12.066 Botschaft zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention) sowie zu seiner Umsetzung (Änderung des Strafgesetzbuchs) vom 4. Juli 2012

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (sog. Lanzarote-Konvention) und über seine Umsetzung (Änderung des Strafgesetzbuchs).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2009 M 07.3449

Virtueller Kindsmissbrauch im Internet. Neuer Straftatbestand (N 21.6.2007, Amherd; S 23.9.09)

2010 M 09.3449

Unmündige Sexarbeiterinnen und -arbeiter. Strafbare Freier (N 30.4.2009, Kiener Nellen; S 29.11.10)

2011 M 10.3143

Kinderprostitution eindämmen (N 17.3.2010, Amherd; S 7.6.11)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. Juli 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2011-1556

7571

Übersicht Das Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (sog. LanzaroteKonvention) ist am 1. Juli 2010 in Kraft getreten. Es ist die erste und bislang einzige internationale Konvention, welche die verschiedenen Formen sexuellen Kindsmissbrauchs umfassend regelt. Die Schweiz erfüllt die Anforderungen des Übereinkommens bereits weitgehend. Einzelne materielle Anpassungen des Strafgesetzbuchs sind hingegen notwendig.

Die Konvention verfolgt das Ziel, die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu stärken und Kinder vor solchen Übergriffen zu schützen. Im Zentrum stehen dabei die Rechte der minderjährigen Opfer und deren Schutz. Die Konvention enthält zum einen materielle Strafbestimmungen, namentlich im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern, der Kinderprostitution, der Kinderpornografie und der Mitwirkung von Kindern an pornografischen Darbietungen. Zugleich berücksichtigt sie neue Technologien und Begehungsformen von Sexualstraftaten; so muss auch das sogenannte «Grooming» unter Strafe gestellt werden. Mit dem Ziel, den Kindersextourismus wirksam zu bekämpfen, sollen zudem bestimmte Straftaten verfolgt werden, auch wenn diese im Ausland begangen wurden und dort nicht strafbar sind. Zum anderen werden präventive Massnahmen vorgesehen. Die Vertragsstaaten werden namentlich dazu verpflichtet, Präventions- und Interventionsprogramme für Sexualstraftäter sowie Massnahmen bei der Rekrutierung und Weiterbildung von Personen, die in direktem Kontakt mit Kindern arbeiten, vorzusehen, Programme zur Unterstützung der Opfer bereitzustellen sowie Telefon- und Internet-Helplines für Kinder einzurichten. Zudem sieht das Übereinkommen Bestimmungen über das Strafverfahren vor. Hier ist insbesondere sicherzustellen, dass Kinder als Opfer im Strafprozess geschützt werden, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Identität und ihre Privatsphäre. Schliesslich behandelt die Konvention die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Vertragsparteien, die schnell und effizient abzuwickeln ist.

Das schweizerische Recht vermag den Erfordernissen der Konvention über weite Strecken zu genügen. Es gibt allerdings Bereiche, in denen dies nicht der Fall ist.

Die Inanspruchnahme sexueller Dienste
Minderjähriger zwischen 16 und 18 Jahren gegen Entgelt wird, auch in Erfüllung der vom Parlament überwiesenen Motionen Kiener Nellen (09.3449, Unmündige Sexarbeiterinnen und -arbeiter. Strafbare Freier), sowie Amherd (10.3143, Kinderprostitution eindämmen), strafbar erklärt (Art. 196 E-StGB). Ferner wird die Förderung der Prostitution Minderjähriger (Art. 195 Bst. a zweiter Halbsatz E-StGB) kriminalisiert. Im Bereich der Kinderpornografie erweist es sich als notwendig, Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr vor der Mitwirkung an sexuellen Darstellungen zu schützen (Art. 197 Abs. 4 und 5 E-StGB). Sodann ist auch das Anwerben und Veranlassen einer minderjährigen Person zur Mitwirkung an pornografischen Vorführungen (Art. 197 Abs. 3 E-StGB) strafbar zu erklären. Zudem übernimmt der Entwurf Änderungen an Artikel 197 StGB, die bereits im Rahmen des Vorentwurfs zum Bundesgesetz über die Harmoni-

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sierung der Strafrahmen im Strafgesetzbuch, im Militärstrafgesetz und im Nebenstrafrecht vorgeschlagen worden sind, so namentlich die Bestrafung der Konsumentinnen und Konsumenten harter Pornografie. Hinzu kommen geringfügige Anpassungen in Artikel 5 Absatz 1 StGB (Straftaten gegen Unmündige im Ausland) und in Artikel 97 Absatz 2 StGB (Verfolgungsverjährung), die aufgrund der vorerwähnten neuen Straftatbestände vorzunehmen sind. Letztere bedingen auch überwiegend technische Anpassungen in den Deliktskatalogen des Strafgesetzbuchs bezüglich Quellenschutz (Art. 28a StGB) sowie in der Strafprozessordnung bezüglich Quellenschutz der Medienschaffenden, Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs sowie verdeckte Ermittlung (Art. 172, 269 und 286 StPO).

Das Ziel der Konvention, auf diesem wichtigen Rechtsgebiet die nationalen Gesetzgebungen im europäischen Raum und darüber hinaus zu harmonisieren, diese Art von Kriminalität auf einem europaweit vergleichbaren Standard zu verfolgen und die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten zu intensivieren und zu vereinfachen, liegt auch im Interesse der Schweiz.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Grundzüge des Übereinkommens 1.1 Ausgangslage und Entstehung des Übereinkommens 1.2 Überblick über den Inhalt des Übereinkommens 1.3 Würdigung des Übereinkommens 1.4 Das Vernehmlassungsverfahren 1.5 Erledigung parlamentarischer Vorstösse 1.6 Verhältnis zum Recht der Europäischen Union

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2 Die Bestimmungen des Übereinkommens und ihr Verhältnis zum schweizerischen Recht 2.1 Kapitel I: Zweck, Nicht-Diskriminierungsklausel und Definitionen 2.1.1 Art. 1 Zweck 2.1.2 Art. 2 Nichtdiskriminierungsgrundsatz 2.1.3 Art. 3 Begriffsbestimmungen 2.2 Kapitel II: Präventive Massnahmen 2.2.1 Art. 4 Grundsätze 2.2.2 Art. 5 Beschäftigung, Ausbildung und Sensibilisierung von Personen, die bei ihrer Arbeit Kontakt zu Kindern haben 2.2.3 Art. 6 Erziehung der Kinder 2.2.4 Art. 7 Präventive Interventionsprogramme oder -massnahmen 2.2.5 Art. 8 Massnahmen für die Öffentlichkeit 2.2.6 Art. 9 Beteiligung von Kindern, des privaten Sektors, der Medien und der Zivilgesellschaft 2.3 Kapitel III: Spezialisierte Behörden und koordinierende Körperschaften 2.3.1 Art. 10 Nationale Massnahmen zur Koordination und Zusammenarbeit 2.4 Kapitel IV: Schutzmassnahmen und Opferhilfe 2.4.1 Art. 11 Grundsätze 2.4.2 Art. 12 Anzeige eines Verdachts auf sexuelle Ausbeutung oder sexuellen Missbrauch 2.4.3 Art. 13 Beratungsangebote 2.4.4 Art. 14 Unterstützung der Opfer 2.5 Kapitel V: Interventionsprogramme oder -massnahmen 2.5.1 Art. 15 Allgemeine Grundsätze 2.5.2 Art. 16 Adressaten der Interventionsprogramme und -massnahmen 2.5.3 Art. 17 Aufklärung und Zustimmung 2.6 Kapitel VI: Materielles Strafrecht 2.6.1 Art. 18 Sexueller Missbrauch 2.6.2 Art. 19 Straftaten im Zusammenhang mit Kinderprostitution 2.6.2.1 Geltendes Recht 2.6.2.2 Revision des Strafgesetzbuchs (Art. 195 Bst. a und 196 E-StGB) 7574

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2.6.3 Art. 20 Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie 2.6.3.1 Ausgangslage 2.6.3.2 Revision des Strafgesetzbuches (Art. 197 Abs. 4­9 E-StGB) 2.6.4 Art. 21 Straftaten betreffend die Mitwirkung eines Kindes an pornografischen Darbietungen 2.6.4.1 Geltendes Recht 2.6.4.2 Revision des Strafgesetzbuchs (Art. 197 Abs. 3 E-StGB) 2.6.5 Art. 22 Unsittliches Einwirken auf Kinder 2.6.6 Art. 23 Kontaktanbahnung zu Kindern zu sexuellen Zwecken (sog. «Grooming») 2.6.6.1 Anforderungen der Konvention 2.6.6.2 Geltende Rechtslage in der Schweiz 2.6.6.3 Schaffung eines neuen Straftatbestandes?

2.6.7 Art. 24 Beihilfe, Anstiftung und Versuch 2.6.8 Art. 25 Gerichtsbarkeit 2.6.8.1 Anforderungen der Konvention und geltendes Recht 2.6.8.2 Revision des Strafgesetzbuches (Art. 5 Abs. 1 Bst. abis [neu] und c E-StGB) 2.6.9 Art. 26 Verantwortlichkeit juristischer Personen 2.6.10 Art. 27 Sanktionen und Massnahmen 2.6.11 Art. 28 Strafschärfungsgründe 2.6.12 Art. 29 Vorstrafen 2.7 Kapitel VII: Ermittlungen, Strafverfolgung und Verfahrensrecht 2.7.1 Art. 30 Grundsätze 2.7.1.1 Anforderungen der Konvention und geltendes Recht 2.7.1.2 Änderungen in den Deliktskatalogen des Strafgesetzbuchs (Art. 28a StGB) und der Strafprozessordnung (Art. 172, 269 und 286 StPO) 2.7.2 Art. 31 Allgemeine Schutzmassnahmen 2.7.3 Art. 32 Einleitung des Verfahrens 2.7.4 Art. 33 Verjährung 2.7.4.1 Geltendes Recht 2.7.4.2 Revision des Strafgesetzbuchs (Art. 97 Abs. 2 E-StGB) 2.7.5 Art. 34 Ermittlungen 2.7.6 Art. 35 Einvernahme des Kindes 2.7.7 Art. 36 Gerichtsverfahren 2.8 Kapitel VIII: Aufnahme und Aufbewahrung von Daten 2.8.1 Art. 37 Aufzeichnung und Speicherung nationaler Daten über verurteilte Sexualstraftäter 2.9 Kapitel IX: Internationale Zusammenarbeit 2.9.1 Art. 38 Allgemeine Grundsätze und Massnahmen der internationalen Zusammenarbeit 2.10 Kapitel X: Überwachungsmechanismus (Art. 39­41) 2.11 Kapitel XI: Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Übereinkünften (Art. 42­43)

7615 7615 7617 7622 7623 7624 7625 7625 7625 7626 7627 7628 7629 7629 7630 7631 7633 7634 7634 7635 7635 7635 7637 7637 7640 7641 7641 7642 7643 7643 7644 7645 7645 7646 7646 7647 7648

7575

2.12 Kapitel XII: Änderungen des Übereinkommens (Art. 44) 2.13 Kapitel XIII: Schlussbestimmungen (Art. 45­50)

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3 Ausführungen zur Änderung des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung sowie zum Militärstrafgesetz

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4 Auswirkungen 4.1 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund 4.2 Auswirkungen auf die Kantone

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5 Verhältnis zur Legislaturplanung

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6 Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit 6.2 Erlassform

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Bundesbeschluss über die Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention) sowie über seine Umsetzung (Änderung des Strafgesetzbuchs) (Entwurf)

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Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch

7659

7576

Botschaft 1

Grundzüge des Übereinkommens

1.1

Ausgangslage und Entstehung des Übereinkommens

Sexuelle Ausbeutung und sexueller Missbrauch von Kindern gehören zu den schlimmsten Formen von Gewalt überhaupt. Obwohl es keine umfassenden und verlässlichen Statistiken über sexuellen Missbrauch von Kindern in Europa gibt1, muss davon ausgegangen werden, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Anzahl der bei den Behörden gemeldeten Fälle und den tatsächlichen Fallzahlen besteht. Die in den Staaten des Europarats verfügbaren Daten zeigen deutlich, dass die Mehrheit der sexuellen Missbräuche von Kindern von Personen in deren engem sozialen Umfeld oder im Familienkreis begangen werden. Aus diesem Grund fällt es Kindern oft schwer, sich jemandem anzuvertrauen. Kinder sollen deshalb europaweit besser vor sexuellen Übergriffen geschützt werden.

Der Europarat setzt sich seit über 15 Jahren spezifisch für die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern ein. Er war insbesondere aktiv in die Weltkongresse gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern in Stockholm 1996, in Yokohama 2001 und in Rio de Janeiro 2008 involviert. Am 27. September 2002 hat die parlamentarische Versammlung des Europarats die Resolution 1307 (2002) über die sexuelle Ausbeutung von Kindern verabschiedet. Dieses politische Bekenntnis der Mitgliedstaaten des Europarats wurde am dritten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Warschau im Mai 2005 bestätigt. Bei dieser Gelegenheit wurde der Schutz von Kindern gegen alle Formen von Gewalt als Top-Priorität der Organisation bestimmt und ein Aktionsplan dazu verfasst. Im Anschluss daran hat der Europarat ein Programm «Building a Europe for and with children» ins Leben gerufen. Die beiden Hauptziele bestehen darin, nationale Strategien einerseits für den Schutz der Rechte des Kindes und andererseits für die Prävention der Gewalt gegen Kinder auszuarbeiten und umzusetzen.

Ein vom Ministerkomitee des Europarats eingesetztes Expertenkomitee arbeitete zwischen September 2006 und März 2007 das Europaratsübereinkommen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch aus. Der Vertrag wurde am 25. Oktober 2007 an der Justizministerkonferenz in Lanzarote zur Unterzeichnung aufgelegt (darum «Lanzarote-Konvention»). Die Schweiz hat das Übereinkommen am 16. Juni 2010 unterzeichnet. Die Konvention trat am 1. Juli 2010 in Kraft und wurde bisher von 18 Staaten ratifiziert2.

1

2

Für die Schweiz vgl. Statistik in Marcel Aebi / Cornelia Bessler: Sexuelle Straftaten von Minderjährigen, Ergebnisse einer empirischen Untersuchung im Kanton Zürich, in: Schweizerische Zeitschrift für Kriminologie (SZK), 1/2012.

Die Texte der Konvention und des erläuternden Berichts des Europarats zum Übereinkommen sind abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/EN/treaties/Html/201.htm.

7577

1.2

Überblick über den Inhalt des Übereinkommens

Das vorliegende Übereinkommen ist das erste und bisher einzige internationale Instrument, das die verschiedenen Formen sexuellen Kindsmissbrauchs umfassend strafbar erklärt. Es lehnt sich eng an den Rahmenbeschluss 2004/68/JI der Europäischen Union (EU) vom 22. Dezember 20033 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie (EU-Rahmenbeschluss) an. Ziel des Übereinkommens ist ein europaweiter, möglichst umfassender, auch präventiver Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Der Kampf gegen sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch von Kindern soll intensiviert und Kinder sollen generell vor dieser Art von Ausbeutung bewahrt werden. Im Zentrum stehen dabei die Rechte der minderjährigen Opfer und deren Schutz. Wichtiges Anliegen bei der Ausarbeitung der Konvention war die Schaffung eines Mehrwerts im Vergleich zu den zu diesem Thema bereits bestehenden internationalen Instrumenten zur Bekämpfung von Kinderprostitution und Kinderpornografie4.

Das Abkommen verpflichtet die Vertragsstaaten, insbesondere sexuellen Missbrauch von Kindern (Art. 18), Kinderprostitution (Art. 19), Kinderpornografie (Art. 20) sowie das Anwerben und Zwingen von Kindern zur Mitwirkung an pornografischen Darbietungen (Art. 21) unter Strafe zu stellen. Zugleich berücksichtigt es neue Technologien und Begehungsformen von Sexualstraftaten, insbesondere über das Internet. So muss auch das sog. «Grooming» unter Strafe gestellt werden (Art. 23).

Der Begriff «Grooming» im Sinne der Konvention bedeutet das gezielte Ansprechen von Kindern und Jugendlichen im Internet durch Erwachsene mit dem Ziel der Anbahnung sexueller Kontakte, sofern dem Vorschlag konkrete Handlungen für ein Treffen folgen, etwa indem der Täter am Treffpunkt erscheint. Die Vertragsstaaten haben ferner Massnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Begründung ihrer Gerichtsbarkeit über ihre Staatsangehörigen bezüglich einer Liste von abschliessend aufgezählten Delikten nicht davon abhängt, dass die entsprechenden Handlungen auch am Tatort strafbar sind (Art. 25 Abs. 4). Bezweckt wird mit dieser Bestimmung die wirksame Bekämpfung des Kindersextourismus. Ein weiterer Schwerpunkt des Übereinkommens liegt auf präventiven Massnahmen, die Sexualstraftaten an Kindern verhindern sollen (Art. 4­9,
15­17). So verpflichtet die Konvention die Vertragsstaaten namentlich zu Präventions- und Interventionsprogrammen für Sexualstraftäter sowie zur Ergreifung besonderer Massnahmen bei der Rekrutierung und Weiterbildung von Personen, die in direktem Kontakt mit Kindern arbeiten. Ferner enthält die Konvention Bestimmungen über den Opferschutz (Art. 11­14). Das Übereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten namentlich dazu, Programme zur Unterstützung von Opfern vorzusehen, Personen zu ermutigen, vermutete sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch zu melden, und Telefondienste und Internet-Hilfsstellen für Kinder einzurichten. Mit den Regelungen über das Strafverfahren (Art. 30­36) wird ausserdem sichergestellt, dass Kinder als Opfer in den Prozessen geschützt werden, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Identität und

3 4

ABl. L 13 vom 20.1.2004, S. 44.

Beispielhaft seien nur die wichtigsten erwähnt: UNO-Übereinkommen vom 20. Nov.

1989 über die Rechte des Kindes, SR 0.107; Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie, SR 0.107.2; Übereinkommen des Europarats vom 23. Nov. 2001 über die Cyberkriminalität, SR 0.311.43.

7578

ihre Privatsphäre. Ausserdem enthält die Konvention Regeln zur internationalen Zusammenarbeit (Art. 38) sowie einen Überwachungsmechanismus (Art. 39­41).

1.3

Würdigung des Übereinkommens

Die Lanzarote-Konvention zeichnet sich durch ihren ganzheitlichen und globalen Ansatz bei der Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen aus. In erster Linie sollen Kinder und Jugendliche besser vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch sowie vor dem Abgleiten in die Prostitution geschützt werden, und die Verfolgung von Kinderund Jugendpornografie soll verbessert werden. Das Ziel der Konvention, auf diesem wichtigen Gebiet die nationalen Gesetzgebungen im europäischen Raum und darüber hinaus zu harmonisieren, diese Art von Kriminalität auf einem europaweit vergleichbaren Standard zu verfolgen und die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten zu intensivieren und zu vereinfachen, liegt auch im Interesse der Schweiz.

1.4

Das Vernehmlassungsverfahren

Mit Beschluss vom 17. August 2011 hat der Bundesrat das Eidgenössische Justizund Polizeidepartement (EJPD) beauftragt, über den Vorentwurf der Änderungen des Strafgesetzbuchs (StGB) sowie über den erläuternden Bericht eine Vernehmlassung durchzuführen. Entsprechend hat das EJPD die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien sowie die interessierten Institutionen und Organisationen zur Stellungnahme bis zum 30. November 2011 eingeladen. Es gingen insgesamt 87 Vernehmlassungsantworten ein. 70 Vernehmlasser äusserten sich materiell zur Vorlage, 17 stimmten pauschal zu oder verzichteten auf eine Stellungnahme.

Die Umsetzung und Ratifizierung der Europaratskonvention stösst auf ungeteilte Zustimmung. Alle Kantone, politischen Parteien und Organisationen unterstützen den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen werden ebenfalls befürwortet, wobei jedoch verschiedene Fragen aufgeworfen und alternative Vorschläge gemacht werden. Auf die einzelnen Kommentare und die Kritikpunkte wird jeweils bei der Erörterung der betreffenden Bestimmungen eingegangen (vgl. unter Ziff. 2).

1.5

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

In den letzten Jahren sind im Parlament verschiedene Vorstösse zu den Themen Strafbarkeit der Freier minderjähriger Prostituierter und Grooming eingereicht worden. Die Motionen Kiener Nellen, Unmündige Sexarbeiterinnen und -arbeiter, Strafbare Freier (09.3449), und Amherd, Kinderprostitution eindämmen (10.3143), verlangen namentlich, dass die Inanspruchnahme sexueller Dienste von 16­18-jährigen Jugendlichen gegen Entgelt strafbar zu erklären sei. Beide Motionen wurden von beiden Räten angenommen. Zum selben Thema wurden die parlamentarischen Initiativen Barthassat (10.439) und Galladé (10.435) sowie die Standesinitiativen 7579

der Kantone Genf (10.311) und Wallis (10.320) eingereicht. Die beiden Motionen werden mit der Strafbarerklärung sexueller Handlungen mit Minderjährigen gegen Entgelt (vgl. unter Ziff. 2.6.2.2) erfüllt. Die Motion Amherd, Virtueller Kindsmissbrauch im Internet, neuer Straftatbestand (07.3449), verlangt namentlich die Strafbarerklärung des Grooming. Auch diese Motion wurde von beiden Räten angenommen. Sie wird mit dem Entscheid, auf einen separaten Tatbestand des Grooming zu verzichten (vgl. unter Ziff. 2.6.6.3), bzw. mit der Klärung der Frage, ob und inwieweit virtuelle pornografische Darstellungen strafbar sind (vgl. unter Ziff. 2.6.3.1, 2.6.3.2), gegenstandslos.

Die genannten drei Motionen sind daher abzuschreiben.

1.6

Verhältnis zum Recht der Europäischen Union

Die Umsetzung der Lanzarote-Konvention bereitet hinsichtlich der Vereinbarkeit des schweizerischen Rechts mit dem Recht der Europäischen Union keine Probleme.

Der bereits erwähnte EU-Rahmenbeschluss befasst sich mit denselben Themen wie die Konvention. Unter den Vertragsstaaten der Konvention befinden sich bereits etliche Mitgliedstaaten der EU, in verschiedenen anderen Mitgliedstaaten ist die Umsetzung des Übereinkommens im Gange.

2

Die Bestimmungen des Übereinkommens und ihr Verhältnis zum schweizerischen Recht

2.1

Kapitel I: Zweck, Nicht-Diskriminierungsklausel und Definitionen

2.1.1

Art. 1 Zweck

Das Übereinkommen bezweckt gemäss Artikel 1 die Verhütung und Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Abs. 1 Bst. a), den Schutz der Rechte der kindlichen Opfer (Abs. 1 Bst. b) sowie die Förderung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der verpönten Verhaltensweisen (Abs. 1 Bst. c). Um die wirksame Umsetzung des Übereinkommens durch die Vertragsparteien zu gewährleisten, ist ein Überwachungsmechanismus vorgesehen (Abs. 2).

2.1.2

Art. 2 Nichtdiskriminierungsgrundsatz

Der Nichtdiskriminierungsgrundsatz in Artikel 2 verpflichtet die Vertragsstaaten, bei der Umsetzung der Konvention die Opfer sexueller Ausbeutung oder sexuellen Missbrauchs ohne Rücksicht auf Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politische oder sonstige Anschauung, nationale oder soziale Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt, sexuelle Ausrichtung, Gesundheitszustand, Behinderung oder sonstigen Status gleich zu behandeln. Die Definition 7580

der Diskriminierung entspricht im Grundsatz jener von Artikel 14 der Konvention vom 4. November 19505 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

Der Nichtdiskriminierungsgrundsatz ist auch im schweizerischen Recht verankert.

Gemäss Artikel 8 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV)6 darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

Die Schweiz erfüllt damit die Voraussetzungen von Artikel 2.

2.1.3

Art. 3 Begriffsbestimmungen

Definition des Begriffs «Kind» Als «Kind» im Sinne dieser Konvention gilt jede Person unter 18 Jahren (Bst. a)7.

Diese Altersgrenze deckt sich mit der zivilrechtlichen Volljährigkeit, die in der Schweiz mit 18 Jahren eintritt8. Hingegen gilt im Sexualstrafrecht eine differenziertere Regelung. Gemäss Artikel 187 Ziffer 1 StGB tritt die sexuelle Mündigkeit mit 16 Jahren ein. Sexuelle Handlungen mit einem Kind sind durchgehend strafbar, wenn das Kind unter 16 Jahre alt und der Täter mehr als drei Jahre älter ist (Art. 187 Ziff. 1 und 2 StGB). Geschützt wird die ungestörte Entwicklung des Kindes, bis es die notwendige Reife erreicht hat, die es zur verantwortlichen Einwilligung in sexuelle Handlungen befähigt9. Verschiedene Tatbestände des Sexualstrafrechts weichen jedoch vom sexuellen Mündigkeitsalter ab und schützen stattdessen alle minderjährigen Personen, d.h. insbesondere auch die 16­18-Jährigen. So wird ungeachtet der sexuellen Mündigkeit des Opfers namentlich die Förderung der Prostitution unmündiger Personen (Art. 195 Abs. 1 StGB) strafrechtlich verfolgt, wenn das Opfer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Missbrauchstatbestände wie sexuelle Nötigung und Vergewaltigung werden sodann selbstverständlich unabhängig vom Alter des Opfers strafrechtlich geahndet. Das sexuell mündige Kind kann sich nach gel5

6 7

8 9

SR 0.101. Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziff. 41 ff. Der Nichtdiskriminierungsgrundsatz findet sich auch in anderen internationalen Übereinkommen, namentlich in der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (SR 0.120, Art. 1 Abs. 3) und in den beiden UNO-Menschenrechtspakten von 1966, nämlich dem Internationalen Pakt vom 16. Dez. 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) (SR 0.103.1, Art. 2 Abs. 2 und Art. 3) und dem Internationalen Pakt vom 16. Dez. 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) (SR 0.103.2, Art. 2 Abs. 1), sodann in weiteren universell gültigen Konventionen, die sich ganz spezifisch bestimmter Diskriminierungsprobleme annehmen.

SR 101 Vgl. auch UNO-Übereinkommen vom 20. Nov. 1989 über die Rechte des Kindes, SR 0.107; Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie, SR 0.107.2; Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 2005 zur Bekämpfung des Menschenhandels, von der Schweiz unterzeichnet am 8. September 2008.

Art. 14 des Zivilgesetzbuches, ZGB, SR 210.

Botschaft vom 26. Juni 1985 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie), BBl 1985 II 1065.

7581

tendem schweizerischem Recht jedoch prostituieren und an der Herstellung von Pornografie mitwirken. Voraussetzung ist, dass die sexuell mündige Person aus freiem Willen und in Kenntnis der gesamten Umstände in die Handlung eingewilligt hat. Es handelt sich dann um einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen sexuell mündigen Personen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass für die Abgrenzung der legalen von der strafbaren sexuellen Handlung mit einem Minderjährigen schon heute nicht nur das sexuelle Mündigkeitsalter (Schutzalter) von Bedeutung ist, sondern auch die Art der sexuellen Handlung sowie der Altersunterschied zwischen den Beteiligten und die Frage, ob die Einwilligung freiwillig und rechtsgültig erfolgte. Es ist dabei zu beachten, dass ein Kind unter Druck gesetzt, verleitet oder sonst wie beeinflusst werden kann, um seine Einwilligung in eine sexuelle Beziehung zu erwirken.

Dieses schweizerische Konzept vermag den Anforderungen der Konvention in weiten Teilen zu genügen. Es gibt jedoch Bereiche, in denen dies nicht der Fall ist. Namentlich betrifft dies die Inanspruchnahme sexueller Dienste Minderjähriger zwischen 16 und 18 Jahren gegen Entgelt (Art. 196 E-StGB) sowie die Förderung der Prostitution Minderjähriger, in der Absicht daraus Vermögensvorteile zu erlangen (Art. 195 Bst. a E-StGB), die nun strafbar erklärt werden sollen (vgl.

Ziff. 2.6.2.2). Weiter sind der persönliche Anwendungsbereich von Artikel 197 StGB (Pornografie) auf 18 Jahre zu erhöhen (Art 197 Abs. 4 und 5 E-StGB, vgl.

Ziff. 2.6.3.2) und das Anwerben minderjähriger Personen für die Mitwirkung an pornografischen Vorführungen (Art. 197 Abs. 3 E-StGB, vgl. Ziff. 2.6.4.2) strafbar zu erklären10.

Änderung der Terminologie im schweizerischen Recht Im Rahmen der Revision des Kindesschutzrechts des ZGB11 werden im Bestreben nach einer einheitlichen Terminologie die Ausdrücke «unmündig/Unmündige» durch «minderjährig/Minderjährige» ersetzt. In diesem Zusammenhang werden namentlich in den folgenden Artikeln des Strafgesetzbuchs entsprechende Änderungen vorgenommen: Artikel 97 Absätze 2 und 4, 188 Ziffer 1 sowie 195. Die Randtitel der Artikel 5 und 187 StGB werden ebenfalls angepasst. Dies bedingt konsequenterweise eine entsprechende Formulierung bzw. Wortwahl der zu revidierenden Artikel 5 Absatz 1, 97 Absatz 2, 195
Buchstabe a, 196 und 197 StGB.

Definition der Begriffe «sexuelle Ausbeutung und sexueller Missbrauch von Kindern» Unter «sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch von Kindern» werden die in den Artikeln 18­23 der Konvention aufgeführten Tathandlungen verstanden (Bst. b).

10 11

Artikel 197 StGB wird neu gegliedert und nummeriert; in diesem Zusammenhang werden zudem die bisherigen Ziffern in Absätze umgewandelt (vgl. Ziff. 2.6.3.1).

Schweizerisches Zivilgesetzbuch (Erwachsenenschutz, Personenrecht, Kindesrecht), Änderung vom 19. Dez. 2008, in Kraft ab 1. Jan. 2013, AS 2011 725­774.

7582

Definition des Begriffs «Opfer» Als «Opfer» wird jedes Kind bezeichnet, das sexueller Ausbeutung oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt ist (Bst. c). Nach Artikel 1 des Opferhilfegesetzes vom 23. März 200712 (OHG) und Artikel 116 der Strafprozessordnung13 (StPO) gilt als Opfer jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist. Opferhilfe und besondere Rechte im Strafverfahren werden nur dann gewährt, wenn die Straftat zu einer solchen Beeinträchtigung der Integrität des Opfers geführt hat. Da die Konvention sich nicht über die Art der Schädigung des Opfers und die Voraussetzungen für die Leistung von Opferhilfe äussert, ist davon auszugehen, dass die Vertragsstaaten darüber frei legiferieren können. Insofern sind die Definitionen des OHG und der StPO mit der Konvention kompatibel.

2.2

Kapitel II: Präventive Massnahmen

Allgemeines Das Kapitel über präventive Massnahmen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch stellt einen wichtigen Bestandteil des Übereinkommens dar. Im Rahmen der Ausarbeitung der Konvention wurde übereinstimmend festgehalten, dass die effiziente Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern nur unter Einsatz von Programmen und durch die Bildung von Strukturen erreicht werden kann, welche zu einem frühen Zeitpunkt, also bereits bevor eine Straftat begangen wird, ihre Wirkung entfalten. Im Folgenden werden die entsprechenden Massnahmen der Schweiz, die aufgrund des föderalistischen Staatssystems sehr vielfältig sind, dargestellt.

2.2.1

Art. 4 Grundsätze

Gemäss Artikel 4 trifft jede Vertragspartei die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Massnahmen, um alle Formen der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu verhüten und Kinder davor zu schützen. Die Bestimmung hat programmatischen Charakter und ist im Kontext der nachfolgenden konkreten Bestimmungen zu sehen.

