Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz ­ Ziele, Herausforderungen und Handlungsfelder Erster Teil der Strategie des Bundesrates vom 2. März 2012

2011-2922

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Impressum Projektoberleitung Andreas Götz (Vorsitz), Andrea Burkhardt, Rolf Manser, Evelyne Marendaz, Hans Peter Willi (alle BAFU) Projektteam Roland Hohmann (Leitung), Pamela Köllner-Heck, Thomas Probst (alle BAFU) Projektgruppe Hugo Aschwanden, Christian Küchli, Carolin Schärpf, Christian Schlatter, GianReto Walther (alle BAFU), Beat Goldstein, Adrian Grossenbacher, Lukas Gutzwiller (alle BFE), Melanie Butterling, Christian Wirz (beide ARE), Daniel Felder, Martina Wiedemar (beide BLW), Ursula Ulrich (BAG), Ruth Hauser (BVET), Mischa Croci-Maspoli (MeteoSchweiz), Marianne Widmer (EFV), Davide Codoni (SECO), Christoph Werner (BABS) Beiträge Markus Nauser (dialog:umwelt GmbH, Bern-Ittigen), Marco Ronzani (Ronzani Prozessberatung, Basel), Michèle Bättig, Noemi Rom (beide econcept, Zürich), Hans Kienholz, Bruno Schädler (beide GIUB, Universität Bern), Adrian Zangger (Hintermann & Weber AG, Bern)

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Zusammenfassung Das Klima wird sich in der Schweiz in Zukunft weiter verändern. Das Ausmass der Veränderungen hängt stark von den künftigen globalen Treibhausgasemissionen ab.

Je höher die Emissionen sind, desto stärker wird sich das Klima verändern. Bei einem mittleren Emissionsszenario werden die Temperaturen in den kommenden Jahrzehnten in allen Landesteilen und Jahreszeiten steigen. Vor allem in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ist mit einer deutlichen Abnahme der Sommerniederschläge zu rechnen. Die klimatischen Veränderungen wirken sich auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft aus. Anpassungen an den Klimawandel sind bereits heute nötig und werden in Zukunft immer wichtiger. Mit der Anpassungsstrategie setzt der Bundesrat den Rahmen für ein koordiniertes Vorgehen bei der Anpassung an den Klimawandel auf Bundesebene.

Die Anpassungsstrategie besteht aus zwei Teilen. Der vorliegende erste Teil beinhaltet Ziele, Herausforderungen und Handlungsfelder bei der Anpassung an den Klimawandel. Die Anpassungsstrategie soll es der Schweiz ermöglichen, die Chancen des Klimawandels zu nutzen, die Risiken zu minimieren und die Anpassungsfähigkeit der natürlichen und sozioökonomischen Systeme zu steigern. Die wichtigsten Herausforderungen, die sich direkt aus den Auswirkungen des Klimawandels in der Schweiz für die Anpassung ergeben, sind: ­

die grössere Hitzebelastung in den Agglomerationen und Städten,

­

die zunehmende Sommertrockenheit,

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das steigende Hochwasserrisiko,

­

die abnehmende Hangstabilität und häufigere Massenbewegungen,

­

die steigende Schneefallgrenze,

­

die Beeinträchtigung der Wasser-, Boden- und Luftqualität,

­

die Veränderung von Lebensräumen, der Artenzusammensetzung und der Landschaft,

­

die Ausbreitung von Schadorganismen, Krankheiten und gebietsfremden Arten.

Weitere Herausforderungen ergeben sich bei der Verbesserung der Grundlagen für die Planung und Umsetzung von Anpassungsmassnahmen. Im Vordergrund stehen die Koordination und Verbesserung des Monitorings und der Früherkennung klimabedingter Veränderungen, die Verbesserung der Wissensgrundlage, die Sensibilisierung, Information und Koordination sowie die Evaluation des Ressourcenbedarfs und das Prüfen von Finanzierungsmöglichkeiten. Um die Herausforderungen durch die Auswirkungen des Klimawandels und bei der Verbesserung der Grundlagen zu meistern, ist die sektorenübergreifende Zusammenarbeit und landesweite Koordination wichtig.

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Neben diesen Herausforderungen wird im ersten Teil der Strategie die Anpassung in den Sektoren Wasserwirtschaft, Umgang mit Naturgefahren, Landwirtschaft, Waldwirtschaft, Energie, Tourismus, Biodiversitätsmanagement, Gesundheit und Raumentwicklung behandelt. Für diese Sektoren werden Handlungsfelder der Anpassung definiert, Anpassungsziele formuliert und die Stossrichtung zur Erreichung dieser Ziele skizziert. Zudem werden die Schnittstellen zwischen den Sektoren bei der Anpassung an den Klimawandel dargestellt. Dies soll es ermöglichen, bestehende Synergien bei der Anpassung an den Klimawandel bestmöglich zu nutzen sowie Zielkonflikte zu vermeiden und zu lösen.

Der erste Teil der Anpassungsstrategie enthält keinen Massnahmenkatalog. Anpassungsmassnahmen sollen in einem nächsten Schritt von den zuständigen Departementen erarbeitet und in einem gemeinsamen Aktionsplan ­ dem zweiten Teil der Strategie ­ dargestellt und koordiniert werden. Dabei wird die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden, Verbänden und Privaten wichtig sein. Ebenso gilt es, die Massnahmen auf die weiteren sektorübergreifenden Strategien des Bundesrates abzustimmen.

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Inhaltsverzeichnis Impressum

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Zusammenfassung

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1 Einleitung 1.1 Inhalt der Anpassungsstrategie 1.2 Rolle der Bundesämter bei der Strategieentwicklung 1.3 Schnittstellen der Anpassungsstrategie zu anderen Strategien und Politiken

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2 Die grössten Herausforderungen bei der Anpassung an den Klimawandel 2.1 Herausforderungen durch Auswirkungen des Klimawandels 2.1.1 Grössere Hitzebelastung in den Agglomerationen und Städten 2.1.2 Zunehmende Sommertrockenheit 2.1.3 Steigendes Hochwasserrisiko 2.1.4 Abnehmende Hangstabilität und häufigere Massenbewegungen 2.1.5 Steigende Schneefallgrenze 2.1.6 Beeinträchtigung der Wasser-, Boden- und Luftqualität 2.1.7 Veränderung von Lebensräumen, Artenzusammensetzung und Landschaft 2.1.8 Ausbreitung von Schadorganismen, Krankheiten und gebietsfremden Arten 2.2 Grundlagen für die Umsetzung 2.2.1 Monitoring und Früherkennung 2.2.2 Reduktion von Unsicherheiten und Schliessen von Wissenslücken 2.2.3 Sensibilisierung, Information und Koordination 2.2.4 Ressourcenbedarf und Finanzierung

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3 Ziele und Grundsätze der Anpassung

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4 Anpassung in den Sektoren 4.1 Wasserwirtschaft 4.1.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Wasserwirtschaft 4.1.2 Ziele der Anpassung im Sektor Wasserwirtschaft 4.1.3 Stossrichtung zur Zielerreichung 4.2 Umgang mit Naturgefahren 4.2.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Umgang mit Naturgefahren 4.2.2 Ziele der Anpassung im Sektor Umgang mit Naturgefahren 4.2.3 Stossrichtung zur Zielerreichung 4.3 Landwirtschaft 4.3.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Landwirtschaft 4.3.2 Ziele der Anpassung im Sektor Landwirtschaft 4.3.3 Stossrichtung zur Zielerreichung

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4.4 Waldwirtschaft 4.4.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Waldwirtschaft 4.4.2 Ziele der Anpassung im Sektor Waldwirtschaft 4.4.3 Stossrichtung zur Zielerreichung 4.5 Energie 4.5.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Energie 4.5.2 Ziele der Anpassung im Sektor Energie 4.5.3 Stossrichtung zur Zielerreichung 4.6 Tourismus 4.6.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Tourismus 4.6.2 Ziele der Anpassung im Sektor Tourismus 4.6.3 Stossrichtung der Zielerreichung 4.7 Biodiversitätsmanagement 4.7.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Biodiversitätsmanagement 4.7.2 Ziele der Anpassung im Sektor Biodiversitätsmanagement 4.7.3 Stossrichtung zur Zielerreichung 4.8 Gesundheit 4.8.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Gesundheit 4.8.2 Ziele der Anpassung im Sektor Gesundheit 4.8.3 Stossrichtung zur Zielerreichung 4.9 Raumentwicklung 4.9.1 Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Raumentwicklung 4.9.2 Ziele der Anpassung im Sektor Raumentwicklung 4.9.3 Stossrichtung zur Zielerreichung

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5 Schnittstellen zwischen den Sektoren bei der Anpassung

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6 Schritte zur Umsetzung der Strategie

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Anhang A1. Vorgehen und Methodik A2. Klimazukunft der Schweiz

3840 3845

Glossar

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Bericht 1

Einleitung

Die Schweiz muss sich in den kommenden Jahrzehnten an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen. Mit der Anpassungsstrategie setzt der Bundesrat den Rahmen für das koordinierte Vorgehen der Bundesämter bei der Anpassung. Die Schweiz soll durch gezielte Massnahmen Chancen, die sich aufgrund des Klimawandels ergeben, nutzen, Risiken des Klimawandels minimieren, die Bevölkerung, Sachwerte und natürliche Lebensgrundlagen schützen und die Anpassungsfähigkeit von Gesellschaft, Wirtschaft und Natur steigern.

Bei der Anpassung an den Klimawandel handelt es sich um eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen, Gemeinden und Privaten. Die Anpassungsstrategie behandelt die Anpassung auf Bundesebene. Dabei werden nur die Auswirkungen des Klimawandels in der Schweiz berücksichtigt. Auswirkungen des Klimawandels in anderen Weltregionen auf die Schweiz, beispielsweise der Einfluss der zunehmenden Trockenheit in subtropischen Gebieten auf die Nahrungsmittelimporte oder die Beeinträchtigung der globalen Sicherheitslage durch klimabedingte Ressourcenkonflikte, werden hier nicht behandelt.

1.1

Inhalt der Anpassungsstrategie

Die Anpassungsstrategie besteht aus zwei Teilen: Der vorliegende erste Teil beinhaltet Ziele, Herausforderungen und Handlungsfelder bei der Anpassung an den Klimawandel. Darauf aufbauend sollen im zweiten Teil, der bis Ende 2013 vorliegen wird, konkrete Anpassungsmassnahmen in einem Aktionsplan zusammenfassend dargestellt und koordiniert werden.

Der erste Teil der Anpassungsstrategie ist wie folgt aufgebaut: In Kapitel 2 sind die wichtigsten Herausforderungen bei der Anpassung an den Klimawandel auf Bundesebene im Sinne einer Synthese zusammengefasst. Es wird zwischen Herausforderungen, die sich aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels ergeben, und Herausforderungen, die bei der Verbesserung der Grundlagen für die Anpassung an den Klimawandel bestehen, unterschieden. In Kapitel 3 werden übergeordnete Ziele und Grundsätze für die Anpassung an den Klimawandel formuliert. Kapitel 4 behandelt die Klimaanpassung in den wichtigsten vom Klimawandel betroffenen Sektoren. Für jeden Sektor werden die wichtigsten Handlungsfelder der Anpassung identifiziert, Anpassungsziele für die Handlungsfelder formuliert und die Stossrichtung für die Erreichung dieser Ziele skizziert. Kapitel 5 gibt eine Übersicht über die Schnittstellen, die bei der Anpassung an den Klimawandel zwischen den Sektoren bestehen. In Kapitel 6 wird das weitere Vorgehen skizziert. Vorgehen und Methodik bei der Erarbeitung des ersten Teils der Strategie sind im Anhang A1 dargelegt. In Anhang A2 sind ein regionales Klimaszenario für die Schweiz und die wichtigsten Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweiz, die als Grundlage für die Anpassungsstrategie dienen, zusammengefasst.

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1.2

Rolle der Bundesämter bei der Strategieentwicklung

Die Erarbeitung des ersten Teils der Anpassungsstrategie wurde im Interdepartementalen Ausschuss Klima (IDA Klima) koordiniert. Folgende Bundesstellen waren daran beteiligt: ­

Bundesamt für Raumentwicklung (ARE)

­

Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS)

­

Bundesamt für Umwelt (BAFU)

­

Bundesamt für Gesundheit (BAG)

­

Bundesamt für Energie (BFE)

­

Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)

­

Bundesamt für Veterinärwesen (BVET)

­

Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV)

­

Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz)

­

Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)

Bei der Entwicklung des vorliegenden ersten Teils der Strategie hatte das BAFU die Federführung. Es moderierte den Prozess, sorgte für eine einheitliche Vorgehensweise und war für die sektorenübergreifenden Elemente besorgt. Für die Anpassung in den Sektoren waren die zuständigen Bundesämter verantwortlich. Die klimatologischen Grundlagen zum beobachteten Klimaverlauf und zu zukünftigen Klimaszenarien wurden von der MeteoSchweiz bereitgestellt.

1.3

Schnittstellen der Anpassungsstrategie zu anderen Strategien und Politiken

Mit dem von den eidgenössischen Räten am 23. Dezember 2011 verabschiedeten revidierten CO2-Gesetz1 wird die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels ab 2013 zum zweiten, komplementären Bestandteil der Schweizer Klimapolitik neben der vordringlichen Reduktion der Treibhausgasemissionen. Gemäss Artikel 8 (Koordination der Anpassungsmassnahmen) erhält der Bund den Auftrag, Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu koordinieren und für die Bereitstellung der für die Anpassung notwendigen Grundlagen zu sorgen. Die Anpassungsstrategie wird eine wichtige Grundlage für die Umsetzung des gesetzlichen Auftrags sein.

Die Verankerung der Anpassung im CO2-Gesetz ist im Sinne der UNO-Klimakonvention, welche die Vertragsstaaten in Artikel 4, Absatz 1, dazu verpflichtet, ihren Anpassungsbedarf zu evaluieren und Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel umzusetzen. Gemäss dem Bali-Aktionsplan ist die Anpassung an den Klimawandel einer der vier zentralen Pfeiler der globalen Klimapolitik.2

1 2

BBl 2012 113.

Die vier zentralen Pfeiler des Bali-Aktionsplans sind: (1.) Emissionsreduktion, (2.) Anpassung, (3.) Technologietransfer und (4.) Finanzielle Unterstützung (Capacity Building).

3784

Die Anpassungsstrategie wird mit dem Aktionsplan der «Strategie Nachhaltige Entwicklung» des Bundesrates für die Legislaturperiode 2012­2015 koordiniert. Sie weist zahlreiche Schnittstellen und Überschneidungen zu sektoralen Programmen, Strategien und Politiken auf. Im Sektor Wasserwirtschaft ist die Anpassung an den Klimawandel Gegenstand der Beantwortung des Postulats Walter «Wasser und Landwirtschaft. Zukünftige Herausforderungen»3. Dieses verlangt vom Bundesrat eine Wasserstrategie, die u. a. Spielregeln zur Verteilung des Wassers in Zeiten der Knappheit und zum Umgang mit Konflikten zwischen Schutz- und Nutzinteressen aufstellt. Im Umgang mit Naturgefahren wird die Anpassung an den Klimawandel explizit in der von der PLANAT formulierten «Strategie Naturgefahren Schweiz»4 berücksichtigt. Zudem wurden die Auswirkungen des Klimawandels auf den Bevölkerungsschutz eingehend untersucht.5 Im Sektor Landwirtschaft wird die Anpassung an den Klimawandel in der «Klimastrategie Landwirtschaft»6 und im Diskussionspapier «Land- und Ernährungswirtschaft 2025»7 behandelt. In der Waldwirtschaft wird die Anpassung im Rahmen des «Waldprogramms Schweiz»8 angestrebt. In den «Energieperspektiven 2035»9, 10 sind die Auswirkungen des Klimawandels auf den Energiesektor in Form von Sensitivitätsanalysen enthalten. Die «Wachstumsstrategie für den Tourismusstandort Schweiz11 definiert den Klimawandel als eine der fünf wichtigsten Herausforderungen für den Schweizer Tourismus; die Anpassung wird im Rahmen des Umsetzungsprogramms für die Periode 2012­2015 thematisiert. In der vom Bundesrat in die Vernehmlassung gegebene «Strategie Biodiversität Schweiz»12 schliesslich wird unter Verweis auf die Anpassungsstrategie nicht auf die Anpassung an den Klimawandel eingegangen.

Auf internationaler Ebene beteiligt sich die Schweiz unter anderem im Rahmen des Netzwerks der europäischen Umweltagenturen an der fachlichen Diskussion zur Anpassung an den Klimawandel. Die Kommission der Europäischen Union (EU) hat 2009 ein Weissbuch zur Anpassung an den Klimawandel veröffentlicht. Im Gegensatz zu den in der EU stark koordinierten Massnahmen zur Abschwächung des Klimawandels basieren die Anstrengungen zur Anpassung an den Klimawandel auch innerhalb der EU noch auf nationalen und regionalen Strategien. Entsprechend konzentriert sich die Schweiz im Bereich der internationalen Einbettung ihrer 3 4 5 6

7

8

9 10

11 12

Postulat Hansjörg Walter: Wasser und Landwirtschaft. Zukünftige Herausforderungen.

10.3533; N 01.10.10.

PLANAT (2004): Strategie Naturgefahren Schweiz.

Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS (2009): Klimawandel und Bevölkerungsschutz. Beurteilung des Handlungsbedarfs.

Bundesamt für Landwirtschaft BLW (2011): Klimastrategie Landwirtschaft. Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel für eine nachhaltige Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft.

Bundesamt für Landwirtschaft BLW (2010): Land- und Ernährungswirtschaft 2025.

Diskussionspapier des Bundesamtes für Landwirtschaft zur strategischen Ausrichtung der Agrarpolitik.

Projektleitung WAP-CH, BHP ­ Brugger & Partner (2004): Waldprogramm Schweiz (WAP-CH). Schriftenreihe Umwelt Nr. 363, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft.

Bundesamt für Energie BFE (2007): Die Energieperspektiven 2035.

Bundesamt für Energie BFE (2011): Grundlagen für die Energiestrategie des Bundesrates; Frühjahr 2011 ­ Aktualisierung der Energieperspektiven 2035 (energiewirtschaftliche Modelle).

Der Schweizerische Bundesrat (2010): Wachstumsstrategie für den Tourismusstandort Schweiz.

Schweizerische Eidgenossenschaft (2011): Strategie Biodiversität Schweiz. Vernehmlassungsentwurf vom 16. September 2011.

3785

Strategie auf die Beobachtung nationaler Strategien in Europa und tauscht sich mit den Nachbarländern über die bei der Entwicklung und Umsetzung der Strategien gemachten Erfahrungen aus.

2

Die grössten Herausforderungen bei der Anpassung an den Klimawandel

Nachfolgend sind die wichtigsten Herausforderungen beschrieben, die sich bei der Anpassung an den Klimawandel auf Bundesebene ergeben. Die Auswahl beruht auf einer sektorübergreifenden Analyse und wird von allen beteiligten Fachstellen unterstützt. Sie basiert auf den Aussagen bezüglich der Anpassung in den wichtigsten vom Klimawandel betroffenen Sektoren (Kap. 4) und der Analyse der Schnittstellen zwischen diesen Sektoren (Kap. 5).

Die wichtigsten Herausforderungen und deren Bezug zu den Sektoren sind in Abbildung 2.1 dargestellt. Die Reihenfolge stellt keine Priorisierung dar. Die Herausforderungen ergeben sich einerseits direkt aus den Auswirkungen des Klimawandels auf die Sektoren (vgl. 2.1). Andererseits zielen sie darauf ab, die Grundlagen für die Umsetzung zu verbessern (vgl. 2.2).

Grössere Hitzebelastung in Agglomerationen und Städten (2.1.1) Zunehmende Sommertrockenheit (2.1.2) Steigendes Hochwasserrisiko (2.1.3) Abnehmende Hangstabilität und häufigere Massenbewegungen (2.1.4) Steigende Schneefallgrenze (2.1.5) Beeinträchtigung der Wasser-, Boden- und Luftqualität (2.1.6) Veränderung von Lebensräumen, Artenzusammensetzung und Landschaft (2.1.7) Ausbreitung von Schadorganismen, Krankheiten und gebietsfremden Arten (2.1.8)

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Raumentwicklung (4.9)

Gesundheit (4.8)

Biodiversitätsmanagement (4.7)

Tourismus (4.6)

Energie (4.5)

Waldwirtschaft (4.4)

Landwirtschaft (4.3)

Umgang mit Naturgefahren (4.2)

Wasserwirtschaft (4.1)

In der Beschreibung der Herausforderungen wird eingangs die regionale Ausprägung skizziert und in einer Grafik dargestellt. Zudem wird auf die betroffenen Sektoren und Handlungsfelder (Kap. 4) verwiesen.

Raumentwicklung (4.9)

Gesundheit (4.8)

Biodiversitätsmanagement (4.7)

Tourismus (4.6)

Energie (4.5)

Waldwirtschaft (4.4)

Landwirtschaft (4.3)

Umgang mit Naturgefahren (4.2)

Wasserwirtschaft (4.1)

Monitoring und Früherkennung (2.2.1) Unsicherheiten und Wissenslücken (2.2.2) Sensibilisierung, Information und Koordination (2.2.3) Ressourcenbedarf und Finanzierung (2.2.4) Abbildung 2.1: Die wichtigsten Herausforderungen bei der Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz.

2.1

Herausforderungen durch Auswirkungen des Klimawandels

2.1.1

Grössere Hitzebelastung in den Agglomerationen und Städten Regionale Ausprägung: Hitzebelastete Agglomerationen, Städte Betroffene Sektoren: Raumentwicklung (R1)13, Gesundheit (G2, G3), Energie (E1)

Mit der Zunahme der Durchschnittstemperatur dürften Hitzewellen häufiger, intensiver und länger werden. Vor allem für die städtische Bevölkerung bedeutet dies eine zunehmende gesundheitliche Belastung und Gefährdung. In Städten kann die Wirkung hoher Temperaturen durch lokale Effekte verstärkt werden: Eine infolge dichter Bebauung eingeschränkte Windzirkulation, die fehlende Beschattung und die fehlenden Grünflächen, die Absorption der einfallenden Sonnenstrahlung durch die vielen versiegelten Flächen sowie die Abwärme von Industrie, Gebäuden und Verkehr tragen zum Wärmeinsel-Effekt bei, welcher die Aufheizung tagsüber steigert und die nächtliche Abkühlung deutlich reduziert. Bereits heute werden maximale Temperaturunterschiede zwischen den Kernstädten und dem umliegenden ländlichen Raum von bis zu 10 °C festgestellt.

Hitzewellen können für alte, kranke und pflegebedürftige Personen sowie Säuglinge lebensbedrohend sein. Für die Hitzewelle im Sommer 2003 konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Temperatur und zusätzlichen Todesfällen nachgewiesen werden. Ein weiterer Effekt ist die verminderte Haltbarkeit von verderblichen 13

Die Abkürzung in Klammern verweisen auf die Handlungsfelder der Anpassung in den jeweiligen Sektoren (Kap. 4).

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Lebensmitteln und die zunehmende Gefahr von Lebensmittelvergiftungen bei hohen Temperaturen. Schliesslich beeinträchtigen hohe Temperaturen die menschliche Leistungsfähigkeit sowie die Produktivität und Konzentrationsfähigkeit am Arbeitsplatz.

Bei der Anpassung an die zunehmende Hitzebelastung in den Städten müssen die Sektoren Raumentwicklung, Gesundheit und Energie optimal zusammenarbeiten.

Einen grossen Stellenwert hat dabei die urbane Freiraumentwicklung: Die Raumplanung kann Freiräume und deren Multifunktionalität (Kühlung, Luftzirkulation, Erholung etc.) sichern und aufwerten. Eine wichtige Rolle spielt die sogenannte ökologische Infrastruktur. Bäume und Grünflächen durchbrechen die Versiegelung des Bodens, werten Freiräume auf, spenden Schatten und wirken kühlend auf das lokale Klima (Verdunstung). Aber auch die Bevölkerung kann durch angepasstes Verhalten einen Beitrag zur Reduktion des Gesundheitsrisikos leisten. Dazu braucht es frühzeitige und gezielte Informationen über das angemessene Verhalten während Hitzewellen. Im Energiebereich muss im Interesse der übergeordneten energiepolitischen Zielsetzungen (effiziente Energienutzung, CO2-arme Energiebedarfsdeckung) dem steigenden Strombedarf für Raumkühlung entgegengewirkt werden.

Im Vordergrund stehen Anreize für Solaranlagen auf Dächern (CO2-freie Energiegewinnung bei gleichzeitiger Reduktion der Wärmeeinstrahlung), Dach- und Fassadenbegrünungen, Mindestanforderungen für Anlagen und Geräte zur Kühlung, Klimatisierung und Lüftung sowie die Sensibilisierung von Bauherren, Architektinnen und Architekten und Planern.

2.1.2

Zunehmende Sommertrockenheit Regionale Ausprägung: Jura, Alpensüdseite, inneralpine Trockentäler, kleine und mittlere Einzugsgebiete Mittelland, Rheintal Betroffene Sektoren: Wasserwirtschaft (W1, W4, W5, W9, W12), Landwirtschaft (L3), Waldwirtschaft (F3), Energie (E2), Biodiversitätsmanagement (B2), Raumentwicklung (R4)

In der Schweiz sind die verfügbaren Wasserreserven generell sehr gross, und es kann davon ausgegangen werden, dass den verschiedenen Nutzern ausreichend Wasser zur Verfügung steht. Je nach Region, Saison und Sektor gibt es aber bereits heute Engpässe im Wasserdargebot. Die Klimamodelle sagen vor allem für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts für die ganze Schweiz eine deutliche Abnahme der Sommerniederschläge voraus. Langanhaltende Trockenperioden dürften häufiger auftreten. Gleichzeitig wird die Verdunstung durch Pflanzen und Böden sowie über Wasser- und Gletscherflächen mit der Erwärmung zunehmen.

