Gewalt in Paarbeziehungen Zwischenbericht des Bundesrates zum Stand der Umsetzung der in seinem Bericht vom 13. Mai 2009 angekündigten Massnahmen, zuhanden der Rechtskommission des Nationalrates (RK-NR) vom 22. Februar 2012

2012-0051

2419

Tabellarischer Überblick: Angekündigte Massnahmen und Stand der Umsetzung Massnahmen

A

B C D E

F G H

I J K L

M

Federführung

Stand Umsetzung

Bereich Angebot von Fachwissen und Kontakten zu Expertinnen und Experten EBG/EDI Umgesetzt, Den einzelnen Ämtern und Stellen innerhalb der ständige Aufgabe Bundesverwaltung Fachwissen und Kontakte zu Expertinnen und Experten zur Verfügung stellen für die Umsetzung der geplanten Massnahmen Bereich Überprüfung gesetzlicher Grundlagen und konsequenter Vollzug Die Umsetzung von Art. 28b ZGB (inkl. Art. 55a BJ/EJPD Umsetzung StGB) evaluieren geplant ab 2013 Die Härtefallkriterien (Art. 31 VZAE) in Fällen BFM/EJPD Umgesetzt, häuslicher Gewalt (Art. 50 Abs. 1 Bst. B AuG) ständige Aufgabe konkretisieren BJ/EJPD Umsetzung Die Weiterleitung der Daten nach Art. 8 OHG und geplant für 2016 Art. 305 StPO im Rahmen der Evaluation des revidierten OHG und der neuen StPO prüfen BFS/EDI Sistiert Eine Untersuchung der Anwendung von Geldstrafen bei häuslicher Gewalt vorbereiten Bereich Vernetzung und Zusammenarbeit Die Vernetzungsaktivitäten im Bereich der kantonalen Interventionsstellen und der Arbeit mit Tätern und Täterinnen weiterführen Der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz OHG empfehlen, Vernetzungsaktivitäten zu prüfen und zu unterstützen Die Koordination auf Bundesebene durch die Einsetzung einer interdepartementalen Arbeitsgruppe verstärken Bereich Schutz der Betroffenen Im Rahmen der OHG-Evaluation prüfen, ob OHGAngebote den verschiedenen Opfergruppen gerecht werden Das Thema häusliche Gewalt verstärkt in die Ausund Weiterbildung von Fachpersonen im Migrationsbereich integrieren Häusliche Gewalt im Rahmen der Information der Ausländerinnen und Ausländer über ihre Rechte und Pflichten thematisieren Die Unterstützung von Aktivitäten zur Prävention von Kindsmisshandlung weiterführen Bereich Angebote für gewalttätige Personen Prüfen, ob im Rahmen der Empfehlungen an die Kantone auf Anti-Gewalt-Programme für gewalttätige Ausländerinnen und Ausländer hingewiesen werden kann

2420

EBG/EDI

Umgesetzt, ständige Aufgabe

BJ/EJPD

Teilweise umgesetzt

EBG/EDI

Umgesetzt, ständige Aufgabe

BJ/EJPD

Umsetzung geplant für 2016

BFM/EJPD Teilweise umgesetzt BFM/EJPD Teilweise umgesetzt, ständige Aufgabe BSV/EDI Teilweise umgesetzt

BFM/EJPD Sistiert

Massnahmen

N O

P

Q

R

S

T

Bereich Aus- und Weiterbildungsmassnahmen Weiterbildungsangebote für Richterinnen und Richter prüfen Die Ausbildungsbeiträge im Bereich Opferhilfe weiterführen

Federführung

Stand Umsetzung

BJ/EJPD, EBG/EDI BJ/EJPD

Umgesetzt, ständige Aufgabe Umgesetzt, ständige Aufgabe

Bereich Information, Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit Massnahmen zum Schutz von Angehörigen vor BAG/EDI alkoholbedingter Gewalt im Rahmen des Nationalen Programms Alkohol 2008­2012 entwickeln und umsetzen Analysen zu polizeilich registrierten Fällen basierend BFS/EDI auf der Polizeilichen Kriminalstatistik publizieren Gezielte Ansprache von Migrantinnen und Migranten prüfen Bereich Schliessung von Forschungslücken Eine Studie zu den volkswirtschaftlichen Kosten von Gewalt in Paarbeziehungen erstellen Eine Studie zu den Forschungslücken im Bereich häusliche Gewalt erstellen und Forschungsinstitute gezielt ansprechen, damit die Lücken geschlossen werden

Teilweise umgesetzt, ständige Aufgabe

Teilweise umgesetzt, vollständige Umsetzung geplant für 2012 BFM/EJPD Umsetzung geplant für 2014

EBG/EDI

EBG/EDI

Teilweise umgesetzt, vollständige Umsetzung geplant für 2012 Umgesetzt

2421

Zwischenbericht 1

Einleitung

Mit Postulat vom 7. Oktober 2005 (05.3694) verlangte Nationalrätin Doris Stump vom Bundesrat einen Bericht über die Ursachen von Gewalt im sozialen Nahraum und einen Aktionsplan zur Vermeidung solcher Gewalt. Der Nationalrat überwies den ersten Teil des Anliegens als Postulat und gab damit dem Bundesrat den Auftrag, einen entsprechenden Bericht zu erstellen. Am 13. Mai 20091 verabschiedete der Bundesrat den «Bericht über Gewalt in Paarbeziehungen. Ursachen und in der Schweiz getroffene Massnahmen». Der Bericht präsentierte die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie, welche das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) in Auftrag gegeben hatte. Der Bericht legte die Haltung des Bundesrats dar und listete die geplanten Massnahmen auf Bundesebene auf. Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates diskutierte den Bericht in ihrer Sitzung vom 28. Januar 2010. Die Kommission nahm Kenntnis vom Bericht und bat den Bundesrat, der Kommission innerhalb von zwei Jahren einen schriftlichen Zwischenbericht über den Stand der Umsetzung der im Bericht enthaltenen Massnahmen vorzulegen2.

Der vorliegende Bericht zieht in diesem Sinne eine Zwischenbilanz. Er befasst sich im Einzelnen mit den im Bericht des Bundesrates beschriebenen Massnahmen, listet entsprechende Aktivitäten und Resultate auf und bietet einen kurzen Ausblick auf die Zukunft.

