Praxis des Bundes bei der Steuerung von Post, SBB und Swisscom Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 8. Mai 2012 Stellungnahme des Bundesrates vom 14. November 2012

Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der GPK-N vom 8. Mai 20121 betreffend «Praxis des Bundes bei der Steuerung von Post, SBB und Swisscom» nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

14. November 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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BBl 2012 8545

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Mit Schreiben vom 8. Mai 2012 hat die GPK-N den Bundesrat über ihren Bericht vom 8. Mai 2012 zur Praxis des Bundes bei der Steuerung von Post, SBB und Swisscom in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig hat sie den Bundesrat gebeten, bis spätestens 31. Dezember 2012 zu den Feststellungen und Empfehlungen des Berichtes Stellung zu nehmen.

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat begrüsst die Initiative der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N), die Corporate-Governance­Praxis des Bundes im Lichte der Erfahrungen während der ersten gut zehn Jahre seit der Verselbstständigung von Post, SBB und Swisscom vertieft zu untersuchen. Damit unterstützt die GPK-N die Bemühungen des Bundesrates, die Rolle und Strategie des Bundes als Eigner dieser Unternehmen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Seit der Verselbstständigung der drei Unternehmen ist das Steuerungsmodell des Bundes stetig verfeinert worden.

Einen grundlegenden Entwicklungsschritt tat der Bundesrat mit dem CorporateGovernance-Bericht von 2006 (hiernach: CG-Bericht) sowie mit dem Zusatzbericht von 2009, welche die Eignerpolitik des Bundes auf ein solides Fundament stellten.

Die vorerst letzte Stufe in diesem Prozess wurde am 1. Januar 2012 mit der Inkraftsetzung des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 20102 über die Mitwirkung der Bundesversammlung bei der Steuerung der verselbstständigten Einheiten erreicht.

Dieses gibt dem Parlament ein ausgeweitetes Instrumentarium zur Ausübung seiner Oberaufsicht über die Steuerung der verselbstständigten Einheiten des Bundes in die Hand. Auch wenn es noch zu früh ist, die Wirkungen dieses jüngsten Reformschrittes zu würdigen, manifestiert sich darin doch das zunehmende Gewicht, das die Legislative der Corporate Governance des Bundes zumisst.

Dieses verstärkte Interesse ist aus Sicht des Bundesrates gerechtfertigt, allein aufgrund der Tatsache, dass Post, SBB und Swisscom mit insgesamt rund 95 000 Vollzeitstellen und ca. 29 Milliarden Franken Umsatz (2011) einen erheblichen Teil der schweizerischen Volkswirtschaft repräsentieren und als Träger des Service public in der öffentlichen Wahrnehmung eine besondere Stellung einnehmen. Fehler bei der strategischen Steuerung dieser Unternehmen haben potenziell schwerwiegende Auswirkungen auf das ganze Land. In Anbetracht dessen ist aus Sicht des Bundesrates die Eignerpolitik des Bundes gegenüber Post, SBB und Swisscom nicht primär an abstrakten theoretischen Konzepten, sondern an ihrer praktischen Funktionsfähigkeit respektive ihrem konkreten Leistungsausweis zu messen.

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AS 2011 5859

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Der Bundesrat nimmt mit Zustimmung von der Beurteilung der GPK-N Kenntnis, dass das Steuerungsmodell des Bundes grundsätzlich geeignet ist, sich bewährt hat und beibehalten werden soll. Nach Auffassung des Bundesrates sind die Ziele, die Ende der 1990er-Jahre mit der Verselbstständigung von Post, SBB und Swisscom angestrebt wurden, weitgehend erreicht worden. Die Versorgung der Schweizer Bevölkerung und aller Landesteile mit Infrastrukturdienstleistungen in den Bereichen Verkehr, Logistik und Kommunikation hat sich seither klar verbessert: Die Qualität der Dienstleistungen ­ z.B. Fahrplanangebot, Pünktlichkeit, Datenübertragungsrate ­ ist insgesamt höher als vor zwölf Jahren. Der Umfang der Grundversorgung ist breiter, das Preisniveau eher tiefer (wobei Ausnahmen die Regel bestätigen). Zugleich haben die drei Unternehmen mit laufenden Innovationen auf die sich verändernden Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden reagiert, sich gestützt auf eine tragfähige und konstruktive Sozialpartnerschaft einem tiefgreifenden Strukturwandel unterzogen und regelmässig solide Ergebnisse erwirtschaftet. Mithin darf festgehalten werden, dass die Verselbstständigung von Post, SBB und Swisscom die politischen und wirtschaftlichen Erwartungen, die in sie gesetzt worden waren, zu erfüllen vermochte. Dazu hat zweifellos auch die Corporate Governance des Bundes beigetragen.