Die Abnahme der Sommerniederschläge wirkt sich auf sämtliche Wassernutzer aus: die Landwirtschaft, die vermehrt Bewässerungswasser für die Produktion braucht; die Waldwirtschaft, die zahlreiche trockenheitsempfindliche Standorte hat, welche von der Ausbreitung von Insekten und von der Zunahme der Waldbrandgefahr betroffen sind; die Energieproduktion, die weniger Wasser aus den Fliessgewässern für die Energiegewinnung beziehen kann; die Biodiversität, für die eine ausreichen3788

de Mindestwasserführung und eine gute Wasserqualität in den Flüssen von zentraler Bedeutung ist, und die Siedlungswasserwirtschaft, die auf eine ausreichende Wasserführung in den Vorflutern für die Einleitung und Verdünnung des Klärwassers angewiesen ist. Auch die Trinkwasserversorgung kann durch örtlich und zeitlich begrenzte Engpässe im Wasserdargebot beeinträchtigt werden.

Der Druck auf die verfügbaren Wasserreserven nimmt mit dem Klimawandel zu, und in kleinen und mittleren Einzugsgebieten kann es während langen Trockenperioden zu Konkurrenzsituationen zwischen den verschiedenen Wassernutzern kommen. Die Anpassung an die zunehmende Trockenheit muss darauf abzielen, den Wasserbedarf der betroffenen Sektoren zu reduzieren und die verfügbaren Wasserreserven optimal zu nutzen. Dabei handelt es sich um zwei zentrale Elemente des integralen Einzugsgebietsmanagements, mit dem ein Paradigmenwechsel vom verbrauchsorientierten zum angebotsorientieren Wassermanagement angestrebt wird.

Die Landwirtschaft kann den Wasserbedarf durch eine Steigerung der Wasserrückhalte- und -speicherfähigkeit des Bodens, durch die Wahl angepasster Sorten und durch die Optimierung von Bewässerungssystemen reduzieren. In der Waldwirtschaft stehen der Abbau bestehender Risiken sowie die Verjüngung mit anpassungsfähigen Baumarten im Vordergrund. In der Siedlungswasserwirtschaft bieten sich die Regionalisierung der Abwasserreinigung und das Einleiten des Klärwassers in grosse Vorfluter bei Niedrigwasser an. Der Energiesektor kann Einschränkungen in der Wasserkraftproduktion begegnen, indem er das verbleibende Potenzial effizient nutzt und sich vermehrt auf zusätzliche erneuerbare Energiequellen abstützt.

Die Wasserverfügbarkeit kann optimiert werden. Dazu braucht es allerdings neue Konzepte zu Wasserspeicherung und Wasserverteilung. Im Vordergrund stehen die Nutzung von natürlichen Wasserspeichern, die Mehrzwecknutzung von Speicherseen, die Anpassung von Seeregulierungen, der Bau von Wasserspeichern für Bewässerungszwecke sowie die Optimierung der Verteilsysteme. Dabei müssen auch die Bedürfnisse der Nachbarländer berücksichtigt werden.

Darüber hinaus braucht es klare Regeln und Vorgehensweisen für die Wasserverteilung bei Wassermangel. Auf Bundesebene werden diese im Rahmen der Beantwortung des Postulats Walter14 erarbeitet.
Wegen der zunehmenden Waldbrandgefahr werden die Einsatzkräfte des Bevölkerungsschutzes vermehrt mit der Brandbekämpfung zu tun haben. Es ist zu prüfen, wie sie adäquat darauf vorbereitet werden können.

14

Postulat Hansjörg Walter: Wasser und Landwirtschaft. Zukünftige Herausforderungen.

10.3533; N 01.10.10.

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2.1.3

Steigendes Hochwasserrisiko Regionale Ausprägung: Ganze Schweiz Betroffene Sektoren: Wasserwirtschaft (W2, W6, W7, W8), Umgang mit Naturgefahren (N1, N2), Landwirtschaft (L1), Energie (E2), Tourismus (T2), Raumentwicklung (R3)

Als Folge des Klimawandels werden Winterhochwasser in der ganzen Schweiz wahrscheinlich häufiger auftreten. Der Grund liegt in der vorausgesagten Zunahme der Niederschlagssumme im Winter bei gleichzeitigem Anstieg der Schneefallgrenze. Auch im Frühjahr und Frühsommer könnte das Hochwasserrisiko aufgrund der Überlagerung von grossflächiger Schneeschmelze und intensiven Niederschlägen zunehmen. Die Unsicherheiten in diesen Projektionen sind allerdings relativ gross.

Die wahrscheinliche Zunahme von Hochwasserereignissen wird zu einer veränderten Gefährdung von Siedlungen, Gebäuden, Verkehrswegen, Infrastrukturen und landwirtschaftlichen Nutzflächen führen. Dabei sind Siedlungsmuster mit grossen versiegelten Flächen, welche die Versickerung verhindern, besonders anfällig.

Der Hochwasserschutz wird in der Schweiz bereits umfassend wahrgenommen. Er beinhaltet neben organisatorischen und baulichen Schutzmassnahmen auch raumplanerische Massnahmen. Die Anpassung an das zunehmende Hochwasserrisiko betrifft vor allem die Sektoren Umgang mit Naturgefahren, Raumentwicklung und Wasserwirtschaft.

Eine wichtige Rolle spielt die Raumplanung. Einerseits muss sie dafür sorgen, dass gefährdete Gebiete nicht bebaut werden. Eine wichtige Grundlage für die Berücksichtigung der Naturgefahren in der Raumplanung und für die Erarbeitung von umfassenden Schutzkonzepten sind die Gefahrenkarten, die nach ihrer Fertigstellung regelmässig aktualisiert und raumplanerisch umgesetzt werden müssen. Andererseits muss der Raumbedarf der Fliessgewässer unter Berücksichtigung des Überlastfalls gesichert und bei Bedarf angepasst werden. Durch das Bewahren unversiegelter Flächen und eine angepasste landwirtschaftliche Bewirtschaftung können die natürliche Wasserspeicherung im Boden und der natürliche Hochwasserrückhalt gesichert werden. Gefordert ist auch die Wasserwirtschaft, wo es neue Konzepte für den Hochwasserrückhalt braucht. Im Vordergrund stehen die Mehrzwecknutzung von Speicherseen und die Seeregulierung. Diesbezüglich müssen auch die Interessen der Nachbarländer berücksichtigt werden. Im Hochwasserschutz muss bei neuen Schutzbauten und bei der Sanierung von Schutzbauten der Einfluss des Klimawandels auf den Hochwasserabfluss berücksichtigt werden. Schliesslich müssen die Einsatzkräfte des Bevölkerungsschutzes, für die Hochwasser bereits heute eine grosse Herausforderung bedeuten, darauf vorbereitet werden, häufiger auftretende Ereignisse zu bewältigen.

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2.1.4

Abnehmende Hangstabilität und häufigere Massenbewegungen Regionale Ausprägung: Alpenraum, Jura Betroffene Sektoren: Umgang mit Naturgefahren (N3), Landwirtschaft (L1), Waldwirtschaft (F1), Energie (E4), Tourismus (T2), Raumentwicklung (R3)

Als Folge des Klimawandels werden Erdrutsche, Steinschlag, Felsstürze und Murgänge (Massenbewegungen) in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich häufiger. Grund dafür sind die sich beschleunigende Gletscherschmelze und das langsame Auftauen des Permafrosts. Beides führt in steilen Lagen der Alpentäler zu einer Abnahme der Hangstabilität. Das Risiko von Hangrutschungen wird zudem durch die mögliche Zunahme von Starkniederschlägen und den Anstieg der Schneefallgrenze erhöht.

Die Zunahme von Massenbewegungen kann die Sicherheit von Siedlungen und des Personen- und Güterverkehrs auf Schiene und Strasse sowie von Gas- und Stromleitungen im Alpenraum gefährden. Auch touristische Anlagen, Talsperren und die landwirtschaftliche Nutzung sowie wichtige Verkehrsverbindungen im Mittelland können davon betroffen sein.

Die Anpassung an die klimabedingte Zunahme von Massenbewegungen betrifft in erster Linie die Sektoren Umgang mit Naturgefahren, Raumentwicklung und Waldwirtschaft. Zunächst gilt es, die Entwicklung der Gletscherschmelze und des Auftauens des Permafrosts zu beobachten und gefährdete Gebiete zu überwachen (vgl. 2.2.1). Die Gefahrenkarten müssen nach ihrer Fertigstellung regelmässig aktualisiert und raumplanerisch umgesetzt werden. Zudem sollte dieses Instrument in Richtung integrale Gefahrenkartierung und Risikokartierung weiterentwickelt werden. Mit Blick auf eine sich ändernde Gefahrensituation müssen die bestehenden Schutzkonzepte überprüft und ­ wo nötig ­ angepasst werden. Gefordert ist auch die Waldwirtschaft: Infolge von Stürmen, Schädlingen, Trockenstress oder Waldbränden kann die Schutzwaldfunktion stark beeinträchtigt werden. Der Schutzwald muss einerseits dem sich ändernden Klima und andererseits der sich ändernden Gefahrenlage angepasst werden. Dazu werden zusätzliche Pflegeeingriffe in Beständen mit ungenügender Verjüngung und verminderter Stabilität nötig. Unter bestimmten Umständen braucht es zusätzlich ergänzende Schutzbauten. Auch die Betreiber von Transport- und Energieinfrastrukturen (Strom- und Gasleitungen) sind bei der Anpassung gefordert. Sie müssen für die veränderte Risikolage sensibilisiert werden.

Die Landwirtschaft kann durch geeignete Bewirtschaftungsmassnahmen situationsbezogen zur vorbeugenden Gefahrenminderung und Schadenreduktion beitragen.

3791

2.1.5

Steigende Schneefallgrenze Regionale Ausprägung: Alpenraum, Jura Betroffene Sektoren: Wasserwirtschaft (W2, W5, W12), Umgang mit Naturgefahren (N1, N2), Energie (E2), Tourismus (T1), Raumentwicklung (R2)

Mit der Klimaerwärmung steigt die durchschnittliche Höhenlage der Schneefallgrenze. In tiefen und mittleren Lagen muss im Winter vermehrt mit Regen statt Schnee gerechnet werden. Wie sich die Schneedecke in hohen Lagen in Zukunft entwickeln wird, hängt von lokalklimatischen Faktoren ab und ist unsicher.

Die steigende Schneefallgrenze wirkt sich einerseits auf den Wasserkreislauf aus: Im Winter erhöht sich der Abfluss, da weniger Niederschlag als Schnee gespeichert wird. Das Hochwasserrisiko nimmt zu (vgl. 2.1.3), und es steht mehr Wasser für die Stromproduktion zur Verfügung. Im Frühsommer dürfte der Abfluss wegen der geringeren Schneeschmelze abnehmen. Entsprechend steigt das Risiko von Trockenperioden (vgl. 2.1.2), und das Potenzial der Stromproduktion aus Wasserkraft sinkt. Andererseits ist vom Anstieg der Schneefallgrenze der Wintertourismus betroffen. Während im Winter in den Alpen in hohen Lagen die Schneesicherheit einen Wettbewerbsvorteil darstellt, können tief gelegene Schneesportgebiete vor allem in den Voralpen wegen der abnehmenden Schneesicherheit unter Druck geraten.

Die Wasserkraftproduktion muss durch Anpassungen bei der Bewirtschaftung der Speicherseen auf die Veränderungen des Abflussregimes infolge der steigenden Schneefallgrenze reagieren. Im Wintertourismus stehen zur Anpassung an die steigende Schneefallgrenze derzeit technische Massnahmen wie die künstliche Beschneiung im Vordergrund. Diese Massnahmen werden aber wegen der fortschreitenden Erwärmung in tieferen Lagen nur vorübergehend wirksam sein. Deshalb werden die Diversifizierung des touristischen Angebots, die Entwicklung von Alternativen zum schneegebundenen Wintersport und die Stärkung des Sommertourismus immer wichtiger.

2.1.6

Beeinträchtigung der Wasser-, Boden- und Luftqualität Regionale Ausprägung: Ganze Schweiz Betroffene Sektoren: Wasserwirtschaft (W1, W3, W9, W10, W11, W13), Landwirtschaft (L1, L2), Waldwirtschaft (F2, F4), Energie (E3), Biodiversitätsmanagement (B2), Gesundheit (G2), Raumentwicklung (R2)

Der Klimawandel dürfte die Wasser-, Boden- und Luftqualität beeinträchtigen. In den Oberflächengewässern werden die Wassertemperaturen parallel zu den Lufttemperaturen weiter ansteigen. Bei höheren Wassertemperaturen nimmt der Sauerstoffgehalt in Gewässern ab. Bei Niedrigwasser können die Schadstoffkonzentrationen ansteigen. Durch die Infiltration von Oberflächengewässern von verminderter 3792

Qualität können Grundwasser und Quellen beeinträchtigt werden. Die Bodenerosion, der damit verbundene Oberbodenverlust und das Auswaschen von Nährstoffen werden in gewissen Gebieten wegen häufigerer und stärkerer Niederschläge zunehmen. Die Luftqualität könnte durch die mögliche Zunahme von stabilen Hochdrucklagen, die eine Voraussetzung für eine hohe Schadstoffkonzentration sind, beeinträchtigt werden. Höhere Temperaturen können die Produktion von Pflanzenmasse, aber auch die Abbaurate von organischer Substanz steigern.

Die geschilderten Veränderungen haben Auswirkungen auf die Ressourcennutzung.

Die steigenden Wassertemperaturen beeinträchtigen die Energieerzeugung durch thermische Kraftwerke (KKW, Gas) und schränken die Nutzbarkeit des Wassers zu anderen Kühlzwecken ein. Höhere Wassertemperaturen und eine abnehmende Wasserqualität wirken sich auch negativ auf die Fischbestände aus. Von der möglichen Beeinträchtigung der Grundwasserqualität ist die Trinkwasserversorgung betroffen. In der Landwirtschaft werden die oben beschriebenen Prozesse die Humuserhaltung und die Nährstoffversorgung der Pflanzen ­ und somit die Sicherung der Produktion ­ vor grosse Herausforderungen stellen. Eine verminderte Luftqualität kann gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Hohe Schadstoffkonzentrationen in der Luft während Hitzewellen sind ein wichtiger Auslöser für Herz-kreislaufkrankheiten.

Die Anpassung setzt einerseits bei der nachhaltigen Nutzung und Bewirtschaftung der Ressourcen an. Bei der Energieerzeugung geht es darum, die Kühlsysteme zu verbessern oder andere Kühlmedien zu nutzen. Möglicherweise müssen auch die gesetzlichen Regelungen betreffend die Einleitung von Kühlwasser überprüft werden. Bei der Trinkwasserversorgung bieten sich die Vernetzung und das Abstützen auf mehrere unabhängige Wasserressourcen an. In der Landwirtschaft müssen Bewirtschaftungsmethoden angewendet werden, die dem Verlust von Oberboden und Pflanzennährstoffen entgegenwirken.

Andererseits wird es auch darum gehen, die Beeinträchtigung der Ressourcen durch klimaunabhängige Einflussfaktoren zu reduzieren und Entwicklungen zu verhindern, welche die Widerstandsfähigkeit der Systeme vermindern. So muss die Erwärmung von Fliessgewässern durch menschliche Aktivitäten eingeschränkt werden. Bei der Luftqualität gilt es, die Vorläufersubstanzen von Ozon und die Emissionen anderer Schadstoffe weiter zu senken.

2.1.7

Veränderung von Lebensräumen, Artenzusammensetzung und Landschaft Regionale Ausprägung: Ganze Schweiz Betroffene Sektoren: Wasserwirtschaft (W13), Landwirtschaft (L1), Waldwirtschaft (F2, F4), Biodiversitätsmanagement (B2, B4), Gesundheit (G1)

Die Veränderungen von Temperatur und Niederschlag wirken sich auf die Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten und auf natürliche Lebensräume aus. Das Verbreitungsgebiet von Arten, die auf ein bestimmtes Klima angewiesen sind, wird sich nach Möglichkeit dem sich ändernden Klima anpassen. Lokal wird es zu einer 3793

Veränderung der Artenzusammensetzung kommen: Neue Arten wandern zu, bestimmte Arten werden häufiger, andere werden seltener oder drohen zu verschwinden. Bei den Pflanzen wird eine Abnahme der lokalen Artenvielfalt erwartet.

Die sich verändernden Standortbedingungen können zu einem Verlust von Lebensräumen für einzelne Arten und Artengemeinschaften und längerfristig zur Veränderung der landschaftlichen Eigenart beitragen.

Die Veränderungen der Biodiversität dürften sich zumindest anfänglich negativ auf die Ökosystemleistungen auswirken, während positive Effekte erst mit der Zeit zu erwarten sind. Die zunehmende Trockenheit in den inneralpinen Tälern bedroht die Stabilität der Wälder und beeinträchtigt deren Schutzwirkung. Ferner ist eine Beeinträchtigung der CO2-Senkenleistung der Wälder, Feuchtwiesen und Moore zu erwarten, die wohl nur teilweise durch den klimabedingten Anstieg der Waldgrenze kompensiert werden kann. Eine Änderung der Artenzusammensetzung im Grünland hat einen Einfluss auf die Qualität und die Erträge im Futterbau. Allgemein wird sich die Anbaueignung von Kulturpflanzen räumlich verändern. Die Erwärmung der Fliessgewässer hat zur Folge, dass sich die Lebensräume z.B. der Kaltwasserfische verkleinern und sich jene der Warmwasserfische vergrössern. Generell dürften Arten in tiefer gelegenen, warmen Lagen ihre Verbreitung ausdehnen können. Umgekehrt werden die Areale von Arten in höheren, kühl-feuchten Lagen schrumpfen. Davon sind viele Arten betroffen, für deren Erhalt die Schweiz eine besondere Verantwortung trägt.

Um es den Tier- und Pflanzenarten zu ermöglichen, ihre Lebensräume an den Klimawandel anzupassen, sollten Barrieren beseitigt werden. Im Vordergrund steht dabei die Etablierung eines geografisch festgelegten Systems aus Schutz- und Vernetzungsgebieten in Zusammenarbeit mit den wichtigsten Landnutzern und mit internationaler Anbindung. Für ausgewählte klimasensitive Arten müssen möglicherweise auch Umsiedlungsmassnahmen geprüft werden. In der Landwirtschaft gilt es, durch den Anbau angepasster Sorten das Produktionspotenzial optimal zu nutzen.

In der Waldwirtschaft sind die kontinuierliche Verjüngung und die Förderung anpassungsfähiger Bestände erforderlich, um die bisherigen Leistungen trotz Veränderungen der Lebensräume auch künftig erbringen zu können.

2.1.8

Ausbreitung von Schadorganismen, Krankheiten und gebietsfremden Arten Regionale Ausprägung: Ganze Schweiz unterhalb ca. 2000 m Betroffene Sektoren: Wasserwirtschaft (W13), Landwirtschaft (L5), Waldwirtschaft (F1, F2), Biodiversitätsmanagement, (B3), Gesundheit (G1)

Das wärmere Klima und die milderen Winter haben zur Folge, dass künftig mehr potenzielle Schadorganismen in der Schweiz überwintern und sich deren Populationen rascher entwickeln und weiter ausbreiten können als bisher. Die längere Wärmeperiode ermöglicht es Insekten, zusätzliche Generationen zu bilden. Auch neue, wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten können auftreten und sich hierzulande ausbreiten. Darunter dürften sich auch invasive Organismen befinden, die sich negativ auf die menschliche Gesundheit und natürlichen Ökosysteme auswirken.

3794

Die Mobilität und der Klimawandel begünstigen die Ausbreitung und Vermehrung von Schadorganismen, die in der Land- und Forstwirtschaft enorme Schäden verursachen können. So sind bereits verschiedene Schadorganismen in der Schweiz aufgetaucht, die ausserordentliche Massnahmen durch den Eidgenössischen Pflanzenschutzdienst erforderlich machen. Auch die Gesundheit von Mensch und Tier wird durch das mögliche Auftreten neuer Krankheitserreger und deren Wirte und Vektoren beeinträchtigt. In einzelnen Landesteilen haben sich die Tigermücke und die Asiatische Buschmücke bereits als neue potenzielle Krankheitsüberträger etabliert. Für Menschen, die unter Pollenallergien leiden, bedeutet die Verbreitung der stark allergenen Ambrosia eine zusätzliche Belastung. Das invasive Verhalten gebietsfremder Arten wirkt sich auch auf die Biodiversität aus. Lebensräume wie Feuchtgebiete und Gewässer werden von einzelnen invasiven Arten bereits heute beeinträchtigt.

Im Umgang mit gebietsfremden Arten und der Ausbreitung von Schadorganismen und neuen Krankheiten ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Sektoren Biodiversitätsmanagement, Wald- und Landwirtschaft sowie Gesundheit: ­

Es bestehen grosse Wissenslücken bezüglich Auftreten, Etablierung, Ausbreitung und Bekämpfung der Organismen. Da es sich bei Schadorganismen, Krankheiten und invasiven gebietsfremden Arten z. T. um gleiche oder ähnliche Arten und Prozesse handelt, ist es wichtig, die Kompetenzen zu vernetzen, die Forschungsaktivitäten zu koordinieren und den Informationsaustausch zwischen Forschung, Verwaltung und Praxis zu fördern. (vgl. 2.2.2 und 2.2.3)

­

Um die Früherkennung zu optimieren, müssen die bestehenden Monitoringsysteme sektorenübergreifend koordiniert, vernetzt und gezielt auf die Messung von Folgen des Klimawandels angepasst werden. (vgl. 2.2.1)

­

Landesgrenzen stellen für diese Organismen kein Hindernis dar, deshalb ist die internationale Vernetzung der Aktivitäten zu vertiefen.

2.2

Grundlagen für die Umsetzung

2.2.1

Monitoring und Früherkennung

Der Klimawandel ist ein nach menschlichen Zeitbegriffen langsamer Prozess. Manche klimabedingte Veränderungen sind erst nach langer Zeit nachweisbar (z.B.

klimabedingte Veränderungen der Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen, die Verschiebung von Lebensräumen). Es besteht die Gefahr, dass schwerwiegende Veränderungen zu spät erkannt oder falsch eingeschätzt werden. Dies kann dazu führen, dass Anpassungsmassnahmen zu spät eingeleitet oder falsch ausgelegt und bemessen werden, wodurch vermeidbare Schäden und unnötige Kosten entstehen.

Als Grundlage für die Anpassung an den Klimawandel dienen Erkenntnisse aus der Klimabeobachtung sowie Klimaszenarien, die regelmässig aktualisiert und bereitgestellt werden müssen. Um die Früherkennung der klimabedingten Veränderungen zu verbessern, müssen bestehende Monitoringsysteme weitergeführt und an die Herausforderungen des Klimawandels angepasst werden. Betroffen sind fast alle Sektoren: In der Wasserwirtschaft müssen bestehende Messnetze erhalten und 3795

überregionale Wasserhaushaltsmodelle erstellt werden (vgl. 2.1.2). Im Umgang mit Naturgefahren und im Sektor Energie braucht es eine verbesserte Überwachung des Permafrosts, der Schnee- und Gletscherveränderungen und der Bodenbewegungen (vgl. 2.1.4). In der Landwirtschaft ist das Agrar-Umweltmonitoring im Aufbau.

Dieses enthält verschiedene Indikatoren, die auch vom Klimawandel beeinflusst werden (z.B. Nährstoffbilanz, Einsatz von Produktionsmitteln, Erosionsrisiko, Qualität ökologischer Ausgleichsflächen). Zudem werden insbesondere die Früherkennung von Trockenperioden und von Schadorganismen an Bedeutung gewinnen.

In der Waldwirtschaft stehen die Früherkennung von Schadorganismen und das generelle Monitoring der Walddynamik im Vordergrund (vgl. 2.1.8). Für den Sektor Gesundheit sind die Früherkennung und die Überwachung klimasensitiver Krankheitserreger und Vektoren wichtig (vgl. 2.1.8). Für das Biodiversitätsmanagement ist das Erkennen klimabedingter Veränderungen mittels langfristig ausgerichteter Monitoringprogramme von zentraler Bedeutung (vgl. 2.1.7).

Das Monitoring und die Früherkennung sind unabdingbar für die rechtzeitige Einleitung von Massnahmen. Sie bieten zahlreiche Möglichkeiten zur sektorenübergreifenden Zusammenarbeit, etwa bei der Überwachung von Schadorganismen, Krankheitserregern, Vektoren und invasiver gebietsfremder Arten oder bei den überregionalen Wasserhaushaltsmodellen. Wichtig sind auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und der internationale Informationsaustausch.

2.2.2

Reduktion von Unsicherheiten und Schliessen von Wissenslücken

Nach wie vor bestehen grosse Unsicherheiten bezüglich der künftigen Entwicklung der Emissionen sowie des globalen und regionalen Klimas. Aktuelle Beobachtungen zeigen aber, dass sich die globalen Treibhausgasemissionen entsprechend der pessimistischsten Szenarien bewegen. Auch die Abschätzungen der Auswirkungen des Klimawandels auf die einzelnen Sektoren, der Anpassungsfähigkeit der Systeme sowie der Kosten und Nutzen von Anpassungsmassnahmen weisen grosse Bandbreiten auf. Die Planung von Anpassungsmassnahmen wird durch die zeitliche Entkoppelung von Ursache und Wirkung erschwert. Trotz diesen Unsicherheiten und Wissenslücken ist es unerlässlich, Massnahmen bereits heute einzuleiten. In den meisten Sektoren fehlen jedoch konkrete Konzepte für den Umgang mit Unsicherheiten aufgrund des Klimawandels.

Um mit Anpassungsmassnahmen zielgerichtet auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren zu können, ist es wichtig, die bestehenden Unsicherheiten zu reduzieren. Dazu braucht es gezielte und koordinierte Forschungsanstrengungen.

Gleichzeitig müssen Konzepte für den Umgang mit Unsicherheiten entwickelt und verbessert werden. Ansätze, die sich bei der Klimaanpassung bereits bewährt haben (flexible und robuste Massnahmen, No-regret-Massnahmen), müssen in den Sektoren identifiziert und umgesetzt werden.

Die Anpassung an den Klimawandel ist als ein Prozess, der sich über längere Zeiträume erstreckt, zu verstehen. Nur ein verbesserter Wissensstand, die Reduktion der Unsicherheiten und die zunehmenden Erfahrungen werden es ermöglichen, diesen Prozess kontinuierlich zu verbessern.

