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Bundesratbsbeschluß

in Rekurssache der Frau .Katharina Venger,. geb. Sädele von Thierachern, Kts. Bern, in Basel wohnhaft, betreffend ungleiche Behandlung im Recht

(Vom 14. Juni 1865.)

Der

schweizerische Bundesrath

hat in Sachen der Frau Katharina W e u g e r geb. Gabele, vou Thierachern, Kantons Bern, in Basel wohnhast, betreffend ungleiche Behandlung im Recht ,

nach augehortem Berichte des Justiz- nnd Bolizeidepartements und nach Einsteht der Akten ;

geftüzt aus die im Bundesrathsbeschluss vom 2..). Juli 1864 enthalteuen faktischen Ergebnisse, und da sieh ferner ergeben: 1. Nachdem durch den erwahnteu Bes.hluss die zwei Urtheile des Eivilgerichts und des Appellationsgerichts von Basel-Stadt, vom 12. April und .). Jnni 1864, in Sachen Frau W e n g e r geb. Gabele gegen Heinrich Fischer wegen ungleicher Behandlung der Frau Weuger, gestüzt aus Art. 48 der Bundesverfassung aufgehobeu worden waren , hat

sie unter Beistandschaft des Herrn Wild bei dem Eivilgericht von Basel

ihre Klage aus Anuullirung ihrer Unterschrift aus der von Fischer im Konkurse ihres Mannes geltend gemachten Vsandobligation von Fr. 6000 erneuert. Das Eivilgerieht erklärte jedoch, es sei mit dem Urtheil auch das demselben vorangegangene Versahren kassirt, es müsse daher eiue neue Klage eingebracht werden.

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Die Rekurrentin brachte daher die gleiche, iu Faktum 2 des frühern .Beschlusses erwähnte Klage wieder vor das Eivilgericht, welches nach neuer Verhandlung mit Urtheil vom 10. Jänner 1865 abermals die Unterschrist der Rekurrentin auf der Obligation vom 28. Rovember 1861 als für sie bindend anerkannte. Die Begründung ist von derjenigen des ersten Urtheils abweichend und geht im Wesentlichen dahin : ,,Mit Bezug auf die Thatsaehe, dass aus der im Streit liegenden

,,Obligation die als Mitschuldnerin bezeichnete Ehefrau Wenger durch

..eine kriminalisirte, mithin in Rechten untaugliche Versbnliehkeit verbei,,ständet erscheint, ergebe sich aus den veranstalteten amtlichen Raehfor^,schungen, sowie aus der vorgenommenen Zeugenabhorung, dass der frag,,liche Krauss in der Zeit nach ausgestandener Kriminalstrase und vor ,, Ausstellung der erwähnten Obligation bei Wenger als Schreiber gearReitet, in seinem Hause aus- und eingegangen und selbst zeitweise ,,wenn nicht fortwährend --- ein Zimmer daselbst inue gehabt , und diess .,Alles heimlicherweise, indem er sich ohne Aufenthalts- oder Niederlassung^ ^Bewilligung hier befunden habe.

,,Run sei nicht anzunehmen, dass die Ehefrau Wenger hievon keine "Kenntniss gehabt ,^ vielmehr lasse sich aus diesem Verhältniss schlössen, ,,dass auch sie die .genannte Versonlichkeit und ihre Anteeedentien ge,.kannt habe.

.,Es sei nun aber mit guter Treue unvereinbar, und konne darum ,,auch solchen Bersonen, welche selbstständig keine Rechtsgeschäfte ab,,sehliessen konnen , nieht zustehen, aus der Beiziehung eines Beistandes, ..dessen Mannhaftigkeit ihnen bekannt gewesen war, einen Grund zur ,,Anfechtung ihrer Handlungen herzuleiten und ^um Sehaden des Kon,,trahenten Rnzen zu ziehen.^ Frau Wenger ergriff hiegegen die Appellation . allein auch das Appellationsgerieht des Kantons Baselstadt hat dieses Urtheil am 30. März 1865 einfach bestätigt.