Für den Bundesrat steht ausser Frage, dass das Steuerungsmodell des Bundes, wie es vom Gesetzgeber konzipiert wurde und in der Praxis angewandt wird, nicht losgelöst von den Zielen der Verselbstständigung von Post, SBB und Swisscom beurteilt werden kann. Diese Unternehmen wurden in der Erkenntnis verselbstständigt, dass Regiebetriebe, die sich den Gesetzen und Kräften des Marktes letztlich nicht entziehen können, insgesamt bessere Leistungen zugunsten der Volkswirtschaft erbringen, wenn sie möglichst wie private Unternehmen geführt werden. Gleichzeitig dominierte aber die Überzeugung, dass die Regiebetriebe ausschliesslich oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes verbleiben sollten, da die Versorgungssicherheit des Landes mit unverzichtbaren Infrastrukturdienstleistungen besser gewährleistet ist, wenn sich die dazu erforderlichen Netze in öffentlicher Hand befinden.

An den Leistungen und an der Leistungsfähigkeit der verselbstständigten
Servicepublic-Unternehmen, die Aufgaben des Bundes wahrnehmen, besteht somit ein öffentliches Interesse. Die Gewährleistungsverantwortung des Bundes für die Erfüllung dieser Aufgaben begründet im Kern das bundesstaatliche Eigentum.3 Die Beteiligung des Bundes an Post, SBB und Swisscom hat gewissermassen den Charakter eines langfristigen, strategischen Engagements des Staates in einem Schlüsselsektor der Volkswirtschaft, mit dem in erster Linie versorgungs-, wirtschafts-, sicherheits- und staatspolitische Ziele verfolgt werden. Andere Beteiligungszwecke ­ etwa industrie-, beschäftigungs- oder finanzpolitische Motive, wie sie in zahlreichen OECD-Staaten verbreitet sind4 ­ spielen keine oder höchstens eine untergeordnete Rolle.

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Vgl. Ziffer 6.2 des Zusatzberichts des Bundesrates zum Corporate-Governance-Bericht (BBl 2009 2708) Die «OECD Guidelines on Corporate Governance of State owned Enterprises» von 2005 beziehen sich tendenziell auf staatseigene Unternehmen, bei denen das öffentliche Interesse primär auf den unternehmerischen Erfolg ausgerichtet ist. Die zuständige Fachgruppe (OECD Working Party on State Ownership and Privatisation Practices WPSOPP) ist sich jedoch bewusst, dass nichtkommerziellen Unternehmenszwecken in staatseigenen Betrieben oft eine zentrale Bedeutung zukommt.

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Aus dieser Konstellation folgt eine doppelte Verantwortung für den Bund: Zum einen muss er gegenüber den Steuerpflichtigen dafür sorgen, dass die Leistungsfähigkeit dieser Unternehmen langfristig erhalten bleibt und das eingesetzte Kapital in Anbetracht des Risikos eine angemessene Rendite erzielt. Zum anderen hat er gegenüber den privaten Haushalten und Unternehmen sowie gegenüber den Kantonen und Gemeinden die Erfüllung der politisch ausgehandelten Versorgungsziele zu gewährleisten.

Diese doppelte Verantwortung nimmt der Bund mittels dreier Steuerungsinstrumente wahr, die sich nach ihrer Fristigkeit unterscheiden. Langfristig stecken Gesetze und ihre Ausführungsbestimmungen5 den Rahmen für die Tätigkeit der Unternehmen ab. Auf die mittlere Frist von vier Jahren ausgerichtete strategische Ziele präzisieren die Anforderungen und Erwartungen des Bundes an die Unternehmen und tragen der dynamischen Entwicklung des Marktes und des politischen Umfelds Rechnung. Der Feinabstimmung auf kurze Sicht dienen regelmässige, ungefähr vierteljährlich stattfindende Eignergespräche zwischen Bund und Unternehmen.