12 13

SR 312.5 SR 312

7583

2.2.2

Art. 5 Beschäftigung, Ausbildung und Sensibilisierung von Personen, die bei ihrer Arbeit Kontakt zu Kindern haben

Absatz 1 verpflichtet die Vertragsstaaten, Massnahmen zu ergreifen, um das Bewusstsein für den Schutz und die Rechte des Kindes bei denjenigen Personen zu schärfen, die regelmässig Kontakt mit Kindern in den Bereichen Erziehung, Gesundheit, Kinder- und Jugendschutz, Justiz, Strafverfolgung sowie im Zusammenhang mit Sport-, Kultur- und Freizeitaktivitäten haben. Nach Absatz 2 müssen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass die in Absatz 1 genannten Personen über angemessene Kenntnisse über die sexuelle Ausbeutung und den sexuellen Missbrauch von Kindern, über die Mittel, von Missbrauch betroffene Kinder zu identifizieren, sowie über die Möglichkeit zur Meldung von Verdachtsfällen (Art. 12 Abs. 2 Konvention) verfügen. Diese Bestimmung verlangt keine spezifische Ausbildung.

Betroffene Personen sollen die notwendigen Informationen erhalten, wobei der einzelne Staat entscheidet, wie dies geschehen soll14. Die Vertragsstaaten haben schliesslich gestützt auf Absatz 3 die erforderlichen Massnahmen zu treffen, damit Personen, die einen Beruf mit regelmässigem Kontakt mit Kindern ausüben (wollen), nicht wegen sexuellen Missbrauchs oder sexueller Ausbeutung von Kindern verurteilt worden sind. Die Bestimmung ist nicht bindend mit Bezug auf ausserberufliche oder ehrenamtliche Aktivitäten15.

Allgemeine Bemerkungen zur kantonalen Zuständigkeit Die Artikel 5 und 6 der Konvention überlassen es den Vertragsstaaten, ob sie gesetzgeberische oder sonstige Massnahmen zum präventiven Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch ergreifen wollen. Die Alternative von gesetzgeberischen oder sonstigen Massnahmen spielt für die Schweiz insofern eine Rolle, als aufgrund des föderalistischen Staatsaufbaus die Ergreifung präventiver Massnahmen im Wesentlichen im Kompetenzbereich der Kantone liegt, der Bund jedoch entsprechende Projekte zum Teil finanziell unterstützt.

Im Vorfeld der Unterzeichnung der Konvention wurde eine Anhörung der Kantone durchgeführt. Sie wurden eingeladen, sich zur Unterzeichnung der Konvention sowie zur Frage, ob und welche Anpassungen der kantonalen Rechtsgrundlagen notwendig seien, zu äussern. Die Kantone haben die Unterzeichnung der Konvention ausnahmslos befürwortet und vertraten die Auffassung, dass die Schweiz damit ein wichtiges Signal für einen verbesserten Schutz von
Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch setze. Es wurde kein oder nur ein geringer Revisionsbedarf bei den kantonalen Rechtsgrundlagen im Falle eines Beitritts zum Übereinkommen festgestellt. Elf Kantone haben sich dahingehend geäussert, dass auf kantonaler Ebene kein Handlungsbedarf bestehe. Die übrigen gingen von einem eher geringen, punktuellen Handlungsbedarf aus. Nur wenige Themenbereiche wurden vereinzelt als problematisch eingestuft16.

14 15 16

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziff. 56.

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziff. 57.

Vgl. dazu den Auswertungsbericht der Anhörung unter www.bj.admin.ch > Gesetzgebungsprojekte > Kriminalität

7584

Weiterbildung (Abs. 1 und 2) In mehreren Kantonen werden Anstrengungen unternommen, um die Weiterbildung von Fachpersonen zum Thema des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung zu verbessern. So führen die pädagogischen Hochschulen im Rahmen der Ausbildung und Weiterbildung von Lehrpersonen verschiedene Angebote zum Thema «Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Gewalt». Zur Sensibilisierung von Ärztinnen und Ärzten verschiedenster Fachrichtungen hat die Stiftung Kinderschutz Schweiz im März 2011 einen Leitfaden zu «Kindsmisshandlung ­ Kindesschutz» herausgegeben. Der Leitfaden zur Früherfassung von Kindesmisshandlung wurde bereits an 20 000 Ärztinnen und Ärzte verteilt. Ein weiterer Leitfaden für Fachpersonen, die im Kleinkindbereich arbeiten, ist in Erarbeitung. So besteht auf der Website der Stiftung Kinderschutz Schweiz z.B. eine Informationsseite mit dem Titel «Veranstaltungen und Weiterbildungsangebote», auf der die wichtigsten Kurse, Weiterbildungen und Veranstaltungen zum Kinderschutz in der Schweiz aufgeführt sind17. Zum Ziel des «Observatoire de la maltraitance envers les enfants» der Universität Lausanne gehören auch die Veranstaltung von Weiterbildungs- und Informationsanlässen für universitäre und nicht-universitäre Akteure sowie die Förderung wissenschaftlicher und pädagogischer Tätigkeiten im Bereich der Kindsmisshandlung18. Das «Institut universitaire Kurt Bösch» im Wallis19 bietet eine Reihe von Ausbildungen an (Zusammenarbeit zwischen dem Institut international des droits de l'enfant [IDE] des IUKB und der Universität Freiburg), die zu verschiedenen Masters und Diplomen im Bereich Kinderrechte und -schutz führen. Der Kanton Luzern fördert und unterstützt die Fort- und Weiterbildung im Bereich des Kinderschutzes mit der Fachstelle Kinderschutz. Das Kinderschutzzentrum des Kantons St. Gallen organisiert verschiedene Weiterbildungen auf dem Gebiet des Kinderschutzes und der Gewaltprävention20. Andere Kantone verfügen ebenfalls über Weiterbildungsangebote in diesem Bereich.

Auch Nichtregierungsorganisationen21 bieten Schulungen zum Thema der Prävention des sexuellen Missbrauchs und der Misshandlung von Kindern an.

Auf dem Gebiet der Opferhilfe unterstützt der Bund Personalschulungen finanziell, der Bereich der Anhörung von Kindern eingeschlossen. Auch den Kinderpflegerinnen,
die gegenüber den Eltern eine wichtige Rolle bei der Prävention sexuellen Missbrauchs spielen, werden Weiterbildungen angeboten.

Ausserfamiliäre Betreuung (Abs. 1 und 2) Bei der ausserfamiliären Betreuung der Kinder ist es äusserst wichtig, dass die Personen und Einrichtungen, welche die Kinder betreuen, für diese Aufgabe geeignet sind. Die meisten Kantone stellen hohe Anforderungen an die Bewilligungs- und Aufsichtsbehörden und die bewilligungspflichtigen Leistungserbringer (Einzelpersonen, Einrichtungen, Vermittlungsstellen), um sicherzustellen, dass diese zur Ausübung ihrer Tätigkeit über die nötigen fachlichen und praktischen Kenntnisse und die erforderliche Erfahrung verfügen. Die professionellen Leistungserbringer müssen jährlich eine Weiterbildung absolvieren. Zudem besteht die Möglichkeit, 17 18 19 20 21

www.kinderschutz.ch www.unil.ch IUKB; www.iukb.ch www.kispisg.ch Z.B. Castagna oder Limita (www.castagna-zh.ch; www.limita-zh.ch).

7585

Tages- und Pflegeeltern Kurse besuchen zu lassen. Dabei werden die Themen Kindeswohl und Kinderschutz behandelt.

Der Erlass der Verordnung vom 19. Oktober 197722 über die Aufnahme von Kindern zur Pflege und Adoption (PAVO) stellte einen Meilenstein für den Kinderschutz dar. Da sich die Betreuungsformen seither vervielfältigt haben, hat der Bundesrat Vorschläge für eine neue Verordnung über die ausserfamiliäre Betreuung von Kindern erarbeitet, mit denen das Wohl der in einer Familie oder Einrichtung betreuten Kinder sowohl im Bereich der Tages- als auch in der Vollzeitbetreuung hätte sichergestellt werden sollen. Nachdem insbesondere die Vorschläge für die Tagesbetreuung in den beiden Vernehmlassungen von 2009 und 2010 sehr kritisch aufgenommen worden waren, hat sich der Bundesrat am 22. Februar 2012 für eine Teilrevision der PAVO entschieden. Das Ziel besteht darin, einige schwerwiegende Mängel des geltenden Rechts im Bereich der Vollzeitbetreuung möglichst rasch zu beseitigen. Es ist vorgesehen, die teilrevidierte PAVO mit dem neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht am 1. Januar 2013 in Kraft zu setzen.

Sehr wichtig für die frühzeitige Aufdeckung von Gewalt und sexuellem Missbrauch an Kleinkindern ist die Sensibilisierung und Ausbildung der Personen, die regelmässig in Kontakt mit den Kindern sind. In diesem Zusammenhang ist als Massnahme beispielsweise der Leitfaden zur Standardisierung des Verfahrens in Fällen von Kindsmisshandlung der Kommission für Kinderschutz des Kantons Zürich zu erwähnen23. Der Leitfaden konzentriert sich besonders auf das Verfahren bei Nachforschungen zu Fällen im Zusammenhang mit dem Kinderschutz durch die Kindesschutzbehörden, die Sozialdienste und andere. Ein weiteres Beispiel für eine solche Massnahme ist der jüngste Leitfaden des Kantons St. Gallen für das Vorgehen bei Gefährdung des Kindeswohls. Er richtet sich an Fachpersonen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und die Kindesschutzfälle führen24. Ähnliche Dokumente gibt es auch in anderen Kantonen.

Sensibilisierung von Eltern und anderen Betreuungspersonen (Abs. 1 und 2) Bei der Sensibilisierung der Eltern sowie der Personen, die Kinder bei Sport-, Kultur- und Freizeitaktivitäten betreuen, ist die Rolle der Nichtregierungsorganisationen (NGO) hervorzuheben. Einige NGO werden vom Bund subventioniert. Beispielhaft
seien folgende erwähnt: Im Bereich Familie und Kinder unterstützt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) die Organisation Pro Familia finanziell. Diese gibt einen Teil der Subventionen an verschiedene Institutionen weiter25. Des Weiteren unterstützt das BSV den Verband Kindertagesstätten der Schweiz (KiTaS), die Tagesfamilien Schweiz und den Internationalen Sozialdienst.

22 23

24 25

SR 211.222.338 Kommission für Kinderschutz Kanton Zürich: Leitfaden zur Standardisierung des Verfahrens in Fällen von Kindsmisshandlung, 5. Auflage, Amt für Jugend und Berufsberatung Kanton Zürich, Jugend und Familienhilfe, Zürich 2006.

Herausgeberin: Arbeitsgruppe Kindesschutz, Amt für Soziales, Koordination Kindesschutz, Kanton St. Gallen, Januar 2011.

Z.B. an den Schweizerischen Verband alleinerziehender Mütter und Väter, den Schweizerischen Bund für Elternbildung (SBE), den Schweizerischen Fachverband Mütter- und Väterberatung, die Schweizerische Vereinigung der Elternorganisationen (SVEO) und an «Schule und Elternhaus Schweiz».

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Im Bereich Kinder und Kinderschutz subventioniert das BSV Pro Juventute, Hilfe & Beratung 147, die Stiftung Kinderschutz Schweiz und den Verein Netzwerk Kinderrechte Schweiz.

Mit dem Kredit Kinderrechte unterstützt das BSV Projekte zur Bekanntmachung der UNO-Kinderrechtskonvention. Zielgruppen sind neben den Kindern Eltern und andere Betreuende. Im Jugendbereich werden grosse Verbände wie JungwachtBlauring, Pfadfinder, die Jungparteien, Studentenorganisationen oder die Organisation Infoklick, welche offene Angebote bereitstellt, mit einer Jahrespauschale unterstützt26.

Mit projektbezogenen Finanzhilfen wird eine Vielzahl nationaler und regionaler Projekte unterstützt27. Schweizweit tätige Dachverbände werden mittels einer Leistungsvereinbarung mit dem BSV unterstützt28. In der Ausbildung von Jugendleiterinnen und -leitern werden Jugendliche im Hinblick auf ihre Betreuungsfunktion im Jugendverband geschult. Diese Ausbildungen werden ­ analog zu den J+S-Kursen des Bundesamtes für Sport ­ vom BSV finanziert29. Vereinigungen bieten z.B.

Präventionsprogramme, Schulungsmodule und Beratungen für die Verantwortlichen von Freizeitorganisationen, für Clubs, Sporttrainerinnen und -trainer sowie Sportleiterinnen und -leiter, Musikschulen und die jeweiligen Freiwilligen an.

Sport (Abs. 1 und 2) Die Sportverbände bekämpfen sexuelle Übergriffe im Sport. Swiss Olympic und das Bundesamt für Sport (BASPO) liefern Informationen und eine praktische Unterstützung für Jugendliche, Trainerinnen und Trainer, Vereinsverantwortliche und Eltern.

Die entsprechende Internet-Plattform30 bietet Informationen und Ratschläge zur Prävention sowie eine Liste mit Beratungsstellen.

Der Bund unterstützt den Dachverband Swiss Olympic sowie die nationalen Sportverbände gestützt auf einen Leistungsauftrag mit jährlichen Beiträgen. Durch das Programm Jugend und Sport (J+S) werden Vereine und andere Sportorganisationen, die nach Vorgaben des Bundes Kurse und Lager (J+S-Angebote) mit Kindern und Jugendlichen durchführen, unmittelbar unterstützt. Das Bundesamt für Sport und Swiss Olympic haben gemeinsam eine Charta verabschiedet, die sieben Prinzipien für einen gesunden, respektvollen und fairen Sport beschreibt, darunter die Verpflichtung, gegen Gewalt, Ausbeutung und sexuelle Übergriffe vorzugehen. Der Bund verpflichtet Swiss Olympic
und die Verbände dazu, mindestens 15 Prozent der empfangenen Bundesbeiträge für die Umsetzung dieser Ethik-Charta einzusetzen.

Im Jahr 2004 wurde eine nationale Kampagne gegen Übergriffe im Sport lanciert.

Daraus resultierten unter anderem umfangreiche Informationsmaterialien samt einem Interventionsschema für Vereine. Die Informationsmaterialien richten sich 26 27

28 29 30

Eine Übersicht über sämtliche Organisationen findet sich unter: www.bsv.admin.ch Z.B. Tagung zum Thema Mobbing im Jugendfreizeitbereich («Häsch Problem, Mann?») der Cevi Schweiz, die «Aktion 72 Stunden» der SAJV, Radioworkshops für Jugendliche von Klipp & Klang oder das Projekt «Keine Daheimnisse» von NCBI, in welchem es um die Auseinandersetzung mit dem Thema Körperstrafen geht. Eine Übersicht über sämtliche Projekte findet sich unter:www.bsv.admin.ch.

Darunter der Dachverband offene Jugendarbeit, DOJ, und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände, SAJV.

www.bsv.admin.ch www.spiritofsport.ch

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stufengerecht an alle Beteiligten im Sportsystem (Jugendliche, Eltern, Trainer, Vereins- und Verbandsverantwortliche, Personal von Sportstätten usw.).

Verantwortlich für die Durchführung der J+S-Angebote sind die einzelnen Vereine.

Das BASPO trifft präventive und repressive Massnahmen, um den Schutz der an J+S-Angeboten teilnehmenden Kinder und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen zu erhöhen. Im Rahmen der Ausbildung von Leitungspersonen bietet J+S Ausbildungsgefässe zum Thema «Keine sexuellen Übergriffe» an. Es wurden sogenannte «Sensibilisierungsmodule» entwickelt, wonach die Teilnehmenden in den entsprechenden Themenbereichen sensibilisiert und mit wichtigen Informationen und Kontaktadressen bedient werden.

Diese Vielzahl von Massnahmen zeigt auf, welch grosse Bedeutung die Behörden und die Gesellschaft dem Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch beimessen. Den Vorgaben von Artikel 5 Absätze 1 und 2 der Konvention wird damit entsprechend Genüge getan.

Ausschluss von Personen, die wegen sexuellen Missbrauchs oder sexueller Ausbeutung von Kindern verurteilt worden sind, von der Ausübung eines Berufs mit regelmässigem Kontakt mit Kindern (Abs. 3) Die folgenden Ausführungen betreffen Massnahmen, die der Bund im Bereich des Strafrechts getroffen hat. Die Möglichkeiten des Bundes, mit strafrechtlichen Mitteln in den Bereich der Berufsausübung einzugreifen, sind aufgrund der in der BV festgelegten Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen beschränkt. Die Gerichte können gestützt auf Artikel 67 StGB und Artikel 50 MStG ein Berufsverbot verhängen. Die Gerichte und die Strafvollzugsbehörden haben zudem die Möglichkeit, in Form von Weisungen Einfluss auf berufliche und ausserberufliche Tätigkeiten des Verurteilten zu nehmen sowie Kontakt- und Rayonverbote zu verhängen.

Weisungen können allerdings nur für die Dauer einer Probezeit31 oder einer ambulanten Massnahme32 erteilt werden. Die Erteilung von Weisungen wird zudem ausschliesslich in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt33. Schliesslich sind auch im Jugendstrafgesetz vom 20. Juni 200334 (JStG) Weisungsmöglichkeiten vorgesehen, die ein Tätigkeits-, ein Kontakt- oder Rayonverbot umfassen können.

Sie können für die Dauer der Probezeit in Verbindung mit einem Verweis35, für die Dauer der Probezeit nach der
bedingten Entlassung aus dem Freiheitsentzug36 oder im Zusammenhang mit einer bedingten oder teilbedingten Strafe37 erteilt werden.

Der Bundesrat hat am 23. Februar 2011 eine Vorlage zur Ausdehnung des strafrechtlichen Berufsverbotes in die Vernehmlassung geschickt38. Die Kantone, politischen Parteien und interessierten Organisationen wurden eingeladen, bis zum 31. Mai 2011 zu den vorgeschlagenen Neuerungen Stellung zu nehmen. Vorgeschlagen wird die Einführung eines neuen Tätigkeitsverbots, das sowohl berufliche als auch ausserbe31

32 33 34 35 36 37 38

Im Zusammenhang mit einer bedingten oder teilbedingten Strafe sowie einer bedingten Entlassung aus einer freiheitsentziehenden Sanktion, Art. 44 Abs. 2, 62 Abs. 3, 64a Abs. 1, 87 Abs. 2 StGB.

Art. 63 Abs. 2 StGB Vgl. Art. 94 und 95 StGB SR 311.1 Art. 22 Abs. 2 JStG Art. 29 Abs. 2 JStG Art. 35 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 29 JStG www.bj.admin.ch > Gesetzgebungsprojekte > Kriminalität > Ausweitung des Berufsverbots.

7588

rufliche Tätigkeiten erfasst, eines Kontakt- und Rayonverbots sowie eines obligatorischen Strafregisterauszugs für Personen, die eine Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen oder mit anderen schutzbedürftigen Personen ausüben wollen. Es ist vorgesehen, dass im Verlaufe des Jahres 2012 unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens eine Botschaft an das Parlament ausgearbeitet wird.

Der Verein «Marche blanche» hat die eidgenössische Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen» eingereicht. Diese schlägt einen neuen Verfassungsartikel vor39, wonach Personen, die verurteilt werden, weil sie die sexuelle Unversehrtheit eines Kindes oder einer abhängigen Person beeinträchtigt haben, endgültig das Recht verlieren, eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen auszuüben. Die am 20. April 2011 eingereichte Volksinitiative ist formell zustande gekommen40.

In das neue Sportförderungsgesetz41 wurde eine Bestimmung aufgenommen, die das BASPO verpflichtet, den strafrechtlichen Leumund von J+S-Kaderpersonen zu überprüfen, sofern ein Verdacht auf begangene Straftaten besteht, dies gerade auch im Zusammenhang mit allfälligen Delikten gegen die sexuelle Integrität. Mit dem neuen Sportförderungsgesetz werden zudem verbesserte gesetzliche Grundlagen geschaffen, um Sexualstraftäterinnen und -täter von Leitungstätigkeiten im Bereich Jugend und Sport ausschliessen zu können. Die eidgenössischen Räte haben am 17. Juni 2011 in den Schlussabstimmungen dem neuen Sportförderungsgesetz zugestimmt42.

Mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen wird die Verpflichtung nach Artikel 5 Absatz 3 der Konvention umgesetzt.

2.2.3

Art. 6 Erziehung der Kinder

Gestützt auf diese Bestimmung haben die Vertragsstaaten die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Kinder während ihrer Schulzeit in Grundschulen und in weiterführenden Schulen ihrem Entwicklungsstand entsprechend über die Gefahren sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs sowie über die Möglichkeiten, sich davor zu schützen, aufgeklärt werden. Ein spezielles Augenmerk ist dabei auf die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zu richten.

Zuständigkeiten Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig (Art. 62 BV). Der Bund erlässt Vorschriften über die Berufsbildung (Art. 63 BV). Ferner gibt es auf Bundesebene verschiedene Initiativen in diesem Bereich. Im Rahmen der Anhörung der Kantone wurde Artikel 6 überwiegend als unproblematisch eingestuft43.

39 40 41 42 43

Art. 123c BV.

BBl 2011 4435 Totalrevision des BG vom 17. März 1972 über die Förderung von Turnen und Sport (SR 415.0) BBl 2011 4893 Vgl. dazu auch die Ausführungen unter Ziff. 2.2.2, allgemeine Bemerkungen zur kantonalen Zuständigkeit.

7589

Information und Prävention in den Schulen Die Information über die Misshandlung und den sexuellen Missbrauch von Kindern sowie über die Rechte der Kinder ist Teil der Schulprogramme. Die Information über die Rechte der Kinder ist ein integraler Bestandteil des Lehrplans der französischsprachigen Schweiz44. Mit dem Lehrplan 21 erarbeiten die Deutschschweizer Erziehungsdirektorinnen und -direktoren zurzeit gemeinsam einen Lehrplan, der die Kinderrechte ab 2014 ebenfalls integriert. Private Vereine und Gesundheitsteams arbeiten mit den Schulen zusammen und behandeln das Thema des sexuellen Missbrauchs und der Achtung des Körpers. Das BSV unterstützt seit 2007 die Herstellung von Lehrmaterial zu den Kinderrechten mit einem finanziellen Beitrag aus dem Kredit Kinderrechte. Diese Fragen werden auch im Rahmen des Sexualunterrichts in der Schule behandelt. Die Schulen verfügen über Beratungsstellen für die Fälle von Misshandlung oder ganz allgemein über einen Gesundheitsdient oder einen psychologischen Dienst, der den Kindern als erste Anlaufstelle dienen soll. In verschiedenen Kantonen werden Präventionsmassnahmen ergriffen (Broschüren, Informationsanlässe, Rundschreiben, Ausbildung der Lehrpersonen, Leiterinnen und Leiter sowie Erzieherinnen und Erzieher, Theater, Filme, Wanderausstellungen usw.)45.

Ein in den Schulen sehr erfolgreiches Präventionsprojekt ist die interaktive Ausstellung für Kinder «Mein Körper gehört mir!». Das Projekt der Stiftung Kinderschutz Schweiz richtet sich an die 2. bis 4. Klasse der Primarschulen. Die Ausstellung bietet den Mädchen und Knaben einen Rahmen zum spielerischen und aktiven Umgang mit dem Thema der sexualisierten Gewalt und des sexuellen Missbrauchs.

Sie soll die Fähigkeiten der Kinder und ihre Rechte stärken und ihnen Handlungsoptionen aufzeigen. Das Projekt umfasst ein Weiterbildungsmodul für die Lehrpersonen und einen Informationsanlass für die Eltern. Die Lehrpersonen erhalten auch Unterlagen, um das Thema im Unterricht zu behandeln46.

An immer mehr Schulen sind Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter angestellt.

Damit werden die Kompetenz und die Kapazität für die Intervention und Prävention im sozialen Bereich und bei individuellen Entwicklungsproblemen ausgebaut und der Gewalt im schulischen und ausserschulischen Leben vorgebeugt. Nebst den schulischen
Angeboten für Kinder gibt es auf kantonaler Ebene auch diverse Angebote für Vorschulkinder und Eltern (Information, Bildung, Beratung, Therapie).

Präventions- sowie Kinder- und Jugendschutzprogramme auf Bundesebene Im Jahr 2008 verabschiedete der Bundesrat den Bericht «Strategie für eine schweizerische Kinder- und Jugendpolitik», in dem die drei Säulen seiner Strategie ­ Schutz, Förderung und Mitwirkung ­ definiert werden47.

2009 verabschiedete der Bundesrat den Bericht «Jugend und Gewalt ­ Wirksame Prävention in den Bereichen Familie, Schule, Sozialraum und Medien»48. Der Bundesrat hat zwei nationale Programme lanciert sowie einen Kredit von 8,5 Millionen Franken für deren Verwirklichung innerhalb von fünf Jahren gesprochen (2011­ 44

45 46 47 48

Plan d'étude romand: «L'École publique assume sa mission de formation en organisant l'action des enseignants et enseignantes» et des établissements scolaires sur la base des droits de l'Enfant.

Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 8 der Konvention.

www.kinderschutz.ch; vgl. auch die Ausführungen zu Art. 8 der Konvention.

www.bsv.admin.ch > themen > Jugendförderung www.ejpd.admin.ch > themen > kriminalität > jugendgewalt

7590

2015). Beide Programme werden vom BSV umgesetzt. Das erste nationale Programm «Jugend und Gewalt» setzt den Akzent auf die Prävention von Gewalttaten, die von Jugendlichen ausgeführt werden. Zusammen mit den Kantonen, Städten und Gemeinden soll die Grundlage für eine wirksame nationale Gewaltprävention in den Themenbereichen Familie, Schule und sozialer Raum geschaffen werden.

Das zweite nationale Programm «Jugendmedienschutz und Medienkompetenzen» verfolgt das Ziel, den sicheren, verantwortungsvollen und altersgerechten Umgang der Kinder und Jugendlichen mit den Medien zu fördern. Es soll auch die Eltern, Lehrpersonen und erwachsenen Bezugspersonen in ihrer begleitenden und erziehenden Funktion unterstützen. Der Bund hat in Zusammenarbeit mit der Medienbranche und den Medienunternehmen, den NGO und den zuständigen lokalen und kantonalen Stellen eine Austauschplattform geschaffen, um die Vernetzung der Praxis und den Wissenstransfer zwischen den verschiedenen Akteuren zu gewährleisten. Ein besonderer Fokus liegt auf der Erarbeitung von Strategien, mit denen die Risikogruppe der Jugendlichen mit einem problematischen Medienkonsumverhalten erreicht werden können. Eltern, Lehr- und Betreuungspersonen können über eine Internetplattform49 auf die in der Schweiz bestehenden Informations- und Schulungsangebote und -materialien zugreifen und sich über Jugendschutzmassnahmen informieren. Erfasst sind auch die Präventionsmassnahmen, die verschiedene Vereinigungen der Branche sowie Unternehmen wie Swisscom und Microsoft ergriffen haben. Zudem leisten in diesem Bereich Kinderschutz Schweiz/ECPAT, die Schweizerische Kriminalprävention (SKP) oder Action Innocence wichtige Beiträge.

Die Verordnung vom 11. Juni 201050 über Massnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie zur Stärkung der Kinderrechte bildet die Gesetzesgrundlage für Projekte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. In dieser Verordnung sind die gegenwärtigen Aufgaben des BSV geregelt. Sie umfasst Präventions-, Sensibilisierungs- und Informationsmassnahmen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen sowie Bestimmungen zur Stärkung der Kinderrechte. Dabei geht es vor allem um die Unterstützung solcher Massnahmen sowie um die Zusammenarbeit mit den betreffenden Organisationen.

Die Massnahmen sollen namentlich dazu beitragen, dass Kinder vor
allen Formen von Gewalt, Misshandlung und sexuellem Missbrauch sowie vor den Gefahren im Zusammenhang mit den neuen Medien geschützt werden.

Schliesslich wird der Bundesrat in Beantwortung des Postulats Fehr51 im Verlaufe des Jahres 2012 einen Bericht mit Massnahmen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Gewalt in der Familie vorlegen.

Berufliche Grundbildung und Arbeitnehmerschutz Die berufliche Grundbildung stützt sich namentlich auf das Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 200252 und auf die Berufsbildungsverordnung vom 19. November 200353. Bestandteil jeder beruflichen Grundbildung bildet der allgemeinbildende 49 50 51 52 53

www.jugendundmedien.ch SR 311.039.1 Postulat Fehr Jacqueline, Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Gewalt in der Familie (07.3725).

SR 412.10 SR 412.101

7591

Unterricht an den Berufsfachschulen. Gemäss dem Rahmenlehrplan vom 27. April 2006 für den allgemeinbildenden Unterricht sollen die Jugendlichen sich besser kennen lernen, ihr Selbstwertgefühl steigern und ihre persönliche Identität im Kontext der Gesellschaft entwickeln. Dabei wird Sexualität als ein Thema im Zusammenhang mit der eigenen Persönlichkeit genannt. Der Umgang mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wird im Lernbereich Gesellschaft unter dem Aspekt Technologie thematisiert, wobei hier auch eine Sensibilisierung bezüglich gefährlicher Situationen stattfindet.

Die Sonderschutzvorschriften des Arbeitsgesetzes vom 13. März 196454 und das darauf abgestützte Verordnungsrecht55 zielen auf den Schutz der Jugendlichen in der Arbeitswelt ab. Der Arbeitgeber hat auf die Gesundheit der Jugendlichen gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen. Zudem kommt ihm im Falle einer sittlichen Gefährdung eines jugendlichen Arbeitnehmenden eine besondere Fürsorgepflicht zu. Jugendliche dürfen ferner nicht für gefährliche Arbeiten beschäftigt werden56. Arbeiten mit dem Risiko physischen, psychischen, moralischen oder sexuellen Missbrauchs, namentlich Prostitution, Herstellung von Pornografie oder pornografische Darbietungen, gelten für Jugendliche als gefährlich und sind demzufolge für diese verboten57.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Schweiz eine Vielzahl von Programmen, Aktivitäten und Vorschriften kennt, die den Anforderungen von Artikel 6 der Konvention genügen.

2.2.4

Art. 7 Präventive Interventionsprogramme oder -massnahmen

Die Vertragsparteien müssen sicherstellen, dass Personen, die befürchten, eine Straftat gemäss dieser Konvention zu begehen, soweit angemessen, Zugang zu wirksamen Interventionsprogrammen oder -massnahmen haben. Diese sollen dazu beitragen, die Gefahr der Begehung solcher Straftaten zu vermindern. Der Artikel bezieht sich auf Personen, die weder strafrechtlich verfolgt werden noch eine Strafe verbüssen58.

Im Juni 2010 wurde der Fachverband der Gewalttäterberatungsstellen Schweiz gegründet. Mit der Association «Vivre sans Violence» besteht eine Trägerschaft, die durch eine interkantonale Zusammenarbeit von verschiedenen auf Partnerschaftsgewalt spezialisierten Stellen ein spezialisiertes Internet-Beratungsangebot für Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche betreibt. Die Schweizerische Kriminalprävention führt eine Adressliste von Täterhilfeangeboten im Zusammenhang mit Kinderpornografie59. Zudem hat jede Person jederzeit die Möglichkeit, die Hilfe von

54 55 56 57 58 59

SR 822.11 Jugendarbeitsschutzverordnung vom 28. September 2007, ArGV 5, SR 822.115 sowie EVD-Verordnungen.

Art. 4 Abs. 1 ArGV 5.

Art. 1 der Verordnung des EVD vom 4. Dezember 2007 über gefährliche Arbeiten für Jugendliche, SR 822.115.2.

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention, Ziff. 64.

www.stopp-kinderpornografie.ch

7592

Psychiaterinnen oder Psychiatern, Psychologinnen oder Psychologen und Therapeutinnen oder Therapeuten in Anspruch zu nehmen.

