12.039 Botschaft zum Bundesgesetz über die Anpassung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit vom 2. März 2012

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Anpassung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und beantragen Ihnen, diesem Erlass zuzustimmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

2. März 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2011-2952

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Übersicht In der gegenwärtigen Gesetzgebung zu den flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit sollen Lücken geschlossen werden. Mit der Einführung von Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit ausländischer Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer, der Schaffung von Sanktionsmöglichkeiten für Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen und gegen zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen verstossen, sowie der Schaffung von Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge wird eine noch effizientere Umsetzung der flankierenden Massnahmen möglich.

Ausgangslage Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit sind am 1. Juni 2004 in Kraft getreten. In der Zwischenzeit wurden sie verstärkt, und der Vollzug wurde durch verschiedene Massnahmen mehrfach optimiert. Im Rahmen der flankierenden Massnahmen werden der Arbeitsmarkt beobachtet und die Arbeitsbedingungen kontrolliert, um bei allfälligen Missbräuchen Massnahmen ergreifen zu können.

Sieben Jahre Erfahrung im Vollzug der flankierenden Massnahmen haben gezeigt, dass diese einen wirksamen Schutz der in- und ausländischen Arbeitnehmenden vor missbräuchlichen Lohnunterbietungen und Verstössen gegen die Arbeitsbedingungen gewährleisten. Sie sorgen ausserdem für gleiche Wettbewerbsbedingungen für in- und ausländische Dienstleistungserbringerinnen und Dienstleistungserbringer sowie für die Akzeptanz des Personenfreizügigkeitsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union.

Es hat sich aber herausgestellt, dass in der gegenwärtigen Gesetzgebung Lücken bestehen.

Inhalt der Vorlage Auf Gesetzesebene schlägt der Bundesrat die folgenden Massnahmen vor: ­

Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit ausländischer Dienstleistungserbringerinnen und Dienstleistungserbringer durch die Einführung einer Dokumentationspflicht sowie die Schaffung neuer Sanktionsbestimmungen;

­

Schaffung einer Sanktionsmöglichkeit für Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen und gegen zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen im Sinn von Artikel 360a des Obligationenrechts verstossen;

­

Einführung einer Sanktionsmöglichkeit für Betriebe, die eine rechtskräftige Dienstleistungssperre missachten;

­

Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Weiterleitung der rechtskräftigen kantonalen Sanktionen an die zuständigen paritätischen Kommissionen;

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­

Einführung einer Sanktionsmöglichkeit bei Verstössen gegen im Sinn von Artikel 1a des Bundesgesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge, indem neu Bestimmungen in einem Gesamtarbeitsvertrag über Sanktionen und die Auferlegung von Kontrollkosten erleichtert allgemeinverbindlich erklärt werden können.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Das Abkommen über die Freizügigkeit im Personenverkehr 1.1.2 Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit 1.1.3 Jüngste Entwicklungen im Bereich der flankierenden Massnahmen 1.1.3.1 Problematik der Scheinselbstständigkeit 1.1.3.2 Fehlende Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen gegen Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen 1.1.3.3 Fehlende Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge 1.2 Die beantragte Neuregelung 1.2.1 Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit ausländischer Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer 1.2.2 Sanktionierung von Verstössen gegen Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen 1.2.3 Sanktionsmöglichkeit für Betriebe, die eine rechtskräftige Dienstleistungssperre missachten 1.2.4 Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Weiterleitung der rechtskräftigen kantonalen Sanktionen an die zuständigen paritätischen Kommissionen 1.2.5 Sanktionierung von Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge 1.3 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung 1.3.1 Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit 1.3.2 Sanktionierung von Verstössen gegen zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen 1.3.3 Sanktionsmöglichkeit für Betriebe, die eine rechtskräftige Dienstleistungssperre missachten 1.3.4 Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Weiterleitung der rechtskräftigen kantonalen Sanktionen an die zuständigen paritätischen Kommissionen 1.3.5 Sanktionierung von Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge 1.3.6 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 1.3.6.1 Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit 1.3.6.2 Sanktionierung von Verstössen gegen zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen 1.3.6.3 Sanktionierung von Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge 1.3.6.4 Weitere Ergebnisse

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1.4 Umsetzung

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2 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen 3420 2.1 Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen 3420 2.2 Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 3420 3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden 3.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

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4 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung

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5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungs- und Gesetzmässigkeit 5.2 Übereinstimmung mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.3 Form des Erlasses

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Bundesgesetz über die Anpassung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit (Entwurf)

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Am 21. Juni 1999 wurden von der Schweiz und der Europäischen Union (EU) und ihren Mitgliedstaaten sieben sektorielle Abkommen unterzeichnet, darunter auch das Abkommen1 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA). Das FZA wurde im Jahr 2000 vom Volk genehmigt und ist am 1. Juni 2002 in Kraft getreten. 2005 wurde die Ausdehnung des Abkommens auf die zehn im Jahr 2004 der EU beigetretenen Staaten2 vom Volk genehmigt und am 1. April 2006 in Kraft gesetzt. Die Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien, die 2007 der EU beigetreten sind, wurde 2009 vom Volk genehmigt und ist am 1. Juni 2009 in Kraft getreten.

1.1.1

Das Abkommen über die Freizügigkeit im Personenverkehr

Mit dem FZA wurden die Grundregeln der Personenfreizügigkeit, wie sie innerhalb der EU zur Anwendung kommen, schrittweise zwischen der Schweiz und der EU eingeführt. Staatsangehörige der Schweiz und der EU-Staaten haben das Recht, Arbeitsplatz bzw. Aufenthaltsort innerhalb des Staatsgebiets der Vertragsparteien frei zu wählen. Voraussetzung ist, dass sie über einen gültigen Arbeitsvertrag verfügen, selbstständigerwerbend sind oder ­ bei Nichterwerbstätigen ­ ausreichende finanzielle Mittel nachweisen können und krankenversichert sind. Ergänzt wird die Personenfreizügigkeit durch die gegenseitige Anerkennung der Berufsdiplome sowie durch die Koordinierung der nationalen Sozialversicherungssysteme.

Das FZA sieht auch eine beschränkte Liberalisierung der personenbezogenen grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung vor. Entsandte Arbeitnehmerinnen und -nehmer sowie selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer sind berechtigt, sich in einen Vertragsstaat zu begeben und dort für bis zu 90 Arbeitstage pro Kalenderjahr Dienstleistungen zu erbringen. Diesen Personen sowie Personen, die in Anwendung eines besonderen Dienstleistungsabkommens zwischen der Schweiz und der EU Dienstleistungen erbringen dürfen (z.B. öffentliches Beschaffungswesen), gewährt das FZA das Recht auf Einreise und Aufenthalt während der ganzen Dauer der Tätigkeit.

1 2

SR 0.142.112.681 Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern

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1.1.2

Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit

Im Zuge der schrittweisen Einführung des freien Personenverkehrs mit der EU ist die vorgängige Kontrolle der Einhaltung der üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen als Voraussetzung für die Erteilung einer Bewilligung per 1. Juni 2004 weggefallen. Da die Schweiz im Vergleich zur EU als ein Hochlohnland gilt, besteht die Gefahr, dass die Löhne infolge des freien Personenverkehrs unter Druck geraten. Als Ausgleich zur vorgängigen und systematischen arbeitsmarktlichen Kontrolle wird mit den flankierenden Massnahmen der missbräuchlichen Unterschreitung der üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz entgegengewirkt. Werden missbräuchliche Unterbietungen der Löhne festgestellt, greifen auf individueller Ebene Massnahmen wie Sanktionen gegen fehlbare ausländische Arbeitgeber und auf genereller Ebene Mittel wie die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen oder der Erlass von Normalarbeitsverträgen mit zwingenden Mindestlöhnen.

Die flankierenden Massnahmen sind parallel zur zweiten Phase der Personenfreizügigkeit am 1. Juni 2004 in Kraft getreten.

Sie umfassen im Wesentlichen die folgenden Regelungen: ­

Das Bundesgesetz vom 8. Oktober 19993 über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (EntsG) verpflichtet einen ausländischen Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen einer grenzüberschreitenden Dienstleistung in die Schweiz entsendet, zur Einhaltung von minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen, die in Bundesgesetzen, in allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen und in Normalarbeitsverträgen im Sinn von Artikel 360a des Obligationenrechts (OR)4 vorgeschrieben sind.

­

Bei wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung können Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages, die Mindestlöhne, Arbeitszeiten und paritätischen Vollzug betreffen, im Sinn von Artikel 1a des Bundesgesetzes vom 28. September 19565 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) erleichtert allgemeinverbindlich erklärt werden.

Diese Massnahme gilt sowohl für inländische Betriebe als auch für Entsendebetriebe.

­

In Branchen, in denen es keinen Gesamtarbeitsvertrag gibt, können bei wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung Normalarbeitsverträge im Sinn von Artikel 360a OR mit zwingenden Mindestlöhnen erlassen werden. Diese Massnahme gilt für alle Betriebe der jeweiligen Branche.

Mit der Ausdehnung des FZA auf die zehn im Jahr 2004 der EU beigetretenen Staaten wurden Wirksamkeit und Vollzug der flankierenden Massnahmen per 1. April 2006 verstärkt. Per 1. Januar 2010 wurde der Vollzug der flankierenden Massnahmen als Folge der Ausdehnung des FZA auf Rumänien und Bulgarien weiter optimiert. Die Verstärkung und Optimierung der flankierenden Massnahmen beinhaltete insbesondere die Verpflichtung der Kantone zur Einsetzung einer aus3 4 5

SR 823.20 SR 220 SR 221.215.311

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reichenden Anzahl Arbeitsmarktinspektorinnen und -inspektoren, verschärfte Sanktionen, die Verpflichtung selbstständiger Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer, ihre Selbstständigkeit nachzuweisen, die Anwendbarkeit von Bestimmungen in allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen auf ausländische Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer (insbesondere die Pflicht zur Hinterlegung einer Kaution, zur Entrichtung von Vollzugskostenbeiträgen) und die Festsetzung einer verbindlichen Anzahl jährlich durchzuführender Kontrollen (27 000) auf Verordnungsstufe.

Mit der Umsetzung der flankierenden Massnahmen wurden verschiedene Akteure betraut. Es herrscht ein Vollzugsdualismus zwischen Branchen, die durch einen allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind, und Branchen ohne allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag.