2

Stand der Umsetzung in den einzelnen Bereichen

2.1

Bereich Angebot von Fachwissen und Kontakten zu Expertinnen und Experten

Massnahme A: Den einzelnen Ämtern und Stellen innerhalb der Bundesverwaltung Fachwissen und Kontakte zu Expertinnen und Experten zur Verfügung stellen für die Umsetzung der geplanten Massnahmen Federführung: Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Fachbereich Häusliche Gewalt (FHG) Seit 2003 verstärkt das EBG im Auftrag des Bundesrates die bisherigen Massnahmen zur Bekämpfung der Gewalt, insbesondere der Gewalt an Frauen. Der Fachbereich Häusliche Gewalt (FHG) konzentriert sich auf Gewalt in Paarbeziehungen und in Trennungssituationen und berücksichtigt gleichermassen Frauen und Männer als Opfer und Tatpersonen. Der Fachbereich hat sich als Kompetenz- und Koordinationsstelle des Bundes und als Informationsdrehscheibe zwischen staatlichen Stellen, privaten Institutionen und Expert/-innen wie auch zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden etabliert. Der FHG erforscht mittels Studien die Ursachen und Hintergründe häuslicher Gewalt, stellt Expert/-innen-Wissen sowie Arbeits- und Informationsmaterialien zur Verfügung und macht dies mittels einer Reihe von Informa1 2

BBl 2009 4087 Siehe Protokoll RK-N vom 28. Januar 2010

2422

tionsblättern und in Form der elektronischen Datenbank «Toolbox Häusliche Gewalt» (siehe Massnahme F) einem Kreis von Interessierten innerhalb und ausserhalb der Bundesverwaltung zugänglich.3 In dieser Funktion beobachtet der FHG auch die nationalen und internationalen Entwicklungen im Bereich der Prävention und Bekämpfung häuslicher Gewalt, erstellt Bestandesaufnahmen zur Situation in der Schweiz, gibt Fachgutachten in Auftrag und bereitet relevante Informationen für ein breiteres Publikum auf.

Der FHG stellt sein Fachwissen und seine Kontakte innerhalb der Bundesverwaltung zur Verfügung und unterstützt laufend involvierte Bundesstellen bei ihren Geschäften in Zusammenhang mit der Prävention und Bekämpfung häuslicher Gewalt. So arbeitete der FHG in diesem Jahr beispielweise in der Begleitgruppe des BSV zur Erarbeitung des Berichts Kindesschutz in Beantwortung des Postulats Fehr Jacqueline (07.3725) mit. Der FHG ist ständiges Mitglied der Kontaktgruppe Bund zum gesamtschweizerischen Präventionsprogramm Jugend und Gewalt des BSV und beteiligte sich an den Vorarbeiten zur Tagung «Alkohol und Gewalt», welche das BAG im Rahmen seiner regelmässigen Tagungen zu den «Kantonalen Aktionsplänen Alkohol KAP» durchführt. Der FHG trug weiter zum Expert/-innen-Hearing zur «Umsetzung von Artikel 50 AuG bei häuslicher Gewalt» bei und unterstützte das BFM bei den Vorarbeiten zu einer Fachveranstaltung für die kantonalen Migrationsämter im Herbst 2011.

Die Unterstützung von Bundesstellen durch den FHG im Rahmen der Umsetzung der vom Bundesrat verabschiedeten Massnahmen wird im Folgenden bei den betreffenden Massnahmen erwähnt.

2.2

Bereich Überprüfung gesetzlicher Grundlagen und konsequenter Vollzug

Massnahme B: Die Umsetzung von Art. 28b ZGB4 (inkl. Art. 55a StGB5) evaluieren Federführung: Bundesamt für Justiz (BJ) Die relevanten Änderungen der angesprochenen Gesetzesbestimmungen sind 2007 in Kraft getreten. Laut Artikel 28b ZGB kann heute eine betroffene Person zum Schutz gegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen dem Gericht beantragen, der verletzenden Person zu verbieten, sich ihr anzunähern, sich in einem bestimmten Umkreis ihrer Wohnung oder an bestimmten Orten aufzuhalten, mit ihr Kontakt aufzunehmen oder sie in anderer Weise zu belästigen. Auf Antrag kann die verletzende Person für eine bestimmte Zeit aus der gemeinsamen Wohnung ausgewiesen werden. Die Kantone bezeichnen eine Stelle, die im Krisenfall die sofortige Ausweisung der verletzenden Person aus der gemeinsamen Wohnung verfügen kann, und regeln das Verfahren.

3 4 5

www.gleichstellung-schweiz.ch > Häusliche Gewalt SR 210 SR 311.0

2423

Laut Artikel 55a StGB können die Staatsanwaltschaft und die Gerichte bei einfacher Körperverletzung, wiederholten Tätlichkeiten, Drohung und Nötigung auf Ersuchen des Opfers das Strafverfahren sistieren, wenn das Opfer mit der Tatperson verheiratet ist oder in einer Partnerschaft lebt.

Das BJ ist für die Evaluation der Umsetzung von Artikel 28b ZGB und Artikel 55a StGB zuständig. Eine Evaluation der Umsetzung neuer gesetzlicher Grundlagen scheint erst dann sinnvoll, wenn die Bestimmungen mindestens fünf Jahre in Kraft sind und entsprechende Erfahrungen zur Auswertung vorliegen. Die Evaluation ist deshalb ab 2013 geplant. Die Unterstützung und Mitwirkung der FHG in einer allfälligen Begleitgruppe wurde dem BJ zugesichert.

Massnahme C: Die Härtefallkriterien (Art. 31 VZAE6) in Fällen häuslicher Gewalt (Art. 50 Abs. 1 Bst. b AuG7) konkretisieren Federführung: Bundesamt für Migration (BFM) Gestützt auf Artikel 50 AuG besteht nach Auflösung der Ehe ein Anspruch des Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung weiter, wenn (a) die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und eine erfolgreiche Integration besteht oder wenn (b) wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen. Nach Absatz 2 können wichtige persönliche Gründe namentlich vorliegen, wenn die Ehegattin oder der Ehegatte Opfer ehelicher Gewalt wurde und die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint. Das Bundesgericht hielt in einem Entscheid vom November 20098 fest, dass es einer gewissen Intensität der häuslichen Gewalt bedarf, um die Notwendigkeit eines weiteren Aufenthalts in der Schweiz zu begründen. Aber es ist nicht erforderlich, dass zusätzlich die Wiedereingliederung des Opfers im Herkunftsland gefährdet ist. Diese bundesgerichtliche Rechtsprechung wurde in der neuen Weisung 6 «Familiennachzug» des Bundesamtes für Migration9 ausdrücklich verankert. Artikel 31 VZAE hält überdies fest, dass eine Aufenthaltsbewilligung in schwerwiegenden persönlichen Härtefällen erteilt werden kann, auch wenn die ordentlichen Zulassungsvoraussetzungen nicht gegeben sind, und listet in nicht abschliessender Weise mehrere Beurteilungskriterien auf. Der FHG des EBG unterstützt das BFM fachlich bei der Diskussion um die Definition der «Intensität ehelicher
Gewalt» sowie bei den Vorbereitungsarbeiten zu einer Fachveranstaltung für die kantonalen Migrationsämter zu häuslicher Gewalt und zu den revidierten Weisungen.