In der Vernehmlassung wurde vereinzelt darauf hingewiesen, dass das geforderte Hilfsangebot zwar punktuell vorhanden, aber insgesamt ungenügend sei60. Da die Konvention die Verpflichtung, solche Angebote vorzusehen, relativiert («soweit angemessen») und keine spezifischen Modelle vorschreibt, genügen die bestehenden Angebote den Anforderungen, namentlich auch mit Blick darauf, dass es in der Praxis nur wenig solche Fälle gibt. Den Vertragsstaaten steht es frei, über die Minimalanforderungen der Konvention hinausgehen. Für die Bereitstellung solcher (zusätzlicher) Angebote sind die Kantone zuständig.

Den Anforderungen von Artikel 7 der Konvention wird insgesamt Genüge getan.

2.2.5

Art. 8 Massnahmen für die Öffentlichkeit

Jede Vertragspartei soll Sensibilisierungskampagnen zur Aufklärung der Öffentlichkeit über das Phänomen der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern und über mögliche präventive Massnahmen fördern oder organisieren (Abs. 1).

Aktivitäten zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit im Sinne der Konvention werden auf verschiedenen Ebenen unternommen.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und ECPAT Switzerland (Fachstelle gegen Kinderprostitution der Stiftung Kinderschutz Schweiz) lancierten 2010 die trilaterale «Kampagne zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung im Tourismus» zusammen mit Deutschland und Österreich. Das Ziel der Kampagne ist es, Kinder in Urlaubsländern vor sexueller Ausbeutung und Gewalt zu schützen. Im Zentrum stehen ein weiträumig verbreiteter Videospot und neue Möglichkeiten, Hinweise auf Verdachtsfälle per Internet zu melden. Dazu steht das weltweit erste Online-Meldeformular («Soupçons de tourisme sexuel impliquant des mineurs») dieser Art, das in der Schweiz in Zusammenarbeit von Bundesamt für Polizei (fedpol) und ECPAT Switzerland entwickelt wurde, zur Verfügung61. Dieses Formular, das seit dem 9. September 2008 aufgeschaltet ist, ermöglicht die Meldung von Ereignissen im Zusammenhang mit der Verletzung der sexuellen Integrität von Kindern durch Touristen.

Auf Bundesebene verfügt das BSV über einen Kredit «Kindesschutz» in der Höhe von rund 900 000 Franken pro Jahr. Es unterstützt damit in Form von Leistungsverträgen Organisationen, die auf gesamtschweizerischer Ebene im Bereich Kinderschutz tätig sind, so insbesondere die nationale Stiftung Pro Juventute Schweiz. Im Themenbereich der sexuellen Ausbeutung von Kindern unterstützt es die Stiftung Kinderschutz Schweiz, die Unternehmen der Tourismusbranche zu Fragen der kommerziellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen berät.

60 61

So beispielsweise ZH, Netzwerk Kinderrechte Schweiz, unicef, Stiftung Kinderschutz Schweiz und andere, vgl. Auswertungsbericht unter Ziff. 3.1.

www.stopchildsextourism.ch

7593

Die bei fedpol angesiedelte Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) wird von Bund und Kantonen gemeinsam geführt, um gegen die Internet-Kriminalität anzukämpfen, strafbare Missbräuche im Internet aufzudecken, die Untersuchungsvorgänge zu koordinieren und Analysen der Internetkriminalität vorzunehmen62. Sie führt jährlich mehrere Informationsveranstaltungen über ihre Tätigkeit durch. Zielpublikum sind Fachleute aus dem Gebiet der Rechtspflege (Gerichte, Staatsanwaltschaft, Polizei, Mitarbeitende der Justiz etc.), Schulen (Eltern, Lehrerschaft, Schülerinnen und Schüler) sowie fallweise auch ein breiteres Publikum.

Im Jahr 2010 haben die Stiftung Kinderschutz Schweiz und Action Innocence zusammen eine schweizweite Kampagne zur Prävention der mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien verbundenen Gefahren lanciert63. Herzstücke dieser Kampagne sind ein Online-Präventionsspiel für 9­12-Jährige und der dazugehörige Kampagnenbus, in dem man das Spiel unter fachkundiger Leitung spielen und gleichzeitig die Basisregeln für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet erlernen kann. Das Projekt musste Ende 2011 aus finanziellen Gründen eingestellt werden.

Das BAKOM hat im November 2010 die Broschüre «Geschichten aus dem Internet, die man selber nicht erleben möchte» publiziert64. Sie wurde in enger Zusammenarbeit mit der KOBIK, dem Eidgenössischen Büro für Konsumentenfragen (BFK), dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB), der Melde- und Analysestelle Informationssicherung (MELANI) und der Schweizerischen Kriminalprävention (SKP) erarbeitet. Die Broschüre ist eine der Umsetzungsarbeiten im Rahmen des Konzepts «Sicherheit und Vertrauen im Umgang mit den IKT», das unter der Federführung der Koordinationsstelle Informationsgesellschaft des BAKOM erarbeitet und vom Bundesrat am 11. Juni 2010 zur Kenntnis genommen wurde65.

Im Frühling 2010 hat die Schweizerische Kriminalprävention (SKP), eine von der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren ins Leben gerufene Institution, eine Broschüre für Eltern und Erziehungsberechtigte zum Thema «Jugend und Gewalt» veröffentlicht66. Darin werden Tipps und Hinweise dazu gegeben, was man tun kann, wenn ein Kind Opfer von Gewalt wurde oder wenn es gegenüber anderen
gewalttätig ist.

Verschiedene weitere vorgängig dargestellte Massnahmen und Programme67 tragen ebenfalls zur Aufklärung einer breiten Öffentlichkeit bei. Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, diese nochmals umfassend aufzulisten.

Nach Absatz 2 haben die Vertragsstaaten Massnahmen zu ergreifen, um die Verbreitung von Material, mit dem für Straftaten gemäss der Konvention geworben wird, zu verhüten oder zu verbieten.

Solche Tathandlungen können gegebenenfalls als Anstiftung zu den entsprechenden Straftaten geahndet werden. Zudem kommt die Anwendung von Artikel 259 StGB in Frage, wonach sich strafbar macht, wer öffentlich zu einem Verbrechen (Abs. 1) 62 63 64 65 66 67

www.cybercrime.admin.ch www.netcity.org www.bakom.admin.ch/themen/infosociety/03920/03923/index.html?lang=de www.bakom.admin.ch/themen/infosociety/03920/03923/index.html?lang=de www.skppsc.ch Vgl. dazu die Ausführungen zu Art. 4 ff. der Konvention.

7594

oder zu einem Vergehen mit Gewalttätigkeit gegen Menschen oder Sachen (Abs. 2) auffordert.

Die Anforderungen von Artikel 8 der Konvention werden damit erfüllt. Um die Sensibilisierung der Öffentlichkeit über das Thema des sexuellen Kindsmissbrauchs noch wirksamer zu gestalten, könnten bundesweit regelmässige Kampagnen durchgeführt werden. Diese würden jedoch die Planung und Budgetierung zusätzlicher Mittel erfordern.

2.2.6

Art. 9 Beteiligung von Kindern, des privaten Sektors, der Medien und der Zivilgesellschaft

Gemäss Absatz 1 soll eine dem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechende Beteiligung von Kindern an der Ausarbeitung und Umsetzung staatlicher Konzepte, Programme oder sonstiger Initiativen zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs gefördert werden.

Im Allgemeinen stehen den Kindern und Jugendlichen in der Schweiz verschiedene Möglichkeiten offen, sich zu beteiligen oder ihre Meinung zu äussern.

So gibt es in der Schweiz den Dachverband Schweizer Jugendparlamente68, der über mehr als vierzig kommunale, regionale und kantonale Jugendparlamente der verschiedenen Sprachregionen der Schweiz vereinigt und ihre Anliegen auf nationaler Ebene vertritt.

Auf Ebene der Gemeinden und Regionen gibt es auch Jugendkommissionen und -räte, und in bestimmten Gemeinden können die Jugendlichen der Kinder- oder Jugendparlamente in der Gemeindeversammlung Motionen einreichen oder Projektbudgets genehmigen (z.B. maximal 20 000 Franken pro Jahr). Das Mitentscheidungs- oder Mitbestimmungsrecht stellt jedoch nicht die Regel dar und die Partizipation ist oft darauf beschränkt, dass die Meinung der Kinder und Jugendlichen eingeholt wird. Im Jugendförderungsgesetz vom 6. Oktober 198969 hat das Thema der Beteiligung der Jugendorganisationen seinen Niederschlag gefunden.

Das neue Kinder- und Jugendförderungsgesetz wurde vom Parlament am 30. September 201170 angenommen und wird am 1. Januar 2013 in Kraft treten. Der Bund erhält durch das Gesetz die Möglichkeit, innovative Formen der ausserschulischen Arbeit und die offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entschiedener zu fördern, die Finanzhilfen stärker zu steuern, die Kantone bei der Weiterentwicklung von kinder- und jugendpolitischen Massnahmen zu unterstützen und die Zusammenarbeit zwischen den kinder- und jugendpolitischen Akteuren zu fördern. Ferner regelt es die Informations- und Koordinationsfunktion des BSV in der Kinder- und Jugendpolitik sowohl auf Bundessebene als auch in der Zusammenarbeit mit den Kantonen.

68 69 70

www.dsj.ch Jugendförderungsgesetz, JFG, SR 446.1 BBl 2011 7447

7595

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV)71 ist die Dachorganisation von rund 70 Jugendorganisationen der Schweiz und vertritt deren Anliegen in der Schweiz und auch international. Die SAJV war z.B. Teil der Begleitgruppe für die Arbeiten zur Revision des Jugendförderungsgesetzes. Mitglieder der SAJV nehmen auch an den Sitzungen der parlamentarischen Gruppe «Kinder und Jugend» teil. Auf nationaler Ebene werden die Interessen der Jugendlichen auch von den sechs Dachverbänden der Kinder- und Jugendarbeit vertreten. Diese werden vom Bund unterstützt und bei Gesetzgebungsprojekten angehört, so z.B. im Rahmen der Ausarbeitung des Berichts des Bundesrates über die schweizerische Kinder- und Jugendpolitik (2008).

Die Eidgenössische Jugendsession, die von der SAJV organisiert, von der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen begleitet und vom Bund finanziell unterstützt wird, ist seit 1991 im Parlamentsgebäude zu Gast. Nebst der Eidgenössischen Jugendsession im Winter finden in einem kleineren Rahmen im Sommer und im Herbst, kurz vor den ordentlichen Sessionen des Parlaments oder parallel dazu, zwei Sessionen statt. Die Jugendsessionen bieten die Möglichkeit, fast zeitgleich über die Themen zu debattieren, die in den eidgenössischen Räten auf der Tagesordnung stehen. So können die Jugendlichen der Eidgenössischen Jugendsession den Parlamentarierinnen und Parlamentariern als Referenzgruppe dienen. Ziel der Jugendsession ist es, die Interessen der Jugendlichen in der realen Politik zur Geltung zu bringen, Lobbying zu betreiben und Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu treffen und mit ihnen zu diskutieren.

Nach Absatz 2 sollen der private Sektor, insbesondere der Bereich der Informationsund Kommunikationstechnologie, die Tourismus- und Reisebranche, der Bankenund Finanzsektor, sowie die Zivilgesellschaft ermutigt werden, sich an der Prävention sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs zu beteiligen.

Namentlich dank eines finanziellen Beitrags des Bundes hat ECPAT Switzerland in der Schweiz den «Code of Conduct for the Protection of Children from Sexual Exploitation in Travel and Tourism» eingeführt, der 1998 in Zusammenarbeit mit der Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) ausgearbeitet wurde. Kuoni Travel Holding Ltd. und Hotelplan AG, zwei der grössten
Schweizer Touristikunternehmen, haben den Code of Conduct bereits übernommen und sich zum Kinderschutz und zur Bekämpfung der Ausbeutung von Minderjährigen im Sextourismus verpflichtet. ECPAT Switzerland und die Stiftung Kinderschutz Schweiz führen regelmässig Schulungen durch, um die Vertreterinnen und Vertreter der Tourismusbranche für den Kinderschutz und die Problematik des Sextourismus zu sensibilisieren und sie darüber zu informieren. In diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen ist die Kampagne des SECO und von ECPAT Switzerland zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung im Tourismus sowie das entsprechende Online-Meldeformular zur Meldung von Verdachtsfällen (vgl. dazu die Ausführungen unter Ziff. 2.2.5).

Der Schweizerische Verband der Telekommunikation (asut) verfügt über eine Branchenvereinbarung für verbesserten Jugendmedienschutz in den neuen Medien und zur Förderung der Medienkompetenz in der Gesellschaft vom Juni 2008. Sie wurde von den vier grossen Telekommunikationsanbieterinnen unterzeichnet72.

71 72

www.sajv.ch www.asut.ch

7596

Die Medien sollen ermutigt werden, in angemessener Weise über das Thema zu informieren, wobei die Unabhängigkeit der Medien und die Pressefreiheit gebührend zu beachten sind (Abs. 3).

Die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen wird im Rahmen von Artikel 17 BV gewährleistet. Veranstalter von Radio- und Fernsehprogrammen sind im Rahmen ihres Leistungsauftrages gehalten, die Grundrechte und insbesondere die Menschenwürde sowie die öffentliche Sittlichkeit zu beachten und sachgerecht zu informieren; zudem dürfen sie keine jugendgefährdenden Sendungen ausstrahlen73.

Gegen unsachgemässe Informationen über die Thematik des sexuellen Kindsmissbrauchs in einem schweizerischen Programm kann die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) auf Beschwerde hin einschreiten. Die Bundesverwaltung und die zuständigen kantonalen Stellen veröffentlichen regelmässig Medienmitteilungen über ihren Tätigkeitsbereich, wozu auch die Bekämpfung von sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch gehört.

Der Forderung von Artikel 9 Absatz 4 der Konvention, wonach die Vertragsparteien die Finanzierung von Projekten und Programmen der Zivilgesellschaft zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch, soweit angemessen durch die Einrichtung von Fonds, fördern, kommt die Schweiz im Rahmen zahlreicher vorgängig beschriebener Projekte und Massnahmen nach.

Die Schweiz genügt den Anforderungen von Artikel 9 der Konvention.

2.3

Kapitel III: Spezialisierte Behörden und koordinierende Körperschaften

2.3.1

Art. 10 Nationale Massnahmen zur Koordination und Zusammenarbeit

Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um die Koordinierung zwischen den verschiedenen zuständigen Behörden (Erziehungs- und Gesundheitswesen, Sozialdienste, Strafverfolgungs- und Justizbehörden) sicherzustellen (Abs. 1). Ferner sind unabhängige nationale oder lokale Einrichtungen für die Förderung und den Schutz der Rechte der Kinder mit eigenen Mitteln und Verantwortlichkeiten einzurichten und Mechanismen für Datensammlungen oder Anlaufstellen zum Zwecke der Auswertung des Phänomens des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern zu schaffen (Abs. 2). Jeder Vertragsstaat fördert zudem die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen staatlichen Stellen, der Zivilgesellschaft und dem privaten Sektor, um die sexuelle Ausbeutung und den sexuellen Missbrauch von Kindern besser verhüten und bekämpfen zu können (Abs. 3).

73

Art. 4 Abs. 1 und 2 und 5 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen, RTVG, SR 784.40.

7597

Koordination auf Bundesebene Auf Bundesebene übernimmt das BSV eine koordinierende Funktion im Bereich des Kinderschutzes und der Kinderrechte. Es koordiniert Programme74, unterstützt mittels Leistungsauftrag das Netzwerk Kinderrechte Schweiz, einen Zusammenschluss von 52 NGO im Bereich Kinderrechte und subventioniert verschiedene Präventionsprojekte und -aktivitäten in Zusammenarbeit mit den NGO. Nach der neuen Verordnung vom 11. Juni 201075 über Massnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie zur Stärkung der Kinderrechte kann das EDI/BSV für die Gewährung von Finanzhilfen an Programme und Projekte thematische Schwerpunkte und Zielvorgaben festlegen.

Das Miterleben elterlicher Partnerschaftsgewalt durch Kinder und Jugendliche wird in der vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) einberufenen, interdepartementalen Arbeitsgruppe zur häuslichen Gewalt behandelt.

Die zuständigen Bundesämter verfolgen koordiniert die im Bundesratsbericht vom 13. Mai 200976 zur Gewalt in Paarbeziehungen vorgeschlagenen Massnahmen.

Sodann gibt es verschiedene Kommissionen auf Bundesebene, welche die Koordination und Zusammenarbeit fördern: Die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) spielt bei der Sensibilisierung für Kinder- und Jugendfragen und beim Erkennen der entsprechenden Probleme eine wichtige Rolle. So sind Fragen in den Bereichen Gesundheit, Kriminalität, Bildung oder Partizipation für die Kommission immer von zentraler Bedeutung.

Die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) hat den Auftrag, über die Lebensbedingungen der Familien und Kinder in der Schweiz zu informieren und Forschung zu betreiben. Sie fördert Massnahmen zur Unterstützung von Familien und Kindern.

Die Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel (KSMM) schafft die nötigen Strukturen und Vernetzungen für eine wirksame Bekämpfung und Verhütung von Menschenhandel und Menschenschmuggel in der Schweiz. Die KSMM ist einerseits die zentrale Informations-, Koordinations- und Analysedrehscheibe des Bundes und der Kantone und andererseits Anlauf- und Koordinationsstelle für die internationale Kooperation. Ihr Ziel ist eine Verbesserung der Massnahmen in den Bereichen Prävention, Strafverfolgung und Opferschutz. Die spezifische Problematik des
Kinderhandels zwecks sexueller Ausbeutung wird im Rahmen der KSMM berücksichtigt, namentlich über die Stiftung Kinderschutz Schweiz, die sowohl im Steuerungsorgan der KSMM als auch in einer spezifischen Arbeitsgruppe vertreten ist.

Interkantonale und internationale Zusammenarbeit und Koordination Für den Kinderschutz sind in erster Linie die Kantone zuständig. Deren Dienststellen behandeln praktisch sämtliche Aspekte der Kindesentwicklung und des Kinderschutzes (die Bereiche Medizin, Psychologie, Soziales, Finanzen, Recht, Kultur und Freizeit)77.

74 75 76 77

Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 6.

SR 311.039.1 BBl 2012 2419 Vgl. auch die Ausführungen zu den Art. 13 und 14.

7598

Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK)78 und deren Fachkonferenz der kantonal Verantwortlichen für Kinderschutz- und Jugendhilfe sowie derjenigen der kantonalen Beauftragten für Kinder- und Jugendförderung (KKJF) beschäftigen sich mit allen kinder- und jugendpolitischen und familienpolitischen Geschäften. Bezogen auf den Kinder- und Jugendschutz setzen sie sich u.a. für ein zeitgemässes Pflegekinderwesen und eine frühe Förderung von Kindern ein. Zudem koordiniert und fördert die SODK die einheitliche Anwendung des Opferhilfegesetzes (OHG) und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Opferhilfe. Zu diesem Zweck führt sie die Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz Opferhilfegesetz (SVK-OHG), welche den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den kantonalen Entschädigungsstellen, den Opferhilfe-Beratungsstellen, dem Bundesamt für Justiz und der Konferenz der kantonalen Justiz- und PolizeidirektorInnen (KKJPD) garantiert und Empfehlungen zur Anwendung des OHG herausgibt.

Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und ­direktoren (KKJPD)79 ist unter anderem Trägerin der Schweizerischen Kriminalprävention (SKP)80, der nationalen Plattform für alle Belange der Kriminalprävention in der Schweiz. Sie entwickelt Präventionskampagnen in unterschiedlichen Bereichen (Gefahren im Internet, Pädokriminalität, häusliche Gewalt etc.) und nimmt eine Vernetzungs-, Beratungs-, Dokumentations- und Weiterbildungsfunktion wahr.

Die interkantonale und internationale Polizeizusammenarbeit wird auf Bundesebene von der Bundeskriminalpolizei (BKP) koordiniert. Die ausschliesslich für die Fachbereiche Pädokriminalität und Pornografie sowie Menschenhandel und Menschenschmuggel zuständigen Kommissariate (nachfolgend Kommissariate PP und MM) koordinieren und unterstützen als Zentralstellen nationale und internationale Verfahren und Polizeiaktionen im Bereich der illegalen Pornografie und der sexuellen Handlungen an Kindern sowie der illegalen Prostitution und des Menschenhandels.

Die Kernaufgaben beinhalten insbesondere die Vorauswertung und Aufbereitung von Dossiers und Datensätzen (Sichtung Bild-/Videomaterial, Eruieren der strafrechtlichen Relevanz und der Zuständigkeit), die Organisation von Koordinationssitzungen, die Informationsbeschaffung
und die Gewährleistung des kriminalpolizeilichen Informationsaustausches zwischen den Strafverfolgungsbehörden des In- und Auslandes81.

Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe «Kindsmissbrauch», die vom Kommissariat PP organisiert wird, tagt zweimal pro Jahr. Der Arbeitsgruppe gehören kantonale Strafverfolgungsbehörden aus allen Regionen und sowie NGO der Schweiz an. Die Treffen fördern den Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit. Die Grundlage dieser Arbeitsgruppe ist der sogenannte «Letter of Intent», eine von den Mitgliedern unterzeichnete Absichtserklärung, welche die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch regelt.

78 79 80 81

www.sodk.ch www.kkjpd.ch www.skppsc.ch Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 8 der Konvention über die bei der BKP angesiedelte Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK), die den Informationstausch mit ausländischen Stellen sicherstellt.

7599

Die Konferenz der Kantone für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES)82 bezweckt als Verbindungsorgan zwischen den kindes- und erwachsenenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden der Kantone die Behandlung und Koordination kindesund erwachsenenschutzrechtlicher und damit verwandter Fragen, die Förderung der Zusammenarbeit unter den Kantonen sowie der Kantone mit dem Bund auf dem Gebiet des Kindes- und Erwachsenenschutzes, die Information und Dokumentation der Mitglieder sowie die Aus-, Fort- und Weiterbildung im Vormundschaftswesen tätiger Personen.

Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK)83 koordiniert die Aufgaben der Erziehungsdirektorinnen und -direktoren in den Bereichen Bildung, Kultur und Sport.

Im Bereich der häuslichen Gewalt existiert eine Konferenz der kantonalen Interventionsstellen (KIFS) für die Deutschschweiz sowie eine Conférence latine contre la violence domestique84. Mitglieder sind kantonale Interventionsstellen, Interventionsprojekte und Fachstellen gegen häusliche Gewalt in der Schweiz. Wesentliches Element der Interventionsstellen sind fach- und institutionenübergreifende Arbeitsgruppen oder sogenannte «Runde Tische», an denen Vertreterinnen und Vertreter aus Polizei, Justiz, Opferhilfe und weiterer Fachstellen neue Vorgehensweisen im Umgang mit häuslicher Gewalt entwickeln und umsetzen.

Gemäss Artikel 317 ZGB sind die Kantone verpflichtet, durch geeignete Vorschriften die Zusammenarbeit der Behörden und Stellen auf dem Gebiet des zivilrechtlichen Kindesschutzes, des Jugendstrafrechts und der übrigen Jugendhilfe zu sichern.

Mehrere Kantone85 haben hierfür spezielle Koordinationsstellen bzw. Kommissionen geschaffen bzw. bezeichnet, in denen Vertreter und Vertreterinnen des Kindesschutzes, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Kinderspitäler, der Schulpsychologie, von Fachstellen im Kindesschutz, der Justiz und von verschiedenen kantonalen Departementen mitarbeiten.

Datensammlung und Auswertung Die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS) enthält einschlägige statistische Informationen über sexuelle Handlungen mit Kindern sowie über Minderjährige als Opfer und Täter von Gewaltdelikten. Die Schweizerische Kriminalprävention (SKP) nimmt Analysen zur Kriminalprävention vor und bearbeitet die Themen entsprechend.

Die Anforderungen von Artikel 10 der Konvention werden von der Schweiz erfüllt.

82 83 84 85

www.kokes.ch www.edk.ch www.ebg.admin.ch > themen So z.B. ZH, BE, BL GR, AG und VS. Spezifische Informationen zu den einzelnen Stellen finden sich auf den Websites der entsprechenden Kantonsbehörden.

7600

2.4

Kapitel IV: Schutzmassnahmen und Opferhilfe

2.4.1

Art. 11 Grundsätze

Jeder Vertragsstaat wird verpflichtet, wirksame Sozialprogramme und multidisziplinäre Strukturen zu schaffen, die namentlich den Opfern die erforderliche Unterstützung gewähren (Abs. 1).

Das Opfer und seine Angehörigen können sich nach schweizerischem Opferhilferecht an ein Informationszentrum wenden; dort erhalten sie die medizinische, psychologische, soziale, materielle und juristische Hilfe, die sie benötigen. Für Einzelheiten ist auf die Ausführungen zu den Artikeln 13 und 14 zu verweisen.

Zudem haben die Vertragsparteien sicherzustellen, dass dem Opfer, wenn Grund zur Annahme besteht, dass es ein Kind ist, die vorgesehenen Schutz- und Unterstützungsmassnahmen gewährt werden, bis sein Alter überprüft und festgestellt worden ist (Abs. 2).

In der Schweiz ist es gängige Praxis, dass bei unbekanntem Alter eines Opfers und wenn Anlass besteht, dass es sich dabei um eine minderjährige Person handeln könnte, das Opfer bis auf Weiteres als minderjährig zu betrachten ist. Im Weiteren kann auf die Ausführungen zu Artikel 34 der Konvention verwiesen werden.

Den Anforderungen von Artikel 11 der Konvention wird damit entsprochen.

2.4.2

Art. 12 Anzeige eines Verdachts auf sexuelle Ausbeutung oder sexuellen Missbrauch

Die Vertragsstaaten sind nach Absatz 1 verpflichtet sicherzustellen, dass Berufsgruppen mit Kontakt zu Kindern trotz Vorschriften über die Vertraulichkeit die Möglichkeit haben, Anzeige zu erstatten, wenn sie hinreichende Gründe zur Annahme haben, dass ein Kind Opfer sexueller Ausbeutung oder sexuellen Missbrauchs geworden ist. Ferner sind nach Absatz 2 Personen, die Kenntnis sexueller Ausbeutung oder sexuellen Missbrauchs von Kindern haben oder dies vermuten, zu ermutigen, dies den zuständigen Stellen anzuzeigen.

Nach Artikel 364 StGB sind die zur Wahrung des Amts- oder Berufsgeheimnisses (Art. 320 und 321 StGB) verpflichteten Personen berechtigt, an einem Minderjährigen begangene strafbare Handlungen den Kindesschutzbehörden zu melden. Artikel 75 Absatz 3 StPO sieht zudem vor, dass die Strafbehörde, wenn sie bei der Verfolgung von Straftaten, an denen Minderjährige beteiligt sind, feststellt, dass weitere Massnahmen erforderlich sind, sofort die Kindesschutzbehörden informiert.

Viele kantonale Gesundheitsgesetzgebungen sehen weiterreichende Melderechte für Gesundheitsfachpersonen vor als auf Bundesebene. Demnach dürfen Beobachtungen, die auf Verbrechen oder Vergehen gegen die sexuelle Integrität von Kindern hinweisen, den Strafvollzugsbehörden gemeldet werden. Vereinzelt ist sogar Meldepflicht verankert.

7601

Ausserdem wurde die Motion Aubert Josiane, Schutz des Kindes vor Misshandlung und sexuellem Missbrauch (08.3790), von beiden Räten überwiesen. Der Bundesrat wurde damit beauftragt, dem Parlament eine Änderung des Zivilgesetzbuches oder eines anderen Bundesgesetzes vorzulegen, mit der eine allgemeine Meldepflicht gegenüber Kinderschutzbehörden mit gewissen, klar umschriebenen Ausnahmen in allen Schweizer Kantonen eingeführt werden soll.

Personen, die für eine Beratungsstelle für Opfer im Sinne des OHG arbeiten, unterstehen einer strengen Schweigepflicht. Allerdings können sie zum Schutz eines Kindes die Kindesschutzbehörde informieren oder Strafanzeige erstatten, wenn dessen körperliche, psychische oder sexuelle Integrität ernsthaft gefährdet ist (Art. 11 OHG).

Absatz 2 kann im Rahmen von Sensibilisierungskampagnen entsprochen werden.

Die Anforderungen von Artikel 12 der Konvention werden damit erfüllt.

2.4.3

Art. 13 Beratungsangebote

Gemäss Artikel 13 haben die Vertragsparteien Massnahmen zu treffen, um die Einrichtung von Informationsdiensten, namentlich per Telefon oder Internet, zu fördern und zu unterstützen.

Den Opfern im Sinne des OHG und ihren Angehörigen (Art. 1 OHG) stehen die von den Kantonen bereitgestellten Opferberatungsstellen zur Verfügung (Art. 9 ff.

OHG). Diese beraten das Opfer und seine Angehörigen und unterstützen sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte. Die Kantone haben den besonderen Bedürfnissen der verschiedenen Opferkategorien Rechnung zu tragen. Es wurden zum Teil spezialisierte Beratungsstellen eingerichtet86. Einige Kantone haben die «Dargebotene Hand», welche telefonisch rund um die Uhr erreichbar ist, mit Opferhilfe-Aufgaben betraut. Die Ratsuchenden können wählen, an welche Beratungsstelle sie sich wenden möchten (Art. 15 OHG). Die Hilfe der Beratungsstelle ist für das Opfer und seine Angehörigen unentgeltlich (Art. 5 OHG). Wird das Opfer von der Polizei oder von der Staatsanwaltschaft einvernommen, so wird es auf die Beratungsstellen aufmerksam gemacht (Art. 8 OHG und Art. 305 StPO). Die Beratungsstelle kann aber auch später um Hilfe angegangen werden (Art. 15 OHG).

Der Bund sowie einige Kantone unterstützen die kostenlose nationale telefonische Beratung für Kinder und Jugendliche, die Nummer 147 der Stiftung Pro Juventute, finanziell. Die Beratung steht den Jugendlichen der Schweiz rund um die Uhr zur Verfügung und kann auch per SMS kontaktiert werden. Pro Juventute führt ausserdem ein elektronisches Register der schweizerischen Hilfs- und Beratungsstellen im Bereich des Kinderschutzes.

Kinder und Jugendliche mit Problemen, z.B. Opfer von Gewalt oder sexuellem Missbrauch, finden auch Rat, Hilfe und Informationen von Fachpersonen auf den Websites www.ciao.ch, www.tschau.ch sowie auf jener der obengenannten Nummer 147.

Die Schweiz erfüllt damit die Anforderungen von Artikel 13 der Konvention.

86

Die Liste der Beratungsstellen ist im Internet aufgeschaltet: www.sodk.ch.

7602

2.4.4

Art. 14 Unterstützung der Opfer

Die Vertragsstaaten werden in Absatz 1 verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, um die Opfer bei ihrer körperlichen und psychosozialen Genesung zu unterstützen. Nach Absatz 2 haben die Vertragsstaaten Massnahmen zu trffen, um mit nichtstaatlichen Organisationen, anderen Organisationen oder Teilen der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten.

Die Opferberatungsstellen leisten bei Bedarf auch Unterstützung (Art. 9 ff. OHG).

Dazu können sie Dritte beiziehen. Die Unterstützung umfasst sowohl Soforthilfe wie auch längerfristige Hilfe medizinischer, psychologischer, sozialer, materieller und juristischer Art. Die Leistungen der Opferhilfe sind jedoch subsidiär (Art. 4 OHG).

Leistungen der Unfallversicherung oder Massnahmen des Kindesschutzes können also vorgehen. Gestützt auf das OHG sind ausserdem staatliche Entschädigung und Genugtuung möglich. Weiter zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die wichtigsten für den Kinderschutz zuständigen Stellen in den Kantonen: die Jugendämter, die Gesundheits- und Jugendschutzdienste, die Kindesschutzdienste, die medizinisch-pädagogischen und die kinderspychiatrischen Dienste sowie die Kinderspitäler.

Im Bereich der Kinderrechte und des Kinderschutzes spielen auch die NGO eine wesentliche Rolle; sie sind unverzichtbare Partner für die verschiedenen Verwaltungsebenen. Das BSV unterstützt mittels Leistungsverträgen verschiedene nationale Nonprofit-Organisationen, die Opfern, namentlich auch solchen von sexuellen Missbräuchen, professionelle Beratung und Begleitung anbieten.

