08.458 Parlamentarische Initiative Präzisierung des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. Februar 2012

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung der Strafprozessordnung und des Militärstrafprozesses. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

3. Februar 2012

Im Namen der Kommission Der Präsident: Yves Nidegger

2012-0704

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Übersicht Bis zu einem Bundesgerichtsentscheid im Jahre 2008 unterschied die Praxis zwischen «verdeckter Fahndung» und «verdeckter Ermittlung», wobei nur für Letztere die strengen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sein mussten. Das Bundesgericht hat die beiden Ermittlungsarten aber rechtlich gleichgestellt und damit die Möglichkeiten heimlicher Ermittlungen stark eingeschränkt. Verunmöglicht wurden insbesondere Scheinkäufe im Drogenkleinhandel durch die Polizei. Die Problematik wurde verschärft durch die Aufhebung des Bundesgesetzes über die verdeckte Ermittlung durch die Schweizerische Strafprozessordnung, da dieses als gesetzliche Grundlage für präventive verdeckte Ermittlungen herangezogen wurde. Probleme ergaben sich dabei insbesondere bei Ermittlungen in Chatrooms. Die Kommission ist der Ansicht, dass dieser mit Blick auf eine effiziente Polizeiarbeit unbefriedigenden Rechtslage ein rasches Ende gesetzt werden muss. Für den in Bundeskompetenz liegenden Bereich beantragt sie dazu die beiliegenden Änderungen der Strafprozessordnung und des Militärstrafprozesses.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Parlamentarische Initiative

Am 29. September 2008 reichte Nationalrat Daniel Jositsch eine parlamentarische Initiative ein, die eine Ergänzung der Strafprozessordnung (StPO)1 fordert. Mit der Ergänzung soll erreicht werden, dass einfache Ermittlungshandlungen wie die einfache Lüge und einfache Scheinkäufe nicht unter die Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung fallen. Am 4. Mai 2009 prüfte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates die Initiative vor und beschloss mit 21 zu 0 Stimmen bei zwei Enthaltungen, ihr gemäss Artikel 109 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 (ParlG)2 Folge zu geben. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates stimmte diesem Beschluss am 22. April 2010 ohne Gegenstimmen zu (Art. 109 Abs. 3 ParlG).

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission befasste sich an zwei Sitzungen im Jahr 2011 mit der Umsetzung der parlamentarischen Initiative. Am 12. Mai 2011 hat sie Vertreter der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) sowie einen Experten angehört und in der Folge einstimmig einen Vorentwurf angenommen. Zu diesem wurde vom 30. Mai 2011 bis zum 16. September 2011 ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt.

Am 3. Februar 2012 nahm die Kommission Kenntnis von den Ergebnissen des Vernehmlassungsverfahrens und nahm den beiliegenden Entwurf nach Vornahme leichter Korrekturen einstimmig an.

Die Kommission wurde bei ihrer Arbeit gemäss Artikel 112 Absatz 1 ParlG durch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage

Mit dem Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung vom 20. Juni 20033 (BVE) schuf der Bundesgesetzgeber erstmals eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler. Das Gesetz enthielt zwar keine Definition der verdeckten Ermittlung, legte aber in Artikel 1 fest, diese habe zum Zweck, «mit Angehörigen der Polizei, die nicht als solche erkennbar sind (Ermittlerin oder Ermittler), in das kriminelle Umfeld einzudringen und damit beizutragen, besonders schwere Straftaten aufzuklären».

1 2 3

SR 312.0 SR 171.10 AS 2004 1409, 2006 2197 Anhang Ziff. 29, 2006 5437 Art. 2 Ziff. 2, 2007 5437 Anhang Ziff. II 6, AS 2010 1881 Anhang 1 Ziff. I 2

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Gestützt auf diese Bestimmung ging die Praxis zunächst davon aus, dass nicht alle Ermittlungshandlungen, bei denen Angehörige der Polizei, die nicht als solche erkennbar sind, mit Zielpersonen direkt in Kontakt kommen, den Regeln über die verdeckte Ermittlung unterstehen. Vielmehr erachtete die Praxis die Regeln des BVE erst dann als anwendbar, wenn im Rahmen eines auf längere Zeit angelegten Einsatzes und mit Hilfe besonderer Täuschungsmittel (namentlich der Verwendung falscher Urkunden zur Herstellung einer falschen Identität, d.h. unter Verwendung einer Legende) in ein kriminelles Milieu einzudringen beabsichtigt werde und es um die Aufklärung besonders schwerer Straftaten gehe, nicht unter das BVE fallend wurde dagegen die sogenannte verdeckte Fahndung angesehen. Als verdeckte Fahnderinnen oder Fahnder gelten dabei nicht offen ermittelnde Polizeibeamtinnen oder -beamte, die einen kurzen, verdeckten Einsatz durchführen, ohne sich einer überprüfbaren Legende zu bedienen4.

