12.046 Botschaft zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes (Änderungen des Sanktionenrechts) vom 4. April 2012

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit, mit dem Antrag auf Zustimmung, die Botschaft zu einer Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Änderungen des Sanktionenrechts). Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2009

M 08.3797

Erhöhung des Massnahmealters bei jugendlichen Straftätern (N Galladé, 11.12.2008)

2009

M 09.3158

Abschaffung von bedingten Geldstrafen und Wiedereinführung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten (S Luginbühl, 18.3.2009)

2009

M 09.3233

Abschaffung der bedingten gemeinnützigen Arbeit (N Bättig, 19.3.2009)

2009

M 09.3313

Strafgesetzbuch. Abschaffung der Freiwilligkeit bei der gemeinnützigen Arbeit (N Stamm, 20.3.2009)

2009

M 09.3427

Verlängerung der Widerrufsfrist bei Nichtbewährung (N Rickli, 30.4.2009)

2009

M 09.3428

Abschaffung des teilbedingten Strafvollzugs für Strafen von über zwei Jahren (N Rickli, 30.4.2009)

2009

M 09.3444

Fehlende Wirkung bedingter Geldstrafen (N Häberli-Koller, 30.4.2009)

2009

M 09.3445

Verstärkte Berücksichtigung der Sicherheit potentieller Opfer im Strafrecht (N Hochreutener, 30.4.2009)

2009

M 09.3450

Wiedereinführung kurzer Haftstrafen (N Amherd, 30.4.2009)

2012-0347

4721

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. April 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

4722

Übersicht Aufgrund der anhaltenden Kritik vor allem aus der Praxis sollen zum einen an der Geldstrafe Änderungen vorgenommen werden: Diese soll nur noch unbedingt und nur noch bis zu 180 statt wie bisher zu 360 Tagessätzen ausgesprochen werden können. Zum andern sollen auch kurze Freiheitsstrafen wieder möglich sein; der Vorrang der Geldstrafe anstelle sogenannter kurzer Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monaten soll aufgegeben werden.

Am 13. Dezember 2002 haben die eidgenössischen Räte die Änderung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs (AT-StGB) verabschiedet, am 21. März 2003 die entsprechenden Parallelbestimmungen im Militärstrafgesetz (MStG). Noch vor ihrem Inkrafttreten wurden diese Revisionen mit Beschluss vom 24. März 2006 erneuten Änderungen unterzogen: Neben Anpassungen beim Straf- und Massnahmensystem im StGB und MStG wurden im StGB auch Änderungen im Bereich der Verwahrung vorgenommen. Beim Straf- und Massnahmensystem erfolgte die Ergänzung von Artikel 42 StGB bzw. Artikel 36 MStG je um einen Absatz 4, der die Verbindung einer bedingten Strafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder einer Busse zulässt. Diese Möglichkeit wollte der vor allem von Seiten der Strafverfolgungspraxis geäusserten Kritik Rechnung tragen, wonach der revidierte AT-StGB die Aussprechung gerechter Sanktionen im Grenzbereich zwischen Übertretungen und Vergehen erschwere. Am 1. Januar 2007 traten die in den beschriebenen zwei Schritten geänderten Allgemeinen Teile des StGB und des MStG in Kraft.

Die Kritik am neuen Straf- und Massnahmensystem verstummte damit aber nicht, sondern manifestierte sich in verschiedenen parlamentarischen Vorstössen. Kritik erfuhr das neue Sanktionensystem auch aus der Praxis.

Die Hauptkritik richtet sich gegen die bedingte Geldstrafe und die bedingte gemeinnützige Arbeit, die beide als Strafen ohne das nötige Abschreckungspotenzial beurteilt werden. Bei der Geldstrafe wird sodann die gesetzliche Festlegung eines Mindesttagessatzes gefordert; die gemeinnützige Arbeit solle wieder als Vollzugsform und nicht als eigenständige Sanktion konzipiert werden.

Mit der erneuten Revision soll diesen Einwänden Rechnung getragen werden. Generell will diese Revision die Geldstrafe zurückdrängen; sie will deren Vorrang gegenüber der Freiheitsstrafe sowie die Möglichkeit des bedingten Vollzugs von
Geldstrafen abschaffen.

Dies führt dazu, dass wieder vermehrt kurze unbedingte Freiheitsstrafen ausgesprochen werden können und vollzogen werden müssen. Deshalb soll der Einsatz technischer Geräte und deren feste Verbindung mit der verurteilten Person (elektronische Überwachung, sog. electronic Monitoring) als Vollzugsform gesetzlich vorgesehen werden; zudem soll auch der Vollzug in Form der gemeinnützigen Arbeit möglich werden. Diese ist nach geltendem Recht als eigenständige Strafe ausgestaltet, hat sich aber in dieser Form nicht bewährt und soll deshalb zu einer reinen Vollzugsform werden.

4723

Beim Vollzug von Massnahmen führt der Entwurf für die Bewilligung von Vollzugsöffnungen bei Artikel 90 Absatz 4bis eine Präzisierung ein, die Unklarheiten des Gesetzes beseitigt, die im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt an Lucie Trezzini zutage getreten sind.

Die Revision sieht sodann die Wiedereinführung der strafrechtlichen Landesverweisung vor. Dieses Instrument ermöglicht es, dass über das aufenthaltsrechtliche Schicksal verurteilter Personen bereits im Zeitpunkt ihrer (bedingten) Entlassung definitiv entschieden ist.

Wie bei der Revision von 2002 und den Änderungen von 2006 sollen auch jetzt die Bestimmungen des StGB und des MStG parallel geändert werden.

Im Jugendstrafgesetz schliesslich wird, den Forderungen aus der Jugendstrafrechtspraxis entsprechend, die Altersobergrenze für die Beendigung angeordneter Massnahmen von 22 auf 25 Jahre angehoben.

4724

Inhaltsverzeichnis Übersicht

4723

1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Die geltende Regelung 1.1.2 Kritik 1.1.3 Parlamentarische Vorstösse 1.1.4 Die Wirksamkeitsüberprüfung 1.1.5 Der Vorentwurf 1.2 Untersuchte Lösungsmöglichkeiten 1.3 Die beantragte Neuregelung 1.4 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung 1.4.1 Bei der Geldstrafe 1.4.2 Bei der Freiheitsstrafe 1.4.3 Die Landesverweisung 1.4.4 Beim Vollzug 1.4.5 Die Vernehmlassung 1.5 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

4726 4726 4726 4727 4728 4729 4731 4731 4733 4733 4733 4735 4736 4738 4741 4742

2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 2.1 Strafgesetzbuch 2.2 Militärstrafgesetz 2.3 Änderungen bisherigen Rechts (Ziff. III bzw. Anhang des Entwurfs)

4742 4742 4751 4751

3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.2 Auswirkungen auf die Kantone

4755 4755 4755

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

4755

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

4756 4756 4756

Schweizerisches Strafgesetzbuch und Militärstrafgesetz (Änderungen des Sanktionenrechts) (Entwurf)

4757

4725

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Die geltende Regelung

Das geltende Sanktionensystem des Strafgesetzbuches (StGB)1 ist seit dem 1. Januar 2007 in Kraft und bildet das Ergebnis rund zwanzig Jahre dauernder Revisionsarbeiten am Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches (AT-StGB)2. Im Bereich des Sanktionenrechts bestanden die Ziele der Revision zum einen darin, die Auswahl der Sanktionen zu vergrössern, und zum andern darin, kurze Freiheitsstrafen weitgehend zurückzudrängen und sie durch die neuen Sanktionen der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit zu ersetzen ­ wie dies in vielen anderen europäischen Staaten seit Längerem der Fall ist.

Folglich legt das geltende Recht die Dauer der Freiheitsstrafe als Regel auf mindestens sechs Monate fest (Art. 40 Abs. 1 StGB). Von dieser Regel kann einzig abgewichen werden, wenn die Voraussetzungen für einen bedingten Vollzug nicht erfüllt sind und zudem zu erwarten ist, dass auch eine Geldstrafe oder eine gemeinnützige Arbeit nicht vollzogen werden kann. In einem solchen Fall kann auf eine vollziehbare Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten erkannt werden (Art. 41 Abs. 1 StGB). Damit ergibt sich zugleich, dass die Verhängung bedingter Freiheitsstrafen unter sechs Monaten ausgeschlossen ist.

Anstelle einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten Dauer ist dagegen grundsätzlich eine Geldstrafe auszusprechen, die allerdings nicht auf ein Äquivalent von sechs Monaten beschränkt ist, sondern bis zu 360 Tagessätzen betragen kann (Art. 34 Abs. 1 StGB). Mit Zustimmung der verurteilten Person kann das Gericht sodann anstelle einer Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten Dauer oder einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen gemeinnützige Arbeit von maximal 720 Stunden aussprechen (Art. 37 Abs. 1 StGB), wobei vier Stunden gemeinnütziger Arbeit einem Tagessatz Geldstrafe oder einem Tag Freiheitsstrafe entsprechen (Art. 39 Abs. 2 StGB).

Sowohl Geldstrafen als auch gemeinnützige Arbeit und Freiheitsstrafen von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren sind in der Regel unter Gewährung des bedingten Vollzugs auszusprechen, sofern für das zukünftige Verhalten der verurteilten Person keine ungünstige Prognose zu stellen ist (Art. 42 Abs. 1 StGB).

Überdies sieht das Gesetz auch die Möglichkeit vor, dass der Vollzug einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit oder einer Freiheitsstrafe teilweise aufgeschoben wird (sog. teilbedingte Strafen, Art. 43 StGB).

1 2

SR 311.0 Zur Entstehungsgeschichte s. Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 1979 1987 ff., sowie Botschaft des Bundesrates vom 29. Juni 2005 zur Änderung des Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezember 2002 und des Militärstrafgesetzes in der Fassung vom 21. März 2003, BBl 2005 4689 4693 ff.

4726

Berücksichtigt man zudem, dass bedingte Strafen mit einer unbedingten Geldstrafe oder einer Busse verbunden werden können (Art. 42 Abs. 4 StGB), so ergeben sich ­ ohne Berücksichtigung der Bussen für Übertretungen ­ insgesamt 15 mögliche Sanktionsarten, wobei nicht für jeden Bereich alle zur Verfügung stehen. Insbesondere für den Bereich bis zu sechs Monaten sind elf mögliche Sanktionsformen3 denkbar; im Bereich von sechs Monaten bis zu einem Jahr kommt noch die Möglichkeit der bedingten Freiheitsstrafe hinzu.

1.1.2

Kritik

Kritik erfuhr die oben dargelegte Regelung bereits vor ihrem Inkrafttreten. Zum einen machten vor allem die Strafverfolgungsbehörden geltend, das neue Recht erschwere die Aussprechung gerechter Sanktionen im Grenzbereich zwischen Übertretungen und Vergehen. Dies weil Übertretungen stets mit einer unbedingten Sanktion (Busse oder gemeinnützige Arbeit) geahndet würden, für schwerer wiegende Vergehen dagegen auch eine bedingte Sanktion in Betracht komme. Dieser sogenannten Schnittstellenproblematik hat der Gesetzgeber durch die Ergänzung von Artikel 42 StGB um einen Absatz 4, der die Verbindung einer bedingten Strafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder einer Busse zulässt, Rücksicht getragen.4 Zum andern richtete sich die Kritik gegen die bedingte Geldstrafe5: So wurde geltend gemacht, der bedingten Geldstrafe fehle es ­ im Unterschied zur früher möglichen bedingten kurzen Freiheitsstrafe ­ an der Eindringlichkeit und Ernsthaftigkeit einer Sanktion6, ihre Wirkung wurde gar als «eher lächerlich»7 bezeichnet.

Auch nach der Inkraftsetzung des revidierten Gesetzes verstummte die Kritik aus der Strafrechtspraxis und den Kantonen nicht, wobei sich vor allem die Strafverfolgungspraxis und weniger die Gerichtspraxis zu Wort meldete.8 Diese vor allem in den Medien geäusserte Kritik veranlasste das Bundesamt für Justiz (BJ), verschiedene Fachpersonen aus der Strafrechtspraxis Ende 2008 anzuhören. Die eingeladenen Personen aus der Strafverfolgungs- und Strafgerichtspraxis sowie dem Strafvollzug kritisierten zwar zahlreiche Bestimmungen, waren jedoch der Auffassung, eine Revision sei nicht dringend. Zudem sollten Änderungen am neuen Sanktionen3

4

5 6

7 8

Unbedingte Freiheitsstrafe, unbedingte Geldstrafe, unbedingte gemeinnützige Arbeit, bedingte Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit je ohne oder mit Busse oder unbedingter Geldstrafe, teilbedingter Geldstrafe oder teilbedingter gemeinnütziger Arbeit.

Botschaft des Bundesrates vom 29. Juni 2005 zur Änderung des Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezember 2002 und des Militärstrafgesetzes in der Fassung vom 21. März 2003, BBl 2005 4689 Einlässlich zur Kritik Sandro Cimichella, Die Geldstrafe im Schweizer Strafrecht, Bern, 2006, S. 205 ff.

So etwa: Renate Binggeli, Die Geldstrafe, Anwaltsrevue 1 (2001) 15; Günter Stratenwerth, Nochmals: die Strafen im Bagatellbereich nach künftigem Recht, ZStrR 123 (2005) 235; anders Sandro Cimichella, Die Geldstrafe im Schweizer Strafrecht, Bern, 2006, S. 213 ff.

Jürg Sollberger, Besondere Aspekte der Geldstrafe, ZStrR 121 (2003) 257.

Dass die Meinung in den Reihen der Strafverfolgung keineswegs einhellig ist, belegt indes die Aussage der Staatsanwältin des Kantons Obwalden, welche die neuesten Revisionsbestrebungen als «sachfremd und widersinnig» beurteilt (Esther Omlin, Die Geldstrafe ­ Noch kaum einheitlich praktiziert und schon wieder geändert?, forumpoenale 2009, 300). Daneben gibt es Stimmen aus der Praxis, die sich besorgt über die Kadenz von Revisionen äussern und eine Rückkehr zur Beständigkeit des Rechts wünschen (Marc Pellet, Noli me tangere, forumpoenale 2010, 109).