In seiner Stellungnahme auf das Postulat Goll (10.3459), das 2010 einen Bericht über die Praxis der Regelung des Aufenthaltsrechtes von gewaltbetroffenen Migrantinnen seit Inkrafttreten des AuG verlangte, hält der Bundesrat fest, dass auch die neue Weisung keine vollständige Harmonisierung der kantonalen Praxis schaffen kann. Die Erteilung oder Verlängerung entsprechender Aufenthaltsbewilligungen liegt im Zuständigkeitsbereich der einzelnen Kantone. In seiner Stellungnahme auf das Postulat Goll erklärte sich der Bundesrat jedoch bereit, innerhalb der nächsten drei Jahre (bis 2013) die Praxis der Regelung des Aufenthaltsrechts von gewaltbetroffenen Migrantinnen zu evaluieren. Diese Evaluation wird eine Grundlage bieten, 6 7 8 9

SR 142.201 SR 142.20 BGE 2C_460/2009 Ziff. 6.14.3, Fassung vom 30.09.2011

2424

um weitere gesetzgeberische oder praktische Massnahmen zu prüfen. Zudem sind Fachveranstaltungen geplant, um die zuständigen kantonalen Behörden für dieses Thema zu sensibilisieren.

Massnahme D: Die Weiterleitung der Daten nach Art. 8 OHG10 und Art. 305 StPO11 im Rahmen der Evaluation des revidierten OHG und der neuen StPO prüfen Federführung: Bundesamt für Justiz (BJ) Das revidierte OHG ist seit 1. Januar 2009 in Kraft. Artikel 8 OHG sieht vor, dass die Strafverfolgungsbehörden das Opfer über die Opferhilfe informieren und unter bestimmten Voraussetzungen Name und Adresse an eine Beratungsstelle weiterleiten. Gemäss Artikel 305 StPO informieren die Polizei und die Staatsanwaltschaft das Opfer bei der jeweils ersten Einvernahme umfassend über seine Rechte und Pflichten im Strafverfahren. Im Besonderen informieren sie das Opfer über Adressen und die Aufgaben der Opferberatungsstellen und melden Name und Adresse des Opfers einer Beratungsstelle, sofern dieses damit einverstanden ist.

Das Bundesamt für Justiz plant, das revidierte OHG im Jahr 2016 umfassend zu evaluieren. Im Rahmen dieser Evaluation wird auch die Zusammenarbeit zwischen Polizei bzw. Staatsanwaltschaft und Beratungsstellen, im Besonderen die Weiterleitung von Daten, geprüft.

Massnahme E: Eine Untersuchung der Anwendung von Geldstrafen bei häuslicher Gewalt vorbereiten Federführung: Bundesamt für Statistik (BFS) Das BFS ist heute in der Lage, die bestehenden Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) mit der Strafurteilsstatistik (SUS) abzugleichen. Seit 2010 ist es möglich, aus der PKS relevante Informationen zur Verzeigung von häuslicher Gewalt mit Informationen aus der SUS zu den verhängten Sanktionen in diesem Bereich zu vervollständigen. Damit ist es dem BFS grundsätzlich möglich, Analysen zu den verhängten Geldstrafen zu machen, auch wenn derzeit noch keine aussagekräftigen Datenmengen vorhanden sind. Im Oktober 2011 hat sich der Bundesrat entschieden, im Rahmen der Revision des Allgemeinen Teils des StGB die bedingten Geldstrafen abzuschaffen und die kurzen Freiheitsstrafen wieder einzuführen12.

Dadurch erübrigt sich eine Untersuchung der Anwendung von Geldstrafen bei häuslicher Gewalt, und die Massnahme wird sistiert.

10 11 12

SR 312.5 SR 312.0 Siehe Medienmitteilung des Bundesrates vom 12. Oktober 2011

2425

2.3

Bereich Vernetzung und Zusammenarbeit

Massnahme F: Die Vernetzungsaktivitäten im Bereich der kantonalen Interventionsstellen und der Arbeit mit Tätern und Täterinnen weiterführen Federführung: Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Fachbereich Häusliche Gewalt (FHG) Seit 2003 nimmt das EBG als ständiger Gast an der Konferenz der Deutschschweizer Interventionsstellen KIFS teil, und seit 2007 organisiert es jährlich ein nationales Treffen der Kantonalen Interventions- und Fachstellen gegen häusliche Gewalt. Das EBG unterstützte fachlich und finanziell auch die Gründung der Conférence latine contre la violence domestique CL, eines Zusammenschlusses der Kantonalen Interventions- und Fachstellen gegen häusliche Gewalt der Romandie und des Tessins.

Um die Kooperation zwischen den Kantonen zu stärken, werden seit dem nationalen Treffen 2010 auch jene Kantone in die nationalen Treffen integriert, die noch über keine offiziell bezeichnete Interventionsstelle verfügen und deshalb auch nicht Mitglieder der sprachregionalen Konferenzen sind. Das EBG erstellte im Rahmen der Organisation der nationalen Treffen eine Übersicht über die in den einzelnen Kantonen durchgeführten Projekte, Aktivitäten und verfügbaren Materialien, um die Kooperation unter den Kantonen zu erleichtern. Das EBG wird die Zusammenarbeit zwischen den beiden sprachregionalen Konferenzen der Kantonalen Interventionsstellen weiter fördern, ebenso den Austausch zwischen den einzelnen Kantonen.

Das EBG organisiert seit 2004 alljährlich ein nationales Treffen aller Institutionen, die Beratung oder Lernprogramme für Täter und Täterinnen anbieten. Anlässlich des Treffens im Jahr 2010 wurde mit fachlicher und finanzieller Unterstützung des EBG der nationale Fachverband Gewaltberatung Schweiz FVGS gegründet, dem zurzeit 15 Täter- und Täterinnenberatungsstellen aus der ganzen Schweiz angehören. Diese Stellen erfassen Daten zu ihrer Beratungstätigkeit seit 2009 in einer zentralen Datenbank, sodass für das Jahr 2010 erstmals vergleichbare Zahlen vorliegen. Der Fachverband wird vom FHG auch in Zukunft in seiner Koordinationsarbeit unterstützt, im Besonderen in seinen Bestrebungen, Qualitätsstandards zu entwickeln und statistische Daten zu erheben.