Die in den Kantonen und auf Bundesebene eingesetzten tripartiten Kommissionen beobachten die Entwicklung des Arbeitsmarkts im Allgemeinen, untersuchen verdächtige Fälle auf Lohnunterbietungen und schlagen der zuständigen kantonalen Behörde Massnahmen vor, wenn eine wiederholte und missbräuchliche Lohnunterbietung im Sinn von Artikel 360a Absatz 1 OR festgestellt wurde. Zuvor suchen sie in der Regel eine direkte Verständigung mit den betroffenen Arbeitgebern (sogenanntes Schlichtungs- oder Verständigungsverfahren, Artikel 360b Absatz 3 OR).

Die Beurteilung, ob eine missbräuchliche und wiederholte Lohnunterbietung vorliegt, obliegt den tripartiten Kommissionen. Zudem sind die tripartiten Kommissionen beauftragt, die Einhaltung der Bestimmungen eines Normalarbeitsvertrags über Mindestlöhne im Sinn von Artikel 360a OR zu kontrollieren. Die tripartiten Kommissionen haben bei Unterbietungen der orts- und branchenüblichen Löhne keine Sanktionskompetenz gegenüber fehlbaren ausländischen Arbeitgebern. Sie sind jedoch gehalten, festgestellte Gesetzesverstösse den zuständigen kantonalen Behörden zur Sanktionierung zu melden.

In Branchen mit allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen obliegt die Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags den mit der Durchsetzung des Vertrags betrauten paritätischen Kommissionen. Das EntsG überträgt ihnen zusätzlich die Kontrolle der Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrags durch
Entsendebetriebe. Stellen diese Kontrollorgane Verstösse gegen den allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag fest, so sind sie gemäss EntsG zur Meldung an die für die Sanktionierung zuständigen kantonalen Behörden verpflichtet.

1.1.3

Jüngste Entwicklungen im Bereich der flankierenden Massnahmen

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) als zuständige Bundesbehörde publiziert jährlich einen Bericht über die Umsetzung der Instrumente der flankierenden Massnahmen und steht in regem Austausch mit den Sozialpartnern, die im Vollzug der flankierenden Massnahmen eine wichtige Rolle einnehmen.

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Die Ergebnisse des jüngsten SECO-Berichts vom 3. Mai 20116 geben einen detaillierten Überblick über den Umfang der Kontrolltätigkeit der Vollzugsorgane, die dabei vermuteten Verstösse und Lohnunterbietungen sowie die daraus resultierenden Sanktionen für das Berichterstattungsjahr 2010. Die Ergebnisse des Berichts zeigen, dass die Kontrolltätigkeit bei meldepflichtigen Entsandten und Selbstständigerwerbenden sowie bei Angestellten bei Schweizer Unternehmen intensiviert wurde. Die Vorgabe, 50 % aller entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu kontrollieren, wurde von den Kontrollorganen sogar übertroffen. Die aufgedeckten Verstösse und festgestellten Lohnunterbietungen haben gezeigt, dass Kontrollen auch in Zukunft notwendig sind. Die kantonalen tripartiten Kommissionen meldeten Lohnunterbietungen bei 12 % der kontrollierten Entsendebetriebe und bei 6 % der kontrollierten Schweizer Unternehmen. Die paritätischen Kommissionen, welche die Einhaltung der allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge kontrollieren, meldeten bei rund einem Drittel der Kontrollen Verstösse gegen die verbindlichen Löhne.

Der SECO-Bericht vom 3. Mai 2011 sowie die bisherigen Erfahrungen in der Umsetzung der Instrumente der flankierenden Massnahmen haben gezeigt, dass diese eine wirksame Überprüfung des Arbeitsmarktes gewährleisten. Es hat sich aber auch herausgestellt, dass in der gegenwärtigen Gesetzgebung Lücken bestehen.

Namentlich der Gewerbeverband, die Gewerkschaften und einzelne Kantone sowie zahlreiche parlamentarische Vorstösse haben auf diese Lücken hingewiesen.

Der Bundesrat hat nach einer Aussprache am 6. Juli 2011 das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) beauftragt, gesetzliche Bestimmungen auszuarbeiten, um die Lücken in der Gesetzgebung der flankierenden Massnahmen zu schliessen. Am 23. September hat der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren zum Bundesgesetz über die Anpassung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit eröffnet, das bis am 31. Dezember 2011 gedauert hat.

1.1.3.1

Problematik der Scheinselbstständigkeit

Für selbstständig Erwerbstätige aus dem Ausland, die in der Schweiz eine Dienstleistung erbringen, gelten die schweizerischen minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen des EntsG nicht, da sie keine Arbeitnehmenden sind. Das EntsG sieht jedoch vor, dass selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer ihre Selbstständigkeit gegenüber den Kontrollorganen des EntsG nachweisen müssen (Art. 1 Abs. 2 EntsG). Können sie den Nachweis ihrer Selbstständigkeit nicht erbringen, gelten sie als sogenannte Scheinselbstständige.

Die Absicht hinter scheinselbstständigem Auftreten ist es zu vermeiden, dass die betreffenden Personen den arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Schutznormen unterliegen. Scheinselbstständigkeit führt zudem zu Wettbewerbsverzerrungen, da für Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen, höhere Kosten anfallen.

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Bereits heute kontrollieren die tripartiten Kommissionen in Branchen ohne allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge und die paritätischen Kommissionen in Branchen mit solchen Gesamtarbeitsverträgen gestützt auf das EntsG, ob eine selbstständige Dienstleistungserbringerin oder ein selbstständiger Dienstleistungserbringer tatsächlich selbstständig ist. Aufgrund des durch die Vollzugsorgane vermehrt festgestellten Auftretens von Scheinselbstständigkeit hat das SECO per 1. Januar 2011 eine Weisung7 an die Vollzugsorgane zum Vorgehen bei der Überprüfung der selbstständigen Erwerbstätigkeit in Kraft gesetzt. Die Weisung erleichtert den Vollzugsorganen die Ermittlung von Scheinselbstständigkeit. Die Überprüfung der Selbstständigkeit von ausländischen Dienstleistungserbringerinnen und -erbringern stellt für die Vollzugsorgane dennoch eine grosse Herausforderung dar.

Die Überprüfung wird insbesondere dadurch erschwert, dass diese Personen oftmals keine Unterlagen mitführen, die ihre Selbstständigkeit belegen können.

Die Mitwirkung der selbstständigen Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer bei einer Kontrolle bzw. die Erteilung von Auskünften bilden das Fundament, um Kontrollen durchführen und allfällige Verstösse gegen geltende Bestimmungen feststellen zu können. Gestützt auf die bestehende Gesetzgebung sind selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer weder verpflichtet, Unterlagen zum Nachweis der Selbstständigkeit auf sich zu tragen, noch können sie bei einer Auskunftspflichtverletzung wirksam sanktioniert werden. Auch bei der Erarbeitung der Weisung des SECO hat sich gezeigt, dass die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Scheinselbstständigen unvollständig sind und die bestehende gesetzliche Bestimmung im EntsG (Art. 1 Abs. 2) zu wenig klar ist.

Vom Schweizerischen Gewerbeverband, von den Gewerkschaften und im Rahmen verschiedener parlamentarischer Vorstösse wurden zusätzlich zur Weisung des SECO Massnahmen gefordert, die eine effiziente Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit erlauben. Die Direktion für Arbeit des SECO hat deshalb im Dezember 2010 eine Arbeitsgruppe (nachfolgend «Arbeitsgruppe Scheinselbstständigkeit») aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner und der Kantone eingesetzt. Diese hat das Ausmass der Problematik der Scheinselbstständigkeit
analysiert und hat geprüft, wie die Umsetzung der geforderten Sanktionsmöglichkeiten und Massnahmen gegenüber Scheinselbstständigen erfolgen kann und ob dafür neue gesetzliche Grundlagen auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe geschaffen werden müssen.

Verschiedene parlamentarische Vorstösse haben ebenfalls auf die Problematik der Scheinselbstständigkeit hingewiesen und die Schliessung bestehender Gesetzeslücken verlangt (Motion Carobbio Guscetti, 11.3364; Motion Fraktion BD, 11.3525; Motion Estermann, 11.3604; Motion Lustenberger, 11.3703; Motion Hiltpold, 11.3704; Motion Moret, 11.3707).

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1.1.3.2

Fehlende Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen gegen Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen

Werden in einer Branche oder einem Beruf die üblichen Löhne wiederholt in missbräuchlicher Weise unterboten und liegt kein Gesamtarbeitsvertrag mit Bestimmungen über Mindestlöhne vor, der allgemeinverbindlich erklärt werden kann, kann die zuständige Behörde einen Normalarbeitsvertrag im Sinn von Artikel 360a OR erlassen, der zwingende Mindestlöhne vorsieht.

Nach Artikel 2 EntsG müssen Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden, die in Normalarbeitsverträgen im Sinn von Artikel 360a OR vorgeschriebenen Mindestlöhne einhalten. Werden diese Mindestlöhne nicht respektiert, können sie gestützt auf das EntsG mit einer Busse von maximal 5000 Franken oder einer Dienstleistungssperre zwischen ein und fünf Jahren sanktioniert werden. Im Fall einer Auskunftspflichtverletzung, das heisst bei der wissentlichen Erteilung von falschen Auskünften, der Verweigerung der Auskunft oder bei Sich-Widersetzen oder Verunmöglichen einer Kontrolle, kann ein Arbeitgeber mit einer Busse bis zu 40 000 Franken bestraft werden. Werden die in Artikel 2 EntsG genannten Mindestbedingungen systematisch und in gewinnsüchtiger Absicht nicht garantiert, kann ein Arbeitgeber mit Busse bis zu 1 Million Franken bestraft werden.

Unter den Schweizer Arbeitgebern hingegen können bei Verstössen gegen zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen lediglich die Personalverleiher sanktioniert werden. Nach Artikel 360d Absatz 1 OR gilt ein Normalarbeitsvertrag mit zwingenden Mindestlöhnen auch für verliehene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hält ein Personalverleiher die zwingenden Bestimmungen eines Normalarbeitsvertrages nicht ein und verstösst er dadurch wiederholt oder in schwerwiegender Weise gegen zwingende Vorschriften des Arbeitnehmerschutzes, wird ihm nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe b des Arbeitsvermittlungsgesetzes vom 6. Oktober 19898 die Bewilligung entzogen.

Für die übrigen Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in der Schweiz in Branchen mit einem zwingenden Normalarbeitsvertrag beschäftigen und gegen diese zwingenden Mindestlöhne verstossen, existiert keine gesetzliche Grundlage zur Sanktionierung.