4727

system nicht isoliert und nicht ohne eine sorgfältige Evaluation vorgenommen werden.

Im März 2009 befragte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) mit einem Fragebogen zu ihren Erfahrungen mit dem neuen Sanktionensystem und ersuchte um Stellungnahme zu konkreten Änderungsvorschlägen.

In den Antworten richtete sich die Hauptkritik der Kantone gegen die bedingte Geldstrafe und die bedingte gemeinnützige Arbeit: Diese beiden Sanktionen erhielten sowohl hinsichtlich ihrer präventiven Wirksamkeit als auch hinsichtlich ihrer Funktion als schuldangemessener Tatausgleich eine schlechte Beurteilung. Bei der Geldstrafe wurde sodann die gesetzliche Festlegung eines Mindesttagessatzes gefordert; bei der gemeinnützigen Arbeit erachtete die Mehrheit der Befragten die frühere Regelung als besser, in der die gemeinnützige Arbeit eine Vollzugsform und nicht eine eigenständige Sanktion war. Gefordert wurden überdies die Wiedereinführung der bedingten Freiheitsstrafe und die Möglichkeit der freien Wahl zwischen kurzer Freiheitsstrafe und Geldstrafe. Sodann verlangten fünf Kantone9 die Beschränkung der Tagessätze auf 180. Sechs Kantone10 verlangten die bundesrechtliche Regelung des elektronisch überwachten Vollzugs (sog. electronic Monitoring) als Vollzugsform und Vollzugsstufe. Mit Bezug auf die strafrechtliche Landesverweisung war die grosse Mehrheit der Kantone dagegen der Ansicht, der Wegfall dieser Massnahme aus dem Strafgesetzbuch habe keine Lücke hinterlassen, die wieder gefüllt werden müsste.

Auch die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) gelangte im Mai 2009 mit Änderungsvorschlägen für den AT-StGB an das EJPD.11 Grundsätzlich vertrat die KSBS die Meinung, der AT-StGB solle nicht vorschnell revidiert, sondern seine Bewährung erst nach einlässlicher Auswertung, d.h. nach mehreren Jahren, beurteilt werden. Dennoch machte die KSBS einzelne Vorschläge: So verlangte sie bei der Geldstrafe die Abschaffung des bedingten Vollzugs, die Beschränkung auf 180 Tagessätze und die Festlegung eines Mindestbetrags. Als Folge eines Verzichts auf die Möglichkeit des bedingten Vollzugs der Geldstrafe stellt die KSBS «das Hilfskonstrukt der Verbindungsstrafe gemäss Artikel 42 Absatz 4 StGB» zur Diskussion.

1.1.3

Parlamentarische Vorstösse

Insbesondere die Kritik an der bedingten Geldstrafe manifestierte sich in verschiedenen parlamentarischen Vorstössen, von denen der Nationalrat im Sommer 2009 in einer Sondersession die folgenden angenommen hat12:

9 10 11 12

­

09.3233 Motion Bättig vom 19. März 2009. Abschaffung der bedingten gemeinnützigen Arbeit;

­

09.3300 Motion Stamm vom 20. März 2009. Wiedereinführung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten; AG, BE, SZ, TG, VD BS, BL, BE, GE, SO, VD Die Eingabe ist abrufbar unter: www.ksbs-caps.ch/docs_aktu/brf_aenderungsvorschl_at_stgb.pdf.

AB 2009 N 987

4728

­

09.3313 Motion Stamm vom 20. März 2009. Strafgesetzbuch. Abschaffung der Freiwilligkeit bei gemeinnütziger Arbeit;

­

09.3427 Motion Rickli vom 30. April 2009. Verlängerung der Widerrufsfrist bei Nichtbewährung;

­

09.3428 Motion Rickli vom 30. April 2009. Abschaffung des teilbedingten Strafvollzugs für Strafen von über zwei Jahren;

­

09.3444 Motion Häberli-Koller vom 30. April 2009. Fehlende Wirkung bedingter Geldstrafen;

­

09.3445 Motion Hochreutener vom 30. April 2009. Verstärkte Berücksichtigung der Sicherheit potentieller Opfer im Strafrecht;

­

09.3450 Motion Amherd vom 30. April 2009. Wiedereinführung kurzer Haftstrafen.

Im Bereich des Jugendstrafrechts haben beide Räte die Motion 08.3797 (Motion Galladé Chantal vom 11. Dezember 2008. Erhöhung des Massnahmealters bei jugendlichen Straftätern) angenommen, die eine Erhöhung des Massnahmenalters von 22 auf 25 Jahre verlangt.13 Demgegenüber hat der Ständerat am 10. Dezember 2009 die Motion 09.3300 (Motion Stamm vom 20. März 2009. Wiedereinführung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten) abgelehnt und die andern vom Nationalrat angenommenen Motionen in Prüfungsaufträge umgewandelt.14 Der Nationalrat ist dem Ständerat am 3. März 2010 gefolgt.15 Sodann hat der Ständerat am 10. März 2010 die Motion 09.3158 (Motion Luginbühl Werner vom 18. März 2009. Abschaffung von bedingten Geldstrafen und Wiedereinführung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten) angenommen.16 Der Nationalrat hat die Motion am 15. Dezember 2011 in einen Prüfungsauftrag umgewandelt.17

1.1.4

Die Wirksamkeitsüberprüfung

Bereits vor diesen Entscheiden von National- und Ständerat erteilte der Bundesrat dem EJPD im September 2008 den Auftrag, die Wirksamkeit verschiedener Neuerungen im Strafrecht zu überprüfen; dies zur Erfüllung des Postulates 08.3381 (Postulat Sommaruga Carlo vom 12. Juni 2008. Evaluation des Tagessatzsystems im Strafgesetzbuch). Zu prüfen seien dabei insbesondere der Ersatz der kurzen Freiheitsstrafe durch Geldstrafen und gemeinnützige Arbeit, die Wirksamkeit der bedingten Geldstrafe und die Frage eines Mindesttagessatzes. Weil sich Aussagen 13 14

15 16 17

AB 2009 N 1010; AB 2010 S 870.

AB 2009 S 1304. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates führt in ihrem Bericht vom 10. Nov. 2009 zu Handen des Plenums des Ständerates aus: «In ihren [der Kommission] Augen ist eine eingehende Analyse angezeigt, namentlich in Bezug auf die kurzen Freiheitsstrafen, die bedingten Strafen und das Verhältnis zwischen Bussen und Geldstrafen. Diese Analyse muss jedoch in Ruhe stattfinden können. Die Kommission betont auch, dass das neue Recht in vielerlei Hinsicht einen Fortschritt darstellt. Es gibt ihrer Meinung nach also keinen Grund, die neuen Regelungen grundsätzlich in Frage zu stellen» (Bericht Ziff. 4).

AB 2010 N 128 AB 2010 S 196 AB 2011 N 2099

4729

zur Auswirkung revidierter oder neuer Gesetze erst drei bis vier Jahre nach der Inkraftsetzung machen liessen, seien in einer ersten Phase vor allem Fakten und Daten zu sammeln.

Das BJ hat zur Erfüllung dieses Auftrags zum einen Fakten und Daten gesammelt und im Zwischenbericht vom 23. Dezember 2010 zur Evaluation des revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches und des Jugendstrafgesetzes festgehalten.

Zum andern hat es ein Unternehmen mit der einlässlichen Evaluation beauftragt, die neben der Auswertung statistischer Daten auch Befragungen verschiedener vom revidierten Strafgesetzbuch betroffener Personen (Strafverfolgungs- und Strafvollzugsbehörden, Gericht, Anwälte und Anwältinnen etc.) umfasst.

Mit Blick auf die vorgeschlagene erneute Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, insbesondere auf die Abschaffung der bedingten und teilbedingten Geldstrafe, sind die Entwicklung der Verurteilungen und die Rückfälligkeit von verurteilten Personen von besonderem Interesse. Denn der gegenüber der bedingten oder teilbedingten Geldstrafe erhobene Einwand, es fehle dieser Sanktion an der Eindringlichkeit und Ernsthaftigkeit, liesse sich verstehen als Befürchtung, dieser Sanktion komme bloss geringe general- und spezialpräventive Wirkung zu, sie vermöge also weder die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen noch verurteilte Personen von der Begehung weiterer Delikte abzuschrecken. Diese fehlende Wirksamkeit könnte sich allgemein in einer erhöhten Zahl von Verurteilungen und speziell in einer erhöhten Rückfälligkeit von Personen ausdrücken, die zu einer bedingten oder teilbedingten Geldstrafe verurteilt worden sind.

Der Zwischenbericht des BJ vom Dezember 2010 hält zu den Auswirkungen der Revision auf die General- und die Spezialprävention fest: «Die Urteilsstatistiken der Jahre 2007­2009 und die besondere, für das Jahr 2007 erstellte Rückfallanalyse zeigen mithin keine signifikanten Veränderungen gegenüber den Jahren vor dem Inkrafttreten des revidierten AT-StGB. Demzufolge lassen sich daraus auch keine besonderen Auswirkungen der AT-StGB-Revision auf die Kriminalitätsentwicklung der Erwachsenen und damit auf die Spezial- und Generalprävention ableiten, abgesehen davon, dass grundsätzlich nur in beschränktem Masse von der Entwicklung der Kriminalstatistiken auf die Kriminalitätsentwicklung
geschlossen werden kann.» Dieser Befund findet knapp ein Jahr später für die Rückfälligkeit seine vorläufige statistische Bestätigung18, wobei eine allfällige Bestätigung dieses Trends erst in einigen Jahren möglich sein wird19.

18

19

«Die Einführung von Geldstrafen und die Abschaffung von kurzen Freiheitsstrafen scheint keine nennenswerte Auswirkungen auf die Rückfallraten zu haben» (Bundesamt für Statistik, Neues Sanktionenrecht und strafrechtlicher Rückfall. Erste Analysen der Rückfallentwicklung seit Inkraftsetzung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches im Jahre 2007, Neuenburg, November 2011, S. 10 [Abrufbar unter: www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.html?publicationID=4545]).

Bundesamt für Statistik, Neues Sanktionenrecht und strafrechtlicher Rückfall. Erste Analysen der Rückfallentwicklung seit Inkraftsetzung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches im Jahre 2007, Neuenburg, November 2011, S. 8.

4730

1.1.5

Der Vorentwurf

Am 30. Juni 2010 schickte der Bundesrat einen Vorentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Änderungen des Sanktionenrechts) in die Vernehmlassung, der vom BJ unter Beizug von Herrn Dr. Felix Bänziger, Oberstaatsanwalt des Kantons Solothurn, erarbeitet worden war. Im Vorentwurf wurde in erster Linie vorgeschlagen, das mit der anfangs 2007 in Kraft getretenen Revision eingeführte Prinzip der Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe und ihr Ersatz durch alternative Sanktionen durch folgende Änderungen rückgängig zu machen: ­

Festlegung der Mindestdauer von Freiheitsstrafen auf drei Tage.

­

Reduktion der Höchstdauer von Freiheitsstrafen für einen teilbedingten Vollzug von drei auf zwei Jahre.

­

Wegfall des Vorrangs der Geldstrafe im Bereich bis zu 180 Tagen: In diesem Bereich sollten Freiheits- und Geldstrafen ohne Priorität der einen oder andern Sanktion möglich sein.

­

Wegfall der voll- und der teilbedingten Geldstrafe; diese Sanktionen sollten nur unbedingt ausgesprochen werden können.

­

Festlegung der Höchstzahl der Tagessätze bei der Geldstrafe auf 180.

­

Festlegung eines gesetzlichen Mindesttagessatzes von 30 Franken.

­

Wegfall der gemeinnützigen Arbeit als eigenständige Sanktion; stattdessen Ausgestaltung als Vollzugsform bei Verbrechen oder Vergehen.

­

Einführung der elektronischen Überwachung (sog. electronic Monitoring) als Vollzugsform für Freiheitsstrafen von bis zu 180 Tagen und als Vollzugsstufe am Ende langer Freiheitsstrafen.

­

Festlegung eines gesetzlichen Umrechnungssatzes von 100 Franken auf einen Tag Ersatzfreiheitsstrafe bei Bussen.

­

Wiedereinführung der Landesverweisung unter Ausschluss der Möglichkeit des probeweisen Aufschubs.

Im Jugendstrafgesetz sollte die Altersobergrenze für Massnahmen von derzeit 22 auf 25 Jahre angehoben werden.

Die Vernehmlassung dauerte bis zum 30. Oktober 2010.

1.2

Untersuchte Lösungsmöglichkeiten

Alternativen zum vorgeschlagenen Vorgehen und zum Umfang der erneuten Revision ergaben sich in zweierlei Hinsicht: Mit Blick auf den Zeitpunkt der erneuten Revision erhob sich die Frage, ob mit einer erneuten Revision bis zum Vorliegen von Erkenntnissen über die Wirksamkeit der letzten Revision zugewartet werden sollte. Für ein Abwarten der Evaluationsergebnisse hätte gesprochen, dass der Ständerat die vom Nationalrat angenommenen Motionen und der Nationalrat die vom Ständerat angenommene Motion in Prüfungsaufträge umgewandelt hat20, dass die Ergebnisse der Wirksamkeitsüberprüfung 20

Dazu vorne Ziff. 1.1.3.

4731

im Sommer 2012 vorliegen sollten und dass auch mehrere Vernehmlassungsteilnehmer ein Abwarten der Evaluationsergebnisse befürworteten21. Nach Ansicht des Bundesrates ist der politische Druck für rasche Änderungen (insbesondere die Abschaffung der bedingten und der teilbedingten Geldstrafe) jedoch zu gross, als dass sich ein Zuwarten rechtfertigen liesse22.

