Bericht des Bundesrates zur Abschreibung der Motion 08.3589 (Stadler) vom 2. Oktober 2008 (Copyright-Vergütungen für Urheber statt für Prozesse) vom 9. Dezember 2011

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2009

M 08.3589

Copyright-Vergütungen für Urheber statt für Prozesse (SR 17.12.08, Stadler; N 23.4.09, Kommission für Rechtsfragen NR)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

9. Dezember 2011

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2011-1721

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Bericht 1

Ausgangslage

Ständerat Hansruedi Stadler hat am 2. Oktober 2008 eine Motion betreffend Vereinfachung des Einzugs von Urheberrechtsvergütungen durch Verwertungsgesellschaften eingereicht. Er ersucht den Bundesrat, die rechtlichen Grundlagen für eine Datenbekanntgabe durch die Ausgleichskassen an Verwertungsgesellschaften vorzubereiten, damit die gesetzlichen Ansprüche der Urheber bei der Nutzung geschützter Vorlagen (Bücher, Zeitungen usw.) wirtschaftlicher durchgesetzt werden können.

Der Ständerat überwies die Motion am 17. Dezember 2008. Der Nationalrat stimmte ihr am 28. Mai 2009 mit 119:41 Stimmen zu.

Das Urheberrecht verleiht dem Urheber grundsätzlich die Möglichkeit, zu bestimmen, ob, wann und wie das Werk verwendet wird (Art. 10 Urheberrechtsgesetz vom 9. Oktober 1992, URG; SR 231.1). Es sieht aber gleichzeitig eine ganze Reihe von Schranken vor, die gewisse Nutzungen der Disposition der Rechteinhaber entziehen.

Beispiele sind die Verwendung durch Menschen mit Behinderungen (Art. 24c URG), im persönlichen Bereich (Art. 19 Abs. 1 Bst. a URG), für den Unterricht in der Klasse (Art. 19 Abs. 1 Bst. b URG) oder in Betrieben zur internen Information oder Dokumentation (Art. 19 Abs. 1 Bst. c URG). Sofern für diese Nutzungen eine Vergütung vorgesehen ist, wird diese durch Verwertungsgesellschaften eingezogen.

Im Jahr 2009 haben die fünf schweizerischen Verwertungsgesellschaften für solche Nutzungen insgesamt 237 Millionen Franken eingenommen. Davon wurden 177 Millionen Franken an die Rechteinhaber weitergeleitet und 19 Millionen Franken im Interesse der Rechteinhaber für kulturelle und soziale Zwecke eingesetzt. Die Verwaltungskosten beliefen sich auf 17 Prozent der Einnahmen. Diese sind jedoch nicht in erster Linie durch das Inkasso bedingt. Kostenaufwendig ist vor allem die feine und nutzungsbezogene Verteilung im Interesse der kommerziell weniger erfolgreichen und deswegen umso mehr auf diese Einnahmen angewiesenen Künstlerinnen und Künstler. Die Konsumentinnen und Konsumenten sowie die KMU sind in diesem System in erster Linie durch die Leerträgervergütung, die Vergütung für das Fotokopieren und die Nutzung in elektronischen Netzwerken sowie durch die Vergütung für den Sendeempfang betroffen. Der auf die Leerträgervergütung entfallende Anteil an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaften betrug 2009 24
Millionen Franken. Davon wurden 19 Millionen Franken an die Rechteinhaber weitergeleitet und 2 Millionen Franken für kulturelle und soziale Zwecke bestimmt.

Die Einnahmen für das Fotokopieren und die Nutzung in elektronischen Netzwerken schlugen 2009 mit 14 Millionen Franken zu Buche. Davon erhielten die Rechteinhaber 11 Millionen Franken für die Nutzung ihrer Werke. Für Kulturelles und Soziales wurde 1 Million Franken verwendet. Die Vergütungen für den Sendeempfang beliefen sich auf 20 Millionen Franken. Davon erhielten die Rechteinhaber 15 Millionen Franken, während 2 Millionen Franken für kulturelle und soziale Zwecke eingesetzt wurden.