Dies stellt die Wirksamkeit der Massnahme des Normalarbeitsvertrags mit zwingenden Mindestlöhnen in Frage. Der Gesetzgeber hat in Artikel 360e OR lediglich einen Anspruch für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf
gerichtliche Feststellung verankert, ob Arbeitgeber den Normalarbeitsvertrag nach Artikel 360a OR einhalten.

Seit geraumer Zeit haben verschiedene Parlamentarier (Motion Rechsteiner, 08.3611; Interpellation Pedrina, 09.4090; Frage Robbiani, 11.5225; Motion Pedrina, 11.3363; Motion Pelli, 11.3629), die Gewerkschaften und die Kantone Genf, Tessin und Wallis auf die Problematik der fehlenden staatlichen Durchsetzbarkeit der zwingenden Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen aufmerksam gemacht und Massnahmen gefordert.

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SR 823.11

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1.1.3.3

Fehlende Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge

Das Bundesgesetz vom 28. September 19569 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) regelt die Zuständigkeit und das Verfahren, um den Geltungsbereich eines Gesamtarbeitsvertrages auf Gesuch aller Vertragsparteien auf die nichtorganisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der betreffenden Branche auszudehnen. Für die Kontrolle und den Vollzug sind die im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehenen paritätischen Kommissionen zuständig.

Die tripartiten Kommissionen sind nebst anderen Behörden und Organen unter anderem dafür zuständig, die Einhaltung des EntsG zu kontrollieren (Art. 7 Abs. 1 und 2 EntsG; s. auch Art. 360b OR). Stellen die tripartiten Kommissionen wiederholt missbräuchliche Unterbietungen der orts-, berufs- und branchenüblichen Löhne und Arbeitszeiten fest, können sie im Rahmen der flankierenden Massnahmen mit Zustimmung der Vertragsparteien einen Antrag zur erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrags stellen. Inhalt der Allgemeinverbindlicherklärung können dabei nach geltendem Recht die vertraglichen Bestimmungen über die minimale Entlöhnung und die ihr entsprechende Arbeitszeit sowie die paritätischen Kontrollen sein (Art. 1a AVEG).

Im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehene Sanktionsmöglichkeiten wie Konventionalstrafen können nicht erleichtert allgemeinverbindlich erklärt werden. Somit fehlt den Sozialpartnern ein Teil der Durchsetzungsmöglichkeiten. Dies stellt die Wirksamkeit der Massnahme der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung in Frage.

1.2

Die beantragte Neuregelung

Die beantragte Neuregelung ist im Rahmen einer Revision und Ergänzung verschiedener Erlasse umzusetzen und betrifft die folgenden Bereiche:

9

­

Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit ausländischer Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer;

­

Sanktionsmöglichkeiten für Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen und gegen zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen verstossen;

­

Sanktionsmöglichkeiten für Betriebe, die eine rechtskräftige Dienstleistungssperre missachten;

­

Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Weiterleitung der rechtskräftigen kantonalen Sanktionen an die zuständigen paritätischen Kommissionen;

­

Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge.

SR 221.215.311

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1.2.1

Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit ausländischer Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer

Der Gesetzesentwurf bestätigt das geltende Recht, wonach sich der Begriff der Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers nach schweizerischem Recht bestimmt10 und die selbstständige Erwerbstätigkeit den Kontrollorganen auf Verlangen nachzuweisen ist. Der Klarheit halber wird neu geregelt, dass sich auch der Begriff der selbstständigen Erwerbstätigkeit nach schweizerischem Recht bestimmt. Neu soll auch eine Dokumentationspflicht für selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer verankert werden, damit diese bei einer Kontrolle vor Ort Dokumente zum Nachweis ihrer Selbstständigkeit vorweisen müssen. Die Praxiserfahrung der Vollzugsorgane des EntsG hat gezeigt, dass die Überprüfung der Selbstständigkeit erschwert ist, wenn Unterlagen, die dem Nachweis der Selbstständigkeit dienen, nicht direkt vor Ort überprüft werden können. Indem auf Gesetzesstufe gewisse Dokumente genannt werden, die dem Nachweis der Selbstständigkeit dienen, wird der Vollzug vereinfacht.

Der Gesetzesentwurf sieht neben der Dokumentationspflicht für selbstständig Erwerbstätige Massnahmen vor, die bei Missachtung dieser Pflicht ergriffen werden können. Die Verletzung der Dokumentationspflicht soll eine Verwaltungssanktion zur Folge haben. Zusätzlich soll den Vollzugsorganen die Möglichkeit gegeben werden, eine Person an der Weiterführung der Arbeiten zu hindern, wenn sie ihrer Dokumentationspflicht auch nach Ablauf einer Nachfrist nicht nachkommt und dadurch die Überprüfung ihrer Selbstständigkeit verunmöglicht. Innert der angesetzten Nachfrist sollen dem zuständigen Kontrollorgan die im Gesetz genannten Dokumente oder gleichwertige Dokumente vorgelegt werden. Kommt eine Person dieser Aufforderung auch innert der angesetzten Nachfrist nicht nach, kann ein Arbeitsunterbruch angeordnet werden. Der Arbeitsunterbruch soll andauern, bis die Person, die sich auf selbstständige Erwerbstätigkeit beruft, ihrer Dokumentationspflicht nachkommt. Kann sie diese Pflicht nicht erfüllen, sprechen alle Anzeichen dafür, dass eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Die Massnahme des Arbeitsunterbruchs wird insbesondere in der Praxis als effizient und nützlich bewertet, um die Dokumentationspflicht durchzusetzen und schlussendlich die Überprüfung des Status einer Person zu gewährleisten. Gerade bei kurzen Einsätzen in der Schweiz kann so
verhindert werden, dass eine Person nach Beendigung der Arbeiten in den Herkunftsstaat zurückkehrt, ohne den Nachweis der Selbstständigkeit erbracht zu haben. Die Erfahrungen der Vollzugsorgane haben gezeigt, dass selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer im Gegensatz zu Betrieben, die Arbeitnehmende entsenden, nur in wenigen Fällen auf die nachträgliche Aufforderung zur Einreichung von Dokumenten zum Nachweis der Selbstständigkeit reagieren.

Eine Person soll auch dann an der Weiterführung der Arbeiten gehindert werden können, wenn eine Scheinselbstständigkeit festgestellt wurde, aber der Arbeitgeber der scheinselbstständigen Person nicht ermittelt werden konnte. Mittels dieser Massnahme soll erreicht werden, dass sich der Arbeitgeber zu erkennen gibt, damit

10

Vgl. dazu Ausführung in Ziffer 276.134 Buchstabe B der Botschaft vom 23. Juni 1999 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG, BBl 1999 6128.

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dieser bei einer allfälligen Unterbietung der minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Die Überprüfung der Selbstständigkeit stellt eine komplexe Aufgabe dar. Die Vielfalt der Sachverhalte, die im wirtschaftlichen Leben anzutreffen sind, zwingt dazu, den Status einer Person jeweils unter der Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Scheinselbstständigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass gleichzeitig Merkmale der selbstständigen und der unselbstständigen Erwerbstätigkeit zutage treten. Der Entscheid, welchen Status eine Person hat, muss sich deshalb danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen. Es kann folglich vorkommen, dass die Vollzugsorgane trotz Erfüllung der Dokumentationspflicht durch die betreffende Person sowie der vor Ort getroffenen Abklärungen noch nicht abschliessend beurteilen können, ob tatsächlich eine Selbstständigkeit vorliegt. Der Gesetzesentwurf berücksichtigt dies, indem die Voraussetzungen genannt werden, unter denen die Vollzugsorgane weitere Unterlagen verlangen können, die dem Nachweis der Selbstständigkeit dienen. Die Voraussetzungen, um weitere Abklärungen zu treffen, sind dann gegeben, wenn die Kontrollorgane gestützt auf die vorgelegten Unterlagen nach Artikel 1a Absatz 2 des Gesetzesentwurfs oder gleichwertige Unterlagen oder allfällige Beobachtungen vor Ort Zweifel an der Selbstständigkeit einer Person haben. In diesem Fall sollen die Vollzugsorgane an die kontrollierte Person, aber in einem weiteren Schritt auch an deren Auftraggeberin oder Auftraggeber beziehungsweise deren Bestellerin oder Besteller gelangen, um weitere Informationen zum Status der kontrollierten Person bzw. zum Vertragsverhältnis zu erhalten. Für die genannten Personen wird eine gesetzliche Auskunftspflicht verankert. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass der Status einer Person in Zweifelsfällen oftmals nur durch ergänzende Auskünfte ihrer Vertragspartnerin oder ihres Vertragspartners geklärt werden kann. Bei den weiteren Unterlagen, die verlangt werden können, handelt es sich namentlich um solche, die in der Weisung des SECO zum Vorgehen zur Überprüfung der selbstständigen Erwerbstätigkeit genannt werden (vgl. Ziff. 1.1.3.1). Bei der Einforderung weiterer Unterlagen haben die Vollzugsorgane darauf zu achten,
dass die kontrollierte Person die weiteren Unterlagen mit einem verhältnismässigen Aufwand einreichen kann.

Neben der Möglichkeit, die Verletzung der Dokumentationspflicht zu büssen und die Dokumentationspflicht mittels Anordnung eines Arbeitsunterbruchs durchzusetzen, sollen auch die im EntsG bereits vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten zur Anwendung gelangen (Art. 9 und 12 EntsG). Diese Sanktionen haben sich im Vollzug des EntsG als sinnvoll und wirksam bewährt.

1.2.2

Sanktionierung von Verstössen gegen Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen

Das heutige EntsG beinhaltet die Verpflichtung ausländischer Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden, zur Einhaltung der in Normalarbeitsverträgen im Sinn von Artikel 360a OR enthaltenen Mindestlöhne und sieht Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten vor. Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen, sind durch das OR dazu verpflichtet, diese Mindestlöhne einzuhalten. Öffentlich-rechtliche Sanktionsmöglichkeiten gibt es keine. Neu soll deshalb das EntsG die Kontrolle und die Sanktionierung der Arbeitgeber regeln, die 3410

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigen und die gegen Bestimmungen über den Mindestlohn verstossen, der in einem Normalarbeitsvertrag im Sinn von Artikel 360a OR vorgeschrieben ist. Infolgedessen müssen die Bestimmungen des EntsG für die Kontrolle und die Sanktionierung auch auf Schweizer Arbeitgeber ausgedehnt und der Gesetzestitel angepasst werden.