Darüber hinaus hat das EBG 2011 eine Datenbank «Toolbox Häusliche Gewalt» entwickelt und auf seiner Website aufgeschaltet.13
In dieser Datenbank werden Arbeits- und Informationsmaterialien zu häuslicher Gewalt mit Modellcharakter zentral gesammelt und allgemein zugänglich gemacht. Ziel ist ein erleichterter Wissenstransfer zwischen Fachpersonen und die Nutzung von Synergien auch über die Sprachgrenzen hinweg.

Massnahme G: Der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz OHG empfehlen, Vernetzungsaktivitäten zu prüfen und zu unterstützen Federführung: Bundesamt für Justiz (BJ) Die Schweizerische Verbindungsstellen-Konferenz OHG (SVK-OHG) hat sich zum Ziel gesetzt, den einheitlichen Vollzug des Opferhilfegesetzes in den Kantonen sicherzustellen. Die SVK-OHG ist an die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) angegliedert und setzt sich ­ neben Vertretungen aus 13

www.gleichstellung-schweiz.ch > Häusliche Gewalt

2426

der genannten Konferenz, dem BJ und der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) ­ mehrheitlich aus Vertretungen der entsprechenden Regionalkonferenzen zusammen, namentlich aus Fachleuten aus den Bereichen Beratung, Entschädigung und Genugtuung. Die SVK-OHG hat Empfehlungen zur Umsetzung des Opferhilfegesetzes verabschiedet.

Das BJ und das EBG haben mit der SVK-OHG an einer ersten Sitzung das weitere Vorgehen bei der Umsetzung der Massnahme G diskutiert. Ein weiteres Austauschtreffen zwischen SVK-OHG und dem EBG fand am 8. November 2011 statt. Die Tagung 2012 des EBG wird erstmals auch mit den Opferhilfestellen durchgeführt werden.

Massnahme H: Die Koordination auf Bundesebene durch die Einsetzung einer interdepartementalen Arbeitsgruppe verstärken Federführung: Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Fachbereich Häusliche Gewalt (FHG) Innerhalb der Bundesverwaltung sind sieben Ämter mit Aspekten betraut, die für die Prävention und Bekämpfung von häuslicher Gewalt relevant sind. Unterschiedliche Fachdisziplinen und eine Vielzahl von Personen mit unterschiedlichen Zugängen zur Problematik sind involviert. Die bundesinterne Koordination und Vernetzung sind folglich unerlässlich, nicht nur um eine kohärente Umsetzung der Massnahmen aus dem Bericht des Bundesrates vom 13. Mai 2009 zu gewährleisten, sondern auch um die konsistente Erfüllung ständiger Aufgaben sicherzustellen. Unter der Federführung des EBG ist deshalb 2009 die ständige Interdepartementale Arbeitsgruppe Häusliche Gewalt IAHG eingerichtet worden. Nebst dem EBG sind darin folgende Bundesämter vertreten: das Bundesamt für Justiz BJ, das Bundesamt für Gesundheit BAG, das Bundesamt für Migration BFM, das Bundesamt für Sozialversicherung BSV, das Bundesamt für Statistik BFS und die Politische Abteilung IV/EDA. Die IAHG hat sich 2009­2011 dreimal getroffen, um den Stand der Umsetzung der in diesem Zwischenbericht besprochenen Massnahmen festzuhalten, sich fachlich auszutauschen und zu vernetzen.

Die IAHG hat sich als ein nützliches Instrument für die Koordination und Vernetzung zwischen den involvierten Stellen der Bundesverwaltung erwiesen. Sie hat die Zusammenarbeit der beteiligten Ämter bei der Umsetzung der hier aufgelisteten Massnahmen wesentlich erleichtert. Die vom EBG für
die IAHG jährlich erstellte Übersichtsliste mit laufenden und geplanten Massnahmen, Dossiers und Geschäften zeigt nicht nur auf, was der Bund bei der Prävention und Bekämpfung häuslicher Gewalt aktuell leistet, sie ermöglicht auch die rasche Identifikation der zuständigen Stellen und Ansprechpersonen innerhalb der Bundesverwaltung.

Die IAHG wird über die Umsetzung der Massnahmen aus dem Bericht des Bundesrates vom 13. Mai 2009 hinaus weiter die zentrale Koordinations- und Vernetzungsplattform für laufende und künftige Handlungsfelder des Bundes im Bereich häusliche Gewalt darstellen.

2427

2.4

Bereich Schutz der Betroffenen

Massnahme I: Im Rahmen der OHG-Evaluation prüfen, ob OHG-Angebote den verschiedenen Opfergruppen gerecht werden Federführung: Bundesamt für Justiz (BJ) Das BJ plant, im Jahr 2016 eine umfassende Evaluation des revidierten OHG durchzuführen. In diese Evaluation wird auch die Frage integriert, ob und wieweit die Unterstützungs- und Beratungsangebote den Bedürfnissen der verschiedenen Gruppen von Gewaltopfern, u.a. jenen von häuslicher Gewalt, gerecht werden.

Massnahme J: Das Thema häusliche Gewalt verstärkt in die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen im Migrationsbereich integrieren Federführung: Bundesamt für Migration (BFM) Das BFM organisierte im November 2011 eine Fachveranstaltung für die kantonalen Migrationsämter, in deren Rahmen die neuen Regelungen für Opfer ehelicher Gewalt (Weisung 6.14.3 Familiennachzug) vorgestellt wurden (vgl. im Einzelnen Massnahme C). Weiter ist geplant, im Juni 2012 einen Workshop zu den ersten Praxiserfahrungen mit den neuen Regelungen für die kantonalen Migrationsämter anzubieten. Häusliche Gewalt spielt im Migrationsrecht als spezifischer Grund für die Verlängerung des Aufenthaltsrechts für Ehegatten (Art. 50 Abs. 2 AuG) sowie als Kriterium für einen Härtefall (als allgemeiner Grund für eine Aufenthaltsbewilligung, auch wenn die ordentlichen Zulassungsbedingungen nicht erfüllt sind, Art. 31 VZAE) eine Rolle und wird in diesem Zusammenhang auch in der Aus- und Weiterbildung thematisiert. Der Einbezug eines spezifischen Moduls zu diesem Thema im neuen BFM-Ausbildungslehrgang für Migrationsfachpersonen wurde geprüft, konnte jedoch nicht in den bereits sehr engen Lehrplan aufgenommen werden. Die Verantwortlichen sehen keine Möglichkeit, ein neues Thema aufzugreifen.

