet sich die Souveränität des Bundes überdies auf den verschiedenen Gliedstaaten als solchen; dieser bundesstaatliche Aufbau des Landes muss erhalten bleiben. Anderseits würde sich das Funktionieren der rein demokratischen Einrichtungen im Bund viel schwieriger gestalten als iii den einzelnen Kantonen (vgl. Fleiner/Giacometti: Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 19).

Übrigens zeigen die in den Kantonen gemachten Erfahrungen, dass die Gesetzesinitiative nicht überall von beträchtlicher praktischer Bedeutung ist, und es kann nicht ohne" weiteres gesagt werden, dass sie auf eidgenössischem Boden von grosser Tragweite wäre. Was sodann die Ergebnisse der eidgenössischen Verfassungsinitiative betrifft, so sind sie nicht derart schlüssig, dass sie von vorneherein die Einführung der Gesetzesinitiative rechtfertigen würden.

In einem im Jahre 1912, also vor Einführung des Proporzes für die Nationalratswahlen veröffentlichten Aufsatz erklärte sich Professor W. Burckhardt als Anhänger der Gesetzesinitiative («Zur Einführung der Gesetzgebungsinitiative im Bund», im Politischen Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft · 1912, S. 317-375). Er ging davon aus, dass in der Eidgenossenschaft grössere Gegensätze in der Wählerschaft bestehen als in den Kantonen; deshalb werde der Antrieb zu oppositionellen Bewegungen gegen die Haltung der Parlamentsmehrheit öfters gegeben sein und damit auch die Gefahr, bereits errungene Positionen wieder preisgeben zu müssen. Es wäre nicht undenkbar, dass, wenn Gesetze in bürokratischer Weise angewendet werden, eine Initiativbewegung
sie ganz oder teilweise wieder aufhebt. Solche nachträgliche Korrekturen könnten mitunter auch Gutes bewirken, Missbräuche und Bestimmungen, die sich als vexatorisch erweisen, beseitigen ; sie würden aber oft vom Unwillen der Massen getragen sein und das Gute mit dem Schlechten beseitigen. Was nach langen und mühsamen Verhandlungen in den eidgenössischen Eäten beschlossen worden wäre, würde einer momentanen Unzufriedenheit des Volkes geopfert.

Trotzdem sprechen, nach Burckhardt, gerade die Schwerfälligkeit der eidgenössischen Gesetzgebungsmaschinen und die Mängel des Parlamentarismus für die Gesetzesinitiative; sie würde erlauben, die Behörden zum Handeln zu veranlassen und Gesetze zu erlassen, die das Ergebnis reiflicher Überlegungen unabhängiger Persönlichkeiten wären und nicht auf Kompromissen von Parlamentariern beruhen, die darauf bedacht sind, materielle -- regionale oder berufliche -- Interessen zu wahren. Die Gesetzesinitiative wäre deshalb nicht nur von

791 Bedeutung für die Fortbildung des Kechtes und das politische Leben überhaupt, sondern würde auch zur politischen Erziehung des Volkes und zu engerer Fühlung zwischen Volk und Behörden beitragen. Aber diesen Überlegungen, die vor vierzig Jahren angestellt wurden, ist sicherlich viel weniger Gewicht beizumessen ab den zeitgemässen and treffenden Ausführungen von Prof. W.Kägi in der angeführten Veröffentlichung.

Zweifellos kommt der G-esetzesinitiative auf eidgenössischem Boden zufolge der Einführung der Verhältniswahl für den Nationalrat im Jahre 1918 nicht mehr die gleiche, Berechtigung zu wie früher. Dank dieseml Wahlsystem sind alle politischen Parteien von einiger Bedeutung im Nationalrat vertreten und können dort ihr parlamentarisches Vorschlagsrecht .ausüben. Wie der Bundesrat in seiner Botschaft vom 16. März 1914 über den Proporz ausgeführt bat, würde die Einführung der Gesetzesinitiative es den Minderheiten erleichtern, ihren Willen geltend zu machen und durchzusetzen; dementsprechend würde aber auch «die Bedeutung des Parlaments, und damit der Art,: wie die Minderheiten darin vertreten sind, vermindert werden» (vgl. BB11914, II, 148/149).