Nach Absatz 3 sind in Fällen, in denen die für das Wohl des Kindes verantwortlichen Personen an sexueller Ausbeutung oder sexuellem Missbrauch beteiligt sind, Interventionsmassnahmen vorzusehen, um die betreffende Person aus dem Umfeld des Kindes oder das Opfer aus seinem familiären Umfeld zu entfernen.

In Artikel 307 ff. ZGB sind verschiedene Kindesschutzmassnahmen vorgesehen.

Insbesondere kann die Kindesschutzbehörde das Kind den Eltern oder Dritten wegnehmen und in angemessener Weise unterbringen (Art. 310 ZGB). Das Verfahren wird zurzeit noch durch kantonales Recht geregelt. Mit Inkrafttreten des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts am 1. Januar 2013 sind aber auch im Kindesschutz vorsorgliche Massnahmen bundesrechtlich geregelt (Art. 314 Abs. 1 i.V.m. 445 rev. ZGB).
Artikel 28b ZGB sieht verschiedene Schutzmassnahmen bei Persönlichkeitsverletzungen durch Gewalt, Drohung oder Nachstellung vor. So kann das Gericht der beklagten Person z.B. verbieten, sich der verletzten Person anzunähern oder sich in einem bestimmten Umkreis ihrer Wohnung aufzuhalten (Annäherungsverbot).

Möglich ist auch das Verbot, sich an bestimmten Orten, namentlich bestimmten Strassen, Plätzen oder Quartieren, aufzuhalten (Ortsverbot). Zudem sieht die Regelung ein Verbot vor, Kontakt ­ namentlich auf telefonischem, schriftlichem oder elektronischem Weg ­ mit der klagenden Person aufzunehmen. Diese Massnahmen sind im Rahmen des vereinfachten Verfahrens durchsetzbar (Art. 243 Abs. 2 Bst. b der Zivilprozessordnung, ZPO87) und können unter Umständen auch vorsorglich angeordnet werden (Art. 261 ff. ZPO).

87

SR 272

7603

In diversen kantonalen Polizeigesetzen88 wurden Rechtsgrundlagen geschaffen, die in Fällen häuslicher Gewalt die Wegweisung der gewalttätigen Person aus der Wohnung für eine beschränkte Zeit ermöglichen.

Nach Absatz 4 trifft jeder Vertragsstaat Massnahmen, um sicherzustellen, dass dem Opfer nahestehende Personen gegebenenfalls therapeutische Unterstützung, insbesondere sofortige psychologische Hilfe, erhalten.

Die Opferhilfe nach OHG steht auch den Angehörigen des Opfers offen (Art. 1 OHG).

Die Anforderungen von Artikel 14 der Konvention sind damit erfüllt.

2.5

Kapitel V: Interventionsprogramme oder -massnahmen

2.5.1

Art. 15 Allgemeine Grundsätze

Jede Vertragspartei sieht für Personen, die wegen der Begehung einer Straftat nach dieser Konvention verfolgt werden oder verurteilt worden sind, wirksame Interventionsprogramme oder -massnahmen vor, um der Gefahr der Wiederholung von Sexualstraftaten an Kindern vorzubeugen (Abs. 1).

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts ist Sache des Bundes. Für die Organisation der Gerichte, die Rechtsprechung in Strafsachen sowie den Straf- und Massnahmenvollzug sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Der Bund kann Vorschriften zum Straf- und Massnahmenvollzug erlassen. Er kann den Kantonen Beiträge gewähren für die Errichtung von Anstalten, für Verbesserungen im Straf- und Massnahmenvollzug und an Einrichtungen, die erzieherische Massnahmen an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vollziehen89.

Der Strafvollzug fördert das soziale Verhalten des Gefangenen, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben; der Vollzugsplan enthält namentlich Angaben über die angebotene Betreuung (Art. 75 Abs. 1 und 3 StGB). In den Kantonen wird durch kantonale Stellen (psychiatrische Kliniken, Ambulatorien, Straf- und Massnahmevollzugseinrichtungen) eine Palette von verschiedenen Interventionsprogrammen angeboten. Hinzu kommen Programme von privaten Anbietern (Psychologen, Psychiatern, Instituten), die grundsätzlich auch Tätern in Untersuchungshaft zur Verfügung stehen.

Jede Vertragspartei sieht die Entwicklung von Partnerschaften oder anderen Formen der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen vor und fördert diese, insbesondere zwischen den Gesundheits- und Sozialdiensten, den Justizbehörden und sonstigen Stellen, die mit der Nachbetreuung von Personen betraut sind, die wegen der Begehung einer Straftat nach dieser Konvention verfolgt werden oder bereits verurteilt wurden(Abs. 2).

88 89

Beispielsweise in den Kantonen SG, AG, BL, SO, ZH, BE.

Art. 123 BV.

7604

Artikel 93 StGB regelt die Aufgaben der Bewährungshilfe. Mit der Bewährungshilfe sollen die betreuten Personen vor der Rückfälligkeit bewahrt und sozial integriert werden. Die Fachkräfte der Bewährungshilfe sorgen für die erforderliche Koordination der beteiligten Fachstellen, beispielsweise Sozialdienste, psychiatrische Dienste, diverse Ambulatorien und Fachstellen.

Jede Vertragspartei ist verpflichtet, eine Bewertung der Gefährlichkeit von Personen, die wegen der Begehung einer Straftat nach dieser Konvention verfolgt werden oder verurteilt worden sind, und der möglichen Gefahr der Wiederholung durch sie vorzusehen, um die geeigneten Programme oder Massnahmen zu ermitteln (Abs. 3).

Die zuständige Behörde hat von Amtes wegen zu prüfen, ob ein Strafgefangener bedingt entlassen werden kann (Art. 86 Abs. 2 StGB). Ebenso muss die zuständige Behörde bezüglich der Aufhebung von Massnahmen prüfen, ob der Zustand des Betroffenen dies erlaubt (Art. 62 ff. StGB). Zur Entscheidfindung müssen die erforderlichen Berichte eingeholt werden. In besonderen Fällen wie der Verwahrung entscheidet die zuständige Behörde gestützt auf einen Bericht der Anstaltsleitung, eine unabhängige sachverständige Begutachtung, die Anhörung einer dafür zuständigen Kommission und die Anhörung des Täters (Art. 64b Abs. 2 StGB). Vor der Verurteilung ist die Gefährlichkeit des Täters Gegenstand der richterlichen Beurteilung (Art. 47 StGB).

Jede Vertragspartei hat eine Bewertung der Wirksamkeit der umgesetzten Interventionsprogramme und -massnahmen vorzusehen. Interventionsprogramme und -massnahmen werden in der Regel vor der allgemeinen Einführung einer eingehenden Evaluation unterzogen (Abs. 4).

Im Rahmen der vom Bund subventionierten Modellversuche90 wurden während der letzten Jahre Evaluationen zu folgenden Programmen durchgeführt und veröffentlicht91: ­

Lernprogramme, Bewährungsdienste ZH (2004),

­

Programme de prise en charge des adolescents auteurs d'abus sexuels dans un groupe de parole à visée thérapeutique, Association CTAS, Centre de consultation pour les victimes d'abus sexuels, Genève (2009),

­

Prädiktoren für Therapieverlauf und Rückfallhäufigkeit bei Sexual- und Gewaltstraftätern, Psychiatrisch-Psychologischer Dienst des Kantons Zürich (2005),

­

Tataufarbeitung und Wiedergutmachung (TaWi) ­ Berner Modell, Amt für Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern (2003).

Zudem laufen zurzeit verschiedene im vorliegenden Zusammenhang relevante Modellversuche: ­

90 91

«Neue psychotherapeutische Interventionsprogramme und Evaluationskonzepte im Schweizer Strafvollzug», Forensisch-Psychiatrischer Dienst Universität Bern,

Bundesgesetz vom 6. Okt. 1984 über die Leistungen des Bundes für den Straf- und Massnahmenvollzug, SR 341 Link zu den Kurzinformationen zu Modellversuchen: www.bj.admin.ch > Themen > Sicherheit > Straf- und Massnahmenvollzug > Modellversuche

7605

­

«Abklärungs- und Zielerreichungsinstrument im Jugendvollzug», Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel,

­

«Risiko-orientierter Sanktionenvollzug», Vollzugs- und Bewährungsdienste Kanton ZH,

­

«Wirksamkeit des standardisierten Therapieprogramms für Jugendliche mit Sexualdelikten», Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Zürich.

Nebst den vom Bund (mit)finanzierten Modellversuchen gibt es auch eine Reihe von Programmen, die von den Kantonen durchgeführt werden. Beispielhaft sei das Ambulante Intensiv-Programm (AIP) des Zürcher Psychiatrisch Psychologischen Dienstes (PPD) erwähnt, das sich an Sexualstraftäter und gewalttätige Täter richtet.

Dieses in der Schweiz einzigartige Programm zur intensiven therapeutischen Behandlung in der Gruppe wird in der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf durchgeführt. Es steht den zu langen Freiheitsstrafen verurteilten Personen oder Verwahrten, welche eine Tendenz zu chronischer Gefährlichkeit aufweisen, offen.

Die Anforderungen von Artikel 15 der Konvention werden damit erfüllt.

2.5.2

Art. 16 Adressaten der Interventionsprogramme und -massnahmen

Artikel 16 umschreibt drei Kategorien von Personen, zu deren Gunsten die Vertragsparteien Interventionsprogramme und -massnahmen vorsehen müssen. Es sind dies Personen, die für die Begehung einer Straftat nach dieser Konvention zum einen verfolgt und zum anderen verurteilt wurden, sowie Kinder, die Sexualstraftaten begangen haben. Zu den beiden erstgenannten Kategorien vergleiche die Ausführungen zu Artikel 15 Absatz 1 der Konvention.

Interventionsprogramme oder -massnahmen für Kinder, die Sexualstraftaten begangen haben, müssen gemäss Absatz 3 den Entwicklungsbedürfnissen der Kinder gerecht werden. Das Ziel besteht darin, ihre sexuellen Verhaltensprobleme zu behandeln. Bedarf ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Tat begangen hat, einer besonderen erzieherischen Betreuung oder therapeutischen Behandlung, so ordnet die urteilende Behörde die erforderlichen Schutzmassnahmen an (Art. 10 Abs. 1 JStG). In den Artikeln 12 ff. JStG werden die Schutzmassnahmen geregelt, so namentlich die ambulante Behandlung (Art. 14 JStG) oder die Unterbringung in einer Erziehungs- oder Behandlungseinrichtung (Art. 15 Abs. 1 JStG). Die zuständige Behörde kann auch während der Untersuchung vorsorglich Schutzmassnahmen nach den Artikeln 12­15 JStG anordnen (Art. 5 JStG, Art. 26 JStPO). Für minderjährige Sexualstraftäter besteht eine Reihe spezifischer Interventionsprogramme sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich.

Die Anforderungen von Artikel 16 der Konvention werden damit erfüllt.

7606

2.5.3

Art. 17 Aufklärung und Zustimmung

Personen, denen nach Artikel 16 Interventionsprogramme oder -massnahmen vorgeschlagen werden, müssen über die Gründe für diese Vorschläge aufgeklärt werden und dem Programm oder der Massnahme zustimmen (Abs. 1). Sie müssen diese auch ablehnen können und, sofern es sich um verurteilte Personen handelt, über die etwaigen Folgen einer Ablehnung aufgeklärt werden (Abs. 2).

Professionelle therapeutisch ausgerichtete Programme und Interventionen richten das Augenmerk auf eine regelmässige Information der Klienten bezüglich Ausgangslage und Durchführung der Behandlung. Diese Informationen richten sich bei minderjährigen Sexualstraftätern auch an den Erziehungsberechtigten. Da Zwangstherapierungen gegen den Willen des Täters weder sinnvoll noch erfolgversprechend sind, ist die Zustimmung des Täters zur Behandlung notwendig und wichtig. Der weitere Verlauf des Vollzugs (beispielsweise Gewährung von Urlaub, bedingte Entlassung) kann von der Kooperation der verurteilten Person, beispielsweise der Teilnahme an Interventionsprogrammen, abhängig gemacht werden.

Die Anforderungen von Artikel 17 der Konvention werden damit erfüllt.

2.6

Kapitel VI: Materielles Strafrecht

2.6.1

Art. 18 Sexueller Missbrauch

In Artikel 18 werden die Vertragsstaaten verpflichtet, folgende Verhaltensweisen strafbar zu erklären: ­

sexuelle Handlungen mit einem Kind, das die sexuelle Mündigkeit nach nationalem Recht noch nicht erreicht hat (Abs. 1 Bst. a),

­

sexuelle Handlungen mit einem Kind, indem Nötigung, Gewalt oder Drohung angewendet, eine anerkannte Stellung des Vertrauens, der Autorität oder des Einflusses auf das Kind (auch innerhalb der Familie) missbraucht oder eine besondere Hilflosigkeit des Kindes, insbesondere aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung oder eines Abhängigkeitsverhältnisses, ausgenützt wird (Abs. 1 Bst. b).

Die Vertragsstaaten können das sexuelle Mündigkeitsalter selber bestimmen (Abs. 2). Einvernehmliche sexuelle Kontakte zwischen Minderjährigen werden von Absatz 1 Buchstabe a nicht berührt (Abs. 3).

Sexuelle Handlungen mit einem Kind nach Abs. 1 Buchstabe a sowie Abs. 2 und 3 Nach schweizerischem Strafrecht macht sich strafbar, wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt, es zu einer solchen Handlung verleitet oder es in eine solche einbezieht (Art. 187 Ziff. 1 StGB). Ob der Täter Zwang auf das Kind ausübt, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Das sexuelle Mündigkeitsalter liegt bei 16 Jahren. Sexuelle Handlungen sind nicht strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als 3 Jahre beträgt (Art. 187 Ziff. 2 StGB). Schutzzweck dieser Bestimmung ist die Verhinderung der Gefähr7607

dung der sexuellen Entwicklung Minderjähriger, bis sie die notwendige Reife erreicht haben, damit sie zur verantwortlichen Einwilligung zu sexuellen Handlungen in der Lage sind92.

Sexuelle Handlungen mit einem Kind nach Abs. 1 Bst. b Die verschiedenen Tathandlungen nach Absatz 1 Buchstabe b werden durch die Artikel 188 (sexuelle Handlungen mit Abhängigen), 189 (sexuelle Nötigung), 190 (Vergewaltigung), 191 (Schändung), 192 (sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten) und 193 (Ausnützung einer Notlage) abgedeckt.

Mit Ausnahme von Artikel 188, der nur auf Personen zwischen 16 und 18 Jahren Anwendung findet, sind die Tatbestände in Bezug auf das Alter der Opfer allgemein formuliert («Wer eine Person ...») und damit selbstredend (auch) auf Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren anwendbar. Diese Tatbestände sind demnach mit dem persönlichen Anwendungsbereich der Konvention (vgl. Art. 3 Bst. a, Definition des Begriffs «Kind») kompatibel. Im Einzelnen gilt Folgendes: ­

Nötigung, Gewaltanwendung oder Drohung

Der sexuellen Nötigung macht sich schuldig, wer eine Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht (Art. 189 StGB). Artikel 189 schützt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Auch unter 16-Jährige können Opfer einer sexuellen Nötigung sein. Nicht jeder beliebige Zwang stellt jedoch eine sexuelle Nötigung dar. Die Tatbestände schützen vor Angriffen auf die sexuelle Freiheit nur insoweit, als der Täter den zumutbaren Widerstand des Opfers überwindet oder ausschaltet. An die Intensität der Nötigung werden gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei den im Wesentlichen auf Erwachsene ausgerichteten sexuellen Nötigungstatbeständen nur geringe Anforderungen gestellt, wenn Kinder Opfer eines solchen sexuellen Übergriffs werden93. Artikel 189 geht den Artikeln 188, 192 und 193 vor, zu Artikel 187 besteht Idealkonkurrenz.

Wegen Vergewaltigung macht sich strafbar, wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht (Art. 190 StGB). Wie Artikel 189 StGB schützt auch dieser Tatbestand das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Die Rechtsgüter der beiden Straftatbestände sind als gleichwertig zu betrachten94. Analog zu Artikel 189 StGB können auch unter 16-Jährige Opfer sein. Die Nötigungsmittel sind ebenfalls dieselben. Artikel 190 ist Lex specialis zu Artikel 189.

­

Missbrauch einer anerkannten Stellung des Vertrauens, der Autorität oder des Einflusses auf das Kind

Das Ausnützen von solchen Abhängigkeitsverhältnissen wird in den Artikeln 188 (sexuelle Handlungen mit Abhängigen), 192 (sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten) und 193 StGB (Ausnützung der Notlage) geregelt. In diesen Fällen fehlt es in der Regel an einer Zwangssituation im engeren Sinne.

92 93 94

Vgl. Maier, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 1 zu Art. 187.

Vgl. Maier, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 11 zu Art. 189.

Vgl. Maier, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 1 zu Art. 190.

7608

Strafbar nach Artikel 188 StGB macht sich, wer mit einer minderjährigen Person von mehr als 16 Jahren, die von ihm durch ein Erziehungs-, Betreuungs- oder Arbeitsverhältnis oder auf andere Weise abhängig ist, eine sexuelle Handlung vornimmt, indem er diese Abhängigkeit ausnützt, und wer eine solche Person unter Ausnützung ihrer Abhängigkeit zu einer sexuellen Handlung verleitet. Artikel 188 schützt, wie Artikel 187, die ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen, allerdings nur von 16­18-Jährigen, sowie deren sexuelles Selbstbestimmungsrecht.

Kinder unter 16 Jahren werden durch Artikel 187 StGB geschützt. Artikel 188 soll Jugendliche vor Sexualkontakten bewahren, die unter Ausnützung von strukturellen Machtunterschieden zustande kommen. Als Täter kommen namentlich Lehrer, Erziehungsberechtigte, Lehrmeister, Leiter von Ferien-, Sport- und Schullagern usw.

in Frage. Eine Abhängigkeit besteht dann, wenn das Opfer aufgrund eines im Gesetz genannten Strukturmerkmals oder aus anderen Gründen nicht ungebunden bzw. frei und damit auf den Täter angewiesen ist. Von einer Ausnutzung ist dann auszugehen, wenn zwischen der Abhängigkeit des Opfers und der sexuellen Handlung ein Motivationszusammenhang insofern besteht, als das Opfer aufgrund seiner Unterlegenheit nicht zu widersprechen wagt95. Die von der Konvention zusätzlich geforderte Strafbarerklärung des Missbrauchs eines Kindes in einem Abhängigkeitsverhältnis innerhalb der Familie wird von Artikel 188 ebenfalls abgedeckt. Artikel 188 geht als spezieller Tatbestand den Artikeln 192 und 193 vor, denn er schützt das gleiche Verhalten mit Blick auf Minderjährige. Deshalb wird auf eine Erläuterung dieser beiden Artikel verzichtet. Die Artikel 189, 190 und 191 wiederum gehen Artikel 188 vor.

­

Ausnützung einer besonderen Hilflosigkeit des Kindes, insbesondere aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung oder eines Abhängigkeitsverhältnisses

Nach Artikel 191 StGB (Schändung) macht sich strafbar, wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht. Geschützt wird die sexuelle Freiheit. Es geht um den Schutz von Personen, die ausserstande sind, in eine sexuelle Handlung einzuwilligen bzw. sich dagegen zur Wehr zu setzen. Das Opfer muss im Moment der Tat absolut wehrlos sein, wobei dieser Zustand nicht durch den Täter herbeigeführt worden sein darf. Schändung grenzt sich von den Ausnutzungstatbeständen der Artikel 188, 192 und 193 StGB dadurch ab, dass das Opfer während der Schändung aus psychischen oder physischen Gründen keine Wahl hat, sich für oder gegen den sexuellen Übergriff zu entscheiden. Unbestritten ist, dass eine Vielzahl von urteilsunfähigen Menschen, z. B. geistig Behinderte oder Kleinkinder, zu keinem Zeitpunkt eine tatbestandsaufhebende gültige Einwilligung erteilen können96. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung besteht zwischen Artikel 187 und Artikel 191 Idealkonkurrenz. Die Ausnutzungstatbestände der Artikel 188, 192 und 193 treten als weniger intensive Angriffe auf die sexuelle Freiheit hinter Artikel 191 zurück.

Das geltende schweizerische Strafrecht erfüllt damit alle Anforderungen von Artikel 18 der Konvention.

95 96

Vgl. Maier, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 8 und 10 zu Art. 188.

Vgl. Maier, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 10 zu Art. 191.

7609

2.6.2

Art. 19 Straftaten im Zusammenhang mit Kinderprostitution

Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, das Anwerben oder Zuführen eines Kindes zur Prostitution (Abs. 1 Bst. a), die Nötigung eines Kindes zur Prostitution, Gewinnerzielung daraus oder sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken (Abs. 1 Bst. b) sowie die Inanspruchnahme der Prostitution von Kindern (Abs. 1 Bst. c) strafbar zu erklären. Der Begriff «Kinderprostitution» bedeutet die Benutzung eines Kindes bei sexuellen Handlungen, für die Geld oder jede andere Art der Vergütung oder Gegenleistung angeboten oder versprochen wird, unabhängig davon, ob diese Leistungen gegenüber dem Kind oder einem Dritten angeboten oder versprochen werden (Abs. 2).

2.6.2.1

Geltendes Recht

Anwerben und Zuführen eines Kindes zur Prostitution (Art. 19 Abs. 1 Bst. a Konvention) Nach geltendem Absatz 1 von Artikel 195 StGB macht sich strafbar, wer eine unmündige Person der Prostitution zuführt. Geschütztes Rechtsgut dieses Artikels ist das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der sich prostituierenden Person sowie in Absatz 1 im Besonderen der Schutz der freien Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Niemand soll gegen seinen wahren Willen der Prostitution nachgehen.

Erfasst wird mit dieser Bestimmung also nicht die finanzielle, gewerbliche oder intellektuelle Unterstützung der Prostitution97. Als Täter kommen namentlich Zuhälter, Bordellbetreiber, Vermieter, Betreiber von Eros-Zentren, Night-Clubs, Cabarets, Dancings, Bars, Escort-Services usw.98, wie auch Familienmitglieder und Freunde in Frage.

Unter Prostitution versteht man das gelegentliche oder gewerbsmässige Anbieten und Preisgeben des eigenen Körpers an unbestimmt viele Personen zu deren sexueller Befriedigung gegen Entlöhnung in Geld oder anderen materiellen Werten99.

Unerheblich ist, welche Dienstleistungen konkret erbracht werden, insbesondere ist der Vollzug eines Geschlechtsaktes nicht erforderlich. Ebenso unbedeutend ist, wer aktiv und wer passiv ist100. Der Prostitution führt zu, wer jemanden in dieses Gewerbe einführt und zu dessen Ausübung bestimmt. Beim Zuführen einer minderjährigen Person in die Prostitution muss dem Gesichtspunkt der Unmündigkeit des Opfers Rechnung getragen werden. Wegen der in diesem Fall eingeschränkten Fähigkeit zur Selbstbestimmung werden deshalb geringere Anforderungen an die Intensität der Beeinflussung gestellt als beim Zuführen Erwachsener. Bei jungen Opfern kann bereits das blosse Motivieren oder Überreden (z.B. durch gezielte 97

Vgl. Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 2 zu Art. 195 StGB.

98 Vgl. Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 6 zu Art. 195 StGB.

99 Botschaft vom 26. Juni 1985 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie), BBl 1985 II 1082 ff.

100 Vgl. Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 8 und 9 zu Art. 195 StGB.

7610

Ratschläge) zum tatbestandsmässigen Zuführen werden. Die konkrete Fähigkeit Minderjähriger zu einer Willensbildung und die Beziehung zwischen Täter und Opfer sind im Einzelfall zu beurteilen101. Die Tathandlung des «Anwerbens» im Sinne der Konvention kann nach dem Gesagten ebenfalls unter Artikel 195 StGB subsumiert werden. Zu Artikel 187 besteht Idealkonkurrenz, Artikel 188, 192 und 193 werden durch Artikel 195 konsumiert.

Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe a der Konvention ist somit von Artikel 195 Absatz 1 StGB abgedeckt.

Nötigung eines Kindes zur Prostitution, Erzielung eines Gewinns daraus oder sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken (Art. 19 Abs. 1 Bst. b Konvention) ­

Nötigung eines Kindes zur Prostitution

Wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, verlangt Artikel 195 StGB für die Erfüllung des Tatbestandes keine Nötigung im eigentlichen Sinne. Wird Zwang angewendet, so kommen die Artikel 189 (sexuelle Nötigung) oder 190 StGB (Vergewaltigung) zum Zuge. Diese stehen zu Artikel 195 StGB in echter Konkurrenz. Zu Artikel 187 StGB besteht ebenfalls echte Idealkonkurrenz.

­

Erzielung eines Gewinns aus der Prostitution eines Kindes oder sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken

Werden die Freier Minderjähriger bestraft (Art. 196 E-StGB, vgl. nachfolgend unter Ziff. 2.6.2.2), sind konsequenterweise auch diejenigen zu bestrafen, welche die Prostitution Minderjähriger fördern, um daraus Vermögensvorteile zu erlangen. Ist das Opfer unter 16 Jahre alt, kommt namentlich Artikel 187 StGB zum Zuge.

Betrifft die Ausnützung über 16-jährige Minderjährige, so werden solche Verhaltensweisen vom geltenden schweizerischen Strafrecht jedoch nicht erfasst Die Konvention verlangt aber die Strafbarkeit solchen Verhaltens bis zum 18. Altersjahr.

Deshalb bedarf es einer entsprechenden Revision des Strafgesetzbuchs (Art. 195 Bst. a E-StGB; vgl. Ziff. 2.6.2.2).

Inanspruchnahme der Prostitution von Kindern (Art. 19 Abs. 1 Bst. c Konvention) Freier machen sich durchgehend nach Artikel 187 StGB (sexuelle Handlungen mit Kindern) strafbar, wenn die sich prostituierende Person unter 16 Jahre alt ist und sie selber mehr als drei Jahre älter sind. Werden Zwang oder Gewalt angewendet, so kommen ­ unabhängig vom Alter des Opfers ­ zusätzlich die Tatbestände der sexuellen Nötigung (Art. 189 StGB) oder der Vergewaltigung (Art. 190 StGB) zur Anwendung. Je nach Konstellation ist auch eine Verbindung mit Artikel 193 StGB (Ausnützung einer Notlage) denkbar. Einverständliche, bezahlte sexuelle Kontakte mit Minderjährigen, die älter als 16 Jahre alt und damit sexuell mündig sind, sind hingegen nach geltendem schweizerischem Strafrecht in der Regel nicht strafbar.

Voraussetzung ist, dass die sexuell mündige Person aus freiem Willen und in Kenntnis der gesamten Umstände in die Handlung eingewilligt hat und dass kein Abhängigkeitsverhältnis zum Täter im Sinne von Artikel 188 StGB besteht.

101

Vgl. Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 15 zu Art. 195 StGB.

7611

Der Beitritt der Schweiz zur Konvention setzt eine entsprechende Ergänzung des Strafgesetzbuchs voraus (Art. 196 E-StGB; vgl. Ziff. 2.6.2.2).

Kantonales Recht Da der Bund von seiner Kompetenz zur Gesetzgebung im materiellen Strafrecht (Art. 123 Abs. 1 BV) umfassend und abschliessend Gebrauch gemacht hat, haben die Kantone grundsätzlich keine Möglichkeit, in diesem Bereich auf materiellrechtlicher Ebene zu legiferieren. Zuwiderhandlung gegen kantonale Vorschriften über Ort, Zeit oder Art der Ausübung der Prostitution und über die Verhinderung belästigender Begleiterscheinungen sind nach Artikel 199 StGB strafbar. Bei solchen kantonalen Vorschriften (namentlich in den kantonalen Prostitutionsgesetzen) handelt es sich um klassische gewerbepolizeiliche Massnahmen, die den Schutz der Öffentlichkeit zum Ziel haben. Obwohl bereits mehrere Kantone unterschiedlich ausgestaltete Bestimmungen im Bereich der Prostitution von Jugendlichen eingeführt haben102, können nur begleitende Schutzmassnahmen für 16­18-jährige Prostituierte unter diesen Artikel subsumiert werden. Zu denken ist etwa an Verwaltungssanktionen bis hin zur Schliessung von Betrieben, welche minderjährige Prostituierte beschäftigen.

Rechtsvergleich Das in Frage stehende Verhalten ist auch in unseren Nachbarstaaten strafbar.

In Deutschland wird nach § 180 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs (Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger) mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine Person unter 18 Jahren bestimmt, sexuelle Handlungen gegen Entgelt an oder von einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen oder wer solchen Handlungen durch seine Vermittlung Vorschub leistet.

In Österreich wird nach § 207b Absatz 3 des Strafgesetzbuchs mit bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe bestraft, wer eine Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unmittelbar durch ein Entgelt dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an ihm oder einem Dritten vorzunehmen oder von ihm oder einem Dritten an sich vornehmen zu lassen.

In Frankreich wird nach Artikel 225-12-1 des Strafgesetzbuches mit bis zu 3 Jahren Gefängnis und 45 000 Euro bestraft, wer gegen Entgelt oder das Versprechen eines Entgelts eine minderjährige Person, die, wenn auch nur gelegentlich, der Prostitution nachgeht, um Beziehungen
sexueller Natur ersucht, auf solche Beziehungen mit ihr einwilligt oder sie mit ihr erreicht.

In Italien wird nach Artikel 600bis des Strafgesetzbuchs derjenige, welcher mit einer minderjährigen Person zwischen 14 und 18 Jahren gegen Entgelt oder andere Vergütungen sexuelle Handlungen austauscht, mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 3 Jahren, verbunden mit einer Busse von mindestens 5000 Euro, bestraft.

Zudem haben die Länder der Europäischen Union gemäss EU-Rahmenbeschluss die Vornahme sexueller Handlungen mit einem Kind (bis 18 Jahre) strafbar zu erklären, soweit Geld oder sonstige Vergütungen oder Gegenleistungen dafür geboten werden, dass sich das Kind an den sexuellen Handlungen beteiligt.

102

Beispielsweise die Kantone Genf, Neuenburg und Jura.

7612

Zivilrecht (Hinweis) Aus zivilrechtlicher Sicht ist Folgendes festzuhalten: Zwischen dem Freier und der (minderjährigen) Prostituierten liegt ein Vertragsverhältnis vor. Vertragsinhalt ist das Erbringen einer sexuellen Leistung gegen Entgelt. Gemäss Artikel 17 ZGB sind Unmündige nicht handlungsfähig und können somit ohne die Zustimmung ihrer Eltern keine rechtsgültigen Verträge abschliessen. Ohne diese Zustimmung können sie nur Rechte ausüben, die ihnen um ihrer Persönlichkeit Willen zustehen (Art. 19 Abs. 2 ZGB). Die Prostitution fällt jedoch nicht unter diese Ausnahme, da sie geeignet ist, die Betroffenen in ihrer sexuellen Entwicklung zu beeinträchtigen, sie zu traumatisieren sowie psychisch und sozial zu destabilisieren. Die Zustimmung zur Prostitution würde im Übrigen den Erziehungspflichten der Eltern, welche die körperliche, geistige und sittliche Entfaltung des Kindes zu fördern und zu schützen haben (Art. 302 ZGB), widersprechen. Bei Gefährdung des Kindeswohls muss zudem die Kindesschutzbehörde geeignete Massnahmen ergreifen (Art. 307 ZGB).

Minderjährige können demnach in diesem Bereich keine rechtsgültigen Verträge abschliessen.

2.6.2.2

Revision des Strafgesetzbuchs (Art. 195 Bst. a und 196 E-StGB)

Art. 195 Bst. a E-StGB (neu) Mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe soll nicht nur wie schon im geltenden Recht bestraft werden, wer eine unmündige Person der Prostitution zuführt, sondern neu auch, wer in der Absicht, daraus Vermögensvorteile zu erlangen, ihre Prostitution fördert.