3796

2.2.3

Sensibilisierung, Information und Koordination

Eine zentrale Voraussetzung für eine effektive Anpassung an den Klimawandel ist, dass Bund, Kantone, Gemeinden, Verbände und Private zusammenarbeiten. Viele Entscheidungsträger sind sich jedoch noch nicht ausreichend bewusst, dass eine Klimaanpassung notwendig und vorteilhaft ist. Zudem sind die verfügbaren Informationen noch zu wenig bekannt. Dies kann dazu führen, dass die Klimaanpassung zu spät eingeleitet wird, dass sie unkoordiniert erfolgt und dass wichtige Informationen nicht berücksichtigt werden.

Um die Entscheidungsträger in allen Sektoren und auf allen institutionellen Ebenen für die Notwendigkeit der Anpassung an den Klimawandel zu sensibilisieren, müssen diese gezielt über die Auswirkungen des Klimawandels und bestehende Handlungsmöglichkeiten informiert werden. Eine verbesserte Kommunikation zwischen Forschung, Verwaltung und Praxis trägt dazu bei, dass die verfügbaren Informationen aus Beobachtung, Früherkennung und nationaler und internationaler Forschung in den Anpassungsprozess einfliessen. Gleichzeitig wird dadurch auch der Erfahrungsaustausch zu Erfolgen und Misserfolgen bei durchgeführten Anpassungsprojekten gefördert. Das koordinierte Vorgehen aller beteiligten Partner trägt schliesslich dazu bei, dass die Anpassung an den Klimawandel effizient erfolgt.

Dabei ist auch der grenzüberschreitende Austausch über Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Alpenraum und über Anpassungsstrategien und -massnahmen sowie deren Umsetzung zentral.

2.2.4

Ressourcenbedarf und Finanzierung

Die Auswirkungen des Klimawandels werden mit grossen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden sein. Sie variieren je nach Entwicklung der globalen Treibhausgasemissionen und des Klimas. Derzeit entwickeln sich die globalen Treibhausgasemissionen gemäss der pessimistischsten Szenarien, und es muss mit einer dementsprechend starken Veränderung des Klimas gerechnet werden. Die regionalen Auswirkungen eines derart starken Klimawandels auf die Schweiz wurden bis anhin nicht im Detail untersucht. Es liegen lediglich Modellrechnungen für den Erwartungsschaden in der Schweiz bei einer mittleren Erwärmung vor. 2050 liegt er bei 0,15 Prozent des Bruttoinlandprodukts im Jahre 2050.15 Danach steigen die Schadenskosten deutlich an. Gemittelt über das 21. Jahrhundert beläuft sich der jährlich zu erwartende durchschnittliche Schaden auf rund eine Milliarde Franken (Median, zu heutigen Preisen und bei einer Diskontrate von 2 %).

Durch gezielte Anpassungsmassnahmen wird es möglich sein, potenzielle Schäden zu vermindern, die Sicherheit von Bevölkerung und Lebensgrundlagen zu gewährleisten und Chancen zu nutzen. Die Anpassungsmassnahmen sollen so konzipiert sein, dass sie ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis erreichen.

Auf Bundesebene soll die Umsetzung der Massnahmen im Rahmen der bestehenden Sektorpolitiken erfolgen; sie soll möglichst durch Prioritätensetzungen innerhalb der für die einzelnen Aufgabenbereiche verfügbaren Budgets aufgefangen werden. Wo neue Massnahmen ein verstärktes Engagement des Bundes bedingen, soll der zusätz15

Arbeitsgemeinschaft Ecoplan/Sigmaplan (2007): Auswirkungen der Klimaänderung auf die Schweizer Volkswirtschaft (nationale Einflüsse), im Auftrag des BAFU/BFE.

3797

liche Bedarf an finanziellen und personellen Mitteln von den für die Massnahmen zuständigen Stellen evaluiert und Möglichkeiten zur Finanzierung vorgeschlagen werden.

Die bundesrätliche Strategie strebt die Umsetzung der Massnahmen durch Vorschriften und Standards an, die der Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels dienen, sowie durch das Setzen von Anreizen für innovative Anpassungsprozesse. Neue Fördermassnahmen auf Bundesebene können bei Bedarf subsidiär zur Anwendung kommen. Der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen soll Rechnung getragen und eine angemessene Anwendung des Verursacherprinzips gewährleistet werden.

3

Ziele und Grundsätze der Anpassung

Für die Anpassung an den Klimawandel gelten die folgenden Ziele und Grundsätze: Ziele der Anpassung Die Schweiz nutzt die Chancen, die sich aufgrund des Klimawandels ergeben. Sie minimiert die Risiken des Klimawandels, schützt Bevölkerung, Sachwerte und natürliche Lebensgrundlagen und steigert die Anpassungsfähigkeit von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt.

Grundsätze bei der Anpassung an den Klimawandel 1.

Bei der Anpassung werden die Grundsätze der Nachhaltigkeit befolgt: Einerseits werden die Interessen künftiger Generationen bei anstehenden Entscheiden sowie bei der Planung und Umsetzung von Massnahmen gleichberechtigt einbezogen. Andererseits werden die Anliegen von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft in der Schweiz und im Ausland ausgewogen berücksichtigt.

Bezogen auf künftige Generationen: ­ Anpassungsmassnahmen sollen den künftigen Handlungsspielraum möglichst wenig beeinträchtigen (Flexibilität).

­ Bei der Anpassung gilt das Vorsorgeprinzip.

Bezogen auf die Umwelt: ­ Bei der Anpassung sollen Massnahmen mit positivem Effekt auf Umwelt und Ökosystemleistungen gefördert und solche mit negativen Auswirkungen auf Umwelt und Ökosystemleistungen vermieden werden.

­ Es sollen Anpassungsmassnahmen, die natürliche Regulierungsprozesse ermöglichen und nutzen, bevorzugt werden.

Bezogen auf die Wirtschaft: ­ Bei der Anpassung sollen Massnahmen bevorzugt werden, deren Nutzen grösser sind als deren Kosten, resp. Massnahmen mit dem bestem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Dabei sind sämtliche monetären und nicht-monetären Kosten und Nutzen zu berücksichtigen.

3798

­

Es sollen Massnahmen bevorzugt werden, die sich unabhängig vom Ausmass des Klimawandels lohnen (No regret) und die zusätzliche positive Auswirkungen auf andere Bereiche (sekundäre Nutzen) haben.

Bezogen auf die Gesellschaft: ­ Es sollen Massnahmen bevorzugt werden, welche keine gesellschaftlichen Gruppen benachteiligen, die positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben und welche die gesellschaftliche Kohäsion fördern.

­ Bei der Anpassung an den Klimawandel soll grundsätzlich das Verursacherprinzip gelten, d. h., wer zum Klimawandel beiträgt, muss auch für die Folgekosten aufkommen. Ergänzend dazu soll aber auch das Solidaritätsprinzip zur Anwendung gelangen. Weil Schäden als Folge des Klimawandels jeweils punktuell bei Einzelnen entstehen, soll für die Finanzierung notwendiger Anpassungsmassnahmen nach Möglichkeit die gesamte Verursachergemeinschaft aufkommen müssen und nicht nur die von potenziellen Schadensereignissen Betroffenen.

2.

Die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels betrifft die gesamte Gesellschaft. Die Anpassungsstrategie ermöglicht das koordinierte Vorgehen auf Bundesebene bei der Anpassung an den Klimawandel und dient als Grundlage für das partnerschaftliche Vorgehen von Bund, Kantonen, Gemeinden und Privaten unter Berücksichtigung bestehender Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Die Anpassungsstrategie baut wo immer möglich auf bestehenden Strategien auf.

3.

Die Anpassung an den Klimawandel erfolgt komplementär zur Reduktion der Treibhausgasemissionen. Ohne eine effektive Begrenzung des Klimawandels wird das Ausmass der Auswirkungen die Anpassungsfähigkeit der Systeme übersteigen und Anpassungsmassnahmen werden aufwendiger und teuerer. Die Anpassungsmassnahmen sollen den Zielen der Treibhausgasreduktion nicht widersprechen.

4.

Die Anpassung an den Klimawandel stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse ab. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden evaluiert und bei der Planung und Umsetzung von Massnahmen berücksichtigt. Bei Wissenslücken werden Fragen zuhanden der Forschung formuliert, um die Wissensbasis zu verbessern. Im Sinne des Vorsorgeprinzips sind Unsicherheiten kein Grund zum Nichthandeln.

5.

Die Anpassung an den Klimawandel basiert auf einem Risikoansatz. Die Chancen und Risiken, die sich durch den Klimawandel für die Schweiz ergeben, werden analysiert, bewertet und verglichen. Das Vorgehen soll transparent und nachvollziehbar sein. Auf der Grundlage der Risikoanalyse werden Schwerpunkte für die Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz bestimmt und Anpassungsziele für diese Schwerpunkte formuliert.

6.

Bei der Anpassung an den Klimawandel sollen bestehende Unsicherheiten bezüglich künftiger Entwicklung der globalen Treibhausgasemissionen, des globalen und regionalen Klimas und der Auswirkungen des Klimawandels berücksichtigt werden. Es sollen robuste Massnahmen entwickelt werden, die bei allen möglichen Klimaentwicklungen einen Nutzen aufweisen.

3799

7.

Die von den Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Bereiche weisen unterschiedliche Erneuerungs- und Reaktionszeiten auf. Die Planung und Umsetzung der Anpassung an den Klimawandel muss diese unterschiedlichen Zeitskalen berücksichtigen.

8.

Die Schweiz beteiligt sich am internationalen Erfahrungsaustausch zur Anpassung an den Klimawandel. Sie nutzt Wissen und Erfahrungen anderer Länder und stellt gleichzeitig ihr Wissen und ihre Erfahrungen anderen Ländern zur Verfügung. Bei grenzüberschreitenden Problemen koordiniert sie ihr Vorgehen mit den Nachbarstaaten.

9.

Die Fortschritte bei der Anpassung werden regelmässig evaluiert. Dazu sollen unter Berücksichtigung der existierenden Indikatorensysteme (z.B.

MONET, Cercle indicateurs) geeignete Wirkungsindikatoren identifiziert werden.

10. Die Anpassung an den Klimawandel ist ein dynamischer Prozess. Im Vordergrund steht nicht das Bewahren des heutigen Zustands, sondern das Ermöglichen kontrollierter Veränderungen mit minimalen Risiken für Mensch und Umwelt. Die Anpassungsstrategie muss periodisch und unter Berücksichtigung der sich ändernden Rahmenbedingungen und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse überarbeitet werden. Dazu müssen Veränderungen anpassungsrelevanter klimatologischer Grössen dokumentiert und Szenarien ihrer künftigen Entwicklung regelmässig aktualisiert werden.

4

Anpassung in den Sektoren

In den folgenden Unterkapiteln wird die Anpassung in neun Sektoren behandelt, die vom Klimawandel in der Schweiz besonders betroffen sind und in denen der Bund Handlungsmöglichkeiten hat (Abb. A1.2). Dabei handelt es sich mit einer Ausnahme um Zusammenfassungen von sektoralen Teilstrategien, die nach dem in Anhang A1.2 dargelegten Vorgehen entwickelt wurden: Wasserwirtschaft (4.1), Umgang mit Naturgefahren (4.2), Landwirtschaft (4.3), Waldwirtschaft (4.4), Energie (4.5), Biodiversitätsmanagement (4.7), Gesundheit (4.8) und Raumentwicklung (4.9). Die Aussagen zur Anpassung im Sektor Tourismus (4.6) basieren auf der bundesrätlichen Wachstumsstrategie für den Tourismusstandort Schweiz16 und auf einer wissenschaftlichen Studie17 zu den Auswirkungen des Klimawandels und Anpassungsoptionen.

Für alle Sektoren sind die folgenden Informationen dargestellt (Methodik vgl.

Anhang A1.2): Zunächst werden die wichtigsten Handlungsfelder bei der Anpassung an den Klimawandel bestimmt. Dazu werden die vom Klimawandel betroffenen Bereiche eines Sektors auf einer dreistufigen Skala (klein ­ mittel ­ gross) bezüglich der Dimensionen «Einfluss des Klimawandels», «Relative Wichtigkeit der klimabedingten Veränderung» und «Klimabedingter Handlungsbedarf» qualitativ beurteilt. Die Beurteilung der Bereiche erfolgt aus der Sichtweise des jeweiligen Sektors und basiert auf Expertenwissen. Da sie nicht auf einer einheitlichen quan16 17

Der Schweizerische Bundesrat (2010): Wachstumsstrategie für den Tourismusstandort Schweiz.

Universität Bern (2011): Der Schweizer Tourismus im Klimawandel. Auswirkungen und Anpassungsoptionen.

3800

titativen Grundlage beruht, ist ein Vergleich zwischen den Sektoren nicht möglich.

Es ist möglich, dass derselbe Bereich von verschiedenen Sektoren unterschiedlich beurteilt wird. Handlungsfelder sind diejenigen Bereiche, die in allen Dimensionen als mittel oder gross eingestuft werden. Bereiche, die in einer Dimension als klein eingestuft werden, werden im Rahmen der Anpassungsstrategie nicht weiterbehandelt. Die Beurteilung der Bereiche ist für jeden Sektor in einer Neun-Felder-Matrix dargestellt. Für die Handlungsfelder werden Anpassungsziele formuliert. Zudem wird die Stossrichtung zur Erreichung dieser Ziele auf Bundesebene skizziert. Darauf aufbauende konkrete Anpassungsmassnahmen sollen in einem weiteren Arbeitsschritt in einem «Aktionsplan Anpassung an den Klimawandel» formuliert werden (vgl. 6).

4.1

Wasserwirtschaft

4.1.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Wasserwirtschaft

gross mittel klein

Einfluss des Klimawandels

Teilstrategie Wasserwirtschaft Übrige Wärmeeinleitung Gewässer

Bewässerung

Kleinwasserkraftwerke

Beschneiung

Kühlung thermische Laufkraft- Kraftwerke werke

Neue Seen im Gletscherbereich

Rheinschiff- Grundwasseranreicherung fahrt

Löschwasser

Baden im See/Fluss Flächiger Oberflächenabfluss

Berufsfischerei Seen

Freizeitfischerei

Hochdruck Kraftwerke

Schutz von Feuchtgebieten

Kanalisation, Grundwasser- Trinkwasser BodenStrassenentnutzung erosion wässerung Schutzwald

Inter- Auswaschung Seenationale von Stoffen regulierung Ansprüche Ökologie, Artenvielfalt (Flüsse, Seen)

Schutzzone Trinkwasser Binnenschifffahrt

klein

Speicherseen

Restwasser

Abwasserreinigung

mittel

Handlungsbedarf klein mittel gross

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Abbildung 4.1: Beurteilung der relevanten Bereiche des Sektors Wasserwirtschaft bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des klimabedingten Handlungsbedarfs.

3801

Im Rahmen der Teilstrategie Wasserwirtschaft wurden 30 relevante Bereiche überprüft und 14 als Handlungsfelder der Anpassung18 identifiziert (Abb. 4.1). Handlungsfelder mit grossem Handlungsbedarf sind: W1 Trinkwasser: Regional und zeitlich beschränkte Engpässe im Wasserdargebot können die Trinkwasserversorgung beeinträchtigen. Betroffen sind vor allem nicht vernetzte, private Versorgungen.

W2 Speicherseen: Neue Herausforderungen (höheres Geschiebepotenzial, Eintrag von Schwebstoffen) und Ansprüche (Hochwasserrückhalt, Bewässerungswasser) verlangen eine gesamtheitliche Bewirtschaftung von Speicherseen.

W3 Kühlung thermischer Kraftwerke: Steigende Wassertemperaturen und geringere Abflüsse im Sommerhalbjahr können zu kleineren Wirkungsgraden thermischer Kraftwerke mit Durchlaufkühlung (KKW, Gas) und zu Einschränkungen im Betrieb führen.

W4 Bewässerung: Der Bewässerungsbedarf in der Landwirtschaft nimmt zu.

Zugleich müssen die ökologischen Anforderungen in Oberflächen- und Grundwasser eingehalten werden.

W5 Restwasser: Bestehende Vorschriften (Konzessionen) und Berechnungsgrundlagen (Q34719) für Restwassermengen müssen wegen des veränderten Abflussregimes möglicherweise überprüft werden.

W6 Kanalisation und Strassenentwässerung: Sollten Intensität und Volumen extremer Niederschläge stark zunehmen, könnten Kanalisationsnetze und Regenrückhaltebecken ungenügend dimensioniert sein.

W7 Seeregulierung: Die Seeregulierung dient dem Hochwasserschutz, den touristischen Interessen und dem flussabwärts ausgeglichenen Abfluss. Abflussregimeänderungen führen zu veränderten Ansprüchen, was eine Überprüfung bestehender Reglemente notwendig machen kann.

W8 Internationale Ansprüche: Die wichtigsten internationalen Gewässer der Schweiz20 sind auch von den Interessen der Nachbarländer betroffen.

Handlungsfelder mit einem mittleren Handlungsbedarf sind: W9 Grundwassernutzung: Grundwasser und Quellen können qualitativ durch Infiltration von Oberflächenwasser von verminderter Qualität beeinträchtigt werden.

Höhere Wassertemperaturen verschärfen das Problem.

W10 Auswaschung von Stoffen: Bei intensiven Niederschlägen werden (Schad-) Stoffe ausgewaschen und abgeschwemmt. Sie können die Grundwasser- und Oberflächengewässerqualität beeinträchtigen.

W11 Bodenerosion: Intensivere Niederschläge führen zu mehr Bodenerosion, was eine standortgerechte Landwirtschaft erfordert.

18

19 20

Handlungsfelder sind jene Bereiche, die in allen Dimensionen «Einfluss des Klimawandels», «Relative Wichtigkeit der Veränderung» und «Handlungsbedarf» als mittel oder gross eingestuft sind (vgl. Anhang A1).

Die Abflussmenge Q347 bezeichnet den Abfluss eines Gewässers, der an 347 Tagen im Jahr erreicht oder überschritten wird (Mittelwert über 10 Jahre).

Die wichtigsten internationalen Gewässer der Schweiz sind: Rhein, Bodensee, Rhone, Genfersee, Tresa, Luganersee, Langensee, Inn und Doubs.

3802

W12 Laufkraftwerke: Regimeveränderungen können zu anderen Auslastungsgraden der Turbinen führen.

W13 Freizeitfischerei: Durch die Erhöhung der Wassertemperatur finden die Kaltwasserfische nur noch eingeschränkte Ausbreitungsgebiete, und wärmeliebende Arten können einwandern.

W14 Schifffahrt (Rhein): Regimeänderungen und ausgeprägtere Trockenperioden im Spätsommer können zu erheblichen Einschränkungen der Transportkapazität auf dem Rhein führen.

4.1.2

Ziele der Anpassung im Sektor Wasserwirtschaft

Für die Wasserwirtschaft können zusammenfassend acht Ziele definiert werden: 1.

Die Sicherheit der grossen Stauanlagen ist gewährleistet (W2, W12).

2.

Die Wasserspeicherung und Wasserverteilung sind so ausgestaltet, dass die Auswirkungen veränderter Abflussregimes ausgeglichen und die verschiedenen Bedürfnisse von Wirtschaft, Gesellschaft und Ökologie (Festlegen von Prioritäten und Vorgehensweisen in Zeiten knappen Wasserdargebots sowie Mehrzwecknutzung von bestehenden Speichern und Seen) erfüllt werden (W2, W4, W5, W7).

3.

Für die Fliessgewässer ist ausreichend Raum für die Revitalisierung, den Hochwasserschutz und die Verbesserung der Ökologie sichergestellt, sodass sie ihre natürlichen Funktionen wahrnehmen können (W9, W10, W13).

4.

Die Trinkwasserversorgung und Abwasserreinigung sind regionalisiert und vernetzt (Vermeidung von Knappheitssituationen; Vermeidung übermässiger Belastung durch Einleitung in die Fliessgewässer während Niedrigwasserzeiten oder bei Extremereignissen) (W1, W6).

5.

Neue Kühltechnologien ermöglichen es, die abnehmende Kühlkapazität der Fliessgewässer auszugleichen und den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwert für die Einleitung von Kühlwasser trotz fortschreitender Erwärmung einzuhalten (W3, W4).

6.

Die gesetzlichen Grundlagen sind überprüft und berücksichtigen ­ wo notwendig ­ die sich ändernden natürlichen Rahmenbedingungen (Restwasser, Wärmeeinleitung, Wasserrückgaben, Seeregulierung etc.) (W2, W3, W5, W7, W12).

7.

Punktuelle Massnahmen an der Wasserstrasse (Beseitigung lokaler Hindernisse, Vertiefung der Fahrrinne) und die Ausschöpfung technischer Möglichkeiten im Schiffbau zusammen mit einer Verbesserung der 4­5-TagesWasserstandsvorhersagen optimieren die Transportkapazität in Niedrigwasserzeiten (W14).

8.

Interessenskonflikte im grenzüberschreitenden Wassermanagement werden dank verbesserter Zusammenarbeit frühzeitig erkannt und gelöst (W8).

Das Handlungsfeld Bodenerosion (W11) wird im Sektor Landwirtschaft unter dem Ziel Standorteignung (L1) aufgenommen (vgl. 4.3). Die Freizeitfischerei (W13) bildet auch einen Aspekt des Ziels Lebensräume und Arten (B2) des Sektors Biodiversitätsmanagement (vgl. 4.7).

3803

Eine übergeordnete Koordination der Wasserwirtschaft hat bisher gefehlt. Die Anpassung an den Klimawandel ist eine Herausforderung, welche neue, übergreifende Konzepte erfordert. Um die oben genannten Ziele erfolgreich umsetzen zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: ­

Ein gesamtheitliches Verständnis der Wasserwirtschaft muss geschaffen werden: Die Wasserwirtschaft befasst sich mit allen menschlichen Einflüssen auf die Ressource Wasser und Gewässer sowie den zugehörigen Infrastrukturen. Sie umfasst alle zielgerichteten Tätigkeiten, welche dem Gewässerschutz, der Gewässernutzung sowie dem Schutz vor dem Wasser dienen.

­

Ein Paradigmenwechsel von einem vorwiegend bedarfsorientierten zu einem mehr angebotsorientierten Wassermanagement ist erforderlich: Statt Wasser einfach zu nutzen, muss dieses zukünftig nachhaltig bewirtschaftet werden.

­

Die institutionellen Voraussetzungen für die Ermöglichung und Förderung einer integralen Gewässerbewirtschaftung sind zu schaffen. Mit dem Dokument «Einzugsgebietsmanagement ­ Leitbild für die integrale Bewirtschaftung des Wassers in der Schweiz»21 ist ein erster Schritt getan.

Die Kenntnisse der quantitativen Auswirkungen des Klimawandels auf den Wasserhaushalt und das Abflussgeschehen sind noch ungenügend. Deshalb ist eine Fortführung und Stärkung der Messnetze und der Klima- bzw. Klimafolgenmodellierung im Bereich Wasser unerlässlich.

4.1.3

Stossrichtung zur Zielerreichung

Grundlagen

21

­

Fortführung/Stärkung (allgemeiner Aspekt).

Messnetze

(Analysen,

Trends,

Früherkennung)

­

Verbesserung regionale Modellierung Klima und Wasserhaushalt (allgemeiner Aspekt).

­

Neue Konzepte zu Wasserspeicherung/Wasserverteilung (Ziel 2; W2, W4, W5, W7).

­

Entwicklung Technologie im Bereich Kühlung (Ziel 5; W3).

­

Verbesserung der Abfluss- und Wasserstandsvorhersagen für den Rhein durch intensiveren grenzüberschreitenden Informationsaustausch der Fachstellen (Ziel 7; W14).

Wasseragenda 21 [Hrsg.] (2011): Einzugsgebietsmanagement ­ Leitbild für die integrale Bewirtschaftung des Wassers in der Schweiz.

3804

Information/Sensibilisierung ­

Klima und Wasser ­ Erkenntnisse aus Messung und Modellierung (allgemeiner Aspekt).

­

Einzugsgebietsmanagement als Bewirtschaftungsmethode (Voraussetzung für Strategieumsetzung).

­

Chancen und Möglichkeiten der integralen Wasserwirtschaft (Paradigmenwechsel) (Voraussetzung für Strategieumsetzung).

Förderung, Umsetzung von Massnahmen ­

Gewährleistung Sicherheit der grossen Stauanlagen (Ziel 1; W2, W12).

­

Sicherung des Gewässerraums (Ziel 3; W4, W9, W10, W13).

­

Vernetzung der Trinkwasserversorgung (Ziel 4; W1).

­

Regionalisierung der Abwasserreinigung (Ziel 4; W1, W6).

­

Punktuelle bauliche Massnahmen an der Schifffahrtsrinne des Rheins zur Beseitigung lokaler Hindernisse und Vertiefung der Fahrrinne (Ziel 7; W14).

­

Grenzüberschreitendes Wassermanagement (Ziel 8; W8).

­

Anreize/Fördermechanismen für Einzugsgebietsmanagement (Voraussetzung für Strategieumsetzung).

Rechtlicher Rahmen ­

Wasserknappheit: Verteilungsregeln und Vorgehensweisen (Ziel 2; W2, W5, W7).

­

Überprüfung gesetzliche Regelungen für die Themen Niedrigwasser, Einleitungen, Seeregulierung (Ziel 6; W2, W3, W5, W7, W12).

­

Institutioneller Rahmen für Einzugsgebietsmanagement (Voraussetzung für Strategieumsetzung) .

3805

4.2

Umgang mit Naturgefahren

4.2.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Umgang mit Naturgefahren

gross

Alpenraum

mittel

Spontane Rutschungen

Spontane Sturzprozesse Rutschungen

Konvektive Sturzprozesse Stürme, Hagel

Beeinträchtigung Schutzwaldfunktionen

Hochwasser, Überschwemmungen

Konvektive Stürme, Hagel

Permanent Aktive Rutschungen

klein

Einfluss des Klimawandels

Mittelland und Jura

Permanent Aktive Rutschungen

Winterstürme

klein

mittel

Beeinträchtigung Schutzwaldfunktionen

Wildbachprozesse Hochwasser, Intens. Erosion, Umlagerung, dyn.