Das Bundesgericht hat diese Unterscheidung im Jahre 2008 erstmals für unerheblich erklärt5: Zwar stellte es fest, nach der überwiegenden Lehre sei wohl nicht jede verdeckte Ermittlung als eine solche im Sinne des BVE anzusehen, vielmehr werde ein gewisses Mass an Täuschungs- und Handlungsintensität verlangt. Auch sei die Regelung des BVE «offensichtlich auf längere und relativ heikle Einsätze zugeschnitten»6. Dennoch kennzeichnet sich nach Auffassung des Bundesgerichts eine verdeckte Ermittlung allein durch das «Anknüpfen von Kontakten durch Polizeiangehörige zu verdächtigen Personen, die darauf abzielen, die Begehung einer strafbaren Handlung festzustellen und zu beweisen, wobei die Polizeiangehörigen nicht als solche erkennbar sind»7. Der dabei betriebene Aufwand für die Täuschung über die wahre Identität und die Eingriffsintensität sind nach Auffassung des Bundesgerichts dagegen ohne Belang. Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung mehrfach bestätigt.8 Die Lehre beurteilt diese Praxis unterschiedlich, kritisiert sie jedoch mehrheitlich.9 Dies hatte zum einen zur Folge, dass die verdeckten Ermittlungs- und Fahndungsmassnahmen, bei denen Angehörige der Polizei über ihre wahre Funktion und Identität täuschen, nur noch für die im BVE aufgeführten Straftaten zulässig waren. Zum andern galten neu auch verdeckte Ermittlungsmassnahmen,
welche die Polizei zur Verhinderung von Straftaten oder zur Abklärung erster Hinweise, mithin vor der Einleitung eines Strafverfahrens, durchführte, als verdeckte Ermittlung. Während solche präventiven Massnahmen vor dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid durchgeführt wurden, ohne dass eine ausdrückliche Gesetzesgrundlage bestand, wurden diese Massnahmen nunmehr auf Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a BVE abge4

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Daniel Jositsch/Angelika Murer Mikolásek, Wenn polizeiliche Ermittler im Chatroom in Teufels Küche kommen ­ oder wie das Bundesgericht neue Probleme geschaffen hat, AJP 2011, 182; Thomas Hansjakob, Verdeckte Ermittlung ­ Gesetz und Rechtsprechung.

Einige Gedanken zu BGE 134 IV 266, forumpoenale 2008, 362; Franz Bättig, Verdeckte Ermittlung nach Inkrafttreten des BVE aus polizeilicher Sicht, Kriminalistik 2/2006, 132 f.; Wolfgang Wohlers, Das Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung. Taugliches Instrument zur effizienten Bekämpfung der Organisierten Kriminalität?, ZStR 123 (2005) 223 f.

BGE 134 IV 266 BGE 134 IV 273 E. 3.3 BGE 134 IV 266 E. 3.6 BGE 6B_837/2009 und 6B_743/2009 vom 8. März 2010.

Nachweise bei Daniel Jositsch/Angelika Murer Mikolásek, Wenn polizeiliche Ermittler im Chatroom in Teufels Küche kommen ­ oder wie das Bundesgericht neue Probleme geschaffen hat, AJP 2011, 185 Fn. 46.

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stützt mit der Begründung, der Passus «besonders schwere Straftaten (...) sollen voraussichtlich begangen werden» lasse auch präventive Ermittlungen zu. Mit der Aufhebung des BVE durch die StPO per 1. Januar 2011 liessen sich präventive Ermittlungen nicht mehr auf das BVE abstützen. Auch die StPO lässt sich nicht als Grundlage verwenden, weil deren Artikel 286 Absatz 1 Buchstabe a die verdeckte Ermittlung nur beim Verdacht gestattet, eine Straftat «sei begangen worden».

