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Bericht und Antrag der

nationalräthlichen Kommission, betreffend den Rekurs des Friedrich Sturzenegger in Berneck, Kts.St. fallen, gegen den Bundesrathsbeschluß vom 21. November 1864) betreffend Gerichtsstand.

(Vom 14. Juli 1865.)

Tit. l Der in Biel (Kts. Bern) niedergelassene Johannes Sturzenegger verkaufte am 22. Oktober 1862 an Uhrmacher W y s.. daselbst ein dort gelegenes Heimwesen um Fr. 8000. Von dieser Kaufsumme wurden dem Däuser Fr. 2000 an eine Bfaudobligation zu verzinsen und zu bezahlen augewiesen, Fr. 6000 dagegen verblieben als . Kaufsrestanz dem Verkäufer gutgeschrieben und sollten naeh Jahressrist aus dreimonatliche .Kündigung abbezahlt werden, inzwischen aber Habe und Güter des .Käufers dafür verbunden und das Kaussobjekt unterpsändlich verhastet sein. Der Kaufsvertrag wurde amtlich gefertigt und eingetrageu.

Am. 28. Roveml.er 1862 trat der Verkäufer Joh. Sturzenegger von der Kaussrestanz Fr. 1000 an Amtsnotar Aleuti in Biel und Fr. 5000 an seinen Bruder Joh. Ulrich Sturzenegger in Reute (Appenell) ab, welch' legerer hinwieder am 20. Dezember 1862 die SchuldForderung an den gegenwärtigen Rekurrenten Friedrieh Sturzenegger in Berneck (St. Gallen) eedirte.

^) S. Bundesblatt b. J. 1865, Bd. I., S. 187.

375 Spater ging die Liegens^.haft aus der Hand des W^ss in andere Hände über, und Joh. Sturzenegger verkaufte seine Jmmobilien, die er

sonst besass, und Mobilien. Am 10. März 1863 erklärte er sich insolvent. Am 2. April verklagte ihn ein gläubiger wegen ^allimentsbetrug,

worauf er in Untersuchung gezogen und Geldstag über ihn erkannt wurde.

Unterm 15. Juni 1863 wurde Joh. Stur.,enegger vom Amtsgericht Biel und am 9. September 1863 von der Bolizeikammer des Cantons .Bern, als Appeliationsinstanz, des Betrugs zum Rachtheil einzelner seiner Geldstaggläubiger schuldig erklärt und betreffend den .Kaufvertrag zwischen ihm und Whss erkannt: es solle die Kaussumme, so weit sie nicht zur Bezahlung von H^pothekarforderungen diene, in die Geldstagsmasse fallen.

Das Urtheil der Volizeikammer nimmt als erwiesen an, dass Joh.

Stur^enegger im Bewnsstsein der Zahlungsunfähigkeit verschiedene Verträge abschloss, in Folge welcher er sich völlig entblute und so sein der Bsändung unterworsenes Vermögen seinen Gläubigern gänzlich entzog.

Ferner nimmt es betreffend den Kauf zwischen Joh. Sturzenegger und W..,ss an , dass in der Kaufsüberlassung an W^ss die Kaufsrestanz durch Stnrzenegger dazu verwendet wurde, um einzelnen Gläubigern ZahlungsAnweisungen auszustellen und sie vor andern zu begünstigen, ^u einer Zeit, als Sturzenegger bereits am Vorabend des Geldstags stand.

Das Urtheil stützt sich dabei auf das bernische Geset^ vom 12. Mai 1848, betreffend die Betrügereien ^ahlungsflüchtiger Schuldner, welches denjenigen Schuldner , der durch gewisse (näher angegeben^) Handlungen seine Gläubiger zu Verlust bringt. mit Strafe bedroht und diejenigen Rechtsgeschäfte , .^ie im Widerspruch mit den aufgestellten Bestimmungen stattfinden, nichtig erklärt.

Zu der Appellationsverhandlung wurde der Eedent des Rekurrenten, Joh. Ulrich St^enegger, auf sein Gesuch als ^ivilrechtlich verantwortliche Vartei vorgeladen ; derselbe liess sich durch einen Anwalt vertreten

und Anträge stellen.

Jn Folge des betreffenden Urtheilsdifpofitivs wurde sodann von der Geldstagsbehorde die erwähnte Kapitalforderung von Fr. 5000 zur Geldstagsmasse des Joh. ...^turzenegger gezogen, unter die Gläubiger desselben vertheilt und sodaun der ^orderungstitel des Rekurrenten ungültig erklärt und amortisirt.