Überdies erachtet der Bundesrat die heftige (mediale) Kritik am revidierten Recht als Zeichen dafür, dass in der Bevölkerung das Vertrauen in das Strafrecht und in seine generalpräventive Wirkung gelitten hat. Dies vor allem wegen der Einführung der bedingten Geldstrafe. Diese Sanktion wurde und wird breit kritisiert, weil sie nicht der Vorstellung einer Bestrafung entspricht. Ein glaubwürdiges und wirksames Strafrecht braucht aber das Vertrauen der Bevölkerung; diese muss an die Wirkung einer Strafe glauben. Deshalb bedarf es der erneuten Gesetzesänderung, bevor klar ist, inwieweit die mit der letzten Revision verfolgten Ziele (z.B. keine Verschlechterung der General- und Spezialprävention trotz Ersatz der kurzen Freiheitsstrafe) tatsächlich erreicht worden sind.23 Soweit die Evaluation zu Erkenntnissen führt, die Berücksichtigung finden müssen, kann dies auch im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zu dieser Vorlage geschehen.

Auch in sachlicher Hinsicht ergaben sich verschiedene Varianten: So stellte sich die Frage, ob die (teil-)bedingte Geldstrafe ganz abgeschafft werden sollte oder ob beim Entscheid über die Gewährung des (teil-)bedingten Vollzugs bei Geldstrafen auch andere Kriterien Berücksichtigung finden dürfen als bei der Freiheitsstrafe.24 Damit könnte erreicht werden, dass beim Entscheid über den (teil-)bedingten Vollzug der Geldstrafe auch generalpräventive Überlegungen Berücksichtigung finden könnten, mithin dass die Gewährung des (teil-)bedingten Vollzugs verweigert werden kann, um andere als den Täter oder die Täterin vor (weiteren) Taten abzuschrecken25.

Nach Ansicht des Bundesrates ist eine solche Regelung dogmatisch wohl stimmiger als die gänzliche Abschaffung von (teil-)bedingten Geldstrafen. Ihr stehen aber praktische Einwände entgegen: Zunächst sollte das Sanktionensystem eine gewisse Einfachheit aufweisen, um die erwünschte Eindruckskraft zu erzielen, was notgedrungen zu einem gewissen Schematismus führt. Zudem erweist es sich als kaum 21

22 23

24

25

So sprachen sich 14 Vernehmlassungsteilnehmer dafür aus, vorerst von Änderungen abzusehen. Näher dazu: Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens über den Bericht und den Vorentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Änderung des Sanktionenrechts) vom 12. Oktober 2011 (abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Themen > Sicherheit > Gesetzgebung > Änderung des Sanktionensystems; nachfolgend: Vernehmlassungsbericht), S. 9 f.

So begrüssen die meisten Parteien die rasche Vornahme von Änderungen. Ablehnend aber Grüne; skeptisch SP und CSP. Näher dazu: Vernehmlassungsbericht, S. 9 f.

Marcel A. Niggli / Stefan Maeder lehnen das Abstellen auf die (mutmassliche) Einstellung der Bevölkerung als Begründung für Verschärfungen des Strafrechts dezidiert ab (Marcel A. Niggli / Stefan Maeder, Strafjustiz in der Mediengesellschaft, in: Marianne Heer / Stefan Heimgartner / Marcel A. Niggli / Marc Thommen [Hrsg.], «Toujours agité ­ jamais abattu», Festschrift für Hans Wiprächtiger, Basel 2011, S. 421 ff.).

Für die Möglichkeit der Berücksichtigung auch generalpräventiver Aspekte, Günter Stratenwerth (Nochmals: die Strafen im Bagatellbereich nach künftigem Recht, ZStrR 123 [2005] 236 f.).

Für die Freiheitsstrafe erachten sowohl die überwiegende Lehre (etwa Roland M. Schneider / Roy Garré, in: Marcel A. Niggli / Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., Basel 2007, N 55 zu Art. 42) als auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung die Verweigerung des bedingten Vollzugs ausschliesslich oder überwiegend aus generalpräventiven Gründen für unzulässig (BGE 134 IV 1, 13 f. E. 5.4.3).

4732

möglich zu beurteilen, ob einem Täter oder einer Täterin im Einzelfall der (teil-) bedingte Vollzug zu verweigern ist, nicht um ihn oder sie vor weiteren Taten abzuhalten, sondern die Geltungskraft einer Strafnorm im Allgemeinen aufrecht zu erhalten. Der Entscheid darüber wäre wohl häufig reine Spekulation.

Auch bezüglich des Umfangs der erneuten Revision hatte der Bundesrat zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu entscheiden: Während sich der in die Vernehmlassung geschickte Vorentwurf auf den Kernbereich des Sanktionenrechts konzentrierte und vor allem die in der Tagespolitik stets erhobene Forderung nach Abschaffung der (teil-)bedingten Geldstrafe zu erfüllen beabsichtigte, wurden in der Vernehmlassung weitere Revisionspunkte vorgebracht, die vor allem den Vollzug der Strafen und Massnahmen betreffen. Zwar erachtet der Bundesrat diese vor allem seitens der Vollzugsbehörden vorgebrachten Änderungswünsche durchaus als prüfenswert, dringenden Handlungsbedarf ortet er aber vor allem beim Sanktionensystem. Der Einbezug weiterer Punkte in das erneute Revisionspaket würde dieses verzögern, auch weil wohl eine erneute Vernehmlassung erforderlich wäre. Damit würde der von Teilen der Politik als unbefriedigend und änderungsbedürftige empfundene Zustand auf längere Zeit bestehen bleiben.

1.3

Die beantragte Neuregelung

Die vorgeschlagene Neuregelung will zum einen die Vielfalt möglicher Sanktionen einschränken. Dies soll dadurch geschehen, dass die gemeinnützige Arbeit nicht mehr als eigenständige Sanktion, sondern als Vollzugsform ausgestaltet wird.

Sodann werden der teilbedingte und der bedingte Vollzug von Geldstrafen ausgeschlossen.

Zum andern soll die mit der letzten Revision eingeführte Zurückdrängung kurzer Freiheitsstrafen zumindest stark relativiert werden, und zwar durch eine Reduktion der Geldstrafe von 360 auf 180 Tagessätze und die Wiedereinführung von Freiheitsstrafen ab 3 Tagen.

Damit nicht alle Freiheitsstrafen auch wirklich in Vollzugsanstalten vollzogen werden müssen, wird die Möglichkeit des elektronisch überwachten Vollzugs ausserhalb von Vollzugseinrichtungen (sog. electronic Monitoring) eingeführt.

1.4

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

1.4.1

Bei der Geldstrafe

Mit dem Inkrafttreten des revidierten AT-StGB wurde die Geldstrafe zur häufigsten Strafe. Im Jahre 2008 machte sie 85,7 % aller Strafen aus; sie wurde zudem in 86,7 % der Fälle als bedingte Sanktion ausgesprochen. Dies gründet darin, dass der Vollzug auch von Geldstrafen gemäss Artikel 42 Absatz 1 StGB bzw. Artikel 36 Absatz 1 des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 192726 (MStG) «in der Regel» aufzu-

26

SR 321.0

4733

schieben ist27. Diese Gleichstellung von Freiheitsstrafe und Geldstrafe bezüglich des bedingten Vollzugs erscheint in der Sache jedoch fragwürdig: Zum einen bildete nur die Zurückdrängung des Vollzugs von Freiheitsstrafen, nicht aber jener der Geldstrafe oder von gemeinnütziger Arbeit das Ziel der Revision des AT-StGB28. Zum andern verbietet sich die Nicht-Gewährung des bedingten Vollzugs aus generalpräventiven Überlegungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts29 und der Lehre30 nur bei Freiheitsstrafen; bei Geldstrafen wäre es demgegenüber grundsätzlich zulässig, den bedingten Vollzug auch zu verweigern, wenn keine schlechte Prognose zu stellen ist, dies jedoch notwendig erscheint, um die Allgemeinheit vor weiteren Taten abzuschrecken.

In der Lehre wird als Korrektiv denn auch vorgeschlagen, unterschiedliche Voraussetzungen für die Gewährung des bedingten Vollzugs für Freiheitsstrafen einerseits und Geldstrafe sowie gemeinnützige Arbeit anderseits zu statuieren31.

Die Schwierigkeit einer solchen Regelung liegt jedoch darin, dass sich die generalpräventive Wirkung einer Sanktion kaum abschätzen lässt. Somit lässt sich die Frage letztlich nicht beantworten, ob eine Geldstrafe aus generalpräventiven Gründen unbedingt auszusprechen sei32. Es würde somit im Wesentlichen dem Belieben der Praxis überlassen, ob sie eine Geldstrafe bedingt aussprechen wollte. Deshalb schlägt der Bundesrat vor, bei der Geldstrafe auf die Möglichkeit des bedingten Vollzugs überhaupt zu verzichten.

Ebenfalls soll auf die Möglichkeit des teilbedingten Vollzugs einer Geldstrafe verzichtet werden. Zwar liesse sich der teilbedingte Vollzug der Geldstrafe nicht wie bisher als Verschärfung des Regelfalls des bedingten Vollzugs sehen, sondern als mildere Form des Normalfalls der unbedingten Geldstrafe. Dementsprechend müsste der unbedingte Vollzug nicht erforderlich erscheinen, um bestimmte Ziele der Spezial- und der Generalprävention zu erreichen. Dem steht jedoch entgegen, dass die Beurteilung, ob generalpräventive Gründe einem teilbedingten Vollzug entgegenstehen, «angesichts völliger Ungewissheit über Erfordernisse wirksamer Generalprävention»33 kaum verlässlich wird vorgenommen werden können. Damit würde es

27

28

29 30 31 32

33

Dies wird in der Lehre als grober gesetzestechnischer Fehler betrachtet (Felix Bommer / Günter Stratenwerth, Erneute Änderung des Sanktionenrechts?, in: Marianne Heer / Stefan Heimgartner / Marcel A. Niggli / Marc Thommen [Hrsg.], «Toujours agité ­ jamais abattu», Festschrift für Hans Wiprächtiger, Basel 2011, S. 17 f.)

Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 1985 2032.

BGE 134 IV 1, 13 f. E. 5.4.3.

Roland M. Schneider / Roy Garré, in: Marcel A. Niggli / Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., Basel 2007, N 55 zu Art. 42.

Günter Stratenwerth, Immer noch: Die Strafen im Bagatellbereich nach neuem Recht, forumpoenale 2009, 231.

Dagegen liesse sich einwenden, die gleiche Schwierigkeit stelle sich beim Entscheid, ob eine bedingte Strafe mit einer unbedingten pekuniären Sanktion zu verbinden sei (Art. 42 Abs. 4) ­ jedenfalls soweit die Verbindungsstrafe zu generalpräventiven Zwecken ausgesprochen werde. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Verbindungsstrafe nach Art. 42 Abs. 4 nicht allein aus generalpräventiven Gründen ausgesprochen wird und dass sie bloss einen Teil der gesamten Sanktion ausmacht, dass somit der Entscheid weniger folgenschwer ist.

Stratenwerth, Immer noch: Die Strafen im Bagatellbereich nach neuem Recht, forumpoenale 2009, 231 Fn. 10.

4734

letztlich allein vom Willen des Gerichts abhängen, ob eine Geldstrafe teilbedingt ausgesprochen würde.

Ein zentrales Anliegen der Revision des AT-StGB war der Ersatz kurzer Freiheitsstrafen durch andere Sanktionen. Dabei wurden als kurze Freiheitsstrafen solche von einer Dauer unter sechs Monaten verstanden34; dennoch sieht das geltende Recht eine Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen vor. Weil die Geldstrafe kurze Freiheitsstrafen ersetzen soll, ist eine Begrenzung der Geldstrafe auf 180 Tagessätze angezeigt. Das führt zur beabsichtigten stärkeren Gewichtung der Freiheitsstrafe.

Anders als im geltenden Recht soll die Mindesthöhe eines Tagessatzes gesetzlich festgelegt werden. Anders als noch im Vorentwurf vorgeschlagen, soll diese Höhe jedoch nicht 30 Franken, sondern 10 Franken betragen, um den in sehr prekären finanziellen Verhältnissen lebenden verurteilten Personen Rechnung zu tragen.35

1.4.2

Bei der Freiheitsstrafe

Die Revision von 2002 hat Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten Dauer durch Geldstrafen und gemeinnützige Arbeit ersetzt. Bedingte Freiheitsstrafen unter sechs Monaten sind ausgeschlossen; unbedingte Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten sind nur möglich, wenn eine Geldstrafe oder die gemeinnützige Arbeit voraussichtlich nicht vollzogen werden kann (Art. 41 Abs. 1 StGB bzw.

Art. 34a Abs. 1 MStG)36.

Mit der jetzigen Änderung sollen Freiheitsstrafen ab drei Tagen wieder ermöglicht werden. Dahinter stehen mehrere Überlegungen:

34

35 36

37

38

­

Kurze Freiheitsstrafen vermögen gewisse Täter besser vor weiterer Delinquenz abzuhalten als Geldstrafen.37

­

In Kombination mit ambulanten Massnahmen vermögen kurze Freiheitsstrafen gerade bei Wiederholungstätern einen gewissen Druck zu erzeugen, die Massnahme erfolgreich durchzuführen. Kurze Freiheitsstrafen können somit eine negative Entwicklung unterbrechen und Anlass geben zu einer Neuorientierung.38

Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 1985.

Näher die Ausführungen zu Art. 34 unter Ziff. 2.

Zu den Gründen für diese Regelung einlässlich Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 1985 2032 ff.

Zu denken ist etwa an eine sehr wohlhabende, wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln erstmals beschuldigte Person, für welche die Bezahlung einer (auch hohen) Geldstrafe eine kaum spürbare Sanktion darstellt, welche sich durch einfache Geldüberweisung erledigen lässt. Wogegen eine bedingte Freiheitsstrafe als ernste Drohung wirkt, bei erneutem Fehlverhalten spürbare und vom sozialen Umfeld wahrnehmbare Konsequenzen zu erleiden.