Vor diesem Hintergrund erachtet die Kommission den gesetzgeberischen Handlungsbedarf klar als gegeben. Ihrer Ansicht nach gilt es zwei (zusammenhängende) Ziele zu erreichen: Einerseits ist ­ wie dies auch die parlamentarische Initiative verlangt ­ in der StPO klar zu definieren, welche Ermittlungsmassnahmen unter den Begriff der «verdeckten Ermittlung» fallen. Als verdeckte Ermittlungen sollen nur Tätigkeiten gelten, die in nicht unerheblicher Weise in die Rechtsposition der Zielperson eingreifen. Andererseits ist für weniger einschneidende Ermittlungshandlungen, bei denen Angehörige der Polizei, die nicht als solche erkennbar sind, mit Zielpersonen direkt in Kontakt kommen, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen.

Der Militärstrafprozess vom 23. März 1979 (MStP)10 soll analog geändert werden.

2.2

Die beantragte Neuregelung

2.2.1

Begriff der «verdeckten Ermittlung»

Die vorgeschlagene Neuregelung umschreibt die verdeckte Ermittlung enger als die bundesgerichtliche Rechtsprechung und beschränkt den Anwendungsbereich der verdeckten Ermittlung wiederum auf jene Fälle, welche auch das BVE zu regeln beabsichtigte. Gleichzeitig wird für die weniger einschneidende Form verdeckter Ermittlungstätigkeit, die sogenannte verdeckte Fahndung, eine gesetzliche Grundlage geschaffen. Die verdeckte Ermittlung und die verdeckte Fahndung unterscheiden sich nach dem beantragten Regelungskonzept wie folgt voneinander:

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­

Verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler werden immer mit einer durch Urkunden abgesicherten Legende ausgestattet. Dagegen täuschen verdeckte Fahnderinnen und Fahnder zwar über ihre wahre Identität oder Funktion oder legen diese nicht offen, bedienen sich dabei aber bloss einfacher Lügen und Täuschungen (z.B. indem sie über ihr Geschlecht, Alter und Wohnort unwahre Angaben machen oder vor allem in Chat-Räumen einen Nickname verwenden).

­

Eine verdeckte Ermittlung ist im Regelfall auf eine längere Dauer ausgerichtet (i.d.R. mehrere Monate), die es erlaubt, in ein kriminelles Umfeld einzudringen und mit der Zielperson ein eigentliches Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dazu knüpfen verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler gezielt und aktiv Kontakte mit der Zielperson. Verdeckte Fahndung dagegen erfolgt im Rahmen kurzer Einsätze (z.B. beim Drogenscheinkauf bei Kleindealern) und die Fahnderinnen und Fahnder verhalten sich zurückhaltend und bauen kein eigentliches Vertrauensverhältnis auf.

­

Als verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler können nicht nur Polizeiangehörige, sondern in besonderen Fällen auch Privatpersonen eingesetzt werden (Art. 287 Abs. 1 Bst. b StPO bzw. Art. 73b Abs. 1 Bst. b MStP). Bei der SR 322.1

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verdeckten Fahndung dagegen ist allein der Einsatz von Polizeiangehörigen zulässig.

­

Verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern kann mit Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts (bzw. des Präsidenten des Militärkassationsgerichts) zugesichert werden, dass ihre wahre Identität auch nach dem Einsatz im Verfahren (insbesondere bei Einvernahmen als Zeuginnen oder Zeugen) nicht offengelegt wird, was die Verteidigungsrechte der beschuldigten Person einschränkt. Verdeckte Fahnderinnen und Fahnder erscheinen nach Abschluss des Einsatzes im Verfahren unter der wahren Identität und können mit der beschuldigten Person offen konfrontiert werden.

2.2.2

Regelung der verdeckten Fahndung

Die von der Kommission beantragte Regelung schafft für die verdeckte Fahndung eine gesetzliche Grundlage, die sich angesichts der Ähnlichkeit der Massnahme mit der Observation an Artikel 282 f. StPO anlehnt. Im Unterschied zur verdeckten Ermittlung bedarf die verdeckte Fahndung keiner gerichtlichen Genehmigung.

