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französischen Berichterstattern der nationalräthlichen Kommission, über den Rekurs der Frau Katharina Venger geb. Säbele, von Thierachern (Kts. Bern), wohnhaft in .Bafel,

gegen den Bundesrathsbeschluss

vom 1^. Juni

18^ ^), betreffend ungleiche Behandlung im Recht von Seite der Basler Gerichtsbehörden.

(Vom 19. Juli 1865.)

Tit. l Katharina Gabele, verwittwete Hummel, verheirathete sich in zweiter Ehe mit Jakob Wenger von Thierachern , und erwarb so das Bürgerrecht im Kanton Bern.

Die in Basel niedergelassenen Eheleute Wenger unterzeichneten mit

Rotariatsakt , gefertigt in Basel am 28. Rovember 18^1, eine Obliga-

ton im Betrage von Fr. 6000 zu Gunsten von Sehreiner Heinrich Fischer in Basel. Als Sicherheit für das Guthaben hypothezirte Frau Wenger, durch den nämlichen Akt, eine Liegenschaft derselbeu aus Stadtgebiet Basel.

Nachdem hieraus Wenger in Konkurs gerathen war, bestritt der Vogt der Frau Wenger die Gültigkeit dieser Obligation und verlangte deren Annullirung ; wobei er sich ..us die Bestimmung des Basler Gesezes stifte, wornach zur gultigen Eingehung einer Verbindlichkeit von Seite ^) Siehe Seil.e 1.^.--25 hievor.

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einer Frau, fei es als Bürgin, sei es als Mitschuldnerin ihres Mannes, die Mitwirkung eines unparteiischen , ehrlichen und durchaus unverdächtigen ...Beistandes erforderlich ist. - Jst die Frau dagegen nicht nach Vorschrist des baslerischen Gesezes verbeiständet , so sind ihre Engagements rechtlich durchaus nichtig, wirkungslos und ohne bindende Kraft gegenüber der Kontrahenten.

Hier nun handelt es sich um einen Beistand der Frau Wenger, welcher eben erst (wegen Unterschlagung^ eine Strafe bestanden, und blos etwa vier Wochen vor Eingehnng der Obligation das Gesängniss verlassen hatte. Rach dem Wortlaut des Basler Gesezes konnte aber ein solches kriminaliflrtes Jndividuum nicht befugt sein , eine verheiratete Frauensperson in gültiger Welse zu ermächtigen, sich als Mitsehuldnerin ihres Mannes zu verpflichten. Vielmehr machte ihn das gegen ihu ergangene Strasurtheil hiezu durchaus rechtsunsähig.

^as erftinstanzliche Gericht von Basel wies ^rau Wenger mit ihrem Annullirungsbegehren ab und verfällte sie in die Kosten.

dieses Urtheil ging davon ans, dass eine nichtbaslerische Frau keines Beistandes bedürfe, um sich als Mitschuldnerin ihres Mannes rechtsterbindlich zu verpflichten und ihre eigenen Liegensehasten zu verpsänden , und fügte bei , es sei nicht erwiesen . dass nach dem bernischen Gesez im vorliegenden Falle die Verbeistandnng der Frau Wenger erforderlich gewesen sei.

Dieses unterm 12. April 1864 ergangene erstinstanzliche Urtheil wurde am 9. Jnni nächstfolgend vom Appellationsgericht von .Basel-

....^tadt bestätigt.

Aus

erfolgten Rekurs an den Bundesrath kassirte derselbe uuterm

2.). Jnli 1864 diese beiden Urtheile, ungeachtet des sormlichen Einspruchs vou Seite der Basler Gerichte und der dortigen Regierung.

^er Bundesrath erklarte in seinem Beschluss : Es seien die Bundesbehorden kompetent, das Urtheil einer kantonalen Gerichtsbehörde auszuheben, sobald durch dasselbe eine Bundesvorschrift, insbesondere eine Bestimmung der Bundesverfassung verlezt werde, - die Bundesbehörden hätten nicht nur die Besngniss, sondern anch die Bflicht, über die Beachtung der Bn..desv^rsass.....g zu wachen; - immer sei von denselben ihre Kompetenz gewahrt worden, legislative, administrative oder richterliche Verfügungen der Kantonalbehorden aufzuheben, sobald sie mit dem Bundesstaatsrecht im Widerspruch standen. (Vergl. Fall S t a u s f e r , Bundes-

l.latt von ^8l^4, Bd. l, S. l67.)

^er Bundesrath konkludirte, dass die Urtheile der Basler Gerichte im Widersprach stehen mit Art. 48 der Bundesverfassung , dass dieselben anders ausgefallen wären , wenn es sich um eine Baveri.. geha^elt hätte , dass somit der Rekurs begründet und die Urtheile der Basler Gerichte ansgehobeu seien.