Innerhalb des Rahmens, der ihnen durch das Gesetz und die strategischen Ziele vorgegeben ist, geniessen die Unternehmen volle Autonomie, d.h. der Eigner verzichtet auf Eingriffe ins operative Geschäft. Dessen ungeachtet kann sich der Bund einer politischen Mitverantwortung für die Entscheide der Unternehmen ­ namentlich wo er in der Gewährleistungsverantwortung steht ­ nicht entziehen. Wäre dies anders, müsste zu Recht gefragt werden, ob der Bund überhaupt der richtige Eigentümer von Post, SBB und Swisscom sei.

Im Fokus des GPK-Berichts steht das mittelfristige Steuerungsinstrument der strategischen Ziele. Mit Blick auf seine zweifache Rolle als Eigner und als Gewährleister steuert der Bund gemäss Leitsatz 16 des CG-Berichts die Unternehmen sowohl mittels unternehmensbezogener als auch mittels aufgabenbezogener strategischer Ziele. Den aufgabenbezogenen Zielen haben die eidgenössischen Räte so grosses Gewicht beigemessen, dass sie den Bundesrat mit dem Postulat 07.3775 (FK-N) beauftragten, die Hervorhebung seiner Rolle als Gewährleister der öffentlichen Aufgabe zu prüfen. Diesem Ansinnen kam der Bundesrat im Rahmen des Zusatzberichts mit einer entsprechenden Ergänzung des Leitsatzes 16 nach.

Diese
einleitenden Hinweise erachtet der Bundesrat als wichtig, da sich viele Empfehlungen der GPK-N direkt oder indirekt auf die grundlegende doppelte Zielsetzung beziehen, die sich aus den gleichzeitig ausgeübten Rollen des Bundes als Gewährleister der Grundversorgung und als Eigentümer von Post, SBB und Swisscom ergibt. Solange eine vollständige Privatisierung dieser drei Unternehmen nicht auf der politischen Agenda steht, ist diese doppelte Zielsetzung zu akzeptieren. Der Bundesrat interpretiert die Empfehlungen der GPK-N als diskussionswürdige Anregungen, wie das Spannungsfeld, das notwendigerweise zwischen diesen beiden Zielen besteht, punktuell abgeschwächt werden könnte.

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Zu erwähnen sind unternehmensspezifische Spezialerlasse wie z.B. Postgesetz, Postorganisationsgesetz, SBB-Gesetz oder Telekommunikationsunternehmensgesetz.

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Empfehlung 1: «Die GPK-N lädt den Bundesrat dazu ein, die strategischen Ziele kohärenter und stufengerecht zu formulieren und den Fokus auf die unternehmensbezogenen Ziele zu legen. Die strategischen Ziele sind zu priorisieren und zu gewichten und Zielkonflikte zwischen aufgaben- und unternehmensbezogenen Zielen sind zu klären.

Darüber hinaus lädt die GPK-N den Bundesrat ein, aufgrund der bisherigen Erfahrungen klare Kriterien für die Formulierung von geeigneten unternehmensund aufgabenbezogenen strategischen Zielen zu entwickeln.» Der Bundesrat teilt die Ansicht der GPK-N, dass in der geltenden Praxis nicht alle strategischen Ziele auf der gleichen hierarchischen Stufe stehen. In der Tat macht der Bundesrat Vorgaben zu Aspekten der Geschäftstätigkeit, die nach allgemeinem Verständnis zu den Kernaufgaben des Verwaltungsrates gehören, wie z.B. betriebliche Effizienz, Risikomanagement, Kommunikation oder Personalpolitik. Dies ist jedoch nicht als Einschränkung der Autonomie des Verwaltungsrates zu werten, zumal der Bundesrat von einer Interessenharmonie zwischen Aktionär und Unternehmen in diesen Punkten ausgeht. Dass die strategischen Ziele für die SBB mehr solche «nicht stufengerechte» Vorgaben enthalten als etwa jene für die Post, steht im Einklang mit dem oben erwähnten Leitsatz 16, wonach die Steuerungsintensität umso grösser sein soll, je weniger die betreffende Aufgabe vom Markt oder von externen Normen und Standards gesteuert ist, je stärker sie mit allgemeinen Steuermitteln finanziert wird und je grösser die damit verbundenen Risiken für den Bund sind. Für die Beibehaltung solcher ­ aus systematischer Sicht überflüssiger ­ Vorgaben spricht aus Sicht des Bundesrates, dass mit den strategischen Zielen auch Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit bezüglich der Erwartungen und Ansprüche des Bundes an Post, SBB und Swisscom geschaffen wird. Ein Verzicht auf personalpolitische Vorgaben oder auf die Erwähnung der Grundversorgungspflicht in den strategischen Zielen könnte den falschen Eindruck erwecken, der Bund sei für die Anliegen der Mitarbeitenden oder für die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer des Service public unempfänglich. Unter Berücksichtigung dieses Aspektes wird der Bundesrat bei künftigen Revisionen strategischer Ziele prüfen, inwieweit eine Verringerung der Anzahl von «nicht
stufengerechten» Vorgaben sinnvoll ist.