Überschwemmungen

Lawinen

Winterstürme

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Handlungsbedarf:

klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung klein

mittel

gross

Abbildung 4.2: Beurteilung der relevanten Bereiche im Umgang mit Naturgefahren bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des klimabedingten Handlungsbedarfs. (Durchgezogene Linien: alle Landesteile betroffen; gestrichelte Linien: lokal begrenzte Prozesse)

Naturgefahren haben in der Schweiz seit jeher eine grosse Bedeutung und Tragweite, denn sie stellen vielerorts eine erhebliche Bedrohung für Menschenleben, Infrastrukturen und Sachwerte dar. Die bestehende Gefährdung wird durch die Zunahme von Infrastrukturwerten und Siedlungserweiterungen in Gefahrengebieten und die Auswirkungen des Klimawandels verstärkt. Die wichtigsten Einflussfaktoren des Klimawandels auf Naturgefahrenprozesse sind die Zunahme von hydrometeorologischen Extremsituationen (Häufigkeit und Intensität von Starkniederschlägen) und die Auswirkungen der Temperaturerhöhung.

Die Handlungsfelder (Gefahrenprozesse, Abb. 4.2) der Anpassung an den Klimawandel sind: N1 Hochwasser (Alpenraum): Vor allem im Frühsommer ist das Risiko der Überlagerung von grossflächiger Schneeschmelze und intensiven Niederschlägen erhöht, was zu grösseren Abflüssen und zu einer grösseren Überschwemmungsgefahr führt.

In Gebirgsflüssen verstärken sich Erosion und Materialumlagerungen. Die zusätzliche Geschiebefracht aus höher gelegenen Einzugsgebieten wirkt sich bis in die Unterläufe aus. Bei Ausbruch eines Gletschersees oder eines Gewässers aus dem Gerinne kommt es im steilen Gelände oft zu dynamischen Überschwemmungen und einer beschleunigten Erosion.

3806

N2 Hochwasser (Mittelland und Jura): Bezüglich des Abflusses spielen hier die oben genannten Ursachen die gleiche Rolle. Wegen des geringeren Gefälles und der Alpenrandseen (Sedimentationsbecken) entstehen Gefährdungen unterhalb der Seen vor allem durch Überschwemmungen mit geringen Fliessgeschwindigkeiten (Wasser, Feinmaterial, aber kaum Geschiebe).

N3 Wildbachprozesse (Alpenraum): Wildbäche sind gekennzeichnet durch ihr Transportvermögen für grosse Mengen an Lockermaterial im Bachbett. Der Temperaturanstieg im Gebirge beschleunigt die Permafrostdegradation, den Gletscherrückzug und die Verwitterungsprozesse. Dabei wird die Mobilisierung von Lockermaterial verstärkt. Die Veränderung des Niederschlagsregimes bewirkt zudem grössere und variablere Abflüsse und häufigere spontane Rutschungen. Dadurch steigt die Geschiebezufuhr in die Gebirgsflüsse. Die Wahrscheinlichkeit von Schlamm- und Gerölllawinen (Murgängen), welche zu Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen führen können, nimmt zu.

N4 Sturzprozesse (Alpenraum): Änderungen in der Frostwechselhäufigkeit, länger dauernde Hitzeperioden und heftige Niederschläge beeinflussen die Verwitterungsintensität bzw. verstärken diese tendenziell, was vielerorts zu erhöhter Steinschlagaktivität führen kann. Stärkere Schwankungen des Wasserspiegels in Felsklüften können zu einer verstärkten Felssturzaktivität führen. Gletscherschwund und auftauender Permafrost tragen in den oberen Höhenstufen zu einer grösseren Sturzaktivität bei.

N5 Schutzwald: Die Auswirkungen der Temperaturerhöhung und der zunehmenden Trockenheit (z.B. Ausbreitung von Schädlingen, Trockenstress, Waldbrand) und vermehrt auftretende Stürme beeinträchtigen die Schutzwaldfunktion. Vor allem die Schutzwälder, welche neben Problemen mit der Bestandesstabilität auch zu wenig Verjüngung haben (= kritische Schutzwälder) und welche ca. ein Achtel der gesamten Schutzwaldfläche ausmachen, sind davon betroffen.22 Aus Sicht der Naturgefahrenprävention besteht im Handlungsfeld N5 weniger zusätzlicher Handlungsbedarf als in den Handlungsfeldern N1 bis N4.

Überschwemmungen treffen grundsätzlich alle Landesteile, somit auch Ballungsräume und wichtige Infrastrukturen im Mittelland. Sie wirken z. T. grossflächig und können erhebliche Sachschäden verursachen. Wildbachprozesse und Murgänge dagegen betreffen
eher kleinere Flächen in gebirgigen und hügeligen Regionen; sie können jedoch lokal sehr grosse Sachschäden bewirken und Menschenleben gefährden. Sturzprozesse wirken eher punktuell, sind aber dort von grosser Bedeutung, wo sie Siedlungen, Verkehrs- und Verbindungsinfrastrukturen betreffen.

4.2.2

Ziele der Anpassung im Sektor Umgang mit Naturgefahren

Die Lehren und Erkenntnisse aus den Ereignissen der letzten Jahrzehnte bilden die Grundlage für die aktuellen Gesetze und die von der PLANAT formulierte «Strategie Naturgefahren Schweiz». Kernbereiche daraus wie «Strategisches Controlling» bzw. «Monitoring der Entwicklung» zur periodischen Ermittlung der Kosten, 22

In der Teilstrategie Waldwirtschaft wird auf die Auswirkungen des Klimawandels auf kritische Schutzwälder näher eingegangen.

3807

Risiken und Schäden berücksichtigen die Anpassung an den Klimawandel bereits explizit und bilden die Basis für die zukünftige Verlagerung von Prioritäten.

Die zusätzlichen Herausforderungen infolge des Klimawandels können deshalb durch eine konsequente Umsetzung der PLANAT-Strategie und des integralen Risikomanagements gemeistert werden. Die allgemeinen Ziele der Strategie sind auch für die Handlungsfelder zur Anpassung an den Klimawandel relevant und können wie folgt zusammengefasst werden: 1.

Ein allgemein akzeptiertes Sicherheitsniveau nach einheitlichen Kriterien ist gewährleistet.

2.

Vorhandene Risiken sind reduziert, und die Entstehung neuer Risiken wird vermieden.

3.

Die Mittel für die optimale Reduktion der vorhandenen und die Vermeidung neuer Risiken sind effizient eingesetzt.

Wie die Hochwasserereignisse 2005 und 2007 und deren Analysen zeigen, liegen in der Vorsorge, Intervention und Erhöhung der Selbstschutzfähigkeit der Bevölkerung (Resilienz) grosse Potenziale, um den Umgang mit Restrisiken zu verbessern: ­

Förderung und Unterstützung der Eigenverantwortung (Ausbildung der Bauherren, Sensibilisierung der Bevölkerung).

­

Förderung und Unterstützung von Architektinnen und Architekten, Planern etc. (Ausbildung zu Objektschutzmassnahmen und Sicherheitsstandards).

­

Förderung von organisatorischen Massnahmen (Notfallplanung und Notfallkonzepte inklusive Warnung und Alarmierung) sowie Optimierung der Intervention, um mit Restrisiken umzugehen.

4.2.3

Stossrichtung zur Zielerreichung

Die Umsetzung des integralen Risikomanagements stellt schon heute eine grosse Herausforderung dar. Neben zahlreichen laufenden und eingeleiteten Massnahmen werden mit dem Klimawandel jene Massnahmen wichtiger, die das Schadenpotenzial reduzieren. Zusätzliche Anstrengungen sind vor allem in folgenden Bereichen notwendig, bzw. laufende Aktivitäten in diesen Bereichen müssen intensiviert und beschleunigt werden: Grundlagen ­

Kontinuierliches Monitoring aller relevanten Entwicklungen bezüglich Gefahrenprozessen und -ereignissen, Risiken und des Erfolgs von Massnahmen (z.B. Schutzwirkung bestehender Anlagen periodisch überprüfen).

­

Weiterentwicklung und Verbesserung der Methodik zum Erkennen neuer Naturgefahrenprozesse bzw. von Veränderungen an bekannten Gefahrenstellen infolge des Klimawandels in Abstimmung mit dem benachbarten Ausland (z.B. neue mögliche Schwellenprozesse, Früherkennung und Monitoring von Gletscherseen).

­

Optimierung bestehender Mess- und Beobachtungsnetze.

3808

­

Gefahren- und Risikobeurteilung inklusive der Betrachtung von «ausserordentlichen» Szenarien.

­

Laufende Aktualisierung und raumplanerische Umsetzung der Gefahrenkarten (in Richt- und Nutzungsplanung).

­

Ausbau der Forschung zur Verbesserung der Grundlagen bezüglich der Beurteilung der Gefahrenprozesse und gezielte Evaluation der Wirksamkeit von Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel in Kooperation mit den Ländern der Alpenregion (Harmonisierung der Daten und Terminologie und Austausch von Erfahrungen).

­

Controlling der Strategie und deren Umsetzung (inkl. Analyse von Grossereignissen): periodische und systematische Erfassung der Risiken und der zum Schutz vor Naturgefahren eingesetzten Mittel; periodische Zielüberprüfung (strategisches Controlling).

Information/Sensibilisierung ­

Sensibilisierung und Ausbildung der Öffentlichkeit im Bereich Auswirkungen des Klimawandels auf Naturgefahren (alle kennen die Gefahren und ihre Handlungsoptionen und können somit eigenverantwortlich handeln).

­

Risikodialog mit allen beteiligten Akteuren führen.

Förderung, Umsetzung von Massnahmen ­

Integrale Massnahmenplanung fördern, welche die Auswirkung des Klimawandels durch geeignete Szenarien berücksichtigt.

­

Unterstützung von robusten, überlastbaren und anpassungsfähigen Lösungen mit Dimensionierungsgrössen, welche die bestehenden Unsicherheiten angemessen berücksichtigen (Abflussmenge, Wasserfracht, Geschiebemenge und Frequenz der Geschiebeentnahme).

­

Raumplanerische Massnahmen umsetzen (Gefahr meiden, Raum risikobasiert und unter Berücksichtigung von Klimaszenarien nutzen).

­

Unterhalt, Pflege, Optimierung der biologischen und technischen Massnahmen (inkl. Berücksichtigung des Überlastfalls).

­

Förderung und Unterstützung der Eigenverantwortung (Ausbildung der Bauherren, Sensibilisierung der Bevölkerung).

­

Förderung und Unterstützung von Architekten, Planern etc. (Ausbildung zu Objektschutzmassnahmen und Sicherheitsstandards).

­

Förderung von organisatorischen Massnahmen (Notfallplanung und Notfallkonzepte Warnung und Alarmierung) sowie Optimierung der Intervention, um mit Restrisiken umzugehen.

Rechtlicher Rahmen ­

Verbesserung der Koordination zwischen den implizierten Rechtsbereichen.

­

Rechtliche Grundlagen für die Finanzierung der Gefahrenprävention sicherstellen.

3809

4.3.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Landwirtschaft

gross

Landwirtschaft

Hitzestress

mittel

Starkniederschläge

Trockenheit

Standorteignung

Schadorganismen

Preisvolatilität

Handlungsbedarf klein

klein

Einfluss des Klimawandels

4.3

mittel gross klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung

Abbildung 4.3: Beurteilung der relevanten Bereiche des Sektors Landwirtschaft bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des klimabedingten Handlungsbedarfs.

Die Klimastrategie Landwirtschaft23 behandelt sowohl die Verminderung der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen als auch die Anpassung an den Klimawandel. Für die Anpassung wurden die folgenden Handlungsfelder identifiziert (Abb. 4.3): L1 Standorteignung: Die Eignung eines Standortes für die landwirtschaftliche Produktion wird unter anderem von den naturräumlichen Gegebenheiten (Topografie, Bodentyp, Exposition) und den klimatischen Bedingungen bestimmt. Eine regional unterschiedlich ausgeprägte Veränderung des Klimas führt deshalb zu einer Veränderung der Standorteignung. Sofern die Bodeneigenschaften (Humusgehalt, Bodenfeuchte, Gründigkeit etc.) durch Klimaveränderungen direkt oder indirekt beeinflusst werden, wirkt sich dies auch auf die Nutzbarkeit und die Bewirtschaftungsmöglichkeiten eines Standortes aus. Auch das Risiko von Naturgefahren (Überschwemmungen, Murgänge) kann sich ändern.

23

Bundesamt für Landwirtschaft BLW (2011): Klimastrategie Landwirtschaft. Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel für eine nachhaltige Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft.

3810

L2 Starkniederschläge: Intensive und/oder lang andauernde Regenfälle erhöhen insbesondere während der vegetationsarmen Zeit das Risiko von Bodenerosion (Oberbodenverlust) und Auswaschung.

L3 Trockenheit: Steigende Temperaturen erhöhen die potenzielle Verdunstung durch Pflanzen und Bodenoberflächen. Ein Mangel an Niederschlägen reduziert je nach Bodeneigenschaft den für die Pflanzen verfügbaren Wassergehalt des Bodens. Dies kann vermehrt zu kritischen Bodenwasserzuständen führen und erhöht das Risiko von Ertragsausfällen im Acker-, Futter- und Gemüsebau sowie bei Spezialkulturen.

L4 Hitzestress: Längere Perioden mit extrem hohen Temperaturen können sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren Hitzestress verursachen, was zu Ertrags- und Leistungseinbussen und bei Tieren zu gesundheitlichen Problemen führen kann.

L5 Schadorganismen: Steigende Temperaturen und die damit verbundenen milden Winter begünstigen das Auftreten und die Verbreitung von neuen Schadorganismen (Schadinsekten, Unkräuter, Vektoren, Krankheiten) in Anbausystemen und bei Nutztieren.

L6 Preisvolatilität: Durch den Klimawandel kommt es auf globaler Ebene zu einer Verschiebung der geeigneten Anbaugebiete und insgesamt möglicherweise zu einer Abnahme geeigneter Flächen. Hinzu kommt eine mögliche Zunahme der Klimavariabilität (vermehrte Extremereignisse). Dies führt verstärkt zu Ernte- und damit zu Preisschwankungen und allgemein zu einem Anstieg der Preise für Nahrungsund Futtermittel.

4.3.2

Ziele der Anpassung im Sektor Landwirtschaft

Oberziel der Landwirtschaft ist es, dank vorausschauender Anpassung sowohl die Produktion als auch die gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu steigern.

L1 Standorteignung ­

Die landwirtschaftliche Produktion ist der veränderten Standorteignung optimal angepasst.

­

Das Produktionspotenzial wird bestmöglich genutzt und die Risikoexposition verringert.

­

Der Landwirtschaft bleiben die besten Böden (Fruchtfolgeflächen) erhalten.

L2 Starkniederschläge ­

Dem Erosionsrisiko und der Auswaschung von Nährstoffen wird vorbeugend entgegengewirkt, das Verdichtungsrisiko wird gezielt reduziert.

L3 Trockenheit ­

Das Wassermanagement ist optimiert (Verbesserung der Wasserrückhaltung der Böden, Verringerung der Verdunstungsverluste und Vermeidung kritischer Bodenwasserzustände).

­

Die Bewässerung orientiert sich am Wasserdargebot und erfolgt sparsam und effizient.

­

Trockenheitstolerante Kulturen und Sorten werden wo nötig angebaut.

3811

L4 Hitzestress ­

Effektive Massnahmen zur Vermeidung von Hitzestress bei Tieren und Pflanzen (Schatten, Abkühlung, Züchtung etc.) sind entwickelt und werden angewendet.

L5 Schadorganismen ­

Potenziell schädliche Organismen, deren Verbreitungsgebiet sich in die Schweiz auszudehnen droht, werden überwacht.

­

Neu auftretende Schadorganismen mit hohem Schadenpotenzial werden frühzeitig erkannt, und Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung werden ergriffen.

­

Alternative Bekämpfungsmassnahmen und Anti-Resistenz-Strategien sind entwickelt und werden umgesetzt.

L6 Preisvolatilität ­

Der Effekt von Preisschwankungen wird durch ein effektives Risikomanagement (Betriebs- und Einkommensdiversifizierung, Lagerbestände, Ernteversicherungen etc.) und integrierte Märkte abgefedert.

4.3.3

Stossrichtung zur Zielerreichung

Grundlagen ­

Problemorientierte Forschung zur Klimaanpassung in der Landwirtschaft, insbesondere zum Potenzial gefügeschonender Bodenbearbeitung und gezielten Humusmanagements für den Wasserhaushalt der Böden und zum möglichen Beitrag der Biodiversität in Bezug auf die Resilienz von Agrarökosystemen.

­

Räumlich detailliertere Interpretation der Ergebnisse von Klimamodellen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Landwirtschaft anhand verbesserter Daten.

­

Entwicklung und Bewertung von Anpassungsoptionen in der Landwirtschaft; Formulierung bzw. Identifikation von guter fachlicher Praxis in Bezug auf die Klimaanpassung; Begleitung der Umsetzung auf (Beispiel-) Betrieben.

­

Erarbeiten von Entscheidungshilfssystemen (Instrumente); Entwicklung und Etablierung von Analyse-, Vorhersage- und Frühwarnsystemen mit operativem Bezug zur Ableitung von konkreten Bewirtschaftungsentscheidungen (z.B. Klimaeignungskarten, Trockenheits- und Schädlingsprognosen).

­

Aufbau Agrar-Umweltmonitoring.

Information/Sensibilisierung ­

Stärkung der themenbezogenen Beratung.

­

Verbesserung der Bekanntheit von Förderinstrumenten.

­

Aufnahme von guter fachlicher Praxis in Bezug auf die Klimaanpassung in die Aus- und Weiterbildung.

3812

Rechtlicher Rahmen ­

Überprüfen und gegebenenfalls Anpassen/Konkretisieren der Anreize und Anforderungen in Instrumenten und Massnahmen der Agrarpolitik in Bezug auf eine vorausschauende Klimaanpassung mit den Zielen, die Risiken von Ertragseinbussen und negativen Umweltwirkungen zu minimieren und die sich bietenden Chancen zu nutzen (Stichworte: standortangepasste und bodenschonende Bewirtschaftung im ökologischen Leistungsnachweis und bei den Direktzahlungen, Gesamtmeliorationen, Unterstützung von Bewässerungsprojekten, Investitionshilfen für Stallbauten, Erhaltung der genetischen Vielfalt, Risikoabsicherung etc.).

­

Schaffung guter Voraussetzungen in weiteren relevanten gesetzlichen Bestimmungen (Stichworte: Raumplanung, Gewässerschutz, Vergabe von Wassernutzungsrechten, Wassertarifstrukturen etc.).

Waldwirtschaft

4.4.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Waldwirtschaft

gross

Klimasensitive Standorte

Nadelholzreiche Bestände in tiefen Lagen

mittel

Kritische Schutzwälder Übrige Waldstandorte

Handlungsbedarf klein

klein

Einfluss des Klimawandels

4.4

mittel gross klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Abbildung 4.4: Beurteilung der relevanten Bereiche des Sektors Waldwirtschaft bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des klimabedingten Handlungsbedarfs.

Gemessen an den langsamen Vorgängen im Wald (Wachstum, Samenverbreitung, genetische Anpassungsfähigkeit etc.) drohen die klimatischen Veränderungen mit einer Geschwindigkeit abzulaufen, die natürliche Anpassungsprozesse überfordert.

3813

Wichtige Waldleistungen wie der Schutz gegen Naturgefahren könnten vermindert werden oder ausfallen. Zu erwarten sind auch Auswirkungen auf die Holzproduktion, mit der in der einheimischen Wald- und Holzwirtschaft rund 80 000 Arbeitsplätze verbunden sind. Erste Anpassungsmassnahmen sollen bestehende Risiken abbauen, die Anpassungsfähigkeit durch gezielte Verjüngung erhöhen und künftige Risiken vermindern. Folgende Handlungsfelder wurden identifiziert (Abb. 4.4): F1 Kritische Schutzwälder24: Wälder mit Schutzfunktion, in denen ungenügende Verjüngung mit verminderter Bestandesstabilität zusammentreffen, sind durch Extremereignisse speziell gefährdet (gemäss Landesforstinventar rund 68 000 ha).

Als neues Phänomen wurden nach dem Wintersturm Lothar 1999 und dem Trockensommer 2003 in Schutzwäldern Massenvermehrungen von Borkenkäfern beobachtet, wie sie bisher in diesen Höhenlagen nicht aufgetreten sind.

F2 Baumbestände mit hohen Nadelholzanteilen in tieferen Lagen: Solche Bestände, die gemäss Landesforstinventar rund 50 000 ha umfassen, haben sich in den letzten Jahren als empfindlich gegenüber Windwurf, Trockenheit und Borkenkäferbefall erwiesen. 1995 bis 2005 wurden im Flachland und in den Voralpen rund 4.4 Mio.

m3 Fichtenholz geworfen, weitere 3.7 Mio. m3 Fichte fielen als von Käfern befallenes Holz an. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist es aus wirtschaftlichen Überlegungen sinnvoll, diese für die einheimische Holzindustrie wichtigen Bestände gezielt zu bewirtschaften und Risiken abzubauen.

F3 Klimasensitive Waldstandorte: Dies betrifft zu Trockenheit neigende Standorte oder Standorte mit hohen Anteilen an dürrem Holz in Risikogebieten für Waldbrände (z.B. Tessin, Wallis, Graubünden). Vorderhand ist von schätzungsweise 50 000 ha auszugehen. Im Rahmen des Forschungsprogramms Wald und Klimawandel wird diese Sammelkategorie genauer umschrieben werden.

F4 Übrige Waldstandorte: In den übrigen Wäldern ist auf eine erhöhte Resilienz bzw. Anpassungsfähigkeit hinzuarbeiten, sodass heute verjüngte Bestände ihre Funktionen auch unter künftig veränderten Klimabedingungen erfüllen können.

4.4.2

Ziele der Anpassung im Sektor Waldwirtschaft

F1 Kritische Schutzwälder ­

Die Massenvermehrung von Borkenkäfern und anderen Schadorganismen und die dadurch verursachten Schäden werden verhindert.

­

Wälder sind anpassungsfähig, stabil sowie ausreichend und geeignet verjüngt.

F2 Baumbestände mit hohen Nadelholzanteilen in tieferen Lagen

24

­

Die Massenvermehrung von Borkenkäfern und anderen Schadorganismen und die dadurch verursachten Schäden werden verhindert.

­

Bestände sind in robuste Mischwälder mit angemessenen Anteilen von anpassungsfähigen Baumarten überführt.

In der Teilstrategie Umgang mit Naturgefahren ist die gesamte Schutzwaldfläche angesprochen, hier lediglich die kritischen Schutzwälder mit ungenügender Verjüngung und gleichzeitig verminderter Stabilität.

3814

F3 Klimasensitive Waldstandorte ­

Brandgut (tote Bäume) in gefährdeten Lagen (z.B. Siedlungsnähe) ist entfernt.

­

Waldstandorte sind mit anpassungsfähigen Baumarten verjüngt.

F4 Übrige Waldstandorte ­

Waldstandorte sind mit resilienten/anpassungsfähigen Arten verjüngt.

4.4.3

Stossrichtung zur Zielerreichung

Die Umsetzung der Handlungsmöglichkeiten des Bundes wird im Rahmen der Waldpolitik des Bundes 2020 angestrebt.

Grundlagen ­

Auswertung der ersten Phase des Forschungsprogramms Wald und Klimawandel (2009­2011), Lancieren der zweiten Phase 2012­2015, Schliessen von Wissenslücken, Formulierung von Handlungsempfehlungen.

­

Entwicklung von Frühwarnsystemen für die Massenvermehrung von Borkenkäfern, invasiven Organismen und Waldbrand.

­

Schliessen klimarelevanter Lücken in der Zustandsanalyse des Schweizer Waldes, Monitoring von Standorten.

­

Aufnahme relevanter Aspekte der Anpassung an den Klimawandel in den Strategien zur Ereignisbewältigung (z.B. Strategie Wiederbewaldung nach Sturmschäden).

Information/Sensibilisierung ­

Kommunikation der Ergebnisse der ersten Phase des Forschungsprogramms Wald und Klimawandel (2009­2011) gegenüber Waldeigentümern, Forstpraktikern, Politik und Öffentlichkeit.

Förderung, Umsetzung von Massnahmen ­

Weiterführung des Forschungsprogramms Wald und Klimawandel.

­

Förderung von Massnahmen zur Bekämpfung von Befall durch Schadorganismen ausserhalb des Schutzwaldes.

­

Stärkung des Schutzwaldes durch Förderung von Pflegeeingriffen in Beständen mit ungenügender Verjüngung und verminderter Bestandesstabilität.

­

Förderung der Überführung von Beständen mit hohen Nadelholzanteilen in tiefen Lagen in robustere Mischwälder, Förderung der Verjüngung sowie Entfernung von Brandgut auf trockenen, klimasensitiven Standorten.

3815

Rechtlicher Rahmen ­

Artikel 77 der Bundesverfassung25 sowie Artikel 26 des Bundesgesetzes über den Wald26 stellen die verfassungsmässigen und gesetzlichen Grundlagen für den Bundesrat dar, um zur Verhütung und Behebung von Waldschäden gesetzgeberisch tätig zu werden. Für eine allfällige Finanzierung von Massnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Schadorganismen ausserhalb des Schutzwaldes durch den Bund ist eine Gesetzesanpassung notwendig.

Energie

4.5.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Energie

mittel

gross

Energiebedarf Klimatisierung und Kühlung Gebäude

Elektrizitätserzeugung therm. KW Elektrizitätserzeugung Wasser-KW Unterhalt/ Sicherheit Transportinfrastruktur

Handlungsbedarf klein

klein

Einfluss des Klimawandels

4.5

mittel gross klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Abbildung 4.5: Beurteilung der relevanten Bereiche des Sektors Energie bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des sich daraus ergebenden Handlungsbedarfs.

Unter Berücksichtigung der spezifischen Voraussetzungen der Schweiz als Gebirgsland ohne eigene fossile Ressourcenbasis wurden vier Bereiche des Energiesektors identifiziert, die für die Anpassungsstrategie relevant sind (Abb. 4.5). Die Mobilität wurde dabei ausgeklammert, da Auswirkungen des Klimawandels beispielweise auf den Freizeitverkehr zunächst aktiv beobachtet werden müssen, um zu einem späteren Zeitpunkt allfällige Anpassungsstrategien zu entwickeln.