Man kann sich übrigens fragen, ob es nicht der natürlichen Ordnung der Dinge entspricht, wenn die gesetzgeberische Tätigkeit durch; die Initiative des Parlamentes statt durch diejenige des Volkes ausgelöst wird. Auf dem Gebiete der Revisionen .der Verfassung stellt William E. Rappard, beispielsweise in seinem Werke «Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft 1848-1948», Zürich 1948 (S. 347).. folgendes fest: «Vor allem;hat sich das Verfahren der. Volksinitiative offensichtlich als weniger geeignet erwiesen, um zum Ziele zu gelangen, als die parlamentarische Initiative. Das ist übrigens gar nicht überraschend. Sobald eine Revision fällig scheint, ist es durchaus gegeben, dass sie von den Politikern und den in der Bundesversammlung vertretenen Parteien vorbereitet und eingereicht wird, ist dies ja doch eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Wenn sie sich nicht für eine Revision einsetzen oder sich dagegen wehren, so geschieht es, weil sie sie als den allgemeinen Landesinteressen, oder wenigstens dem Willen der Mehrheit der Stimmberechtigten zuwiderlaufend erachten. Trotzdem es oft genug vorkommt, dass sich Regierungen und Parlamente über,
die Volksstimmung, täuschen, ist doch sehr wohl anzunehmen, dass diese Behörden über Verfa&sungsfragen besser urteilen können als Leute, welche der aktiven Politik fernestehen. » Diese zutreffenden Bemerkungen haben ebenfalls Geltung für das Gebiet der Gesetzgebung. Manchmal sind die: eidgenössischen Räte neuen Ideen zugänglicher als das Volk, dessen Widerstand zuerst überwunden werden muss. Dank der parlamentarischen Initiative kann eine Minderheitspartei oder ein einzelnes Ratsmitglied den Anstosss zur Ausarbeitung oder Änderung eines Gesetzes geben. Gewiss könnten formulierte Gesetzesinitiativen auch dann zum Ziele gelangen, wenn die beiden Räte über eine Vorlage nicht einig werden, aber es ergäben sich doch erhebliche Nachteile. Wenn auch das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren langsam und umständlich ist -- was auf unser Zweikammersystem und den Gebrauch der drei Amts-

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sprachen, aber auch auf die sorgfältige Abwägung der verschiedenen Auffassungen zurückzuführen ist --, so bietet es doch trotz einiger Unvollkommenheiten viel mehr Garantien für Objektivität und Unparteilichkeit als die Volksinitiative. In der Bundesversammlung können alle Meinungen zum Worte kommen, und es wird darüber auch in den Kommissionen der beiden Bäte debattiert; demgegenüber vertritt ein Initiativkomitee oft eine einzige politische oder wirtschaftliche Eichtung, die einseitige Interessen verteidigt. Selbst wenn diese Komitees tüchtige Sachverständige beizögen, so würde ihnen doch die Hilfe der Behörden bei der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen fehlen. Es könnte vielleicht öfters der Fall sein, dass Gesetzesinitiativen ihren Erfolg eher der Stimmenthaltung der Bürger als deren Zustimmung zu verdanken hätten und auf Grund von Zufallsmehrheiten ans Ziel gelangen würden. Trotz der politischen Klugheit, die man mit Eecht dem Schweizervolk zubilligt, ist damit zu rechnen, dass das Gesetzesrecht mit unglücklichen Texten belastet würde, die sehr schwierig anzuwenden wären. Es könnte auch vorkommen, dass das Volk eine Initiative aus momentaner schlechter Laune oder mit Eücksicht auf zufällige Umstände annimmt, trotz den begründeten Empfehlungen der gesetzgebenden Eäte und des Bundesrates, diese abzulehnen. Wir erinnern unter Hinweis auf ein Beispiel aus jüngster Zeit an die erste Verfassungsinitiative für die Eückkehr zur direkten Demokratie, die ani 11. September 1949 von 12% gegen 9% Ständen und mit 280 755 gegen 272 599 Stimmen, also mit einem Mehr von 8156 Stimmen bei einer Zahl von l 389 865 eingetragenen Stimmberechtigten angenommen wurde. Der dritte Absatz des Artikels 89 BV (Dringlichkeitsklausel) wurde demnach durch einen neuen Artikel 89bls ersetzt, dessen Eevision bereits am 22. Dezember 1949 durch die von den beiden Bäten angenommene Motion Huber beantragt wurde. Die Gefahr, dass die Gesetze immer mehr auf Einzelheiten eingehen und die allgemeinen Grundsätze ausser acht lassen, würde bei Einführung der Gesetzesinitiative auf eidgenössischem Boden noch grösser werden.