Der Bundesrat stimmt mit der Analyse der GPK-N überein, dass aufgaben- und unternehmensbezogene Ziele einander entgegenlaufen können. Dies erachtet er allerdings nicht als Besonderheit des Steuerungsmodells des Bundes. Vielmehr besteht nach Auffassung des Bundesrates die Aufgabe und Kunst jedes Verwaltungsrates darin, angesichts gegenläufiger Anforderungen von Markt, Regulator, Aktionär und anderen Anspruchsgruppen das bestmögliche Ergebnis für das Unternehmen zu erreichen. Es ist aus Sicht des Bundesrates nur schwer möglich, Widersprüche zwischen aufgaben- und unternehmensbezogenen Zielen durch Priorisierung zum Voraus aufzulösen. Für den Bund als Eigner sind die Qualität der Leistungen und der finanzielle Erfolg von Post, SBB und Swisscom gleichermassen wichtig.

Das Wesen der exekutiven Aufgabe des Bundesrates besteht gerade darin, die verschiedenen Interessen des Bundes in einem dynamischen wirtschaftlichen und politischen Umfeld laufend angemessen zu gewichten. Dies erfolgt notwendigerweise unter Ungewissheit, denn eine wirtschaftliche Tätigkeit ist stets mit Unsicher9213

heit und Überraschungen verbunden ­ dieser Tatsache kann sich kein Investor durch abstrakte Selbstbindung an eine im Voraus festgelegte Prioritätenordnung entziehen.

Ein gewisses Mass an Offenheit und Flexibilität bei der Auslegung und Anwendung der strategischen Ziele ist daher aus Sicht des Bundesrates unerlässlich, um dieses Steuerungsinstrument wesensgerecht und sinnvoll einsetzen zu können. Der Bundesrat ist aber in Übereinstimmung mit der GPK-N der Meinung, dass die strategischen Ziele die Prioritäten des Bundes dort klar zum Ausdruck bringen sollen, wo die Interessenlage des Bundes a priori eindeutig und stabil ist. Aus Sicht des Bundesrates ist dies bereits heute weitgehend der Fall, indem Erwartungen, die nicht das Kerngeschäft betreffen, unter den Vorbehalt der betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten gestellt werden.

Den Spielraum für die von der GPK-N angeregte Fokussierung der strategischen Ziele auf unternehmensbezogene Vorgaben erachtet der Bundesrat als eng begrenzt.

Wie oben dargelegt, ist das Eigentum des Bundes an diesen Unternehmen durch deren besondere Aufgaben im öffentlichen Interesse begründet. Insofern ist es aus Sicht des Bundesrates zwingend, dass aufgabenbezogene Ziele mindestens gleich stark gewichtet und mit derselben Aufmerksamkeit verfolgt werden wie unternehmensbezogene Ziele. Dies steht nicht nur im Einklang mit dem erwähnten Leitsatz 16, sondern auch mit der konkreten Erfahrung, dass bei den jährlichen Aussprachen der Geschäftsprüfungs- und Finanzkommissionen der eidgenössischen Räte mit dem UVEK sowie mit den Unternehmen jeweils klar die aufgabenbezogenen Aspekte der Geschäftstätigkeit von Post, SBB und Swisscom dominieren.

