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ständeräthlichen Rekurskommission in Sachen der Herren J. A. Chevalier und Streitgenossen gegen die Kantonalbank de.... Kantons Waadt, betreffend Verlezung des verfassungsmäßigen Princips der Rechtsgleichheit.

(Vom l 5. Dezember 1864.)

Tit. l Was die faktischen Verhältnisse des vorliegeudeu Rek..rsfall.s betrisst, so findet sich in dem Besehlusse des Bundesrathes vom 18. Mär.,

1864 eine gedrängte, aber durchaus vollständige Uebersicht aller irgend

erhebliehen Momente. ^) Wir konnen daher über dieselben um so unbedeutlicher mit Stillschweigen weggehen, da die Bundesversammlung nicht berufen ist, deu fraglichen Rechtsstreit iu seinem ganzen Umfange zu beurtheilen und die von den Gerichten des fautons Waadt ausgefällten Entscheidungen in allen Richtungen zu prüfen. Unsere Ausgabe besteht vielmehr bloss dariu, zu untersuchen. ob durch die von dem Grossen Rathe des Kantons Waadt am 1.). Dezember 1845, 22. Mai 184.) und

5. Mai 1852 gesassteu Beschlüsse der Kantonalbank ein mit Art. 2 der

Verfassung des Kautous Waadt uud mit Art. 4 der Bundesverfassung unvereinbares Vrivilegium der B e r s o n geschaffen worden sei. Rach jenen Dekreten kann nämlieh die Kantonalbank für ihre Forderungen ein Bsandreeht ..u Mobilien erlangen, welche im Besize des Schuldners

bleiben, während für alle andern Gläubiger der Art. 156l des Code civil massgebeud ist, welcher die Entstehung des Pfandrechts an einer beweglichen Sache davon abhängig macht, dass das Vsaud dem Gläubiger

eingehändigt wird.

^ Siehe Bundeesblatt v. J. 1864, Band IlI, Seite 80.

l3 Es ist von vornherein unwahrscheinlich, dass von dem .Trossen Rathe des Kantons Waadt verfassungswidrige Beschlüsse gefasst und dass diegelben zwei Deeennien hindurch angewendet worden seien, ohne dass auch nur eine einzige Stimme für die Festhaltung und beziehungsweise für die Herstellung des versassu..gsmässigen Rechtszustandes sich erhoben hätte.

Bei dieser Reflexion konnen ..^r uns aber natürlich nicht beruhigen, s.^ndern wir müssen nothwendig das Wesen der .d^ ...^ehweizern durch die Verfassungen der Cantone uud des Bundes garantirten Rechtsgleichheit näher ins Auge fassen, um entscheiden zu konnen, ob die der waadtlän-^ disehen Kantonalbank eingeräumte Begünstigung eiu mit dieser RechtsGleichheit unvereinbares Privilegien der Person sei.

Der Art. 4 der Bundesverfassung ist im Bundesrathe und in der Bundesversammlung schon s.^hr ost ^ur Sprache gekommen. Den Kern der diessfälligen Erörterungen bilden nachstehende Säl^e, die auch in den Motiven des angefochtenen Bnndesratl^sbeschlusses vom 18. Mär.. 18I...4 sich finden . ,,Das erste .Lemma des Art. 4 sei nicht wörtlich aufzufassen , die den Schweizern garantite Rechtsgleichheit sei keine absolute, sondern nur eine relative. es genüge, dass jeder Bürger unter gleichen VorausSetzungen gleich behandelt werde. ^ Diese Auffassung scheint uns ^nu.ht besriedigend zu sein. Wir erinnern bloss daran, dass die Bundesversammlung die Bestimmungen kantonaler Verfassungen, nach denen Dienstboten, so wie vermögenslose Personen von der Ausübung gewisser politischer Reehte ausgeschlossen waren, als eine Verletzung der Rechtsgleichheit bezeichnet hat, ungeachtet nicht behauptet werden tonnte, dass jene Bestimmungen die Bürger unter gleichen Boraussetzn..gen ungleich behandeln. Gerade diess ist unstatthaft, dass an ^.fällige äussere faktische Verschiedenheiten eine ungleiche rechtliche

Stellung angeknüpst^werde.

