Bericht zur Abschreibung der Motion der freisinnig-demokratischen Fraktion 08.3169 «Stopp dem Zahlungsschlendrian» vom 4. April 2012

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2008

M 08.3169

Stopp dem Zahlungsschlendrian (N 13.6.2008, Freisinnig-demokratischen Fraktion; S 17.12.2008)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. April 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2012-0248

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Bericht 1

Ausgangslage

Die am 20. März 2008 eingereichte und vom Parlament am 13. Juni 2008 (Nationalrat) bzw. am 17. Dezember 2008 (Ständerat) angenommene Motion 08.3169 «Stopp dem Zahlungsschlendrian» verlangt, Artikel 104 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR)1 in dem Sinne zu revidieren, «dass der gegenwärtig geltende Verzugszins von 5 Prozent angemessen erhöht wird und für den Gläubiger kostendeckend ist. Die entsprechenden Zinsvorschriften des Bundes (allgemeine Geschäftsbedingungen) sind ebenfalls anzupassen.» Das Vernehmlassungsverfahren zur Teilrevision des Obligationenrechts wurde vom Bundesrat am 18. August 2010 eröffnet und dauerte bis zum 30. November 2010.

Dabei wurde vorgeschlagen, den Verzugszinssatz lediglich für Verträge des kaufmännischen Verkehrs auf 10 Prozent zu erhöhen, während es für alle anderen Verträge beim geltenden Zinssatz von 5 Prozent bleiben sollte.

Die vorgeschlagene Gesetzesrevision wurde zwar von einer Mehrzahl der Kantone sowie von weiteren Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmern begrüsst.

Gleichzeitig hat aber eine beachtliche Minderheit den Handlungsbedarf verneint bzw.

die vorgeschlagene Regelung abgelehnt. So wurde argumentiert, dass sich das Vertragsrecht durch die vorgeschlagene Erhöhung des Verzugszinses vom fundamentalen Grundsatz, wonach Verzugsschaden Schadenersatz darstelle und nicht der Bereicherung der Gläubigerin oder des Gläubigers dienen soll, verabschiede. Es werde so ein dem schweizerischen Recht fremder Strafschadenersatz eingeführt. Umstritten war auch, ob die vorgeschlagene Erhöhung des Verzugszinses überhaupt eine positive Auswirkung auf die Zahlungsmoral der Schuldnerinnen und Schuldner haben würde.

In inhaltlicher Hinsicht hat eine Mehrheit die vorgeschlagene Beschränkung der Erhöhung des Verzugszinses auf den kaufmännischen Verkehr positiv bewertet. Das Gleiche gilt für die vorgeschlagene Beibehaltung eines starren gesetzlichen Zinssatzes, der nicht von einem Leitzinssatz der Nationalbank abhängig ist.

Diverse Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben zuletzt die Forderung aufgestellt, dass die geplante Erhöhung des Verzugszinses auch für den Geschäftsverkehr mit den Behörden gelten soll; auch die öffentliche Hand müsse zwingend unter den höheren Verzugszins fallen, und zwar in Bezug auf sämtliche Forderungen.

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Begründung des Antrags auf Abschreibung der Motion

Wenn der Bundesrat heute trotz seiner früheren Unterstützung die Abschreibung der Motion beantragt, so tut er dies gestützt auf die folgenden Überlegungen: ­

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Seit der Behandlung der Motion im Parlament und seit der Vernehmlassung haben sich die Konjunkturaussichten für die Schweiz erheblich verschlechtert. Belastet durch das verschlechterte Konjunkturumfeld in der EU sowie SR 220

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den immer noch hoch bewerteten Franken ist zu erwarten, dass sich die Schweizer Wirtschaft stark abkühlen wird (vgl. Medienmitteilung des Staatssekretariats für Wirtschaft vom 13. Dez. 20112). In einem derartigen wirtschaftlichen Umfeld hätte eine Erhöhung des Verzugszinses eine unerwünschte zusätzliche finanzielle Belastung für viele Unternehmen zur Folge.

Betroffen wären insbesondere Unternehmen, die sich bereits heute in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Durch die voraussehbare Überwälzung dieser zusätzlichen Kosten würden zudem auch die Konsumentinnen und Konsumenten belastet.