Bunde^^lalt. Jahrg. X^ll. Bd IlI.

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478 Demnach waren das Urtheil des Gerichtes erster Jnftan^ von Bafel^ stadt vom 12. April 1864, sowie das bestattende des Appellationsgerichts vom 9. Juni nächstfolgend, kassirt und jeder rechtlichen Wirksamkeit ent-

kleidet.

Hier entsteht nun zunächst eine Frage, die vor allen andern erörtert werden muss : Konnten die Basler Gerichte durch einen spätern Spruch , der m.t dem querst gefällten ganz identisch ist, ausser dass er sieh ans andere Erwägungen stüzt, Urtheile, welehe .der Bundesrath annullai hatte, wieder aufsrisehen ^ Gegen diese bundesräthliche Kassation war kein Rekurs a.. die Bundesversammlung ergrissen worden, weder von der Regierung von Baselstadt, noch von den Basler Gerichten, noch endlich von den betroffenen Parteien.

Dieser Beschlnss war also endgültig in Kraft erwachsen.

Die Basler Behorde hatte ihn vollzogen.

Unter solchen Umständen waren die Basler Geriete unseres Eraehtens nicht besugt - gleichviel, welche neuen Gründe hiesür geltend gemacht werden wollten - Urtheile wieder ins Leben ^n rufen, welche vom Bundesrath sür null und nichtig erklärt worden waren. Durch ein Abgehen hievon würde man eine gefährliche Bahn betreten , es läge darin die Anerkennung , dass eigentlich nie ein endgültiger Entscheid e^stirt, indem man nur mit neuen Gründen zu kommen brauste, um einen definitiven Besehluss des Bundesrathes um^ustossen.

Der Rekurs an die Bundesversammlung erscheint demnach als begrüudet, und zwar vor Allem aus weil er, wie wir gleich nachweisen werden, gegen Urtheile gerichtet ist, welche zwar n ... eh dem Entscheide des Bundesrathes gefällt wurden , die aber ^u demselben in unvereinbarem Gegensaz stehen.

Diess ist der erste und sür sich allein schon entscheidende Kassationsgrnnd zu Gunsten des au die Bundesversammlung interponirten Rekurses.

Um aber in diese delikate Sache, der die Kommisston ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, einen genauern Einblik zu gewinnen, werden wir die dem Beschlusse des Bundesrathes gesolgten Thatsachen näher in^s Auge ^u fassen haben.

Nachdem die Basler Gerichte, diesem Beschösse gemäss, ihr früheres

Urtheil aunullirt hatten, glaubten sie gleichwohl wieder ein Urtheil fällen .^u sollen, das - mit der Ausnahme, dass ihm eine andere Begründung untere legt wurde - dem kassirten ganz gleichlautete.

Dieses neue Urtheil des erstinstan^lichen Basler Geri.hts datirt vom 10. Januar 1865, uud wurde vom Appellationsgericht von Baselstadt

unterm 30. März einfach bestätigt.

Dasselbe stüzt si.h auf eine Voraussezung , welche durch die Akten ni.ht gerechtfertigt ^u sein scheint, es habe nämlich Frau Wenger (welche

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^u der Zeit krank im Vette lag, als man sie eine Obligation für eine Summe unterzeichnen liess , die damals nicht einmal ausbezahlt wurde)

die Rechtsnnfähigkeit ihres Beistandes kennen, und daher die Obligation

auch gegenüber ihr, der Frau Wenger, gültig erklärt werden müssen.

Wenn diese faktische Frage zu denjenigen gehorte, welche der Bundesversammlung unterbreitet werden müssen, so wäre Jhre Kommission nicht angestanden, Jhnen zu erklären , dass die Voraussezung der Basler Gerichte nicht begründet erscheint, dass vielmehr die Gesammtheit der Akten, betreffend sowohl die Zivilklage als die in Basel verhandelte Strasklage, zu einer entgegengesehen Annahme führt. wir verweisen diessalls namentlich auf den Spruch der Anklagekammer von Baselstadt vom 10. Oktober

1864.

Dieser Umstand allein würde jedoch nicht genügen : die Gerichte konnen eben die kantonalen Geseze unrichtig anwenden, sie können bei aller Gewissenhaftigkeit sich über ei.^e faktische Frage irren , ohne dass hierin ein genügender Grund ^ur Admission eines Rekurses läge, indem die Bundesversammlung kein Appellationsgerieht und nicht berufen ist, faktische Fragen ^u entscheiden, sondern nur da, wo Bundesvorschristen verlezt sind, zu interveniren hat.