Im Gegensatz zum geltenden Artikel 195 StGB geht es bei der vorgeschlagenen Ergänzung von Artikel 195 StGB nicht nur um Tathandlungen, die darauf ausgerichtet sind, auf den Willen einer minderjährigen Person einzuwirken, damit sie in das Prostitutionsgewerbe einsteigt. Vielmehr erleichtert oder begünstigt der Täter in irgendeiner Weise die Prostitution des oder der Minderjährigen, um daraus Vermögensvorteile zu erzielen. Als Täter kommen, wie beim geltenden Artikel 195 StGB, namentlich Zuhälter, Bordellbetreiber, Vermieter, Betreiber von Eros-Centers, Night-Clubs, Cabarets, Escort-Services usw. wie auch Familienmitglieder und Freunde in Frage. Sie fördern die Prostitution Minderjähriger, indem sie deren Tätigkeit Vorschub leisten, um daraus wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Zu denken ist beispielsweise an die Vermietung von Salons oder an die Anstellung von Minderjährigen in einschlägigen Etablissements. Die «sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken» gemäss Konvention bezieht sich nach dem Sinn der Bestimmung auf die Gewinnerzielung durch Prostitution und ist durch Täterschaft und Teilnahme am Tatbestand gemäss Artikel 195 Buchstabe a E-StGB und gegebenenfalls durch weitere Tatbestände der Artikel 187 ff. StGB abgedeckt. Der weite Strafrahmen von Artikel 195 erlaubt die adäquate Berücksichtigung der Vielzahl möglicher Sachverhaltsvarianten.

7613

Art. 196 E-StGB (neu) Der Entwurf des neuen Artikels 196 stellt unter Strafe, wer mit einer minderjährigen Person sexuelle Handlungen vornimmt oder solche von ihr vornehmen lässt und ihr dafür ein Entgelt leistet oder verspricht. Die Strafdrohung ist Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Erfasst wird als Täter, wer an einer minderjährigen Person eine sexuelle Handlung vornimmt, von einer minderjährigen Person eine sexuelle Handlung an sich oder einem Dritten oder von dieser Person an ihr selber gegen Entgelt vornehmen lässt. Geschütztes Rechtsgut ist der Schutz vor sexueller Ausbeutung und gleichzeitig der Schutz vor dem Abgleiten in die Prostitution. Bei unter 16-Jährigen kommt deren ungestörte sexuelle Entwicklung dazu. Wesentlich ist, dass ein Entgelt für die geleisteten Dienste erbracht oder versprochen wird.

Diese Gegenleistung kann in Geld oder jedem anderen materiellen Wert, mithin jedem wirtschaftlich messbaren Vorteil, wie beispielsweise Drogen, Unterkunft, Essen, Markenartikel, Kleider, Ferien usw, bestehen. Es ist unerheblich, ob das Entgelt tatsächlich geleistet wird, das Versprechen an sich genügt. Sinn und Zweck dieser Bestimmung liegen nicht darin, sexuelle Kontakte mit über 16-jährigen Minderjährigen im Rahmen von Liebesbeziehungen zu kriminalisieren. Geschenke im Rahmen von Liebesbeziehungen haben keinen Entgeltcharakter. Wenn Jugendliche einander einladen oder sich Geschenke machen, soll das nicht strafbar sein, selbst wenn damit die Hoffnung auf sexuelle Handlungen verbunden ist. Damit der Täter strafbar ist, muss das Opfer die sexuellen Kontakte nur deshalb zulassen, weil es eine vermögenswerte Gegenleistung dafür erhält. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine strafbare Handlung vorliegt.

Es ist sodann nicht erforderlich, dass sich die minderjährige Person regelmässig prostituiert. Es genügt, dass das Opfer gelegentlich oder erstmalig seinen Körper verkauft. Unerheblich ist, welche sexuelle Dienstleistung konkret erbracht wird. Der Vollzug eines Geschlechtsaktes ist nicht vorausgesetzt. Es spielt auch keine Rolle, ob die sexuelle Handlung aktiv geleistet oder passiv erduldet wird103. Entscheidend ist, dass zwischen der Gewährung der Dienstleistung und dem Entgelt ein Kausalzusammenhang besteht. Es muss objektiv davon ausgegangen werden können, dass das (versprochene)
Entgelt Grund für die sexuelle Handlung bzw. das Einverständnis des Opfers ist und dass es sich nicht um eine Liebesbeziehung handelt.

Minderjährige Personen sind Personen weiblichen und männlichen Geschlechts unter 18 Jahren. Diese bleiben selber straflos. Eine Einwilligung des Opfers in die sexuelle Handlung bleibt ohne Auswirkung auf die Strafbarkeit des Täters.

In subjektiver Hinsicht ist beim Täter Vorsatz gefordert, wobei Eventualvorsatz ausreicht. Um strafbar zu sein, muss der Täter wissen, dass die Prostituierte minderjährig ist oder dies zumindest in Kauf nehmen. Fahrlässige Begehung ist demnach nicht strafbar.

In der Vernehmlassung werden verschiedentlich zusätzliche Schutzmassnahmen namentlich für minderjährige Prostituierte gefordert104. Der zivilrechtliche Kindesschutz ist in den Artikeln 307­316 ZGB geregelt. Die möglichen Massnahmen reichen von einfachen Weisungen über die Ernennung eines Beistandes mit besonderen Befugnissen, eine Fremdplatzierung (Pflegefamilie oder Institution) mit entsprechendem Obhutsentzug gegenüber den Eltern des minderjährigen Kindes bis hin 103

Zum Begriff Prostitution vgl. Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 8 f. zu Art. 195.

104 Vgl. Auswertungsbericht unter Ziff. 3.1.

7614

zu einem Verlust des Sorgerechts. Möglich ist auch die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung (Art. 314b rev. ZGB). Die Massnahmen unterliegen dem Prinzip der Verhältnismässigkeit und Subsidiarität. Es wird somit auf die Umstände des Einzelfalles ankommen, welche Massnahmen als geeignet ergriffen werden. Der Vollzug der genannten Bestimmungen liegt bei den Kantonen bzw. den Gemeinden.

Der Bund hat keinerlei Kompetenz auf diesem Gebiet und übt auch keine Oberaufsicht über das kantonale Kindesschutzwesen aus.

Die Strafdrohung beträgt Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe. Ist die sich prostituierende Person weniger als 16 Jahre alt, so kommt ­ wie schon heute ­ auch Artikel 187 StGB zur Anwendung (Idealkonkurrenz).

Mit der vorgeschlagenen Revision des StGB erfüllt die Schweiz die diesbezüglichen Anforderungen der Konvention.

2.6.3

Art. 20 Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie

Artikel 20 Absatz 1 verpflichtet die Vertragsstaaten, das Herstellen, Anbieten, Verfügbarmachen, Verbreiten und Übermitteln von Kinderpornografie strafbar zu erklären. Er verpflichtet sie ebenso, den Besitz und das Beschaffen von kinderpornografischem Material105 sowie den wissentlichen Zugriff auf Kinderpornografie mittels Informations- oder Kommunikationstechnologien zu bestrafen.

2.6.3.1

Ausgangslage

Im schweizerischen Recht wird (Kinder-)Pornografie in Artikel 197 StGB geregelt.

Der geltende Artikel 197 ist seit dem 1. Oktober 1992 in Kraft, wobei Ziffer 3bis später eingefügt und per 1. April 2002 in Kraft gesetzt wurde. Die Bestimmung umfasst die weiche und die harte Pornografie; in Ziffer 3 wird umschrieben, was unter harter Pornografie zu verstehen ist: Darunter fallen Darstellungen von sexuellen Handlungen mit pornografischem Charakter, die mit zusätzlich mindestens einem der vier abschliessend aufgezählten qualifizierenden Merkmale (Kinder, Tiere, menschliche Ausscheidungen und Gewalt) verbunden sind106. Insgesamt umfasst der geltende Artikel 197 sechs Ziffern. Da mit der Umsetzung der Konvention weitere Ziffern eingefügt werden, drängt sich der Übersichtlichkeit halber eine Neunummerierung auf. Zudem werden ­ gemäss heutiger Gesetzestechnik ­ die Ziffern in Absätze umgewandelt. In der Folge nimmt die Botschaft, wo angebracht, Bezug auf die neue Nummerierung gemäss Entwurf; in Klammern wird zum besseren Verständnis zuweilen die Nummerierung gemäss geltendem Recht bzw. Vorentwurf (Vernehmlassungsvorlage) aufgeführt.

Artikel 197 Absatz 4 (bisher: Ziff. 3) E-StGB enthält alle in der Konvention aufgeführten Tathandlungen: Der neue Absatz 4 deckt abgesehen vom Konsum wie schon das geltende Recht das ganze Spektrum an denkbaren Tathandlungen ab, so

105 106

Für sich oder eine andere Person.

Vgl. Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 45 zu Art. 197.

7615

unter anderem auch das Herstellen, das Anbieten, das Zugänglichmachen, das Inverkehrbringen, das Überlassen, den Erwerb, das sich Beschaffen und den Besitz.

Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe f des Übereinkommens verlangt die Strafbarkeit von Personen, die sich mittels Informations- und Kommunikationstechnologien wissentlich Zugriff auf Kinderpornografie verschaffen. Dadurch soll auch derjenige, der Kinderpornografie online betrachtet, ohne Inhalte herunterzuladen, bestraft werden können107. Nach geltendem Recht ist der besitzlose Konsum von harter Pornografie und damit auch von Kinderpornografie nicht strafbar. Diesbezüglich besteht somit aus Sicht der Konvention ein Regelungsbedarf, dem mit dem neuen Artikel 197 Absatz 5 Rechnung getragen wird108.

Gemäss Artikel 20 Absatz 2 der Konvention bedeutet «Kinderpornografie» jedes Material mit der bildlichen Darstellung eines Kindes bei wirklichen oder simulierten eindeutig sexuellen Handlungen oder jede Abbildung der Geschlechtsteile eines Kindes zu vorwiegend sexuellen Zwecken. Diese Definition stimmt ­ abgesehen vom personellen Anwendungsbereich109 ­ mit derjenigen der Pornografie im schweizerischen Recht überein, wobei nach hiesigem Recht nicht nur Darstellungen, sondern auch Darbietungen darunter fallen: Die Botschaft 1985110 bezeichnet als Pornografie Darstellungen oder Darbietungen sexuellen Inhalts, «die sexuelles Verhalten aus seinen menschlichen Bezügen heraustrennen und dadurch vergröbern und aufdringlich wirken lassen». Im Vordergrund stehen Darstellungen, die sich auf den Genitalbereich konzentrieren111.

Schon gemäss geltendem Recht sind Tathandlungen, die sich auf virtuelle Darstellungen beziehen, ebenso strafbar wie Tathandlungen, die reale Darstellungen von Kinderpornografie betreffen112. Dies wird mit den revidierten Absätzen 4 und 5 von Artikel 197 zusätzlich verdeutlicht113. Das Anbringen eines Vorbehalts nach Absatz 3 erster Strich der Konvention betreffend virtuelles pornografisches Material (Abs. 1 Bst. a und e; Herstellen und Besitz) ist demnach nicht notwendig.

107 108 109 110

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziffer 140.

Vgl. Ziffer 2.6.3.2.

Vgl. Ziffer 2.6.3.2.

Vgl. Botschaft vom 26. Juni 1985 über die Änderung des StGB und des MStG, BBl 1985 II 1009.

111 Vgl. Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 14 zu Art. 197.

112 Vgl. Botschaft über die Änderung des StGB und MStG vom 10. Mai 2000, BBl 2000 2983; Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 28 zu Art. 197.

113 Vgl. Ziffer 2.6.3.2.

7616

2.6.3.2

Revision des Strafgesetzbuches (Art. 197 Abs. 4­9 E-StGB)

Art. 197 Abs. 4 und 5 E-StGB Altersgrenze bei Kinderpornografie In den einschlägigen internationalen Übereinkommen, die sich mit dem Schutz von Kindern befassen114, wird bezüglich Kinderpornografie wiederholt eine Altersgrenze von 18 Jahren postuliert, zuweilen verbunden mit einer Erklärungs- oder Vorbehaltsmöglichkeit. Entsprechend umfasst der personelle Anwendungsbereich auch des vorliegenden Übereinkommens Personen unter 18 Jahren (Art. 3 Konvention).

Das Übereinkommen eröffnet hier keine Vorbehaltsmöglichkeit115. Demgegenüber verbinden sich mit dem Begriff «Kind(ern)» im geltenden Artikel 197 Ziffern 3 und 3bis erhebliche Auslegungsprobleme. Insbesondere bleibt unsicher, ob damit auch 16- und 17-jährige Minderjährige erfasst sind116.

Um den Anforderungen der Konvention zu genügen, müssen die Absätze 4 (bisher Ziff. 3) und 5 (bisher Ziff. 3bis) von Artikel 197 StGB dahingehend präzisiert werden, dass Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr einen strafrechtlichen Schutz vor der Mitwirkung bei sexuellen Darstellungen geniessen. Der Begriff «Kinder» ist deshalb durch «Minderjährige» zu ersetzen. Diese Anpassung hat zur Folge, dass einerseits dem Aspekt des Jugendschutzes verstärkt Rechnung getragen und andererseits einer gewissen Unbestimmtheit bezüglich der Altersgrenze im Gesetzestext ein Ende gesetzt wird. Gleichzeitig werden auch in den neu eingefügten Absätzen 3 und 8 von Artikel 197 die Begriffe «minderjährige Person» bzw. «Minderjährige» verwendet117.

Die Altersgrenze in Artikel 197 Absatz 1 StGB soll hingegen bei 16 Jahren belassen werden und weiterhin dem Schutzalter in Artikel 187 StGB (Sexuelle Handlungen mit Kindern) entsprechen. Die Schutzaltersgrenze von 16 Jahren in Artikel 187 StGB war bei ihrer Einführung stark umstritten. Die Expertenkommission hatte vorgeschlagen, die Altersgrenze wie in Deutschland und Österreich bei 14 Jahren festzusetzen. Die aktuelle Grenze von 16 Jahren wird von einem Teil der Lehre als zu wenig liberal kritisiert. Ein zu hoch angesetztes Schutzalter hätte jedoch die Konsequenz, dass Verhaltensweisen kriminalisiert werden, von denen keine Beeinträchtigung der regulären sexuellen Entwicklung zu befürchten ist118. In dieser Hinsicht ist im Übrigen unklar, ob und inwieweit Jugendliche durch den Kontakt mit weicher Pornografie in ihrer sexuellen Entwicklung überhaupt gestört werden kön-

114

115 116 117 118

Namentlich das UNO-Übereinkommen vom 20. Nov. 1989 über die Rechte des Kindes, SR 0.107, das Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie, SR 0.107.2, sowie das Übereinkommen des Europarats vom 23. Nov.

2001 über die Cyberkriminalität, SR 0.311.43.

Vgl. auch Art. 48 der Konvention, wonach keine anderen als die ausdrücklich vorgesehenen Vorbehalte zulässig sind.

Vgl. Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 21 ff. zu Art. 197.

Vgl. unten und Ziffer 2.6.4.2.

Vgl. Maier, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 3 zu Art. 187; Stratenwerth/Jenny/Bommer, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 7. Auflage, Bern 2010, § 7 N 6.

7617

nen119. Unter diesen Umständen erscheint eine Erhöhung des Schutzalters auf 18 Jahre in dieser Bestimmung als nicht sinnvoll.

Strafbarkeit des Konsums harter Pornografie Wie vorne ausgeführt120, verlangt Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe f des Übereinkommens die Strafbarkeit von Personen, die sich mittels Informations- und Kommunikationstechnologien wissentlich Zugriff auf Kinderpornografie verschaffen.

Dadurch soll auch derjenige, der Kinderpornografie online betrachtet, ohne Inhalte herunterzuladen, bestraft werden können121. Der Bundesrat wurde bereits mit der vom Parlament überwiesenen Motion Schweiger (06.3170)122 beauftragt, den vorsätzlichen Konsum von Vorführungen harter Pornografie unter Strafe zu stellen. Die Motion zielt auf die lückenlose Strafbarkeit des Konsums, insbesondere des besitzlosen Konsums, von harter Pornografie. Mit der Umsetzung dieser Motion wird gleichzeitig den diesbezüglichen Anforderungen des Übereinkommens, die weniger weit gehen als die vorgeschlagene Lösung, Genüge getan. Von der Vorbehaltsmöglichkeit der Konvention zu Absatz 1 Buchstabe f muss demnach nicht Gebrauch gemacht werden.

In Artikel 197 Absatz 5 E-StGB werden als Tathandlungen «konsumiert oder zum eigenen Konsum herstellt, einführt, lagert, erwirbt, sich über elektronische Mittel oder sonst wie beschafft oder besitzt» aufgeführt. Damit werden neu alle Konsumhandlungen bei harter Pornografie gleich behandelt und umfassend bestraft. Der von der Lehre123 kritisierte Entscheid des Bundesgerichts, wonach selbst das Herunterladen und Abspeichern von Daten ausschliesslich zum Eigengebrauch einem «Herstellen» gemäss bisheriger Ziffer 3 entspricht124 und somit zu einer strengeren Bestrafung führt, wird hinfällig. Insbesondere wird ­ wie vom Übereinkommen verlangt ­ auch der besitzlose Konsum via Internet strafbar. Tathandlungen, die ausschliesslich dem Eigenkonsum dienen, werden strafrechtlich privilegiert behandelt, indem sie unter die mildere Strafdrohung von Absatz 5 fallen. Es soll nur der vorsätzliche Konsum bestraft werden. Es wird Aufgabe der Gerichte sein festzulegen, unter welchen Umständen auf einen vorsätzlichen Konsum geschlossen werden kann.

Nicht jeder nachgewiesene Kontakt mit harter Pornografie soll als vorsätzliches Handeln gewertet werden. In der Praxis dürften sich im Internetbereich insbesondere
die Anzahl der aufgerufenen Internetseiten und Bilder sowie der Fundort der Dateien als entscheidend erweisen. Eine Erweiterung der Strafbarkeit ergibt sich insofern, als in Zukunft beispielsweise auch Besucherinnen und Besucher von Kinovorführungen mit harter Pornografie bestraft werden können. Namentlich wird durch die Erweiterung auch der blosse Konsum von Darstellungen, die sexuelle Handlungen mit Tieren oder mit Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen zum Inhalt haben, strafbar.

119

120 121 122 123 124

Vgl. Stratenwerth/Jenny/Bommer, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 7. Auflage, Bern 2010, §10 N 10; Jenny/Schubarth/Albrecht, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, BT, 4. Band, Bern 1997, N 12 zu Art. 197.

Vgl. Ziffer 2.6.3.1.

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziffer 140.

06.3170 Mo. Schweiger. Bekämpfung der Cyberkriminalität zum Schutz der Kinder auf den elektronischen Netzwerken.

Vgl. unter anderen: Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, 2. Auflage, Basel 2007, N 50 zu Art. 197 StGB mit weiteren Verweisen.

BGE 131 IV 16, bestätigt im Urteil des Bundesgerichts 6B_289/2009 vom 16.9.2009.

Siehe auch BGE 124 IV 106, wonach die Einfuhr von Videokassetten mit harter Pornografie aus dem Ausland zum Eigenkonsum unter Ziffer 3 fällt, der Erwerb im Inland jedoch nicht.

7618

Der Bundesrat hält dies für gerechtfertigt. So kommt es zunehmend vor, dass wirkliche Vergewaltigungen mit Handykamera gefilmt werden. Um zu zeigen, dass wertungsmässig eine Differenz zum Konsum von Darstellungen mit tatsächlichen sexuellen Handlungen mit Minderjährigen besteht, schlägt der Bundesrat unterschiedliche Strafrahmen vor.

Weitere Änderungen in Art. 197 Abs. 4 und 5 E-StGB Die Absätze 4 (bisher: Ziff. 3) und 5 (bisher: Ziff. 3bis) von Artikel 197 StGB erfahren noch weitere Änderungen, die nicht unmittelbar mit der Umsetzung des Übereinkommens zusammenhängen: ­

Wie vorne erwähnt, gehören zur harten Pornografie auch Darstellungen von sexuellen Handlungen mit pornografischem Charakter, die menschliche Ausscheidungen (Kot, Urin) zum Inhalt haben. Die menschlichen Ausscheidungen sind nur in der bisherigen Ziffer 3, nicht aber in der bisherigen Ziffer 3bis von Artikel 197 erwähnt. Dieses Qualifikationsmerkmal soll gestrichen werden, und entsprechende Darstellungen sollen künftig als sog.

«weiche» Pornografie im Sinne der Absätze 1 und 2 von Artikel 197 StGB gelten. Dies war bereits in der Vernehmlassung zum Bundesgesetz über die Harmonisierung der Strafrahmen im Strafgesetzbuch, im Militärstrafrecht und im Nebenstrafrecht125 (sog. Strafrahmenharmonisierungsprojekt), das ebenfalls eine Revision von Artikel 197 vorgeschlagen hat, von verschiedenen Teilnehmern angeregt worden, ohne dass diese Frage konkret zur Diskussion gestellt worden war126. So wurde unter anderem argumentiert, durch diese Tatbestandsvariante würden keine wirklichen Rechtsgüter, sondern lediglich Moralvorstellungen geschützt. Entsprechende Gegenstände und Vorführungen seien zudem in zahlreichen europäischen Ländern legal, weshalb eine Strafverfolgung im grenzüberschreitenden Verkehr bloss unnötig Ressourcen binde127. Tatsächlich existiert das Qualifikationsmerkmal beispielsweise im deutschen und im österreichischen Strafgesetzbuch nicht.

Auch in der Lehre wird dieses Qualifikationsmerkmal als fragwürdig bezeichnet128. Mit der Streichung soll deutlich gemacht werden, dass in Zukunft nur noch gesellschaftsschädigende Erscheinungen, nicht aber gängigen Moralvorstellungen widersprechende Gegenstände und Vorführungen, die nicht denselben Unrechtsgehalt wie insbesondere Kinderpornografie aufweisen, strafbar sein sollen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass durch die Umgestaltung der Absätze 4 und 5 (bisher: Ziff. 3 und 3bis, siehe unten) die harte Pornografie im Allgemeinen strenger bestraft wird als bisher: Der Erwerb, das sich Beschaffen und der Besitz werden neu mit Freiheitsstrafe

125

Vorentwurf: www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/1935/Vorlage.pdf; Erläuternder Bericht: www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/1935/Bericht.pdf 126 Kantone Aargau und Basel-Stadt, Sozialdemokratische Partei der Schweiz SP, Universität Luzern.

127 Kanton Aargau, Vernehmlassung zum BG über die Harmonisierung der Strafrahmen im Strafgesetzbuch, im Militärstrafgesetz und im Nebenstrafrecht vom 1.12.2010, S. 4, www.ejpd.admin.ch/content/ejpd/de/home/themen/sicherheit/ref_gesetzgebung/ ref_strafrahmenharmonisierung.html 128 Vgl. Trechsel et al., Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Zürich/ St. Gallen 2008, N 13 zu Art. 197; Stratenwerth/Jenny/Bommer, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 7. Auflage, Bern 2010, §10 N 21; Meng/Schwaibold, Basler Kommentar, Strafrecht II, 2. Auflage, Basel 2007, N 24 zu Art. 197.

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bis zu drei bzw. fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, während bisher eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe angedroht wurde. Würden die «menschlichen Ausscheidungen» weiterhin im Gesetzestext belassen, würden neu auch diesbezügliche Tathandlungen bestraft, die bisher straflos waren. Auch dies will der Bundesrat mit seinem Vorschlag vermeiden.

­

Im Zusammenhang mit Artikel 197 hat der Bundesrat nach der Überweisung der Motion Fiala (08.3609)129 zudem den Auftrag zu prüfen, ob im Strafgesetzbuch die Strafandrohungen im Bereich der Kinderpornografie erhöht werden sollen. Der Bundesrat hat im Rahmen des bereits erwähnten Strafrahmenharmonisierungsprojekts130, das sich bis zum 10. Dezember 2010 in der Vernehmlassung befand, vorgeschlagen, das Anliegen zumindest teilweise umzusetzen: Die erhöhten Strafrahmen sollen sich nur auf tatsächliche Darstellungen von Kinderpornografie, nicht aber beispielsweise auf Gemälde oder Comics beziehen. In der Vernehmlassung zum Strafrahmenharmonisierungsprojekt wurden die Vorschläge des Bundesrates von denjenigen Teilnehmenden, die sich ausdrücklich dazu geäussert haben, ganz überwiegend begrüsst131.

In Artikel 197 Absatz 4 E-StGB, der auf die Herstellung, Verbreitung und Kommerzialisierung der harten Pornografie gerichtet ist, lautet die Strafdrohung für Widerhandlungen, die sexuelle Handlungen mit Tieren oder mit Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen oder nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt haben, weiterhin «Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe». Betreffen die Widerhandlungen Gegenstände oder Vorführungen, die tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt haben, so beträgt die Strafdrohung neu «Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe». Der erhöhte Strafrahmen für die reale Kinderpornografie ist angebracht, weil deren Herstellung in aller Regel mit schweren Delikten gegen die Darstellerinnen und Darsteller sowie mit sexueller Ausbeutung, Gewalt und erniedrigender bzw. menschenunwürdiger Behandlung verbunden ist.

­

Das Strafmass in Absatz 5 beträgt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, falls die Gegenstände oder Vorführungen sexuelle Handlungen mit Tieren oder mit Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen oder nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt haben. Bei tatsächlicher Kinderpornografie beträgt das Strafmass Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

­

Mit der Differenzierung zwischen «nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen» und «tatsächliche Handlungen mit Minderjährigen» wird indirekt auch ein Anliegen der vom Parlament überwiesenen Motion

129 130

08.3609 Mo. Fiala. Erhöhung der Strafandrohung bei Kinderpornografie.

Vorentwurf: www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/1935/Vorlage.pdf; Erläuternder Bericht: www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/1935/Bericht.pdf 131 www.ejpd.admin.ch/content/ejpd/de/home/themen/sicherheit/ref_gesetzgebung/ ref_strafrahmenharmonisierung.html Kantone Basel-Stadt, Luzern, Obwalden, Schaffhausen, Solothurn, Waadt, Zürich; Evangelische Volkspartei der Schweiz EVP, FDP. Die Liberalen, Sozialdemokratische Partei der Schweiz SP; Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz, Schaffhauser Justiz, Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter. Kritisch geäussert haben sich der Kanton Nidwalden sowie die Universitäten Freiburg, Genf und Luzern.

7620

Amherd (07.3449)132 aufgenommen. Mit der Motion wird der Bundesrat aufgefordert, virtuellen Kindsmissbrauch unter Strafe zu stellen. Im eingereichten Text wird ausgeführt, in virtuellen Parallelwelten wie z.B. «Second Life» würden Mitspieler virtuelle Kinder missbrauchen und vergewaltigen.

Auf gesetzlicher Stufe sei klarzustellen, dass es sich dabei um ein kinderpornografisches Angebot handle, welches unter Strafe stehe. In seiner Stellungnahme führte der Bundesrat aus, Artikel 197 StGB erfasse grundsätzlich nicht nur reale, sondern auch virtuelle Darstellungen, sodass mit Bezug auf virtuelle Parallelwelten prima vista kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe. Der Bundesrat sei aber bereit, die sich stellenden Fragen im Detail abzuklären und nötigenfalls eine geeignete Ergänzung des Strafgesetzbuches vorzuschlagen. Mit der oben erwähnten Differenzierung in Bezug auf die Strafandrohung geht nun aus dem Gesetzestext klar hervor, dass Artikel 197 nicht nur reale, sondern eben auch virtuelle bzw. nicht tatsächliche Darstellungen umfasst.

­

Zudem werden ­ ausser dem Konsum sowie dem Konsum dienende Handlungen, welche in Absatz 5 geregelt werden ­ sämtliche Tathandlungen der Ziffern 3 und 3bis des geltenden Rechts nun neu in Absatz 4 des Entwurfs aufgeführt.

Art. 197 Abs. 6 E-StGB Absatz 6, wonach bei Straftaten nach den Absätzen 4 und 5 die Gegenstände eingezogen werden, ist aus gesetzestechnischen Gründen erforderlich. Inhaltlich enthält er im Vergleich zum geltenden Recht (Art. 197 Ziff. 3 und 3bis, jeweils letzter Satz) nichts Neues.

Art. 197 Abs. 7 E-StGB In Absatz 7 wird der veraltete Ausdruck «aus Gewinnsucht» durch «mit Bereicherungsabsicht» ersetzt. Handelt der Täter mit Bereicherungsabsicht, so ist, wie schon im geltenden Recht (Art. 197 Ziff. 4 StGB), mit Freiheitsstrafe eine Geldstrafe zu verbinden.

Art. 197 Abs. 8 E-StGB Gemäss Konvention ist ein Vorbehalt für Fälle möglich, in denen pornografische Bilder von sexuell mündigen Kindern (gemäss Art. 187 StGB somit 16- und 17Jährige) von ihnen mit ihrer Zustimmung und allein zu ihrem persönlichen Gebrauch hergestellt worden sind und sich in ihrem Besitz befinden (Abs. 3 zweiter Strich)133.

Indem in Umsetzung der Konvention der Geltungsbereich in Artikel 197 Absätze 4 und 5 E-StGB auf «Minderjährige» ausgedehnt wird, würden dadurch auch einvernehmliche Handlungen unter jugendlichen Minderjährigen kriminalisiert, für die ein Strafbedürfnis nicht erkennbar ist. Um dies zu verhindern, hält der neue Artikel 197 Absatz 8 E-StGB fest, dass Minderjährige von mehr als 16 Jahren, die voneinander einvernehmlich Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 herstellen, diese besitzen oder konsumieren, straflos bleiben. Entsprechend ist von der Vorbe132 133

07.3449 Mo. Amherd. Virtueller Kindsmissbrauch im Internet. Neuer Straftatbestand.

Mit dieser Vorbehaltsmöglichkeit werden insbesondere sexuell mündige Paare bis 18 Jahre anvisiert. Dass mindestens zwei Personen beteiligt sein müssen, ergibt sich aus dem Wortlaut der Konvention, der die Zustimmung der betroffenen Personen zum entsprechenden Verhalten fordert.

7621

haltsmöglichkeit in Absatz 3 zweiter Strich Gebrauch zu machen. Diese Neuerung bedeutet beispielsweise, dass sich ein 17-Jähriger, der von seiner 16-jährigen Freundin mit deren Einverständnis ein Foto mit pornografischem Charakter herstellt und dieses anschliessend betrachtet, nicht strafbar macht. In der Vernehmlassung ist dieser Vorschlag von verschiedenen Teilnehmenden ausdrücklich positiv aufgenommen worden134. Es haben sich jedoch auch kritische Stimmen gemeldet; teilweise wurde auf die Wichtigkeit hingewiesen, die Jugendlichen im Zusammenhang mit dieser Bestimmung bezüglich der Risiken und Gefahren zu informieren und zu sensibilisieren135. Es ist allerdings zu betonen, dass sich nach Absatz 4 strafbar macht, wer ein unter den obengenannten Voraussetzungen entstandenes Bild einer Drittperson zeigt. Dadurch ist der Schutz der abgebildeten Jugendlichen besser als bisher gewährleistet.

Art. 197 Abs. 9 E-StGB In Absatz 9 schliesslich wird neu auf die Absätze 1­5 von Artikel 197 verwiesen.

Gegenstände und Vorführungen im Sinne dieser Ziffern sind weiterhin nicht pornografisch, wenn sie einen schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert haben. Dies entspricht Artikel 197 Ziffer 5 des geltenden Rechts.