Gleich wie die Observation wird sie von der Polizei angeordnet und muss nach einer Dauer von einem Monat von der Staatsanwaltschaft (bzw. beim Militärstrafprozess vom Untersuchungsrichter) genehmigt werden. Eine richterliche Genehmigung auch der verdeckten Fahndung stünde in einem gewissen Widerspruch zu der verglichen mit der verdeckten Ermittlung geringeren Eingriffsschwere der Massnahme und würde vor allem zu praktischen Schwierigkeiten führen.

Die Kommission weist darauf hin, dass diese Bestimmungen ausschliesslich jene Fälle erfassen, bei denen ein Verdacht auf eine strafbare Handlung besteht. Dieser Verdacht kann auch ein bloss vager sein.11 In zahlreichen Fällen, darunter auch jenem der Kommunikation in Chat-Räumen zur Verhinderung von sexuellen Handlungen mit Kindern oder bei sogenannten Alkoholtestkäufen, liegt ein Tatverdacht indes in der Regel zu Beginn der verdeckten Ermittlungshandlungen nicht vor. Die entsprechenden Ermittlungshandlungen können sich deshalb nicht auf die neu vorgeschlagenen Regelungen abstützen. Der Bund könnte auch gar keine entsprechenden Gesetzesgrundlagen schaffen, da es sich dabei nicht um Massnahmen des Strafprozessrechts handelt, zu dessen Regelung der Bund nach Artikel 123 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)12 befugt ist. Vielmehr handelt es sich um Handlungen vor einem Strafverfahren, die der Verhinderung oder Erkennung einer möglichen Straftat dienen, wofür die notwendige Grundlage im kantonalen Polizeirecht zu schaffen ist. Zwar stehen dem Bund auch im Bereich des Polizeirechts gewisse Gesetzgebungskompetenzen zu; diese sind allerdings nur punktuell und für die vorliegende Thematik nicht einschlägig.13 Diese Situation ist dem Strafprozessrecht im Übrigen nicht fremd: Auch die Observation, welche mit der verdeckten Fahndung gewisse Ähnlichkeiten aufweist, ist von der Strafprozessordnung nur insoweit geregelt, als die Massnahme der Aufklärung eines Tatverdachts dient. Artikel 282 Absatz 1 Buchstabe a StPO setzt für die Anordnung der Observation die Annahme voraus, 11 12 13

Nathan Landshut, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), Zürich/Basel/Genf 2010, N 26 zu Art. 309.

SR 101 Vgl. dazu die Antwort des Bundesrates auf die Motion Schmid-Federer 08.3841 «Verdeckte Ermittlungen im Vorfeld von Strafverfahren».

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dass «Verbrechen oder Vergehen begangen worden sind». Soweit eine Observation dagegen der Verhinderung oder der Erkennung von Straftaten dient, die begangen werden könnten, lässt sie sich nicht auf Artikel 282 f. StPO stützen, sondern bedarf nach einhelliger Lehrmeinung14 einer Grundlage im Polizeirecht. Für den Bereich der verdeckten Fahndung haben sieben Kantone die notwendigen gesetzlichen Grundlagen bereits geschaffen15. In weiteren neun Kantonen sind entsprechende Gesetzgebungsarbeiten im Gange bzw. in Vorbereitung16. Damit sich nicht Schwierigkeiten ergeben, wenn Erkenntnisse aus präventiven polizeilichen Massnahmen in einem Strafverfahren verwertet werden sollen, ist sicherzustellen, dass die Regelungen im Strafprozessrecht und im Polizeirecht aufeinander abgestimmt sind. Zu diesem Zweck koordinierte die Kommission ihre Arbeiten mit jenen der KKJPD, welche zu Handen der Kantone eine Musterregelung erarbeitet hat.