Es wird geltend macht, die Gesetzesinitiätive würde den Nachteil beheben, dass durch die Verfassungsinitiative Bestimmungen in die Bundesverfassung eingefügt werden, die nicht dorthin gehören und normalerweise ihren
Platz in Gesetzen oder gar in Vollzugsverordnungen haben sollten. Zweifellos würde die Gesetzesinitiative die Verfassungsinitiative in einem gewissen Umfange entlasten, jedoch darf man diesen Vorteil nicht überschätzen. Es ist nicht ausser acht zu lassen, dass jede auf dem Wege der Gesetzesinitiative eingereichte Vorlage einer verfassungsmässigen Grundlage bedarf. Mangels einer solchen wäre eine Gesetzesinitiative nicht zulässig, so dass in diesem Falle doch einzig der Weg der Verfassungsinitiative offen bliebe. Dies zeigt deutlich das oft zu Unrecht angeführte Beispiel des Artikels 25bls B V über das Schächtverbot. Selbst wenn die Gesetzesinitiative im Jahre 1892 bereits bestanden hätte, wäre es unmöglich gewesen, durch eine solche das Schächtverbot einzuführen, da der Bundesgesetzgeber damals auf diesem Gebiete überhaupt nicht kompetent war; also wäre hiefür eine Verfassungsinitiative die einzige Möglichkeit gewesen.

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In dieser Hinsicht würde demnach die Einführung der Gesetzesinitiative dieLage kaum verbessern.

; Ferner muss man sich fragen -i- was überaus wichtig ist --, ob die formulierte Gesetzesinitiative nicht zu einer Einschränkung der kantonalen Souve: ränität und zu einer Änderung des i bundesstaatlichen Aufbaüs unseres Staatewesens führen würde. Während jetzt jedes Gesetz vom Nationalrat und vom Standerat, der aus Abgeordneten der Kantone besteht und so die föderative Struktur zum Ausdruck bringt, angenommen werden rnuss, könnte die: Gesetzesinitiative dazu führen, dass durch blosses Volksmehr Gesetze vielleicht entgegen, der Stellungnahme oder gar einem Gegeuentwurf der Räte zustandekämen.

Die Stimmberechtigten einer Minderheit von Kantonen könnten auf diese Weise ihren Willen der Mehrheit der Kantone aufzwingen. Man hat deshalb vorgeschlagen, aus Volksbegehren herrührende Gesetze wie Verfassungsvorlagen dem Volks- und dem Ständemehr zu unterwerfen. Falls nämlich das Volk eine als verfassungsgemäss befundene formulierte Gesetzesinitiative 'annehmen würde, gegen die sich der Ständerat oder gar beide Eäte ausgesprochen hätten, so käme ohne Zustimmung des Ständerates ein Gesetz zustande. Ein solcher Zustand würde nicht befriedigen, da er das Gleichgewicht zwischen den beiden Elementen, auf denen die Souveränität beruht, stören rnüsste; damit würde in der Bundesgesetzgebung der Einfluss des Volkes zum Nachteil des Einflusses der,Kantone verstärkt. Wohl wäre es denkbar, das Volks- und das Ständemehr zu fördern, sei es ganz allgemein, sei es wenigstens dann, wenn beide Eäte einer Gesetzesinitiative nicht zustimmen. Aber es würde daraus eine gänzliche Verwischung zwischen Verfassung und Gesetz entstehen; dies wäre der Autorität der Verfassung abträglich und würde eine komplizierte1 Rechtslage schaffen.

Deshalb liesse sich eine solche Lösung nicht verantworten. In seiner Botschaft von 1906 hatte sich der Bundesrat bereits gegen den Gedanken des Ständemehrs ausgesprochen: «Durch die Einführung der Gesetzesinitiative wird der Schwerpunkt der Gesetzgebung in das Volk verlegt, und es ist deshalb logisch, dass die Volksmehrheit allein entscheide; ein Verfahren, wonach auch das Ständemehr in Betracht käme, würde nur zu Konflikten führen» (BB1 1906, III, 32).

: Schon beim gegenwärtigen parlamentarischen
Gesetzgebungsverfahren wird über eine gewisse Gesetzesinflation geklagt. Wenn die Gesetzgebungsmaschine in den letzten Jahren ausgiebig gearbeitet hat, so geschah dies hauptsächlich, weil eine ganze Reibe von vollmachtenrechtlichen Bestimmungen in die ordentliche Gesetzgebung überzuführen war. Da diese Aufgabe bald beendigt sein wird, ist zu :boffen, dass der Rhythmus der gesetzgeberischen Tätigkeit wieder normal werde. Vollkommene Gesetze gibt es nicht. Schon gegenwärtig ist es schwer, gute Gesetze auszuarbeiten, obwohl manche Garantien bestehen, so die gründlichen Vorbereitungsarbeiten, an denen oft unabhängige Experten und ausserparlamentarische Kommissionen beteiligt sind, dann die Verhandlungen der parlamentarischen Ausschüsse und schliesslich die Beratungen der beiden Räte, in denen^die auseinandergehenden Interessen sorgfältig abgewogen · und soweit möglich ausgeglichen werden. Bei einseitig von einem Initiativ-

794 komitee ausgearbeiteten Gesetzesvorlagen wären aber die Schwierigkeiten noch viel grösser. Durch formulierte Initiativen würde die .Gefahr einer Belastung unserer Gesetzgebung mit mangelhaften Texten noch erhöht, die vielleicht in den drei Amtssprachen oder mit andern Gesetzesbestimmungen nicht im Einklang stehen. Und die Nachteile der Gesetzesinitiative wären noch schwerwiegender, wenn diese häufig, vielleicht aus zeitweiligem Misstiauen gegenüber den Behörden oder infolge zufälliger Umstände, auf die Aufhebung von Gesetzen hinzielen würden, die von den Bäten sorgfältig ausgearbeitet wurden.