Das gilt etwa bei süchtigen Tätern im Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz. Dass Geldstrafen den gleichen Effekt haben, ist zweifelhaft: Sie dürften oftmals einzig zu einer grösseren Schuldenlast führen. Immerhin ist einzuräumen, dass sie über den Umweg der Ersatzfreiheitsstrafe die gleiche Wirkung zeitigen könnten.

4735

­

Es ist nicht auszuschliessen, dass die Sanktionierung von Taten mit einer Geldstrafe bei Opfern den Eindruck aufkommen lässt, selbst die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter lasse sich durch eine blosse Geldzahlung erledigen.39 Deshalb könnten sich Opfer nicht ernst genommen fühlen, was im Widerspruch steht zu den gesetzgeberischen Bemühungen um eine bessere Berücksichtigung der Opferanliegen im Strafrecht.

­

Bei Delikten im sozialen Nahbereich kann eine Geldstrafe das oftmals ohnehin schmale Familienbudget zusätzlich belasten und dazu führen, dass letztlich das Opfer einen Teil der Strafe zu tragen hat. Demgegenüber belastet eine Freiheitsstrafe ausschliesslich die verurteilte Person: Die negativen Konsequenzen des Vollzugs auf die Familie lassen sich dank der besonderen Vollzugsformen (insbesondere electronic Monitoring und Halbgefangenschaft) minimieren, welche die verurteilte Person nicht aus dem Erwerbsleben reissen.

Mit der vorgeschlagenen Änderung sind somit im Bereich der Strafen bis zu sechs Monaten eine bedingte oder unbedingte Freiheitsstrafe sowie eine (unbedingte) Geldstrafe möglich. Ist eine Strafe von nicht mehr als sechs Monaten schuldangemessen, so hat das Gericht zu bestimmen, ob eine Geld- oder Freiheitsstrafe auszusprechen ist. Das Gesetz gibt bewusst keine Kriterien vor, nach denen die Strafart (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe) bestimmt werden muss. Kein Zweifel kann jedenfalls darüber bestehen, dass das Gericht immer dann eine Freiheitsstrafe aussprechen wird, wenn eine Geldstrafe voraussichtlich nicht wird vollzogen werden können.

Daneben sind aber auch andere Gründe denkbar, die für die Wahl der einen oder anderen Sanktion sprechen, so insbesondere spezial- und generalpräventive Überlegungen. Diese lassen sich jedoch kaum mit der erforderlichen Bestimmtheit formulieren, weshalb von der Nennung von Kriterien im Gesetz abgesehen wird.

1.4.3

Die Landesverweisung

Das bis Ende 2006 geltende Recht kannte die strafrechtliche Landesverweisung als sogenannte Nebenstrafe, welche unabhängig vom Entscheid über die Hauptstrafe bedingt oder unbedingt verhängt werden konnte. Auch bei einer unbedingt verhängten Landesverweisung war im Zeitpunkt der Entlassung aus dem Straf- oder Massnahmenvollzug die Möglichkeit eines probeweisen Aufschubs nochmals zu prüfen, damit einer während des Strafvollzugs erfolgten Entwicklung der verurteilten Person Rechnung getragen werden konnte. Die letzte Revision des AT-StGB hob das Institut der Landesverweisung aus folgenden Gründen auf: ­

39

Weil neben der strafrechtlichen Landesverweisung auch eine ausländerrechtliche Ausweisung nach dem damaligen Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (ANAG) möglich war, konnte es zwischen gerichtlicher Landesverweisung und administrativer Ausweisung teilweise zu widersprüchlichen Entscheidungen kommen, die für die verurteilte Person und die Öffentlichkeit schwer zu verstehen waren.

So konnte nach der Rechtskraft des Strafurteils eine verwaltungsrechtliche Ausweisung erfolgen, obschon das Strafgericht die Notwendigkeit oder

Inwieweit diese Annahme zutrifft, dürfte die Wirksamkeitsüberprüfung beantworten.

4736

Angemessenheit einer (strafrechtlichen) Landesverweisung ausdrücklich verneint hatte.

­

Die Landesverweisung und die ausländerrechtliche Ausweisung verfolgten je unterschiedliche Zwecke und konnten kaum aufeinander abgestimmt werden.

­

Es überwog die Meinung, die ausländerrechtliche Ausweisung mit ihren harten praktischen Konsequenzen genüge und es bestehe keine Notwendigkeit, im Strafrecht weiterhin ein analoges Instrument vorzusehen, das in den meisten anderen Ländern nicht bekannt ist.

Anders als noch bei der letzten Revision des Strafgesetzbuches ist der Bundesrat heute der Auffassung, dass für die strafrechtliche Landesverweisung durchaus eine Notwendigkeit besteht:

40

41

­

Mit der strafrechtlichen Landesverweisung lässt sich eine einheitliche Praxis sicherstellen40, weil die Staatsanwaltschaft die Nichtanordnung einer von ihr beantragten Landesverweisung auf dem Rechtsmittelweg anfechten und so eine einheitliche Rechtsprechung bewirken kann.41

­

Durch den Wegfall der Möglichkeit des bedingten Aufschubs wird sichergestellt, dass verurteilte Personen am Tag der Entlassung aus dem Freiheitsentzug aus der Schweiz verwiesen werden können.

­

Weil die Landesverweisung in einem öffentlichen, gerichtlichen Verfahren ausgesprochen wird, ist ihre generalpräventive Wirkung besser, als wenn sie als administrative fremdenpolizeiliche Massnahme verfügt wird.

­

Weil bereits zu Beginn des Vollzugs einer Freiheitsstrafe feststeht, dass die verurteilte Person nach deren Verbüssung die Schweiz zu verlassen haben wird, kann der Vollzug entsprechend gestaltet werden. So erscheinen etwa Massnahmen entbehrlich, die der Wiederintegration in die Gesellschaft der Schweiz dienen, oder Aus- und Weiterbildungen, die im Heimatland der verurteilten Person ohne Nutzen sind.

­

Die Aussprechung einer Landesverweisung im Strafurteil selber stellt sicher, dass das aufenthaltsrechtliche Schicksal der verurteilten Person im Zeitpunkt ihrer (bedingten oder unbedingten) Entlassung aus dem Strafvollzug rechtskräftig entschieden ist. Wird über die Frage des Verbleibs in der Schweiz dagegen wie nach geltendem Recht erst nach Rechtskraft des Strafurteils entschieden, so ist dieser Entscheid im Zeitpunkt der Entlassung der verurteilten Person aus dem Strafvollzug oftmals noch nicht rechtskräftig.

­

Erfolgt der Entscheid über den weiteren Verbleib einer verurteilten, ausländischen Person in der Schweiz erst im Anschluss an die Rechtskraft des Strafurteils, so verhindert dies häufig die Möglichkeit der Überstellung der verurteilten Person zur Verbüssung der Strafe in ihrem Heimatland. Häufig In der Vernehmlassung wurde gegen dieses Argument eingewendet, Gerichte liessen sich wegen ihrer Unabhängigkeit nicht durch Weisungen zu einer einheitlichen Rechtsprechung bringen; dies sei dagegen bei Verwaltungsbehörden möglich (Vernehmlassungsbericht, S. 28 f.).

Verzichtet dagegen die Ausländerbehörde auf die Anordnung einer Landesverweisung, so lässt sich dieser «Entscheid» nicht anfechten. Bei der verwaltungsrechtlichen Landesverweisung lässt sich somit nie richterlich überprüfen, ob die Massnahme zu Unrecht nicht angeordnet worden ist.

4737

erweist sich der noch verbleibende Strafrest als zu gering, als dass sich die Einleitung eines Überstellungsverfahrens noch lohnen würde. Erfolgt dagegen die Landesverweisung zusammen mit dem Strafurteil, so kann ein Überstellungsverfahren viel früher eingeleitet werden und die Überstellung ergibt aufgrund der Dauer der noch zu verbüssenden Strafe auch tatsächlich Sinn.

Aus diesen Gründen schlägt der Entwurf vor, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, im Strafurteil eine Landesverweisung von 3 bis 15 Jahren Dauer auszusprechen. Die Voraussetzung, dass die betroffene Person zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt oder gegen sie eine Massnahme im Sinne von Artikel 61 oder 64 angeordnet wurde, entspricht in der Sache dem heute in Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe b des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 200542 festgelegten Grund für den Entzug einer ausländerrechtlichen Bewilligung oder Verfügung.

1.4.4

Beim Vollzug

Gemeinnützige Arbeit Im geltenden Recht ist die gemeinnützige Arbeit als eigenständige Strafe neben der Freiheitsstrafe und der Geldstrafe ausgestaltet. Ihre Höchstdauer beträgt 720 Stunden (Art. 37 StGB und Art. 31 MStG), was bei einem Umwandlungssatz von vier Stunden pro Tag (Art. 39 Abs. 2 StGB und Art. 33 Abs. 2 MStG) einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten entspricht.

Wie unter Ziffer 1.1.2 erwähnt, verlangt eine Mehrzahl der befragten Kantone die Ausgestaltung der gemeinnützigen Arbeit als Vollzugsform statt als eigenständige Sanktion.

Diesem Anliegen trägt der neue Artikel 79a Rechnung. Anders als es noch im Vorentwurf vorgeschlagen wurde, ist aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse43 auch der Vollzug von Geldstrafe und von Bussen bei Übertretungen in Form der gemeinnützigen Arbeit möglich. Ausgeschlossen ist die gemeinnützige Arbeit dagegen zum Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen. Dies aus der Überlegung, dass sich die verurteilte Person aktiv soll bemühen müssen, um ihre Strafe in Form der gemeinnützigen Arbeit ableisten zu können, dass sich aber blosses Zuwarten auf das Aufgebot zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe nicht lohnen soll. Erforderlich ist ein entsprechendes Gesuch der verurteilten Person. Im Übrigen bleibt die Regelung der gemeinnützigen Arbeit gleich wie nach geltendem Recht.

Elektronische Überwachung (electronic Monitoring) Im April 1999 erteilte der Bundesrat den Kantonen Bern, Basel-Stadt, BaselLandschaft, Tessin, Waadt und Genf auf deren Gesuch hin erstmals die Bewilligung, Versuche mit dem Vollzug von Freiheitsstrafen in Form des elektronisch überwachten Vollzuges ausserhalb der Vollzugseinrichtung (electronic Monitoring) durchzuführen. Der Bundesrat befristete diese Versuche bis Ende August 2002. Im März 2003 erteilte der Bundesrat überdies dem Kanton Solothurn auf ein entsprechendes Gesuch hin eine analoge Bewilligung. Auf Ersuchen der Versuchskantone verlängerte der Bundesrat die Versuchsbewilligungen erstmals im Jahr 2002 und danach in 42 43

SR 142.20 Vernehmlassungsbericht, S. 25.

4738

den Jahren 2005, 2006, 2007 und 2009. Die letzte Verlängerung erfolgte bis zu einer allfälligen definitiven Einführung der elektronischen Überwachung auf Gesetzesebene, längstens jedoch bis Ende 2015.

Die Bewilligungen erlauben zum einen den Vollzug von Freiheitsstrafen zwischen 20 Tagen und 12 Monaten in Form des electronic Monitoring. Zum andern lassen sie die elektronische Überwachung bei langen Freiheitsstrafen als zusätzliche Vollzugsstufe von 1 bis 12 Monaten vor der bedingten Entlassung zu, zumeist zwischen den Vollzugsstufen des Arbeitsexternats und des Wohn- und Arbeitsexternats.

Das BJ hat die Versuche von 1999­2002 ausgewertet und die Ergebnisse in drei Berichten festgehalten: Der erste Evaluationsschlussbericht vom 30. Juni 200344 zog eine positive Bilanz: Die Zahl der Anwendungsfälle der elektronischen Überwachung habe die Erwartungen übertroffen. Zudem habe diese Vollzugsform durchaus Strafcharakter, indem die betroffene Person durch die Fussfessel rund um die Uhr an ihre Strafsituation erinnert werde und durch die Einhaltung des Wochen- und Tagesplans ständig unter Druck stehe.

Der zweite Evaluationsbericht vom Dezember 200445 stellte die Resultate der Rückfalluntersuchungen dar. Die allgemeine Rückfälligkeit nach einem Strafvollzug in Form der elektronischen Überwachung betrug im Schnitt 22,72 % und lag damit im Mittelfeld der Rückfallquoten im Zusammenhang mit anderen Vollzugsformen.

Der dritte Evaluationsbericht vom Februar 200746 bestätigte die vorherigen positiven Ergebnisse. Eine Nachbefragung von Personen, die in den Jahren 1999­2002 eine Freiheitsstrafe in Form der elektronischen Überwachung verbüsst hatten, ergab, dass diese Form der Überwachung auch fünf Jahre nach dem Vollzugsende noch Wirkung zeigen konnte und sich in verschiedenen Bereichen positiv auswirkte.

Das Inkrafttreten des heute geltenden AT-StGB per 1. Januar 2007, der Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten weitgehend durch Geldstrafen und gemeinnützige Arbeit ersetzen wollte, veränderte die Rahmenbedingungen für die Versuche mit der elektronischen Überwachung grundlegend. Deshalb wollte der Bundesrat Kenntnis darüber, inwieweit die elektronische Überwachung auch unter dem neuen Recht Anwendung finden kann. Die Verlängerung vom Dezember 2007 verpflichtete die am Versuch teilnehmenden Kantone deshalb, über
die Erfahrungen mit electronic Monitoring unter dem geänderten Recht Bericht zu erstatten. Die Rückmeldungen47 ergaben weiterhin positive Erfahrungen. Zudem zeigte sich, dass auch im Rahmen des neuen Sanktionensystems ein Bedürfnis nach elektronischer Überwachung besteht. Schliesslich erwies sie sich als die kostengünstigste Vollzugsform, wobei sie diesbezüglich in den meisten Kantonen auch die gemeinnützige Arbeit übertraf.