2.6.4

Art. 21 Straftaten betreffend die Mitwirkung eines Kindes an pornografischen Darbietungen

Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, das vorsätzliche Anwerben oder Veranlassen eines Kindes zur Mitwirkung an pornografischen Darbietungen (Abs. 1 Bst. a), die Nötigung eines Kindes zur Mitwirkung an pornografischen Darbietungen oder Gewinnerzielung hieraus oder sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken (Abs. 1 Bst. b) sowie den wissentlichen Besuch pornografischer Darbietungen, an denen Kinder mitwirken (Abs. 1 Bst. c), strafbar zu erklären. Es ist den Vertragsstaaten überlassen, den Begriff «pornografische Darbietungen» zu definieren (beispielsweise, ob sie öffentlich sein müssen oder privat sein können, kommerziell oder nicht kommerziell sind). Die Bestimmung zielt im Wesentlichen auf organisierte Live-Darbietungen von Kindern mit eindeutig sexuellem Inhalt ab136.

134

Maria Magdalena, Netzwerk Kinderrechte Schweiz, Schweizerische Vereinigung für Jugendstrafrechtspflege, Schweizerische Vereinigung der Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände, Stiftung Kinderschutz Schweiz, Unicef.

135 Kanton Genf, Sozialdemokratische Partei der Schweiz SP, Christliche Ostmission, Juristinnen Schweiz, Konferenz der Schweizer Staatsanwälte, Pro Familia, Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten, Schweizerischer Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Universität Freiburg.

136 Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziffer 147.

7622

2.6.4.1

Geltendes Recht

Anwerben oder Veranlassen eines Kindes zur Mitwirkung an pornografischen Darbietungen (Art. 21 Abs. 1 Bst. a Konvention) Hier ist zunächst zu unterscheiden, ob das Anwerben bzw. das Veranlassen des Kindes zur Mitwirkung an einer pornografischen Darbietung von derselben Person ausgeführt wird, die für die Durchführung der Darbietung verantwortlich ist, oder nicht.

Im erstgenannten Fall besteht Strafbarkeit wegen Artikel 187 Ziffer 1 Absatz 2 StGB (sofern das Opfer das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat) sowie Artikel 197 Absatz 4 (bisher Ziff. 3) StGB wegen harter Pornografie (insbesondere Zeigen einer Vorführung). Wird die Darbietung nicht durchgeführt, könnte das Anwerben oder Veranlassen eines Kindes allenfalls als Versuch zu Artikel 187 Ziffer 1 Absatz 2 StGB oder zu Artikel 197 Absatz 4 (bisher Ziff. 3) StGB angesehen werden. Die in der Konvention umschriebenen Tathandlungen setzen nun allerdings zeitlich früh ein, und es ist fraglich, ob diese Verhaltensweisen stets bereits als Versuch zur Haupttat angesehen werden können.

Ist der Täter für die Durchführung der Darbietung nicht verantwortlich, so kommt allenfalls ein Versuch des Verleitens im Sinne von Artikel 187 Ziffer 1 Absatz 2 StGB in Betracht. Allerdings ist Artikel 187 Ziffer 1 StGB nur auf Kinder unter 16 Jahren anwendbar. Die Konvention hingegen verlangt den entsprechenden Schutz vor Anwerbung/Veranlassung zu pornografischen Darbietungen für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Da nach schweizerischem Recht die versuchte Gehilfenschaft nicht strafbar ist137, kann jedenfalls das reine Anwerben eines über 16-jährigen Kindes, ohne dass dieses später an einer pornografischen Vorführung mitwirkt, nicht bestraft werden.

Um den Anforderungen der Konvention zu genügen, muss das Strafgesetzbuch deshalb entsprechend ergänzt werden (Art. 197 Abs. 3 [gemäss Vernehmlassungsvorlage: Ziff. 2bis] E-StGB; Vgl. Ziff. 2.6.4.2).

Nötigen eines Kindes zur Mitwirkung an pornografischen Darbietungen (Art. 21 Abs. 1 Bst. b Konvention) Tathandlungen nach Absatz 1 Buchstabe b werden durch Artikel 187 (Sexuelle Handlungen mit Kindern) in Verbindung mit Artikel 189 oder Artikel 190 StGB abgedeckt, sofern das Kind unter 16 Jahre alt und der Täter mehr als drei Jahre älter ist; in allen anderen Fällen kommt Artikel 189 (Sexuelle Nötigung) oder Artikel 190
StGB (Vergewaltigung) zur Anwendung. In Artikel 189 StGB wird als das vom Opfer abgenötigte Verhalten zwar nur «Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung» genannt, nicht aber der Zwang zur Vornahme einer sexuellen Handlung. Da diese Formulierung auf einem offensichtlichen Versehen beruht, erfüllt den Tatbestand nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung auch die Nötigung, die sexuelle Handlung am Täter, an sich selbst oder an einem Dritten vorzunehmen138.

137

Vgl. Trechsel et al., Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Zürich/ St. Gallen 2008, N 8 zu Art. 25.

138 Vgl. BGE 127 IV 198; Jenny/Schubarth/Albrecht, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, BT, 4. Band, Bern 1997, N 37 zu Art. 189.

7623

Die weiteren in Absatz 1 Buchstabe b genannten Tathandlungen ­ die Gewinnerzielung aus der pornografischen Darstellung oder die sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken ­ werden über die Mittäterschaft oder allenfalls die Gehilfenschaft an den oben erwähnten Tatbeständen bestraft. Gemäss Lehre ist ein Indiz für Mittäterschaft das Interesse an der Tat, insbesondere die anteilsmässige Beteiligung an der Beute139.

Wissentlicher Besuch pornografischer Darbietungen, an denen Kinder mitwirken (Art. 21 Abs. 1 Bst. c Konvention) Die Vertragsparteien werden verpflichtet, den wissentlichen Besuch pornografischer Darbietungen, an denen Kinder mitwirken, strafbar zu erklären. Diese Tathandlungen werden im geltenden schweizerischen Strafrecht nicht explizit geregelt. Denkbar wäre psychische Gehilfenschaft zu einem entsprechenden Tatbestand, namentlich zu sexuellen Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1 StGB). Diese Konstellation deckt jedoch nicht die Gesamtheit an denkbaren Fällen ab, insbesondere bezüglich des Alters der Opfer140: Das geltende Recht vermag deshalb Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Konvention nur teilweise zu entsprechen.

Nach geltendem Recht ist der Konsum von harter Pornografie nur strafbar, wenn der Täter auch entsprechenden Besitz hat (Art. 197 Ziff. 3bis StGB). Wer sich hingegen Darstellungen von Kinderpornografie zeigen lässt, bleibt straflos, da der Konsum allein kein Herrschaftsverhältnis über das Tatobjekt herbeiführt oder aufrechterhält.

Es liegt kein Besitz im Sinne des Strafgesetzbuches vor141.

Wie vorstehend142 ausgeführt, soll neu ­ in Umsetzung der Motion 06.3170 Schweiger ­ auch der besitzlose Konsum von harter Pornografie strafbar werden. Durch die Neuformulierung von Absatz 5 (bisher: Ziff. 3bis) können in Zukunft auch Besucherinnen und Besucher von Kinovorführungen mit harter Pornografie oder eben Zuschauerinnen und Zuschauer von pornografischen Darbietungen, an denen minderjährige Personen mitwirken, bestraft werden. Da in Absatz 5 (bisher: Ziff. 3bis) von Artikel 197 StGB zudem der Begriff «Kinder» durch «Minderjährige» ersetzt wird (wie vorstehend unter Ziff. 2.6.3.2 ausgeführt), ist damit auch Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Konvention abgedeckt.

2.6.4.2

Revision des Strafgesetzbuchs (Art. 197 Abs. 3 E-StGB)

Zur Umsetzung der Anforderungen gemäss Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a der Konvention wird in Artikel 197 StGB ein neuer Absatz 3 (gemäss Vernehmlassungsvorlage: Ziff. 2bis) eingefügt: Wer eine minderjährige Person anwirbt, damit diese an einer pornografischen Vorführung mitwirkt, oder wer sie zur Mitwirkung an einer derartigen Vorführung veranlasst, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Sprachlich wird somit nicht der in der Konvention genannte Ausdruck «Darbietung», sondern der in Artikel 197 StGB bereits gebrauchte Begriff 139

Vgl. Trechsel et al., Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Zürich/ St. Gallen 2008, Vor Art. 24 N 15.

140 Artikel 187 StGB betrifft Kinder unter 16 Jahren.

141 Vgl. Bundi, Der Straftatbestand der Pornografie in der Schweiz, Bern 2008, Ziffer 2.3.6.4.2, N 303.

142 Vgl. Ziffer 2.6.3.2.

7624

«Vorführung» verwendet. Das vorgeschlagene Strafmass ist genügend, da es sich bei den Tathandlungen materiell um Vorbereitungshandlungen handelt.

Von der Vorbehaltsmöglichkeit nach Artikel 21 Absatz 2, wonach Absatz 1 Buchstabe c auf Fälle beschränkt werden kann, in denen Kinder nach Absatz 1 Buchstabe a oder b angeworben oder genötigt worden sind, macht die Schweiz keinen Gebrauch, womit ein umfassender Schutz von Kindern vor Ausbeutung und Missbrauch gewährleistet werden kann.

2.6.5

Art. 22 Unsittliches Einwirken auf Kinder

Die Vertragsstaaten müssen nach Artikel 22 das sexuell motivierte Veranlassen eines Kindes, bei sexuellem Missbrauch oder sexuellen Handlungen anwesend zu sein, strafbar erklären. Das Kind muss an den sexuellen Handlungen nicht teilnehmen.

Massgebend für die Strafbarkeit ist die Altersgrenze gemäss Artikel 18 Absatz 2 der Konvention. Im schweizerischen Recht beträgt diese 16 Jahre.

Solche Tathandlungen können die psychische Gesundheit von Kindern gefährden, indem die Persönlichkeit massgeblich beeinträchtigt wird, namentlich durch ein verzerrtes Bild von Sexualität und persönlichen Beziehungen. Es ist den Vertragsstaaten überlassen, den Begriff «Veranlassen» zu interpretieren. In Frage kommen beispielsweise Gewalt, Zwang, Verführung, Versprechen143.

Nach Artikel 187 Ziffer 1 StGB ist unter anderem strafbar, wer ein Kind unter 16 Jahren in eine sexuelle Handlung einbezieht. Mit «Einbeziehen» sind diejenigen sexuellen Handlungen des Täters gemeint, die er vor dem Kind vornimmt, wobei es zu keinen körperlichen Berührungen zwischen Täter und Opfer kommt. Das Kind wird durch gezieltes Verhalten als Zuschauer in sexuelle Handlungen einbezogen144.

Sind Zwang oder Gewalt im Spiel, sind Konkurrenzen zu den entsprechenden Tatbeständen, namentlich zu Artikel 189 StGB, zu prüfen.

Die Anforderungen von Artikel 22 der Konvention werden von Artikel 187 StGB somit vollständig erfüllt.

2.6.6

Art. 23 Kontaktanbahnung zu Kindern zu sexuellen Zwecken (sog. «Grooming»)

2.6.6.1

Anforderungen der Konvention

Nach Artikel 23 müssen die Vertragsstaaten den Vorschlag eines Erwachsenen, ein Kind mit dem Ziel zu treffen, eine Straftat nach den Artikeln 18 Absatz 1 Buchstabe a (sexuelle Handlungen mit Kindern) oder 20 Absatz 1 Buchstabe a (Herstellung von Kinderpornografie) zu begehen, strafbar erklären, wenn diesem Vorschlag konkrete Handlungen für das Treffen folgen. Weitere Voraussetzung für die Strafbarkeit ist, dass das Opfer die Altersgrenze gemäss Artikel 18 Absatz 2 der Konvention noch nicht erreicht hat, d.h. nach schweizerischem Recht 16 Jahre. Um straf143 144

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziff. 154.

Vgl. Maier, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2007, N 13 zu Art. 187 StGB.

7625

rechtlich relevant zu sein, müssen dem Vorschlag für ein Treffen konkreten Handlunge folgen, die zum Treffen führen, gindem der Täter beispielsweise am Treffpunkt erscheint. Blosse Kommunikation im Internet im Sinne des sogenannten «chattens» genügt nicht. Die Vertragsstaaten haben dieses Element bewusst eingefügt im Wissen darum, dass die Schwelle zur Strafbarkeit relativ weit vor der eigentlichen Tathandlung angesiedelt wird. Der Anwendungsbereich umfasst nur die Benützung von Informations- und Kommunikationstechnologien, also namentlich Internet und Mobiltelefone, nicht hingegen reale Kontakte oder nichtelektronische Kommunikation145.

2.6.6.2

Geltende Rechtslage in der Schweiz

Chatforen werden rege zur Kontaktaufnahme mit Kindern und Jugendlichen missbraucht, um mit ihnen aus sexuellen Motiven in Kontakt zu treten, beispielsweise in Form obszöner Äusserungen und Aufforderungen. Sexualisierte Chatdialoge können bei damit konfrontierten Jugendlichen Angst und Ekel auslösen und eine ungestörte sexuelle Entwicklung gefährden.

Im schweizerischen Strafrecht sind Handlungen, wie sie die Konvention in Artikel 23 umschreibt, als Versuch zur Vornahme sexueller Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) oder zur Herstellung von Kinderpornografie (Art. 197 Ziff. 3 StGB) strafbar. Das Bundesgericht hat sich zur Abgrenzung zwischen strafloser Vorbereitungshandlung und strafbarem Versuch bei sexuell motiviertem Chatten mit Kindern eingehend geäussert. Demnach ist das Verhalten dann strafbar, wenn sich der Verdächtige auf den Weg macht und sich an den Ort des vereinbarten Treffpunkts begibt146. Diese Rechtsprechung wird zum Teil kritisiert147. Strafbar nach schweizerischem Strafrecht macht sich zudem ein Täter bereits vorher, d.h.

während des Chatdialogs mit einem Kind, wenn er dabei: ­

das Kind mit pornografischen Texten oder Abbildungen konfrontiert (Art. 197 Ziff. 1 StGB);

­

das Kind zur Vornahme sexueller Handlungen an sich selber verleitet und dabei ­ etwa mittels einer Livecam ­ zuschaut (Art. 187 Ziff. 1 Abs. 2 StGB);

145 146

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziff. 159.

BGE 131 IV 105 E. 8.1.

Siehe dazu auch: Urteil des Kassationshofs Basel-Stadt vom 13. März 2005: Versuch bejaht. Der Beschwerdeführer ist zur Tat entschlossen an den vereinbarten Treffpunkt gereist.

Sexuelle Handlungen haben keine stattgefunden, da es sich beim vermeintlichen Opfer um einen verdeckten Ermittler gehandelt hat.

Urteil des Berner Obergerichts vom 23. März 2005: Freispruch. Kein Treffen abgemacht.

Schwelle des strafbaren Versuches nicht überschritten. Erforderliche Tatnähe nicht gegeben.

147 Bollmann Eva, Straffreiheit für sexuelle Chatdialoge mit Minderjährigen? in: Jusletter vom 6. Juni 2005. Ebenfalls kritisch KOBIK in: Rechtliche Problematik rund um den Chat zwischen Erwachsenen und Kindern, Kritische Darstellung der Rechtsprechung und Empfehlungen für die Praxis, April 2007.

7626

­

das Kind in eine sexuelle Handlung einbezieht (Art. 187 Ziff. 1 Abs. 3 StGB), indem er sexuelle Handlungen vor dem Kind vornimmt bzw. das Kind diese wahrnimmt, ohne dass es dabei zu einem körperlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer kommt.

2.6.6.3

Schaffung eines neuen Straftatbestandes?

Unter Berücksichtigung der geltenden Rechtslage ist zu prüfen, ob die Schaffung eines separaten Straftatbestandes des Grooming für die Umsetzung der Konvention notwendig und innerstaatlich angezeigt ist.

Die Schaffung eines separaten Tatbestands des Grooming für die Umsetzung der Konvention erscheint zum Vornherein nicht als opportun. Wie oben umschrieben, werden entsprechende Sachverhalte bereits vom geltenden Recht als Versuch einer sexuellen Handlung mit einem Kind oder der Herstellung von Kinderpornografie sowie durch andere Tatbestände abgedeckt. Es ist kaum ersichtlich, welche Sachverhalte mit einem entsprechenden neuen Tatbestand erfasst werden sollen, die nicht bereits vom geltenden Recht abgedeckt werden. Insofern ist kein praktischer Zusatznutzen einer solchen Strafnorm erkennbar. Ein separater Tatbestand würde sich somit primär auf symbolische Gesetzgebung beschränken.

Eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, wonach bereits das sexuell motivierte Chatten mit einem Kind strafbar wäre (Grooming im weiten Sinn), ist hingegen grundsätzlich denkbar. Eine beachtliche Minderheit der Vernehmlasser148 hat sich dahingehend geäussert, dass ein eigener Tatbestand geschaffen (bzw. dies nochmals geprüft) oder aber die Strafbarkeit (auf andere Weise) vorverlagert werden sollen. Ebenso verlangen zwei parlamentarische Vorstösse die Strafbarerklärung des Grooming in diesem weiten Sinne149.

Die Schaffung eines solchen Tatbestandes würde eine sehr frühe Intervention der Strafverfolgungsbehörden ermöglichen. Zwar würde damit den besonderen Gefahren der Kommunikations- und Internettechnologie für Kinder und Jugendliche Rechnung tragen. Allerdings gibt es gewichtigere Argumente, die gegen die Schaffung eines solchen Straftatbestandes sprechen. Das geltende Strafrecht deckt bereits eine (genügend) breite Palette von Verhaltensweisen ab, bevor der Täter weitere Schritte im Hinblick auf ein Treffen mit dem Kind oder Jugendlichen unternimmt (vgl. oben). Der verbleibende neue Anwendungsbereich eines Grooming-Tatbestandes, der die blosse Internetkommunikation erfasst, kann sich als schwierig erweisen, weil für die Abgrenzung zwischen erlaubtem und strafbarem Verhalten die (innere) Absicht des Täters entscheidend ist, das Kind später zu missbrauchen, was schwer beweisbar ist. Materiell würden Vorbereitungshandlungen
kriminalisiert, die nach geltendem Recht nur für besonders schwere, einzeln aufgeführte Straftaten wie Mord, Raub, Geiselnahme oder Völkermord strafbar sind (Art. 260bis StGB).

Ausserdem ist daran zu erinnern, dass das Strafrecht nur dann eingreifen kann und soll, wenn ein Rechtsgut verletzt worden ist oder ernsthaft gefährdet wird. Es widerspricht den Grundprinzipien des Strafrechts, Handlungen strafbar zu erklären, welche diese Schwelle nicht erreichen. Zudem wird zurzeit im Bereich der präventiven 148 149

9 Kantone, 4 Parteien und rund 20 Institutionen; vgl. Auswertungsbericht Ziff. 3.5.

Motion Amherd, Virtueller Kindsmissbrauch, Neuer Straftatbestand, 07.3449 sowie Motion Schmid-Federer, Grooming unter Strafe stellen, 11.4002.

7627

verdeckten Fahndung auf kantonaler Ebene im Polizeirecht eine gesetzliche Grundlage erarbeitet (Musterregelung der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, KKJPD), welche eine frühzeitige präventive Intervention ermöglicht150. Und nicht zuletzt geht ein separater Tatbestand des Grooming im weiten Sinn wesentlich über die Anforderungen der Lanzarote-Konvention, die zusätzliche konkrete Handlungen voraussetzt, hinaus. Aus diesen Gründen ist auf die Einführung eines neuen Tatbestandes des Grooming zu verzichten151.

Das geltende Strafrecht genügt den Anforderungen von Artikel 23 der Konvention.

2.6.7

Art. 24 Beihilfe, Anstiftung und Versuch

Versuch, Anstiftung und Gehilfenschaft, die nach den Absätzen 1 und 2 strafbar zu erklären sind, werden in den Artikeln 22, 24 und 25 StGB geregelt. Alle drei Tatformen sind strafbar, wenn es sich um ein Verbrechen oder Vergehen handelt. Da die Strafbestimmungen der Konvention durchgehend von Verbrechens- und Vergehenstatbeständen des Strafgesetzbuches abgedeckt sind, erfüllt die Schweiz die entsprechenden Anforderungen.

Einer näheren Prüfung bedarf lediglich die Strafbarkeit der Teilnahme am Versuch der Begehung einer sexuellen Handlung an einem Kind (Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) und der Herstellung von Kinderpornografie (Art. 197 Abs. 4 E-StGB). Wie oben ausgeführt wird die Verpflichtung, Grooming (Art. 23 der Konvention) strafbar zu erklären, in der Schweiz über den Versuch zu einer sexuellen Handlung mit einem Kind bzw. zur Herstellung von Kinderpornografie umgesetzt.

Anstiftung ist das Hervorrufen des Vorsatzes zu einer rechtswidrigen Tat. Gehilfe ist, wer vorsätzlich in untergeordneter Stellung die Vorsatztat eines anderen fördert.

Nach dem Grundsatz der Akzessorietät ist sowohl Anstiftung wie auch Gehilfenschaft bereits vollendet, wenn die Haupttat lediglich versucht wurde152. Sowohl Anstiftung wie auch Gehilfenschaft zu einer versuchten Haupttat sind mithin strafbar, womit die Anforderungen auch bezüglich Artikel 23 der Konvention erfüllt sind.

Nach Absatz 3 kann sich jeder Staat das Recht vorbehalten, versuchtes Grooming nicht strafbar zu erklären bzw. Artikel 24 Absatz 2 der Konvention entsprechend nicht anzuwenden. Die Schweiz macht von dieser Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch, da ein versuchter Versuch nach schweizerischem Strafrecht nicht strafbar ist.

Damit erfüllt die Schweiz die Anforderungen von Artikel 24 der Konvention.

150

Fedpol (KOBIK) hat gemeinsam mit dem Kanton Schwyz am 23.12.2010 eine unbefristete Vereinbarung betreffend die Zusammenarbeit mit den polizeilichen Vorermittlungen im Internet zur Bekämpfung der Pädokriminalität (Monitoring von Chaträumen) abgeschlossen. Diese Vereinbarung regelt die Modalitäten des Einsatzes von KOBIKMitarbeitenden als verdeckte Vorermittler zur Bekämpfung der Pädokriminalität im Internet.

151 Von unseren Nachbarländern kennen Frankreich, Österreich und Liechtenstein einen Tatbestand des Grooming. Über eine entsprechende Gesetzesbestimmung verfügen auch Schweden, Finnland, Australien, Kanada, UK und die USA.

152 Vgl. z.B. Trechsel/Noll, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Zürich 2004, S. 222.

7628

2.6.8

Art. 25 Gerichtsbarkeit

2.6.8.1

Anforderungen der Konvention und geltendes Recht

Artikel 25 Absatz 1 verpflichtet jeden Vertragsstaat, seine Zuständigkeit zu begründen, wenn sich die Straftat in seinem Hoheitsgebiet ereignet hat (Bst. a; Territorialitätsprinzip), wenn die Tat an Bord eines Schiffes, das die Flagge dieses Staates führt (Bst. b, Flaggenprinzip), oder an Bord eines Luftfahrzeuges, das nach dem Recht dieses Vertragstaates eingetragen ist (Bst. c), begangen wird. Die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte ergibt sich aus Artikel 3 StGB, Artikel 4 Absatz 2 des Seeschifffahrtsgesetzes vom 23. September 1953153 und Artikel 97 Absatz 1 des Luftfahrtgesetzes vom 21. Dezember 1948154.

Gemäss Absatz 1 Buchstabe d begründet jede Vertragspartei ihre Gerichtsbarkeit, wenn die Straftat von einem ihrer Staatsangehörigen begangen wird. Die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte wird in diesen Fällen durch Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a StGB (aktives Personalitätsprinzip) abgedeckt. Nach Buchstabe e desselben Absatzes haben die Vertragsstaaten ihre Gerichtsbarkeit zudem dann zu begründen, wenn die Straftat von einer Person begangen wird, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet hat. Gemäss Absatz 3 kann sich jedoch jeder Vertragsstaat das Recht vorbehalten, diese Vorschrift nicht oder nur in bestimmten Fällen oder unter bestimmten Bedingungen anzuwenden. Da die Variante in Absatz 1 Buchstabe e im schweizerischen Recht nicht vorgesehen ist und keine innerstaatliche Notwendigkeit für eine gesetzgeberische Anpassung vorliegt, macht die Schweiz von der genannten Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch.

Die Vertragsstaaten bemühen sich nach Absatz 2, ihre Gerichtsbarkeit zu begründen, wenn die Straftat gegen einen ihrer Staatsangehörigen oder eine Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet hat, begangen wird. Die Grundlage für die schweizerische Gerichtsbarkeit im Falle der Tatbegehung gegen einen Schweizer findet sich in Artikel 7 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 StGB (passives Personalitätsprinzip). Hat das Opfer hingegen lediglich seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz, so findet sich im schweizerischen Recht kein Anknüpfungspunkt für eine schweizerische Gerichtsbarkeit. Da die Bestimmung jedoch nicht zwingend formuliert ist, ergibt sich daraus kein Umsetzungsbedarf.

Von besonderer Bedeutung ist Absatz 4. Die Vertragsstaaten müssen für die
Verfolgung der Straftaten nach den Artikeln 18 (sexueller Missbrauch), 19 (Kinderprostitution), 20 Absatz 1 Buchstabe a (Herstellung von Kinderpornografie) und 21 Absatz 1 Buchstaben a und b (Anwerben und Veranlassen eines Kindes zur Mitwirkung an pornografischen Darbietungen sowie Nötigung eines Kindes zur Teilnahme an pornografischen Darbietungen oder zur Erzielung eines Gewinns daraus oder sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken) die notwendigen Massnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ihre Gerichtsbarkeit bezüglich Absatz 1 Buchstabe d (Staatsangehörige) nicht davon abhängt, dass die Handlungen am Tatort strafbar sind. Artikel 5 StGB (Straftaten gegen Unmündige im Ausland) trägt diesen Anforderungen mit wenigen Ausnahmen155 schon heute Rechnung. In der Schweiz 153 154 155

SR 747.30 SR 748.0 Vgl. dazu die anschliessend erläuterten notwendigen Ergänzungen.

7629

kann gestützt auf diese Bestimmung ohne Rücksicht auf das ausländische Recht gegen Personen vorgegangen werden, die im Ausland schwere Sexualdelikte gegen Minderjährige begangen haben. Damit wird einerseits auf das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit und andererseits auf die Berücksichtigung des gegebenenfalls milderen Rechts des Begehungsortes verzichtet. Für die Verfolgung der Beschuldigten spielt deren Nationalität keine Rolle.

Nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b StGB gilt der Verzicht auf die doppelte Strafbarkeit für sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187 StGB) allerdings nur dann, wenn das Opfer weniger als 14 Jahre alt war. Sinn und Zweck dieses Artikels war in erster Linie der Schutz von Kindern vor Sextourismus. Mit Blick auf die in den Nachbarländern unterschiedlich hohen sexuellen Schutzalter, namentlich wenn sie unter 16 Jahren liegen, wurde die Altersgrenze bei 14 Jahren gezogen156. Da die Mitgliedstaaten zudem gemäss Konvention die Höhe des Alters der sexuellen Mündigkeit selber bestimmen dürfen (Art. 18 Abs. 2 der Konvention), genügt das schweizerische Recht auch in diesem Punkt den Anforderungen der Konvention.

Gemäss Absatz 6 müssen die Tatbestände nach den Artikeln 18, 19, 20 Absatz 1 Buchstabe a und 21 als Offizialdelikte ausgestaltet sein, sofern der Täter ein eigener Staatsangehöriger ist oder er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet hat. Diese Anforderung ist nach geltendem schweizerischem Recht erfüllt.

Jeder Vertragsstaat muss sodann gemäss Absatz 7 seine Zuständigkeit für Straftaten gemäss Übereinkommen auch dann begründen, wenn sich der Verdächtige in seinem Hoheitsgebiet befindet und er nur deshalb nicht ausgeliefert wird, weil er Staatsangehöriger ist. Dieser Pflicht zur Strafverfolgung bei Nichtauslieferung («aut dedere aut iudicare») kommt die Schweiz aufgrund der Artikel 6 und 7 StGB nach. Artikel 7 des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 1981157 (IRSG) hält fest, dass kein Schweizer Bürger ohne seine Zustimmung zum Zweck der Strafverfolgung ausgeliefert werden darf. Das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957158 regelt die Auslieferung eigener Staatsangehöriger in seinem Artikel 6. Hier findet sich bereits dieselbe Verpflichtung wie in der vorliegenden Konvention.

2.6.8.2

Revision des Strafgesetzbuches (Art. 5 Abs. 1 Bst. abis [neu] und c E-StGB)

Aufgrund der im Zusammenhang mit der Umsetzung des vorliegenden Übereinkommens notwendigen Revisionen des Strafgesetzbuches, insbesondere der Einfügung neuer Straftatbestände, ist Artikel 5 StGB entsprechend den Anforderungen von Artikel 25 Ziffer 4 des Übereinkommens zu ergänzen: In Artikel 5 Absatz 1 ist ein neuer Buchstabe abis einzufügen, in dem neu Artikel 196 E-StGB (sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Entgelt, vgl. Ziff. 2.6.2.2) sowie Artikel 188 StGB (sexuelle Handlungen mit Abhängigen), der für die Umsetzung der Konvention notwendig ist (vgl. Ziff. 2.6.1), aufgeführt werden. Diese beiden Artikel in einem neuen Buchstaben einzufügen, rechtfertigt sich deshalb, weil ihr persönlicher Anwendungsbereich zum Vorneherein auf Minderjährige

156 157 158

Vgl. Popp/Levante, Basler Kommentar, Strafrecht I, Basel 2007, N 10 zu Art. 5 StGB.

SR 351.1 SR 0.353.1

7630

beschränkt ist. Dies im Gegensatz zu den in Buchstabe a genannten Tatbeständen, die keine solche Beschränkung vorsehen.

In Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c ist der neue Artikel 197 Absatz 3 E-StGB (Anwerben und Verleiten von Kindern zur Teilnahme an pornografischen Vorführungen) einzufügen, und die bestehende Ziffer 3 wird zu Absatz 4 (vgl. Ziff. 2.6.4.2). Ausserdem ist in den Buchstaben abis und c der Begriff «Kinder» analog der vorgeschlagene Revision von Artikel 197 StGB (vgl. Ziff. 2.6.3.2) durch «Minderjährige» zu ersetzen. Die Vorbehaltsmöglichkeit nach Artikel 25 Absatz 5 der Konvention, wonach jeder Staat die Anwendung von Absatz 4 einschränken kann, muss demnach nicht in Anspruch genommen werden.

2.6.9

Art. 26 Verantwortlichkeit juristischer Personen

Gemäss Artikel 26 der Konvention sollen juristische Personen für strafbare Handlungen im Sinne der Konvention haftbar gemacht werden können, die zu ihren Gunsten von einer natürlichen, eine leitende Position im Unternehmen innehabenden Person begangen werden (Abs. 1). Die Unternehmung soll ebenso haften für die Begehung einer Straftat im Sinne der Konvention, ausgeführt zu ihren Gunsten durch eine Person unter ihrer Führung, wenn eine mangelhafte Überwachung oder Kontrolle von Seiten einer leitenden Person nachgewiesen wird (Abs. 2). Die Haftung kann zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlicher Natur sein (Abs. 3) und soll der allfälligen Strafbarkeit einer natürlichen Person, welche die Straftat begangen hat, nicht entgegenstehen (Abs. 4).

Zahlreiche internationale Strafrechtsübereinkommen der letzten Jahre kennen ähnliche, zum Teil identische Regelungen der Verantwortlichkeit von Unternehmen159.

Der ­ trotz einer gegenläufigen internationalen Tendenz ­ nach wie vor verbreitete Grundsatz, wonach sich Unternehmen nicht strafbar machen können, wird durch die Übereinkommen geschützt (vgl. Art. 26 Abs. 3 der Konvention). Die Staaten müssen jedoch sicherstellen, dass auch juristische Personen angemessenen Sanktionen oder Massnahmen unterliegen.

