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Staatsvertrag fischen

der Schweiz und dem Großherzogthum Dessen, betreffend gegenseitige Auflieferung von Verbrechern.

(Vom 9. Juni 1865.)

Der schweizerische Bundesrath

und

Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von Dessen und bei Rhein sind übereiugekommen, einen Vertrag über gegenseitige Auslieferung von Verbrechern abzuschlissen, und haben zu diesem Behuse mit Vollmachten versehen : Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h :

den Herrn Joseph Martin Knüsel, Mitglied des Bundesrathes, Vorstand des eidgenössischen Justiz- und Bolizeidepartements, und Seine Königliehe Hoheit der Grossherzog von Hessen und bei Rhein: den Geheimen Legationsrath Herrn Dr. Julius von Breidenbaeh, auzerordentlichen Gesandten uud bevollmächtigten Minister am König-

lieh Württembergischen und Grossherzoglich Badischen Hofe,

welche, nach Auswechslung ihrer, in gehöriger Form befundenen Vollmachten, über nachstehende Bestimmungen übereingekommen sind :

Art. 1.

Die schweizerische Eidgenossenschaft und die Grossherzoglich Hessische

Regierung verpflichten sich durch diesen Vertrag , sich gegenseitig alle Jndividueu, mit Ausnahme der eigenen Staatsangehörigen, auszuliefern, welche wegen eines der im Art. 2 ausgezählten Verbrechen von den zuständigen Behordeu des einen Staates in Untersuchung gezogen oder verurtheilt worden sind und sich in den andern Staat geflüchtet haben.

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Art. 2.

Die Verbrechen, wegen deren die Auslieferung gegenseitig zugeftanden wird, sind:

1) Mord, mit Jnbegriff des Kindsmords.

2) Todschlag.

3) Vergiftung.

4) 5) 6) 7) 8)

Schwere Korperverlezung.

Abtreibung der Leibessrn.ht, Kindesaussezung.

Rothzucht, Blutschande u..d andere Verbrechen der Unzu.ht.

Brandstiftung.

Fälschung von offeutl.ichen , Handels- oder Brivaturkunden, die Fälschung von Banknoten und Bapiergeld inbegrifsen.

9) Fälschung oder Versälschung von Münzen.

10) Wissentliches Ausgeben falscher Münden oder Banknoten oder salscheu Bapiergeldes, im E .^verstand n iss mit dem Fälscher oder ...^erfalscher.

11) Betrug, m.t Emschluss des betrüblichen Bankerotte.

12) Raub, Erpressung, Diebstahl.

13) Unterschlagung, verübt von offentlichen Beamten, Vormündern, Kuratoren, Verwaltern, Brivatrechnungssührern oder sonstigen Bediensteten.

14) Beschädigung fremden Eigenthnms, insbesondere an Eisenbahnen und Telegraphen.

15) Meineid, falsches Zeuguiss, falsche Anklage in Bezng auf die im vorliegenden Artikel bezeichneten Verbrechen.

Art. 3.

Gleichzeitig mit den. Auszuliefernden sollen alle in dessen Befiz gefundenen, entwendeten oder ^nm Beweise des Verbrechens dienenden Gegenstände übergeben werden. Ebenso sollen alle derartigen Gegenstände ansgeliefert werden, wenn der Verbrecher dieselben in dem Lande, wohin er sieh geflüchtet hat, verborgen oder hinterlegt hatte, und solche später aufgesunden werden.

Vorbehalten bleiben die Rechte dritter, an den. Verbrechen unbetheiligter Personen auf die vorerwähnten Gegenstände, welche ihnen nach gemachtem Gebrauche kostenfrei ^urük^uftellen sind.

Art. 4.

Die Auslieferung kann verweigert werden, wenn seit Begehung der zur Last gelegteu That, seit der legten Unter.suehungshandlung oder seit der Verurteilung eine Verjährung der Anklage oder der Strafe nach den Gesezen desjenigen Landes eingetreten ist, in welches der Angeschuldigte

sich geflüchtet hat.

Art. 5.

Das Anslieferuugsbegehren ist unstatthaft, wenn es sieh auf diefelbeu Verbre.^hen gründet, wegen welker der Auszuliefernde in dem

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Lande, wohin er stch geflüchtet hat, gerichtlich verfolgt wurde oder noch verfolgt wird.

Wenn die Verson, deren Auslieferung begehrt wird, in dem Lande, wohin sie sich geflüchtet hat, bereits wegen eines eben daselbst begangenen Verbrechens oder Vergehens in Untersuchung gezogen oder verurtheilt ist, so .wird die Auslieferung so lange ausgesezt, bis dieselbe rechtskräftig freigesprochen ist oder die ausgesprochene Strafe erstanden hat.