Massnahme K: Häusliche Gewalt im Rahmen der Information der Ausländerinnen und Ausländer über ihre Rechte und Pflichten thematisieren Federführung: Bundesamt für Migration (BFM) Das BFM hat im Juni 2011 die Broschüre «Willkommen in der Schweiz»14 für die Erstinformation der Migrantinnen und Migranten veröffentlicht, unter Berücksichtigung der bereits bestehenden Informationstätigkeiten der Kantone. Dem Thema der häuslichen Gewalt wurde Rechnung getragen. Einzelne Kantone haben ebenfalls damit begonnen, in Erstinformationsgesprächen Informationen zu häuslicher Gewalt abzugeben und auf Beratungsstellen
hinzuweisen. Im Rahmen der Überarbeitung des Ausländergesetzes im Bereich Integration soll dem Thema Erstinformation allgemein verstärkt Rechnung getragen werden. Auch hier wird die Möglichkeit geboten, das Thema häusliche Gewalt verstärkt zu berücksichtigen und neu zuziehende Personen adäquat zu informieren. Das BFM wird die Mitfinanzierung der künftigen kantonalen Integrationsprogramme an die Bedingung einer Erstinformation knüpfen.

14

Broschüre «Willkommen in der Schweiz» in diversen Sprachen: www.bfm.admin.ch/content/bfm/de/home/themen/integration/dokumentation.html

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Massnahme L: Die Unterstützung von Aktivitäten zur Prävention von Kindsmisshandlung weiterführen Federführung: Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) Das BSV nimmt seit 1996 als Folge der Stellungnahme des Bundesrats zum Bericht «Kindesmisshandlung in der Schweiz»15 Informations- und Präventionsaufgaben im Bereich Kinderschutz und Kinderrechte wahr. So unterstützt es beispielsweise das Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche «Beratung und Hilfe 147» von Pro Juventute wie auch die regelmässigen Tätigkeiten der Stiftung Kinderschutz Schweiz und richtet Finanzhilfen an Projekte zur besseren Bekanntmachung der UN-Kinderrechtekonvention16 aus. Der entsprechende Kredit beläuft sich auf insgesamt rund 1 Million Franken pro Jahr.

Basierend auf dem am 20. Mai 200917 verabschiedeten Bundesratsbericht «Jugend und Gewalt ­ Wirksame Prävention in den Bereichen Familie, Schule, Sozialraum und Medien» setzt das BSV seit 2011 das auf fünf Jahre befristete «Gesamtschweizerische Präventionsprogramm Jugend und Gewalt» sowie das «Nationale Programm Jugendmedienschutz und Medienkompetenzen» um. Ersteres soll die Grundlage für eine wirksame Gewaltprävention in der Schweiz schaffen und wird gemeinsam von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden getragen. Es soll die Vernetzung und Zusammenarbeit, den Wissensaustausch, die wissenschaftliche Begleitung von laufenden Präventionsmassnahmen und die Umsetzung von Modellprojekten fördern. Der Bund stellt für dieses Programm insgesamt 5,65 Millionen Franken zur Verfügung. Da die von Kindern und Jugendlichen erlebte Gewalt in der Familie als wichtiger Risikofaktor bei der Entstehung von Jugendgewalt gilt, ist der Bereich der Familie und der frühen Kindheit ein wichtiger Ansatzpunkt für die Prävention. Im Rahmen des Programms werden daher u.a. auch Modellprojekte im Bereich der (Früh-)Prävention im familiären Umfeld gefördert.

Zur rechtlichen Abstützung der bisherigen Informations- und Präventionsaufgaben des BSV sowie der Jugendschutzprogramme hat der Bundesrat in Ausübung seiner Verordnungskompetenz aufgrund von Artikel 386 Absatz 4 StGB am 11. Juni 2010 die Verordnung über Massnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie zur Stärkung der Kinderrechte18 erlassen. Die Verordnung ist seit 1. August 2010 in Kraft und regelt Inhalt, Ziele und Art der Präventionsmassnahmen
des Bundes. Es geht dabei um Aufklärungs-, Erziehungs- und weitere Massnahmen, die mittel- und längerfristig darauf hinzielen, Straftaten zu verhindern und der Kriminalität vorzubeugen.

Des Weiteren richtet das BSV Finanzhilfen aus an Dachverbände der Familienorganisationen (jährlicher Kredit in der Höhe von rund 1,2 Mio Fr.) sowie ­ gestützt auf das Jugendförderungsgesetz vom 6. Oktober 198919 ­ an Trägerschaften, welche in der ausserschulischen Jugendarbeit aktiv sind (rund 6,8 Mio Fr. pro Jahr).

Das Postulat Fehr Jacqueline (07.3725) forderte den Bundesrat auf, konkrete Massnahmen vorzuschlagen, wie Kinder besser vor Gewalt in der Familie geschützt werden können. Das BSV ist daran, in Zusammenarbeit mit einer breit abgestützten 15 16 17 18 19

BBl 1995 IV 1 SR 0.107 www.bsv.admin.ch > Themen > Kinder- und Jugendfragen > Jugendschutz SR 311.039.1 SR 446.1

2429

Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bund und Kantonen einen entsprechenden Bericht zu erarbeiten. Im Fokus des Berichts steht die physische, psychische und sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen (Kindesmisshandlung) und die Vernachlässigung in der Familie sowie das Miterleben von elterlicher Partnerschaftsgewalt durch Kinder und Jugendliche. Ausgehend von den Schutzund Risikofaktoren bei der Entstehung von Gewalt in der Familie und der Beschreibung der staatlichen Herangehensweisen an das Phänomen wird der Bundesrat Massnahmen zur Verbesserung der Prävention und Intervention prüfen. Im Bericht wird insbesondere auch die Frage einer verstärkten nationalen Koordination im Kindesschutzbereich thematisiert werden. Der Bericht wird voraussichtlich in der zweiten Hälfte 2012 vom Bundesrat verabschiedet. In diesen Bericht fliessen auch die Erkenntnisse aus der Konsultation der Kantone zu einem ­ im Rahmen einer Public Private Partnership entstandenen ­ Vorschlag für ein nationales Kinderschutzprogramm ein.