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Eine Erhöhung des Verzugszinssatzes steht zum heutigen Zeitpunkt in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu den aktuellen Zinssätzen auf dem Kapitalmarkt: Der Zinssatz der Nationalbank für den 3-Monats-Libor bewegt sich zurzeit in einem Zielband von 0,00­0,25 Prozent. Auch der Hypothekarzins und weitere massgebliche Zinssätze befinden sich auf einem Tiefstwert, der weit unter den im geltenden Artikel 104 OR vorgesehenen 5 Prozent liegt. In einem solchen Zinsumfeld erscheint es nicht angebracht, den Verzugszins auf 10 Prozent zu erhöhen und so faktisch auf ein Vielfaches des Kapitalzinssatzes festzusetzen.

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Wie in der Vernehmlassung zu Recht geltend gemacht wurde, ist zudem fraglich, ob die Erhöhung des Verzugszinses tatsächlich zur beabsichtigten Verbesserung der Zahlungsmoral führen würde. In die gleiche Richtung weist auch eine im Oktober 2006 veröffentlichte Studie der Europäischen Union über die rechtliche Auswirkung der Richtlinie 2000/35/EG, welche vorschrieb, dass der Verzugszinssatz dem Repo-Satz der Europäischen Zentralbank, dem sog. Basiszinssatz, zuzüglich mindestens sieben Prozentpunkte zu entsprechen hatte. Die Studie enthält eine Übersicht der Auswirkungen der gestützt auf die Richtlinie erlassenen nationalen Regulierungen auf das Zahlungsverhalten der Unternehmen. Dabei gelangte man zu folgender Erkenntnis3: Nach der vollständigen Umsetzung der Richtlinie in allen Staaten im Jahr 2002 ist in Europa der Zahlungsverzug zurückgegangen, jedoch nicht gänzlich verschwunden4. Es wurde festgehalten, dass die Vorgaben in der Richtlinie nicht ausreichend abschreckend seien, um effektiv zu sein5. Der Bericht gelangte zum Schluss, dass eine effektive Bekämpfung des Zahlungsverzugs neben der Erhöhung des Verzugszinses jedenfalls zusätzliche Verzugsfolgen voraussetzen würde. Solche zusätzlichen Massnahmen gingen nach Ansicht des Bundesrats aus Schweizer Sicht aber zu weit und sind deshalb abzulehnen.

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Schliesslich wurde in der Vernehmlassung zu Recht kritisiert, dass mit der vorgeschlagenen Verdoppelung des Verzugszinses faktisch ein dem schweizerischen Recht fremder Strafschadenersatz eingeführt würde, indem ein derart erhöhter Verzugszins weit über einen Schadensausgleich hinausgeht www.seco.admin.ch/ aktuell/00277/01164/01980/index.html?lang=de&msg-id=42657 Bericht über die Wirksamkeit der Gesetzgebung in der Europäischen Gemeinschaft für die Bekämpfung von Zahlungsverzug, durchgeführt von Hoche-Demolin-BrulardBarthélémy für Commission européenne, DG Entreprises, Oktober 2006 (abrufbar unter: http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/late_payments/doc/finalreport_de.pdf, S. 202 ff.

Bericht über die Wirksamkeit, S. 257.

Bericht über die Wirksamkeit, S. 277.

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und im Ergebnis zu einer Bereicherung des Gläubigers oder des Gläubigers auf Kosten der Schuldnerin oder des Schuldners führt, die dem dem schweizerischen Privatrecht allgemein unbekannt ist.

Die Beibehaltung des Status quo in der Form des geltenden Artikel 104 OR rechtfertigt sich zum jetzigen Zeitpunkt umso mehr, als es den Vertragsparteien gestützt auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit bereits nach geltendem Recht freisteht, selber einen höheren Zins zu vereinbaren. Dies betrifft grundsätzlich sämtliche Vertragsverhältnisse. Beschränkt wird dieses Recht allenfalls durch die Schranken der Übervorteilung (Art. 21 OR) und des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Hinzuweisen ist zudem auf die am 17. Juni 2011 vom Parlament verabschiedeten Revision von Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 19866 gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), die am 1. Juli 2012 in Kraft treten wird. Danach handelt unlauter, «wer allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen.» Die Vereinbarung eines übermässig hohen Verzugszinses in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber einer Konsumentin oder einem Konsumenten kann danach ein unlauteres Verhalten darstellen. Abgesehen von diesen Ausnahmen bleibt es den Parteien aber frei, einen über den gesetzlichen Verzugszins hinausgehenden Zinssatz zu vereinbaren.

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Fazit

Der Bundesrat beantragt aus den genannten Gründen, die Motion 08.3169 abzuschreiben.

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SR 241

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