Sexualdelikte sind typischerweise Delikte von Einzeltätern oder allenfalls von kleinen Gruppen. Die Strafbarkeit des Unternehmens ist in diesem Zusammenhang kaum relevant. Einzig im Bereich der Produktion von Pornografie und im Zusammenhang mit pornografischen Darbietungen sowie der Prostitution von Minderjährigen könnte die Strafbarkeit von Unternehmen praktische Bedeutung erlangen.

Eine primäre Verantwortlichkeit des Unternehmens besteht im schweizerischen Strafrecht für eine beschränkte Zahl bestimmter Deliktskategorien, wenn dem Unternehmen vorzuwerfen ist, dass es nicht alles Erforderliche und Zumutbare 159

Vgl. UNO-Übereinkommen vom 15. Nov. 2000 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, SR 0.311.54; Internationales Übereinkommen vom 9. Dez. 1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, SR 0.353.22; Übereinkommen vom 17. Dez. 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, SR 0.311.21; Strafrechtsübereinkommen des Europarats vom 27. Jan. 1999 über Korruption, SR 0.311.55; Übereinkommen des Europarats vom 23. Nov. 2001 über die Cyber-Kriminalität, SR 0.311.43; Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 2005 zur Bekämpfung des Menschenhandels, von der Schweiz unterzeichnet am 8. September 2008.

7631

vorgekehrt hat, um eine solche Straftat zu verhindern (Art. 102 Abs. 2 StGB). Die durch die vorliegende Europaratskonvention umfassten Straftaten fallen nicht unter die erwähnten Deliktskategorien.

Für den Fall, dass die Tat im Rahmen des Unternehmenszweckes begangen wurde und wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann, besteht eine allgemeine subsidiäre strafrechtliche Verantwortlichkeit der juristischen Person (Art. 102 Abs. 1 StGB). Die Strafe ist Busse bis zu 5 Millionen Franken. Diese strafrechtliche Haftung bezieht sich auf die Gesamtheit der Verbrechen und Vergehen gemäss schweizerischer Rechtsordnung160 und deckt damit alle Delikte gemäss Konvention ab. Sie geht im Vergleich zum Konventionstext in dem Sinne weiter, als dieser sich auf Straftaten beschränkt, die zum Vorteil der juristischen Person oder durch einen Vertreter des Managements begangen werden, während die Haftung gemäss StGB bei jedem Verbrechen oder Vergehen, begangen im Rahmen des Unternehmenszweckes durch eine Person in Ausübung geschäftlicher Verrichtung, greift. Gemäss Artikel 102 Absatz 1 StGB ist die Bestrafung der juristischen Person jedoch nur dann möglich, wenn das Verhalten keiner natürlichen Person zugerechnet werden kann.

Absatz 4 sieht in diesem Zusammenhang vor, dass die Strafbarkeit der juristischen Person nicht die Verantwortlichkeit des Täters berühren soll. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Verpflichtung der Staaten zu einer parallelen strafrechtlichen Haftung eingeführt wird. Auch der Erläuternde Bericht zum Übereinkommen deutet nicht auf eine solche generelle Verpflichtung der Staaten hin161. Die dargestellte subsidiäre Verantwortlichkeit der juristischen Person im Schweizer Recht steht der Strafbarkeit der natürlichen Person nicht entgegen, verhindert diese also nicht. Sie findet dann Anwendung, wenn der Täter aufgrund der mangelhaften Organisation des Unternehmens nicht einer Bestrafung zugeführt werden kann.

Artikel 102 Absatz 1 StGB steht daher nicht im Widerspruch zum Konventionstext.

Von einer massgeblichen Ausweitung des Anwendungsbereichs der primären Unternehmenshaftung gemäss Artikel 102 Absatz 2 StGB, einer generellen Ausweitung dieses Anwendungsbereichs162 oder einer konzeptionellen Abänderung der Schweizer
Gesetzgebung im Bereich der Haftung der juristischen Personen kann daher abgesehen werden.

Neben der strafrechtlichen Haftung stehen zudem das Instrument der verwaltungsrechtlichen Haftung und die entsprechenden Sanktionen zur unmittelbaren Verhütung zukünftiger Schädigungen, beispielsweise durch Entzug einer Bewilligung oder der Verweigerung der Zulassung eines Unternehmens in einem Marktsegment oder Tätigkeitsbereich, zur Verfügung. Die Schweizer Rechtsordnung kennt verschiedene solche Mechanismen, die jedoch nicht umfassend auf alle Unternehmen angewendet werden können und auch nur in gewissen Bereichen des Marktes und der Wirtschaft bedeutsam sind. Ein Beispiel findet sich etwa im Radio- und Fernsehrecht. Gemäss Artikel 90 Absatz 1 Buchstabe h des Bundesgesetzes vom 24. März 2006163 über Radio und Fernsehen (RTVG) kann bei wiederholter Missachtung des Gebots der Achtung der Grundrechte bzw. der Menschenwürde und der öffentlichen Sittlichkeit (Art. 4 Abs. 2 RTVG) sowie des Verbots jugendgefährdender Sendungen (Art. 5 160 161 162

Mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedrohte Delikte; vgl. Art. 10 StGB.

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziff. 177 ff.

Z.B. die Anwendung der primären Unternehmungshaftung auf sämtliche Verbrechen und Vergehen.

163 SR 784.40

7632

RTVG) eine Verwaltungssanktion gegen den fehlbaren Programmveranstalter verhängt werden. In besonders schweren Fällen kann das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) das Programm (auf Antrag der Unabhängigen Beschwerdeinstanz, UBI) sogar verbieten (Art. 89 Abs. 2 RTVG). Sodann können Personenverbindungen und Anstalten mit unsittlichem oder widerrechtlichem Zweck das Recht der Persönlichkeit nicht erlangen. Entsprechend sind sie aufzuheben, und ihr Vermögen fällt dem Gemeinwesen zu164. Bestehen Mängel in der Organisation einer Gesellschaft und werden diese innert angesetzter Frist nicht behoben, so kann das Gericht die Gesellschaft auflösen165. Schliesslich stehen zivilrechtliche Mittel und Instrumente zur Verfügung, damit Unternehmen, zu deren Gunsten ein leitender Angestellter Straftaten verübt oder seine Aufsichtspflichten bezüglich der Tatbegehung durch einen Angestellten vernachlässigt hat, für den eingetretenen Schaden haftbar gemacht werden können.

Es kann zusammenfassend davon ausgegangen werden, dass das schweizerische Recht den Anforderungen von Artikel 26 der Konvention gerecht wird. Die geltenden Regelungen der subsidiären strafrechtlichen Verantwortlichkeit gehen zum Teil weiter als durch das Übereinkommen gefordert und stellen sicher, dass Verbrechen und Vergehen, begangen im Rahmen des Zwecks eines Unternehmens, auch dann nicht ungesühnt bleiben, wenn die Tat aufgrund eines Organisationsverschuldens keiner natürlichen Person zugerechnet werden kann.

2.6.10

Art. 27 Sanktionen und Massnahmen

Artikel 27 Absatz 1 verpflichtet die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass die in der Konvention umschriebenen Straftaten durch effektive, verhältnismässige und abschreckende Sanktionen bedroht werden, die ihrer Schwere Rechnung tragen, darunter auch Freiheitsstrafen, die zur Auslieferung führen können. Das geltende schweizerische Recht entspricht diesem Erfordernis, indem die einschlägigen Delikte durchwegs mit Freiheitsstrafen mit einem Höchstmass von mehr als einem Jahr bedroht sind166.

Gemäss Absatz 2 sollen auch juristische Personen im Sinne von Artikel 26 wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen unterliegen, zu denen strafrechtliche oder nicht strafrechtliche Geldsanktionen oder andere Massnahmen gehören. Das schweizerische Recht vermag auch diesen Anforderungen zu genügen, indem neben der subsidiären strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen mit Bussenandrohung bis zu fünf Millionen Franken167 auch zivil- oder verwaltungsrechtliche Urteile oder Verfügungen gegen fehlbare Unternehmen erlassen werden können.

164 165

Art. 52 und Art. 57 ZGB.

Art. 731b des Obligationenrechts, OR, SR 220. Diese Bestimmung wurde am 1. Januar 2008 in Kraft gesetzt und hat gemäss Statistik zu einer erheblichen Zunahme der Konkurseröffnungen geführt.

166 Vgl. Art. 35 Abs. 1 Bst. a IRSG.

167 Vgl. Art. 102 Abs. 1 StGB.

7633

Tatmittel für und Erträge aus Straftaten gemäss der Konvention oder Eigentum, das dem Wert der Erträge entspricht, sind nach Absatz 3a zu konfiszieren oder anderweitig einzuziehen. Dieser Verpflichtung wird mit den Artikeln 69 ff. StGB vollumfänglich entsprochen.

Absatz 3b enthält die Verpflichtung, die Möglichkeit vorzusehen, Einrichtungen, die zur Begehung von Straftaten nach dieser Konvention genutzt wurden, vorübergehend oder endgültig zu schliessen. Alternativ muss den Tätern vorübergehend oder ständig die Ausübung einer beruflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit, die Kontakte zu Kindern umfasst und in deren Rahmen die Straftat begangen wurde, untersagt werden können. Die Schliessung entsprechender Einrichtungen wie beispielsweise Bordelle etc, liegt im Kompetenzbereich der Kantone. Das als Alternative ausgestaltete Erfordernis eines Tätigkeitsverbotes wird einerseits durch das Berufsverbot von Artikel 67 StGB teilweise abgedeckt. Andererseits ist in diesem Zusammenhang auf die Vorlage zur Ausdehnung des strafrechtlichen Berufsverbotes hinzuweisen168.

2.6.11

Art. 28 Strafschärfungsgründe

Die Strafschärfungsgründe, die gemäss Artikel 28 von den Vertragsstaaten vorzusehen sind, können in der Schweiz grundsätzlich alle vom Gericht im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden (Art. 47 StGB). Vereinzelt sehen sodann die einzelnen Tatbestände für ein besonders verwerfliches Verhalten qualifizierte Strafdrohungen vor, so namentlich Artikel 189 Absatz 3 StGB (sexuelle Nötigung) und Artikel 190 Absatz 3 (Vergewaltigung). Strafschärfend wirkt sich in beiden Fällen ein grausames Handeln des Täters wie namentlich die Verwendung einer gefährlichen Waffe oder anderer gefährlicher Gegenstände aus. Das schweizerische Strafrecht kriminalisiert schliesslich die Beteiligung an einer und die Unterstützung einer kriminellen Organisation (Art. 260ter StGB).

Damit genügt die Schweiz den Anforderungen der Konvention.

2.6.12

Art. 29 Vorstrafen

Die Verpflichtung in Artikel 29, bei der Festsetzung des Strafmasses rechtskräftige Strafurteile anderer Vertragsparteien zu berücksichtigen, wird durch Artikel 47 StGB abgedeckt. Es besteht keine Verpflichtung, aktiv nach Verurteilungen im Ausland zu fahnden169.

168 169

Vgl. dazu die Ausführungen zu Art. 5 Abs. 3 der Konvention, Ziff. 2.2.2.

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziff. 208.

7634

2.7

Kapitel VII: Ermittlungen, Strafverfolgung und Verfahrensrecht

2.7.1

Art. 30 Grundsätze

2.7.1.1

Anforderungen der Konvention und geltendes Recht

Nach Artikel 30 Absatz 1 und 2 haben die Vertragsparteien sicherzustellen, dass Ermittlungen und Strafverfahren zum Wohl und unter Achtung der Rechte des Kindes durchgeführt werden, dass das vom Kind erlittene Trauma dadurch nicht verstärkt wird und dass den strafrechtlichen Massnahmen, soweit angemessen, Unterstützungsmassnahmen folgen.

In der Strafprozessordnung (StPO) wird in Artikel 3 festgehalten, dass die Strafbehörden in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen achten. Sie haben unter anderem das Gebot zu beachten, alle Verfahrensbeteiligten gleich und gerecht zu behandeln und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren. In den Artikeln 152­154 StPO sind verschiedene Massnahmen zum Schutz von Opfern vorgesehen; namentlich in Artikel 154 StPO sind besondere Massnahmen zum Schutz von Kindern als Opfer statuiert. Besondere Regeln gelten für den Fall, dass erkennbar ist, dass die Einvernahme oder Gegenüberstellung für das Kind zu einer schweren psychischen Belastung führen könnte. So darf beispielsweise eine Gegenüberstellung mit der beschuldigten Person nur unter bestimmten Voraussetzungen angeordnet werden, und das Kind darf während des ganzen Verfahrens in der Regel nicht mehr als zweimal einvernommen werden. Schliesslich sieht Artikel 319 Absatz 2 Buchstabe a StPO vor, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen kann, wenn das Interesse eines Opfers, das zum Zeitpunkt der Straftat weniger als 18 Jahre alt war, es zwingend verlangt und dieses Interesse dasjenige des Staates an der Strafverfolgung offensichtlich überwiegt, sowie das Opfer oder bei Urteilsunfähigkeit seine gesetzliche Vertretung der Einstellung zustimmt. Als Opfer im Sinne der StPO gilt die geschädigte Person, die durch die Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 116 StPO).

Jede Vertragspartei hat nach Absatz 3 sicherzustellen, dass die Ermittlungen und das Strafverfahren vorrangig behandelt und ohne ungerechtfertigte Verzögerung durchgeführt werden. Diese Verpflichtung wird im schweizerischen Recht durch das in Artikel 5 StPO festgehaltene Beschleunigungsgebot umgesetzt, wonach die Strafbehörden die Strafverfahren unverzüglich an die Hand zu nehmen und ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss zu bringen haben. Zudem
schreibt Artikel 154 Absatz 2 StPO vor, dass die erste Einvernahme des Kindes so rasch als möglich stattzufinden hat.

Absatz 4 verpflichtet die Vertragspartei sicherzustellen, dass die nach diesem Kapitel anzuwendenden Massnahmen die Rechte des Beschuldigten sowie die Erfordernisse eines fairen und unparteiischen Verfahrens nach Artikel 6 EMRK170 nicht beeinträchtigen. Diese Forderung wird in den Artikeln 3 ff. StPO umgesetzt, in denen die Grundsätze des Strafverfahrensrechts festgehalten werden. So wird unter anderem vorgeschrieben, dass die Strafbehörden die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu untersuchen haben (Art. 6 Abs. 2 StPO) und dass jede 170

SR 0.101

7635

Person bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt (Art. 10 Abs. 1 StPO). Bestehen unüberwindliche Zweifel an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat, so geht das Gericht von der für die beschuldigte Person günstigeren Sachlage aus (Art. 10 Abs. 3 StPO). Zudem wird in Artikel 149 Absatz 5 StPO festgehalten, dass die Verfahrensleitung bei der Anordnung einer Schutzmassnahme (z. B. bei der Zusicherung der Anonymität an einen Zeugen oder eine Zeugin) für die Wahrung des rechtlichen Gehörs der Parteien sorgt, insbesondere der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person.

In Absatz 5 erster Strich wird jede Vertragspartei verpflichtet, die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um wirksame Ermittlungen und eine wirksame Strafverfolgung von Straftaten der Konvention zu gewährleisten, die, soweit angemessen, auch die Möglichkeit umfassen sollen, verdeckte Ermittlungen durchzuführen. Gemäss Artikel 286 StPO kann die Staatsanwaltschaft unter bestimmten Voraussetzungen eine verdeckte Ermittlung anordnen, und zwar bereits nach geltendem Recht unter anderem zur Verfolgung der Straftaten gemäss Artikel 187 StGB (Sexuelle Handlungen mit Kindern), Artikel 188 Ziffer 1 StGB (Sexuelle Handlungen mit Abhängigen), Artikel 189 Absätze 1 und 3 StGB (Sexuelle Nötigung), Artikel 190 Absätze 1 und 3 StGB (Vergewaltigung), Artikel 191 StGB (Schändung), Artikel 192 Absatz 1 StGB (Sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten), Artikel 195 StGB (Förderung der Prostitution) sowie Artikel 197 Ziffern 3 und 3bis StGB (Pornografie).

Die in dieser Vorlage vorgeschlagenen Revisionen des materiellen Strafrechts, so namentlich der neue Artikel 196 E-StGB, sowie die Revision von Artikel 197 StGB geben Anlass, die Deliktskataloge der Strafprozessordnung zur verdeckten Ermittlung (Art. 286 Abs. 2 Bst. a) wie auch zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 269 Abs. 2 Bst. a) zu ergänzen bzw. nachzuführen (vgl. dazu sogleich nachfolgend unter Ziff. 2.7.1.2).

Absatz 5 zweiter Strich verpflichtet die Vertragsparteien dazu, den Ermittlungseinheiten oder -diensten zu ermöglichen, die Opfer von in Übereinstimmung mit Artikel 20 umschriebenen Straftaten zu identifizieren, insbesondere durch die Analyse kinderpornografischen Materials (wie beispielsweise
Fotografien und audiovisuelle Aufzeichnungen, die über die Kommunikations- und Informationstechnologien übermittelt oder zur Verfügung gestellt werden). Die Bundeskriminalpolizei, Kommissariat Pädokriminalität/Pornografie, arbeitet im Bereich Opfer- und Täteridentifikation eng mit internationalen Expertinnen und Experten zusammen. So hat die Schweiz (fedpol) seit Februar 2010 einen gesicherten Online-Zugriff auf die ICSE DB (International Child Sexual Exploitation Database) beim Generalsekretariat von Interpol in Lyon. Die Datenbank erlaubt spezialisierten Ermittlern, sichergestellte Bilder in der Datenbank abzuspeichern und diese mit den weltweit vorhandenen Bildern abzugleichen. Es ist sofort ersichtlich, ob die Opfer oder Täter irgendwo auf der Welt bereits bekannt sind und wo der aktuelle Stand der Ermittlungen erhältlich ist. Bilder mit unbekannten Opfern oder Tätern stehen weltweit zur Verfügung. Bei einer Übereinstimmung erfolgt eine Benachrichtigung der zuständigen Behörden.

Mit diesem Vorgehen werden Doppelspurigkeiten vermieden, und die Suche nach unbekannten Opfern oder Tätern kann weltweit erfolgen.

Die eigentliche Strafverfolgung obliegt den kantonalen Strafverfolgungsbehörden.

7636

2.7.1.2

Änderungen in den Deliktskatalogen des Strafgesetzbuchs (Art. 28a StGB) und der Strafprozessordnung (Art. 172, 269 und 286 StPO)

Wie vorstehend erwähnt, sind die Deliktskataloge zur verdeckten Ermittlung (Art. 286 Abs. 2 Bst. a StPO) und zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 269 Abs. 2 Bst. a StPO) aufgrund der vorgeschlagenen Änderungen des Strafgesetzbuchs anzupassen. Dies betrifft primär den neuen Straftatbestand von Artikel 196 E-StGB (Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Entgelt), welcher in beide Deliktskataloge aufzunehmen ist, in welchen bereits heute sämtliche Verbrechen und die meisten Vergehen des Fünften Titels des Strafgesetzbuchs (Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität) eingeteilt sind.

Während es bezüglich des revidierten Pornografieartikels (Art. 197 StGB) im Deliktskatalog für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs keiner Änderung bedarf, ist im Katalog für die verdeckte Ermittlung der Neunummerierung dieses Strafartikels Rechnung zu tragen (Art. 197 Abs. 4 und 5 statt wie bisher Ziff. 3 und 3bis). Zudem ist in diesen Artikel auch die neue Tatvariante des Veranlassens/Anwerbens von Minderjährigen zur Mitwirkung an pornografischen Vorführungen aufzunehmen (Art. 197 Abs. 3).

Eine bloss redaktionelle Änderung betrifft schliesslich den Deliktskatalog in Artikel 172 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer 3 StPO (Quellenschutz der Medienschaffenden), wo Artikel 197 Ziffer 3 StGB durch Artikel 197 Absatz 4 StGB zu ersetzen ist. Die gleiche formale Änderung ist auch in Artikel 28a StGB vorzunehmen.

Damit werden die Anforderungen der Konvention von der Schweiz erfüllt.

2.7.2

Art. 31 Allgemeine Schutzmassnahmen

Nach Absatz 1 hat jede Vertragspartei die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um die Rechte und Interessen der Opfer, insbesondere ihre besonderen Bedürfnisse als Zeugen, in allen Abschnitten der Ermittlungen und des Strafverfahrens zu schützen.

Sieben Massnahmen werden namentlich genannt: (a) Die Opfer müssen über ihre Rechte und die zu ihrer Verfügung stehenden Dienste usw. unterrichtet werden. Das Opfer im Sinne der StPO hat das Recht auf Information und wird über die wichtigsten Verfahrensschritte informiert (Art. 117 Abs. 1 Bst. e StPO).

(b) Es ist sicherzustellen, dass zumindest in den Fällen, in denen die Opfer und ihre Familien in Gefahr sein könnten, diese über eine vorübergehende oder endgültige Freilassung der verfolgten oder verurteilten Person unterrichtet werden. Das Opfer wird über die Anordnung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft sowie über eine Flucht der beschuldigten Person orientiert; die Orientierung über die Aufhebung der Haft kann unterbleiben, wenn die beschuldigte Person dadurch einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt würde (Art. 214 Abs. 4 StPO). Informationen über die Freilassung der verurteilten Person sind heute zum Teil im kantonalen Recht vorgesehen. Die parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer, Opferhilfegesetz, Schaffung wichtiger Informationsrechte des Opfers (09.430) vom

7637

30. April 2009 bezweckt eine Regelung auf Bundesebene. Der Nationalrat hat der Initiative Folge gegeben.

(c) Die Vertragsstaaten haben den Opfern ausserdem die Möglichkeit zu geben, gehört zu werden, Beweismittel vorzulegen und die Mittel zu wählen, mit Hilfe derer ihre Ansichten, Bedürfnisse und Sorgen unmittelbar oder über einen Vermittler vorgetragen und geprüft werden. Gemäss Strafprozessordnung muss sich das Opfer als Privatklägerschaft konstituieren, damit es Parteirechte hat (Art. 118 ff. StPO).

Als Partei kann das Opfer bei der Verfahrensleitung Eingaben machen (Art. 109 Abs. 1 StPO); allgemein wird das rechtliche Gehör einer Partei gewahrt, indem sie namentlich das Recht hat, die Akten einzusehen, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen, einen Rechtsbeistand beizuziehen, sich zur Sache und zum Verfahren zu äussern und Beweisanträge zu stellen (Art. 107 Abs. 1 StPO).

(d) Zusätzlich werden die Vertragsparteien verpflichtet, den Opfern geeignete Hilfsdienste zur Verfügung zu stellen, damit ihre Rechte und Interessen in gebührender Weise vorgetragen und berücksichtigt werden. Wie bereits erwähnt kann sich gemäss der Strafprozessordnung ein Opfer als Privatklägerschaft am Verfahren beteiligen. Damit hat es das Recht, zur Wahrung seiner Interessen einen Rechtsbeistand beizuziehen (Art. 107 Abs. 1 Bst. c und Art. 127 StPO). Zur Durchsetzung ihrer Zivilansprüche kann die Verfahrensleitung der Privatklägerschaft die unentgeltliche Rechtspflege gewähren, falls bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 136 StPO).

(e) Die Vertragsstaaten haben das Privatleben, die Identität und das Bild der Opfer zu schützen und Massnahmen zu treffen, um die öffentliche Verbreitung von Informationen zu verhindern, die zur Identifikation der Opfer führen könnte. Das Opfer im Sinne der StPO hat das Recht auf Persönlichkeitsschutz (Art. 117 Abs. 1 Bst. a StPO). Zum Identitätsschutz vgl. insbesondere die Artikel 70 ff. und 74 Absatz 4 StPO.

(f) Die Vertragsparteien haben ausserdem dafür Sorge zu tragen, dass die Opfer und ihre Familien sowie Belastungszeugen sicher sind vor Einschüchterung, Vergeltung und davor, erneut Opfer zu werden. In den Artikeln 149 ff. StPO werden verschiedene Schutzmassnahmen aufgeführt, die die Verfahrensleitung auf Gesuch hin oder von Amtes wegen treffen kann. Es muss dabei Grund zur Annahme
bestehen, dass unter anderem eine Zeugin oder ein Zeuge oder eine Auskunftsperson durch die Mitwirkung im Verfahren sich oder eine Person, die mit ihr oder ihm in einem bestimmten verwandtschaftlichen oder anderen Verhältnis steht (Art. 168 Abs. 1­3 StPO), einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben oder einem anderen schweren Nachteil aussetzt. Die Verfahrensleitung kann dazu die Verfahrensrechte der Parteien angemessen beschränken, namentlich indem sie der zu schützenden Person die Anonymität zusichert, Einvernahmen unter Ausschluss der Parteien oder der Öffentlichkeit durchführt, die Personalien unter Ausschluss der Parteien oder der Öffentlichkeit feststellt, Aussehen oder Stimme der zu schützenden Person verändert oder diese abschirmt oder die Akteneinsicht einschränkt. Gemäss Artikel 169 Absatz 3 StPO kann eine Person das Zeugnis verweigern, wenn ihr oder einer ihr im Sinne von Artikel 168 Absätze 1­3 StPO nahe stehende Person durch ihre Aussage eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben oder ein anderer schwerer Nachteil droht, der mit Schutzmassnahmen nicht abgewendet werden kann.

7638

Zudem soll das zukünftige Bundesgesetz vom 23. Dezember 2011171 über den ausserprozessualen Zeugenschutz (ZeugSG) Personen schützen, welche aufgrund ihrer Mitwirkung in einem Strafverfahren des Bundes oder der Kantone einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind und ohne deren Angaben die Strafverfolgung wesentlich erschwert wäre. Zeugenschutzprogramme stellen jedoch einen schweren Einschnitt in das Leben der Betroffenen dar und sind aufwendig und kostenintensiv. Die Verwendung von Zeugenaussagen bei schwerer Gefährdung soll deshalb vorrangig nur dort erfolgen, wo Delikte der schweren Kriminalität und der Schwerstkriminalität aufzuklären sind und der Zeuge oder die Zeugin zu deren Aufklärung auch substanziell beitragen kann. Ist dies nicht der Fall, so ist auf die entsprechende Zeugenaussage zu verzichten, wodurch sich regelmässig auch die Gefährdungslage entschärft. Es ist vorgesehen, dass eine beim Bund zu errichtende Zeugenschutzstelle (Art. 1 Bst. b ZeugSG) mit der Durchführung dieser Zeugenschutzprogramme betraut wird. Die Ausgestaltung der einzelnen Schutzprogramme richtet sich dabei individuell nach dem Schutz- und Betreuungsbedürfnis der jeweils gefährdeten Person, sodass insbesondere auch den Bedürfnissen von minderjährigen Zeugen Rechnung getragen werden kann. Zusätzlich wird diese Stelle die kantonalen Polizeibehörden bei Schutzmassnahmen zugunsten von Personen beraten und unterstützen, welche die Voraussetzungen für ein Zeugenschutzprogramm nicht erfüllen (Art. 23 Bst. e ZeugSG).

Schliesslich können Betroffene Anzeige insbesondere wegen Drohung (Art. 180 StGB) und Beschimpfung (Art. 177 StGB) oder wegen eines Körperverletzungsdeliktes (Art. 122, 123 und 126 StGB) erstatten, um sich zu wehren.

(g) Es ist ausserdem sicherzustellen, dass ein unmittelbarer Kontakt zwischen Täter und Opfer in den Räumlichkeiten der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte vermieden wird, sofern die zuständigen Behörden zum Wohl des Kindes oder weil es für die Ermittlungen oder das Verfahren erforderlich ist, nichts anderes beschliessen. Das minderjährige Opfer im Sinne der StPO hat das Recht auf besondere Schutzmassnahmen bei Einvernahmen (Art. 117 Abs. 2 Bst. b StPO). Bei Bedarf sind weitere Schutzmassnahmen möglich, etwa um sicherzustellen, dass ein unmittelbarer Kontakt zwischen Opfer
und Täter in den Räumlichkeiten der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte vermieden wird (Art. 152 i.V.m Art. 149 StPO).

Nach Absatz 2 stellt jede Vertragspartei sicher, dass die Opfer bereits von ihrem ersten Kontakt mit den zuständigen Behörden an Zugang zu Informationen über die einschlägigen Gerichts- und Verwaltungsverfahren haben. Opfer im Sinne der StPO können sich vor einem Verfahren von einer Opferberatungsstelle nach OHG beraten lassen.

Gemäss Absatz 3 muss jede Vertragspartei sicherstellen, dass die Opfer, sofern gerechtfertigt, unentgeltlich, einen Rechtsbeistand erhalten, wenn sie als Partei im Strafverfahren auftreten können. Wie erwähnt kann sich gemäss der Strafprozessordnung ein Opfer als Privatklägerschaft am Verfahren beteiligen. Damit hat es das Recht, zur Wahrung seiner Interessen einen Rechtsbeistand beizuziehen (Art. 107 Abs. 1 Bst. c und Art. 127 StPO). Zur Durchsetzung ihrer Zivilansprüche kann die Verfahrensleitung der Privatklägerschaft die unentgeltliche Rechtspflege gewähren (Art. 136 StPO).

171

BBl 2012 131

7639

Jede Vertragspartei sieht nach Absatz 4 die Möglichkeit vor, dass die Justizbehörden einen besonderen Vertreter für das Opfer bestellen, sofern das Opfer in dem Strafverfahren als Partei auftreten kann und die Inhaber elterlicher Sorge wegen eines Interessenkonflikts zwischen ihnen und dem Opfer von der Vertretung des Kindes in diesem Verfahren ausgeschlossen sind. Grundsätzlich werden Kinder und Jugendliche in einem Prozess durch ihre Eltern vertreten (Art. 296 ff. ZGB). Bei Vorliegen einer Interessenkollision wird die Vertretungsmacht der Eltern beschränkt; es ist eine Vertretungsbeistandschaft zur Wahrung der Rechte der Kinder einzusetzen (Art. 306 Abs. 2 i.V.m. 392 Ziff. 2 rev. ZGB). Der Beistand wird durch die Kindesschutzbehörde ernannt.

Nach Absatz 5 sehen die Vertragsparteien für Gruppen, Stiftungen, Vereinigungen oder staatliche und nichtstaatliche Organisationen die Möglichkeit vor, in entsprechenden Strafverfahren den Opfern beizustehen oder sie zu unterstützen, wenn diese einwilligen. Opfer im Sinne der StPO können sich ausser vom Rechtsbeistand von einer Vertrauensperson begleiten lassen (Art. 152 Abs. 2 StPO).

Jede Vertragspartei stellt nach Absatz 6 sicher, dass den Opfern die Auskünfte nach diesem Artikel in einer ihrem Alter und ihrer Reife entsprechenden Weise und in einer ihnen verständlichen Sprache erteilt werden. Gemäss Artikel 68 Absatz 1 StPO zieht die Verfahrensleitung eine Übersetzerin oder einen Übersetzer bei, wenn eine am Verfahren beteiligte Person die Verfahrenssprache nicht versteht oder sich darin nicht genügend ausdrücken kann. Falls das Opfer, das sich als Privatklägerschaft konstituiert, resp. seine gesetzlichen Vertreter aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten nicht in der Lage ist, sich im Verfahren zurecht zu finden und seine Rechte zu wahren, wird ihm allenfalls ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt (Art. 136 Abs. 2 Bst. c StPO). Zusätzliche Voraussetzungen sind dabei, dass die Privatklägerschaft nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und dass die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (Art. 136 Abs. 1 Bst. a und b StPO). Die Forderung der Konvention, dass den Opfern Auskünfte in einer ihrem Alter und ihrer Reife entsprechenden Weise erteilt werden, wird ausserdem durch Artikel 154 Absatz 4 Buchstabe d StPO umgesetzt. Dort wird festgehalten,
dass Minderjährige als Opfer von einer zu diesem Zweck ausgebildeten Ermittlungsbeamtin oder einem entsprechenden Ermittlungsbeamten einvernommen werden. Dadurch und durch die Anwesenheit einer Spezialistin oder eines Spezialisten wird sichergestellt, dass die Befragung und Belehrung bzw. Information des Opfers kindgerecht erfolgt.