2.5

Bereich Angebote für gewalttätige Personen

Massnahme M: Prüfen, ob im Rahmen der Empfehlungen an die Kantone auf Anti-Gewalt-Programme für gewalttätige Ausländerinnen und Ausländer hingewiesen werden kann Federführung: Bundesamt für Migration (BFM) Das BFM hat dieses Anliegen geprüft und entschieden, auf allgemeine Hinweise auf Anti-Gewalt-Programme in den Weisungen an die Kantone zu verzichten. Informationen zu solchen Angeboten und Massnahmen, die sich laufend verändern, sind bereits auf den meisten Websites von kantonalen Stellen (beispielsweise Polizei) zu finden. Diese sind besser mit den lokalen institutionellen Veränderungen vertraut als der Bund.

Ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung infolge strafbaren Verhaltens im konkreten Fall in Frage gestellt, so kann nach dem geltenden Ausländergesetz mit dem betroffenen Ausländer oder der betroffenen Ausländerin eine Integrationsvereinbarung abgeschlossen werden. Eine solche Integrationsvereinbarung kann den Besuch eines Anti-Gewalt-Programms vorsehen. Das BFM weist auf ihrer Webseite auf die Adressliste des EBG mit den schweizerischen Beratungsstellen und Lernprogrammen für tatausübende Personen hin.

2.6

Bereich Aus- und Weiterbildungsmassnahmen

Massnahme N: Weiterbildungsangebote für Richterinnen und Richter prüfen Federführung: Bundesamt für Justiz (BJ) und Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) Die schweizerische Richterakademie integriert seit September 2011 auf Veranlassung des BJ und des EBG eine Lektion zum Thema häusliche Gewalt in den Zertifikatslehrgang «Judikative» auf Deutsch und auf Französisch. Weiter erarbeitet das Kompetenzzentrum für Rechtspsychologie des Instituts für Rechtswissenschaften und Rechtspraxis IRP der Universität St. Gallen im Auftrag beider Ämter ein Wei2430

terbildungsseminar für Richterinnen, Richter, Staatsanwälte und Staatsanwältinnen, in welchem psychologisches Wissen über die Auswirkungen und Verarbeitungen von Gewalterfahrungen bei Erwachsenen und Kindern vermittelt wird. Ein erstes Seminar in deutscher und französischer Sprache wird am 12. September 2012 durchgeführt. Die Entwicklungskosten für das neue Weiterbildungsangebot werden vom BJ und vom EBG getragen.

Massnahme O: Die Ausbildungsbeiträge im Bereich Opferhilfe weiterführen Federführung: Bundesamt für Justiz (BJ) Das revidierte Opferhilfegesetz, das seit dem 1. Januar 2009 in Kraft ist, ermöglicht es, die Ausbildungshilfen weiterzuführen (Art. 31 OHG). Der Bund leistet Beiträge an Kurse und Veranstaltungen, die sich an Personen richten, die in der Opferhilfe tätig sind, und ihnen relevante Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln. Der Bund nimmt (abgesehen von den Ausbildungen für Richterinnen und Richter, vgl. Massnahme N) keinen Einfluss auf das Angebot. Dasselbe gilt für die Kantone bzw. die SVK-OHG. Das Angebot wird von den Kursveranstaltern zusammengestellt.

Die Praxis zeigt, dass kontinuierlich Veranstaltungen durchgeführt werden, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Opfern häuslicher Gewalt ausgerichtet sind.20 Mit finanzieller Unterstützung des BJ sind seit dem Jahr 2009 bis Mitte 2011 im Rahmen von 17 Weiterbildungen und 4 Grundkursen über hundert Lektionen dem Thema häusliche Gewalt gewidmet worden. Zwei Drittel der Lektionen wurden in deutscher und ein Drittel in französischer Sprache gehalten. Die Mindestzahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern pro Kurs beträgt 12 Personen für deutschsprachige bzw. 8 Personen für französisch- (oder italienisch-)sprachige Kurse.

2.7

Bereich Information, Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit

Massnahme P: Massnahmen zum Schutz von Angehörigen vor alkoholbedingter Gewalt im Rahmen des Nationalen Programms Alkohol 2008­2012 entwickeln und umsetzen Federführung: Bundesamt für Gesundheit (BAG) Das BAG unterstützt im Rahmen des Nationalen Programms Alkohol 2008­201221, das unter anderem die Verringerung alkoholbedingter häuslicher Gewalt anstrebt, ein Projekt von «Sucht Info Schweiz» (früher: Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme). Ziel des Projektes ist es, eine gezielte Prävention bei einer gefährdeten Zielgruppe zu ermöglichen, Fachleute für die Probleme alkoholbelasteter Familien zu sensibilisieren und spezifische Angebote für Kinder und Jugendliche bekannt zu machen. Verschiedene Aktivitäten dienen diesem Ziel: Sie umfassen die Sensibilisierung der Gesamtbevölkerung durch Medienarbeit auf nationaler Ebene und themenspezifische Informationsmaterialien, die Unterstützung von Partnerorganisationen in drei Kantonen im Aufbau von therapeutischen Ange20 21

Vgl. die mit Ausbildungsbeiträgen bewilligten Kurse unter www.bj.admin.ch > Themen > Gesellschaft > Opferhilfe > Ausbildung www.bag.admin.ch > Themen > Alkohol, Tabak, Drogen > Alkohol > Nationales Programm Alkohol

2431

boten für Kinder, Jugendliche und Eltern aus alkoholbelasteten Familien, die Sensibilisierung von Fachleuten aus den Bereichen Medizin, Gesundheit, Erziehung und Schule im Rahmen von regionalen Veranstaltungen. Ebenso werden die Angebote für Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien schweizweit erhoben und eine entsprechende Übersicht per Internet22 zugänglich gemacht. Im Sinne einer nationalen Vernetzung wurde eine nationale Austausch- und Weiterbildungsplattform für Leiterinnen und Leiter von Projekten in diesem Bereich geschaffen, und «Sucht Info Schweiz» hat sich mit seiner Teilnahme am Treffen des europäischen Netzwerkes ENCARE international vernetzt. Für 2012 liegt der Fokus auf der besseren Vernetzung der Zuweisenden (Ärzte und Ärztinnen, Sozialarbeiter/-innen, Jugendämter) auf kantonaler Ebene sowie dem Ausbau des Internet-Angebots für Betroffene (Beratung) und Fachleute (Intranet).