44 45 46 47

Abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Themen > Sicherheit > Straf- und Massnahmenvollzug > Electronic Monitoring (nachfolgend. Evaluationsschlussbericht) Abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Themen > Sicherheit > Straf- und Massnahmenvolzug > Electronic Monitoring Abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Themen > Sicherheit > Straf- und Massnahmenvollzug > Electronic Monitoring Die Rückmeldungen sind im Bericht des Bundesamtes für Justiz vom 4. August 2009 zusammengestellt. Der Bericht ist abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Themen > Sicherheit > Straf- und Massnahmenvollzug > Electronic Monitoring

4739

Aufgrund der positiven Erfahrungen mit der elektronischen Überwachung sowohl unter dem früheren wie unter dem heute geltenden Sanktionenrecht soll diese Vollzugsform nunmehr definitiv gesetzlich verankert werden. Dabei geht es darum, eine Grundlage ausschliesslich für den Vollzug von Freiheitsstrafen zu schaffen. Davon zu unterscheiden ist der Einsatz elektronischer Fussfesseln zu andern Zwecken: so etwa der Einsatz anstelle von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft, der sich nach den Regeln des Strafprozessrechts richtet und seine gesetzliche Grundlage in Artikel 237 Absatz 3 der Strafprozessordnung48 findet. Ebenfalls nicht im Strafgesetzbuch zu regeln ist die Verwendung der elektronischen Überwachung im Rahmen einer ausländerrechtlichen Haft, als polizeiliche Massnahme bei häuslicher Gewalt oder als Sicherheitsvorkehrung im Straf- und Massnahmenvollzug. Diese Verwendungszwecke beschlagen entweder das Ausländerrecht, das kantonale Polizeirecht oder das Strafvollzugsrecht im engeren Sinn, zu deren Erlass die Kantone befugt sind.

Wird das electronic Monitoring wie vorgeschlagen im Bundesrecht geregelt, so bedeutet dies, dass die Kantone verpflichtet sind, die elektronische Überwachung als Vollzugsform vorzusehen. Andernfalls würden in verschiedenen Kantonen verurteilte Personen ungleich behandelt, abhängig davon, ob der für sie zuständige Vollzugskanton diese Vollzugsform vorsieht oder nicht. Das liesse sich mit dem Gebot rechtsgleicher Behandlung kaum vereinbaren.

In der Sache übernimmt der neue Artikel 79b weitgehend die Regelung, wie sie heute aufgrund der Versuchsbewilligung des Bundesrates besteht. Das electronic Monitoring soll nicht nur als Alternative zum Vollzug von Freiheitsstrafen, sondern auch als Vollzugsstufe gegen Ende längerer Freiheitsstrafen zum Einsatz kommen.

Anders als im Vorentwurf wird das electronic Monitoring beim Vollzug von Freiheitsstrafen nicht auf solche von höchstens sechs Monaten beschränkt werden, sondern für Strafen bis zu zwölf Monaten möglich sein. Damit trägt der Entwurf der in der Vernehmlassung zahlreich vorgebrachten Kritik Rechnung49, bei einer Begrenzung auf sechs Monate könnten sich die Vorteile dieser Vollzugsform mangels hinreichender Dauer gar nicht auswirken.

Vollzug von Massnahmen (Art. 90 Abs. 4bis) Im Anschluss an das Tötungsdelikt vom 4. März
2009 an Lucie Trezzini prüften zwei Gutachten die Frage, inwieweit die zuständige Behörde gestützt auf Artikel 62d Absatz 2 StGB verpflichtet gewesen wäre, vor der bedingten Entlassung des späteren Täters aus dem Massnahmenvollzug ein Gutachten einzuholen und eine Kommission anzuhören. Die Gutachten kamen zu gegensätzlichen Ergebnissen: Während das eine den Beizug eines unabhängigen Gutachtens und die Anhörung einer Kommission als zwingend erachtete, kam das andere zum Ergebnis, gestützt auf Artikel 75a in Verbindung mit Artikel 90 Absatz 4bis StGB in der heute geltenden Fassung seien die Einholung eines Gutachtens und die Anhörung durch eine Kommission vor der bedingten Entlassung aus einer Massnahme nicht zwingend.

Eine vom BJ im Januar 2011 bei der Konferenz der Kantonalen Leiterinnen und Leiter Justizvollzug (KKLJV) eingeholte Auskunft hat zudem ergeben, dass die Praxis der Kantone zu dieser Frage nicht einheitlich ist.

48 49

SR 312.0 Vernehmlasssungsbericht, S. 34 f.

4740

Diese Unsicherheit und Ungleichheit in der Rechtsanwendung gebietet eine Klarstellung des Gesetzes durch eine Änderung von Artikel 90 Absatz 4bis StGB.

Umwandlungssatz für Bussen in Ersatzfreiheitsstrafen Der Vorentwurf schlug in Artikel 106 vor, ausgesprochene Bussen nach einem festen Satz in Ersatzfreiheitsstrafen umzuwandeln. Demnach sollten hundert Franken Busse einem Tag Freiheitsstrafe entsprechen. In der Vernehmlassung befürworteten zwölf Vernehmlassungsteilnehmer diesen Vorschlag; elf lehnten ihn ab.50 Zwar treffen die von den Befürwortern vorgebrachten Argumente zu, ein fester Satz vereinfache die Praxis und mache die zu erwartende Freiheitsstrafe mit Ausfällung der Busse vorhersehbar. Bei näherer Betrachtung stehen einem festen Umwandlungssatz allerdings ernsthafte Bedenken entgegen: Bussen werden auch nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters bemessen, sodass ein fester Umwandlungssatz zu einer erheblichen Ungleichbehandlung von einkommensstarken und -schwachen Verurteilten führt: Bei gleichem Verschulden werden einkommensstarke Personen mit einer höheren Busse bestraft als einkommensschwächere, woraus für jene eine unter Umständen ungleich längere Ersatzfreiheitsstrafe resultiert als für diese. Dies steht im Widerspruch zum Erfordernis der Schuldangemessenheit jeder Strafe, das Artikel 106 Absatz 3 StGB für Bussen ausdrücklich festhält.

Überdies würde ein fester Umwandlungssatz für Bussen dann zu Schwierigkeiten führen, wenn der Täter sowohl Vergehen als auch Übertretungen begangen hat und mit Geldstrafe und Busse bestraft wird. Hier würde nur für den auf die Busse fallenden Teil der pekuniären Strafe ein fester Umwandlungssatz gelten, was den verurteilten Personen nur schwer verständlich zu machen wäre.

Im Weiteren könnte ein fester, gesetzlich verankerter Umwandlungssatz nur durch eine Gesetzesänderung an veränderte Verhältnisse, insbesondere die Teuerung, angepasst werden.

Schliesslich wendet die Praxis bereits heute zumeist einen Umwandlungssatz von hundert Franken an, kann aber auf besondere Situationen Rücksicht nehmen, weil dieser Satz nicht starr angewendet werden muss51.

Aus diesen Gründen verzichtet der Bundesrat auf die Festlegung eines festen Satzes für die Umwandlung von Bussen in Freiheitsstrafen.

1.4.5

Die Vernehmlassung

Im Rahmen der Vernehmlassung zum Vorentwurf, die vom 30. Juni bis zum 30. Oktober 2010 dauerte, gingen insgesamt 65 Stellungnahmen ein. Stellung genommen haben 25 Kantone, 7 politische Parteien, das Bundesstrafgericht sowie 26 Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen. Die Stellungnahmen sind in einem Bericht zusammengefasst und ausgewertet52. Der Bundesrat hat am 12. Oktober 2011 von dem Bericht Kenntnis genommen.

50 51 52

Vernehmlassungsbericht, S. 38.

In der Vernehmlassung wurde denn auch vorgebracht, die bisherige Regelung habe sich in der Praxis bewährt (Vernehmlassungsbericht, S. 38 f.).

Siehe Vernehmlassungsbericht.

4741

Als Ergebnis ist in genereller Hinsicht festzuhalten, dass zwar zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmer die erneute Revision des erst seit kurzer Zeit geltenden Rechts bedauern oder gar ablehnen, eine Mehrzahl hingegen die angestrebten Änderungen grundsätzlich begrüsst oder sie gar für unumgänglich hält.

Bei einigen wichtigen, aber in der Vernehmlassung umstrittenen Punkten traf der Bundesrat am 12. Oktober 2011 Vorentscheidungen. Er beschloss, in folgenden Bereichen von den Vorschlägen gemäss Vorentwurf abzuweichen: ­

Die Möglichkeit, zusätzlich zu einer bedingten Freiheitsstrafe eine unbedingte pekuniäre Strafe auszusprechen, soll beibehalten werden.

­

Die Grenze für den teilbedingten Vollzug soll wie bisher bei drei Jahren belassen und nicht herabgesetzt werden.

­

Auf die Möglichkeit des tageweisen Vollzugs von Freiheitsstrafen soll verzichtet werden, weil die überwiegende Mehrheit kein praktisches Bedürfnis danach zu erkennen vermag.

Hingegen soll auf die Wiedereinführung der Möglichkeit, eine straffällig gewordene Person durch das Strafgericht des Landes zu verweisen, nicht verzichtet werden.

Zwar vertrat eine zahlenmässig knappe Mehrheit in der Vernehmlassung die Ansicht, der Wegfall der Möglichkeit der strafrechtlichen Landesverweisung habe keine Lücke hinterlassen und die heutige Regelung sei sachgerecht53; es gilt aber zu beachten, dass die obligatorische Landesverweisung im Rahmen der Umsetzung der am 28. November 2010 angenommenen Volksinitiative «Für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)»54 diskutiert wird. Um diese Umsetzungsarbeiten nicht zusätzlich mit der Problematik der fakultativen Landesverweisung zu belasten, soll deren Wiedereinführung im Rahmen dieser Revision vorgeschlagen werden.

1.5

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Die vorgeschlagene Änderung des Sanktionenrechts erfüllt die vom Parlament überwiesenen, unter Ziffer 1.1.3 dargelegten Vorstösse vollumfänglich.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

2.1

Strafgesetzbuch

Art. 34 Abs. 1 erster Satz und 2 erster Satz In Absatz 1 erster Satz soll der Anwendungsbereich der Geldstrafe von heute maximal 360 auf 180 Tagessätze reduziert werden. Gleichzeitig dehnt diese Änderung den Anwendungsbereich der Freiheitsstrafe aus. Dies trägt zum einen dem Umstand Rechnung, dass der Freiheitsstrafe nach der Überzeugung des Bundesrates eine bessere spezial- und generalpräventive Wirkung zukommt als der Geldstrafe. Zum andern berücksichtigt diese Änderung aber auch, dass die Geldstrafe künftig aus53 54

Vernehmlassungsbericht, S. 28 ff.

BBl 2011 2771

4742

schliesslich unbedingt ausgesprochen werden kann, mithin wesentlich stärkere finanzielle Auswirkungen für die verurteilte Person hat. Gleichzeitig führt die Beschränkung auf 180 Tagessätze aber auch zu einer generellen Verschärfung der Strafen: Soweit nämlich die Voraussetzungen für die Gewährung einer bedingten Strafe nicht erfüllt sind und das Verschulden eine Strafe von weniger als 180 Tagessätzen Geldstrafe nicht zulässt, kann das Gericht ausschliesslich eine unbedingte Freiheitsstrafe aussprechen. Zwar wird damit die Sanktionierung härter, gleichzeitig lässt sich gegen dieses System für den Bereich zwischen 180 und 360 Tagessätzen der Vorwurf der Zwei-Klassen-Justiz nicht mehr erheben55.

Absatz 2: Das geltende Recht legt keine Mindesthöhe des Tagessatzes fest, nachdem sich in den parlamentarischen Beratungen entsprechende Anträge nicht durchzusetzen vermochten.56 Hingegen empfiehlt die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) für das Massengeschäft einen Mindesttagessatz von 30 Franken57. Nachdem sich das Bundesgericht zunächst noch gegen einen Mindesttagessatz ausgesprochen hatte58, präzisierte es später seine Rechtsprechung und hielt fest, eine Geldstrafe sei nicht bloss symbolisch, wenn der Tagessatz für mittellose Täter wenigstens 10 Franken betrage59.

Die im Vorentwurf vorgesehene Festlegung eines Mindesttagessatzes von 30 Franken fand zwar mehrheitlich Zustimmung, und gemäss Berechnungen von Praktikern ist ein solcher Tagessatz auch bei finanziell schwachen Verurteilten im Regelfall angemessen60, jedenfalls soweit es nach geltendem Recht um eine niedrige bis mittlere Anzahl Tagessätze geht61.

Allerdings wurde in der Vernehmlassung zu Recht vorgebracht, für wirklich mittellose Personen könne auch ein Tagessatz von 30 Franken zu hoch sein, sodass sie eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüssen müssten; dies gerade auch wegen des vorgeschlagenen Ausschlusses des bedingten Vollzugs von Geldstrafen. Ein Mindestsatz von 30 Franken begünstige somit wohlhabende Personen, schaffe mithin eine ZweiKlassen-Justiz.62 Aus diesem Grund schlägt der Bundesrat nunmehr einen Mindesttagessatz von 10 Franken vor, mithin eine Kodifizierung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.

55

56

57

58 59 60

61 62

Nach geltendem Recht muss wegen des Vorrangs der Geldstrafe gegenüber der Freiheitsstrafe eine solche nur gewärtigen, wer eine Geldstrafe voraussichtlich nicht wird leisten können (Art. 41 Abs. 1).

Der Vorentwurf von 1993 zur letzten Revision sah einen Mindesttagessatz von 2 Franken vor (Art. 29 Abs. 2 VE). Deutschland kennt eine solchen von 1 Euro (§ 40 dStGB), Österreich einen solchen von 2 Euro (§ 19 Abs. 2 öStGB).