2.2.3

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Zum Vorentwurf wurde vom 30. Mai 2011 bis zum 16. September 2011 ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt. An diesem nahmen 25 Kantone, sechs politische Parteien, drei Gerichte und 21 Organisationen und Institutionen sowie eine Privatperson teil. Der Vorentwurf wurde von sieben Vernehmlassungsteilnehmern vorbehaltlos gutgeheissen. Die meisten Vernehmlassungsteilnehmer äusserten grundsätzliche Zustimmung zum Vorentwurf, zeigten sich jedoch mit bestimmten Regelungen nicht einverstanden oder brachten zumindest Vorbehalte an. Auf Kritik gestossen sind insbesondere die fehlende Möglichkeit der Legendierung von verdeckten Fahnderinnen und Fahndern, die Offenlegung ihrer wahren Identität und die Einschränkung der verdeckten Fahndung auf Polizeiangehörige. Gefordert wurde im Weiteren die Regelung von (gewissen) präventiven verdeckten Massnahmen auf Bundesebene. Zudem wurde auf die Notwendigkeit der analogen Änderung des MStP hingewiesen. Ausdrücklich abgelehnt wurde die Vorlage von fünf Vernehmlassungsteilnehmern.17

14

15 16 17

Annegret Katzenstein, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung. Jugendstrafprozessordnung, Basel 2011, N 12 zu Art. 282 (mit dem Hinweis auf die vom Parlament verworfene Ausdehnung auf Delikte, die begangen werden könnten); Thomas Hansjakob, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), Zürich/Basel/Genf 2010, N 6 zu Art. 282; Franz Riklin, StPO Kommentar, Zürich 2010, N 4 zu Art. 282; Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung Praxiskommentar, Zürich/St. Gallen 2009, N 2 zu Art. 282; Beat Rhyner/Dieter Stüssi, in: Albertini/Fehr/Voser (Hrsg.), Polizeiliche Ermittlung. Ein Handbuch der Vereinigung der Schweizerischen Kriminalpolizeichefs zum polizeilichen Ermittlungsverfahren gemäss der Schweizerischen Strafprozessordnung, Zürich 2008, S. 473; Edy Meli, in: Bernasconi/Galliani/Marcellini/Meli/ Mini/Noseda (Hrsg.), Codice svizzzero di procedura penale (CPP). Commentario, Zürich/St. Gallen 2010, N 2 zu Art. 282; Olivier Guéniat/Frédéric Hainard, in: Kuhn/Jeanneret (Hrsg.), Commentaire romand. Code de procédure pénale suisse, Basel 2011, N 2 zu Art. 282.

AG, BE, OW, SZ, TG (noch nicht in Kraft), UR, ZG BL, BS, GL, LU, SG, SO, SH, VD, ZH Eine ausführlichere Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens ist abrufbar unter www.parlament.ch/d/dokumentation/berichte/vernehmlassungen/ 08-458/Documents/vernehmlassungsergebnisse-08-458-dezember-2011-d.pdf.

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3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Verdeckte Ermittlung

Art. 285a (neu) E StPO bzw. Art. 73 E MStP

Begriff

Die Bestimmungen orientieren sich an Artikel 1 BVE, umschreiben aber nicht wie dieser bloss den Zweck der verdeckten Ermittlung, sondern definieren diese. Mit der vorgeschlagenen Begriffsbestimmung wird die verdeckte Ermittlung im Vergleich zur weiten Umschreibung durch das Bundesgericht wieder enger gefasst und auf Konstellationen beschränkt, welche mit dem BVE geregelt werden sollten.

Verdeckte Ermittlung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie ein Eindringen in ein kriminelles Milieu und den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zur Zielperson bezweckt. Zu diesem Zweck werden die verdeckten Ermittlerinnen oder Ermittler mit einer falschen Identität ausgestattet, die durch entsprechende Urkunden (Identitätspapiere, Kreditkarten, Ausweise etc.) abgesichert wird. Im Unterschied zum heutigen Recht ist die Ausstattung mit einer Legende ein Begriffsmerkmal der verdeckten Ermittlung; in der Praxis wird diese Änderung allerdings keine grossen Auswirkungen haben, denn bereits heute werden verdeckte Ermittlerinnen oder Ermittler regelmässig legendiert.

Wie im geltenden Recht dient die verdeckte Ermittlung der Aufklärung besonders schwerer Straftaten.

Art. 288 Abs. 1 und 2 E StPO bzw. Art. 73c Abs. 1 und 2 E MStP Weil verdeckte Ermittlerinnen oder Ermittler neu immer mit einer Legende ausgestattet werden, ist Absatz 1 zu ändern. Mit der Änderung, wonach nicht die Staatsanwaltschaft bzw. der Untersuchungsrichter, sondern die Polizei verdeckte Ermittlerinnen oder Ermittler mit einer Legende ausstattet, wird die Rechtslage der heutigen Praxis angepasst.