Jft die Berson wegen Schulden oder sonstiger zivilrechtlicher Verbindlichkeiten verhaftet, so findet die Auslieferung erst nach ausgehobenem Schuldarreste statt.

Art. 6.

Wenn der Angeschuldigte oder .^ernrtheilte nicht Angehöriger des Staates ist, welcher seine Auslieferung begehrt, ^so steht es der angesprochenen Regierung frei, vorerst et.vaige Einwendungen gegen die Auslieserung Seitens der Landesregierung des betreffenden Jndividuums anzuhoren.

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Es bleibt dem um die Auslieserung angegangenen Staate freigestellt, den Angeschuldigten zur Abnrtheilung an die Regierung desjenigen Landes auszuliefern, in welchem das Verbrechen verübt wurde, oder aber an seine Heimatregierung, sosern diese die Verpflichtung übernimmt, denselben vor Gericht zu stellen.

Art. 7.

Die politischen Verbrechen und Vergehen sind von der gegenwärtigen Uebereiukunst ausgenommen. Es ist ausdrüklich seftgesezt, dass ein Jndividuum, dessen Auslieferung gewährt worden ist, in keinem Falle wegen eines vor seiner Auslieferung begangenen politischen Vergehens, noch wegen irgend einer mit einem solchen Vergehen in Verbindung stehenden Handlung, noch wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das in der gegenwärtigen Uebereinkuust nicht vorgesehen ist, versolgt oder bestrast werden darf.

Art. 8.

Jn denselben Fällen, wo der eine .^taat berechtigt ist, die Ausliefernng eines Angeschuldigten zu fordern, ist er auch verbunden, die ihm von dem andern Staate angebotene Auslieserung anzunehmen.

Art.

9.

Zur Begründung i^edes Anslieferungsbegehreus ist die Beibringung eines Verhastsbesehls oder ein^.r andern gleich wirksamen, nach den gesezlichen Formen des die Auslieferung begehrenden Staates ausgestellten Urkunde notl.ig, welche die Ratur und Schwere des Verbrechens und die darauf anwendbare Strasbestimmung angibt.

Die Beurtheilung der Frage, ob im gegebenen Falle eine der im Art. 2 bezeichneten Handlungen im Verbrechensgrade strafbar sei, richtet sich nach den Gesezen desjenigen ...Staates, welcher die Auslieferung

begehrt.

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Art. 10.

^..ie Auslieferung soll aus den von der Regierung des einen St...^ tes an jene des ...ndern im diplomatischen Wege zu richtenden Antrag geschehen.

Jedoch soll immerhin auf direktes Verlangen der zuständigen Behorde der Verfolgte einstweilen in Verhaft genommen werden; ^derselbe ist aber wieder freizulassen, wenn nicht binnen vier Wochen ein formliches ...luslies^ungsbegehren einkommt und eine demselben entstehende Versügung de... Verhasteten eroffnet wird.

Art. 11.

Jeder der beiden Staaten übernimmt in Begehung aus diejenigen Bersonen , deren Auslieferung von ihm zugestanden wird , die kosten ihrer Verhaftung , ihrer ^efangeuhaltung und ihres Transportes an die Grenze.

Wenn im Falle ^s vorigen Artikels die Auslieferung nicht nachgesucht oder nicht bewilligt wird, fo hat der.,Staat, dessen Vehorde die einstweilige Verhaftung veranlasst hat, die Dosten zu ersezen.

Art. 12.

Wenn im Laufe eines Strafverfahrens die Anständige Behorde eines der beiden Staaten die Abhor von Zeugen, welche in dem andern woh^ nen, oder die Vornahme einer ähnlichen Untersuchshandlung für nothig eraehtet , so soll dieselbe auf unmittelbares Ersuchen dieser Behorde von der zuständigen Behorde des andern Staates ungesäumt vorgenommen und das Brotokoll der ersuchenden Behorde übersendet werden.

Solchen Zenge.. ist übrigens unbenommen, von dem ihnen nach den ^ese^en ihres Landes zustehenden Rechte zur Ablehnung des Zeugnisses Gehrauch ^u machen.

Eine Ablehnung des Ersuchens hat^ dann Statt ^u finden, wenn die Untersuchung gegen einen noch nicht von der ersuchenden Behorde verhasteten Angehorigen des andern Staates gerichtet ist, oder die Anschuldigung der bereits verhasteten Berson eine That betrifft, welche nach den gesezen dieses Staates nicht gerichtlich strafbar ist.