Zusatzempfehlungen der KSBS zur Strafzumessung, verabschiedet von der Delegiertenversammlung am 3. November 2006, abrufbar unter: www.ksbs-caps.ch > Empfehlungen > 2006 > Zusatzempfehlungen.

BGE 134 IV 60, 72 E. 6.5.2.

BGE 135 IV 180, 184 E. 1.4.

Annette Dolge, Geldstrafen als Ersatz für kurze Freiheitsstrafen ­ Top oder Flop, ZStrR 128 (2010) 58, 64; Horst Schmitt, Mindesttagessatz? Zur Bemessung eines Tagessatzes für Personen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen, forumpoenale 2009, 48.

Annette Dolge, Geldstrafen als Ersatz für kurze Freiheitsstrafen ­ Top oder Flop, ZStrR 128 (2010) 64.

Vernehmlassungsbericht, S. 16.

4743

Art. 36 Abs. 3 Bst. c, 4 und 5, Art. 37­39 Die in Artikel 36 vorgeschlagenen Änderungen sind bloss redaktionelle Auswirkungen des Wegfalls der gemeinnützigen Arbeit als eigenständige Sanktion. Gleiches gilt für die Aufhebung der Artikel 37­39.

Art. 40 Die bei dieser Bestimmung vorgeschlagenen Änderungen sind die Folge der Wiedereinführung kurzer Freiheitsstrafen63. Wie die bis Ende 2006 mögliche Gefängnisstrafe werden als minimale Dauer drei Tage vorgesehen. In der Vernehmlassung wurde teilweise eine längere Mindestdauer verlangt.64 Begründet wurde dies damit, kurze Freiheitsstrafen würden die verurteilte Person aus dem Arbeitsprozess reissen, und der Vollzug sehr kurzer Freiheitsstrafen sei mit hohen Kosten verbunden.

Das erste Argument erscheint aus zwei Gründen als nicht stichhaltig: Zum einen steht es dem Gericht frei, anstelle einer Freiheitsstrafe eine Geldstrafe auszusprechen. Das Gesetz legt keinen Vorrang für die eine oder andere Strafart fest. Zum andern wollen die vorgesehenen Vollzugsformen gerade der Gefahr entgegentreten, dass verurteilte Personen auch nur kurz aus dem sozialen Umfeld und dem Arbeitsprozess gerissen werden.

Auch mit Blick auf die geltend gemachten hohen Vollzugskosten ist auf die alternativen Vollzugsformen zu verweisen, die geringere Kosten generieren als der ganztägige Vollzug in einer Vollzugsanstalt.

Art. 41 Nach dem vorgeschlagenen Konzept entfällt im Bereich der Strafen bis zu sechs Monaten der heutige Vorrang der Geldstrafe. Deshalb ist Artikel 41 aufzuheben, der die Voraussetzungen festlegt, unter denen heute ausnahmsweise eine Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten Dauer ausgesprochen werden darf. Absatz 3 des bisherigen Artikels 41 wurde in den geänderten Artikel 40 Absatz 1 überführt.

Art. 42 Randtitel, Abs. 1, 2 und 4 Weil Geldstrafen nicht mehr unter Gewährung des bedingten Vollzugs ausgesprochen werden können und die gemeinnützige Arbeit keine eigenständige Sanktion mehr darstellt, ist die Anwendbarkeit der bedingten Strafe auf die Freiheitsstrafe zu beschränken, und die Absätze 1 und 2 sind entsprechend anzupassen.

Absatz 4: Anders als der Vorentwurf, der die Aufhebung von Absatz 4 vorschlug, soll nun an der Möglichkeit der Aussprechung einer (unbedingten) pekuniären Strafe in Verbindung mit einer bedingten Strafe festgehalten werden. Das
geltende Recht misst dieser sogenannten Verbindungsstrafe zwei Funktionen zu: Zum einen soll sie der zu einer bedingten Strafe verurteilten Person den Ernst der Situation klar vor Augen führen («Denkzettelfunktion»); zum andern soll sie die sogenannte Schnitt-

63 64

Dazu vorne Ziff. 1.4.2 Vernehmlassungsbericht, S. 18 f.

4744

stellenproblematik65 entschärfen. Wegen der nunmehr vorgeschlagenen Möglichkeit auch kurzer Freiheitsstrafen stellt sich die Schnittstellenproblematik in wesentlich geringerer Schärfe: Ausgehend davon, dass eine Freiheitsstrafe auch unter Gewährung des bedingten Vollzugs stets eine härtere Sanktion darstellt als eine Geldstrafe, kann das neue Recht der Schnittstellenproblematik angemessen Rechnung tragen.

Weil zudem die Geldstrafe immer unbedingt auszusprechen ist, bedarf es der Busse als Verbindungsstrafe nicht mehr. Deshalb ist nunmehr ausschliesslich die Geldstrafe als Verbindungsstrafe vorgesehen. Dies erscheint auch rechtssystematisch richtig, weil andernfalls die an sich nur für die Ahndung von Übertretungen gedachte Busse in einem ganz anderen, viel weiteren Bereich zur Anwendung gelangen würde. Zudem erfolgt damit eine Angleichung an den bisherigen Artikel 172bis StGB, welcher für Vermögensdelikte die Verbindung von Freiheitsstrafe mit Geldstrafe (nicht aber Busse) ermöglicht. Auch in andern Erlassen ist durchwegs eine (fakultative oder obligatorische) Verbindung von Freiheitsstrafe mit Geldstrafe, nicht aber mit Busse vorgesehen.66 Art. 43 Randtitel, Abs. 1 und 3 erster Satz Es handelt sich ausschliesslich um redaktionelle Anpassungen als Folge davon, dass die Geldstrafe immer unbedingt auszusprechen ist und die gemeinnützige Arbeit keine eigenständige Sanktion, sondern nur noch eine Vollzugsform darstellt.

Art. 46 Abs. 1 dritter Satz Die heutige Regelung, wonach im Falle der Nichtbewährung nur ausnahmsweise auf eine unbedingte Freiheitsstrafe erkannt werden darf, ist wegen des Wegfalls des Vorrangs der Geldstrafe aufzuheben.

Art. 51 zweiter Satz Die Änderung ist die Folge davon, dass die gemeinnützige Arbeit keine eigenständige Sanktion mehr bildet.

Art. 67 Abs. 1 Das geltende Recht erlaubt die Aussprechung eines Berufsverbots unter anderem bei der Verurteilung zu einer Geldstrafe von über 180 Tagessätzen. Weil nunmehr die Geldstrafe auf 180 Tagessätze begrenzt werden soll, ist die Bestimmung entsprechend anzupassen.

65

66

Darunter wird die Situation verstanden, dass eine strafbare Handlung in einem leichten Fall als Übertretung zu einer (unbedingten) Busse, mithin zu einer unmittelbar spürbaren Sanktion führt, im schwereren Fall jedoch als Vergehen mit einer bedingten Geldstrafe geahndet wird, also keine direkt spürbare Sanktionierung erfolgt. Die Verbindungsstrafe ermöglicht nun, die nicht unmittelbar spürbare bedingte Strafe mit einer unbedingten pekuniären Sanktion (in der Regel mit einer Busse) zu verbinden und damit die Wirkungen der schwereren Handlung jenen der leichteren Übertretung anzugleichen (vgl. dazu Botschaft vom 29. Juni 2005 zur Änderung des Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezember 2002 und des Militärstrafgesetzes in der Fassung vom 21. März 2003, BBl 2005 4689 4699 f.).

Z.B. Art. 116 Abs. 3, 117 Abs. 1 und 2, 118 Abs. 3 des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 2005, SR 142.20, oder Art. 19 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes vom 5. Oktober 1951, SR 812.121.

4745

Art. 67c (neu) Das vor 2007 geltende Recht hatte die Landesverweisung als «Nebenstrafe» qualifiziert, mithin als Sanktion, die nur in Verbindung mit einer andern Strafe ausgesprochen werden konnte. Die Lehre erachtete diese Einordnung als unzutreffend, weil der Landesverweisung Massnahmencharakter zukomme67. Deshalb ist nunmehr vorgesehen, die an die Begehung einer Straftat anknüpfende Landesverweisung aus den vorne (Ziff. 1.4.3) dargelegten Gründen als «andere Massnahme» wieder in das Strafgesetzbuch einzuführen. Allerdings deckt die Landesverweisung nicht alle Sachverhalte ab, die nach Ausländerrecht zu einem Widerruf der Bewilligung oder zu einem Einreiseverbot führt. Deshalb sind die ausländerrechtlichen Fernhalte- und Entfernungsmassnahmen mit gewissen Modifikationen beizubehalten.68 Absatz 1 übernimmt in der Sache den in Artikel 62 Buchstabe b des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 2005 (AuG)69 enthaltenen Grund für den Widerruf von Bewilligungen und anderen Verfügungen. Anders als dort wird nicht auf das Kriterium der Verurteilung «zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe» abgestellt, sondern auf jenes der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr. Damit trägt die Bestimmung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Artikel 62 Buchstabe b AuG Rechnung, die den Begriff der längerfristigen Freiheitsstrafe in diesem Sinne auslegt70.

Absatz 2 stellt sicher, dass die Landesverweisung nicht durch den Vollzug einer Strafe oder Massnahme ganz oder teilweise getilgt wird, sondern ihre Wirkung erst nach der Entlassung zu entfalten beginnt.

Absatz 3 regelt die Folgen erneuter Delinquenz einer mit einer Landesverweisung belegten Person. In diesem Fall kann eine Landesverweisung auf Lebenszeit ausgesprochen und damit die zunächst befristete Landesverweisung überholt werden. Dies ist möglich, wenn die neue Tat begangen wird, bevor die Landesverweisung wirksam werden konnte oder während ihrer Wirksamkeit. In beiden Fällen muss sodann die Verurteilung wegen der neuen Tat die Kriterien von Absatz 1 erfüllen, mithin zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder zu einer Massnahme nach Artikel 61 oder 64 führen. Die lebenslange Landesverweisung wird mit dem zweiten Strafurteil ausgesprochen, womit klar ist, dass nur der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterstehende neue Straftaten
zu einer lebenslangen Landesverweisung führen können, nicht aber Urteile im Ausland.

Art. 77b Abs. 1 dritter Satz und 2 (neu) Die Änderung in Absatz 1 ist ausschliesslich redaktioneller Art, indem gleich wie in den andern beiden Sätzen auch im dritten Satz statt wie bisher der Begriff des «Verurteilten» jener des «Gefangenen» verwendet wird.

Absatz 2 bildet die Grundlage für einen Vollzug von (Rest-)Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten in Form der Halbgefangenschaft. Anders als im geltenden Recht stehen neben der Verbüssung in Form der Halbgefangenschaft mit der gemeinnützigen Arbeit und der elektronischen Überwachung weitere Formen für 67 68 69 70

Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht. Allgemeiner Teil II: Strafen und Massnahmen, Bern 1989, §1 N 29 m.w.H.

Dazu hinten Ziff. 2.3.

SR 142.20 BGE 135 II 377

4746

den Vollzug kurzer Freiheitsstrafen zur Verfügung. Der Vollzug in Form der Halbgefangenschaft ist dennoch wie im geltenden Recht als Regelfall vorgesehen, um klarzustellen, dass diese Form des Vollzugs zur Anwendung gelangt, wenn kein Vollzug in einer der Alternativformen erfolgt. Der zweite Satz von Absatz 2 übernimmt ­ mit Ausnahme des nicht mehr vorgesehenen tageweisen Vollzugs ­ Absatz 3 von Artikel 79 des geltenden Rechts.

Art. 79 Der Vorentwurf sah die Weiterführung der bereits im geltenden Recht bestehenden Möglichkeit des tageweisen Vollzugs kurzer Freiheitsstrafen vor, nahm an Artikel 79 aber bloss redaktionelle Änderungen vor. Nachdem zehn Vernehmlassungsteilnehmer den Verzicht auf den tageweisen Vollzug verlangt hatten71, beschloss der Bundesrat im Rahmen der Kenntnisnahme von den Vernehmlassungsergebnissen und dem Entscheid über das weitere Vorgehen am 12. Oktober 2011, auf den tageweisen Vollzug zu verzichten. Deshalb ist Artikel 79 aufzuheben. Die in Absatz 3 auch für die Halbgefangenschaft geltenden Regeln werden in Artikel 77b überführt.

Art. 79a (neu) Gemeinnützige Arbeit soll nicht mehr wie im geltenden Recht eine eigenständige Sanktion, sondern neu eine Vollzugsform bilden. Deren Voraussetzungen entsprechen weitgehend jenen der heutigen gemeinnützigen Arbeit als Sanktion: Gemeinnützige Arbeit ist möglich zum Vollzug von Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder Geldstrafen72 bis zu 180 Tagessätzen, was einem Einsatz von höchstens 720 Stunden entspricht.73 Gleich wie die Halbgefangenschaft soll die gemeinnützige Arbeit auch für Reststrafen von nicht mehr als sechs Monaten möglich sein. Auch für den Vollzug von Bussen aus Übertretungen ist die gemeinnützige Arbeit möglich. Ausgeschlossen ist sie dagegen für den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen wegen nicht bezahlter Geldstrafen oder Bussen. Verurteilte Personen, welche sich nicht frühzeitig um die Leistung in Form gemeinnütziger Arbeit kümmern, sondern sich um die Bezahlung von Geldstrafen oder Bussen foutieren, sollen nicht im letzten Moment um die «Wohltat» der gemeinnützigen Arbeit ersuchen können.

Absatz 2 entspricht dem geltenden Artikel 37 Absatz 2; Absatz 3 jenem von Artikel 39 Absatz 2; und Absatz 4 jenem von Artikel 38.

Absatz 5 schliesslich übernimmt in der Sache Artikel 39 Absatz 1. Dabei versteht sich von selbst, dass die nach Abbruch der gemeinnützigen Arbeit nunmehr zu vollziehende Geld- oder Freiheitsstrafe nicht wiederum in Form der gemeinnützigen 71 72

73

Vernehmlassungsbericht, S. 33 f.