Empfehlung 2: «Die GPK-N fordert den Bundesrat dazu auf, den Zugang zu den Kontrolldaten, welche eine Überprüfung der Zielerreichung ermöglichen, sicherzustellen.» Empfehlung 3: «Die GPK-N legt dem Bundesrat nahe, darauf hinzuarbeiten, dass er einen direkten Zugang zu internationalen Vergleichsdaten erhält.» Der Bundesrat stimmt mit der GPK-N überein, dass eine inhärente Informationsasymmetrie zwischen Unternehmen und Eigner besteht. In der Tat ist der Bundesrat auf Angaben des Verwaltungsrates angewiesen, um die Erreichung der strategischen Ziele durch Post, SBB und Swisscom beurteilen zu können. Er verfügt nur über begrenzte Möglichkeiten,
diese Angaben über eine generelle Plausibilitätsprüfung hinaus zu verifizieren. Der Vorschlag der GPK-N, internationale Vergleichsdaten von Branchenorganisationen durch eine unabhängige Instanz ­ beispielsweise EUROSTAT ­ zusammenstellen und analysieren zu lassen, ist ein interessanter Ansatz, um die Informationsasymmetrie zu reduzieren. Zum Voraus ist aus Sicht des Bundesrates schwer abschätzbar, inwieweit EUROSTAT bereit wäre, diese Aufgabe zu übernehmen, doch wäre mit Sicherheit ein beträchtlicher administrativer und finanzieller Zusatzaufwand zu gewärtigen. Zudem gibt der Bundesrat zu bedenken, dass auch internationale Branchenorganisationen und Statistikämter sich letztlich auf Primärdaten der Unternehmen abstützen müssen. Ein wirklich unabhängiger, objektiver internationaler Vergleich der Leistungsfähigkeit von Post, SBB und Swisscom ist somit prinzipiell in Frage gestellt. Der Bundesrat wird jedoch prüfen, inwieweit

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weitere, öffentlich zugängliche Datensätze ­ etwa von Sektorregulatoren, der EU oder der OECD ­ zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Unternehmen herangezogen werden könnten, wohlwissend, dass solche Datensätze in aller Regel keine unmittelbaren Rückschlüsse auf einzelne Marktteilnehmer zulassen.

Der Bundesrat hält fest, dass er im Lichte der über zehnjährigen Erfahrung mit der Eignerpolitik des Bundes weder Grund noch Anlass sieht, an der Vertrauenswürdigkeit der Informationen zu zweifeln, die ihm von den Verwaltungsräten von Post, SBB und Swisscom zur Verfügung gestellt werden. Dass eine Informationsasymmetrie zwischen Unternehmen und Eigner besteht, heisst nicht von selbst, dass diese in täuschender Absicht missbraucht wird. Vielmehr geht der Bundesrat davon aus, dass es im langfristigen Interesse beider Seiten liegt, die relevanten Informationen uneingeschränkt und unverfälscht auszutauschen, auch im Falle von Differenzen.

Dass die internationalen Vergleichsdaten zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Post, SBB und Swisscom dem Eigner durch diese selbst zugänglich gemacht werden, spricht nicht von vornherein gegen deren Qualität und Glaubwürdigkeit.

Überdies ist der Bundesrat nicht überzeugt, dass eine unabhängige externe Kontrolle des Informationsflusses an den Eigner ­ sofern überhaupt möglich ­ das zwingende Gegenstück zur Autonomie des Verwaltungsrates darstellt. Vielmehr sieht der Bundesrat in der Verantwortung des Verwaltungsrates das Pendant zu dessen Autonomie. Der Verwaltungsrat steht für seine Entscheidungen und Handlungen gerade, unabhängig davon, wieweit der Bundesrat im Vorfeld darüber im Bilde war. Kommt der Bundesrat zum Schluss, dass der Verwaltungsrat seine Verantwortung ungenügend wahrnimmt, stehen ihm die (in Leitsatz 22b des CG-Berichts festgehaltenen) aktienrechtlichen Sanktionsmittel zur Verfügung, namentlich die Zurückweisung des Geschäftsberichts, die Verweigerung der Entlastung des Verwaltungsrates, die Abwahl einzelner oder aller Mitglieder des Verwaltungsrates sowie Verantwortlichkeitsansprüche. Diese Sanktionsmittel entfalten nach Auffassung des Bundesrates eine viel stärkere vorbeugende Wirkung gegen missbräuchliches Ausnützen der unvermeidlichen Informationsasymmetrie als jedes ­ mutmasslich vergebliche ­ Bemühen um eine unabhängige externe Überprüfung
des Informationsflusses.