^..eide Regierungen verachten auf Ersaz der Kosten, wel.he durch den Vollzug derartiger Ersuchen entstehen.

Art. 13.

Unter den im vorhergehenden Artikel gedachten Besehränkuugen find in ausserordeutlichen fällen, wenn es zur Herstellung der Jdentität eines Verbrechers oder ^ur Anerkennung des Corpus delicti nothwendig erscheint, jedoch immer nur aus vorausgegangenen Antrag im diplomatischen Wege, die Zeugen gegenseitig auch personlich jederzeit zu stellen.

Kann der Zeuge nachweisen , dass seine besoudern Verhältnisse ihm die Reise an den Siz des auswärtigen Gerichts unthunlich machen , so ist hieraus geeignete Rüksichl. ^u nehmen.

Erscheint der Zeuge vor der Behorde des andern Staates, so darf

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er weder an dem Orte seiner Vernehmung, noch wahrend feiner Hinund Rükreife festgenommen, noch sonst in seinen Rechten beeinträchtigt werden , es fei denn , dass er als Mitschuldiger erkannt , oder dass er wahrend fei.nes Ausenthalts im fremden Lande ein Verbrechen begehen und auf offener That ergriffen würde. Jn diesen Fällen wäre derselbe an die zuständige Behörde seines Landes zu liesern, um vor seinen ordentlichen Richter gestellt zu werden.

Dem Zeugen werden die Kosten der Reise und des Aufenthalts nach den Bestimmungen des .Landes, in welchem er seine Erklärungen abgegeben hatte, vergütet und aus Verlangen zu einem verhältnissmässigen Theile vorgeschossen.

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Art. 14.

Die Behörden beider Staaten werden sich gegenseitig den im Art. 12, Absaz .. bezeichneten Fall ausgenommen, alle zu gerichtlichen Zweken erforderlichen Untersuchungsakten mittheilen.

Art. 15.

Der gegenwärtige Vertrag ist auf zehn Jahre abgeschlossen.

findet sechs Monate vor Ablauf dieser Frist keine Aufkündigung von Seite eines der kontrahirenden Theile statt, so wird der Vertrag für so lange als stillschweigend verlängert angenommen , als nicht eine^ Aufkündigung erfolgt, in welchem Falle dann die ..^iltigkeit des Vertrags nach sechs Monaten, vom Kündigungstage an, erlischt.

.^lrt. 16.

Dieser Vertrag soll von beiden Theilen der hochsten Genehmigung unterstellt und es sollen die Ratifikationen innerhalb vier Monaten, vom Tage der Unterzeichnung an oder früher, wenn möglich, ausgewechselt werden.

D e s s e n zur U r k u n d e haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den vorstehenden Vertrag in zwei gleichlautenden .Ausfertigungen unter Beidrüknng ihrer Siegel unterzeichnet.

Bern, den 9. Juni 1865.

Der Bevollmächtigte für die Schweiz :

Der Bevollmächtigte für Hessen ;

(L. 8.) ^ez.) ^. .^. ^nusel. (L. ..^ (Gez.) ^. ^u Brei^bach.

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des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung , betreffend die .provisorische Inkraftsezung des durch den Handelsvertrag mit Frankreich vereinbarten schweizerischen konventional tarifé gegenüber dent deutschen Zollverein und Italien mit dem 1. Juli 1865.

(Vom 1. Juli 1865.)

Tit..

Der Artikel 31 des Handelsvertrags zwischen der Schweiz und Frankreich vom 30. Juni 1864 bestimmt, ,.dass dieser Vertrag und die zugehorigen Tarise mit dem 1. Januar 1866 zur Anwendung kommen sollen, oder auch früher, wenn die vertragschliessenden Theile gemeinsam finden sol.lten, dass diese Jnkrasttretung beschleunigt werden konne. Jedenfalls werde der gegenwärtige Vertrag zu gleicher Zeit in Vollziehung treten wie der am 2. .August 1862 zwischen Frankreich und Breussen abgeschlossene Handelsvertrag."

Am 10. April d. J. brachte Herr Minister Kern in Varis zu unserer Kenntniss, dass die Hindernisse gegen die Jnkraftsezung des franzosischpreussisehen Vertrags gegenüber dem ganzen deutschen Zollverein nunmehr beseitigt seien und dass derselbe voraussichtlich am 1. Juli m Krast treten werde.

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Staatsvertrag zwischen der Schweiz und dem Großherzogthum Hessen, betreffend gegenseitige Auflieferung von Verbrechern. (Vom 9. Juni 1865.)

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1865

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3

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32

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13.07.1865

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85-90

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