Der Vorentwurf sah noch eine Beschränkung der gemeinnützigen Arbeit auf den Vollzug von Freiheitsstrafen vor. In der Vernehmlassung wurde dagegen gefordert, auch eine Geldstrafe solle in Form von gemeinnütziger Arbeit vollzogen werden können (wie nach geltendem Recht die gemeinnützige Arbeit auch anstelle einer Geldstrafe ausgesprochen werden könne).

Einzelne Vernehmlassungsteilnehmer verlangten eine Reduktion der maximalen Einsatzzeit wegen der Schwierigkeit, geeignete Arbeitseinsätze zu finden, und weil es bei langer Dauer zu zahlreichen Abbrüchen komme. Andere Vernehmlassungsteilnehmer dagegen bringen vor, der Anteil von Abbrüchen eines Einsatzes sei bei langen Einsätzen prozentual am tiefsten (Vernehmlassungsbericht, S. 26). Aufgrund dieser entgegengesetzten Beurteilungen und Einschätzungen sowie angesichts der relativ kurzen Zeit, seit der die gemeinnützige Arbeit besteht, soll an den geltenden Höchstgrenzen festgehalten werden.

4747

Arbeit vollzogen werden soll. Die Vollzugsbehörde würde ein entsprechendes erneutes Gesuch unter Hinweis auf den Misserfolg und das ihr nach Absatz 1 zukommende Ermessen («... kann vollzogen werden ...») ablehnen.

Art. 79b (neu) Die vorgeschlagene Regelung entspricht im Wesentlichen den in sieben Kantonen laufenden Versuchen für den mittels elektronischer Fussfessel überwachten Vollzug ausserhalb einer Vollzugsanstalt (electronic Monitoring)74. Electronic Monitoring kann zu zwei Zwecken eingesetzt werden: Nach Absatz 1 Buchstabe a für den Vollzug von Freiheitsstrafen von 20 Tagen bis zu 12 Monaten75. Gleich wie bei der Halbgefangenschaft für Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr nach Artikel 77b Absatz 1 ­ aber anders als bei der Halbgefangenschaft für kurze Strafen (Art. 77b Abs. 2) und bei der gemeinnützigen Arbeit (Art. 79a Abs. 1) ­ ist das ausgesprochene Strafmass massgebend und nicht die nach Abzug ausgestandener Untersuchungs- oder Sicherheitshaft noch zu verbüssende Reststrafe. Andernfalls stünde der Vollzug mittels elektronischer Überwachung sogar für schwere Delikte offen, sofern nur die zu verbüssende Reststrafe nicht mehr als ein Jahr betragen würde. Überdies kommt der Vollzug mit elektronischer Überwachung nur in Frage für Freiheitsstrafen, die als solche ausgesprochen wurden, nicht aber für Ersatzfreiheitsstrafen bei Nichtleistung einer Geldstrafe. Die Ersatzfreiheitsstrafe dient unter anderem dazu, gegenüber der verurteilten Person einen gewissen Druck aufzubauen, damit sie die ihr auferlegte Geldstrafe tatsächlich leistet. Könnte die Ersatzfreiheitsstrafe in Form der elektronischen Überwachung vollzogen werden, so würde der Ersatzfreiheitsstrafe der notwendige Nachdruck fehlen. Zudem sieht Artikel 36 Absatz 3 für eine verurteilte Person, die unverschuldet nicht in der Lage ist, eine Geldstrafe zu zahlen, noch genügend Umwandlungsmöglichkeiten vor.

Absatz 1 Buchstabe b führt bei langen Freiheitsstrafen neben dem Arbeitsexternat und dem Wohn- und Arbeitsexternat eine zusätzliche Vollzugsstufe ein. Dies ermöglicht es, dass ein Gefangener nach Verbüssung der Hälfte seiner Freiheitsstrafe (vgl.

Art. 77a Abs. 1), statt ins Arbeitsexternat zu wechseln auch seine Ruhe- und Freizeit ausserhalb der Anstalt verbringt, aber mittels electronic Monitoring überwacht und kontrolliert
wird. Möglich ist auch, dass der Gefangene anstelle eines Wohn- und Arbeitsexternates, bei dem er die Ruhe- und Freizeit zwar ausserhalb der Anstalt, aber unter Umständen in einer besonderen Wohneinrichtung verbringt, ein mittels elektronischer Überwachung kontrolliertes Wohn- und Arbeitsexternat in seiner eigenen Wohnung absolviert.

Die zeitliche Obergrenze für diese Form der elektronischen Überwachung von zwölf Monaten entspricht den heute laufenden Versuchen und den aufgrund der Evaluation abgegebenen Empfehlungen. Als Mindestgrenze werden dagegen drei Monate 74 75

Dazu und allgemein zur elektronischen Überwachung vorne Ziff. 1.4.4.

Der Vorentwurf schlug die Möglichkeit der elektronischen Überwachung vor für Freiheitsstrafen von einem bis sechs Monate. Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmer verlangten eine Höchstdauer von einem Jahr und weitere die Mindestdauer von 20 Tagen (vgl. Vernehmlassungsbericht, S. 35), weshalb hinsichtlich der Dauer eine den laufenden Versuchen entsprechende Regelung vorgeschlagen wird. Dabei ist auch zu bedenken, dass bei einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten wegen der Möglichkeit der bedingten Entlassung nach zwei Dritteln häufig «nur» acht Monate effektiv vollzogen werden.

4748

vorgeschlagen, statt wie in den Versuchen ein Monat. Dies aufgrund der Ergebnisse der Evaluation und der im Bericht zu findenden Empfehlung76. Eine Mindestdauer von bloss einem Monat erweist sich oft als zu kurz, um eine selbstständige Tagesplanung und eine Wiedereinfügung in die Arbeits- und Familienwelt nachhaltig einzuüben.

Aus dem Präsens im Wortlaut von Buchstabe c von Absatz 2 («zustimmen») ergibt sich, dass ein dauerndes Einverständnis der mit dem Verurteilten in derselben Wohnung lebenden erwachsenen Personen erforderlich ist. Die Zustimmung kann mithin widerrufen werden, was zur Beendigung des Vollzugs in Form der elektronischen Überwachung führt.

Absatz 3 erscheint auf den ersten Blick entbehrlich, weil sich der Abbruch im Falle des Wegfalls der Voraussetzungen oder der Missachtung von Pflichten von selbst versteht. Die Bestimmung sieht indes nicht bloss den Abbruch der elektronischen Überwachung vor, sondern auch die Möglichkeit, auf Pflichtverletzungen mit einer Einschränkung der der verurteilten Person zustehenden freien Zeit zu reagieren.

Absatz 3 bezweckt, diese Möglichkeit ausdrücklich zu erwähnen.

Art. 90 Abs. 4bis Die vorne (Ziff. 1.4.4) dargestellte Unsicherheit und Ungleichheit in der Rechtsanwendung soll durch eine Ergänzung von Artikel 90 Absatz 4bis behoben werden.

Denn der Gesetzgeber wollte mit Artikel 90 Absatz 4bis zwar die Kompetenz der Kommission auch im Bereich des Massnahmenrechts ausbauen, die gleichzeitige Herabsetzung der bestehenden Sicherheitsschranken im Massnahmenrecht gemäss Artikel 62d Absatz 2 war indessen kaum beabsichtigt. Der neue Absatz 4bis präzisiert daher, dass die sinngemässe Anwendung von Artikel 75a für die bedingte Entlassung im Massnahmenvollzug gemäss den Artikeln 62d und 64b nicht gilt. Im Massnahmenvollzug soll die zuständige Behörde Entscheide über die bedingte Entlassung sowie die Aufhebung der Massnahme somit stets auf ein Gutachten einer unabhängigen sachverständigen Person abstützen und eine Kommission anhören müssen. Bei den vorangehenden Entscheiden über Vollzugsöffnungen soll indessen entsprechend Artikel 75a in Verbindung mit Artikel 90 Absatz 4bis die Kommission nur anzuhören sein, wenn die zuständige Behörde die Frage der Gemeingefährlichkeit des Täters nicht eindeutig beantworten kann.

Art. 107 Die Möglichkeit des Vollzugs
von Bussen in Form der gemeinnützigen Arbeit ist im neuen Artikel 79 geregelt. Deshalb und weil gemeinnützige Arbeit keine eigenständige Sanktion mehr darstellt, ist Artikel 107 aufzuheben.

Art. 172bis Diese Bestimmung wurde im Zuge der Revision des Vermögensstrafrechts 1994 geschaffen, um neben einer Freiheitsstrafe auch eine Geldstrafe aussprechen zu können. Die Norm wurde mit der Absicht geschaffen, einem Täter zwar den bedingten Vollzug der Freiheitsstrafe zu gewähren, ihm aber durch eine unbedingte peku-

76

Evaluationsschlussbericht vom 30. Juni 2003, S. 95.

4749

niäre Strafe einen spürbaren Denkzettel zu verabreichen77. Die Bestimmung verfolgt somit das gleiche Ziel wie Artikel 42 Absatz 4 und hat deshalb mit dessen Schaffung «praktisch jede Bedeutung verloren»78. Sie schränkt die Verbindung von Freiheitsstrafe und Geldstrafe bei Vermögensdelikten ohne sachlichen Grund79 sogar ein, indem eine zusätzliche Geldstrafe nur dann möglich ist, wenn der Tatbestand ausschliesslich Freiheitsstrafe, nicht aber wenn er Freiheitsstrafe oder Geldstrafe androht. Bereits bei der Schaffung der Bestimmung führte der Bundesrat aus, die Norm würde eigentlich in den AT-StGB gehören, verzichtete aber unter Verweis auf die damals laufenden Arbeiten zur Revision des AT-StGB auf die Schaffung einer allgemein gültigen Regelung unter den Allgemeinen Bestimmungen80. Allerdings verfolgte diese Revision des AT-StGB das Anliegen nicht weiter, ohne dass die Botschaft hierfür einen Grund nannte oder die Thematik auch nur erwähnte.

Die jetzige Revision bietet Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen und Artikel 172bis aufzuheben.

Schlussbestimmung Die Frage nach dem anwendbaren Recht in Fällen, in denen eine Straftat vor Inkrafttreten der hier vorgeschlagenen Änderungen begangen wurde, beantwortet sich grundsätzlich nach Artikel 2 Absatz 2. Besonderer Regelung bedarf jedoch die Konstellation, dass ein Täter nach geltendem Recht zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen verurteilt worden ist, unter neuem Recht erneut delinquiert und zu einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren verurteilt wird. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob dem Täter trotz seiner früheren Verurteilung der bedingte Vollzug gewährt werden kann. Das neue Recht regelt dies in Artikel 42 Absatz 2, knüpft dort aber nur an eine frühere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten an. Nicht geregelt ist dagegen der Fall, in welchem der Täter früher zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen verurteilt wurde, weil das Höchstmass der Geldstrafe nach neuem Recht 180 Tagessätze beträgt (vgl. Art. 28 Abs. 1).

Deshalb ist diese Konstellation übergangsrechtlich besonders zu regeln, und es ist festzulegen, dass eine frühere Verurteilung zu mehr als 180 Tagessätzen Geldstrafe nur bei Vorliegen besonders günstiger Umstände zur Gewährung des bedingten Vollzugs für eine neue Tat führen darf.
Anpassung der Strafdrohungen (Ziff. II.1 im Entwurf) Zahlreiche Bestimmungen des geltenden Rechts legen als Strafdrohung «Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen» fest. Andrere drohen «Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen» an. Weil nunmehr vorgeschlagen wird, die Geldstrafe generell auf 180 Tages77

78 79 80

Botschaft vom 24. April 1991 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (strafbare Handlungen gegen das Vermögen und Urkundefälschung), BBl 1991 II 969 ff., 1075. Allerdings geht der Wortlaut von Art. 172bis über diesen Zweck hinaus, denn er lässt die Verbindung mit einer Geldstrafe sowohl bei einer bedingten wie auch einer unbedingten Freiheitsstrafe zu.

Günter Stratenwerth / Guido Jenny / Felix Bommer, Schweizerisches Strafrecht. Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, 7. A., Bern 2010, § 25 N 2.

Günter Stratenwerth / Guido Jenny / Felix Bommer, Schweizerisches Strafrecht. Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, 7. A., Bern 2010, S. 550 Fn. 3.

Botschaft vom 24. April 1991 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (strafbare Handlungen gegen das Vermögen und Urkundefälschung), BBl 1991 II 969 ff., 1076.

4750

sätze zu beschränken, sind die Strafdrohungen der genannten Art anzupassen: Soweit die Strafdrohung mit «Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen» bestimmt wird, ist sie zu ersetzen durch jene mit «Geldstrafe»; soweit als Strafe «Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen» angedroht wird, ist neu eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten anzudrohen.

2.2

Militärstrafgesetz

Die für das Militärstrafgesetz vorgeschlagenen Änderungen entsprechen in der Sache jenen für das Strafgesetzbuch. Wie bei den vorangegangenen Revisionen des AT-StGB wird Parallelität zwischen bürgerlichem und militärischem Strafgesetzbuch hergestellt.

Für die allgemeinen Bestimmungen, die Schlussbestimmung sowie die Anpassung der Strafdrohungen kann auf die Ausführungen zu den entsprechenden Bestimmungen im Strafgesetzbuch verwiesen werden.

Art. 81 Abs. 1bis Die Änderung stellt sicher, dass Strafen, die unter gleichzeitigem Ausschluss aus der Armee erfolgen, wie bis anhin nicht durch gemeinnützige Arbeit abgegolten werden können. Weil die gemeinnützige Arbeit indes keine eigenständige Strafe mehr darstellt, muss nunmehr der Vollzug in dieser Form ausgeschlossen werden.