Zur Verankerung der Sanktionsmöglichkeit wird der bestehende Artikel 9 Absatz 2 EntsG, der die öffentlich-rechtliche Sanktionierung fehlbarer Arbeitgeber regelt, die Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden, durch einen neuen Buchstaben ergänzt.

Demnach wird es der zuständigen Behörde ermöglicht, einem fehlbaren Arbeitgeber eine Busse bis 5000 Franken aufzuerlegen, wenn ein Verstoss gegen einen Mindestlohn in einem Normalarbeitsvertrag im Sinn von Artikel 360a OR festgestellt wurde.

Damit wird eine Gesetzeslücke geschlossen, infolge derer die kantonalen Behörden keine Sanktionen gegen Arbeitgeber aussprechen können, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen und gegen Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen verstossen. Mit Einführung dieser Sanktionsmöglichkeit wird eine Gleichbehandlung zwischen in- und ausländischen Arbeitgebern erreicht, da bis anhin gestützt auf das EntsG lediglich ausländische Arbeitgeber sanktioniert werden konnten, währenddem Schweizer Arbeitgeber keiner staatlichen Sanktionierung unterworfen waren. Es soll ausserdem ein neuer Tatbestand geschaffen werden, wonach Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigen und die systematisch und in gewinnsüchtiger Absicht gegen Mindestlöhne in zwingenden Normalarbeitsverträgen verstossen, strafrechtlich verfolgt werden können.

1.2.3

Sanktionsmöglichkeit für Betriebe, die eine rechtskräftige Dienstleistungssperre missachten

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens wurde von einem Kanton auf eine weitere Lücke in der Gesetzgebung zu den flankierenden Massnahmen hingewiesen.

Gestützt auf die aktuelle Gesetzgebung fehlen Sanktionsmöglichkeiten, wenn eine Dienstleistungserbringerin oder ein Dienstleistungserbringer eine gestützt auf das EntsG verfügte rechtskräftige Dienstleistungssperre missachtet.

Das EntsG sieht vor, dass nicht geringfügige Verstösse gegen die minimalen Lohnund Arbeitsbedingungen durch ausländische Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden, die Nichtbezahlung rechtskräftiger Bussen sowie Verletzungen der Auskunftspflicht mit einer ein- bis fünfjährigen Dienstleistungssperre geahndet werden können. Dennoch treffen die Kontrollorgane des EntsG immer wieder Betriebe an, die trotz einer rechtskräftigen Dienstleistungssperre Arbeiten in der Schweiz ausführen.

Als Lösung für diese Problematik schlägt der Bundesrat die Schaffung einer neuen Strafbestimmung vor, wonach mit einer Busse bis zu 40 000 Franken bestraft werden kann, wer einer rechtskräftigen Dienstleistungssperre nicht Folge leistet.

3411

1.2.4

Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Weiterleitung der rechtskräftigen kantonalen Sanktionen an die zuständigen paritätischen Kommissionen

Das EntsG kennt einen Vollzugsdualismus nach Branchen, die durch einen allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind, und Branchen ohne solchen Gesamtarbeitsvertrag. In Branchen mit allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen kontrollieren die paritätischen Kommissionen die Einhaltung der minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen durch Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden.

Stellen die paritätischen Kommissionen im Rahmen ihrer Kontrollen einen Verstoss fest, sind sie gestützt auf Artikel 9 Absatz 1 EntsG verpflichtet, der zuständigen kantonalen Behörde Meldung zu erstatten. Die kantonale Behörde kann anschliessend gestützt auf das EntsG eine Sanktion aussprechen. Bis anhin war nicht vorgesehen, dass die kantonalen Behörden den jeweiligen paritätischen Kommissionen eine Rückmeldung zu den auf der Basis der von ihnen festgestellten Verstösse ausgesprochenen Sanktionen geben. Dies soll neu geändert werden, indem die kantonale Behörde, die eine Sanktion ausspricht, verpflichtet wird, der zuständigen paritätischen Kommission eine Kopie ihres Entscheids zuzustellen.

1.2.5

Sanktionierung von Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge

Die Bestimmung über die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung soll ergänzt werden, indem die in den Gesamtarbeitsverträgen vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten neu ausdrücklich erleichtert allgemeinverbindlich erklärt werden können sollen. Bei festgestellten Verstössen gegen einen erleichtert allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag werden die paritätischen Kommissionen Konventionalstrafen aussprechen können, und zwar gegenüber Betrieben mit Sitz in der Schweiz wie auch gegenüber ausländischen Betrieben, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden. Nach Artikel 2 Absatz 2quater EntsG gilt die in einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag vorgesehene Möglichkeit, Konventionalstrafen zu verhängen, auch gegenüber ausländischen Entsendebetrieben. Die Konventionalstrafen können auch gegenüber fehlbaren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgesprochen werden. Denkbar sind gestützt auf einen erleichtert allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag auch weitere Sanktionen wie ein Verweis, nicht aber die Schliessung einer Baustelle oder ein Arbeitsverbot. Solche Massnahmen sind auch in der «normalen» Allgemeinverbindlicherklärung nach Artikel 1 AVEG nicht zulässig.

Sieht der Gesamtarbeitsvertrag die Möglichkeit vor, gegenüber fehlbaren Betrieben Kontrollkosten in Rechnung zu stellen, so sollen solche Bestimmungen neu ebenfalls erleichtert allgemeinverbindlich erklärt werden können. Im Prinzip kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Kontrollkosten implizit bereits in den Bestimmungen über die paritätischen Kontrollen mit enthalten waren, doch soll dies der besseren Klarheit und Rechtssicherheit wegen ausdrücklich festgehalten werden.

Weil die unterstellten Arbeitgeber und Arbeitnehmenden Vollzugskostenbeiträge bezahlen, ist es grundsätzlich nicht möglich, Kontrollkosten aufzuerlegen, falls 3412

keine Verstösse gegen gesamtarbeitsvertragliche Bestimmungen festgestellt werden.

Bei Vorliegen besonderer Umstände (z.B. bei Verweigern oder Behindern der Kontrollen) und sofern der Gesamtarbeitsvertrag dies ausdrücklich vorsieht, könnten die Kontrollkosten allenfalls auch dann auferlegt werden, wenn keine Vertragsverletzungen vorliegen oder nachgewiesen werden können. Nebst den Kontrollkosten können auch die Verfahrenskosten gegen fehlbare Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltend gemacht werden, wiederum unter der Voraussetzung, dass dies im Gesamtarbeitsvertrag so vorgesehen ist.

Die Kontrolle über die Einhaltung und Anwendung der allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge bedeutet für die paritätischen Kontrollorgane einen bedeutenden Aufwand. Aus diesem Grund können die unterstellten Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verpflichtet werden, Vollzugskostenbeiträge zu bezahlen, um die Kontrolltätigkeit mitzufinanzieren. Bei der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung fehlt diese Möglichkeit. Es gibt keinen triftigen Grund für diese unterschiedliche Behandlung zwischen der «normalen» und der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung. Die Erhebung von Vollzugskostenbeiträgen bei den unterstellten Arbeitgebern sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern soll deshalb neu auch bei der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung möglich und zulässig sein. Die Weiterbildungsbeiträge der Gesamtarbeitsverträge sind davon allerdings nicht betroffen. Solche Beiträge können weiterhin nicht erleichtert allgemeinverbindlich erklärt werden, weil kein Zusammenhang mit der Bekämpfung von Lohndumping besteht (vgl. Art. 1a AVEG). Aus diesem Grund muss in den Gesamtarbeitsverträgen betragsmässig zwischen den Vollzugskostenund den Weiterbildungsbeiträgen unterschieden werden können. Sollte ein Gesamtarbeitsvertrag diese Unterscheidung nicht ermöglichen, weil für Vollzug und Weiterbildung lediglich ein Gesamtbeitrag vorgesehen ist, so haben die Vertragsparteien den Gesamtarbeitsvertrag zu ändern, indem der Gesamtbeitrag aufgeteilt wird. Die Notwendigkeit, eine solche Aufteilung vorzunehmen, ergibt sich aus Artikel 2 EntsG, weil die Voraussetzungen für die Erhebung der Weiterbildungsbeiträge gegenüber Entsendebetrieben von denjenigen für die Erhebung der
Vollzugskostenbeiträge abweichen. So sind Weiterbildungsbeiträge ab dem 91. Tag einer Entsendung geschuldet, während Vollzugskostenbeiträge bereits ab dem ersten Tag zu entrichten sind (Art. 2 Abs. 2bis und 2quater EntsG).

Mit Einführung dieser Massnahme wird ausserdem eine Gleichbehandlung zwischen in- und ausländischen Arbeitgebern erreicht, da bis anhin lediglich ausländische Arbeitgeber, die gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge verstossen haben, gestützt auf das EntsG sanktioniert werden konnten, währenddem Schweizer Arbeitgeber keiner Sanktionierung unterworfen waren. Neu sollen nun auch Schweizer Arbeitgeber, die gegen einen erleichtert allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag verstossen, mit einer Konventionalstrafe belegt werden können.

3413

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

1.3.1

Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit

Gesamthaft hat sich die Anzahl der meldepflichtigen Selbstständigerwerbenden zwischen den Jahren 2005 und 2011 fast verdreifacht. Meldepflichtig sind selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer aus den EU-17/EFTA-Staaten Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien sowie aus Malta und Zypern. Seit dem 1. Mai 2011 sind ausserdem selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer aus den EU-8-Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn auch in den Branchen Baugewerbe, industrielle Reinigung und Bewachungs- und Sicherheitsdienst meldepflichtig. Sie unterlagen bis zum 30. April 2011 noch der Bewilligungspflicht.

Meldepflichtige Selbstständigerwerbende verweilen nur kurz in der Schweiz. Sie verrichteten im Jahr 2011 ein Arbeitsvolumen von rund 1900 Jahresarbeitskräften, was einem Anteil von 0,09 % der vollzeitäquivalenten Beschäftigung entspricht. Die meisten meldepflichtigen Selbstständigerwerbenden konzentrieren sich auf das Baunebengewerbe. Der Beschäftigungsanteil liegt hier bei knapp 0,6 %.