So viel ist allerdings richtig, dass es Ausnahmen von der im Art. 4 aufgestellten Regel aibt. Aber diese Ausnahmen sind nicht so zahlreich, wie gewöhnlich angenommen .mrd. Jedenfalls geht der Staatsrath des Kantons Waadt zu weit, wenn er glaubt. dass ans den. Gebiete des Privatrechts der Art. 4 gar keine Anwendung finde. Es sind nur solche Ansnahmen zuzulassen, die sieh entweder aus den speziellen Vorschriften der Bundesverfassung selbst ergeben, oder so sehr den.. Rechtsgesühle des Volkes entsprechen, dass über ihre Stattl^astigkeit so zu sagen keine Meinungsversehiedenheit obwaltet. Jn die erste Klasse gehoren die Bestimmungen der Bundesversassnng über die Juden, über das Verhältniss der Ridergelasseneu zu den Bürgern und über den Aussehluss der Geistlichen aus den Bundesbehorden. ^u den Ansnahmsfällen der zweiten Kategorie konnen gewisse Ungleichheiten aus dem Gebiete des Privatre.hts und die Jnkapaeitäten des weiblichen Gesehleehts gerechnet werden Jm Uebrigen ist davvn auszugehen, dass der Artikel 4 den Bnrgern keineswegs ein gleiches Mass von erworbenen Rechten, sondern bloss die gleiche Rechtssähigkeit

l4 im osfentliehen und Vrivatreehte .^.^..hert. Die Bürger werden gleich g e b o r e n ; fie sind von Geburt an gleich befähigt, jed.- ^rivatreeht zu erwerben, und in jede ossentliche Stellung einzutreten. ^o anfgesasst erscheinen gewisse B..sehränknngen, denen Minderjährige, Almos.mgenossige, Falliten, Verschwender, Zuchthaus- und ^ettenst.^ing... u. i. f. unter^ liegen, durchaus nicht als Aufnahmen vom Art 4. Jeder Mensch muss ja die verschiedenen Altersstufen dnrehlausen , jeder kann dur.h sein eigenes .^.hnn und Lassen seine bürgerlich... Stellung gemäss dem für Alle gleichen ^ese^e verbessern o^er verschlechtern. l.^s ^st diess gan^ analog dem bei den verschiedenen Menschen durchaus verschiedenen Mass von erworbenen Rechten.

Was nun den vorliegenden ^all im ^pe^ellen betrifft, so sindet nach dem ..gesagten der Art. 4 der Bundesverfassung und der mit demselben übereinstimmend Art. 2 der Verfassung des Kantons Waa^t a^f die Bank dieses Sautons s.hou darum keine Anwendung, weil ^ie sragliehen Vorschriften die Verhältnisse der Schweizerbürger und be^iehungsweise der Bürger des .Kantons Waadt zum Gegenstands haben, aus Rechtssubjeete aber, die bloss vermöge einer juristischen Diktion ^l.^ .Personen gelten. sich nicht l.^ieh.m. Da.^n kon.mt, dass die Baut als eine offentliche Anstalt sich darstellt, bei deren Einrichtung das Jnteresse des .Kredits maßgebend .^.^wesen ist. Dass aber solche Anstalten, welche die Beforderuu^ der Wohlfahrt des Landes zum ^.veke hab^n, mit allen Befugnissen ausgestattet werden dürfen, welche geeignet sind, die Erreichung dieses ^weckes zu ermoglichen oder z... erleichtern, kann nicht wohl bezweifelt werden.

Aus dieseu Gründen trafen wir in Uebereinftimmnug mit dem Beschlusse des Nationalrathes daraus an, den .Rekurs abzuweisen.

Bern, de.. 15. Dezember 1.^.^4.

^ür die kommission, ^) Der Berichterstatter :

^r. ^. ^iittimann.

^) ^ie ^i^tieder der kommission .^aren .

.^err I^.. Blumer.

., .^aberlin.

^ .^amperio.

., I^^.. ^^tiimann.

,, .Welli.

^Lezterer war al^ eid^. Kommissär in Gens abwesend.^ ^ ^ t e . Der .^ekur^ der .Herren .^hevaIier und Slreita.enofs.^n wurde ^on beiden Käthen abgewiesen, nämlich ^om Nationalrath am 10. Dezember 18.^4 und v.^m Standerath am 15. gleichen ^^onat^.

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Bericht der ständeräthlichen Rekurskommission in Sachen der Herren J. A. Chevalier und Streitgenossen gegen die Kantonalbank des Kantons Waadt, betreffend Verletzung des verfassungsmäßigen Princips der Rechtsgleichheit. (Vom 15. Dezember 1864.)

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