2. Mit Eingabe an den Bundesrath vom ..... April 18.^5 beschwerte sich ^rau Wenger geb. Gabele neuerdings gegen diese beiden Urtheile und stellte das Gesuch, dass dieselben kassirt werden mochten. Jn der Begründung wird die Behauptung ausreeht erhalten , dass diese Urtheile anders lauten würden, weun die Rekurrentin nicht eine Kantonssremde wäre.

Man habe nach Scheinmotiven gesucht, um die srühern Urtheile aufreeht ^u erhalten, obgleich und vielleicht gerade weil sie. vom Bundesrathe ausgehoben worden seien.

Die saktischen Ergebnisse der Verhandlungen seien im Widerspruch^ mit den ausgestellten Motiveu. Man habe nur einen Zeugen abgehort, der nichts Rachtheiliges gegen sie, die Rekurrentin, ausgesagt habe. Sie

habe die sragliche Obligation aus Drängen des Mannes, als sie krank

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im Vette gelegen, unterzeichnen müssen. Man könne ihr daher nicht zum Verbrechen anrechnen , dass sie an das nicht gedacht habe , woran die Männer nicht gedacht haben.

Es habe aber nichts geholfen , das Gerieht darauf ausmerksam zu machen, dass Fischer die Frage des dolus gegen die Eheleute Wenger bereits in einer ^trasnutersnchu..g ohne Erfolg znr Sprache gebracht habe ; es sei vergeblich gewesen, daraus hinzuweisen , dass in dieser Strasuutersnchung Fischer, Schnlthess und der Zeuge ^pät ganz andere Angaben gemacht hatten , als im Eivilprozess , umsonst sei darauf hingewiesen worden, dass keine Thatsachen konstant seien , die aus dem Wege einer vernünftigen Schlussfolgernng zu der Annahme führen können. dass Frau

Wenger bei Errichtung der Obligation dolos gehandelt oder sich irgend

eines andern Fehlers sehnldig gemacht habe.

Genug , das frühere Urtheil habe aufrecht erhalten werden müssen, und der h. Bundesrath habe rissen sollen, dass wenn der Richter von Basel-Stadt spreme , gesprochen sei.

Der Bundesrath werde aber einen solchen Troz nicht dulden. Wenn man einwenden werde, der Bundesrath übersehreite seine Kompetenz. wenn er ein llrtheil nach Massgabe der kantonalen Geseze prüfen wollte, so sei entgegen zu halten, d^ss die Rechte der Niedergelassenen gefährdet wären, wenn in allen den fällen, wo keine oder nur Scheinmotive angegeben seien , eine Untersuchung der Sache durch die Bundesbehorden ausgesehlossen wäre.

3. Die Regierung des Kantons Basel- Stadt hat mit Sehreiben

vom 26. April 1865 die Antworten gegen diesen Rekurs von ^eite des Appellationsgeriehts, sowie von Seite der Anwälte des Beklagten ^iseher und

des Litisdeuuneiaten, des Rotars D. Sehulthess^chmidt in Basel, einbegleitet und. dabei bemerkt, dass sie in materieller Beziehung uieh^s bei-

zusügen habe. Dagegen sehliesse sie sieh in formeller Beziehung dem Befremden an, womit das Appellatiousgericht diese im hochsteu Grade unziemliche Besehwerde entgegen genommen habe.

4. Das Appellationsgerieht vou Basel-Stadt hat in seiner Antwort

vom 13. April t 865 zunächst sein Erstaunen darüber ausgedrükt , dass ihm eine in so hohem Masse gegen den Anstand verstossende Eingabe mitgetheilt worden sei. Sodann verweist es daraus, dass sein Urtheil in Rechtskraft erwachsen sei und dass nach allgemeinen prozessnalischen Grundsäzen die Motive eines rechtslastigen Urtheils als unnmstossli.he Wahr-

heit gelten müssen.