Die Tätigkeit der Kontrollorgane der flankierenden Massnahmen hat im Jahr 2010 Folgendes gezeigt: Es haben sich ca. 11 000 selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer für einen Einsatz in der Schweiz gemeldet. (Zum Vergleich: Im Jahr 2011 haben sich ca. 14 500 selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer gemeldet) In diesen Meldungen nicht enthalten sind gemeldete Personen im Bereich der persönlichen Dienstleistungen, da es sich dabei hauptsächlich um Dienstleistungen im Erotikgewerbe handelt. Einige Kantone verwenden das Meldeverfahren, um solche Personen zu erfassen. Die Personen in der Statistik der meldepflichtigen Selbstständigerwerbenden im Bereich der persönlichen Dienstleistungen stehen grösstenteils nicht direkt im Zusammenhang mit dem Ziel der flankierenden Massnahmen (Schutz von Arbeits- und Lohnbedingungen). In dieser Branche stellt sich aus Sicht der Arbeitsmarktbeobachtung die Problematik der Scheinselbstständigkeit nicht. Die betroffenen Personen werden nicht durch die Arbeitsmarktbehörden kontrolliert.

Im Jahr 2010 haben die paritätischen Kommissionen 3524 meldepflichtige
Selbstständige und die Kantone 3486 meldepflichtige Selbstständige kontrolliert.11 Der Anteil der vermuteten Fälle von Scheinselbstständigkeit lag im Jahr 2010 gemäss Angaben der paritätischen Kommissionen bei rund 23 % und gemäss Angaben der Kantone bei 15 %. Setzt man diese Verstossquoten ins Verhältnis zu der Anzahl selbstständiger Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer, die sich im Jahr 2010 für einen Einsatz in der Schweiz gemeldet haben, war bei ca. 2500 der im Jahr 2010 gemeldeten Personen eine Scheinselbstständigkeit zu vermuten. In gewissen Regionen (z.B. Grenzgebiete) und Branchen (z.B. Baunebengewerbe) ist das Phänomen Scheinselbstständigkeit ausgeprägter und zunehmend feststellbar. Gemäss Angaben 11

Die Kontrollergebnisse für das Jahr 2011 werden im Rahmen der jährlichen Berichterstattung des SECO über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen im Frühjahr 2012 publiziert.

3414

der Kontrollorgane der flankierenden Massnahmen sind insbesondere einzelne Branchen innerhalb des Baunebengewerbes (z.B. Plattenlegergewerbe, Maler- und Gipsergewerbe, Schreinergewerbe) vermehrt von Scheinselbstständigkeit betroffen.

Scheinselbstständige stehen oft am Ende von Subunternehmerketten.

Gemäss der Arbeitsgruppe Scheinselbstständigkeit kann gestützt auf das vorliegende Zahlenmaterial12 keine verlässliche Aussage über das Ausmass der Scheinselbstständigkeit ausländischer Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer in der Schweiz und in einzelnen Branchen gemacht werden. Dies hat verschiedene Gründe: ­

Das vorliegende Zahlenmaterial erlaubt es nicht, eine Aufschlüsselung der Anzahl meldepflichtiger Selbstständigerwerbender nach den einzelnen Branchen des Baunebengewerbes vorzunehmen.

­

Bei Kontrollen vor Ort werden auch selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer angetroffen, die nicht gemeldet sind und folglich in der Statistik nicht erscheinen. Dies hat zur Folge, dass nicht gezielt kontrolliert werden kann.

­

Die Vollzugsorgane waren in Bezug auf die Problematik der Scheinselbstständigkeit zum Teil noch nicht sensibilisiert. Zudem waren die Auffassungen bezüglich der Definition einer selbstständigen Tätigkeit unterschiedlich und den Kontrollorganen fehlten teilweise die Instrumente, um Scheinselbstständigkeit zu ermitteln. Die Weisung zum Vorgehen zur Überprüfung der selbstständigen Erwerbstätigkeit des SECO (vgl. Ziff. 1.1.3.1) hat hier Klarheit geschaffen. Damit wird den Kontrollorganen ein einheitliches Vorgehen bei ihrer Kontrolltätigkeit ermöglicht. Die für das Jahr 2010 sowie die Vorjahre ausgewiesenen Fälle von vermuteter Scheinselbstständigkeit sind deshalb aus den genannten Gründen mit Vorsicht zu interpretieren.

Die Arbeitsgruppe Scheinselbstständigkeit fügt ausserdem an, dass sich das Phänomen Scheinselbstständigkeit wohl in Branchen mit verbindlichen Mindestlöhnen stärker akzentuiert bzw. der Anreiz grösser ist, verbindliche Mindestlöhne durch Vorgeben einer Selbstständigkeit zu umgehen, als dies in Branchen ohne verbindliche Mindestlöhne der Fall ist, wo eine Unterbietung der üblichen Löhne keine Sanktionierung für den einzelnen Arbeitgeber, sondern ein Einigungsverfahren auf Lohnnachzahlung zur Folge hat.13 In den vom Phänomen Scheinselbstständigkeit stark betroffenen Branchen des Baunebengewerbes bestehen zahlreiche Gesamtarbeitsverträge mit verbindlichen Mindestlöhnen.

Zwar ist das Phänomen Scheinselbstständigkeit gemessen am Beschäftigungsanteil meldepflichtiger selbstständiger Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer nicht bedeutend. Aber Scheinselbstständige unterlaufen in einigen Branchen des Baunebengewerbes und einigen Regionen der Schweiz die flankierenden Massnahmen und gefährden die Einhaltung der Löhne. Massnahmen zur Bekämpfung dieses

12 13

Dazu Bericht des SECO vom 3. Mai 2011 über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr Schweiz-EU.

Bei einem üblichen Lohn handelt es sich nicht um einen einzelnen Lohnwert, sondern in aller Regel um eine Lohnspanne, in der sich die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmenden in einer Branche, einem Berufsfeld und einer bestimmten Region befindet. Eine Unterbietung des üblichen Lohnes liegt vor, wenn eine Person weniger verdient als der definierte übliche Lohn bzw. die Lohnspanne, die durch eine überwiegende Mehrheit von Unternehmen einer Branche und Region für entsprechende Arbeitskräfte bezahlt wird.

3415

Phänomens, namentlich solche, die die Kontrolltätigkeit der Vollzugsorgane erleichtern, sind folglich angezeigt.

Die vorgeschlagenen Massnahmen werden von der Arbeitsgruppe Scheinselbstständigkeit mehrheitlich unterstützt. Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens finden sich in Ziffer 1.3.6.1.

1.3.2

Sanktionierung von Verstössen gegen zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen

Bis anhin wurden auf kantonaler Ebene sechs Normalarbeitsverträge und auf nationaler Ebene ein Normalarbeitsvertrag im Sinn von Artikel 360a OR erlassen: Im Kanton Genf für den Kosmetikbereich und die Hauswirtschaft, im Kanton Tessin für Schönheitssalons, Call-Center sowie Reifenwechsel- und Reifenreparaturbetriebe («gommisti») und im Kanton Wallis für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Sektors der industriellen Wartung und Reinigung. Auf Bundesebene wurde ein Normalarbeitsvertrag für die Hauswirtschaft erlassen. In einigen der Branchen, in denen kantonale Normalarbeitsverträge im Sinn von Artikel 360a OR in Kraft sind, wurden Verstösse durch Schweizer Arbeitgeber gegen die Mindestlöhne festgestellt.

In einigen dieser Branchen waren die Verstossquoten sehr hoch.

Das Verbandsklagerecht, das der Gesetzgeber in Artikel 360e OR eingeführt hat, stärkt zwar den Schutz der Arbeitnehmenden im zivilrechtlichen Verfahren, weil sie dazu ermutigt werden, ihre individuellen Ansprüche vor Gericht geltend zu machen, wenn die Feststellung erfolgt ist, dass ein Verstoss gegen einen Normalarbeitsvertrag vorliegt. Dadurch wird garantiert, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ihre oder seine Ansprüche vor dem Zivilgericht durchsetzen kann. Allerdings dürften zahlreiche Arbeitnehmende aus Angst vor der Kündigung darauf verzichten, ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen. Wenn eine solche Kündigung als missbräuchlich beurteilt wird, würde eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer eine Entschädigung über maximal sechs Monatslöhne erhalten.

Der Schutz im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens ist deshalb ungenügend, weil dadurch einzig die zivilrechtlichen Ansprüche abgedeckt werden, die einer betroffenen Person zustehen. Auch wenn die betroffene Person ihre Rechte geltend machen kann und auch wenn eine Lohnnachzahlung effektiv erfolgt, stellt die Einhaltung der Mindestlöhne ein öffentliches Interesse dar. Aus diesem Grund soll eine gesetzliche Grundlage zur Sanktionierung von fehlbaren Arbeitgebern, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen, geschaffen werden. Dabei geht es auch um die Glaubwürdigkeit der Massnahme des Normalarbeitsvertrags mit zwingenden Mindestlöhnen sowie um die Gleichbehandlung in- und ausländischer Arbeitgeber. Diese Sanktionsmöglichkeit soll ausserdem die Einhaltung der Mindestlöhne sowie die Leistung der geschuldeten Lohnnachzahlung bezwecken.

Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens finden sich in Ziffer 1.3.6.2.

3416

1.3.3

Sanktionsmöglichkeit für Betriebe, die eine rechtskräftige Dienstleistungssperre missachten

Durch die Schaffung einer Strafbestimmung, mit der die Missachtung einer rechtskräftigen Dienstleistungssperre sanktioniert werden kann, wird eine weitere Lücke in der Gesetzgebung zu den flankierenden Massnahmen geschlossen. Das Problem, dass bis anhin die Missachtung von rechtskräftigen Dienstleistungssperren nicht gestützt auf das EntsG sanktioniert werden konnte, ist dem SECO als Aufsichtsbehörde über den Vollzug des EntsG bekannt. In der jüngeren Vergangenheit war dieses Problem von verschiedenen Kantonen und paritätischen Vollzugsorganen thematisiert worden. Zudem haben im Rahmen der Vernehmlassung zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer eine Verschärfung der Sanktionen des EntsG verlangt. Aus diesen Gründen erachtet der Bundesrat die Einführung einer neuen Strafbestimmung im EntsG als sinnvoll und als Verstärkung der Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen.

1.3.4

Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Weiterleitung der rechtskräftigen kantonalen Sanktionen an die zuständigen paritätischen Kommissionen

Im Rahmen einer im Sommer 2011 eingesetzten Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner, der Kantone und des Bundes zur Verbesserung des Vollzugs der flankierenden Massnahmen ist unter anderem eine konsequentere Nachbearbeitung von Lohnunterbietungen gefordert worden. Im Zusammenhang mit der Analyse der Arbeitsgruppe zu dieser Problematik hat sich herausgestellt, dass eine Rückmeldung der kantonalen Sanktionen an die zuständige paritätische Kommission den paritätischen Vollzugsorganen eine umfassendere Übersicht über die Kontrolltätigkeit erlaubt. Dies würde zu einem wirksameren Vollzug führen. Der Bundesrat schlägt deshalb vor, dieses Anliegen, das erst nach dem Vernehmlassungsverfahren vorgebracht wurde, in den Gesetzesentwurf aufzunehmen und mittels gesetzlicher Grundlage die kantonalen Behörden zu verpflichten, rechtskräftige Sanktionen der zuständigen paritätischen Kommission zuzustellen.