25 26

Bundesverfassung (SR 101) Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über den Wald (SR 921.0)

3816

E1 Energiebedarf für die Klimatisierung und Kühlung von Gebäuden: Steigende Durchschnitts- und Maximaltemperaturen führen zu einer Zunahme des Kühlbedarfs in Gebäuden. Der verbreitete Einsatz von Installationen und Geräten für die Lüftung, Kühlung und Klimatisierung dürfte zu einer markanten Zunahme der Nachfrage nach Elektrizität führen. Die Herausforderung besteht darin, behagliche Wohn- und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten und gleichzeitig die energiepolitische Zielsetzung einer sparsamen und rationellen Energienutzung zu erreichen.

E2 Erzeugung von Elektrizität aus Wasserkraft: Die Nutzung der Wasserkraft ist eng an das Niederschlags- und Abflussregime gekoppelt. Auch Extremwetterperioden (Trockenheit, Hochwasser) sowie temperaturbedingte Veränderungen im Hochgebirge (Rückzug der Gletscher, Auftauen des Permafrosts) können sich auf das Produktionspotenzial, die Sicherheit und den Betrieb der Kraftwerkanlagen auswirken. Zudem ist mit einer verschärften Konkurrenz um die Ressource Wasser und zusätzlichen Ansprüchen an die Bewirtschaftung von Wasserspeichern zu rechnen.

E3 Erzeugung von Elektrizität in thermischen Kraftwerken: Thermische Kraftwerke ­ heute insbesondere die Kernkraftwerke ­ spielen für die Stromerzeugung in der Schweiz eine grosse Rolle. Handlungsbedarf kann sich bei steigenden Temperaturen in zweierlei Hinsicht ergeben: Einerseits reduziert eine höhere Umgebungstemperatur den Wirkungsgrad, andererseits muss bei ungenügenden Kühlmöglichkeiten die Kraftwerksleistung reduziert werden.

E4 Unterhalt und Sicherheit von Transportinfrastrukturen: Wichtige Transitleitungen für Elektrizität und Gas führen durch die Schweiz. Diese liegen punktuell in Gebieten, in denen bei steigenden Temperaturen mit einer Destabilisierung des Untergrunds sowie mit vermehrten Massenbewegungen (Murgänge, Felsstürze) gerechnet werden muss. Es stellt sich die Frage, ob zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die Sicherheit dieser Leitungen zu gewährleisten.

4.5.2

Ziele der Anpassung im Sektor Energie

E1 Energiebedarf für die Klimatisierung/Kühlung von Gebäuden ­

Effiziente Lösungen zum Umgang mit steigenden Temperaturen (Bereiche Gebäude, Gebäudetechnik und Gebäudebegrünung; Phasen Planung, Ausführung und Betrieb) werden umgesetzt.

E2 Erzeugung von Elektrizität aus Wasserkraft ­

Der Beitrag der Wasserkraft zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit ist gesichert.

­

Das Wasserkraftpotenzial wird unter sich verändernden hydrologischen und wasserwirtschaftlichen Rahmenbedingungen optimal genutzt.

­

Neue, klimabedingte Risiken (z.B. aufgrund des Rückzugs des Permafrosts) werden im Rahmen der Sicherheitsaufsicht des Bundes berücksichtigt.

3817

E3 Erzeugung von Elektrizität in thermischen Kraftwerken ­

Der Beitrag der thermischen Kraftwerke zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit ist unter Gewährleistung der Anlagensicherheit (insbesondere bei Hitzewellen) und der Koordination mit anderen Wassernutzern gesichert.

E4 Unterhalt und Sicherheit von Transportinfrastrukturen ­

Die Auswirkungen des Klimawandels werden in der Aufsichts- und Kontrolltätigkeit des Bundes risikogerecht berücksichtigt.

4.5.3

Stossrichtung zur Zielerreichung

Grundlagen ­

Begleitung und Evaluation der einschlägigen Forschungsaktivitäten zur Veränderung der Rahmenbedingungen der Wasserkraftnutzung (E2).

­

Überprüfung des Anpassungsbedarfs im Bereich der staatlichen Aufsichtstätigkeit über Hochspannungsleitungen, Gaspipelines und Staumauern (E2 und E4).

Information/Sensibilisierung ­

Sensibilisierung sowie Aus- und Weiterbildung von Stakeholdern im Gebäudebereich (E1).

­

Förderung der Bekanntheit der bestehenden Energieetikette (E1)

­

Sensibilisierung der Betreiber von Transportinfrastrukturen für neue Risiken (E4).

Förderung, Umsetzung von Massnahmen ­

Schaffung vermehrter Anreize und Lenkungsmassnahmen für eine umfassende Gebäudebegrünung und für energetisch sinnvolle Gehölzpflanzungen im Siedlungsbereich (E1).

­

Integration des Themas «klimabedingte Zunahme der Elektrizitätsnachfrage» in die Aktivitäten des BFE im Bereich Energieeffizienz/Energie Schweiz (E1).

Rechtlicher Rahmen ­

Festlegung von Mindestanforderungen für Anlagen und Geräte zur Kühlung, Klimatisierung und Lüftung (E1).

­

Erarbeitung von Grundsätzen zur Bewirtschaftung der Wasserressourcen und Gewässer (E2).

­

Überprüfung der rechtlichen Bestimmungen zur Einleitung von Kühlwasser in die Fliessgewässer (E3).

3818

4.6.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Tourismus

gross

Tourismus

mittel

Gefahrenminimierung

Angebotsentwicklung

Kommunikation

Handlungsbedarf klein

klein

Einfluss des Klimawandels

4.6

mittel gross klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Abbildung 4.6: Beurteilung der relevanten Bereiche des Sektors Tourismus bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des klimabedingten Handlungsbedarfs.

Der Tourismus betrifft zahlreiche Wirtschafts- und Lebensbereiche. Der Klimawandel wirkt sich darum direkt und indirekt auf sehr vielseitige Art auf diesen Sektor aus. Aufgrund der wichtigsten Auswirkungen des Klimawandels auf den Schweizer Tourismus lassen sich drei zentrale Handlungsfelder zur Anpassung identifizieren (Abb. 4.6):27 T1 Angebotsentwicklung: Der Klimawandel wird zu einem Rückgang der Schneesicherheit insbesondere in tief gelegenen Gebieten führen. Bei einem Temperaturanstieg um 2 °C ist in der Schweiz mit einem Rückgang der Anzahl schneesicherer Skigebiete um gut einen Fünftel zu rechnen. Dieser Rückgang ist im Vergleich mit umliegenden Alpenländern unterdurchschnittlich, was mit der in der Schweiz vergleichsweise grossen Anzahl hoch gelegener Skigebiete zusammenhängt. Eine Herausforderung wird die fehlende Winteratmosphäre im Unterland darstellen. Es ist aber schwierig abzuschätzen, in welchem Ausmass dies die touristische Nachfrage nach Schneesportangeboten tatsächlich beeinflussen wird. Im Sommer werden die alpinen Tourismusregionen aufgrund höherer Temperaturen und tendenziell weniger Niederschlägen von einem angenehmen Klima profitieren.

27

Universität Bern (2011): Der Schweizer Tourismus im Klimawandel. Auswirkungen und Anpassungsoptionen.

3819

Mit dem Klimawandel wird es zu wesentlichen Landschaftsveränderungen kommen.

Im Hochgebirge ist aufgrund des Gletscherrückgangs gesamthaft mit einem Rückgang der Landschaftsattraktivität zu rechnen. Allerdings können neu gebildete Gletscherseen auch zu neuen Attraktionen führen. Die Schweizer Städte dürften aufgrund einer gewissen Mediterranisierung als Tourismusdestinationen attraktiver werden. Die Auswirkungen des Klimawandels bedingen Anpassungen beim touristischen Angebot, um die sich bietenden Chancen zu nutzen und sich ergebende Risiken zu vermindern.

T2 Gefahrenminimierung: Die Erwärmung der Atmosphäre beeinflusst die Intensität und Häufigkeit von Wetterextremen. Dies kann zu einem Anstieg der Naturgefahren führen. Aufgrund des auftauenden Permafrosts ist vermehrt mit Murgängen und der Destabilisierung der Fundamente touristischer Infrastrukturen im Hochgebirge (Seilbahninstallationen, Hotel- und Restaurantgebäude) zu rechnen. Auch die Risiken aufgrund von Gletscherabbrüchen und Gletscherhochwassern werden zunehmen. Besondere Bedeutung hat das Handlungsfeld der Gefahrenminimierung für die touristischen Infrastrukturen im Alpenraum.

T3 Kommunikation: Der Klimawandel stellt die touristischen Akteure vor grosse Herausforderungen. Es gilt langfristiges und globales Denken mit kurz- bis mittelfristigem lokalem Handeln zu verbinden. Insbesondere sind gemeinsame Anstrengungen der touristischen Akteure innerhalb von Destinationen notwendig, da Aufenthalts-, Reise- und Ferienerlebnisse letztlich das Produkt zahlreicher touristischer Einzelleistungen sind. Destinationen müssen sich klarer positionieren und beim Marketing die Auswirkungen des Klimawandels mit einbeziehen. Sowohl die Gäste als auch die Bevölkerung sind für Klimafragen zu sensibilisieren und regelmässig zu informieren.

4.6.2

Ziele der Anpassung im Sektor Tourismus

Die Anpassung an den Klimawandel ist eine der wichtigsten Herausforderungen für den Tourismusstandort Schweiz.28 Sie soll insbesondere dazu beitragen, dass die Schweiz langfristig ein attraktiver und erfolgreicher Tourismusstandort bleibt und ihr aussergewöhnliches Potenzial als Reisedestination ausschöpfen kann. Aufgrund der identifizierten drei Handlungsfelder stehen folgende Anpassungsziele im Vordergrund: T1 Angebotsentwicklung ­

Förderung von Innovation und Diversifikation (insb. Förderung Sommerund Ganzjahrestourismus), Intensivierung der Forschung.

­

Sicherung und Weiterentwicklung Schneesport.

T2 Gefahrenminimierung

28

­

Verstärkung der Gefahrenabwehr durch technische und biologische Massnahmen.

­

Risikominderung durch organisatorische Massnahmen.

Der Schweizerische Bundesrat (2010): Wachstumsstrategie für den Tourismusstandort Schweiz.

3820

T3 Kommunikation ­

Klare Positionierung und gezieltes Marketing.

­

Sensibilisierung der Bevölkerung.

4.6.3

Stossrichtung der Zielerreichung

Die Anpassung des Tourismus an den Klimawandel wird im Rahmen des Umsetzungsprogramms 2012­2015 zur Wachstumsstrategie für den Tourismusstandort Schweiz als Schwerpunktthema behandelt. Dabei wird es auch darum gehen, die Rollen der verschiedenen privaten und öffentlichen Akteure zu klären. Eine besonders wichtige Rolle bei der Anpassung an den Klimawandel wird der Tourismusbranche selbst zukommen. Die Möglichkeiten des Bundes stützen sich auf die neu konzeptionierte Tourismuspolitik, die tourismuspolitischen Zielsetzungen sowie die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen zur Tourismuspolitik ab. Vor diesem Hintergrund stehen folgende Möglichkeiten zur Erreichung der Anpassungsziele im Vordergrund: Grundlagen ­

Unterstützung des Wissensaufbaus zu Fragen der Anpassung des Tourismus an den Klimawandel (tourismuspolitisches strategisches Issue Management, Schliessung von Forschungslücken, Verstärkung des internationalen Erfahrungsaustauschs).

­

Verstärkung der tourismuspolitischen Querschnittsaufgaben (insbesondere Kohärenz zwischen Tourismuspolitik und Klimapolitik).

Information/Sensibilisierung ­

Unterstützung der Wissensdiffusion zu Fragen der Anpassung des Tourismus an den Klimawandel, z.B. mittels Publikationen sowie Durchführung thematischer Veranstaltungen (Tourismus Forum Schweiz).

Förderung, Umsetzung von Massnahmen ­

Förderung von nationalen Innotour-Projekten29 zur Anpassung des Tourismus an den Klimawandel.

­

Top-down- und/oder Bottom-up-Förderung von regionalen und lokalen Innotour-Modellvorhaben zur Anpassung des Tourismus an den Klimawandel.

Rechtlicher Rahmen ­

29 30 31

Mit der neu konzeptionierten Tourismuspolitik des Bundes ist der rechtliche Rahmen gegeben (Bundesgesetz über die Förderung der Beherbergungswirtschaft30, Bundesgesetz über Schweiz Tourismus31, Bundesgesetz über die Programm des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO zur Verbesserung von Struktur und Qualität des Schweizer Tourismus-Angebots.

Bundesgesetz vom 20. Juni 2003 über die Förderung der Beherbergungswirtschaft (SR 935.12).

Bundesgesetz vom 21. Juni 1955 über Schweiz Tourismus (SR 935.21).

3821

Förderung von Innovation, Zusammenarbeit und Wissensaufbau im Tourismus Innotour32).

Biodiversitätsmanagement

4.7.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Biodiversitätsmanagement

gross

Ausbreitung Veränderung invasiver Lensräume, Arten, gebietsfremder Populationen Arten generell

mittel

Genpool

Aktuell in der Schweiz bedrohte Arten und Lebensräume Europ.

bedeutende Lebensräume, Arten, Populationen

Ökosystemleistungen Biotopverbund und Vernetzung

Handlungsbedarf klein

klein

Einfluss des Klimawandels

4.7

mittel gross klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Abbildung 4.7: Beurteilung der relevanten Bereiche des Sektors Biodiversitätsmanagement bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des klimabedingten Handlungsbedarfs.

Politische Entscheidungen in anderen Sektoren über Art und Intensität der Flächenund Ressourcennutzung beeinflussen die Biodiversität direkt oder indirekt. Deshalb ist es ein wichtiges Anliegen des Biodiversitätsmanagements, dass bei den Anpassungsmassnahmen anderer Sektoren die Auswirkungen auf die Biodiversität berücksichtigt werden.

32

Bundesgesetz vom 30. September 2011 über die Förderung, Zusammenarbeit und Wissensaufbau im Tourismus (SR 935.22).

3822

Mit Blick auf die Anpassung an den Klimawandel wurden die folgenden Handlungsfelder identifiziert (Abb. 4.7): B1 Genpool: Durch den Klimawandel werden lokale Artenvorkommen gefährdet und das Risiko erhöht, dass Reliktpopulationen entstehen. Der Verlust wichtiger genetischer Ausprägungen beeinträchtigt das längerfristige Überleben von Arten mit geringen Anpassungsfähigkeiten und kleinen Populationen.

B2 Lebensräume und Arten33: Der Klimawandel kann sich sowohl positiv als auch negativ auf Arten und Lebensräume auswirken. Während Bewohner von Trockenstandorten vom Klimawandel profitieren können, zählen jene feuchter Lebensräume zu den Verlierern. Ein Wandel in der Zusammensetzung aquatischer Lebensgemeinschaften ist bereits absehbar. Gleichermassen wird der Lebensraum alpiner Arten ­ für welche die Schweiz eine besondere Verantwortung trägt ­ mit zunehmender Klimaerwärmung kleiner. Neue klimatische Bedingungen sowie veränderte Artenzusammensetzungen führen zur Ausprägung neuer Lebensräume und -gemeinschaften.

B3 Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten: Der Klimawandel begünstigt die Etablierung und Ausbreitung gebietsfremder Arten und führt dazu, dass sich mehr dieser Organismen invasiv verhalten werden. Die Geschwindigkeit und das Ausmass der Ausbreitung werden wesentlich durch menschliche Aktivitäten geprägt.

B4 Biotopverbund/Vernetzung: Die klimainduzierten Wanderungsbewegungen erhöhen den Bedarf an der Vernetzung der Lebensräume und der Durchlässigkeit der Landschaft. Klimabedingte Veränderungen der Umgebungsnutzungen (z.B. eine intensivere Landwirtschaft in der Umgebung von Schutzgebieten) haben auch Auswirkungen auf die Qualität wertvoller Biotope und deren Vernetzung.

B5 Ökosystemleistungen: Das menschliche Wohlergehen hängt wesentlich von einer Vielzahl von Ökosystemleistungen ab. Im Biodiversitätsmanagement stehen regulierende Dienstleistungen von Ökosystemen im Vordergrund, die durch den Klimawandel unter Druck geraten. Beispiele sind die Kohlenstoffspeicherung in Moorböden oder der Schutz vor Hangrutschungen und Murgängen durch die Vegetation (Wurzelstrukturen, Wasserspeicherung).

4.7.2

Ziele der Anpassung im Sektor Biodiversitätsmanagement

B1 Genpool

33

­

Wichtige (Teil-)Populationen bei ausgesuchten klimasensitiven Arten sind bekannt.

­

Die Gendrift in kleinen (Teil-)Populationen ausgewählter Arten wird überwacht.

­

Der Verlust an genetischer Vielfalt ist reduziert.

Die Bereiche «Veränderung von Lebensräumen, Arten, Populationen generell», «Aktuell in der Schweiz bedrohte Arten und Lebensräume» und «Europäisch bedeutende Lebensräume, Arten, Populationen» werden zu einem Handlungsfeld «Lebensräume und Arten» zusammengefasst.

3823

B2 Lebensräume und Arten ­

Prioritär vom Klimawandel betroffene und zu erhaltende Lebensräume und Arten sind bekannt; die Bewertung wird laufend an die sich verändernden Bedingungen angepasst und kommuniziert.

­

Die notwendigen Erhaltungs- und Fördermassen sind international, mit den anderen Sektoren sowie mit den Kantonen koordiniert.

­

Für die heute bekannten Lebensräume und Arten, die besonders stark betroffen sind (Gewässer- und Feuchtlebensräume, alpine Lebensräume), werden umgehend erste Massnahmen ergriffen.

B3 Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten ­

Invasive gebietsfremde Arten mit hohem Schadenpotenzial werden frühzeitig erkannt.

­

Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung werden international abgestimmt und sektorübergreifend frühzeitig ergriffen, um eine unkontrollierte Ausbreitung zu verhindern.

­

Handel und Bevölkerung sind für die Problematik sensibilisiert und bleiben informiert.

B4 Biotopverbund/Vernetzung ­

Die Schweiz verfügt über eine ökologische Infrastruktur von Schutz- und Vernetzungsgebieten, die ein breites Spektrum der klimabedingten Wanderungs- und Ausbreitungsbewegungen abdeckt.

­

Dieses nationale Verbundsystem ist international eingebettet und national raumplanerisch verbindlich festgelegt (Sachplan Biodiversität).

B5 Ökosystemleistungen ­

Multifunktionale Ökosystemleistungen sind in allen Sektoren erkannt und werden bei Entscheidungen berücksichtigt.

­

Die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme und die allfällige Veränderung von Ökosystemleistungen werden überwacht.

­

Bei nationalen Entscheiden zu klimabedingten Nutzungsanpassungen in anderen Sektorpolitiken werden auch Überlegungen zur Auswirkung auf die globale Biodiversität und Ökosystemleistungen einbezogen.

4.7.3

Stossrichtung zur Zielerreichung

Grundlagen ­

3824

Verbessern des Wissenstands und -austausches bezüglich der klimatischen Auswirkungen auf den drei Ebenen der Biodiversität (Vielfalt der Gene, Arten und Lebensräume) sowie bezüglich der Anpassungsfähigkeit dieser drei Ebenen.

­

Weiterführen und sektorübergreifender Ausbau der Monitoringaktivitäten zur Überwachung von Arten, der Artenvielfalt und insbesondere neu von Lebensräumen.

Information/Sensibilisierung ­

Aufzeigen von Möglichkeiten zur Erhaltung der landschaftscharakteristischen Lebensraumvielfalt bei Nutzungsanpassungen infolge des Klimawandels.

­

Bewerten möglicher Artenverluste als Entscheidungsgrundlage für das Weiterentwickeln der Handlungsprioritäten (national prioritäre Arten, Artenförderungskonzepte etc.).

­

Empfehlungen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Bundesstellen an Landnutzerinnen und -nutzer und Betroffene, um die weitere Verbreitung bisheriger und neuer invasiver Arten zu verhindern.

Förderung, Umsetzung von Massnahmen ­

Erhalten und Fördern von Populationen mit ausreichendem Genaustausch mithilfe einer ökologischen Infrastruktur von Schutz- und Vernetzungsgebieten und durchlässigen Landschaften.

­

Entwickeln von Standards für die Prüfung von Umsiedlungsmassnahmen für ausgewählte klimasensitive Lebensräume und Arten.

Rechtlicher Rahmen ­

Festlegen einer raumplanerisch verbindlichen, nationalen ökologischen Infrastruktur von Schutzgebieten und Vernetzungsflächen mit internationaler Anbindung (u. a. Abstimmung auf das europäische Schutzgebietsnetzwerk «Smaragd») in Zusammenarbeit mit den wichtigsten Landnutzern.

­

Kritisches Begleiten von Nutzungsanpassungen bei den wichtigsten Landnutzern; bei Bedarf Hinwirken auf Anpassungen zugunsten der langfristigen Erhaltung der Biodiversität und zugunsten von multifunktionalen Ökosystemleistungen.

3825

4.8

Gesundheit

4.8.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Gesundheit

mittel

gross

Über Lebensmittel/ Wasser übertragene Infektionskrankheiten

Pollenallergien

Extremereignisse

klein

mittel

Gesundheit Tier Hitze, Ozon

Über Vektoren übertragene Infektionskrankheiten

Hitze

Über Vektoren übertragene Infektionskrankheiten

Über Futtermittel/ ExtremWasser ereignisse übertragene Infektionskrankheiten

klein

Einfluss des Klimawandels

Gesundheit Mensch

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Handlungsbedarf:

klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung klein

mittel

gross

Abbildung 4.8: Beurteilung der relevanten Bereiche des Sektors Gesundheit bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des klimabedingten Handlungsbedarfs.

Die Teilstrategie Gesundheit bezieht sich auf den Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Mensch und Tier. Für die Anpassung wurden drei Handlungsfelder identifiziert (Abb. 4.8).

G1 Über Vektoren übertragene Infektionskrankheiten (Mensch und Tier): Der Klimawandel begünstigt das Auftreten von neuen Krankheitserregern sowie von deren Wirten und Überträgern (Vektoren). Damit steigt das Potenzial für neuartige Infektionskrankheiten bei Mensch und Tier, die sich rasch ausbreiten können und zum Teil schwierig zu therapieren sind.

G2 Auswirkungen von Hitze (Mensch und Tier): Hitzewellen können zu HerzKreislauf-Problemen, Flüssigkeitsmangel und Überhitzung führen und reduzieren die Leistungsfähigkeit. Bei Sommerhitze nimmt gleichzeitig die Ozonbelastung zu, was Atemwegsbeschwerden und Einschränkungen der Lungenfunktion mit sich bringt.

G3 Über Lebensmittel und Wasser übertragene Infektionskrankheiten (Mensch): Infektionskeime im Wasser und in Nahrungsmitteln, insbesondere in Milch- und Fleischprodukten, können sich bei höheren Temperaturen besser entwickeln.

3826

4.8.2

Ziele der Anpassung im Sektor Gesundheit

G1 Über Vektoren übertragene Infektionskrankheiten ­

Die fachlichen Kompetenzen sind auf nationaler und internationaler Ebene optimal vernetzt. Die relevanten Informationen sind bei allen involvierten Akteuren vorhanden.

­

Neue Risiken sind in bestehenden Strategien und Strukturen zum Schutz vor übertragbaren Krankheiten und Tierseuchen integriert; Koordination des Vorgehens zwischen BAG und BVET.

­

Risikogruppen und Öffentlichkeit sind sensibilisiert.

G2 Auswirkungen von Hitze ­

Die risikogerechte Reaktionsbereitschaft auf Hitzewellen ist in der ganzen Schweiz gewährleistet.

­

Zielgruppengerechtes Basisangebot an Informationen ist gewährleistet.

­

Bevölkerung, Architekten/Planungsfachleute sowie Tierhalterinnen und -halter sind sensibilisiert.

G3 Über Lebensmittel und Wasser übertragene Infektionskrankheiten ­

Das aktuell hohe Sicherheitsniveau ist gewährleistet.

­

Potenziell betroffene Betriebe sowie die Öffentlichkeit sind für neue Risiken sensibilisiert.

4.8.3

Stossrichtung zur Zielerreichung

Grundlagen ­

Dokumentation des Kenntnisstands und Schliessung wichtiger Forschungslücken. Schaffung bzw. Stärkung von Kompetenzzentren und -netzwerken auf nationaler und internationaler Ebene. Bereitstellen der nötigen Kapazitäten in den Bereichen Früherkennung und Überwachung (G1).

­

Abklärungen zu den Auswirkungen der Hitze auf die Leistungsfähigkeit des Menschen und die Anpassungsfähigkeit der Nutztiere (Hochleistungstiere, Fische) sowie zum Anpassungsbedarf im Bereich Tierhaltung/-produktion (G2).

­

Vernetzung vorhandener Fachkompetenz und Verbesserung des Dialogs zwischen Forschung, Verwaltung und Praxis (national und international) (G3).

Information/Sensibilisierung ­

Ergänzung bestehender Informations- und Beratungsangebote. Förderung des Informationsaustauschs zwischen Forschung, Verwaltung und Praxis (G1).

­

Schaffung einer zentralen Auskunfts- und Beratungsstelle für den Ereignisfall. Förderung des Informationsaustauschs mit Raum- und Siedlungsplanungskreisen sowie im Bereich Tierhaltung (G2).

3827

­

Verstärkte Information über die gesundheitlichen Risiken eines falschen Umgangs mit Lebensmitteln. Periodische Aktualisierung des Basisangebots an Informationsmitteln (G3).

Förderung, Umsetzung von Massnahmen ­

Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Bundesstellen und mit den Kantonen. Sicherstellung der notwendigen Fachkompetenz (human- und veterinärmedizinische Aus- und Weiterbildung; Labordiagnostik). Umsetzung der Verpflichtungen der Schweiz im Rahmen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV/WHO) (G1).

