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.Schweizerische Bundesversammlung.

Die am 22. Juli d J. vertagte ordentliche Session der schweig.

Bundesversammlung ist am 23. Oktober 1865 wieder fortgebt worden.

Der Präsident des Nationalrathes, folgende Erossnungsrede :

Herr A. R. V l an t a,

hielt

..Meine Herren Nationalräthe l ..Als wir vor einem Jahre in ausserordentliche... Sizung den sranzosischen Handelsvertrag genehmigten, glaubten wohl die Wenigsten, das.

wir dadurch veranlagt sein werden, schon binnen Jahressrist in einer neuen ausserordentliehen Besammlnng die konstitutionellen Grundlagen unseres Bnndesstaates nach allen Riehtungen einer einlasslu.hen Brnsung zu unterwerfen.

,,Es ist sehr natürlich, dass auch die Gesam.ntheit des Volkes von dieser unerwarteten Versassnngsreviston eher überrascht ist, n..d daher der selben gegenüber bis jezt eine mehr abwartende als massgebende Stellung einnimmt.

"Die Bundesverfassung von 1848 hat der Schweiz so manche schone fruchte eingebracht, und es enthalt dieselbe so viele gesunde Grundlagen zu einer gedeihlichen Fortentwiklung unseres Bundeslebens, dass gar Viele unr sehr ungern an dieser noch jungen, frei von allem auswärtigen Einflusse aus rein historischem Schweizerboden herausgewachsene.. Schöpfung bei Anlass eines blossen Handelsvertrages wieder rütteln und ändern sehen.

,,Während die Einen überdies die Zeit zur gäuzliehen oder theilweisen Beseitigung der föderativen Elemente noch nicht gekommen glauben und bei der jezt vorwaltenden Strömung eher Riikschritte in der Riehtuug des Kantonalismus befürchten , besorgen die Andern vieln.ehr , dass alle weitern, von den Zentralbehörden ausgebenden Veränderungen den lokalen und kantonalen Leben nur neuen Eintrag bringen werden, und dass bei der vorwaltenden Tendenz nach gleichmässiger Reglementirung aller Verhältnisse und aller Theile unseres so mannigfaltig gestalteten Vaterlandes - ohne dadurch der ..Schweiz weder naeh Jnuen noch nach Aussen irgend welche grossere Stärke und Krästignng zu bringen, mithin ohne wesentlichen Ruzen für das Ganze, dennoch den. ortlieheu und individuellen Wohlbefinden nur Abbruch gethan und für manche Landestheile weniger behagliehe Zustände geschassen werden durften.

Bundesblatt. Jahrg. XVII. Bd. III

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746 ,,Meine Herren l Sie werden diese verschiedenen Befürchtungen durch unsere Berathungen und Beschlüsse zweifelsohne zu zerstreuen und unserer konstitutionellen Gesezgebung den rein schweizerischen Eharakter zu erhalten wissen.

,,Wir werden dieses Ziel um so sicherer und vollständiger erreichen, wenn wir an dem bewährten Sa.^e alter Staatsweisheit festhalten, dass Werth und Dauer der Verfassung eines Freistaates und der durch sie geschaffenen Jnstitutionen sich weniger nach den materiellen Wohlthaten bemesfen, welche sie dem Lande verschaffen, als nach dem moralischen Einfluss, den sie aus den Volkscharakter ausüben, und nach den werkthätigen Gesinnungen, die sie dem einzelnen Staatsbürger einflossen.

,,Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, lässt es sich kaum leugnen, dass das reine sogenannte Repräsentativstem, wie es aus den Kantonal^.

versassuugen der Dreissigerjal^re in die Bundesverfassung von 1848 über-

gegangen ist, die Masse des Volkes allzuleicht daran gewohnt, die Ge-

schike des Landes der Sorge Weniger zu überlassen, und allzu ..u.sschiiesslieh selber den Ausgaben des Privatlebens nachzugehen. Die blosse ma..

terielle Blüthe hat aber noch kein Volk, namentlich keine Republik, vor dem Untergange gerettet . wohl aber hat eine vorwiegend merkantile Juteressenpolitik oft bose Varteiungen geschaffen und dem Versall eines Landes wesentlichen Vorschub geleistet.

,,Um Belege hiesür brauchen wir nicht bis ins graue Alterthnm hinauszusteigen. Vor wenigen Dezennien ist eine früher mit der Schweiz vielsach verbundene, weithin gebietende, reiche Handelsrepnblik, die Dogenstadt V e n e d i g , beim ersten kräftigen Stoss von Aussen rasch in sich selbst zusanunengesallen.