1.3.5

Sanktionierung von Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge

Indem die Bestimmung über die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung ergänzt wird, sodass die in den Gesamtarbeitsverträgen vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten wie Konventionalstrafen und Bestimmungen über Kontrollkosten neu ausdrücklich allgemeinverbindlich erklärt werden können sollen, wird die Wirksamkeit der Massnahme zur erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen gestärkt. Bisher fehlten den paritätischen Vollzugsorganen von erleichtert allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen die Möglichkeiten zur Sanktionierung festgestellter Verstösse.

Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens finden sich in Ziffer 1.3.6.3.

3417

1.3.6

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

1.3.6.1

Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit

Die Vernehmlassung hat ergeben, dass die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer die Einführung von Massnahmen zur Überprüfung und Sanktionierung bei Scheinselbstständigkeit sowie die vorgeschlagene Ausgestaltung der Bestimmungen begrüsst.

Differenzen unter den Vernehmlassungsteilnehmenden bestehen insbesondere in Bezug auf die Zuständigkeit zur Anordnung eines Arbeitsunterbruchs sowie die Dauer der davor anzusetzenden Nachfrist. Von verschiedenen Seiten wird verlangt, dass nicht nur die kantonalen Behörden, sondern auch die paritätischen Vollzugsorgane zur Anordnung eines Arbeitsunterbruchs berechtigt sein müssten. Währenddem wehren sich andere Kreise gegen die Übertragung dieser Kompetenz. Vorwiegend von den Arbeitnehmervertretern und -vertreterinnen wird die Streichung der Nachfrist verlangt, die der Gesetzesentwurf vor Anordnung des Arbeitsunterbruchs vorsieht, da die Nachfrist rasches Handeln, das in diesen Situationen angezeigt sei, verunmögliche.

Von den Kantonen wurden Fragen in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens zur Anordnung eines Arbeitsunterbruchs sowie in Bezug auf eine allfällige Haftung aufgeworfen. Zudem machten die Kantone geltend, dass diese vorgesehenen Verfahren einen finanziellen und personellen Mehraufwand generierten.

1.3.6.2

Sanktionierung von Verstössen gegen zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Einführung sowie die Ausgestaltung der Sanktionsmöglichkeit wird von der grossen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer begrüsst. Die Massnahme wird im Sinn der Gleichbehandlung in- und ausländischer Arbeitgeber als richtig erachtet. Die Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter erachten jedoch die Bussenhöhe als zu wenig abschreckend und verlangen generell bei Verstössen gegen das EntsG eine Erhöhung der Bussen.

1.3.6.3

Sanktionierung von Verstössen gegen erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge

Die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer begrüsst den Vorschlag, neu auch Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags über Sanktionen und die Auferlegung von Kontrollkosten erleichtert allgemeinverbindlich erklären zu können. Einige Branchenverbände haben sich gegen die Erweiterung der Bestimmungen, die der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung zugänglich sind, ausgesprochen. Sie machen geltend, dass dadurch die rechtsgleiche Behandlung aller Betroffenen in Frage gestellt werde, da es sich bei der Allgemeinverbindlicherklärung nicht um ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren handle und der Vollzug eines Gesamtarbeitsvertrages durch Verbände und nicht durch staatliche Organe erfolge.

3418

1.3.6.4

Weitere Ergebnisse

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens betonten die Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer einhellig, dass bei der Anpassung der flankierenden Massnahmen der rechtliche Rahmen des FZA eingehalten werden müsse. Die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ist der Meinung, dass dies mit den vorliegenden Vorschlägen gelungen sei.

Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer haben sich zusätzlich zu den vorgeschlagenen Massnahmen auf Gesetzesebene zum Vollzug der flankierenden Massnahmen im Allgemeinen geäussert. Sowohl von Arbeitgeber- als auch von Arbeitnehmerseite sowie von verschiedenen Kantonen ist geltend gemacht worden, dass rasche Verbesserungen im Vollzug sowie eine konsequente Umsetzung der bestehenden flankierenden Massnahmen in Angriff genommen werden müssten.

Dieses Anliegen wird mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf bereits teilweise aufgenommen, indem die neuen Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit die Wirksamkeit des Vollzugs in diesem Bereich verstärken. Zudem wurden parallel zu den Gesetzgebungsarbeiten Massnahmen zur Verbesserung der Wirksamkeit des Vollzugs eingeleitet.

So hat eine Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner, der Kantone und des Bundes dem EVD-Vorsteher Ende Januar 2012 Vorschläge unterbreitet, die Lösungen für die Problembereiche der Lohnunterbietungen bei Neueinstellungen, der konsequenteren Nachbearbeitung von Lohnunterbietungen sowie der Durchsetzung von Sanktionen bei ausländischen Entsendebetrieben enthalten. Das SECO als Aufsichtsbehörde über die flankierenden Massnahmen wird diese Vorschläge umsetzen.

Ausserdem hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 18. Januar 201214 zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 21. Oktober 2011 über die Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkung erklärt, die Empfehlungen der GPK-N zu übernehmen. Das EVD ist damit beauftragt worden, die Empfehlungen umzusetzen.

Ebenfalls am 18. Januar 2012 hat der Bundesrat ein Postulat der GPK-N (11.4055) zur Annahme empfohlen, das den Bundesrat einlädt, den gesetzlichen Handlungsbedarf im Bereich der Normalarbeitsverträge sowie betreffend die Problematik der Subunternehmerketten vertieft abzuklären. Im Rahmen
der Vernehmlassung war von den Gewerkschaften und verschiedenen Kantonen die Prüfung der Einführung einer Solidarhaftung gefordert worden. Diesem Anliegen wird aus Sicht des Bundesrates durch die Empfehlung zur Annahme des erwähnten Postulats Rechnung getragen.

14

BBl 2012 1255

3419

1.4

Umsetzung

Die beantragte Neuregelung hat keine Neuerungen betreffend die Zuständigkeiten der Vollzugsorgane zur Folge. Bereits heute sind die Vollzugsorgane namentlich mit der Überprüfung der Selbstständigkeit sowie der Kontrolle der Einhaltung der Normalarbeitsverträge im Sinn von Artikel 360a OR beauftragt.

Im Rahmen der Vernehmlassung wurde von zahlreichen Kantonen die Klärung von verschiedenen sich im Zusammenhang mit dem Vollzug der Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit stellenden Fragen verlangt, namentlich Fragen in Bezug auf das Verfahren zur Anordnung eines Arbeitsunterbruchs und auf die Haftung bei einem unverhältnismässig angeordneten Arbeitsunterbruch. Diese Fragen sind berechtigt. Die Umsetzung der vorgesehenen Bestimmungen in der Praxis wird sich, insbesondere was die Gewährung des rechtlichen Gehörs sowie die Zustellung der Verfügung betrifft, mittels derer der Arbeitsunterbruch angeordnet wird, nicht einfach gestalten. Eine allfällige Haftung der kantonalen Behörden richtet sich nach den kantonalen Verantwortlichkeitsgesetzen. Die zuständige Aufsichtsbehörde des Bundes, das SECO, wird die sich stellenden Fragen mit den kantonalen Behörden im Rahmen der verschiedenen bestehenden Austauschgremien klären.

2

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

2.1

Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen

Art. 1a Bei Verstössen werden die paritätischen Kommissionen gegenüber Betrieben mit Sitz in der Schweiz wie auch gegenüber ausländischen Betrieben, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden, Konventionalstrafen aussprechen können. Auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können Adressaten einer Konventionalstrafe sein. Sieht der Gesamtarbeitsvertrag ferner die Möglichkeit vor, gegenüber fehlbaren Betrieben oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Kontrollkosten in Rechnung zu stellen, so sollen solche Bestimmungen neu ebenfalls allgemeinverbindlich erklärt werden können. Ausserdem soll die Erhebung von Vollzugskostenbeiträgen bei den unterstellten Arbeitgebern sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern neu auch bei der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung möglich und zulässig sein. Die Weiterbildungsbeiträge der Gesamtarbeitsverträge sind davon allerdings nicht betroffen.

2.2

Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Titel Die Ausdehnung der Bestimmungen über Kontrolle und Sanktionierung des Gesetzes auf Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigen und für die zwingende Mindestlöhne in einem Normalarbeitsvertrag im 3420

Sinn von Artikel 360a OR gelten, macht eine Anpassung des Gesetzestitels erforderlich. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gesetz nicht mehr nur für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt.

Der bis anhin verwendete Kurztitel der deutschen Sprachversion des Gesetzes wird in der Praxis nicht verwendet. Vielmehr werden jeweils der nicht offizielle Kurztitel «Entsendegesetz» sowie die Abkürzung «EntsG» verwendet. Durch die Änderung des Kurztitels soll diesem Umstand Rechnung getragen werden, zumal das Gesetz in erster Linie an entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber gerichtet ist. Der deutsche Kurztitel wird so auch der französischen und der italienischen Sprachversion angepasst. In der französischen Sprachversion wird der Kurztitel neu mit der Abkürzung «LDét» ergänzt, in der italienischen Version mit «LDist».

Art. 1 Abs. 2 und 3 Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen, sind gehalten, die Bestimmungen des OR einzuhalten. Um Arbeitgeber, die zwingende Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen im Sinn von Artikel 360a OR nicht einhalten, sanktionieren zu können, werden die Bestimmungen über die Kontrolle und Sanktionierung des EntsG auf sie ausgedehnt. Bei den Bestimmungen über die Kontrolle und die Sanktionierung handelt es sich um Artikel 7 Absätze 1 Buchstabe b, 2 und 4, Artikel 9 Absatz 2 Buchstaben d und e sowie Artikel 12.

Absatz 2 präzisiert, dass die zwingenden Mindestlöhne in Normalarbeitsverträgen im Sinn von Artikel 360a OR eingehalten werden müssen. Dadurch wird Klarheit geschaffen, dass in Normalarbeitsverträgen im Sinn von Artikel 359 OR enthaltenen Mindestlöhne nicht eingehalten werden müssen, da von diesen durch vertragliche Abrede abgewichen werden kann.