­

Förderung des Erfahrungsaustauschs zwischen den Kantonen zum Vorgehen bei Hitzewellen. Sicherstellen von Hitzewarnungen nach einheitlichen Kriterien (G2).

­

Laufende Anpassung der Überwachung mikrobiologischer Verunreinigungen. Periodische Evaluation des Handlungsbedarfs im Bereich Wasserhygiene. Umsetzung der Verpflichtungen der Schweiz im Rahmen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV/WHO) (G3).

Rechtlicher Rahmen ­

Epidemiengesetz/Tierseuchengesetz/Tierseuchenverordnung: Anpassung an neue bzw. wieder auftretende, klimasensitive Krankheiten; Klärung von Zuständigkeitsfragen an der Schnittstelle zwischen Ökologie und Gesundheit (Umgang mit gesundheitsrelevanten, gebietsfremden Organismen) (G1).

­

Tierschutzgesetzgebung: Integration neuer Erkenntnisse zu Temperaturtoleranz und Hitzeschutz bei Nutztieren; Baunormen: Anpassung an steigende Temperaturen (G2).

­

Epidemiegesetz: Schaffung Koordinationsorgan («Zoonosenplattform») (G3).

3828

4.9

Raumentwicklung

4.9.1

Handlungsfelder der Anpassung im Sektor Raumentwicklung

gross

Ländlicher Raum

Ökosystemleistungen

Naturgefahren

Lebensqualität

Tourismus

mittel

Energie/ Wasser Energie/ Wasser

Naturgefahren

klein

Einfluss des Klimawandels

Stadt/Agglomeration

Soziale Dimension

klein

Land-/ Forstwirtschaft

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Handlungsbedarf:

klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung klein

mittel

gross

Abbildung 4.9: Beurteilung der relevanten Bereiche der Raumentwicklung in der Städten/Agglomerationen und im ländlichen Raum bezüglich Einfluss des Klimawandels, relativer Wichtigkeit der Veränderungen und des klimabedingten Handlungsbedarfs.

Der zentrale Beitrag der Raumplanung zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels besteht darin, widerstandsfähige, robuste Raumstrukturen zu entwickeln. Städte/Agglomerationen und ländliche Räume sehen sich zum Teil sehr unterschiedlichen Herausforderungen gegenüber; teilweise sind die Herausforderungen aber auch ähnlich gelagert. Folgende Handlungsfelder wurden identifiziert (Abb. 4.9): R1 Lebensqualität in Städten und Agglomerationen: Städte und Agglomerationen sind gegenüber der aufgrund des Klimawandels erwarteten Zunahme von Hitzeperioden besonders sensitiv. Die Notwendigkeit, Grünräume und damit kühle Inseln trotz hohem Baudruck zu erhalten, nimmt zu. Die Raumplanung hat die Verantwortung, der zunehmenden Bedeutung der Freiflächen in Agglomerationen und Städten in der Stadtplanung und den relevanten Instrumenten des Bundes und der Kantone Rechnung zu tragen. Bei der in der Raumplanung angestrebten Siedlungsentwicklung nach innen und Verdichtung ist es wichtig, auf eine hohe Qualität zu achten und genügend Freiräume zu erhalten und neu zu schaffen. Zielkonflikte in diesem Zusammenhang sind aufzuzeigen und zu lösen. Durch eine Konzentration der Siedlungsentwicklung und die Erhaltung bzw. Schaffung von Freiräumen kann zudem die versiegelte Fläche auf ein Minimum reduziert werden, was seinerseits zur besseren Abführung der Hitze beiträgt. Massnahmen zur Beschattung und Begrünung tragen ebenfalls zu einer angenehmen Lebensraumqualität bei. Für die Belüftung kommt insbesondere der optimalen Ausrichtung der Verkehrsachsen Bedeutung zu.

3829

R2 Tourismus34: Mit dem Klimawandel wird die Höhengrenze der Schneesicherheit weiter steigen. Auch durch die erwartete Zunahme von Naturgefahrenereignissen und den Attraktivitätsverlust gewisser Landschaften aufgrund der Gletscherschmelze wird der Tourismus vor Herausforderungen gestellt. Am meisten betroffen werden aufgrund der steigenden Höhengrenze der Schneesicherheit die voralpinen Gebiete sein. Entscheidend dafür, ob die Veränderungen auch als Chance genutzt werden können, wird die regionale Anpassungsfähigkeit sein. Im Vordergrund stehen der Ausbau des Sommertourismus und die Diversifizierung des Angebots. Es wird aber auch ein Druck entstehen, höher gelegene und noch unberührte Gebiete für den Wintertourismus zu erschliessen. Die Raumplanung muss sich dafür einsetzen, den Anpassungsprozess landschaftlich möglichst verträglich zu gestalten und den Ressourcenverbrauch zu minimieren.

R3 Naturgefahren: Aufgrund des Klimawandels wird mit einer Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Naturgefahrenereignissen gerechnet. Während die ländlichen Räume und Tourismusgebiete im Alpenraum von der insgesamt verschärften Situation durch die Degradation des Permafrosts, Lawinen, Murgänge, Hochwasser, Steinschlag und Rutschungen betroffen sind, werden im Mittelland vor allem grössere Städte und Agglomerationen besonders stark von der Zunahme von Hochwassern und Hitzewellen betroffen sein. Aufgabe der Raumplanung ist es, die Siedlungsentwicklung so zu steuern, dass das Risiko und Schadenpotenzial nicht weiter zunimmt und genügend Freiräume vorhanden sind. Insbesondere sollen Neueinzonungen und der Bau von Gebäuden und Infrastrukturen in stark gefährdeten Gebieten vermieden werden. Die bestehenden Gefahrengrundlagen sind periodisch anzupassen.

R4 Energie/Wasser: Der Klimawandel wirkt sich sowohl auf den Energie- und Wasserverbrauch (z.B. Klimaanlagen, Bewässerung etc.) als auch auf die notwendigen Ressourcen für die Energieerzeugung und Wasserversorgung und schliesslich auch auf die notwendigen Infrastrukturen aus. Energetisch sanierte Gebäude tragen nicht nur direkt zur Senkung des Energieverbrauchs bei, sondern erhitzen sich auch weniger und verhindern damit den zusätzlichen Bedarf an Energie für Klimaanlagen.

Neue erneuerbare Energien (z.B. Wind) helfen, die Energieversorgung mit gegenüber dem Klimawandel
wenig anfälligen Technologien zu stärken. Allerdings führen Planung und Bau von entsprechenden Infrastrukturen nicht selten zu Konflikten mit der Landschaft. Hier hat die Raumplanung die Aufgabe, die Vorhaben räumlich abzustimmen, Schutz und Nutzung gegeneinander abzuwägen und zu vermitteln.

4.9.2

Ziele der Anpassung im Sektor Raumentwicklung

Als Grundsatz sollen in der Raumentwicklung bei der Anpassung an den Klimawandel bestehende Instrumente genutzt und bestehende Politiken noch konsequenter umgesetzt werden. Folgende Ziele wurden für die prioritären Handlungsfelder abgeleitet: R1 Lebensqualität in Städten und Agglomerationen ­

34

Neue resp. gesicherte und aufgewertete Freiräume und grüne Infrastrukturen reduzieren Wärmeinsel-Effekte.

Die Angebotsgestaltung wird in Kap. 4.6 behandelt. Hier stehen die raumwirksamen Aspekte im Vordergrund.

3830

­

Die Abführung der Hitze ist durch das Vermeiden von Bodenversiegelungen sichergestellt.

­

Die optimale Ausrichtung der Verkehrsachsen gewährleistet eine gute Durchlüftung der Städte und Siedlungen.

­

Eine erhöhte Lebensraumqualität ist durch Beschattung und Begrünung gewährleistet.

R2 Tourismus ­

Die Anpassung wird unterstützt, insbesondere die Aufwertung des Sommertourismus und die Diversifizierung des Angebots bei gleichzeitig schonendem Umgang mit Ressourcen.

­

Konflikte zwischen Schutz und Nutzung bei der Erweiterung bzw. Neuerschliessung von Skigebieten in höheren Lagen werden angegangen.

­

Die Angebote sind nachhaltig und umweltverträglich gestaltet.

R3 Naturgefahren ­

Eine risikobasierte Betrachtung von Naturgefahren wird in die Planung eingeführt.

­

Die Gefahrenkartierung bezieht zukünftige Gefahrensituationen ein.

­

Gefährdete Gebiete werden nicht eingezont oder bebaut, das Schadenpotenzial ist begrenzt.

­

Raum für Fliessgewässer ist gesichert.

R4 Energie/Wasser ­

Eine ressourcensparende Raumstruktur ist sichergestellt.

­

Eine integrale räumliche Energieplanung ist entwickelt.

­

Die Planung von Infrastrukturen zur Gewinnung erneuerbarer Energien ist koordiniert und mit dem Landschaftsschutz abgestimmt.

­

Ein integrales Wassermanagement ist entwickelt und wird praktiziert.

4.9.3

Stossrichtung zur Zielerreichung

Die Raumplanung leistet mit ihren Instrumenten (Sachpläne des Bundes, Richtpläne der Kantone, Agglomerationsprogramme und Nutzungspläne) bereits heute ­ indirekt und ohne dies so zu deklarieren ­ viele Beiträge zur Unterstützung und Erleichterung der Anpassung an den Klimawandel. Es geht also einerseits vor allem darum, diese bestehenden Massnahmen noch systematischer und verstärkt anzuwenden.

Andererseits sollen für einzelne oben erwähnte Handlungsfelder und Ziele gezielt zusätzliche Massnahmen getroffen werden. Folgende Handlungsoptionen stehen auf Bundesebene im Vordergrund:

3831

Grundlagen ­

Erarbeitung eines «Leitfadens» für Kantone und Städte zum Thema, wie die Raumplanung auf die Auswirkungen des Klimawandels reagieren und deren Anpassungsfähigkeit erhöht werden kann.

­

Ergänzung der Planungshilfe Naturgefahren und Raumplanung mit Ansätzen einer risikobasierten Planung und guten Beispielen dazu (Projekt im Rahmen der PLANAT läuft).

­

Schaffen von Grundlagen zur koordinierten Planung von Infrastrukturen für erneuerbare Energien, insbesondere auch zur Abstimmung von Schutz und Nutzung.

­

Schaffen von Grundlagen zur Beurteilung von Skigebietserweiterungen und -neuerschliessungen in höher gelegenen und meist noch unberührten Gebieten.

Information/Sensibilisierung ­

Sensibilisierung der Raumplaner aller Ebenen mit Informationsveranstaltungen/Tagungen (in Zusammenarbeit mit VLP, FSU, KPK etc.).

Förderung, Umsetzung von Massnahmen ­

Prüfung (und Genehmigung) der kantonalen Richtpläne auch im Hinblick auf die zu formulierenden Strategien und Grundsätze und der zu ergreifenden Massnahmen für die Anpassung an den Klimawandel (Siedlungsentwicklung nach innen verbunden mit der Schaffung und dem Erhalt der nötigen Frei- und Grünräume, Skigebietsplanung, Meiden von durch Naturgefahren stark betroffenen Gebieten bei der Planung von Siedlungsgebiet und Infrastrukturen, Energieeffizienz und erneuerbare Energien etc.).

­

Thematisierung der Anpassung an den Klimawandel und möglicher raumplanerischer Massnahmen dazu im Raumkonzept Schweiz.

­

Beachtung der Herausforderungen des Klimawandels bei der Weiterentwicklung der Agglomerationspolitik (z.B. zur Stärkung der Freiraumentwicklung, Entwicklung von grünen Infrastrukturen in Städten/Siedlungen).

­

Förderung der suburbanen Freiraumentwicklung im Rahmen von gemeinsamen Projekten auf Bundesebene (z.B. Projekt suburbane Freiraumentwicklung, nachhaltige Quartierentwicklung etc.).

­

Initiierung von gemeinsamen Modellvorhaben oder Pilotprojekten als Instrumente zur Umsetzung der Anpassungsstrategie des Bundes.

Rechtlicher Rahmen

35

­

Verankerung eines Planungsgrundsatzes zur Anpassung an den Klimawandel (und zur Beeinflussung des Klimawandels) im Raumplanungsgesetz (Art. 3 Raumplanungsgesetz35 RPG) (2. Etappe Teilrevision RPG).

­

Verankerung einer Wirkungsbeurteilung für Planungen aller Stufen (insbesondere auch für kantonale Richtpläne), die unter anderem auch zu einer Optimierung der Planungen und einzelnen Vorhaben im Hinblick auf die Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (SR 700).

3832

nötige Anpassung an den Klimawandel führen soll (2. Etappe Teilrevision RPG).

­

5

Überprüfung und nötigenfalls Rückzonung von Bauzonen durch Kantone (vorgesehen 1. Etappe Teilrevision RPG) auch unter dem Aspekt Standorteignung bezüglich Naturgefahren; Richtlinie entsprechend ergänzen.

Schnittstellen zwischen den Sektoren bei der Anpassung

Zwischen den im ersten Teil der Anpassungsstrategie behandelten Sektoren bestehen unabhängig vom Klimawandel zahlreiche Schnittstellen. Für die Anpassungsstrategie sind die Schnittstellen zwischen Handlungsfeldern verschiedener Sektoren wichtig, da sich an ihnen mögliche Synergien und Konflikte ergeben. In Tabelle 5.1 sind die Schnittstellen zusammengefasst, die mindestens zwei der in Kapitel 4 identifizierten Handlungsfelder aus verschiedenen Sektoren betreffen.

Die Tabelle enthält pro Schnittstelle folgende Informationen: (1) Eine kurze inhaltliche Beschreibung der Schnittstelle, (2) das hauptverantwortliche Bundesamt bei der weiteren Bearbeitung der Schnittstelle und (3) weitere Sektoren, in denen ein Handlungsfeld von der Schnittstelle betroffen ist. Massnahmen zur Nutzung der Synergien und zum Umgang mit Konflikten sind nicht aufgeführt. Diese müssen bei der Umsetzung der Anpassungsstrategie entwickelt werden (vgl. Kap. 6).

Sofern mehrere Bundesämter für die weitere Bearbeitung der Schnittstellen verantwortlich sind, werden diese durch Komma getrennt aufgeführt. Ist ein Bundesamt federführend für die Schnittstelle verantwortlich und ein weiteres massgeblich involviert, so wird das zweite in Klammern aufgeführt. Da es sich um eine Bundesstrategie handelt, werden die Kantone nicht genannt, auch wenn diese teilweise für die Bearbeitung der Schnittstelle mitverantwortlich sind.

Bei der Auflistung werden die weiteren betroffenen Sektoren wie folgt abgekürzt: Wasserwirtschaft (W), Umgang mit Naturgefahren (N), Landwirtschaft (L), Waldwirtschaft (F), Energie (E), Biodiversitätsmanagement (B), Gesundheit (G) und Raumentwicklung (R). Schnittstellen zum Sektor Tourismus wurden nicht analysiert.

Tabelle 5.1: Schnittstellen zwischen den in Kapitel 4 identifizierten Handlungsfeldern Schnittstelle Wasserwirtschaft/Umgang mit Naturgefahren ­ Seeregulierung für Hochwasserschutz (Schaffen von Speicherräumen) (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Nutzung der Speicherseen (Energieerzeugung und -veredelung versus Hochwasserschutz) (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: E, R) ­ Anlagen der Wasserwirtschaft im Gewässerraum und Hochwasserschutz (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine)

3833

Schnittstelle Wasserwirtschaft/Landwirtschaft ­ Bewässerungsbedarf (Wasserverteilung und Wasserspeicherung) (Hauptverantwortung: BLW; weitere betroffene Sektoren: B, E, N, R) ­ Stofftransport durch Niederschlag und Bewässerung (an der Oberfläche; via Versickerung) (Hauptverantwortung: BLW; weitere betroffene Sektoren: keine) Schnittstelle Wasserwirtschaft/Waldwirtschaft ­ Erhaltung von Waldstrukturen, welche die nötigen Filterleistungen erbringen, um Grundwasser aus Waldgebieten weiterhin als Trinkwasser nutzen zu können (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) Schnittstelle Wasserwirtschaft/Energie ­ Speicherseen als potenzielle Reservoire für andere Nutzungen zur Überbrückung von Wasserknappheit (Hauptverantwortung: BAFU (BFE); weitere betroffene Sektoren: L) ­ Wasserverteilung: In Zeiten geringer Wasserführung ergeben sich für kleinere und evtl. auch mittlere Fliessgewässer Konflikte bei der Wasserkraftnutzung mit anderen Nutzungen oder Schutzanliegen (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: B, G, L, R) ­ Restwasser: Überprüfung der gesetzlichen Regelungen wegen veränderten Abflussregimes (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: B, R) ­ Kühlwassernutzung für Anlagen (thermische Kraftwerken, Raumkühlung): Wärmeeinleitung in Gewässer (inkl. Grundwasser) (Hauptverantwortung: BFE (BAFU); weitere betroffene Sektoren: B, G) ­ Internationale Verpflichtungen zur Gewässerregulierung und Wasserkraftnutzung (grenzüberschreitende Gewässer) (Hauptverantwortung: BAFU (BFE); weitere betroffene Sektoren: keine) Schnittstelle Wasserwirtschaft/Biodiversitätsmanagement ­ Wasserverteilung: Abstimmen des steigenden Wasserbedarfs auf die Bedürfnisse der verschiedenen Lebensräume im Rahmen einer integralen Wasserwirtschaftsplanung (Einzugsgebietsmanagement). Bei Grenzgewässern in Koordination mit den Nachbarländern.

(Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: E, L, N, R) ­ Bekämpfung und Prävention der Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten entlang von Gewässern. Bei Grenzgewässern in Koordination mit den Nachbarländern.

(Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Vermeidung/Verminderung von Beeinträchtigungen der Wasserqualität durch Massenvermehrung aquatischer Organismen (z.B. Algenblüten) in ruhenden Gewässern (Hauptverantwortung:
BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) Schnittstelle Wasserwirtschaft/Gesundheit ­ In Zeiten geringer Wasserführung ergeben sich für kleinere und evtl. auch mittlere Fliessgewässer Konflikte bei der Wassernutzung. Davon ist auch die Trinkwassernutzung (Mensch und Tier) betroffen.

(Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: B, E, L, R) Schnittstelle Wasserwirtschaft/Raumentwicklung ­ Förderung des integralen Wassermanagements (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: B, E, L, N)

3834

Schnittstelle Umgang mit Naturgefahren/Landwirtschaft ­ Gewässer- und Abflusskorridore vor Überbauung sichern; (Wieder-)Beanspruchung von mehr Gewässerraum für Hochwasserschutz und -vorsorge oder die Schaffung von Entlastungskorridoren und geplanten Überflutungszonen (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: R, W) ­ Landwirtschaftliche Nutzung an neue Gefahrenlage anpassen (Hauptverantwortung: BLW; weitere betroffene Sektoren: keine) Schnittstelle Umgang mit Naturgefahren/Waldwirtschaft ­ Erhaltung der Schutzleistungen des Waldes unter veränderten klimatischen Bedingungen und nach Ereignissen (Trockenheit, Stürme, Waldbrand etc.)

(Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: B, W) Schnittstelle Umgang mit Naturgefahren/Energie ­ Nutzung von Speicherseen für die Zwecke der Abflussregulierung (Hochwasserrückhalt) (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: R, W) ­ Schutz der Energietransportinfrastrukturen im Gebirge vor Massenbewegungen (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: R) ­ Überprüfung der Schneisenbreite bei Übertragungsleitungen im Schutzwald, damit dessen Schutzfunktion erhalten bleibt (Hauptverantwortung: BFE; weitere betroffene Sektoren: F, R) Schnittstelle Umgang mit Naturgefahren/Biodiversitätsmanagement ­ Einbezug von ökologischen Aspekten bei der Planung und Gestaltung von Schutzbzw. Präventionsmassnahmen in den Bereichen rutschgefährdete Hänge, Murgänge/ Hangstabilisierung, Hochwasser- und Lawinenschutz sowie Revitalisierung von Fliessgewässern (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: L, W, R) ­ Prävention und Bekämpfung der Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten im Bereich von Schutz- bzw. Präventionsinfrastruktur (v. a. Hochwasserschutz, Schutz vor Rutschungen, ingenieurbiologische Massnahmen) (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Berücksichtigung ökologischer Aspekte bei der Erhaltung der Schutzwaldfunktion in Waldreservaten (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: F, W) Schnittstelle Umgang mit Naturgefahren/Raumentwicklung ­ Risikobasierte und langfristig ausgerichtete Raumplanung als nachhaltiges Instrument der Gefahrenprävention zur Verminderung bestehender Risiken und Vermeidung neuer Risiken und Sicherung von Freiräumen (Hauptverantwortung: BAFU, ARE; weitere
betroffene Sektoren: keine) ­ Deponieplätze für grosse Geschiebemengen in Gebirgstälern (Hauptverantwortung: ARE, BAFU; weitere betroffene Sektoren: E) Schnittstelle Landwirtschaft/Biodiversitätsmanagement ­ Festlegen und Weiterentwickeln von Instrumenten zur Etablierung einer standortgerechten Landwirtschaft mit angepassten Bewirtschaftungsformen und Anbausystemen: ­ zur Vermeidung von Nährstoffverlusten (insb. nach Starkregenereignissen) ­ zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität durch eine räumliche Verteilung und Vernetzung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) im Hinblick auf Erwärmungsszenarien (Trittsteine, Genfluss, Refugien etc.) und mit Strukturen, die im Rahmen des Klimawandels grosse Bedeutung erlangen (z.B. vernässte Stellen, Tümpel) ­ zur Förderung klimasensitiver Arten (Hauptverantwortung: BLW (BAFU); weitere betroffene Sektoren: W)

3835

­

Erarbeiten von Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung invasiver gebietsfremder Arten und Schadorganismen und Fördern des Austauschs zu Erfolg und Misserfolg dieser Massnahmen (Hauptverantwortung: BAFU (BLW); weitere betroffene Sektoren: G)

Schnittstelle Landwirtschaft/Gesundheit ­ Umsetzung artgerechter Tierhaltungssysteme bezüglich Beschattung, Lüftung, Temperaturregulation, Flüssigkeitsversorgung etc.

(Hauptverantwortung: BLW, BVET; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Überwachen der Vitalität/Mortalität temperaturempfindlicher Nutztiere (Hauptverantwortung: BVET; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Überwachen, Prävention und Bekämpfung von neu auftretenden Arten, die gesundheitsschädigend sind (Hauptverantwortung: BVET, BAG (BLW); weitere betroffene Sektoren: B) ­ Überwachen, Prävention und Bekämpfung von Vektoren/Wirtstieren, die für das Auftreten neuer und bereits bekannter Infektionserreger bedeutsam sind (Hauptverantwortung: BAG, BVET; weitere betroffene Sektoren: B) Schnittstelle Waldwirtschaft/Biodiversitätsmanagement ­ Abstimmung der Anpassungsziele auf alle Ökosystemfunktionen, insbesondere auch auf die Bedürfnisse der Biodiversität; prioritäre Beachtung der Erhaltung der vorhandenen genetischen Vielfalt bei Massnahmen zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel und im Hinblick auf die Risikoverteilung auf diverse Baumarten (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Prävention der Ausbreitung invasiver gebietsfremder Organismen mit waldbaulichen Mitteln (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Einsatz einheimischer Baumarten aus anderen, z.B. trockeneren Wuchsgebieten oder anderer, nicht invasiver Baumarten, um die Ökosystemfunktionen auch bei einem starken Klimawandel zu gewährleisten (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Entwicklung von waldbaulichen Massnahmen zur Steigerung der Anpassungsfähigkeit und der Risikodiversifizierung unter Berücksichtigung von Biodiversitätsaspekten (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) Schnittstelle Waldwirtschaft/Raumentwicklung ­ Sicherung von Freiräumen und Erholungsräumen (Hauptverantwortung: ARE; weitere betroffene Sektoren: B) ­ Sicherung des Schutzwaldes und der Schutzfunktion des Waldes (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: W, B) Schnittstelle Energie/Biodiversitätsmanagement ­ Schutz der Gewässerökologie bei verändertem Abflussregime bei Kraftwerken aufgrund des Klimawandels oder klimabedingter Veränderungen in der Bewirtschaftung: ­ Mindestwasserführung der
Fliessgewässer, Spülung von Staubecken, Lebensraumveränderungen in und an Gewässern ­ Einleitung von Kühlwasser bei erhöhten Wassertemperaturen in Flüssen (AKW, thermische Kraftwerke) (Hauptverantwortung: BAFU; weitere betroffene Sektoren: W) Schnittstelle Energie/Gesundheit ­ Festlegung/Umsetzung von Bauvorschriften, die auch unter veränderten Klimabedingungen ein angenehmes Wohn- und Arbeitsklima durch bau- und energietechnisch optimierte Regulierung der Innentemperatur gewährleisten. Dabei soll auf besonders sensible Bevölkerungsgruppen geachtet werden (z.B. ältere Personen, Kranke, Säuglinge).