Ueber dieses Urtheil der Volizeikammer und die darauf gegründeten .Verhandlungen der Geldstagsbehorde beschwerte sich im Mai 1864 Hr.

Fürsprecher Bi^berger, Ramens des heutigen Rekurrenten, beim Bundesrath und verlangte Kassation des Urtheils und der eben erwähnten Ver-

376 handlungen , insoweit als dieselben die dem Friedrich Sturzenegger zustehende Kapitalforderung von Fr. 5000 sammt Binsen betressen.

Der Beschwerdesteller behauptet, Rekurrent habe von allen diesen gerechtlichen Vorgängen, wie nahe sie auch seine Jnteressen berührten, gar nichts zu wissen bekommen, und erst als er seine Forderung einkassiren wollte, zu seinem grossen Erstaunen den Sachverhalt erfahren. Darum anerkenne er auch das gerichtliche Unheil nicht , indem Rekurrent hiebei gar nicht gehört worden sei, und für das er den Richter als unzuständig ansehe. Jndem der Beschwerdesteller die Frage untersucht, ob Rekurrent gegen diese unbefugten richterliehen Akte den Schut^ der bernischen Gerichte oder der Bundesbehorden anrufen müsse, findet er, dass in ersterer Beziehung weder die Anfechtung des Urtheils der Bolizeikammer, noch die Jgnorirung desselben und die Einklagung der Fordernng zum Ziele führen würde, und dass daher der zweite Weg eingeschlagen werden müsse, wo^u Rekurrent vollkommen berechtigt fei. Er besitze nämlich den Forderungstitel von Fr. 5000, bestehend in einer durch Zession erworbenen sogenannten Kaufbeile. Wenn daher die Gültigkeit der Eession streitig werde, so müsse gemäss Art. 50 und 53 der Bundesverfassung die Klage als eine persönliche .Ansprache am Wohnorte des Beklagten Friedrich Sturzenegger, mithin vor den St. Gallen^ sehen Gerichten anhängig gemaeht werden. Ebenso seien diese Gerichte allein kompetent, wenn der Beistand des Reknrrenten bezüglich des Kapitalbriess und des Kapitals

selbst in ^rage komme, weil in diesem Falle die Klage als eine dingliehe

ausgefasst und ..m Forum der belegenen Sache angestellt werden müsse.

Dabei gibt der Beschwerdesteller allerdings zu, dass im vorliegenden Falle Niemand gegen den Rekurrenten klagend ausgetreteu. sondern dass im Vrozess eines Dritten über sein Vermogen geurtheilt worden sei.

Aus der Beantwortung der Bolizeikammer geht hervor, dass während der strafrechtlichen Untersuchung und Verhandlung die Eesston der Kanssreftanz von Joh. Ulrich an F r i e d r i c h Sturzenegger niemals erwähnt wurde, und dass es den bernischen Behorde.r nicht möglich war, dem Rekurrenten ^ur Wahrung seiner Jnteressen Gelegenheit zu geben, weil derselbe unterlassen hatte, die Eession in die öffentlichen Bücher eintragen ^u lassen,

während Sa^ung 982 des beruischen Eivilgesel^buches vorsehreibt , dass

jeder Uebernehmer einer Forderung, für welche ein Grundpsand haftet, dafür zu sorgen hat, dass die Abtretung in die öffentlichen Bücher eingetragen werde, und falls er wegen Unterlassung dieser Vorsieht zu Sehaden kommt, dafür gegen Riemand einen Rückgriff hat.

Unterm 21. Rovember 1864 hat der Bundesrath die Besehwerde des Rekurrenten als unbegründet verworfen. Der Bundesrath geht davon aus, dass weder Art. 53 noch Art. 5l) der Bundesverfassung verlebt worden seien, denn Rekurrent sei dem versassungsmässigen Gerichtsstand