Massnahme Q: Analysen zu polizeilich registrierten Fällen basierend auf der Polizeilichen Kriminalstatistik publizieren Federführung: Bundesamt für Statistik (BFS) Das BFS legte in Zusammenarbeit mit der Kantonalen Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren mit dem Jahresbericht 2010 zum zweiten Mal eine Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vor, die auf kantonalen Daten beruht, die aufgrund von detaillierten und einheitlichen Erfassungskriterien und Auswertungsprinzipien erfasst wurden. In der PKS werden Straftaten als häusliche Gewalt identifiziert, in denen die geschädigte und die beschuldigte Person in einer familiären Beziehung zueinander stehen. Diese Beziehung wird bei einer Auswahl von Straftaten erfasst, die als typisch für diesen Bereich betrachtet werden können. Für das Jahr 2010 wurden in der Schweiz 15 768 Straftaten häuslicher Gewalt ­ meistens Gewalt in der Partnerschaft ­ registriert.

Das BFS erstellt auf Frühjahr 2012 basierend auf der PKS eine Übersichtspublikation zu häuslicher Gewalt.

Massnahme R: Gezielte Ansprache von Migrantinnen und Migranten prüfen Federführung: Bundesamt für Migration (BFM) Das BFM ist federführend für die Integrationspolitik des Bundes und hat einen gesetzlich verankerten Koordinationsauftrag (Art. 57 AuG und Art. 8 VIntA23). Ziel ist es, die Massnahmen der Bundesstellen zur Integration der Ausländerinnen und Ausländer aufeinander abzustimmen und einen
verbesserten Meinungs- und Erfahrungsaustauch zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden sicherzustellen.

Mit dem Ziel, die kantonalen Ansprechstellen für Integrationsfragen bei der Planung der zukünftigen Integrationsförderung zu unterstützen und eine möglichst hohe Qualität der Integrationsprogramme zu erzielen, schrieb das BFM das Programm «Entwicklung der kantonalen Integrationsprogramme und begleitende Massnahmen» aus. Damit werden Massnahmen unterstützt, die einen Beitrag zur Weiterentwicklung der spezifischen Integrationsförderung im Kanton leisten. Wichtige Pfeiler dieser Programme sollen die Information (im Besonderen die Erstinformation) und 22 23

www.sucht-info.ch Verordnung vom 24. Oktober 2007 über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern, SR 142.205

2432

Beratung von Migrantinnen und Migranten sowie Massnahmen in den Bereichen Bildung und Arbeit sein. Migrantinnen und Migranten sollen gezielter angesprochen werden. Neu soll insbesondere der Diskriminierungsschutz für Ausländerinnen und Ausländer (Sensibilisierung von Institutionen, Beratungsangebote) in den Kantonen verbessert werden. Dadurch könnte auch das Beratungsangebot für von häuslicher Gewalt Betroffene verbessert werden; der Entscheid hierzu liegt jedoch bei den Kantonen. Am 23. November 2011 hat der Bundesrat die Neuausrichtung der zukünftigen Integrationsförderung des Bundes und der Kantone im Rahmen der Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zur Teilrevision des Ausländergesetzes im Bereich Integration bestätigt.

2.8

Bereich Schliessung von Forschungslücken

Massnahme S: Eine Studie zu den volkswirtschaftlichen Kosten von Gewalt in Paarbeziehungen erstellen Federführung: Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Fachbereich Häusliche Gewalt (FHG) Das EBG wird in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik BFS und weiteren Ämtern eine Studie zu Folgekosten der Gewalt in Paarbeziehungen erstellen. Die Studie wird Anfang 2012 ausgeschrieben, Ergebnisse sind frühestens ab Mitte 2013 zu erwarten.

Massnahme T: Eine Studie zu den Forschungslücken im Bereich häusliche Gewalt erstellen und Forschungsinstitute gezielt ansprechen, damit die Lücken geschlossen werden Federführung: Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), Fachbereich Häusliche Gewalt (FHG) Das EBG hat im Oktober 2011 einen Bericht zu den Forschungslücken im Bereich Gewalt in Paarbeziehungen24 publiziert, dessen Schlussfolgerungen im Rahmen eines Hearings mit Forschenden diskutiert wurden. Der Bericht weist fünf Themenbereiche aus, in denen aus Sicht der Expertinnen und Experten aufgrund der Erkenntnislage in Forschung und Praxis in den nächsten Jahren vorrangig wissenschaftlich gearbeitet werden sollte: 1.

Vorkommen, Muster, Dynamik und Auswirkungen von Gewalt in Paarbeziehungen Aktuelle Forschungsergebnisse bezüglich Vorkommen, Auftreten und Entwicklung von Paargewalt und deren Auswirkungen dienen dazu, effektive zielgruppenspezifische Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung zu entwickeln und die gesellschaftliche Bedeutung des Phänomens abzubilden.

24

www.ebg.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Publikationen zu Gewalt

2433

2.

Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen von gewaltbelasteten und gewaltfreien Beziehungen Die Erforschung der Ursachen von Paargewalt und die Differenzierung von Ursachen und Risikofaktoren nach beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Aspekten sind ein elementarer Beitrag zur Prävention. Grundlagen für eine effiziente Prävention liefert insbesondere auch die Erforschung der Frage, wie trotz Vorliegen von Risikoaspekten gewaltfreie, wohlwollende Partnerschaften gelebt werden können.

3.

Staatliche und zivilgesellschaftliche Präventions- und Interventionsmassnahmen In der Schweiz werden auf unterschiedlichen Ebenen Massnahmen zur Vermeidung und Bekämpfung von Gewalt in Paarbeziehungen durch staatliche und zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure ergriffen. Hier besteht ein Bedarf nach Studien, welche Ausgestaltung, Umsetzung, erwünschte und unerwünschte Wirkungen, Effizienz und Wirksamkeit der Massnahmen untersuchen, miteinander vergleichen und Best Practices identifizieren.

4.

Paargewalt im Familiensystem: Paare und mitbetroffene Kinder Paargewalt prägt in entscheidendem Masse das System der Kernfamilie, insbesondere die Kinder. Aktuell arbeiten verschiedene Kantone an der Einrichtung von spezifischen Unterstützungsmodellen für mitbetroffene Kinder.

Damit bietet sich Gelegenheit, diese kindbezogenen Interventionen bezüglich Konzeption, Umsetzung und Wirkungen zu untersuchen und Best Practices zu beschreiben.

5.

Paargewalt in Fachwelt und Öffentlichkeit Die Wahrnehmung der Problematik Paargewalt bei Fachpersonen und ihr Fachwissen beeinflussen das Handeln und sind im Hinblick auf erfolgreiche Interventionen und die Qualifizierung von Fachpersonen wichtig. Bezogen auf die Öffentlichkeit interessiert die Wahrnehmung von Paargewalt in verschiedenen Bevölkerungsteilen und deren Auswirkungen auf den Umgang mit der Thematik.