^Dagegen wirken diejenigen Freistaaten, welche ihre Bürger zur Be^ sprechung der offeutlichen Angelegenheiten ans dem Markte besammelten, heute nach Jahrtausenden noch sort als Lehrer der Staatsknnst und des Reehtswesens, nnd die Denkmäler ihre.... Arbeit und Staatskunst stehen heute noch als Musterbilder da.

,,Dafür lag aber in dem Bewusstsein eines Eivis ...... m... n ns an^h ein ganz anderer Sporn zur Tl^atkrast und zur Vaterlandsliebe verborgen, als in dem papierenen Stimmzettel enthalten sein kann, mit dem in den neuern Zeiten mancher Orten der Sehweizerbürger periodisch einmal wieder als leichtwiegende Zahl in die Wahlurne fällt, um mit diesem knrzen Alt dann weiterer Bürgerpflichten wieder ziemlich enthoben zu erscheinen.

,,Aus diesem Grunde, meine Herren l verdienen gewiss alle jene Ein riehtnngen unseres Bundesstaates Jhre volle Beaehtnng , Schonung und pflege, dnreh welche Jeder ans den. Volke zur Tl,....ilnahn..e an den osfentlid..en Geschäften berufen wird, und womit bei Allen der Smu und die Liebe zum Gemeinwesen wach erhalten und stets von Reuem wiede^ angefacht wird.

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,,Eine Republik, die nur aus den steisen Füssen der Büreaukralie nnd der Advokatur mit ihren formalistischen Kruken und ihrem kostspieligen Jn.^ stanzenzug einherschreitet, darf sich n.. ...h l kaum in Allem ebenbürtig neben eine wohlgeordnete Monarchie stellen , und insbesondere würde die aus den verschiedensten Völkerschaften und Sprachidiomen zusammengefegte Schweiz auf diesem Wege kaum ihre historische Misston in der Volkerfamilie Europas zu ersüllen im Falle sein.

..Hüten wir uns daher, der blossen gleicharmigen Eodistkation wegen, solche Umwälzungen in den Geriehtsorgauisationen und in den Reehtsau^ schauungen zu schaffen . durch welche die Wahl unserer Richter ans der Mitte der Bevölkerung mehr erschwert oder ganz unthunlich gemacht würde.

Wo noch jeder Bürger ^um Rechtssprecher berufen werden kann, bleibt das

Rechtsbewusstsein lebendiger, und es wurzelt mit ihm die Rechtlichkeit tieser

im Volke. Diese bringt einem Lande aber ungleich mehr Vertrauen und selbst kaufmännischen Kredit, als noch so gut abgesasste Gese^espar.^ graphen.

,,Die zweite Bslauzschule naturwüchsigen Bürgersinnes, die ....gemeinde, als Kern und gewissermassen Abbild des Gemeinwesens im Kleinen, möchte ich ferner vor Allem Jhrer Fürsorge empfehlen. Und zwar ist nicht die anatomisch entzwei geteilte Gemeinde, wovon der eine Theil wohl noch im Besize der materiellen Kraft, aber ohne eigene politische Seele fortlebt, der andere hinwieder alle öffentlichen Ausgaben umsasst, aber nicht die Mittel hat, um sie zu erfüllen, es fei denn, dass Jeder sieh dieselben unmittelbar aus der eigenen Tasche holt, nicht dieses uner^uikliehe Doppelwesen, fondern die ungetheilte, ganze und vollkräftige Gemeinde, wie sie die Schweiz früher kannte, ist des Wiederausbaues würdig.

..Wenn, erlauben Sie mir diese individuelle Meinungsäußerung, der Begriff der förmlichen Niederlassung nicht so breitsehiehtig , sondern etwas enger gesasst würde, so dass nicht alle nomadisirenden Erwerbselemente schon nach zwei Jahren dem Gemeindsverband aufgedrungen werden, und zwar ehe und bevor sie sich irgendwie innerlich mit demselben assi^ milirt und am neuen Wohnorte bleibende Wurzeln geschlagen haben.

wenn man andererseits den ..n und sür sich eher schädlichen Grundsaz der obligatorischen Armenunterftüzung durch die Gemeinden ausgeben und diese Obsorge naturgemässer der Familie, der Kirchgenossenschast, und den freiwilligen Unterstüzungeu u. s. w. anheimstellen würde, so dürste es am Ende doch nicht so schwer sein , den Dualismus zu beseitigen und die si.h widerstrebenden Momente mit einander auszusöhnen und damit unserm bürgerliehen .und ösfentliehen Leben wieder eine. gesunde, breite uud dureh grossere Selbstverwaltung und Selbstbestimmung, mithin auch durch

grössere Theilnahme und Mitwirkung Aller gekrästigte Grundlage zu ver-

schassen.