(Hauptverantwortung: BFE (BAG); weitere betroffene Sektoren: R)

3836

Schnittstelle Energie/Raumentwicklung ­ Umsetzung einer Raumplanung, die mit geeigneter Art, Anordnung und Anzahl von Grünflächen die Überhitzung von Siedlungen entschärft (Gewährleistung der Luftzirkulation/natürlichen Kühlung in bebauten Gebieten) (Hauptverantwortung: ARE (BFE); weitere betroffene Sektoren: G) ­ Sicherung kritischer Infrastrukturen der Energieversorgung (Hauptverantwortung: ARE (BFE); weitere betroffene Sektoren: N) Schnittstelle Biodiversitätsmanagement/Gesundheit ­ Überwachung des Vorkommens und der Ausbreitung neu auftretender Arten, welche die Gesundheit von Mensch und Nutztieren beeinträchtigen (Vektoren, Wirtstiere, allergene Pflanzen) (Hauptverantwortung: BAG, BVET, BAFU; weitere betroffene Sektoren: L) ­ Berücksichtigung der Risiken von Feuchtbiotopen als potenzielle Habitate für neue, feuchtigkeitsliebende Vektoren (Hauptverantwortung: BAG, BVET, BAFU; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Unterstützen der ökologischen Infrastruktur als zentrales Bindeglied zwischen urbaner Biodiversität und Gesundheit der urbanen Bevölkerung (Hauptverantwortung: BAG, BVET, BAFU; weitere betroffene Sektoren: R) Schnittstelle Biodiversitätsmanagement/Raumentwicklung ­ Einbinden von Biodiversitätsaspekten in die Siedlungsplanung durch Ausscheiden ausreichend grosser und naturnaher Grünräume (Hauptverantwortung: BAFU, ARE; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Erhaltung von Landschaften mit reichhaltigem Lebensraummosaik und ihren Ökosystemleistungen im Rahmen der Raumplanung (Hauptverantwortung: BAFU, ARE; weitere betroffene Sektoren: keine) ­ Abstimmen von Siedlungsgebieten und Infrastrukturen auf nationales Biotopverbundsystem (Vernetzung Lebensräume) (Hauptverantwortung: BAFU, ARE; weitere betroffene Sektoren: keine) Schnittstelle Gesundheit/Raumentwicklung ­ Minimierung des Wärmeinsel-Effektes mit städtebaulichen Mitteln (Durchlüftungskorridore, Vorgaben zu Oberflächenmaterialien, Grünzonen/Begrünung) (Hauptverantwortung: ARE; weitere betroffene Sektoren: E)

6

Schritte zur Umsetzung der Strategie

Die Anpassungsstrategie bildet die Grundlage für das koordinierte Vorgehen der Bundesämter bei der Anpassung an den Klimawandel. Dabei handelt es sich um eine langfristige Aufgabe. Dementsprechend wichtig ist es, die Strategie unter Berücksichtigung des fortschreitendenden Klimawandels, der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und der gemachten Erfahrungen und erzielten Fortschritte bei der Anpassung kontinuierlich zu verbessern und weiterzuentwickeln.

Der vorliegende erste Teil der Anpassungsstrategie enthält keinen Massnahmenkatalog. Anpassungsmassnahmen sollen von den zuständigen Departementen in einem weiteren Arbeitsschritt konkretisiert und bis Ende 2013 in einem gemeinsamen Aktionsplan dargestellt und koordiniert werden. Auf Bundesebene soll die Umsetzung der Massnahmen innerhalb der jeweiligen Sektorpolitiken erfolgen und den Fachämtern obliegen.

3837

Analog zur Erarbeitung des ersten Teils der Anpassungsstrategie moderiert das BAFU den Prozess der Erarbeitung des Aktionsplans. Dabei sind die Zuständigkeiten von Bund, Kantonen und Privaten zu berücksichtigen und die verschiedenen Akteure einzubeziehen. Ebenso gilt es, die Massnahmen auf die weiteren sektorübergreifenden Strategien des Bundesrates abzustimmen.

Der Aktionsplan Anpassung an den Klimawandel soll folgende Elemente enthalten: ­

Massnahmen zur Verbesserung der Wissensgrundlagen Für die Umsetzung und Weiterentwicklung der Anpassungsstrategie muss die Wissensgrundlage verbessert werden. Dabei zeichnen sich folgende Schwerpunkte ab: Klimaszenarien: Abgestimmt auf die Fortschritte der Klimawissenschaft und das Vorliegen neuer, internationaler Klimamodellierungen sollen periodisch Klimaszenarien für die Schweiz berechnet und bereitgestellt werden.

Analyse der Auswirkungen des Klimawandels: In allen Sektoren bestehen Wissenslücken bezüglich der Auswirkungen des Klimawandels und den damit verbundenen Kosten. Um die Grundlagen für die Planung von Massnahmen zu verbessern, müssen diese Lücken geschlossen werden.

Risikoanalyse: Die Analyse der klimabedingten Risiken und Chancen in der Schweiz wird wichtige quantitative Grundlagen für das Setzen von Schwerpunkten bei der Anpassung an den Klimawandel liefern. Bereits wurde eine Methode für die integrale Risikoanalyse entwickelt. Sie soll in den folgenden Arbeitsschritten landesweit angewendet werden.

­

Massnahmen zur Erreichung der Anpassungsziele in den Sektoren Unter Berücksichtigung der verbesserten Wissensgrundlage sollen die zuständigen Bundesämter die in Kapitel 4 formulierten Anpassungsziele der Sektoren konkretisieren und Massnahmen entwickeln, um diese Ziele zu erreichen. Diese Massnahmenbündel werden im gemeinsamen Aktionsplan zusammengefasst.

­

Koordination von Massnahmen Im Rahmen des Aktionsplans sollen die Massnahmen der Sektoren aufeinander abgestimmt werden, um potenzielle Synergien bei der Anpassung an den Klimawandel zu nutzten und mögliche Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu lösen. Dies ist notwendig, da die in Kapitel 2 definierten wichtigsten Herausforderungen bei der Anpassung an den Klimawandel Massnahmen in unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen erfordern und daher von den betroffenen Bundesämtern koordiniert angegangen werden müssen. Ebenso besteht Koordinationsbedarf bei den in Kapitel 5 identifizierten bilateralen Schnittstellen zwischen den Handlungsfeldern verschiedener Sektoren. Im Aktionsplan sollen basierend auf den in vorliegendem ersten Teil der Strategie festgelegten sektoralen Zielen Zuständigkeiten geklärt und die Massnahmen der Sektoren koordiniert werden. Das BAFU moderiert den Koordinationsprozess.

3838

­

Evaluation Ressourcenbedarf und Finanzierung Der Ressourcenbedarf für die Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ist sorgfältig zu eruieren. Er soll möglichst durch Prioritätensetzungen innerhalb der für die Aufgabenbereiche verfügbaren Budgets gedeckt werden. Wo für neue Aufgaben zusätzliche finanzielle und personelle Mittel benötigt werden, sollen Möglichkeiten zur Finanzierung vorgeschlagen werden.

­

Zusammenarbeit mit den Kantonen Der vorliegende erste Teil der Anpassungsstrategie behandelt die Anpassung an den Klimawandel aus der Sicht des Bundesrates. Verschiedene Handlungsoptionen tangieren aber auch bestehende Verbundaufgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden oder kantonale bzw. kommunale Aufgaben. Um eine koordinierte und effiziente Anpassung an den Klimawandel zu erreichen, müssen die Aktivitäten auf allen institutionellen Ebenen aufeinander abgestimmt werden. In den kommenden Jahren soll die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Hinblick auf die Anpassung an den Klimawandel aufgebaut und verstärkt werden.

­

Erfolgskontrolle und Berichterstattung Die Fortschritte bei der Anpassung an den Klimawandel und bei der Umsetzung der Anpassungsstrategie sollen vor dem Hintergrund der Ziele und Grundsätze (Kap. 3) in regelmässigen Abständen überprüft werden. Die Eckdaten dieses Controllings werden im Aktionsplan zu präzisieren sein.

Dabei soll einerseits die erzielte Wirkung der einzelnen Massnahmen im Rahmen der ordentlichen Wirkungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch die zuständigen Fachämter geprüft werden. Andererseits sollen der Stand der Umsetzung des Aktionsplans (Umsetzungscontrolling) sowie der integrale Beitrag des Aktionsplans zur Reduktion der klimabedingten Risiken periodisch flächendeckend analysiert werden.

­

Weiterentwicklung der Strategie Unter Berücksichtigung der erzielten Fortschritte bei der Anpassung, der verbesserten Wissensgrundlage und der Entwicklungen in den Nachbarländern soll die Anpassungsstrategie in regelmässigen Abständen evaluiert und weiterentwickelt werden. Die Modalitäten der Evaluation und Überarbeitung der Anpassungsstrategie sind Gegenstand des Aktionsplans.

3839

Anhang

A1.

Vorgehen und Methodik

Die Entwicklung des vorliegenden ersten Teils der Anpassungsstrategie umfasste sechs Arbeitsschritte (Abbildung A1.1). Zunächst wurden die klimatologischen Grundlagen für die Anpassungsstrategie definiert (Arbeitsschritt 1, Anhang A2.1).

Dann wurden übergeordnete Ziele und Grundsätze für die Anpassung an den Klimawandel formuliert (Arbeitsschritt 2, Kap. 3). Für die Strategie wurden sodann die wichtigsten Sektoren der Anpassung auf Bundesebene identifiziert (Arbeitsschritt 3, Anhang A1.1). Für diese Sektoren wurden Teilstrategien entwickelt (Arbeitsschritt 4, Kap. 4). In einem weiteren Arbeitsschritt wurden die Schnittstellen zwischen den sektoralen Teilstrategien analysiert (Arbeitsschritt 5, Kap. 5).

Abschliessend wurden ­ basierend auf den in den Arbeitsschritten 1­5 erarbeiteten Resultaten ­ die wichtigsten Herausforderungen bei der Anpassung an den Klimawandel auf Bundesebene synthetisiert (Arbeitsschritt 6, Kap. 2).

1. Klimatologische Grundlagen

2. Ziele und Grundsätze der Anpassung

6. Synthese

3. Identifikation der wichtigsten Sektoren der Anpassung

5. Analyse Schnittstellen zwischenTeilstrategien 4. Teilstrategien für die wichtigsten Sektoren

Abbildung A1.1: Arbeitsschritte bei der Entwicklung des ersten Teils der Anpassungsstrategie.

Bei der Anpassung an den Klimawandel handelt es sich um einen längerfristigen Prozess. Die Anpassungsstrategie beruht auf dem aktuellen Wissensstand zur künftigen Klimaentwicklung, zu den Auswirkungen des Klimawandels und zu den Möglichkeiten zur Anpassung. Diese Wissensgrundlage wird sich mit fortschreitendem Klimawandel, mit Fortschritten in der Klimaforschung und mit gemachten Erfahrungen bei der Anpassung verbessern. Dementsprechend wird es möglich und erforderlich sein, die Strategie in regelmässigen Abständen zu evaluieren und zu überarbeiten.

3840

A1.1

Die wichtigsten Sektoren der Anpassung

Basierend auf Analysen der Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweiz36, 37, wurden neun Sektoren bestimmt, die vom Klimawandel in besonderem Ausmass betroffen sind. Die Auswahl fokussiert auf jene Sektoren, in denen ein Anpassungsbedarf aufgrund direkter klimabedingter Veränderungen in der Schweiz besteht und in denen der Bund Handlungsmöglichkeiten bei der Anpassung an den Klimawandel hat. Deshalb sind beispielsweise die Migration oder die Versicherungen hier nicht berücksichtigt. Die Verkehrsinfrastruktur wird im Sektor Umgang mit Naturgefahren behandelt.

38, 39

Die wichtigsten Bezüge der neun Sektoren zu den direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels sind in Abbildung A1.2 in Form einer einfachen Wirkungsmatrix dargestellt. Die Punkte zeigen, wo eine einseitige oder gegenseitige Wechselwirkung zwischen den Auswirkungen des Klimawandels und den Anpassungsmassnahmen der Sektoren besteht.

Klimawandel

Anpassungsmassnahmen

(Temperatur, Niederschlag, Wind) Wasser

Boden

Luft

Biodiversität

- Niederschlag - Abf luss - Grundwasser - Wasserqualität - Schnee - Eis

- C-Speicher - Fruchtbarkeit - Erosion

-Ozon -Aerosole -Feinstaub

- Phänologie - Ausbreitung - Aussterben - Migration - Neobiota -...

Wasserwirtschaft









Umgang mit Naturgefahren









Landwirtschaft











Waldwirtschaft











Energie





Tourismus





Biodiversitätsmanagement





Gesundheit





Raumentwicklung

























Abbildung A1.2: Wirkungsmatrix: Direkte und indirekte Auswirkungen des Klimawandels und Betroffenheit der Sektoren.

36 37 38 39

Meier R. (1997): Sozioökonomische Aspekte von Klimaänderungen und Naturkatastrophen in der Schweiz. NFP31 Synthesebericht.

OcCC (2002): Das Klima ändert ­ auch in der Schweiz. Die wichtigsten Ergebnisse des dritten Wissensstandsberichts des IPCC aus der Sicht der Schweiz.

OcCC (2007): Klimaänderungen und die Schweiz 2050.

UVEK (2007): Klimabericht. Bericht des UVEK über die zukünftige Klimapolitik der Schweiz.

3841

A1.2

Vorgehen bei der Entwicklung der Teilstrategien

Für acht der ausgewählten Sektoren wurden nach einem einheitlichen Vorgehen sektorale Teilstrategien entwickelt. Kurzversionen dieser Teilstrategien sind in Kapitel 4 dargestellt.

Die Anpassung an den Klimawandel im Sektor Tourismus wird in der bundesrätlichen Wachstumsstrategie für den Tourismusstandort Schweiz40 und im Umsetzungsprogramm für die Periode 2012­2015, das derzeit erarbeitet wird, behandelt. Die wichtigsten Aussagen sind in Kapitel 4.6 zusammengefasst.

Für die acht anderen Sektoren beinhaltet das Vorgehen folgende Arbeitsschritte:

40

1.

Identifikation der relevanten Bereiche Für jeden Sektor wurden die vom Klimawandel beeinflussten Bereiche identifiziert.

2.

Beurteilung der relevanten Bereiche Die Bereiche wurden bezüglich der Dimensionen «Einfluss des Klimawandels», «Relative Wichtigkeit der klimabedingten Veränderung» und «Klimabedingter Handlungsbedarf» beurteilt (Tabelle A1.1). Die Beurteilung der jeweiligen Dimension erfolgte qualitativ auf einer dreistufigen Skala (klein ­ mittel ­ gross). Die Beurteilung der Bereiche erfolgte aus der Sichtweise des jeweiligen Sektors. Es ist möglich, dass derselbe Bereich von verschiedenen Sektoren unterschiedlich beurteilt wurde. Da den einzelnen Dimensionen keine einheitlichen quantitativen Messgrössen zugrunde liegen, sind die Beurteilungen der Bereiche nur innerhalb eines Sektors und nicht zwischen den Sektoren miteinander vergleichbar. Die Beurteilung der Bereiche wird in einer Neun-Felder-Matrix dargestellt (Abbildung A1.3).

Der Schweizerische Bundesrat (2010): Wachstumsstrategie für den Tourismusstandort Schweiz.

3842

gross mittel

Bereich A

Handlungsbedarf klein

Einfluss des Klimawandels

Bereich B

gross

Bereich C

mittel klein klein

mittel

gross

Relative Wichtigkeit der Veränderung Abbildung A1.3: Neun-Felder-Matrix zur Beurteilung der vom Klimawandel beeinflussten Bereiche eines Sektors. Die Bereiche werden entsprechend ihrer Beurteilung als farbige Kreise in der NeunFelder-Matrix platziert. Als Beispiel sind die fiktiven Bereiche A, B und C dargestellt.

Tabelle A1.1: Drei Dimensionen zur Beurteilung der Bereiche Einfluss des Klimawandels: Der Einfluss der Klimaänderung beschreibt, wie stark ein Bereich von der Klimaänderung direkt oder indirekt beeinflusst werden kann. Dabei kann es sich sowohl um negative als auch um positive Veränderungen handeln.

Beurteilung: klein, klein-mittel, mittel, mittel-gross, gross Relative Wichtigkeit der Veränderung: Die relative Wichtigkeit der Veränderung zeigt, wie wichtig die erwartete klimabedingte Veränderung in dem jeweiligen Bereich aus der Gesamtsicht des Sektors ist. Die Kriterien für die Beurteilung sind sektorenspezifisch.

Beurteilung: klein, klein-mittel, mittel, mittel-gross, gross Handlungsbedarf: Bei der Beurteilung des Handlungsbedarfs wird berücksichtigt, welche Anpassungsmassnahmen bereits unternommen wurden und welche zusätzlich möglich sind. Es ist also möglich, dass Bereiche mit mittlerem oder grossem Einfluss auf der Achse der Klimaänderung und/oder einer relativen Wichtigkeit auf der Achse der

3843

Veränderung einen kleinen Handlungsbedarf aufweisen, da die möglichen Massnahmen bereits eingeleitet wurden. Der Handlungsbedarf, der unabhängig von der Klimaänderung besteht, wird bei der Beurteilung nicht berücksichtigt.

Beurteilung: klein, mittel, gross 3.

Identifikation der Handlungsfelder der Anpassung Aufgrund der Beurteilung der Bereiche wurden für jeden Sektor die Handlungsfelder der Anpassung bestimmt. Handlungsfelder sind diejenigen Bereiche, die in allen drei Dimensionen als mittel oder gross eingestuft sind.

Bereiche, die in einer Dimension als klein eingestuft sind, werden nicht zum Handlungsfeld.

4.

Strategische Ziele für die Handlungsfelder Für die Handlungsfelder wurden strategische Ziele für die Anpassung an den Klimawandel formuliert.

5.

Handlungsoptionen Abschliessend wurde die Stossrichtung skizziert, wie die formulierten strategischen Ziele auf Bundesebene erreicht werden können.

In keinem der betrachteten Sektoren liegen umfassende, quantitative Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels vor. Bei der Entwicklung der Teilstrategien musste deshalb vorwiegend auf Expertenwissen zurückgegriffen werden. Um zu gewährleisten, dass es sich dabei nicht um Einzelmeinungen handelt, wurden die Teilstrategien von Fachpersonen verwaltungsintern und/oder -extern begutachtet und die darin gemachten Aussagen konsolidiert.

3844

A2.

A2.1

Klimazukunft der Schweiz Klimaszenarien für die Schweiz

Als zentrale Grundlagen für die Erarbeitung der Anpassungsstrategie werden aussagekräftige Informationen zum beobachteten und zukünftigen Klimaverlauf benötigt.

Die Anpassungsziele der Sektoren (Kap. 4) und die Massnahmen zur Erreichung dieser Ziele müssen auf die möglichen klimatologischen Veränderungen ausgerichtet sein. Im Rahmen des vorliegenden ersten Teils der Strategie wurde dabei auf die Klimaszenarien, welche im Rahmen des Projekts Klimaänderung und die Schweiz 2050 bereitgestellt wurden (CH2007-Szenarien)41, 42, zurückgegriffen.

Parallel zur Erarbeitung der Anpassungsstrategie haben verschiedene Forschungsinstitutionen unter der Koordination des Bundesamtes für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz die Aktualisierung der CH2007-Szenarien vorgenommen.43 Diese neuen «Schweizer Klimaszenarien CH2011» (www.ch2011.ch) werden die Grundlage für die künftigen Arbeiten im Rahmen der Anpassungsstrategie sein.

A2.1.1

Der beobachtete Schweizer Klimaverlauf

Für die Abschätzung des aktuellen Klimaverlaufs ist mit den qualitativ hochwertigen und langen Klimamessreihen in der Schweiz, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, eine einzigartige Grundlage vorhanden.44 Diese Daten bilden die Basis, um relevante Klimaindikatoren (Bsp. Hitzetage, Starkniederschläge, Trockenperioden) zu berechnen. Analysen zeigen:

41 42 43 44

­

Die Erwärmung in der Schweiz ist eindeutig nachweisbar und beträgt von Beginn der Industrialisierung (1864) bis 2010 ca. 1.7 °C. Während desselben Zeitraums haben die globalen Temperaturen um ca. 0.7 °C zugenommen.

­

Beim mittleren Niederschlag sind aufgrund der grossen jährlichen Schwankungen bisher kaum Veränderungen feststellbar.

­

Insbesondere im Mittelland zeigt sich eine Tendenz zu mehr Sommer- und Hitzetagen.

­

Die Anzahl Frosttage hat seit den 1960er-Jahren deutlich abgenommen.

­

Die Nullgradgrenze im Winter ist seit den 1960er-Jahren um ca. 300 m gestiegen.

OcCC (2007): Klimaänderungen und die Schweiz 2050.

Frei C. (2006): Die Klimazukunft der Schweiz ­ eine probabilistische Projektion.

CH2011 (2011): Swiss Climate Change Scenarios, published by C2SM, MeteoSwiss, ETH Zurich, NCCR Climate and OcCC.

Begert M. 2008: Repräsentativität der Stationen im Swiss National Basic Climatological Network. Arbeitsberichte der MeteoSchweiz, 217.

3845

A2.1.2

Der zukünftige Schweizer Klimaverlauf gemäss neuen Klimaszenarien CH2011

Das Klima in der Schweiz wird ab Mitte des 21. Jahrhunderts in zunehmendem Ausmass durch die künftige Entwicklung der globalen Treibhausgasemissionen beeinflusst. Als Grundlage für die CH2011-Szenarien wurden deshalb drei verschiedene Emissionsszenarien verwendet (Abbildung A2.1 links). Bei zwei Emissionsszenarien (A2 und A1B) wird von einer weiteren Zunahme der Emissionen ausgegangen, bei einem Emissionsszenario (RCP3PD) wird angenommen, dass die Emissionen bis 2050 um 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 gesenkt werden. Letzteres entspricht ungefähr einem Szenario zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 °C seit Beginn der Industrialisierung.

Die neuen CH2011-Resultate zeigen, dass mit Reduktionsmassnahmen, die auf eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 °C ausgerichtet sind, die Erwärmung in der Schweiz zwei bis drei Mal tiefer ausfallen würde (1.4 °C als wahrscheinlichster Wert), als wenn keine Reduktionsmassnahmen ergriffen werden (Abbildung A2.1 Mitte). Eine zusätzliche Erwärmung um 1.4 °C entspricht etwa der beobachteten Erwärmung zwischen 1864 und 2010 (1.7 °C).

Aufgrund der CH2011-Klimaszenarien sind bis Ende des 21. Jahrhunderts folgende Veränderungen gegenüber den Durchschnittswerten der Periode 1980­2009 zu erwarten. Dabei ist zu beachten, dass sich das Klima in der Schweiz seit Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts schon signifikant verändert hat: ­

Temperatur: Die Mitteltemperaturen werden sehr wahrscheinlich in allen Regionen und Jahreszeiten ansteigen. Ohne Interventionsmassnahmen ist in der Schweiz eine Erwärmung um 2.7 °C bis 4.8 °C zu erwarten. Mit Interventionsmassnahmen würde sich das Schweizer Klima immer noch erwärmen, jedoch deutlich geringer um 1.2 °C bis 1.8 °C.

­

Niederschlag: In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dürften die mittleren Niederschlagsmengen im Sommer wahrscheinlich überall in der Schweiz abnehmen (­18 bis ­28 %, Abbildung A2.1 rechts), Winterniederschläge in der Südschweiz wahrscheinlich zunehmen. Gemäss Modellaussagen können Niederschläge in anderen Regionen und Jahreszeiten zu- oder abnehmen.

Zusammen mit diesen Änderungen der mittleren Temperatur und des mittleren Niederschlags ist auch eine Änderung im Charakter von Extremereignissen zu erwarten.

­

Es ist von häufigeren, intensiveren und länger anhaltenden Wärmeperioden und Hitzewellen im Sommer auszugehen, während die Zahl der kalten Wintertage und -nächte vermutlich abnehmen wird.

­

Projektionen der Häufigkeit und Intensität von Niederschlagsereignissen sind mit grösseren Unsicherheiten behaftet, markante Änderungen können jedoch nicht ausgeschlossen werden.

­

Für Hagel und Stürme sind vorerst keine gesicherten Aussagen möglich.

Aufgrund der methodischen Unterschiede in CH2011 und CH2007 ist ein quantitativer Vergleich nicht möglich. Ein qualitativer Vergleich zeigt: ­

3846

Die projizierte Erwärmung und Austrocknung im Sommer in CH2011 ist leicht geringer als in CH2007.

CH2011 zeigt keine konsistente Niederschlagsänderung für Herbst, Winter und Frühling, d. h., der Niederschlag kann zu- oder abnehmen. CH2007 projizierte konsistente Niederschlagsänderungen für diese drei Saisons.

6

120 A2

100 80

A1B

60 40 20

RCP3PD

5 4 3 A2

2

A1B

1

Niederschlagsänderung im Sommer (%)

140

Temperaturänderung (°C)

Globale Emissionen von Totalen Treibhausgasen (GtCO2eq/Jahr)

­

10 RCP3PD 0 A1B -10

A2

-20 -30 -40

RCP3PD 0

1900 1920 1940 1960 1980 2000 2020 2040 2060 2080 2100

0 2070-2099 rel. 1980-2009

-50 2070-2099 rel. 1980-2009

Jahr

Abbildung A2.1: Drei verschiedene Annahmen der Entwicklung des weltweiten Treibhausgasausstosses (links) und die erwarteten Veränderungen. Jahrestemperaturen (Mitte) und Sommerniederschläge (rechts) in der Schweiz für die Periode 2070­2099 relativ zu 1980­2009. Die horizontalen schwarzen Linien zeigen die beste Schätzung, die farbigen Balken eine Abschätzung der Unsicherheiten in den jeweiligen Projektionen.

A2.2

Auswirkungen des Klimawandels auf die Schweiz

Der Klimawandel wirkt sich auch in der Schweiz auf die natürlichen Systeme und sozioökonomischen Bereiche aus. Eine detaillierte Analyse der Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft wurde 2007 veröffentlicht.45 In diesem Kapitel sind die wichtigsten klimabedingten Veränderungen, wie sie aufgrund des in A2.1 dargestellten Klimaszenarios bis 2050 erwartet werden, in der Übersicht zusammengefasst.

A2.2.1 A2.2.1.1

Klimabedingte Veränderungen in natürlichen Systemen Wasserkreislauf

In den kommenden Jahrzehnten werden zusammenfassend folgende klimabedingte Veränderungen im Wasserkreislauf erwartet: ­

45

Veränderung der Niederschlagsverteilung: Bis 2050 wird in der ganzen Schweiz mit einer Zunahme der mittleren Niederschläge um rund 10 Prozent im Winter und mit einer Abnahme um rund 15 bis 20 Prozent im Sommer gerechnet. Für Frühling und Herbst sind die Szenarien weniger klar, es sind sowohl Niederschlagszunahmen als auch -abnahmen möglich.

OcCC (2007): Klimaänderungen und die Schweiz 2050.

3847

46

­

Beschleunigung der Gletscherschmelze: Je nach Ausmass der Erwärmung und der Veränderung der Niederschläge wird die Fläche der Alpengletscher bis 2050 im Vergleich zur Referenzperiode 1971­1990 um ungefähr 50 bis 90 Prozent abnehmen.