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nicht entzogen und vor kein Ausnahmsgericht gestellt worden ; auch habe Niemand eine Forderung an ihn gestellt, oder ihn mit unzulässigen Arresten^ bedroht, vielmehr beklage e x sieh darüber, dass eine ihm im Kanton Bern zustehende grundpfändlich versicherte Forderung widerrechtlich in die Kon^ kursmasse des Joh. Stur.^enegger gezogen und sein Forderungstitel als ungültig erklart und amortisirt worden sei. Run ha.^e aber die strasrechtliche Verfolgung des Joh. Sturzenegger vor die bernischen Gerichte gehort, und wenn dieselben ihn wegen rechtswidriger Abtretungen des Be-

trugs zum Rachtheil einzelner seiner Geldstaggläubiger schuldig erklärten,

so sei die Anuullirung der Eession zu Gunsten der Geldstagmasse nur die nothwenige eivilreehtliche Folge des Strafurtheils gewesen. Endlich weist der Bundesrath den Rekurrenten mit seiner Beschwerde, dass die Gerichte des Kantons Bern in einem Brozesse zwischen dritten Bersonen über einen von ihm erworbenen Titel verfügt haben, ohne ihm das rechtliehe Gehor einzuräumen , an den obersten Gerichtshof von Bern behufs allsälliger Remedur, hält aber diesen Bunkt keineswegs geeignet, die gänzliche Verwerfung des sonst in Sachen kompetenten bernischen Gerichtsstandes zu begründen.

Gegen diesen bundesräthliehen Beschluß ergreift nun Rekurrent unterm 25. Januar 18^.5 Rekurs an die Bundesversammlung , indem er auf seine früher gestellten Begehren und ihre Begründung verweist.

Jl..re Kommission theilt nun aber die Auffassung des Bundesrathes.

Sie kann nicht finden, dass im vorliegenden Falle eine Vorschrift der Bundesverfassung verletzt worden sei. Wie Rekurreut selbst zngibt, hat Niemand gegen ihn geklagt, vielmehr ist es an ihm, als Kläger sür .seine Rechte vor den bernischen Gerichten aufzutreten, vor denen seine behauptete Forderung an den dort niedergelassenen Schuldner und sein Bfandrecht an der dort gelegenen Sache allein ^ur Geltung gebracht werden konnen. Das Urtheil der Vol^eikammer betrifft eine res in..cr allos acta..

macht daher sür den Rekurrenten kein Recht und berührt ihn wenigstens formell nicht. Da übrigens Rekurrent es unterliess , seine Forderung in die osfentlichen Bücher eintragen zu lassen, so musste er sich selbst die Schuld beimessen , dass er in dem stattgesundenen Brozess nicht gehort werden konnte. Die bernischen Gerichte, welche in ..Aachen als korum delicti commisi gehandelt und geurtheilt haben, waren, wie auch das .Konkursgericht, formell dazu kompetent, und berechtigt zu entscheiden, ob eine be.trügliehe Handlung des Joh. Sturzenegger vorlag und ob ein damit in Verbindung stehendes Reehtsgeschäst desselben , die Zession der

.Fr. 5000 an Joh. Ulrich Sturzenegger, nichtig zu erklären sei.

Ob der Entscheid materiell richtig sei, diess zu erortern gehort nicht in die Kompetenz der Bundesbehorden , und ebenso hat die Beschwerde uber Verletzung gesetzlicher Vrozesssormen bei den bernischen Gerichten und Behorden stattzufinden.

378 Demnach beantragt Jhnen die Kommission, in Uebereinstimmung m.t dem Beschluß des Ständerathes: A b w e i s u n g des R e k u r s e s .

Bern, den 10/l4. Juli 1865.

Ramens der Kommission , Der Berichterstatter:

Dr. Eh. Suter.

^) Di.. kommission befand aus den Herren S u t e r , Fracheboud, Rams p e r g e r , B e r n e h , Salis.

Der Nationalrath trat am 14. Jull dem Beschluß des Standera..hes vom 5. gleichen Monars. aus Abweisung lautend, bei (stelle Seite 255 und 256 hievor).

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Bericht und Antrag der

nationalräthlichen Kommission betreffend den Rekurs des Hrn.

Joseph Stöckli in Freiburg gegen den BundesrathsBeschluß vom 3. .Juni 1863 ^), betreffend Verletzung des Konkordats über Viehhauptmängel.

(.Vom 14. Juli 1865.)

Tit.!

Der in Freiburg niedergelassene Rekurrent kauste am 28. April 1862 von Bernhard Lüb in Avenues (Waadt) ein Pferd, welches Lob Tags zuvor von Beter D o l e i r e s in Oleires eingetauscht hatte. Dasselbe erkrankte und ging am 29. April gl. J. zu Grunde. Da die Kan-

^ S. Bundesblatt v. J. 1865, Bd. II. S. 641

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Bericht und Antrag der nationalräthlichen Kommission, betreffend den Rekurs des Friedrich Sturzenegger in Berneck, Kts. St. Gallen, gegen den Bundesrathsbeschluß vom 21. November 1864*) betreffend Gerichtsstand. (Vom 14. Juli 1865.)

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23.08.1865

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