Die Änderung von Absatz 2 ist redaktioneller Natur.

3.2

Verdeckte Fahndung

Durch die engere Umschreibung der verdeckten Ermittlung entsteht unterhalb der Eingriffsintensität dieser Massnahmen gewissermassen ein Leerraum für andere Massnahmen, bei denen Polizeiangehörige mit Zielpersonen in Kontakt treten ohne ihre wahre Identität und Funktion preiszugeben. Solche Massnahmen sollen unter dem Begriff der verdeckten Fahndung in einem eigenen neuen Abschnitt geregelt werden.

Art. 298a (neu) E StPO bzw. Art. 73o (neu) E MStP

Begriff

Ebenso wie die verdeckte Ermittlung in Artikel 285a E StPO bzw. Artikel 73 E MStP wird auch die verdeckte Fahndung durch eine eigene Bestimmung definiert.

Die Merkmale der verdeckten Fahndung sind die Folgenden: ­

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Die Massnahme ist regelmässig nur auf kurze Dauer ausgelegt. Weil nicht auszuschliessen ist, dass in einem Einzelfall ein Einsatz dennoch länger dau-

ert, sieht Artikel 298b Absatz 2 E StPO bzw. Artikel 73p Absatz 2 MStP nach einem Monat Dauer eine Genehmigungspflicht durch die Staatsanwaltschaft bzw. den Untersuchungsrichter vor.

­

Anders als bei der verdeckten Ermittlung können als verdeckte Fahnderinnen oder Fahnder nur Polizeiangehörige eingesetzt werden. Dies hängt damit zusammen, dass die verdeckte Fahndung durch die Polizei selber angeordnet werden kann, ohne dass es einer richterlichen Genehmigung bedarf. Könnten auch Privatpersonen eingesetzt werden, so könnte deren Eignung nicht durch eine unabhängige Instanz geprüft werden. Es bliebe allein der Polizei überlassen, welche Privatpersonen sie als verdeckte Fahnderinnen und Fahnder einsetzen wollte. Angesichts des Umstandes, dass sich deren Tätigkeit nicht auf das blosse Beobachten beschränkt, sondern sie auch mit der Zielperson direkt in Kontakt treten, erschiene eine solche Regelung problematisch.

­

Der Einsatz verdeckter Fahnderinnen oder Fahnder ist ­ anders als die verdeckte Ermittlung ­ nicht nur bei bestimmten Straftaten zulässig, sondern für die Aufklärung aller Verbrechen oder Vergehen. Bei blossen Übertretungen dagegen ist eine verdeckte Fahndung nicht möglich. Dies vor der Überlegung, dass auch die weniger einschneidende Observation nur bei Verbrechen oder Vergehen zulässig ist (vgl. Art. 282 Abs. 1 Bst. a StPO).

Absatz 2 hält zwei wesentliche Unterschiede zur verdeckten Ermittlung fest: Verdeckte Fahnderinnen oder Fahnder werden nie mit einer durch Urkunden gesicherten falschen Identität (Legende) ausgestattet und ihre wahre Identität wird nach ihrem Einsatz im Verfahren offengelegt. Beide Elemente führen dazu, dass die Eingriffsintensität der verdeckten Fahndung wesentlich geringer ist als jene der verdeckten Ermittlung: Der Ausschluss der Legendierung vermindert die Täuschungsintensität; der Verzicht auf Anonymisierung im Verfahren führt dazu, dass die Verteidigungsrechte keine Einschränkung erfahren.

Die Kommission weist darauf hin, dass die Schutzmassnahmen gemäss Artikel 149ff. StPO ohne Weiteres auch für verdeckte Fahnderinnen und Fahnder gelten.

Art. 298b (neu) E StPO bzw. Art. 73p (neu) E MStP

Voraussetzungen

Die Regelung entspricht grösstenteils jener für die Observation (Art. 282 StPO).

Anstatt lediglich «konkreter Anhaltspunkte» (wie Art. 282 Abs. 1 Bst. a StPO) verlangt sie allerdings einen «Verdacht». Der Grund liegt darin, dass die verdeckte Fahndung ­ verglichen mit der Observation ­ einen schwereren Eingriff darstellt, weil die Zielperson hier nicht bloss beobachtet, sondern im Rahmen von Kommunikationsvorgängen getäuscht wird.