,,Eudlich wollen Sie, meine Herreu l mir Jhre Rachsicht nicht versagen , wenn ich die Kronung dieser republikanischen Riel.tnng darin er-

748 blike, dass wir selbst als oberste gese^ebe..^ Behorden unsere ^esezesakte und Beschlüsse gerne dem Verdikte s.immtlieher Borger unterbreiten und so die Souveränität des Volkes nicht bloss dem Grnndsa^ nach prokla..

mire.., sondern dnrch die That zur Wahrheit machen.

,,Das Budget, als zweites H..npllraklaudnm dieser ....^....g, ......ird diesmal Jhre Aufmerksamkeit mehr in Anspruch nehmen , da in Folge der Handelsverträge die Zolleiu nahmen elwelchen Ansfall ausweisen.

W..r theilen indessen die zuversichtliche Hoffnung , dass nach kurzer ^eit diese Aussälle durch den vermehrten Verkehr wieder ausgeglichen sein werden. Diese Aussieht erscheint um so gerechtfertigter, als nnu selbst der einzige unserer Nachbarstaaten, der am ^rol.ibitivs^stem festhielt, eine nene freiere Handelspolitik einzuschlagen im Begrisse steht.

Dieselbe dürste vielleicht keinem Lande gegenüber sieh fruchtbarer er..

zeigen, als gerade bezüglich des Verkehrs Oesterreiehs mit der Schweiz.

,,Jn der Tl..at, wenn wir aus den kürzlieh von unseren statistischen Bürean verosfentliehlen Zusammenstellungen des Verkehrs der Schweig mit den Rachbarstaaten ersehen , dass der jährliche G^.sammlverkehr der Schweiz mit Frankreich 533,8 Millionen beträgt, mit dem Zollverein

452,6, mit Jtalieu 273,8 Millionen, dagegen unser ganze Verkehr mit

der grosseu, so produktreichen o s t e r r e i r i s c h e n M o n a r c h i e ini Ganzen nur 9,2 Millionen ^sage neun und zwei Zehntel Millionen) ausmacht, so werden Sie gewiss mit mir einig gehen , dass nach dieser Seite hin unser Verkehr iu Bälde si.h zum allerwenigsten um das Zehn^ , ja das Zwanzigsaehe steigern konnte.

,,^ies..s Missverhälluiss lässt sich a....s dem blossen Brohibitivs^ste^n nnt seinem verborgenen Schmuggel allein nicht erklären. Das uoeh grossere Hindern^ liegt wohl darin, dass aus der 40 Stunden langen Gren^streke vom Bodensee zum ^tilsserjoeh kein eiuziges genügendes Kom^ munikatiousmittel, weder eine stehende Brüke, noch (ansser der seitwärts führenden L..ziensteig) irgend ein praktikabler Strassen^ug und Strassenansehlnss nach Oesterreieh hin führt, und ein grosser Theil des Verkehrs von Oesterreieh her nicht aus direktem Wege zu uns gelangen kann.

freuen wir uns daher um so mehr, dass uo^h in dieser Sizung der ..^.laalsvertrag znr Erstellung eines doppelten Schienenanseh lusses nach ^eldl^irch und Bregen^Liudau hin zur Genehmigung uns vorgelegt werden wird, zumal diese E.senl,.ahu uns nicht nur mit .^eslerreich in engere Verbindung bringt, sondern wesentlich auch dem Transit von Jtalien nach Süddentschlaud als Vehikel dienen wird, namentlich so lange der direktere Weg von Rorschaeh nach Konstanz ans ...^ehweizernser nicht als kon^ knrrirende Linie ebenfalls ins Leben tritt.

^Hoffentlich wird aueh noch dieses Jahr der vereinbarte .^.trassenanschlnss bei Finstermünz und bald daraus derjenige bei Taufers ausgesührt werden. so dass^. zwei im Herren Enropas gelegene Nachbarländer,

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wie Throl und die .Schweiz , nicht langer ol.^.e nennenswerten Verbindungsmitteln verbleiben

alle und sede Art

von

,,Die Alpenbahnsrage , die mit aller Lebhastigkeit ansser dem Ralh^ saal besprochen wird, steht zwar nicht aus nnsern Traktanden. doch dürste sie bei Anlass der Tessinerbahnen oder in sonstiger Weise wohl auch hier zur Sprache kommen.