Dieses sei hier namentlich auch der Fall mit dem Hauplmot.ve des Urtheils, mit dem dol.^ er Rekurrentin. Der Bundesrath könne daher nur noch prüfen, ob dieses Urtheil mit den Buudesvorsehristen in Einklang stehe oder nicht. Die Rekursbeschwerde habe einen solchen Wider-

sprneh nicht zu begründen versucht. Dennoch trete das Appellalionsge-

rieht noch näher in die Sache ein, in der Absicht, tigen ^achkenntniss Hand zu bieten.

damit ^u einer rich^

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Das A p p e ll a t i o n s g er icht habe nämlich in Uebereinstimmung mit dem Berichte erster Jnstanz die Ueberzeugnng gewonnen., dass wenn auch bei der Unterzeichnung der Obligation die Rekurrentin noch nicht die bestimmte

Absicht gehabt haben möge, die Unfähigkeit des ^gezogenen Beistandes

später als Grund zur Ansechtung ihrer Unterschrift geltend zu machen, sie doch mindestens Keuntniss^ gehabt habe von den diesen Mangel begründenden personlichen Verhältnissen dieses Beistandes, und dass es ihr aus diesem Grunde nicht zustehen könne, denselben zum Rachtheil ihres Gläubigers geltend zu maehen.

Das zweite Motiv, dass ein solcher Formmangel nicht unbedingt die Ungültigkeit des betretenden Rechtsgeschäfts nach sich ziehe, stüze sich darauf, dass die Strenge des Gesezes, wie sie in ^ 505 der Gerichtsordnung ausgesprochen sei, durch die spätere Verordnung von 1786 eiuigermassen gemildert worden, welche hinsichtlieh der Belehrung der Ehefrau über die

Rechtssolgen ihrer Mitverpflichtung eine Ergänzung der Beistandschaft

durch den Rotar zulasse. dieser Ergänzung habe das Appellationsgericht in vorliegendem Fall dadurch Genüge geleistet gefunden , dass die

Belehrung über die Rechtssolgen in umständlicher Fassung in der ^bli-

gation ausgenommen gewesen sei; dass vor deren Unterzeichnung der Rotar dieselbe vor sämmtlichen Kontrahenten verlesen und der Ehesrau jene betreffende Stelle noch besonders erklärt habe.

Wenn es auffallen konnte, dass diese Motive nicht bereits im ersten Urtheil Aufnahme gefunden haben, so sei ans ^ 1^2 des Basler Brozess^ gesezes ^u vereisen ; darnach sei es dem Ermessen ^es Gerichts anheim^

gestellt, dem Urtheile bloss die hauptsächlichsten Erwägungsgründe bei^

zufügeu.

Ebenso könne es keinen Erwägungsgrund bilden, dass die erste Jn^ sta..^ das zweite Urtheil uicht auf Grund der srühern Verhandlungen gesasst habe. Unter solchen Umständen sei die Lokalgesezgebuug massgebend. Der Basler Eivilpro^ess kenne das Jnstitut der Kassation nicht, es müsse daher die Ratur der ^ache entscheiden. Darnach erscheine es angemessen, nach Aushebung eines Urtheils eiu neues kontradiktorisches Verfahren zu eroffnen. Eine Analogie hiefnr biete die Resormerklärung im Verfahren vor Bundesgerieht.

Die Gründe des Urtheils vom 30. März abhin und das demselben vorangegangene Versahren seien schliesslich der Art, dass sie auf eine Kantonsbürgerin nicht minder Anwendung gefunden hätten , als aus eine niedergelassene ...^.hweizerbürgerin; es könne somit von einer Verlegung ^es Art. 48 der Bundesverfassung nicht die Rede sein.

5. Hr. Dr. Brenner als Sachwalter des Beklagten, Herrn Fischer, und Herr Dr. Karl ...^tehlin, als .Anwalt des Litisdenunziaten, Hrn. Rotar Dr. Schulthess.^chmidt, haben in ihrer bereits erwähnten Autwort d. d. 24. April 1865 das eingeschlagene Verfahren und die rechtliche

24 Begründung des rekurrirten Urtheils ebenfalls pertheidigt und zwar ans gründen, die im Wesentlichen mit denjenigen des Appellations^ericht.^ übereinstimmen.