Absatz 1 Buchstabe a verlangt den Verdacht, ein Verbrechen oder Vergehen sei begangen worden. Dies schliesst die verdeckte Fahndung zum Zweck der Verhinderung oder Erkennung zukünftiger möglicher Delikte zwar aus (weil es sich dabei um eine polizeirechtliche Massnahme handeln würde), setzt aber nicht voraus, dass das Delikt bereits zu Ende geführt sein muss. Vielmehr ist die verdeckte Fahndung auch beim Verdacht zulässig, eine strafbare Handlung sei im Gange.

Eine Minderheit der Kommission (Rickli Natalie, Fehr Hans, Jositsch, Kaufmann, Lehmann, Neirynck, Nidegger) ist der Ansicht, dass im Bundesrecht auch eine Grundlage für die präventive verdeckte Fahndung zu schaffen sei, wie eine solche auch bereits im (mit Inkrafttreten der StPO aufgehobenen) BVE bestanden habe 5599

(Art. 4 Abs. 1 Bst. a). Damit soll sichergestellt werden, dass in der ganzen Schweiz die gleiche Regelung gilt. Die Kommissionsmehrheit lehnt diesen Antrag mit Verweis auf die dafür fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes sowie die laufenden bzw. bereits abgeschlossenen Arbeiten der Kantone ab18.

Absatz 1 Buchstabe b übernimmt die Subsidiaritätsklausel der verdeckten Ermittlung (Art. 286 Abs. 1 Bst. c StPO bzw. Art. 73a Abs. 1 Bst. c MStP).

Absatz 2: Zwar sind verdeckte Fahndungen in aller Regel auf kurze Einsätze ausgerichtet. Angesichts der nicht allzu grossen Eingriffsintensität und der Tatsache, dass die verdeckte Fahndung nur beim Vorliegen eines Tatverdachts zulässig ist, kann von der Statuierung einer festen zeitlichen Limite abgesehen werden. Um polizeilich angeordnete verdeckte Fahndungen, also solche im Rahmen eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens nach Artikel 306 f. StPO, nicht ins Uferlose zu ermöglichen, ist die Polizei verpflichtet, verdeckte Fahndungen einen Monat nach ihrer Anordnung von der Staatsanwaltschaft bzw. vom Untersuchungsrichter genehmigen zu lassen. Diese Regelung entspricht jener für die Observation (Art. 282 Abs. 2 StPO).

Art. 298c (neu) E StPO bzw. Art. 73q (neu) E MStP

Anforderungen an die eingesetzten Personen und Durchführung

Die Anforderungen an die eingesetzten Personen entsprechen jenen für die verdeckte Ermittlung (Art. 287 StPO bzw. Art. 73b MStP) mit dem Unterschied, dass ausschliesslich Polizeiangehörige als verdeckte Fahnderinnen oder Fahnder eingesetzt werden dürfen.

Art. 298d (neu) E StPO bzw. Art. 73r (neu) E MStP

Beendigung und Mitteilung

Die Regelung entspricht in der Sache jener für die verdeckte Ermittlung (Art. 297 StPO bzw. Art. 73l MStP). Unterschiede ergeben sich daraus, dass eine verdeckte Fahndung keiner Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht bzw. den Präsidenten des Militärkassationsgerichts, sondern allenfalls einer solchen durch die Staatsanwaltschaft bzw. den Untersuchungsrichter bedarf, und dass nur Polizeiangehörige, nicht aber Privatpersonen eingesetzt werden dürfen.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagenen Änderungen haben keine finanziellen oder personellen Auswirkungen.

18

Siehe dazu auch Ziffer 2.2.2

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5

Verfassungsmässigkeit

Sowohl bei der verdeckten Fahndung als auch bei der verdeckten Ermittlung handelt es sich um Massnahmen zur Klärung des Verdachts auf eine begangene Straftat, mithin um strafprozessuale und nicht um polizeirechtliche Massnahmen. Der Bund ist gestützt auf seine Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Strafprozessrechts (Art. 123 Abs. 1 BV) zum Erlass entsprechender Regelungen zuständig. Gestützt auf Artikel 60 BV ist der Bund zudem für die Gesetzgebung im Bereich des Militärstrafprozessrechts zuständig.

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