Die Bräsumptiou spricht in der That stets ^u Gunsten eines kautonalen, in Rechtskraft erwachseneu Urtheils, und es kann ein solches nur annullirt werden. wenn es entweder m.t einem endgültigen Entscheide der Bundesbehorden , oder mit Bestimmungen eines Bundesgesezes oder der Bundesverfassung im Widerspruch steht.

Jn dieser Be^iehnug find wir, nach sorgfältiger Vrüfung dieser delikaten Angelegenheit und nach Eiuforderuug v^on Belegen , welche nicht bei de.. Akten waren, zu nachfolgenden Schlüssen gelangt.

Jn der Rechtspre..huug der Bundesversammlung gilt es als feststehend, dass bei Rekurseu an Dieselbe gegen kantonale Verfügungen legislativer, administrativer oder richterlicher Ratnr, .^e Bundesversammlung kompetent ist, ^u prüfen, ob die vorgebrachten Gründe reell oder ob^ nicht die eigent^ lichen Gründe verwischt sind und schriftlich nieht kompariren.

Wollte man sich jeweilen einfach an das vorgebrachte Motiv halten, ohne sieh nach dem wirklichen umzusehen, so würde man die Anwendung des Art. 48 der Bundesverfassung in den meisten fällen zur Unmöglichkeit machen und gestatten, dass dieser wichtige Artikel unschwer verlebt werden konnte.

Es fragt sich also hier eiu^g , mit Rüksicht auf die oben gestellte Vorfrage, ob im vorliegenden ^alle eine Verlegung des Art. 48 der Bundesverfassung vorliege, wacher vorschreibt, dass alle Schweizer in der Gese^gebung sowohl al.^ im gerichtlichen Versahren den Bürgern des eigenen Kantons gleieh^uhalten sind.

480 Aus einer aufmerksamen Brüfung der beiden in der nämlichen Augelegenheit aus einander Befolgten und vom Appellationsgericht bestätigten Urtheile des erstinstanzlichen Berichts von Baselstadt, haben wir die Ueberzeugung geschopst, dass das in dem gegenwärtig rekurirten Urtheile formulirte Motiv jedenfalls bereits im ersten Urtheile als ein Haupt -Erwägungsgrund figurirt hätte , wenn dieses Motiv damals als ein hinlänglich begründetes angesehen worden wäre. - Sodann lautet auch das Basler Gesez in Bezug ans rechtliche Engagements verheiratheter Fraueuspersonen in dergleichen fallen, so positiv, allgemein, unbedingt ; es schreibt

die Erfüllung gewisser w e s e n t l i c h e r Bedingungen so ausdrüklich und

bei S t r a f e der .)tullität vor, dass dieses Gesez als eine allgemeine Rorm zu gelten hat und die Vorsehristen desselben von den verbeiständeten Bersonen nicht umgangen werden dürfen.

Eine verheiratete Frauensperson verantwortlich zu machen wegen Nichtbeachtung eines Gesezes, obschon ein Erlass der Anklagekammer von Basel beweist, dass auf Seite dieser Frau kein Vergehen vorliegt, heisst erklären, dass dieses Gesez auf eine Bernerin nicht anwendbar sei, während dasselbe gegenüber einer ....... as lerin .jedenfalls zur Anwendung hätte gelangen müssen.

Rach unserm Dafürhalten liegt demnach hier eine Verlegung des Art. 48 der Bundesversassung und des erwähnten Buudesrathsbeschlusses vom 29. Jnli 1864 vor.

Bei so bewandten Umständen trägt Jhre Kommission (mit einer Mehrheit von vier Mitgliedern auf fünf) , ohne sich weiter über die Sache zu verbreiten, daraus an, das Urtheil des erstinftanzlichen Gerichts von Baselstadt vom 10. Januar 1865, und dasjenige des dortigen

Appel.lationsgeriehts vom 30. März gl. J. aufzuheben, und diesen Ent-

scheid durch den Bundesrath der Regierung von Baselstadt und den Varteien mittheilen zu lassen.

Bern, den 19. Juli 1865.

Der französische Berichterstatter der kommission .

Dr.

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^ o t e . ^n deutscher Sprache referirte ^err L ab h a r d t , mit gleichem An.^ trage.

Die nationalräthliche kommission bestand aus den ^erren ^ .. g e r , .^u.^,

^ a b h a r d t , Theile.., de .^ivaz.

Der Nationalrath hat am 1^. und der Ständerath am 21. ..^uli den ^eku.^

Wenger, in Bestätigung des Bundesrathsbeschlusses vom 14. ^uni 18.^5. a b g ^ .v iesen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des französischen Berichterstatters der nationalräthlichen Kommission, über den Rekurs der Frau Katharina Wenger geb. Gäbele, von Thierachern (Kts. Bern), wohnhaft in Basel, gegen den Bundesrathsbeschluss vom 14. Juni 1885*), betreffend ungle...

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1865

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09.09.1865

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