Mit Bezug auf die Berechtigung des Gerichts, von mehreren Gründen bloss die hauptsächlichsten in das Urtheil aufzunehmen , wird der ^ 172 der Basler Brozessordnung wortlich herausgehoben, dahin lautend : ,,Dem Gericht w i r d ü b e r l a s s e n , in allen Fällen, w o es ,,ihm a n g e m e s s e n e r s c h e i n t , den von ihm gefällten Urtheilen die ^ h a u p t s ä c h l i c h s t e n Entscheidungsgründe beizufügen,^ und ^ 198: ,,Jedes Urtheil des Appellationsgerichts, w e l k e s ein e r st i n st a n z.,liches U r t h e i l a b ä n d e r t , soll auch die h a u p t s ä c h l i c h s t e n ,.Entseheidnngsgründe enthalten. ^ Ueberhaupt komme es in Basel tagtäglich vor, dass von den Gerichten gar keine Motive gegeben werden, und es müsse schon eine Streitsache mit verwikeltem Thatbeftand sein, bis sie zu einer umständlichen Motivirung sich herbeilassen.

6. Herr Leonhard Fäsch in Basel, als Vormund der Binder der Frau Wenger geb. Gabele, welche sie in ihrer ersten Ehe mit dem Franzosen Hummel von Ginsbach erzeugte, hat unterm 6. Mai 1865 auch noch die französische Gesandtschaft zum Schuze der durch die Wirkungen der rekurrirten Urtheile sehr gefährdeten Monomischen Jnteressen der Kinder Hnmmel in Anspruch genommen.

Die Gesandtschaft überreichte die diessällige Eingabe mit Rote vom 10. Mai a. ...... dem Bundesrathe und sprach die Hoffnung aus, es wer.^e derselben die gleiche sorgfältige Prüfung zu Theil werden, wie dies im ersten Entscheide der Fall gewesen sei.

Jn E r w ä g u n g :

1) Durch Beschluss des Bundesrathes vom 2..). Jnli 1864 wurden die durch die Gerichte in Basel gegen Frau Wenger Eivilurtheile einzig ans dem Grunde ausgehoben , weil Motiven anzunehmen war, dass ein anderes Urtheil worden wäre, wenn eine Kantonsangehorige am Recht

hätte.

erlassenen nach den ansgesällt gestanden

2) Die neue Beschwerde der Rekurrentin gegen die in gleicher Sa.he . wieder erlassenen Urtheile ist vom nämlichen bundesrechtli^hen Standpunkte aus zu prüfen , indem es nicht in der Kompetenz der Bnndesbehorden liegt, zu untersuchen , ob ein Gericht in Anwendung der kantonalen Geseze materiell richtig oder unrichtig gesprochen habe.

3) Es ergibt sich nun , dass nach Aushebung der frühern Urtheile ein neues kontradiktorisehes Versahren eingeleitet und erst nach Schluß

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2^ desselben. auf die neuen Ergebnisse gestüzt, das Urtheil gefallt wurde, welches nach der Behauptung des Appellationsgeriehts auch gegen eine Angehorige von Basel nieht anders ausgefallen wäre.

4) Da in den vorliegenden Akten nichts zu einer gegentheiligen An^ nahme berechtigt und mithin nicht vorauszusehen ist, es sei da^ Urthejl, abgesehen von der Sachlage, einfach aus Rechthaber^ wieder wie früher ausgefallen , so ist für den Bundesrath kein Grund vorhanden, dieses aufzuheben, selbst wenn den einschlägigen kantonalen gesezen durch die Gerichte eine irrige Anwendung gegeben worden wäre, l.. e fchl o s s e n : 1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Es sei hievon Mitthe^lung ^u machen an die Regierung de.^ Kantons Basel-Stadt und an die Rekurrentin. an lettere unter Rüksendung der Akten.

Also beschlossen, B e r n , den 14. Juni 1865.

Jm Ramen des schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : ^ne^.

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II. Bundesrathsbeschluß in Rekurssache der Frau Katharina Wenger, geb. Gädele von Thierachern, Kts. Bern, in Basel wohnhaft, betreffend ungleiche Behandlung im Recht (Vom 14. Juni 1865.)

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1865

Année Anno Band

3

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31

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

06.07.1865

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20-25

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