Empfehlung 4: «Die GPK-N lädt den Bundesrat dazu ein, zu überprüfen, ob der regelmässige Informationsaustausch zwischen der Verwaltung und den drei Unternehmen Post, SBB und Swisscom systemkonform ist.» Der Bundesrat anerkennt die Folgerichtigkeit der Überlegung der GPK-N, dass bei einer auf unternehmensbezogene Ziele fokussierten Eignerstrategie ein regelmässiger Informationsaustausch zwischen Unternehmen und Bund nicht systemkonform wäre. Wieweit die strategischen Ziele erreicht wurden, liesse sich in diesem Fall einfach anhand des Geschäftsberichts überprüfen. Der Bund ist jedoch, wie oben erörtert, kein Finanzinvestor, sondern hält das Eigentum an Post, SBB und Swisscom vor allem als Gewährleister von deren Aufgaben im Bereich «systemrelevanter» Infrastrukturen des Service public. Im Steuerungsmodell des Bundes kommt folgerichtig den aufgabenbezogenen Zielen ein hoher Stellenwert zu. Dies ist kein Systemfehler, sondern eine notwendige Konsequenz der ­ im Fall von Swisscom im

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Jahr 2006 vom Parlament explizit bestätigten ­ politischen Entscheidung, auf eine vollständige Privatisierung dieser Unternehmen zu verzichten6.

Nun ist die Beurteilung, wieweit aufgabenbezogene Ziele erreicht wurden, ungleich schwieriger als die Überprüfung von unternehmensbezogenen Zielen. Während sich Rendite und Risiko anhand von Frankenbeträgen und weltweit standardisierten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen messen lassen, sind Aspekte wie Produktqualität, Innovationsfreudigkeit oder Kundenfreundlichkeit weit weniger klar fassbar.

Bei deren Definition und Beurteilung spielt unvermeidlich ein gewisses, auf Werturteilen basierendes Ermessen eine Rolle. Die daraus folgende Unschärfe und Willkürlichkeit bei der Einschätzung der unternehmerischen Leistungen und Risiken kann nur im direkten Dialog zwischen Eigner und Unternehmen abgebaut werden.

Die Eignergespräche sind daher aus Sicht des Bundesrates ein konstitutives Element des Steuerungsmodells: Sie ermöglichen es Unternehmen und Eigner, sich im konkreten Einzelfall gemeinsam über die nötige Priorisierung der strategischen Ziele zu verständigen, insoweit dies nicht zum Voraus möglich war. Dabei dienen diese Gespräche nicht allein den Interessen des Eigners, sondern auch jenen der Unternehmen, die sich notwendigerweise in einem politischen Umfeld bewegen und darauf angewiesen sind, dieses möglichst präzise einschätzen zu können.

Die Eignergespräche sind eine Begleiterscheinung des Umstandes, dass der Bund als öffentlicher Eigentümer von Post, SBB und Swisscom eine politische Mitverantwortung für deren Handlungen und Unterlassungen trägt. Ohne regelmässigen, vertieften Informationsaustausch mit der Unternehmensführung wäre der Bundesrat nicht in der Lage, parlamentarische Vorstösse sowie Anfragen von Medien oder Bürgerinnen und Bürgern im Zusammenhang mit Post, SBB und Swisscom zu beantworten ­ umso mehr, als sich die überwiegende Mehrzahl solcher Auskunftsbegehren auf aufgabenbezogene Aspekte von deren Geschäftstätigkeit bezieht. Es wäre kaum zu erwarten, dass von solchen Vorstössen und Anfragen an den Bundesrat Abstand genommen würde, wenn die Eignerstrategie des Bundes konsequent auf unternehmensbezogene Ziele ausgerichtet würde.