Sie wurde so die negative Wirkung des fakultativen Referendums verschärfen ; denn während das Referendum gegebenenfalls das Inkrafttreten eines von beiden Bäten angenommenen Gesetzes verhindert, könnte die Initiative Gesetze unwirksam machen, die schon jahrelang angewendet wurden. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Einführung dieser Beform in der Eidgenossenschaft der Einheit und- Beständigkeit der Bundesgesetzgebung schaden würde.

Es ist deshalb nicht einzusehen, wie sie die politische Gleichgültigkeit der Wähler beleben und das Vertrauen des Volkes zu den Behörden heben könnte. Neigen die Bäte in ihrer Gesetzgebungstätigkeit des fakultativen Beferendums wegen hin und wieder zu Kompromisslösungen, so würde-sieh diese Gefahr nach Einführung der Gesetzesinitiative natürlich noch vergrössern. Die politische Gleichgültigkeit der Bürger dürfte zum Teil auch der hohen Zahl von Volksabstimmungen zufolge von Referendumsbegehren und von Verfassungsinitiativen zuzuschreiben sein. Allzuhäufige Urnengänge ermüden die Bürger. Mit der Einführung der Gesetzesinitiative würde man diese Ermüdung verschärfen.

Auch könnte durch die neue Einrichtung die Ausdehnung der Bundesverwaltung nicht aufgehalten werden. Wir sind im Gegenteil der Ansicht, dass die Mehrzahl der aus Initiativen hervorgehenden Gesetze fast immer eine Vermehrung der Zahl der Beamten mit sich- bringen würde. Nur dann vermöchte die Gesetzesinitiative eine Personalverminderung herbeizuführen, wenn sie auf die systematische Aufhebung von Verwaltungsgesetzen abzielen würde, aber in diesem Falle wäre das Heilmittel noch schlimmer als das Übel.

Zusammenfassend anerkennen wir, dass die Gesetzesinitiative t h e o r e t i s c h Vorteile vor allem idealer
und gefühlsmässiger Art zu bieten vermag. Sie wäre die logische Krönung unserer demokratischen Organisation. Sie würde es den herrschenden Meinungen und den Wünschen des Volkes erlauben, sich in wirksamer Weise zur Geltung zu bringen, selbst dann, wenn sich die beiden Räte nicht einigen könnten; neben dem fakultativen Referendum würde sie ein Ventil für die immer mögliche Unzufriedenheit des Volkes bilden. Aber diesen Vorteilen stehen schwerwiegende praktische Nachteile gegenüber. Die Gesetzesinitiative könnte die Änderung des bundesstaatlichen Aufbaues des Landes bewirken, das Gleichgewicht zwischen den beiden Räten zum Nachteil des Ständerates und der kantonalen Souveränität stören. Zudem könnte sie zur Aufnahme mangelhafter Bestimmungen in die Gesetzgebung führen. Diese Nachteile überwiegen die Vorteile der Einrichtung, weshalb wir Ihnen, wie dies unser Vertreter bereits am 4. Oktober 1950 im Nationalrat erklärt hat, derzeit nicht empfehlen können, dem Postulat Eolge zu geben.

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Wir verzichten deshalb darauf, noch zu prüfen, welche Änderungen an der Vorlage von 1906 vorgenommen werden sollten, insbesondere, ob die Zahl von 50 000 Unterschriften zu erhöhen, das Initiativrecht auch den Kantonen zu gewähren, nur die formulierte Initiative oder auch die nicht formulierte vorzusehen wäre, ferner wie die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Initiative und die Karenzfrist für Begehren um Aufhebung oder Änderung neuer Gesetze zu regehi wären.

Auf Grund dieser Ausführungen bitten wir Sie, vom vorliegenden Bericht Kenntnis zu nehmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 8. Dezember 1952.

· .

'

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, 970

Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Kobelt Der Bundeskanzler: Ch. Oser

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über ein Postulat betreffend die Einführung der Volksinitiative für die Bundesgesetzgebung (Vom 8. Dezember 1952)

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11.12.1952

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