Der vorliegende Vorstoss zielt auf eine Verbesserung der Effizienz beim Einzug der Vergütung für das Fotokopieren und die Nutzung in elektronischen Netzwerken. Die betroffenen Nutzerinnen und Nutzer sind nämlich gesetzlich verpflichtet, den Verwertungsgesellschaften die für das Inkasso und die Verteilung notwendigen Informationen zu liefern, obwohl die betreffenden Angaben grösstenteils bei den Aus300

gleichskassen vorhanden wären. Mit der die Möglichkeit einer Datenbekanntgabe durch die Ausgleichskassen sollen bestehende verfahrensmässige Doppelspurigkeiten und unnötige Kosten vermieden werden.

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Haltung des Bundesrates

Der Bundesrat hat sich für die Motion ausgesprochen, da die vorgeschlagene Vereinfachung geeignet schien, ungerechtfertigte Ansprüche zu vermeiden und sicherzustellen, dass die gesetzliche Lösung spielt.

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Umsetzung des Parlamentsauftrags

Das Projekt sah eine erhebliche Vereinfachung des bestehenden Systems der Selbstdeklaration vor. Die betroffenen Unternehmen hätten insoweit von einer generellen Datenbekanntgabe befreit werden sollen, als die Daten bereits bei den mit der Umsetzung des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; SR 831.10) betrauten Organen vorhanden sind.

Eine Datenbekanntgabe wäre somit nur noch in denjenigen Fällen erforderlich gewesen, in welchen sich die vorhandenen Daten als unvollständig oder inkorrekt erweisen sollten.

Die Umsetzung des Parlamentsauftrags hat indessen gezeigt, dass die Systemvereinfachung nicht die erwarteten Einsparungen bringt. Alle drei bis fünf Jahre versendet die Verwertungsgesellschaft ProLitteris an die bis zum jeweiligen Zeitpunkt neu gegründeten Unternehmen in der Schweiz ihren Fragebogen1. Gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) wurden in den letzten Jahren jährlich rund 12 000 Unternehmen gegründet2. Für das Ausfüllen und Retournieren des Fragebogens entsteht den Unternehmen nach Schätzung der ProLitteris je eine Stunde Aufwand. Bei einem Stundenansatz von 70 Franken ergibt das ein Total von 840 000 Franken im Jahr.

ProLitteris beziffert ihren Aufwand, inklusive Beschaffung des Adressmaterials, Versand, Mahnungen und Personalaufwand für den letzten Versand, bei dem rund 63 000 Nutzerinnen und Nutzer angeschrieben wurden, auf rund 470 000 Franken.

Daraus resultiert für ProLitteris ein jährlicher Aufwand von rund 90 000 Franken3.

Für die gesamte Volkswirtschaft beläuft sich der Aufwand dieser Datenbeschaffung für die Geltendmachung der Urheberrechtsvergütung gegenwärtig auf rund 930 000 Franken pro Jahr.

Mit der Systemvereinfachung würde einerseits der Aufwand für das Ausfüllen von Fragebögen bei einem erheblichen Teil der Unternehmen wegfallen, und die ProLitteris könnte ihren Verwaltungsaufwand gemäss eigenen Angaben auf 40 000 Franken im Jahr reduzieren. Andererseits würde den Ausgleichskassen ein Mehraufwand entstehen, welcher von der ProLitteris zu tragen wäre. Gemäss dem Bundesamt für Sozialversicherungen würde die jährliche Lieferung der von den Aus1 2 3

Rund 9 % der Angeschriebenen erweisen sich i.d.R. als tarifpflichtig.

Vgl. Medienmitteilung «Mehr Unternehmensgründungen im Jahr 2007» des BFS vom 27.08.2009.

Bei rund 12 000 jährlichen Neugründungen umfasste der erwähnte Versand von 63 000 Fragebögen einen Zeitraum von 5.25 Jahren. Daraus ergibt sich ein jährlicher Aufwand von 90 000 Franken (470 000 Fr. / 5.25).

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gleichskassen bekanntzugebenden Daten rund 110 000 Franken kosten. Hinzu würden geschätzte Initialkosten von 750 000 Franken kommen, was bei einer fünfjährigen Amortisationsdauer zu einem jährlichen Mehraufwand von 150 000 Franken führen würde.

Jährliche laufende Kosten und Einsparungen Jahr 1­5 (in Franken)

Status Quo:

Neu:

Saldo

Aufwand Unternehmen Aufwand ProLitteris

840 000 90 000

420 000 300 0004

420 000 ­210 000

Total Ersparnis

210 000

Jährliche laufende Kosten und Einsparungen ab Jahr 6 (in Franken)

Status Quo:

Neu:

Saldo

Aufwand Unternehmen Aufwand ProLitteris

840 000 90 000

420 000 150 0005

420 000 ­60 000

Total Ersparnis

360 000

Entgegen der ursprünglichen Annahme würde die Anpassung für die ProLitteris somit nicht zu Kosteneinsparungen führen, sondern im Gegenteil zu Mehrkosten.