Das schweizerische Recht genügt damit den Anforderungen von Artikel 31 der Konvention.

2.7.3

Art. 32 Einleitung des Verfahrens

Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragsparteien, die erforderlichen Massnahmen zu treffen um sicherzustellen, dass die Ermittlungen wegen oder die Strafverfolgung von in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten nicht von einer Anzeige oder einer Anklage des Opfers abhängig gemacht werden und das Verfahren fortgeführt werden kann, selbst wenn das Opfer seine Aussage widerruft. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass Opfer keine Anzeige erstatten oder diese zurückziehen, weil sie vom Täter bedroht oder eingeschüchtert werden. Gemäss dem Strafgesetzbuch sind sämtliche strafbaren Handlun7640

gen gegen die sexuelle Integrität im Sinne der Konvention als Offizialdelikte ausgestaltet.

Die Schweiz erfüllt damit die Anforderungen von Artikel 32 der Konvention.

2.7.4

Art. 33 Verjährung

Die Vertragsstaaten werden verpflichtet sicherzustellen, dass die Verjährungsfristen für Straftaten nach den Artikeln 18172, 19 Absatz 1 Buchstaben a und b173 sowie 21 Absatz 1 Buchstaben a und b174 ausreichend lang sind, um die Einleitung der Strafverfolgung zu ermöglichen, nachdem das Opfer volljährig geworden ist, und dass sie im Verhältnis zur Schwere der betreffenden Straftat stehen.

2.7.4.1

Geltendes Recht

Die in Artikel 18 des Übereinkommens umschriebenen Straftaten werden von den Artikeln 187­191 StGB erfasst. Die in Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe a des Übereinkommens umschriebenen Taten werden durch Artikel 195 Absatz 1 StGB abgedeckt. Hingegen sind die in Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe b des Übereinkommens umschriebenen Tathandlungen im geltenden Strafgesetzbuch nicht vollständig erfasst; diesbezüglich muss das StGB ergänzt werden (vgl. Art. 195 Bst. a, zweiter Halbsatz E-StGB; Ziff. 2.6.2.2). Tathandlungen nach Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a des Übereinkommens werden vom geltenden Schweizerischen Strafrecht ebenfalls nicht explizit abgedeckt; um den Anforderungen der Konvention zu genügen, muss das StGB entsprechend ergänzt werden (vgl. Art. 197 Abs. 3 E-StGB; Ziff. 2.6.4.2).

Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe b des Übereinkommens wird durch die Artikel 187, 189 und 190 StGB abgedeckt. Daraus ergibt sich bezüglich der Verjährung folgende Sachlage: Nach Artikel 97 Absatz 2 StGB dauert die Verfolgungsverjährung bei sexuellen Handlungen mit Kindern (Art. 187) und unmündigen Abhängigen (Art. 188) sowie bei Straftaten nach den Artikeln 189­191 und 195, die sich gegen Kinder unter 16 Jahren richten, mindestens bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Opfers. Da die normale Verfolgungsverjährungsfrist bei den Delikten gemäss den Artikeln 189­ 191 und 195 StGB 15 Jahre dauert (Art. 97 Abs. 1 Bst. b StGB), bedeutet dies auch für Opfer, die zur Zeit der Tat 16 oder 17 Jahre alt waren, dass sie nach Erreichen der Volljährigkeit ausreichend lange Zeit haben, um die Einleitung eines Strafverfahrens zu bewirken.

172 173

Sexueller Missbrauch.

Anwerbung oder Zuführung eines Kindes zur Prostitution (Bst. a) sowie Nötigung eines Kindes zur Prostitution, Gewinnerzielung hieraus oder sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken (Bst. b).

174 Anwerbung eines Kindes zur Mitwirkung an pornografischen Darbietungen oder Veranlassung der Mitwirkung eines Kindes an solchen Darbietungen (Bst. a) und Nötigung eines Kindes zur Mitwirkung an pornografischen Darbietungen oder Gewinnerzielung hieraus oder sonstige Ausbeutung eines Kindes zu solchen Zwecken (Bst. b).

7641

2.7.4.2

Revision des Strafgesetzbuchs (Art. 97 Abs. 2 E-StGB)

Artikel 195 Buchstabe a zweiter Halbsatz E-StGB («wer eine minderjährige Person der Prostitution zuführt oder in der Absicht, daraus Vermögensvorteile zu erlangen, ihre Prostitution fördert») macht keine Anpassung von Artikel 97 Absatz 2 StGB notwendig, da Artikel 195 StGB dort bereits genannt ist. Opfer, die zur Tatzeit 16 oder 17 Jahre alt waren, haben dank der Verjährungsfrist von 15 Jahren (Art. 97 Abs. 1 Bst. b StGB) nach Erreichen der Volljährigkeit ebenfalls ausreichend lange Zeit, ein Strafverfahren einzuleiten.

Artikel 197 Absatz 3 E-StGB (Anwerben oder Veranlassen eines Kindes zur Teilnahme an pornografischen Vorführungen) sieht eine Höchststrafe von 3 Jahren Freiheitsstrafe vor. Das geltende Recht statuiert in Artikel 97 Absatz 2 StGB bezüglich Artikel 197 StGB keine speziellen Verjährungsfristen, d.h. die ordentliche Verjährungsfrist beträgt vorliegend unabhängig vom Alter des Opfers 7 Jahre. Ist das Opfer über 16 Jahre alt, dauert die Verjährungsfrist mindestens bis zum 23. Altersjahr, was im Sinne der Konvention als genügend eingestuft werden kann.

Ist das Opfer bei der Begehung der Tat hingegen unter 16 Jahre alt, genügt diese Verjährungsfrist den Anforderungen der Konvention nicht durchgehend, auch wenn in solchen Fällen in der Regel zugleich der Tatbestand von Artikel 187 Ziffer 1 StGB erfüllt ist, welcher im Katalog von Artikel 97 Absatz 2 StGB enthalten ist. Für die vollständige Erfüllung von Artikel 33 der Konvention ist daher auch der für eine Umsetzung von Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a der Konvention neu zu schaffende Tatbestand (Art. 197 Abs. 3 E-StGB) in Artikel 97 Absatz 2 StGB aufzunehmen.

Am 30. November 2008 wurde die Volksinitiative «für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» von Volk und Ständen angenommen. Damit ist der neue Artikel 123b BV, wonach die Verfolgung sexueller oder pornografischer Straftaten an Kindern vor der Pubertät und die Strafe für solche Taten unverjährbar sind, unmittelbar in Kraft getreten. Am 22. Juni 2011 hat der Bundesrat den Entwurf zur Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmung dem Parlament überwiesen175.

Nach dem Entwurf sollen an einem Kind unter zwölf Jahren begangene Straftaten gemäss Artikel 187 StGB (Sexuelle Handlungen mit Kindern), 189 StGB (Sexuelle Nötigung), 190 StGB (Vergewaltigung) und 191 StGB
(Schändung) unverjährbar sein. Der Nationalrat als Erstrat hat den Entwurf des Bundesrates im März 2012 angenommen, den Katalog der unverjährbaren Straftaten jedoch noch um die Artikel 192 StGB (Sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten) und 193 StGB (Ausnützung einer Notlage) ergänzt. Der Ständerat wird das Geschäft voraussichtlich in der Sommersession 2012 behandeln.

Bereits mit der hier vorgeschlagenen Ergänzung von Artikel 97 Absatz 2 StGB genügt das geltende schweizerische Recht den Anforderungen der Konvention. Mit der künftigen Bestimmung über die Unverjährbarkeit gewisser Straftaten wird es sogar noch darüber hinausgehen.

175

BBl 2011 5977

7642

2.7.5

Art. 34 Ermittlungen

Absatz 1 bestimmt, dass jede Vertragspartei die erforderlichen Massnahmen zu treffen hat, um sicherzustellen, dass die für die Ermittlungen zuständigen Personen, Einheiten oder Dienste auf dem Gebiet der Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern spezialisiert sind oder dass Personen zu diesem Zweck geschult werden. Diese Dienste oder Einheiten müssen angemessene finanzielle Mittel erhalten.

Artikel 154 Absatz 4 Buchstabe d StPO schreibt vor, dass Einvernahmen von Kindern als Opfer von einer zu diesem Zweck speziell ausgebildeten Ermittlungsperson durchgeführt werden müssen. Die Schulung von Ermittlungspersonen sowie deren Finanzierung ist Sache der Kantone.

Gemäss Absatz 2 hat jede Vertragspartei die erforderlichen Massnahmen zu treffen um sicherzustellen, dass Ungewissheit über das tatsächliche Alter des Opfers die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen nicht verhindert. Laut Artikel 7 Absatz 1 StPO sind die Strafbehörden verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden. Ziel ist es abzuklären, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten gegeben ist. Durch diese Vorschrift werden die Durchsetzung des materiellen Strafrechts gewährleistet, der Grundsatz der Rechtsgleichheit verwirklicht und Willkür bei der Ausübung der Strafrechtspflege verhindert. Eine allfällige Ungewissheit über das tatsächliche Alter des Opfers verhindert die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen nicht.

Artikel 327a des revidierten ZGB stellt sicher, dass jede minderjährige Person, die sich nicht unter der elterlichen Sorge befindet, unter Vormundschaft gestellt wird.

Wer in amtlicher Tätigkeit von einem solchen Fall Kenntnis erhält, ist meldepflichtig (Art. 314 Abs. 1 i.V. mit Art. 443 Abs. 2 rev. ZGB). Die Kindesschutzbehörde bestimmt einen Vormund oder einen Beistand, der das Kind in rechtlichen Angelegenheiten vertritt und alle weiteren Abklärungen zur Zusammenführung mit der Familie unternimmt oder veranlasst. Das Kindeswohl hat jeweils Vorrang. In gewissen Kantonen bestehen spezialisierte Einrichtungen für die Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen. In der Schweiz ist es gängige Praxis, dass bei unbekanntem Alter eines Opfers und wenn
Anlass besteht, dass es sich dabei um eine minderjährige Person handeln könnte, diese bis auf Weiteres als minderjährig zu betrachten ist176.

Das schweizerische Recht erfüllt somit die aus Artikel 34 herrührenden Verpflichtungen.

2.7.6

Art. 35 Einvernahme des Kindes

Jede Vertragspartei hat nach Artikel 35 Absatz 1 eine Reihe von Massnahmen betreffend die Einvernahme von Kindern zu ergreifen. Beispielsweise soll die Einvernahme des Kindes ohne ungerechtfertigte Verzögerung erfolgen (Bst. a), in geeigneten 176

In den Strafverfahren wird bei unklarer oder unmöglicher Altersbestimmung in Anwendung des Prinzips «in dubio pro duriore» von den Altersangaben des Opfers ausgegangen.

7643

Räumlichkeiten stattfinden (Bst. b), von geschulten, fachkundigen Personen (Bst. c) und soweit möglich von denselben Personen durchgeführt werden (Bst. d), die Anzahl Einvernahmen auf ein Mindestmass beschränkt werden (Bst. e) und das Kind von seinem gesetzlichen Vertreter oder einem Erwachsenen seiner Wahl begleitet werden können (Bst. f). Die Vorgaben dieser Bestimmung decken sich mit den Regeln der StPO für die Einvernahme von Kindern, die Opfer im Sinne der StPO sind (Art. 154 StPO).

Nach Absatz 2 trifft jede Vertragspartei die erforderlichen Massnahmen, um sicherzustellen, dass die Vernehmung des Opfers oder, soweit angemessen, die Vernehmung eines Kindes als Zeuge auf Video aufgezeichnet werden kann und diese Aufzeichnungen im Strafverfahren als Beweismittel zugelassen werden. Für Opfer, die im Zeitpunkt der Einvernahme oder Gegenüberstellung weniger als 18 Jahre alt sind, sieht Artikel 154 Absatz 4 Buchstabe d StPO vor, dass die Einvernahmen mit Bild und Ton aufgezeichnet werden, sofern keine Gegenüberstellung stattfindet.

Voraussetzung ist, dass erkennbar ist, dass die Einvernahme für das Kind zu einer schweren psychischen Belastung führen könnte. Die Parteien, die sich in der Regel nicht in dem Raum aufhalten, in dem die Einvernahme durchgeführt wird, üben ihre Rechte durch die befragende Person aus (Art. 154 Abs. 4 Bst. e StPO). Eine Gegenüberstellung mit der beschuldigten Person darf nur angeordnet werden, wenn das Kind diese ausdrücklich verlangt oder der Anspruch der beschuldigten Person auf rechtliches Gehör auf andere Weise nicht gewährleistet werden kann (Art. 154 Abs. 4 Bst. a StPO).

Sofern Ungewissheit über das Alter des Opfers und Grund zur Annahme besteht, dass das Opfer ein Kind ist, so sind gemäss Absatz 3 die Absätze 1 und 2 anzuwenden, bis sein Alter überprüft und festgestellt worden ist. Diesbezüglich kann auf die Ausführungen zu Artikel 34 Absatz 2 der Konvention (oben Ziff. 2.7.5) verwiesen werden.

2.7.7

Art. 36 Gerichtsverfahren

Jede Vertragspartei trifft nach Artikel 36 Absatz 1 unter gebührender Beachtung der für die Unabhängigkeit der Rechtsberufe geltenden Vorschriften die erforderlichen Massnahmen, um sicherzustellen, dass allen am Gerichtsverfahren beteiligten Personen, insbesondere den Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, Schulungen auf dem Gebiet der Rechte der Kinder, der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern angeboten werden.

Artikel 154 Absatz 4 Buchstabe d StPO schreibt vor, dass Einvernahmen von Kindern als Opfern von einer zu diesem Zweck speziell ausgebildeten Ermittlungsperson durchgeführt werden müssen. Grundsätzlich sind die Schulung von Ermittlungspersonen und weiteren am Gerichtsverfahren beteiligten Personen Sache der Kantone.

Nach Absatz 2 trifft jede Vertragspartei die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Massnahmen, um sicherzustellen, dass nach den Vorschriften ihres innerstaatlichen Rechts Folgendes gegeben ist:

7644

a) Das Gericht kann anordnen, dass die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

Grundsätzlich sind Verhandlungen vor dem erstinstanzlichen Gericht und dem Berufungsgericht sowie die mündliche Eröffnung von Urteilen und Beschlüssen dieser Gerichte öffentlich, mit Ausnahme der Beratung (Art. 69 Abs. 1 StPO). Das Gericht kann jedoch die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ganz oder teilweise ausschliessen, wenn schutzwürdige Interessen einer beteiligten Person, insbesondere des Opfers, dies erfordern (Art. 70 Abs. 1 Bst. a StPO).

b) Das Opfer kann vor Gericht vernommen werden, ohne dort anwesend zu sein, insbesondere durch den Einsatz geeigneter Kommunikationstechnologien.

Dazu kann auf die Ausführungen zu Artikel 35 Absatz 2 (vgl. oben Ziff. 2.7.6) verwiesen werden.

Die Anforderungen von Artikel 36 der Konvention werden damit erfüllt.

2.8

Kapitel VIII: Aufnahme und Aufbewahrung von Daten

2.8.1

Art. 37 Aufzeichnung und Speicherung nationaler Daten über verurteilte Sexualstraftäter

Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht die Daten über die Identität sowie den genetischen Fingerabdruck (DNA) von Personen aufzuzeichnen und zu speichern, die wegen Straftaten gemäss dieser Konvention verurteilt worden sind (Abs. 1). Zudem haben sie dafür zu sorgen, dass diese Informationen im Einklang mit dem nationalen und internationalen Recht den zuständigen Behörden einer anderen Vertragspartei übermittelt werden können (Abs. 3). Die Vertragsstaaten verfügen über grösstmögliche Flexibilität bezüglich der Modalitäten der Umsetzung dieser Bestimmung177.

Das DNA-Profil-Gesetz vom 20. Juni 2003178 ist seit dem 1. Januar 2005 in Kraft und erklärt die DNA-Analyse generell als zulässig zur Abklärung eines Verbrechens oder Vergehens. Das Gesetz sieht vor, dass zur Aufklärung aller Verbrechen und Vergehen die DNA-Analyse eingesetzt werden darf, wenn diese Methode erfolgversprechend angewendet werden kann. Das Gesetz gilt ferner für die Identifizierung von unbekannten, vermissten oder toten Personen.

Das zuständige Bundesamt (fedpol) kann im Rahmen der Interpol-Zusammenarbeit nach den Artikeln 350 und 352 StGB ausländische Ersuchen um Überprüfung der DNA-Profile vermitteln und schweizerische Gesuche stellen. Die internationale Zusammenarbeit setzt voraus, dass die Bedingungen für die Probenahme erfüllt sind und die Vergleichbarkeit der DNA-Profile gesichert ist. Für den Austausch kriminalpolizeilicher Informationen sind gemäss Artikel 352 StGB die Grundsätze des Rechtshilfegesetzes (IRSG) anwendbar. Die Rechtshilfemassnahmen nach Artikel 63 IRSG erlauben somit auch die Übermittlung von genetischen Fingerabdrücken an andere Staaten.

177 178

Vgl. Erläuternder Bericht zur Konvention Ziff. 244.

SR 363

7645

Das DNA-Profil-Gesetz findet grundsätzlich auf Strafverfahren nach schweizerischem Recht Anwendung. Für die zivilen Strafverfahren gelten bezüglich der Probenahme und der DNA-Analyse die Bestimmungen der StPO, die diesem Gesetz vorgehen (Art. 1a DNA-Profil-Gesetz, Art. 259 StPO). Ausserdem regelt das DNAProfil-Gesetz die Verwendung von DNA-Profilen ausserhalb eines Strafverfahrens (Art. 1 Abs. 1 Bst. b und c DNA-Profil-Gesetz). In der StPO sind die DNAAnalysen in den Artikeln 255 ff. geregelt. Zur Aufklärung eines Verbrechens oder Vergehens kann einerseits eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden von der beschuldigten Person, anderen Personen, insbesondere Opfern oder Tatortberechtigten, und toten Personen (Art. 255 StPO). Andererseits kann ein DNA-Profil aus am Tatort oder an einem Tatgegenstand sichergestelltem Spurenmaterial erstellt werden. Bei verurteilten Personen kann das Gericht in seinem Urteil anordnen, dass eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt wird von Personen, die wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden sind, die wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens oder Vergehens gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität verurteilt worden sind oder gegenüber denen eine therapeutische Massnahme oder die Verwahrung angeordnet worden ist (Art. 257 StPO).

Bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist dem Generalsekretär des Europarates Name und Anschrift der in diesem Bereich zuständigen nationalen Behörde mitzuteilen (Abs. 2). Zuständige Behörde ist in der Schweiz das Bundesamt für Polizei (fedpol)179.

Die schweizerische Rechtsordnung ist mit den Anforderungen von Artikel 36 der Konvention kompatibel.

2.9

Kapitel IX: Internationale Zusammenarbeit

2.9.1

Art. 38 Allgemeine Grundsätze und Massnahmen der internationalen Zusammenarbeit

In Artikel 38 sind die allgemeinen Grundsätze der internationalen Zusammenarbeit aufgeführt. Nach Absatz 1 sind die Vertragsparteien verpflichtet, untereinander im grösstmöglichen Umfang zusammenzuarbeiten. Die Verpflichtung erstreckt sich auf die Verhütung und Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Bst. a), den Schutz und die Unterstützung von Opfern (Bst. b) und die Ermittlungen oder die Verfahren wegen in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen umschriebener Straftaten (Bst. c).

Absatz 2 orientiert sich an Artikel 11 Absätze 2 und 3 des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren180. Er soll es erleichtern, dass Opfer Anzeige erstatten können, indem es ihnen ermöglicht wird, bei den zuständigen Behörden des Wohnsitzstaates Anzeige zu erstatten. Die Behörden können darauf ein Verfahren einleiten, falls dies nach 179 180

Art. 8 der DNA-Profil-Verordnung vom 3. Dezember 2004, SR 363.1 Rahmenbeschluss 2001/220/JI des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 1.

7646

ihrem Recht vorgesehen ist. Die Behörden können die Anzeige auch an die Behörden des Staates weiterleiten, in dem die Tat begangen worden ist. Die Übermittlung erfolgt nach den einschlägigen Bestimmungen der für die betroffenen Staaten geltenden Kooperationsinstrumente.

Absatz 3 berechtigt eine Vertragspartei, die die Rechtshilfe in Strafsachen oder die Auslieferung vom Bestehen eines Vertrags abhängig macht, das vorliegende Übereinkommen als Rechtsgrundlage für die justizielle Zusammenarbeit mit einer Vertragspartei, mit der sie keinen entsprechenden Vertrag hat, anzusehen. Diese Bestimmung, aufgrund der Europäischen Übereinkommen von 1957 und 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen sowie der entsprechenden Zusatzprotokolle wirkungslos für die Mitgliedstaaten des Europarats, ist wegen der Möglichkeit für Drittstaaten, dem Übereinkommen beizutreten (vgl. Art. 46), von Interesse. Die Schweiz benötigt für eine entsprechende Zusammenarbeit keine Verträge.

Nach Absatz 4 schliesslich bemühen sich die Vertragsparteien, die Verhütung und Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Entwicklungshilfeprogramme zugunsten von Drittstaaten aufzunehmen. Zahlreiche Mitgliedstaaten des Europarats führen solche Programme zu verschiedenen Themen durch, z. B. zur Wiederherstellung und Konsolidierung des Rechtsstaats, zur Entwicklung der Rechtsinstitutionen, zur Bekämpfung der Kriminalität oder zur technischen Unterstützung bei der Umsetzung internationaler Übereinkommen.

Einige Programme werden in Ländern durchgeführt, in denen sexuelle Ausbeutung und sexueller Missbrauch ein häufiges Phänomen darstellen. Die Schweiz erfüllt die Anforderungen von Artikel 38 der Konvention.

2.10

Kapitel X: Überwachungsmechanismus (Art. 39­41)

Die Einführung eines wirksamen Überwachungsmechanismus zur Sicherstellung der Umsetzung des Übereinkommens in den Mitgliedstaaten bildet ein wichtiges Anliegen der Konvention.

Vorgesehen ist ein Ausschuss der Vertragsparteien, der aus Vertreterinnen und Vertretern der Vertragsparteien besteht. Dieser wird vom Generalsekretariat des Europarats einberufen. Seine erste Sitzung findet innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Übereinkommens für den zehnten Unterzeichner, der es ratifiziert hat, statt. Danach tritt der Ausschuss immer dann zusammen, wenn mindestens ein Drittel der Vertragsparteien oder der Generalsekretär dies beantragt. Der Ausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung (Art. 39).

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats, der Menschenrechtskommissar, der Europäische Ausschuss für Strafrechtsfragen (CDPC) sowie weitere einschlägige zwischenstaatliche Ausschüsse des Europarats benennen jeweils eine Vertreterin oder einen Vertreter für den Ausschuss der Vertragsparteien. Vertreter der Zivilgesellschaft und insbesondere der nichtstaatlichen Organisationen können gemäss den einschlägigen Vorschriften des Europarats im Ausschuss der Vertragsparteien als Beobachter zugelassen werden. Die genannten Vertreterinnen und Vertreter nehmen an den Sitzungen des Ausschusses der Vertragsparteien ohne Stimmrecht teil (Art. 40).

7647

Der Ausschuss der Vertragsparteien überwacht die Umsetzung des Übereinkommens. In seiner Geschäftsordnung wird das Verfahren zur Bewertung der Durchführung des Übereinkommens festgelegt. Die Konvention selber enthält über die Ausgestaltung des Überwachungsmechanismus keine Vorgaben. Der Ausschuss erleichtert ferner die Sammlung, Analyse und den Austausch von Informationen, Erfahrungen und bewährten Verfahren zwischen den Staaten, um ihre Fähigkeit zu verbessern, sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhüten und zu bekämpfen. Zudem wird er gegebenenfalls die Anwendung und Durchführung des Übereinkommens erleichtern oder verbessern sowie Stellungnahmen zu Fragen betreffend Anwendung des Instruments abgeben und den entsprechenden Informationsaustausch erleichtern (Art. 41).

Der Ausschuss der Vertragsparteien hat im September 2011 und im März 2012 eine Konferenz abgehalten und seine Geschäftsordnung verabschiedet. Die Überwachung der Umsetzung der Lanzarote-Konvention wird gemäss Geschäftsordnung in thematisch gegliederten Runden durchgeführt. Jeder Vertragsstaat hat einen entsprechenden Fragebogen auszufüllen. Der anschliessend verfasste Bericht wird, nachdem der betroffene Staat dazu hat Stellung nehmen können und das Ministerkomitee des Europarats darüber informiert wurde, veröffentlicht. Länderbesuche sind nur in Ausnahmefällen vorgesehen.

2.11

Kapitel XI: Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Übereinkünften (Art. 42­43)

Artikel 42 regelt das Verhältnis der Konvention zum Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989181 über die Rechte des Kindes und zum Fakultativprotokoll dazu vom 25. Mai 2000182 betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie. Die Konvention soll den darin vorgesehenen Schutz verstärken und die darin enthaltenen Standards weiterentwickeln und ergänzen.

Nach Artikel 43 lässt die Konvention die (weitergehenden) Rechte und Pflichten aus anderen vergleichbaren völkerrechtlichen Übereinkommen unberührt (Abs. 1). Die sogenannte Entkoppelungsklausel («disconnecting-clause», Abs. 3) legt fest, dass EU-Mitgliedstaaten ­ unbeschadet des Ziels und Zwecks dieses Übereinkommens und seiner uneingeschränkten Anwendung gegenüber anderen Vertragsstaaten ­ untereinander die einschlägigen EG- und EU-Vorschriften anwenden, soweit es für die betreffende Frage entsprechende Vorschriften der Europäischem Gemeinschaft und der Europäischen Union gibt, die auf den konkreten Fall anwendbar sind. Da die Schweiz im Regelungsbereich der Konvention keinen bilateralen Vertrag mit der EG oder der EU abgeschlossen hat, entfaltet die Entkoppelungsklausel für unser Land keine Rechtswirkung.

181 182

SR 0.107 SR 0.107.2

7648

2.12

Kapitel XII: Änderungen des Übereinkommens (Art. 44)

Artikel 44 regelt das Verfahren zur Änderung des Übereinkommens analog wie in anderen Konventionen des Europarates. Das aufwendige Prozedere sichert die Beteiligung aller Vertragsparteien an der Gestaltung der Konvention und verhindert, dass diese aufgrund von undurchsetzbaren Änderungen an Bedeutung verliert.

2.13

Kapitel XIII: Schlussbestimmungen (Art. 45­50)

Die Schlussbestimmungen enthalten die auch in anderen Übereinkommen des Europarats üblichen Modalitäten hinsichtlich Unterzeichnung und Inkrafttreten (Art. 45), Beitritt (Art. 46), räumlicher Geltungsbereich (Art. 47), Vorbehalte (Art. 48), Kündigung (Art. 49) und Notifikation (Art. 50).

Der Beitritt steht auch Nicht-Mitgliedstaaten des Europarats offen, die sich nicht an der Ausarbeitung des Übereinkommens beteiligt haben (Art. 46); sie können dem Übereinkommen auf Einladung des Ministerkomitees beitreten. Mit Ausnahme der ausdrücklich vorgesehenen Vorbehalte sind Vorbehalte zu diesem Übereinkommen nicht zulässig (Art. 48). Das Übereinkommen kann jederzeit, mit einer Frist von drei Monaten, mittels Notifikation an das Generalsekretariat des Europarats, gekündigt werden (Art. 49).

3

Ausführungen zur Änderung des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung sowie zum Militärstrafgesetz183

Die Umsetzung der Lanzarote-Konvention und die (teilweise) Umsetzung zweier parlamentarischer Vorstösse zur harten Pornografie184 erfordern die Revision einzelner Bestimmungen des Strafgesetzbuches bzw. die Einführung neuer Tatbestände sowie verschiedene Anpassungen der Strafprozessordnung. Zum Inhalt der beantragten Neuregelungen und deren Begründung siehe obige Ausführungen zu Artikel 195 Buchstabe a zweiter Halbsatz E-StGB (Förderung der Prostitution) und Artikel 196 E-StGB (Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Entgelt, vgl. Ziff. 2.6.2.2), zu Artikel 197 E-StGB (Pornografie, vgl. Ziff. 2.6.3.2 und 2.6.4.2) sowie zu den primär formalen Anpassungen der Artikel 5 StGB (vgl. Ziff. 2.6.8.2) und 97 Absatz 2 StGB (vgl. Ziff. 2.7.4.2). Ausführungen zu Artikel 28a StGB sowie zu den Artikeln 172, 269 und 286 StPO finden sich unter Ziff. 2.7.1.2.

Zu den Artikeln 195 und 197 E-StGB existieren im MStG keine entsprechenden Straftatbestände. Demzufolge sind im MStG keine Anpassungen vorzunehmen.

Gemäss Artikel 8 MStG (Geltung des bürgerlichen Strafrechts) bleiben die dem Militärstrafrecht unterstehenden Personen für strafbare Handlungen, die im MStG

183 184

Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927, SR 321.0 (MStG) Motion Schweiger, Bekämpfung der Cyberkriminalität zum Schutz der Kinder auf den elektronischen Netzwerken (06.3170); Motion Fiala, Erhöhung der Strafandrohung bei Kinderpornografie (08.3609).

7649

nicht vorgesehen sind, dem zivilen Strafrecht unterworfen. Dies gilt auch für den neuen Tatbestand von Artikel 196 E-StGB, der wie Artikel 195 ein Anwendungsfall der sexuellen Ausbeutung bildet.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund

Bei der Umsetzung der Konvention ist aufgrund der neuen Tatbestände im Strafgesetzbuch ein leicht höherer Aufwand, zum Beispiel im Bereich der Rechtshilfe, nicht auszuschliessen. Dieser sollte jedoch mit den bestehenden finanziellen und personellen Ressourcen zu bewältigen sein.

Der vorgesehene Überwachungsmechanismus bildet eine ständige neue Aufgabe des Bundes, der ab 2014 beim Bundesamt für Justiz (BJ) einen zusätzlichen Personalbedarf von 20­40 Stellenprozent nach sich ziehen wird.

4.2

Auswirkungen auf die Kantone

Die Schaffung zusätzlicher und die Erweiterung bestehender Tatbestände des Strafgesetzbuches kann zu einer zusätzlichen Belastung der Kantone im Bereich des Strafverfahrens und der Rechtsprechung führen. Die möglichen zusätzlichen Straffälle sollten sich jedoch mengenmässig im Rahmen halten und mit den bestehenden Ressourcen zu bewältigen sein.

Eine allfällige Mehrbelastung der Kantone im Bereich der Prävention sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen sollte ebenfalls tragbar sein.

Als Anlaufstelle für Rechtshilfebelange und entsprechende Auskünfte fungiert das BJ.

5

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 25. Januar 2012185 zur Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses zur Genehmigung der LanzaroteKonvention beruht auf Artikel 54 Absatz 1 BV, der den Bund ermächtigt, völkerrechtliche Verträge abzuschliessen. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge abzuschliessen und zu ratifizieren. Die Bundesver185

BBl 2012 481 ff. (Ziel 15, Weitere Geschäfte)

7650

sammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig.

Internationale Verträge werden dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn ihre Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert186. Die vorliegende Konvention wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit gekündigt werden und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch bedingt der Beitritt zum Übereinkommen Anpassungen des Strafgesetzbuches. Der Genehmigungsbeschluss ist deshalb dem fakultativen Staatsvertragsreferendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

Der Gesetzesentwurf stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 sowie 123 Absatz 1 BV.

6.2

Erlassform

Nach Artikel 141a Absatz 2 BV können die Verfassungs- oder Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, der dem fakultativen Referendum untersteht, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden. Die im Entwurf vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der Lanzarote-Konvention und ergeben sich unmittelbar aus den darin enthaltenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses kann deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden.

186

Art. 141 Abs. 1 Bst. d BV

7651

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