"Jndessen zweifeln wir keinen Angenblik daran, dass das gute alte Schweizerrecht auch hierin wieder allein den Entscheid sällen wird.

..Niemand wird den einen Kanton zn Gunsten des andern vom Verkehr auszusehliesseu und seiner natürlichen Rechte zu berauben wagen, und eben so wenig wird es angehen, dass die Einen mit dem Gelde der andern sich Vortheile erkaufen und sich aus Unkosten der Erstern bereichern. Die Gleichberechtigung Aller und die freie Konkurrenz auf allen Gebieten des Gebens sind so ties eingewurzelte schweizerische Grundsäze , dass ein übri^ gens kaum denkbarer Versuch eines Attentates aus dieselben gleich von vornherein seheitern oder ganz sicherlieh diese alten Grundlagen unseres Staatsverbaudes höchstens für einen rasch vorübergehenden Augenblik zn unterdrüken im Stande wäre.

,,Glüklicherweise ist aber die Gefahr einer derartigen Kollision schon desswegen änsserst gering, weil dieselbe nur von einer falschen Bramisse ausgehen und auf einer, wir mochten fast sagen absichtlich engen Aussassungsweise beruhen konnte. Die Annahme nämlich, dass zwischen Jtalien und der Schweiz die Alpen ans Jahrhunderte hinaus nur an einem Orte beschient werden konnten und dass das Znstandekommen mehrerer Linien aus lange Zeit hinaus sast undenkbar sei, diese Behauptung scheint uns beim blossen Hinblik auf den Mont Eenis, wo zu gleicher Zeit und sogar aus einen. und demselben Basse Sehienenwege nach verschiedenen Systemen konkurrirend neben und über einander gebaut werden, doeh ziem-

lieh schlagend widerlegt. Zudem wird die Schweiz gewiss zu allerlezt den

Fortschritten der Technik den Weg versperren und sieh etwa gar widersezen wollen, wenn ihre Alpen an mehr als einem Orte durchbrochen oder überfahren werden sollten.

,,Und was endlieh den Einwand betrifft, dass das hiezu erforderliehe

Kapital sieh nicht finden werde, so hat die Erfahrung gezeigt, dass die Grosse der Verkehrsbedürfnisse stets auch die nothigen Mittel zu ihrer Be-

friedigung zu finden weiss.

,,Wenn Jemand in diesem Rathe vor zwolf Jahren geäussert hätte, dass die Schweiz nieht nur die damals für fast unerschwinglich angesehene ^umme von 120 Millionen, sondern sogar das Vierfache davon aus ihr Eisenbahnnez, und zwar schon binnen eines Dezenniums, verwendet haben werde, so hätten gar Manche ihn damals sür einen Träumer und Schwärmer angesehen. Heute ist dies aber eine Thatsache, und die Schweiz steht nnu da als das an Eisenbahnen verhältnissmässig reichste Land des Kontinentes.

.750 ,,So geht es aber meistens, wenn man allen J..teressen unbedingten Spielraum und der individuellen und lokalen Entwiklung volle nnd un-

gehemmte Freiheit lässt.

,,Moge daher der Geist der Freiheit, der unser schweizerisches Paterland von jeher besehüzt und l.eglükt hat, auch dieses Mal nach allen Richtungen hin in allen unsern Beschlüssen und Verhandlungen walten l Dies der Wunsch, mit dem ich die außerordentliche Sizung von. Jahre 1865 hiemit sür eröffnet erkläre."

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Aus den Verhandlungen des schweiz. Bundesrathe.

(Vom 20. Oktober 1865.)

Ermächtigt durch den Bnndesbeschluss vom 20. Juli d. J. ) hat der Bundesrath mit dem Kirchenstaate eine mit dem 1 . Rovember nächstkünstig in Kraft tretende Uebereinkunft in Betreff der Telegraphentaxen abgeschlossen.

Nach dieser Uebereinkunft ist die Taxe für eine telegraphifche Depesche von 20 Worten für alle zwischen der Schweiz und dem Kirchen..

staate gewechselten Korrespondenzen, welches auch das Aufgabe- und Beftimmungsbüreau sei, auf 4 Franken feftgefezt.

Diese Taxe steigt nm die Hälfte für jede weitere Serie von 10 Werten, oder Brnchtheil derfelben.

(Vom 25. Oktober l865.)

Mit Schreiben vom 23. d. Mts. hat Hr. L. Fr. Schmid von Bern, bisheriger Konsul in der Schweiz für die Königreiche Dänemark und ..) Slehe eldg. Gesezsammlung Band vIII, Seite 473.

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

28.10.1865

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745-750

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