­

Steigende Schneefallgrenze: Bis 2050 wird die Schneefallgrenze bei einer mittleren Erwärmung im Winter (+1.8 °C) um ungefähr 360 m gegenüber der durchschnittlichen Lage in der Periode 1959­1997 ansteigen. In tiefen und mittleren Höhenlagen fällt weniger Niederschlag in Form von Schnee, stattdessen wird es mehr regnen.

­

Schwindende Schneereserven: Aufgrund der höheren Schneefallgrenze und der früheren Schneeschmelze nimmt die im Frühjahr im Schnee gespeicherte Wassermenge ab. Die Wasserführung der Alpenflüsse, welche nicht von Gletschern gespeist sind, wird sich deshalb in trockenen Sommern deutlich verringern.

­

Zunahme der Verdunstung: Bei ausreichenden Regenfällen dürfte die Verdunstung wegen der Erwärmung und der abnehmenden Schnee- und Eisflächen leicht zunehmen.

­

Abnahme des Abflusses: Das mittlere jährliche Abflussvolumen der Schweizer Flüsse wird wegen der Verminderung der Niederschläge und der Zunahme der Verdunstung abnehmen. Der maximale Abfluss nimmt ebenfalls ab und erfolgt früher im Jahr. Im Sommer werden Niedrigwasserperioden länger dauern und die Wasserführung abnehmen.

­

Wasserstand in Seen: Die Seezuflüsse verändern sich mit dem Abflussregime (höhere Volumina im Winter, geringere im Sommer). Die Ansprüche an die Seeabflüsse betreffend Niedrigwasseraufhöhung, Brauchwasserbedarf und Hochwasserrückhalt werden steigen (ausser dem Bodensee und dem Walensee sind alle Seen reguliert), was wiederum die Seespiegel beeinflusst.

­

Zunahme von Niedrigwasser: Im Sommer werden Niedrigwasserperioden in kleineren bis mittleren Fliessgewässern im Mittelland, Jura und Tessin zunehmen. In Gebieten, wo Gletscher verschwinden, werden sich die Abflussregime massgeblich verändern, und es kann im Spätsommer vermehrt zu Trockenperioden kommen.

­

Veränderung von Hochwasser: Auf der Alpennordseite unterhalb 1500 m ü. M. werden im Winter höhere Hochwasserspitzen erwartet. Im Sommer werden Hochwasser in tieferen Lagen geringer ausfallen. Insbesondere in kleinen Einzugsgebieten können jedoch konvektive Niederschläge (Gewitter) Hochwasser verursachen. Auf der Alpensüdseite wird im Winter und Frühling eine Zunahme der Hochwasser erwartet. Im Sommer könnten aufgrund der geringeren Niederschläge die Abflussspitzen in grösseren Einzugsgebieten abnehmen.46

KOHS (2009): Auswirkungen der Klimaänderung auf den Hochwasserschutz in der Schweiz. Ein Standortpapier der Kommission Hochwasserschutz im Schweizerischen Wasserwirtschaftsverband (KOHS). Wasser Energie Luft , S. 55­57.

3848

­

Geschiebetransport: Mit dem Auftauen des Permafrostes und dem Rückzug der Gletscher vergrössert sich das Geschiebepotenzial im Alpenraum. Mit der Zunahme der Niederschlagsintensität gelangen höhere Geschiebe- und Schwebstofffrachten in die Wildbäche und Stauräume.

­

Steigende Wassertemperatur: Mit der Klimaerwärmung wird die Wassertemperatur in Fliessgewässern weiter ansteigen. Bei verminderter Schneeund Eisbedeckung dürfte die Wassertemperatur in den höher gelegenen Gebieten überproportional ansteigen.

­

Beeinträchtigung der Wasserqualität: Höhere Wassertemperaturen führen zu einem verminderten Sauerstoffgehalt in Gewässern. In extremen Niedrigwasserzeiten können die Schadstoffkonzentrationen entsprechend ansteigen. Bei der Infiltration ins Grundwasser kann die Grundwasserqualität und entsprechend die Trinkwasserqualität beeinträchtigt werden.

­

Veränderung der Grundwasserneubildung: Die Grundwasserneubildung wird im Sommer und Herbst in allen nicht vergletscherten Gebieten abnehmen, im Winter in schneefreien Gebieten hingegen zunehmen.

A2.2.1.2

Boden

Der Boden ist Lebensraum für Organismen, Substrat für die Vegetation, und er regelt den Wasser- und Stoffkreislauf. Er ist als CO2-Speicher ein bedeutendes Element des Kohlenstoffkreislaufs. Diese wichtigen Funktionen werden durch den Klimawandel in zunehmendem Mass beeinträchtigt:

47

­

Zunahme der Erosion: Wegen häufigerer und stärkerer Niederschläge wird die Erosion in gewissen Gebieten zunehmen. Betroffen sind u. a. Ackerböden mit geringer Pflanzenbedeckung und Schuttflächen in Hanglagen in vormals vergletscherten Alpentälern.

­

Abnahme der Hangstabilität: Als Folge der abschmelzenden Gletscher, des auftauenden Permafrosts und der zunehmenden Starkniederschläge nimmt die Hangstabilität in den betroffenen Gebieten ab. Dadurch erhöht sich die Gefahr von Rutschungen, Steinschlag, Felsstürzen und Murgängen.

­

Abnahme der Bodenfeuchte: Lang anhaltende Trockenheit hat einerseits negative Auswirkungen auf die Vegetation. Andererseits kann weniger Bodenfeuchte verdunsten, und der Abkühlungseffekt der Verdunstung ­ ein wichtiger Puffer bei Hitzewellen ­ nimmt ab.47

­

Humusabbau, -zusammensetzung und Bodenmineralien: Steigende Temperaturen fördern den Humusabbau. Die Speicher-, Puffer- und Filterkapazität der Böden nimmt dadurch ab. Je nach Höhenlage kann sich die Vegetation innert einigen Jahrzehnten den veränderten Klimabedingungen anpassen.

Die Ausbreitung neuer Pflanzenarten kann zu Veränderungen der Humuszusammensetzung und der Bodenmineralien führen.

Hirschi M., Seneviratne S.I., Alexandrov V., Boberg F., Boroneant C., Christensen O.B. et al. (2011): Observational evidence for soil-moisture impact on hot extremes in southeastern Europe. Nature Geoscience , S. 17­21.

3849

­

Veränderung der CO2-Speicherfähigkeit: Bezüglich der Prozesse der Kohlenstoffeinlagerung im Boden und der CO2-Emission aus dem Boden bestehen grosse Unsicherheiten. Die höhere CO2-Konzentration in der Atmosphäre kann (kurzfristig) zu einem stärkeren Pflanzenwachstum führen (CO2-Düngungseffekt). Über das wachsende Wurzelwerk gelangt mehr organischer Kohlenstoff in tiefere Bodenschichten. Möglicherweise wird über die dort einsetzende mikrobielle Zersetzung auch bereits früher im Boden eingelagerter Kohlenstoff mobilisiert. Generell dürften wegen höherer Temperaturen die Aktivität der Bodenorganismen bei der Zersetzung von organischem Material und die damit verbundene CO2-Emissionen aus dem Boden zunehmen.48

A2.2.1.3

Luft

Für Auswirkungen des Klimawandels auf die Luftqualität ist die Entwicklung der relevanten Grosswetterlage (Winde, Strahlung, Wolkenbildung, Niederschläge, Temperatur) massgebend. Die Einschätzung dieser Entwicklung ist für die Schweiz noch zu wenig präzis, um eindeutige Aussagen machen zu können.

Ein mögliches Szenario geht dahin, dass als Folge des Klimawandels stabile Hochdrucklagen in Mitteleuropa zunehmen könnten. Sie sind eine Voraussetzung für hohe Schadstoffkonzentrationen in der Luft. Im Sommer begünstigen Sonnenschein, hohe Temperaturen und stagnierende Luftmassen die Ozonbildung. Damit könnten Hitzeperioden wie im Sommer 2003 häufiger vorkommen. Im Winter käme es in schlecht durchlüfteten Gebieten vermehrt zu stabilen Inversionslagen mit hohen Feinstaubkonzentrationen.

A2.2.1.4

Biodiversität

Die Biodiversität kann sich aufgrund des Klimawandels zum Teil irreversibel verändern. Die Auswirkungen49 lassen sich wie folgt zusammenfassen: ­

48 49

50

Phänologische Veränderungen: Mit der Erwärmung werden sich die Entwicklungsphasen von Pflanzen verschieben und der Lebensrhythmus von manchen Tieren verändern.50

Heimann M., Reichstein M. (2008): Terrestrial ecosystem carbon dynamics and climate feedbacks. Nature 451, S. 289­292.

Zangger A., Martinez N., Kohli L. (2010): Klimaanpassungsstrategie: Teilstrategie Biodiversitätsmanagement ­ Bereinigte Version gemäss der Besprechung mit Vertretern von AMA und N+L vom 1. Juni 2010.

Defila C., Müller-Ferch G. (2003): Erste Spuren der Klimaänderung in der Pflanzen- und Tierwelt. Climate Press.

3850

­

Veränderung der Interaktionen zwischen den Arten: Phänologische Veränderungen können dazu führen, dass bestimmte Interaktionen zwischen Arten, beispielsweise der Blühzeitpunkt und die Präsenz von Bestäubern oder Räuber-Beute-Beziehungen, nicht mehr aufeinander abgestimmt sind.51, 52

­

Veränderungen des Verbreitungsgebiets einzelner Arten und Populationen: Arten, die auf ein bestimmtes Klima angewiesen sind, werden ihren Lebensraum nach Möglichkeit dem sich ändernden Klima anpassen. Aufgrund dieser Verschiebungen kommt es lokal zu einer Veränderung der Artenzusammensetzung: Neue Arten wandern zu, bestimmte einheimische Arten werden häufiger, andere werden seltener oder verschwinden.53

­

Aussterben von Arten: Arten können durch den Klimawandel in ihrer Existenz bedroht sein, wenn ihr Verbreitungsgebiet schrumpft oder ganz verloren geht, beziehungsweise wenn die Art neue potenzielle Lebensräume wegen einer geringen Ausbreitungsfähigkeit, natürlicher oder anthropogener Barrieren oder veränderter Konkurrenz- und Nahrungsbeziehungen nicht besiedeln kann.

­

Einwandern/Einschleppung von neuen Arten: Als Folge des Klimawandels können neue Arten aus wärmeren Ländern in die Schweiz einwandern oder ­ wenn sie durch den Menschen eingeschleppt werden ­ sich hierzulande etablieren. Manche Arten können als Bereicherung der einheimischen Flora und Fauna angesehen werden. Es können sich aber auch invasive Organismen darunter befinden, welche die menschliche oder tierische Gesundheit beeinträchtigen oder heimische Tier- und Pflanzenarten verdrängen.54

­

Beeinträchtigung evolutionärer Prozesse durch genetische Verarmung: Die klimabedingte Abnahme und Verschiebung von Verbreitungsgebieten führt zur Fragmentierung von Lebensräumen. Sie beeinträchtigt den genetischen Austausch zwischen den Populationen und kann zu einer verminderten genetischen Anpassungsfähigkeit der Arten führen.

­

Beeinträchtigung von Ökosystemleistungen: Die geschilderten Veränderungen können dazu führen, dass gewisse Funktionen von Ökosystemen beeinträchtigt werden und wichtige Leistungen, die sie bis anhin erbracht haben, künftig nicht mehr in gleichem Masse erbringen können.

Die direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels können zu einer Verringerung der Vielfalt natürlicher Lebensräume und längerfristig zur Veränderung der landschaftlichen Eigenart beitragen.

51 52

53 54

Walther G.-R. (2010): Community and ecosystem responses to recent climate change.

Phil. Trans. R. Soc. B365 , S. 2019­2024.

Schweiger O., Biesmeijer J., Bommarco R., Hickler T., Hulme P., Klotz S. et al. (2010): Multiple stressors on biotic interactions: how climate change and alien species interact to affect pollination. Biol. Rev. Camb. Philos. Soc. 85 , S. 777­795.

Rebetez M. (2006): La Suisse se réchauffe ­ effet de serre et changement climatique.

Walther G.-R., Roques A., Hulme P.E., Sykes M. T., Pysek P., Kühn I. et al. (2009): Alien species in a warmer world: risks and opportunities. Trends in Ecology and Evolution 24(12), S. 686­693.

3851

A2.2.2

Klimabedingte Veränderungen in sozioökonomischen Bereichen

Der Klimawandel (A2.1) und die Folgen für die natürlichen Systeme (A2.2.1) werden sich auf die Gesellschaft und die Wirtschaft auswirken. Die nachfolgenden Abschnitte geben eine Übersicht über die wichtigsten Veränderungen in den betroffenen Sektoren.

A2.2.2.1

Wasserwirtschaft

Die klimabedingten Veränderungen des Wasserkreislaufs wirken sich auf alle Sektoren der Wasserwirtschaft aus. Die Wassernutzung ist einerseits durch die leicht geringeren Abflüsse (Einbusse bei der Stromproduktion) und andererseits durch die mögliche Zunahme von Trockenheit und Niedrigwasser im Sommer betroffen. In kleinen und mittleren Einzugsgebieten können sich Nutzungskonflikte ergeben, zumal gerade in dieser Jahreszeit der Bedarf an Bewässerungswasser (Landwirtschaft) und Brauchwasser (Kühlwasser) gross ist. Betroffen ist auch die Siedlungswasserwirtschaft: Allfällige Engpässe im Wasserdargebot schränken private Trinkwasserversorgungen, die ungenügend vernetzt sind, ein; die Abwasserreinigung, die auf eine ausreichende Wasserführung in den Vorflutern für die Einleitung und Verdünnung des Klärwassers angewiesen ist, wird von den niedrigen Wasserständen beeinträchtigt. Die Zunahme der Wassertemperaturen wirft Qualitätsfragen auf und setzt der Wasserkühlung insbesondere bei der Energieproduktion in den thermischen Kraftwerken Grenzen. Der Gewässerschutz ist gefordert, auch bei möglicherweise häufigerem Niedrigwasser ausreichende Restwassermengen und eine ausreichende Wasserqualität zu gewährleisten. Die mögliche klimabedingte Zunahme von Hochwasser bedeutet eine zusätzliche Herausforderung für den Hochwasserschutz.

Aus den skizzierten Veränderungen ergeben sich neue Anforderungen an die Seeregulierung (Alpenrandseen) und an die Bewirtschaftung der alpinen Speicherseen.

Bei den internationalen Gewässern müssen die Ansprüche der Nachbarländer in zunehmendem Masse berücksichtigt werden.

A2.2.2.2

Landwirtschaft

Die Landwirtschaft ist der fortschreitenden Erwärmung, den Veränderungen im Wasserkreislauf und bei den Bodeneigenschaften sowie der möglichen Zunahme von Extremereignissen unmittelbar ausgesetzt. Eine mittlere Erwärmung um 2 bis 3 °C kann bei ausreichender Nährstoff- und Wasserverfügbarkeit tendenziell zu einer erhöhten Produktivität der Schweizer Landwirtschaft beitragen. Die potenzielle Jahresproduktion der Wiesen nimmt als Folge der längeren Vegetationsperiode zu.

Auch der potenzielle Ertrag vieler Ackerkulturen steigt. Die Tierproduktion kann von kostengünstigeren inländischen Futtermitteln und der Verlängerung der Weideperiode profitieren. Negative Effekte betreffen die Verknappung des Wasserdargebots durch eine Zunahme der Verdunstung von Pflanzen und Böden bei gleichzeitiger Abnahme der Niederschläge im Sommer sowie das verstärkte Aufkommen von Unkräutern und Schädlingen. Ein kritischer Faktor ist insbesondere die mögliche Zunahme der Extremereignisse. Stress durch Hitze, Trockenheit oder Nässe

3852

kann sowohl in der Tierhaltung als auch im Pflanzenbau zu erheblichen Ertragsausfällen führen.55, 56

A2.2.2.3

Waldwirtschaft

Die Waldwirtschaft ist vom Klimawandel in vielfacher Hinsicht betroffen. Die Erwärmung und Veränderung der Niederschlagsverteilung werden in den kommenden Jahrzehnten zu stark veränderten Standortbedingungen für die Wälder führen.

Extremereignisse wie beispielsweise der Wintersturm Lothar im Jahr 1999 oder der Hitzesommer im Jahr 2003 verursachen grosse Schäden. Mit der erwarteten Zunahme von Trockenphasen wird auch die Waldbrandgefahr ansteigen. Hinzu kommen Schäden durch sekundäre Effekte wie die Ausbreitung von Schadorganismen. Diese Veränderungen haben auch direkte Auswirkungen auf die holzverarbeitende Industrie und das Gewerbe, z.B. infolge von Zwangsnutzungen und Verschiebungen beim Angebot an Holzarten.

Bei vielen Waldleistungen (z.B. Schutzfunktion) und Waldprodukten ist mit Einschränkungen, Verminderungen oder einem zumindest zeitweiligen Ausfall zu rechnen, während sich positive Entwicklungen ­ z.B. zusätzlicher Holzzuwachs oder der Anstieg der Waldgrenze ­ erst allmählich einstellen dürften.

A2.2.2.4

Energieproduktion und Energienachfrage

Der Klimawandel wird sowohl die Energienachfrage als auch die Energieproduktion beeinflussen. Der Anstieg der Temperaturen wird dazu führen, dass in Zukunft im Winter weniger Heizenergie und im Sommer mehr Kühlenergie verbraucht werden.

Es kommt zu einer Verlagerung der Nachfrage von den Brennstoffen zu Strom.

Für die Stromproduktion durch Wasserkraft sind in naher Zukunft (2035) nur kleine Veränderungen zu erwarten. Langfristig (2085) muss wegen des geringeren Wasserabflusses mit mittleren Einbussen von 4 bis 8 Prozent gerechnet werden.57 Die Kernkraftwerke werden bei steigenden Wassertemperaturen weniger Kühlleistung aus den Flüssen beziehen können. Dagegen könnten die neuen erneuerbaren Energien vom Klimawandel profitieren. Beispielsweise würde sich eine mögliche, fortgesetzte Abnahme der Nebeltage positiv auf die Solarenergieproduktion auswirken.

Der Einfluss des Klimawandels auf die Windgeschwindigkeiten und das Windenergiepotenzial ist unklar.58

55

56 57

58

Bundesamt für Landwirtschaft BLW (2011): Klimastrategie Landwirtschaft. Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel für eine nachhaltige Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft.

OcCC (2007): Klimaänderungen und die Schweiz 2050.

Schweizerische Gesellschaft für Hydrologie und Limnologie (SGHL) und Hydrologische Kommission (CHy) [Hrsg.] (2011): Auswirkungen der Klimaänderung auf die Wasserkraftnutzung ­ Synthesebericht. Beiträge zur Hydrologie der Schweiz, Nr. 38.

OcCC (2007): Klimaänderungen und die Schweiz 2050.

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A2.2.2.5

Tourismus

Für den Tourismus birgt der Klimawandel sowohl Chancen als auch Gefahren.

Tendenziell dürften in den meisten Regionen die sich eröffnenden Chancen überwiegen. Besonders betroffen vom Klimawandel sind Tourismusdestinationen in den Berggebieten. In den Voralpen nimmt die Schneesicherheit im Winter ab, und tief gelegene Skigebiete werden zu wenig Schnee haben, um den Betrieb ohne intensive Beschneiung aufrechtzuerhalten. In höheren Regionen wird der Klimawandel Auswirkungen auf die Gletscher, den Permafrost und möglicherweise auf die Lawinengefahr haben und zusätzliche Schutzmassnahmen und Umbaumassnahmen an bestehenden Infrastrukturen erforderlich machen.

In den Sommermonaten könnte der Alpenraum zu einer attraktiven Alternative zu den heissen und trockenen Feriendestinationen im Mittelmeerraum werden (Sommerfrische). Wegen der schmelzenden Gletscher wird die Attraktivität der Gebirgslandschaft jedoch abnehmen. Die Schweizer Städte dürften zudem aufgrund einer gewissen Mediterranisierung als Tourismusdestinationen attraktiver werden.

A2.2.2.6

Siedlungen, Gebäude, Verkehrswege und Infrastrukturen

Von den klimabedingten Veränderungen der Naturgefahren sind Siedlungen, Gebäude, Verkehrswege und Infrastrukturen betroffen.

In den Alpen wird die Zunahme von Massenbewegungen und Hochwasser die Sicherheit von Siedlungen, des Personen- und Güterverkehrs auf Schiene und Strasse sowie von Gas- und Stromleitungen gefährden. Auch Talsperren könnten davon betroffen sein.

Im Flachland kann die mögliche Zunahme von Hochwasser zu einer veränderten Gefährdung von Siedlungen, Gebäuden, Verkehrswegen und Infrastrukturen führen.

Generell sind Siedlungsmuster mit grossen versiegelten Flächen besonders anfällig auf Hitzewellen und Hochwasser, da sie die Strahlung stark absorbieren und die Infiltration verhindern. Bei zunehmender Sommertrockenheit könnte auch das Schrumpfverhalten von Böden zu Problemen bei Gebäuden, Verkehrsinfrastrukturen und unterirdischen Leitungen führen.

A2.2.2.7

Gesundheit

Veränderungen der Extremtemperaturen wirken sich direkt auf die Gesundheit des Menschen aus. Höhere Maximaltemperaturen, mehr heisse Tage sowie Hitzewellen führen vor allem bei alten und pflegebedürftigen Menschen zu höherer Sterblichkeit durch Hitzestress und zu Herz-Kreislauf- und Atemwegsbeschwerden.59 Die Arbeitsleistung nimmt während Hitzewellen ab.60 59

60

Thommen Dombois O., Braun-Fahrländer C. (2004): Gesundheitliche Auswirkungen der Klimaänderung mit Relevanz für die Schweiz. Literaturstudie im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) und des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).

Kemfert C. (2004): Fünfzig Jahre nach morgen, wo werden wir sein? Die ökonomischen Kosten des Klimawandels. Antrittsvorlesung.

3854

Indirekt wird die Gesundheit über Veränderungen der Verbreitung von Krankheitserregern, Schadstoffen und Allergenen und über Veränderungen der Häufigkeit und Intensität von Naturereignissen beeinflusst. Höhere Temperaturen bringen höhere Ozon- und Pollenkonzentrationen mit sich. Diese können Asthma und andere akute und chronische Atemwegsbeschwerden verursachen. Ferner verderben bei höheren Temperaturen Nahrungsmittel schneller, was die Wahrscheinlichkeit von Nahrungsmittelvergiftungen erhöht. Weniger kalte Tage, Frosttage und Kältewellen begünstigen die Ausbreitung und Aktivität einiger einheimischer (z.B. Zecken) und das Auftreten neuer Krankheitsüberträger (z.B. Tigermücke).

3855

Glossar Im Folgenden werden die wichtigsten Fachbegriffe aus den Bereichen Klimawandel und Anpassung erläutert, die in vorliegendem ersten Teil der Anpassungsstrategie verwendet werden. Sofern nicht anders angegeben, entsprechen sie den IPCCDefinitionen61.

Anpassung (Adaptation): Initiativen und Massnahmen zur Verringerung der Empfindlichkeit natürlicher und menschlicher Systeme gegenüber tatsächlichen oder zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels.

Anpassungsfähigkeit: Die Gesamtheit der Fähigkeiten, Ressourcen und Institutionen eines Landes oder einer Region, um wirksame Massnahmen zur Anpassung umzusetzen.

Extremereignis (= Extremes Wetterereignis): Ein Ereignis, das an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Jahreszeit selten ist. Die Definitionen für «selten» variieren, aber ein extremes Wetterereignis wäre normalerweise so selten wie oder seltener als das 10- oder 90 %-Perzentil der beobachteten Wahrscheinlichkeitsverteilung. Einzelne Extremereignisse können nicht einfach und direkt dem anthropogenen Anteil des Klimawandels zugeordnet werden, da immer eine begrenzte Chance besteht, dass das betreffende Ereignis natürlicherweise hätte auftreten können.

Hitzewelle: Starke Erwärmung mit Lufttemperaturen über 30 °C, die mehrere Tage andauert.62 (PLANAT) Klimamodell: Eine numerische Darstellung des Klimasystems, die auf den physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften seiner Bestandteile, ihren Wechselwirkungen und Rückkopplungsprozessen basiert. Klimamodelle werden als Forschungsinstrument verwendet, um das Klima zu untersuchen und zu simulieren, aber auch für operationelle Zwecke, einschliesslich monatlicher, saisonaler und jahresübergreifender Klimaprognosen.

Klimaszenario: Eine plausible und häufig vereinfachte Beschreibung des zukünftigen Klimas, die auf einer in sich konsistenten Reihe klimatologischer Beziehungen beruht und ausdrücklich für die Verwendung bei der Untersuchung der potenziellen Auswirkungen des anthropogenen Anteils des Klimawandels erstellt wurde.

Klimawandel: Änderung des Klimas im Verlauf der Zeit, die aufgrund einer Änderung im Mittelwert oder im Schwankungsbereich seiner Eigenschaften identifiziert werden kann, und die über einen längeren Zeitraum von typischerweise Jahrzehnten oder noch länger andauert. Klimawandel kann durch interne natürliche
Schwankungen, äussere Antriebe oder andauernde anthropogene Veränderungen in der Zusammensetzung der Atmosphäre oder der Landnutzung zustande kommen.

Klimavariabilität: Schwankungen des mittleren Zustands und anderer statistischer Grössen (wie Vorkommen von Extremerscheinungen etc.) des Klimas auf allen zeitlichen und räumlichen Skalen, die über einzelne Wetterereignisse hinausgehen.

Variabilität kann durch natürliche interne Prozesse innerhalb des Klimasystems entstehen (interne Variabilität) oder durch Variationen der natürlichen oder anthropogenen externen Treiber (externe Variabilität).

61 62

IPCC (2008): Klimaänderung 2007. Synthesebericht. Berlin.

PLANAT, Nationale Plattform Naturgefahren: www.planat.ch/de/wissen/.

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Resilienz: Fähigkeit eines sozialen oder ökologischen Systems, auf Störungen zu reagieren und dabei seine Struktur und Funktionsweise, die Fähigkeit zur Selbstorganisation und die Anpassungsfähigkeit gegenüber Belastungen und Veränderungen zu bewahren.

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