Empfehlung 5: «Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, strenge Voraussetzungen für Abweichungen vom Steuerungsmodell
durch konkrete Eingriffe des Bundes zu schaffen.» Der Bundesrat stimmt mit der GPK-N überein, dass es im Verlauf der bisherigen Erfahrungen mit dem Steuerungsmodell vereinzelt Situationen gegeben hat, in denen der Bundesrat indirekt ­ und ein einziges Mal auch direkt mittels expliziter Instruktion des Staatsvertreters im Verwaltungsrat von Swisscom ­ Einfluss auf die Entscheidungen des Verwaltungsrates nahm. Aus Sicht des Bundesrates ist dies jedoch nicht als Abweichung vom Steuerungsmodell zu werten. Vielmehr widerspiegeln diese Fälle die Tatsache, dass der Bund als Eigentümer von Post, SBB und Swisscom eine politische Mitverantwortung für deren Handlungen trägt. Nach der festen 6

Der Informationsaustausch des Bundes mit der börsenkotierten Swisscom AG erfolgt unter Berücksichtigung des Prinzips der Gleichbehandlung aller Aktionärinnen und Aktionäre gemäss Artikel 717 Absatz 2 des Obligationenrechts (vgl. Zusatzbericht des Bundesrates vom 25. März 2009 zum Corporate-Governance-Bericht).

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Überzeugung des Bundesrates wäre es von grossen Teilen der Bevölkerung ­ und auch von einer Mehrheit des Parlaments ­ nicht verstanden worden, wenn sich der Bundesrat geweigert hätte, zu Briefzentren, Poststellen, dem Streik in Bellinzona oder dem Auslandengagement von Swisscom Stellung zu nehmen.

Abgesehen von diesem politischen Aspekt ist aus systematischer Sicht zu berücksichtigen, dass viele ­ besonders aufgabenbezogene ­ strategische Ziele des Bundes notwendigerweise weit gefasst sind und Interpretationsspielräume offenlassen. Die im Bericht der GPK-N aufgeführten Einzelfälle beziehen sich auf Situationen, in denen es zu Abweichungen zwischen der Interpretation von Verwaltungsrat und Bundesrat in Bezug auf bestimmte strategische Ziele kam. Die Deutungshoheit über die strategischen Ziele des Bundesrates liegt unbestritten beim Bundesrat. Es war also legitim, wenn der Bundesrat in diesen Situationen seine tatsächlichen Absichten und Erwartungen gegenüber dem Unternehmen, soweit sie im Wortlaut der strategischen Ziele unvollständig zum Ausdruck gekommen oder vom Verwaltungsrat nicht korrekt erfasst worden waren, mittels einer Mitteilung an den Verwaltungsrat präzisierte ­ sei es im Rahmen eines Eignergesprächs, eines Schreibens an den Präsidenten des Verwaltungsrates oder einer Instruktion des Staatsvertreters im Verwaltungsrat. Er hätte dies auch durch die Änderung der strategischen Ziele tun können, was im Sinne der Empfehlung 5 der GPK-N keine Abweichung vom Steuerungsmodell wäre. Da dem Bundesrat diese Möglichkeit ­ von der er übrigens im Fall des erwähnten Auslandengagements von Swisscom Gebrauch machte ­ immer offensteht, kann Empfehlung 5 der GPK-N aus systematischer Sicht als erfüllt betrachtet werden.

In der Summe hält der Bundesrat fest, dass sich die Auseinandersetzung mit der Corporate-Governance-Praxis des Bundes im Kern um die Frage dreht, inwieweit der Bund ­ als notwendige Begleiterscheinung seines politisch begründeten Eigentums an den Service-public-Unternehmen und damit seiner politischen Mitverantwortung für deren Tätigkeit ­ aufgabenbezogene Ziele zum Gegenstand seiner Eignerstrategie gegenüber Post, SBB und Swisscom machen soll. Der Bundesrat ist überzeugt, dass die Festlegung aufgabenbezogener Ziele untrennbar mit dem Bundeseigentum verbunden ist. Er scheint diese Auffassung
mit einer Mehrheit des Parlaments zu teilen, wie die Überweisung des Postulats 07.3775 nahelegt. Ein Rückzug der Eignersteuerung auf rein unternehmensbezogene Belange käme aus Sicht des Bundesrates faktisch einem Privatisierungsauftrag gleich. Von der Klärung dieser Grundsatzfrage hängt es ab, inwieweit die gelebte Corporate-GovernancePraxis als systemkonform im Sinne des allgemeinen Steuerungsmodells empfunden wird. Der Bundesrat ist gerne bereit, diese Grundsatzfrage in weiteren Diskussionen mit der GPK-N zu vertiefen.

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