Art. 144a Diese Norm bildet die Parallelbestimmung von Artikel 172bis StGB und erfasst ­ anders als diese ­ neben Vermögensdelikten auch Bestechungsdelikte. Sie kann aus den zur Aufhebung von Artikel 172bis StGB dargelegten Überlegungen aufgehoben werden.

2.3

Änderungen bisherigen Rechts (Ziff. III bzw. Anhang des Entwurfs)

1. Ausländergesetz vom 16. Dezember 200581 Die Änderungen im Ausländergesetz stellen die Verknüpfung zwischen der strafrechtlicher Landesverweisung und den ausländerrechtlichen Instrumenten sicher.

Dabei hängen die ausländerrechtlichen Auswirkungen einer strafrechtlichen Landesverweisung vom ausländerrechtlichen Status der betroffenen Person ab: Verfügt diese über ein Aufenthalts- oder Niederlassungsrecht in der Schweiz, so wirkt sich die Landesverweisung zum einen auf dessen Fortdauer aus, zum andern stellt sie ein Einreiseverbot dar. Verfügt die betroffene Person dagegen über kein Aufenthaltsoder Niederlassungsrecht, so führt die Landesverweisung zu einem Verbot der Einreise in die Schweiz.

81

SR 142.20

4751

Art. 5 Abs. 1 Bst. d Mit der Ergänzung wird eine ausgesprochene strafrechtliche Landesverweisung als negative Voraussetzung für eine Einreise ausdrücklich gesetzlich festgehalten.

Überdies erfüllt die Missachtung einer Landesverweisung den Straftatbestand des Verweisungsbruchs (Art. 291 StGB).

Art. 61 Abs. 1 Bst. e (neu) und Art. 63 Abs. 1 Bst. a und d (neu) Die Änderungen dieser Bestimmungen legen die Auswirkungen der Verhängung einer Landesverweisung auf bestehende ausländerrechtliche Bewilligungen fest.

Dabei erfolgt der Entzug einer bestehenden Bewilligung nicht bereits mit der Rechtskraft der Landesverweisung, sondern auf den Zeitpunkt ihres Vollzugs. Denn das Abstellen auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Anordnung würde zu praktischen Problemen führen, indem etwa die Landesverweisung auf diesen Zeitpunkt in den verschiedenen Datenbearbeitungssystemen einzutragen wäre, obschon sie ihre tatsächliche Wirksamkeit noch gar nicht entfaltet.

Art. 62 Bst. b Wenn die Landesverweisung wegen strafbarer Handlungen wieder in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird, bedarf es der Möglichkeit des Widerrufs von Bewilligungen aufgrund einer Verurteilung nicht mehr. Andernfalls würde der Dualismus zwischen der Landesverweisung und der ausländerrechtlichen Wegweisung, wie er bis 2007 gegolten hatte, wieder aufleben. Die frühere Regelung hatte den Nachteil, dass über das ausländerrechtliche Schicksal einer verurteilten Person unter Umständen lange Zeit Ungewissheit bestand. Dies zu verhindern, ist das Hauptziel der Wiedereinführung der strafrechtlichen Landesverweisung. Zudem erschiene es rechtsdogmatisch unrichtig, zwei verschiedene Behörden nach den gleichen Kriterien darüber entscheiden zu lassen, ob jemand wegen einer Straftat des Landes zu verweisen sei. Ob wegen strafbarer Handlungen eine Landesverweisung auszusprechen ist, entscheidet deshalb allein das Strafgericht; falls es die Landesverweisung ausspricht, müssen die ausländerrechtlichen Bewilligungen widerrufen werden. Die Änderungen der Artikel 61 und 63 stellen dies sicher. Bei seinem Entscheid über eine Landesverweisung hat das Strafgericht eine umfassende Prüfung vorzunehmen und dabei insbesondere auch das öffentliche Interesse an der Wegweisung und Fernhaltung einer verurteilten ausländischen Person hinreichend zu berücksichtigen.

Die Aufhebung
von Artikel 62 Buchstabe b schliesst freilich nicht aus, dass die Ausländerbehörden eine verurteilte Person sogar unter Berufung auf die Verurteilung wegweisen, wenn einer der Wegweisungsgründe nach Artikel 62 AuG gegeben ist.

4752

2. Strafprozessordnung82 Art. 352 Bis zum Inkrafttreten des revidierten AT-StGB am 1. Januar 2007 konnten in den meisten Kantonen Freiheitsstrafen von höchstens drei Monaten (oder sogar nur einem Monat83) im Strafbefehlsverfahren ausgesprochen werden. Nur in wenigen Kantonen lag die Höchstgrenze bei sechs Monaten84. Das Strafbefehlsverfahren fand somit im Wesentlichen für die Beurteilung der Bagatelldelinquenz Anwendung. Das änderte sich mit dem Inkrafttreten des neuen Sanktionensystems auf den 1. Januar 2007: Verschiedene Kantone erhöhten die Grenze auf sechs Monate, wohl vor dem Hintergrund, dass solche Freiheitsstrafen nach dem neuen Recht nur noch in Ausnahmefällen ausgesprochen werden können (vgl. die Art. 40 und 41 StGB) und stattdessen vor allem Geldstrafen verhängt werden.

Die am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Strafprozessordnung legte die Höchstgrenze für ein Strafbefehlsverfahren schweizweit auf sechs Monate Freiheitsstrafe fest, dies aber ebenfalls aufgrund der Überlegung, dass kurze Freiheitsstrafen nur ausnahmsweise verhängt werden dürfen.

Die nunmehr vorgeschlagene erneute Revision des Sanktionensystems verändert die Ausgangslage, indem der Vorrang der Geldstrafe abgeschafft wird und Freiheitsstrafen wiederum ab drei Tagen (bedingt und unbedingt) ausgesprochen werden können.

Dass nunmehr im Bereich der kurzen Strafen durchaus einschneidende Strafen verhängt werden können, macht Anpassungen beim Strafbefehlsverfahren erforderlich. Andernfalls erheben sich rechtsstaatliche Bedenken, wenn beschuldigte Personen in einem unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführten Verfahren, in der Regel ohne dass sie angehört werden, durch eine nichtrichterliche Behörde zu unbedingten Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten verurteilt werden können.

Dabei sind verschiedene Möglichkeiten denkbar: (1) Das Strafbefehlsverfahren wird bezüglich der Ausfällung von Freiheitsstrafen auf solche von höchstens drei Monaten beschränkt, ungeachtet ob die Strafe bedingt oder unbedingt zu vollziehen ist. Damit würde der Zustand wiederhergestellt, wie er in zahlreichen Kantonen vor der letzten Revision des Sanktionenrechts gegolten hat. Allerdings hätte diese Regelung markante Auswirkungen auf die Kantone, weil alle Straffälle, in denen eine (bedingte oder unbedingte) Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten
Dauer ausgesprochen werden soll, im ordentlichen Verfahren vor einem Gericht durchgeführt werden müssten. (2) Das Strafbefehlsverfahren wird insoweit ausgeschlossen, als eine unbedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen werden soll. Das hätte den Vorteil, dass nur für die einschneidendste Sanktion ein ordentliches Verfahren verlangt würde, ginge allerdings weiter als die früher geltenden Regelungen, die das Strafbefehlsverfahren für alle Freiheitsstrafen unter drei Monaten zugelassen hatten. (3) Das Strafbefehlsverfahren ist im Bereich der kurzen Freiheitsstrafen möglich für alle bedingten, für unbedingte aber nur bis zu drei Monaten. Das würde der jeweiligen Vollzugsform und damit der unmittelbaren Spürbarkeit der Sanktion für die verurteilte Person in differenzierter Weise Rechnung tragen, hätte aber einen Mehraufwand für die Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden zur Folge, weil wieder mehr 82 83 84

SR 312.0 Z.B. Bern.

So in den Kantonen Schwyz, Schaffhausen, Genf und Wallis.

4753

Fälle im ordentlichen Verfahren zu erledigen wären. (4) Die geltende Grenze wird beibehalten, jedoch muss die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person zwingend einvernehmen, wenn eine unbedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen werden soll.

Diese Regelung entspricht dem Vorschlag des Bundesrates im Entwurf zur Strafprozessordnung85. Sie führt zwar zu einer moderaten Mehrbelastung der Strafverfolgungsbehörden, vermag aber die grundsätzlichen rechtsstaatlichen Bedenken gegen das Strafbefehlsverfahren für einschneidende Sanktionen (keine öffentliche Verhandlung, Beurteilung durch nichtrichterliche Behörde) nicht auszuräumen.

Der Bundesrat schlägt deshalb eine Modifikation im Sinne der dritten Variante vor.

Dies nicht zuletzt angesichts der zunehmenden Kritik der Lehre am (zu) weiten Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens86. Dies bedingt Änderungen bei Absatz 1 Buchstabe d und Absatz 3 erster Satz. Weil Artikel 42 Absatz 4 nur noch die Verbindung mit Geldstrafe, nicht mehr aber mit Busse vorsieht, ist der zweite Satz von Absatz 3 aufzuheben.

Die Aufhebung von Absatz 1 Buchstabe c ist die Folge des Wegfalls der gemeinnützigen Arbeit als eigenständiger Sanktion.

3. Jugendstrafgesetz vom 20. Juni 200387 Art. 19 Abs. 2 Die Erhöhung der Altersobergrenze von 22 auf 25 Jahre für die Beendigung von Massnahmen im Jugendstrafgesetz ermöglicht es, dass Jugendliche während einer Massnahme eine Berufslehre abschliessen können. Die Praxis hat gezeigt, dass dies mit der bisherigen Grenze von 22 Jahren oftmals nicht möglich ist. Dies kann dazu führen, dass Jugendliche aus dem Massnahmenvollzug entlassen werden müssen, obschon ihnen die Grundlagen nicht vollständig haben vermittelt werden können, derer sie für ein geordnetes Leben bedürfen.

Art. 48a (neu) Die Übergangsbestimmung (Art. 48a JStG) führt zu einer Erhöhung der Altersobergrenze für Jugendliche, die sich beim Inkrafttreten der Änderung in einer Massnahme befinden. Diese Übergangsbestimmung ist zulässig, weil sie nicht zu einer rückwirkenden Erhöhung einer Strafe führt, sondern die Möglichkeit verbessert, massnahmebedürftige Jugendliche zu betreuen.

85 86

87

Art. 356 E-StPO in: Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff., 1499.

Franz Riklin, in: Marcel A. Niggli / Marianne Heer / Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung Jugendstrafprozessordnung, Basel 2010, N 4 f. vor Art. 352­356; Marc Thommen, Unerhörte Strafbefehle, in: ZStrR 128 (2010) 373 ff., Christian Schwarzenegger, in: Andreas Donatsch / Thomas Hansjakob / Viktor Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), Zürich 2010, N 5 zu Art. 352; Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung Praxiskommentar, Zürich / St. Gallen 2009, N 2 vor Art. 352­357; Mark Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, Basel 2009, S. 191. Abwägend: Christof Riedo / Gerhard Fiolka / Marcel Alexander Niggli, Strafprozessrecht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2011, § 56 N 2547 ff.

SR 311.1

4754

4. Militärstrafprozess vom 23. März 197988 Art. 119 Abs. 1 Bst. a Ziff. 3 und Art. 212 Abs. 1 erster Satz Die Änderungen sind die Folgen davon, dass die gemeinnützige Arbeit keine eigenständige Sanktion mehr, sondern ausschliesslich eine Vollzugsform bildet.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Für den Bund ergeben sich aus den vorgeschlagenen Änderungen keine unmittelbaren finanziellen oder personellen Auswirkungen. Nicht auszuschliessen sind mittelbare finanzielle Auswirkungen, indem der Bund womöglich zusätzliche Baubeiträge an die Kantone wird leisten müssen, sollten die Kantone aufgrund der vorgeschlagenen Änderungen zusätzliche Haftplätze erstellen müssen.

3.2

Auswirkungen auf die Kantone

Die unmittelbaren finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone lassen sich nur sehr schwer abschätzen.

In finanzieller Hinsicht positiv dürfte sich auswirken, dass nur noch unbedingte, aber nicht mehr bedingte Geldstrafen ausgesprochen werden können, was zu grösseren Einnahmen führen dürfte.

Auf der andern Seite dürften sich finanzielle Mehrbelastungen ergeben, weil auch kurze Freiheitsstrafen wieder möglich und zu vollziehen sind. Auch der Vollzug in Form der elektronischen Überwachung, den alle Kantone ermöglichen müssen, wird zu Mehrkosten führen. Allerdings erscheint es nicht erforderlich, dass jeder Kanton ein eigenes System des electronic Monitoring aufbaut: Die Kantone, welche die elektronische Überwachung im Rahmen der Modellversuche betreiben, beziehen sowohl die Ausrüstung als auch die für den Betrieb erforderlichen Leistungen von privaten Anbietern und vermeiden so hohe Investitionskosten und Fixkosten für den Betrieb. Vielmehr fallen die Kosten nur dann und insoweit an, als die elektronische Überwachung tatsächlich eingesetzt wird. Denkbar ist zudem, dass die Kantone den Einsatz der elektronischen Überwachung im Rahmen der bestehenden Strafvollzugskonkordate organisieren.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 25. Januar 201289 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt.

88 89

SR 322.1 BBl 2012 560 613

4755

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 123 BV ist der Bund zur Gesetzgebung im Bereich des Strafrechts befugt.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die vorgeschlagenen Änderungen sind mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Insbesondere steht die Regelung nicht im Widerspruch zum Abkommen vom 21. Juni 199990 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA). Dieses Abkommen schliesst die Aussprechung von Massnahmen nicht aus, welche die Freizügigkeit einschränken. Für die Aussprechung einer Landesverweisung ist dabei eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorausgesetzt. Erforderlich ist sodann, dass die Behörde, die eine die Freizügigkeit einschränkende Massnahme aussprechen kann, diese Kriterien im Einzelfall prüft. Dies trifft auf ein Strafgericht ohne Weiteres zu.

90

SR 0.142.112.681

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