Querschnittsperspektiven Geschlecht/Gender und Migration/Herkunft In der empirischen Forschung und in der Theoriebildung besteht eine Lücke, was männliche Opfer und was Frauen, die Gewalt ausüben, betrifft. Vorhandenes Wissen zu Gewalt von Männern gegenüber Frauen lässt sich nicht ohne Weiteres auf Gewalt von Frauen gegen Männer beziehungsweise auf gleichgeschlechtliche Beziehungen übertragen. Statistiken weisen aus, dass Menschen mit Migrationshintergrund häufiger in Paargewalt involviert sind. Die Faktoren, die zu diesem Ergebnis führen, sind wenig bekannt. Deshalb sollen die Kategorien «Gender/Geschlecht» und «Migration/Herkunft» im Sinne eines Mainstreaming-Ansatzes berücksichtigt werden, d.h.

sie sollen als Querschnittthemen in Konzeption, Realisierung, Auswertung, Präsentation und Umsetzung von empirischen Studien und theoretischen Arbeiten aufgenommen und reflektiert werden.

2434

3

Zwischenbilanz und Ausblick

3.1

Die Umsetzung der Massnahmen im Überblick

Die zuständigen Ämter der Bundesverwaltung sind an der Umsetzung der 20 Massnahmen aus dem Bericht des Bundesrates vom 13. Mai 2009 oder haben den Zeitpunkt ihrer Umsetzung festgelegt; erste Resultate sind erreicht (Stand Dezember 2011): ­

Eine Massnahme ist umgesetzt und abgeschlossen (Massnahme T).

­

Sechs Massnahmen sind umgesetzt und laufen als kontinuierliche Aufgaben weiter (Massnahmen A, C, F, H, N, O).

­

Sieben Massnahmen befinden sich in Umsetzung (Massnahmen G, J, K, L, P, Q, S).

­

Für vier Massnahmen ist die vollständige Umsetzung in den nächsten Jahren, bis spätestens 2016 geplant (Massnahmen B, D, I, R).

­

Zwei Massnahmen sind geprüft und sistiert worden (Massnahmen E, M).

Für die Umsetzung dieser Massnahmen wurden keine zusätzlichen Ressourcen gesprochen, die zuständigen Bundesstellen haben sowohl die personellen wie auch die finanziellen Mittel im Rahmen von Prioritätensetzungen innerhalb der ordentlichen Budgets bereitgestellt. Die Umsetzung der noch nicht realisierten Massnahmen wird im Rahmen der im Voranschalg 2012 und im Legislaturfinanzplan 2013­2015 eingestellten Mittel erfolgen.

3.2

Einschätzung der erreichten Resultate

Der Bericht des Bundesrates vom 13. Mai 2009 schnürte ein Paket von zwanzig Einzelmassnahmen, welche die Prävention und Bekämpfung der häuslichen Gewalt verstärken sollen. Folgende Resultate wurden seit 2009 erreicht: ­

Die Datenlage zur häuslichen Gewalt hat sich mit der Einführung der Polizeilichen Kriminalstatistik PKS seit 2010 wesentlich verbessert.

­

Die Forschungslücken im Bereich Gewalt in Paarbeziehungen sind identifiziert und den Forschungskreisen kommuniziert. Die gerichtliche und administrative Praxis zu den in den letzten Jahren revidierten gesetzlichen Grundlagen im Bereich häusliche Gewalt (Strafrecht, Zivilrecht, Opferschutz, Ausländerrecht, Polizeirecht) wird beobachtet; Evaluationen der Gesetzesrevisionen sind in Planung.

­

Die geplanten Massnahmen zum Schutz der Betroffenen im Rahmen der Opferhilfe, der Migrationspolitik und des Kindesschutzes sind zum Zeitpunkt der Zwischenberichterstattung noch nicht integral umgesetzt, zeigen aber erste Resultate, etwa in der Sensibilisierung der Migrationsbehörden für gewaltbetroffene Frauen und der Information von Ausländerinnen und Ausländern.

­

Die Koordination und Vernetzung der involvierten Bundesämter ist durch die Einsetzung der ständigen Interdepartementalen Arbeitsgruppe Häusliche Gewalt IAHG, die sich jährlich unter Federführung des EBG trifft, wesentlich verstärkt worden.

2435

­

Zur Umsetzung der vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen sind Fachwissen und Kontakte zu Expertinnen und Experten dank der verstärkten Zusammenarbeit der involvierten Bundesämter innerhalb der Bundesverwaltung und zwischen Bund und Kantonen leichter zugänglich.

3.3

Ausblick

Der Bericht des Bundesrats hat die Komplexität der Herausforderungen dargestellt, die sich in der Prävention und Bekämpfung der häuslichen Gewalt stellen. Angesichts der eingeschränkten Zuständigkeiten des Bundes und der knappen verfügbaren Ressourcen konnte im kurzen Berichtszeitraum dennoch einiges erreicht werden.

Seit der Verabschiedung des Übereinkommens des Europarates vom 11. Mai 201125 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch den Ministerrat existieren erstmals europäische Standards für die Bekämpfung häuslicher Gewalt. Zurzeit wird die Umsetzbarkeit des Übereinkommens in der Schweiz geprüft. Der Bundesrat wird anschliessend über die Unterzeichnung entscheiden.

Die Bekämpfung von häuslicher Gewalt erfordert ein kontinuierliches Engagement auf eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Ebene und die Involvierung von Fachleuten aus den verschiedensten Politikbereichen. Damit ist der Austausch von Daten, Wissen und Erfahrungen zwischen den verschiedenen Bundesstellen sowie zwischen Bund und Kantonen sowie die Vernetzung und Koordination der Aktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen unabdingbar, um Einzelmassnahmen aufeinander abzustimmen und so ihre Wirksamkeit zu verstärken. Die Interdepartementale Arbeitsgruppe Häusliche Gewalt IAHG unter Federführung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG ist weiterhin ein zentrales Instrument, um auf Ebene des Bundes Aktivitäten im Bereich häusliche Gewalt zu koordinieren, relevante Informationen aus den Bundesstellen in einer Gesamtschau zu dokumentieren und einen kontinuierlichen fachlichen Austausch zu gewährleisten.

25

Vertrag Nr. 210, zu finden unter: www.conventions.coe.int/?lg=de

2436