Art. 1a

Nachweis der selbstständigen Erwerbstätigkeit durch ausländische Dienstleistungserbringerinnen und Dienstleistungserbringer

Eine Dienstleistungserbringerin oder ein Dienstleistungserbringer aus dem Ausland, die oder der sich auf selbstständige Erwerbstätigkeit beruft, muss diese auf Verlangen nachweisen. Damit der Nachweis erbracht ist, müssen die schweizerischen Kriterien, die eine Selbstständigkeit definieren, erfüllt sein (Abs. 1). Für die Überprüfung der selbstständigen Erwerbstätigkeit müssen bei einer Kontrolle vor Ort drei Dokumente vorgewiesen werden (Abs. 2). Es handelt sich dabei um Dokumente, die von jeder selbstständigen Dienstleistungserbringerin und jedem selbstständigen Dienstleistungserbringer einfach beschafft und mitgeführt werden können. Es ist ferner anzunehmen, dass diese Dokumente sowieso bei einem Einsatz im Ausland mitgeführt werden, wie dies beispielsweise beim Führerschein der Fall ist. Die Meldebestätigung gibt Auskunft über die eigene Einschätzung der betreffenden Person bezüglich ihres Status, das Sozialversicherungsdokument E 10115 gibt Auskunft über den sozialversicherungsrechtlichen Status der kontrollierten Person im Herkunftsstaat und die Kopie des Auftrags oder Werkvertrags bzw., falls dieses Dokument nicht schriftlich vorhanden ist, die schriftliche Bestätigung der Auftraggeberin oder des Auftraggebers bzw. der Bestellerin oder des Bestellers für den in 15

Mit Inkrafttreten der Änderung von Anhang II des FZA wird das Formular A 1 das Formular E 101 ersetzen.

3421

der Schweiz auszuführenden Auftrag oder Werkvertrag gibt Hinweise zur Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses und zur Person, die im Fall einer Scheinselbstständigkeit als Arbeitgeber zur Einhaltung der schweizerischen Lohn- und Arbeitsbedingungen verpflichtet ist.

Um die betroffenen Personen auf ihre Dokumentationspflicht hinzuweisen, bringt das für den Betrieb des Zentralen Migrationsinformationssystems und des OnlineMeldeverfahrens zuständige Bundesamt für Migration innerhalb des Online-Meldeverfahrens einen Warnhinweis an.

Werden die in Absatz 2 genannten Dokumente nicht mitgeführt, setzt das zuständige Kontrollorgan eine Nachfrist an, innert derer die Dokumente oder Unterlagen, die ihnen gleichwertig sind, einzureichen sind (Abs. 3). Grundsätzlich handelt es sich bei den Dokumenten nach Absatz 2 um die tauglichsten Unterlagen, um die Selbstständigkeit nachzuweisen. Diese Unterlagen dürften in der Mehrheit der Fälle dazu geeignet sein, den Status einer Person zu überprüfen. Unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes soll es einer selbstständigen Dienstleistungserbringerin oder einem selbstständigen Dienstleistungserbringer allerdings offen stehen, die Selbstständigkeit mittels anderer Unterlagen nachzuweisen, die den Unterlagen nach Absatz 2 gleichwertig sind. Als gleichwertig können insbesondere folgende Unterlagen gelten: Nachweis eines Kundenkreises, Abrechnungen, die die eigene Rechnungsstellung belegen, Abrechnungen für Übernachtungen am Einsatzort mit Hinweis darauf, wer diese bezahlt.

Die Nachfrist, innert derer die Dokumente unter Androhung des Arbeitsunterbruchs zwingend vorgelegt werden müssen, setzt das Kontrollorgan je nach angetroffenem Sachverhalt an. Bei kurzen Einsätzen ist eine Frist von zwei bis drei Tagen denkbar, innert der die Unterlagen persönlich, per Fax oder per E-Mail dem zuständigen Kontrollorgan nachzureichen sind. Die Frist kann kurz sein, da alle der drei aufgelisteten Dokumente bzw. gleichwertige Unterlagen innert eines kurzen Zeitraums beschafft werden können. Wie lang die Frist im Einzelfall angesetzt wird, entscheiden die Kontrollorgane je nach Situation unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips. Bei längeren Einsätzen in der Schweiz kann auch die Nachfrist entsprechend länger sein. Werden die Unterlagen nachgereicht, überprüft
das Kontrollorgan den Status der Person.

Da die drei Dokumente es nicht in jedem Fall erlauben dürften, den Status einer Person zweifelsfrei zu klären, holen die Kontrollorgane weitere Auskünfte oder Unterlagen ein, die dem Nachweis der Selbstständigkeit dienen (Abs. 4). Die Voraussetzungen, um weitere Auskünfte einzuholen, sind dann erfüllt, wenn trotz Vorlage der Dokumente nach Absatz 2 oder gleichwertiger Unterlagen oder Beobachtungen des Kontrollorgans vor Ort Zweifel am Status einer Person bestehen bzw. ein Verdacht auf Scheinselbstständigkeit besteht. Sei es, weil Beobachtungen vor Ort im Widerspruch zur Aussage der eingereichten Unterlagen stehen, weil Zweifel an der Echtheit der Unterlagen bestehen oder nur wenige Beobachtungen zum Status einer Person vor Ort gemacht werden konnten. Auskunftspflichtig gegenüber den Kontrollorganen sind die kontrollierte Person sowie deren Auftraggeberin oder Auftraggeber bzw. Bestellerin oder Besteller. Es können alle Unterlagen verlangt werden, die dem Nachweis der selbstständigen Erwerbstätigkeit dienen und die Auskunft über das bestehende Vertragsverhältnis zwischen den Vertragsparteien geben. Bei den weiteren Unterlagen, die angefordert werden können, handelt es sich insbesondere um die folgenden: Gewerbeschein, Nachweis der Mitgliedschaft in einem Berufsverband (z.B. in einer Handwerkskammer), Mehrwertsteuer- oder Umsatz3422

steuernummer, Abrechnungen, die die eigene Rechnungsstellung belegen, Abrechnungen für Übernachtungen am Einsatzort mit Hinweis darauf, wer diese bezahlt hat, Kaufbelege für Arbeitsmaterial und Geräte, Liste von Kundinnen und Kunden in der Schweiz, Autoversicherung, falls ein eigenes Fahrzeug vorhanden ist, Betriebshaftpflichtversicherung oder Mietverträge für Geschäftsräumlichkeiten. Reichen auch diese Unterlagen nicht aus, um den Nachweis der selbstständigen Erwerbstätigkeit zu erbringen, kann sich das Kontrollorgan in einem weiteren Schritt an die Auftraggeberin oder den Auftraggeber bzw. an die Bestellerin oder den Besteller wenden, um Auskünfte einzuholen. Die in Absatz 5 verankerte Auskunftspflicht für die Auftraggeberin oder den Auftraggeber beziehungsweise die Bestellerin oder den Besteller der kontrollierten Person ist sinnvoll, da die Praxiserfahrung gezeigt hat, dass diese Personen in einer Vielzahl von Fällen zusätzliche Angaben machen können, die in Zweifelsfällen der Ermittlung des Status einer Person dienen.

Art. 1b

Massnahmen bei Verletzung der Dokumentationspflicht oder misslungenem Nachweis der selbstständigen Erwerbstätigkeit

Verstreicht die vom zuständigen Kontrollorgan angesetzte Nachfrist unbenutzt, das heisst, reicht die betreffende Person die unter Artikel 1a Absatz 2 aufgeführten Dokumente oder gleichwertige Unterlagen nicht ein, kann die zuständige kantonale Behörde einen Arbeitsunterbruch verfügen (Abs. 2). Die paritätischen Kommissionen als Organe des Zivilrechts können den Arbeitsunterbruch nicht selber anordnen, sondern wenden sich an die kantonale Behörde (Abs. 1).

Ein Arbeitsunterbruch soll nur als ultima ratio angeordnet werden. Nämlich dann, wenn bei einer Kontrolle gar keine Unterlagen vorliegen und auch sonst die Überprüfung der selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht möglich ist.

Einem Rechtsmittel, das gegen den Entscheid ergriffen wird, kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Es ist denkbar, dass ein Arbeitsunterbruch insbesondere bei wiederholter Missachtung der Dokumentationspflicht oder in Fällen der baldigen Beendigung der Arbeiten in der Schweiz angeordnet wird. Die Anordnung des Arbeitsunterbruchs soll verhältnismässig sein. Werden andere Dokumente als die in Artikel 1a Absatz 2 aufgeführten eingereicht, die dem Nachweis der Selbstständigkeit dienlich sind und anhand derer sich der Status einer Person klären lässt, ist die Verhältnismässigkeit nicht gewahrt. Die Verhältnismässigkeit ist insbesondere auch dann nicht gewahrt, wenn nicht alle drei Dokumente nach Artikel 1a Absatz 2 vorliegen, der Nachweis der selbstständigen Erwerbstätigkeit aber dennoch erbracht werden konnte.

Wurde ein Arbeitsunterbruch angeordnet, soll er enden, wenn die dokumentationspflichtige Person ihrer Pflicht nachkommt und die in Artikel 1a Absatz 2 genannten Dokumente oder gleichwertige Unterlagen beibringt.

Ein Arbeitsunterbruch kann auch angeordnet werden, wenn eine Scheinselbstständigkeit festgestellt wurde, aber der Arbeitgeber der scheinselbstständigen Person nicht ausfindig gemacht werden konnte (Abs. 1 Bst. b). Diese Massnahme ist deshalb sinnvoll, weil zur Durchsetzung der schweizerischen Lohn- und Arbeitsbedingungen ein Arbeitgeber gefunden werden muss, der gestützt auf die schweizerische Gesetzgebung zu deren Einhaltung verpflichtet ist. Ein in diesem Fall angeordneter Arbeitsunterbruch endet, sobald ein Arbeitgeber ermittelt werden konnte. Andererseits endet der Unterbruch, wenn eine als scheinselbstständig ermittelte Person ihre Tätigkeit in einem geregelten Arbeitsverhältnis wieder aufnimmt (Abs. 3). Durch 3423

diese Massnahme kann verhindert werden, dass scheinselbstständige Personen in der Schweiz arbeiten. Dadurch wird jedoch weder eine selbstständige Tätigkeit noch eine Tätigkeit als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer verhindert.