Bei den KMU würden sich durch den Wegfall der Hälfte des administrativen Aufwands Einsparungen in der Höhe von 420 000 Franken realisieren lassen. Der Schweizerische Gewerbeverband steht der Anpassung jedoch ablehnend gegenüber, da er sie mit dem Datenschutz für unvereinbar hält. Kritisch äusserte sich auch der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte, der die Datenbekanntgabe als systemfremd einstuft. Er ist der Auffassung, dass ein Wertungswiderspruch vorliege, weil eine (umfassende) Datenbekanntgabe an die Strafuntersuchungsbehörden nur dann zulässig sei, wenn die Anzeige oder die Abwendung eines Verbrechens dies erfordere (Art. 50a Abs. 1 Bst. d AHVG). Eine gesetzliche Auskunftspflicht sei damit nicht zu vergleichen.

Die Ausgleichskassen und der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte befürchten zudem, dass mit der Datenherausgabe für AHV-fremde Zwecke die Zusammenarbeit zwischen den Arbeitgebern und den mit der Umsetzung des AHVG betrauten Organen beeinträchtigt und damit ein Präjudiz für ähnliche Begehren geschaffen wird.

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Pro Jahr: 40 000 Franken plus 110 000 Franken neue Kosten für Datenbeschaffung über die Ausgleichskassen plus (in den ersten fünf Jahren) 150 000 Franken Amortisation.

Pro Jahr: 40 000 Franken plus 110 000 Franken neue Kosten für Datenbeschaffung über die Ausgleichskassen.

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Varianten

Eine deutliche Vereinfachung im Vergleich zum bestehenden System ergäbe sich durch einen Systemwechsel hin zu einer Gerätevergütung. Denkbar wäre auch, dass der mit der Einführung einer einheitlichen Unternehmens-Identifikationsnummer (UID) verbundene Aufbau eines eigenständigen, teilweise öffentlich zugänglichen UID-Registers den Verwertungsgesellschaften den Zugang zu denjenigen Daten erleichtern könnte, auf die sie von Gesetzes wegen Anspruch haben. Schliesslich stellt sich die Frage, ob die Vergütung für das Kopieren und die Nutzung von Netzwerken abgeschafft werden soll.

Beurteilung der Varianten Die Gerätevergütung wurde bereits in der Totalrevision des URG abgelehnt und traf auch in den Vorarbeiten zur Teilrevision von 2007 auf breiten Widerstand. Sie ist kein gangbarer Weg.

Das im Aufbau begriffene UID-Register vermag das Problem der Datenbeschaffung durch die Verwertungsgesellschaften ebenfalls nicht zu lösen. Die Verwertungsgesellschaften würden zwar die Voraussetzungen für eine Registrierung als UID-Stelle erfüllen und hätten somit auch Zugang zu den Daten des UID-Registers. Die Daten, welche im künftigen UID-Register enthalten sein werden, reichen den Verwertungsgesellschaften jedoch nicht aus. Es fehlt insbesondere die für den Einzug der Fotokopiervergütung wichtige Mitarbeiterzahl der Betriebe.

Die Abschaffung der bestehenden Vergütung ist mit Blick auf die Eigentumsgarantie und die internationalen Verpflichtungen nur in Verbindung mit einer massiven Einschränkung der gesetzlichen Lizenz für das Kopieren zum Eigengebrauch möglich. Dieser Ansatz wäre mit berechtigten Interessen der Nutzerinnen und Nutzer an einer möglichst ungehinderten Verwendung der technischen Möglichkeiten und am Zugang zu Informationen nicht vereinbar.

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Würdigung

Da das geplante Vorhaben der ProLitteris nicht die gewünschten Einsparungen bringt und diejenigen, welche von der Systemvereinfachung in wirtschaftlicher Hinsicht profitieren könnten, das Vorhaben mit gewichtigen Gründen ablehnen, und auch die geprüften Varianten keinen gangbaren Weg darstellen, ist der Schluss zu ziehen, dass zum heutigen Zeitpunkt auf eine Systemvereinfachung verzichtet werden muss.

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