Das kantonale Recht regelt im Übrigen das Verfahren bei Anordnung der Massnahme des Arbeitsunterbruchs.

Art. 7 Abs. 2 Um Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen, tatsächlich kontrollieren zu können, muss das zuständige Kontrollorgan Zugang zu den dafür notwendigen Unterlagen haben. Die bestehende Verpflichtung ausländischer Arbeitgeber, die für die Kontrolle notwendigen Unterlagen einzureichen, soll auf alle Arbeitgeber ausgedehnt werden, auf die die Bestimmungen des EntsG über die Kontrolle anwendbar sind. Der Satzteil «der entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer» wurde folglich gestrichen.

Diese zusätzliche Pflicht bewirkt keine neuen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag.

Art. 9 Abs. 2 Neu beinhaltet Artikel 9 die Möglichkeit, dass die zuständigen kantonalen Behörden bei Verstössen gegen das EntsG Verwaltungssanktionen auch gegen selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer sowie gegen Arbeitgeber, die Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigen, aussprechen können.

Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit sind insbesondere die beiden nachfolgend beschriebenen Sanktionsmöglichkeiten von Bedeutung.

In Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a wird zusätzlich zu den bisherigen Tatbeständen, die zu einer Verwaltungssanktion führen können, die Sanktionierung der Verletzung der Dokumentationspflicht nach Artikel 1a Absatz 2 aufgenommen. Können die Unterlagen nach Artikel 1a Absatz 2 bei einer Kontrolle nicht vorgelegt werden, kann eine Busse bis 5000 Franken ausgesprochen werden. Stellt sich heraus, dass die kontrollierte Person scheinselbstständig ist, kann auf eine Busse verzichtet werden, wenn sie sich auf Geheiss des Arbeitgebers als scheinselbstständig auszugeben hatte. In einem solchen Fall befindet sich die scheinselbstständige Person in einem Abhängigkeitsverhältnis und damit in der schwächeren Position und sollte deshalb nicht sanktioniert werden. Verstösse gegen die Dokumentationspflicht werden von den Vollzugsorganen der zuständigen kantonalen Behörde des Einsatzortes gemeldet. Diese allein ist
dafür zuständig, Verwaltungssanktionen auszusprechen.

Neu kann auch eine Dienstleistungssperre gegen eine selbstständig erwerbstätige Person verhängt werden (Bst. b). Diese Sanktion gelangt im Zusammenhang mit Auskunftspflichtverletzungen, bei wissentlicher Erteilung falscher Auskünfte, bei Auskunftsverweigerung, bei Sich-Widersetzen oder Verunmöglichen einer Kontrolle (Verstoss gegen Artikel 12 Absatz 1 Buchstaben a und b) zur Anwendung. Die Auskunftspflicht besteht bei Branchen mit einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag gegenüber den paritätischen Kommissionen. Wird ihr nicht nachgekommen, können die paritätischen Kommissionen mit dem Antrag auf Verhängen einer Sperre an die sanktionierende Behörde gelangen. Ein Sanktionsentscheid nach Artikel 12 Absatz 1 muss nicht vorliegen. Es genügt, wenn die Voraus3424

setzungen für diese Sanktion gegeben sind. Das parallele Verhängen einer Sanktion nach Artikel 12 Absatz 1 ist möglich. Eine Sperre kann ebenfalls verhängt werden, wenn rechtskräftige Bussen nicht bezahlt wurden. Eine Dienstleistungssperre wegen Auskunftspflichtverletzung ist nur dann angezeigt, wenn durch die auskunftspflichtige Person gar keine Auskünfte erteilt werden, nicht aber dann, wenn Auskünfte erteilt werden, aber die in Artikel 1a Absatz 2 genannten Dokumente nicht vorgelegt werden. Werden die Dokumente nicht vorgelegt, aber Auskünfte erteilt, kann eine Verwaltungssanktion ausgesprochen werden.

Der neue Buchstabe c bietet der zuständigen kantonalen Behörde die Möglichkeit zur Sanktionierung eines Arbeitgebers, der Arbeitnehmende in der Schweiz beschäftigt und gegen die Mindestlöhne in einem Normalarbeitsvertrag im Sinn von Artikel 360a OR verstösst. Sie kann eine Busse bis 5000 Franken aussprechen. Die gleiche Sanktion kann in vergleichbaren Fällen auch gegen ausländische Arbeitgeber ausgesprochen werden. Es handelt sich um eine verwaltungsrechtliche Sanktion.

Artikel 7 des Bundesgesetzes vom 22. März 197416 über das Verwaltungsstrafrecht wird explizit für anwendbar erklärt.

Fehlbaren Selbstständigerwerbenden, das heisst solchen, die die Dokumentationspflicht verletzen oder gegen Artikel 12 verstossen, können nach Buchstabe d die Kontrollkosten auferlegt werden. Es handelt sich dabei um die Kontrollkosten der kantonalen Behörden. Paritätische Kommissionen können keine Kontrollkosten auferlegen. Zwar sieht die Verordnung vom 21. Mai 200317 über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Artikel 8a vor, dass paritätische Kommissionen Kontrollkosten erheben können. Dies ist aber nur dann möglich, wenn ein allgemeinverbindlich erklärter Gesamtarbeitsvertrag anwendbar ist. Selbstständigerwerbende, gegen die eine Sanktion nach Artikel 9 ausgesprochen wurde, sind allerdings keine Arbeitgeber, auf die die Bestimmungen eines allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrags anwendbar sind.

Auch Arbeitgebern, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigen und die für die Nichteinhaltung eines Normalarbeitsvertrags im Sinn von Artikel 360a OR sanktioniert wurden, kann die zuständige kantonale Behörde nach Buchstabe d ganz oder teilweise die
Kontrollkosten auferlegen. Bei Erfüllung der Tatbestände nach Artikel 12 kommt eine strafrechtliche Sanktionierung in Betracht.

Art. 12 Abs. 1 Arbeitet eine selbstständige Dienstleistungserbringerin oder ein selbstständiger Dienstleistungserbringer oder ein Betrieb, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Schweiz entsendet, trotz einer rechtskräftigen Dienstleistungssperre in der Schweiz, liegt eine Widerhandlung gegen das Gesetz vor (Bst. c).

Nach Buchstabe d ist neu auch strafbar, wer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigt und systematisch und in gewinnsüchtiger Absicht gegen den Mindestlohn in einem Normalarbeitsvertrag im Sinn von Artikel 360a OR verstösst. Diese Strafbestimmung richtet sich folglich gegen Schweizer Arbeitgeber.

Ausländische Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden, werden von Absatz 3 erfasst.

16 17

SR 313.0 SR 823.201

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Die bestehenden Strafbestimmungen werden durch die beiden genannten Tatbestände ergänzt. Die Höhe der Busse hängt von der Schwere des Delikts ab; sie beträgt höchstens 40 000 Franken.

Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit ist zu erwähnen, dass auch ausländische Arbeitgeber, die systematisch und in gewinnsüchtiger Absicht scheinselbstständige Personen beschäftigen und dadurch den Mindestlohn nicht einhalten, den Tatbestand in Artikel 12 Absatz 3 erfüllen können.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Gesetzesvorlage hat die Verstärkung der Wirksamkeit und die Verbesserung des Vollzugs der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit zum Inhalt und schafft keine grundsätzlich neuen Aufgaben, die nicht bereits heute durch die bestehende Vollzugsorganisation abgedeckt sind. Schon heute werden die Kontrollen von selbstständigen ausländischen Dienstleistungserbringerinnen und -erbringern sowie von Arbeitgebern, die unter einen Normalarbeitsvertrag im Sinn von Artikel 360a OR fallen, zur Hälfte vom Bund entschädigt. Das EVD schliesst mit den Kantonen und den Sozialpartnern Leistungsvereinbarungen über die Finanzierung der Kontrolltätigkeit ab.

Die Möglichkeit zur Anordnung eines Arbeitsunterbruchs als Massnahme zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit dürfte den kantonalen Behörden grundsätzlich einen Mehraufwand verursachen, der vom Bund zur Hälfte zu entschädigen ist.

Im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten zum Vollzug der geplanten Massnahmen sowie im Vollzug selber muss sich zeigen, wie dieser Mehraufwand zu beziffern ist.

Eine Schätzung des Mehraufwandes gestaltet sich schwierig, da die Anordnung der neuen Massnahmen im Ermessen der Kantone liegen soll. Noch ist nicht absehbar, wie intensiv die Kantone von den neuen Massnahmen Gebrauch machen werden.

Schätzungen des SECO zufolge, die sich auf bisherige Erfahrungen stützen, dürfte sich der Mehraufwand auf eine halbe bis eine Million Franken belaufen. Der Mehraufwand ist vom Bund zur Hälfte zu entschädigen. Schätzungen des SECO zufolge dürften die für den Bund anfallenden Mehrkosten und die Bussenerträge der Kantone, die mit den neuen Massnahmen generiert werden, nicht zu einer spürbaren Kostenverschiebung zwischen Bund und Kantonen führen. Das EVD wird das Verhältnis zwischen den Ausgaben des Bundes und den Erträgen aus Busseneinnahmen der Kantone jedoch periodisch prüfen.

Die vorgesehene Änderung im AVEG führt nicht zu einem Zuwachs der Verfahren um Allgemeinverbindlicherklärung, da sich die Voraussetzungen für das Verfahren nicht ändern. Bei der Prüfung der einzelnen Bestimmungen zur Zulässigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung entsteht ebenfalls kein Mehraufwand.

Die Massnahmen haben für den Bund keine personellen Auswirkungen.

3426

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Wie für den Bund hat die Gesetzesvorlage, namentlich die Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit, auch für die Kantone eine finanzielle Mehrbelastung zur Folge. Schätzungen des SECO zufolge, die sich auf bisherige Erfahrungen stützen, dürfte sich der Mehraufwand auf eine halbe bis eine Million Franken belaufen. Der Mehraufwand ist von den Kantonen zur Hälfte zu tragen.

Die Ausdehnung der Sanktionen auf selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer sowie auf Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigen, dürfte ausserdem positive Auswirkungen auf die Kantone haben, da dadurch Einnahmen für die Kantone generiert werden. Die Busseneinnahmen dürften geringer sein als der Mehraufwand, der den Kantonen anfällt.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die bisher vom SECO veröffentlichten Berichte über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zeigen, dass die im Rahmen der flankierenden Massnahmen durchgeführten Kontrollen und ausgesprochenen Sanktionen angebracht sind.

Mit den vorgeschlagenen Änderungen werden punktuell bestehende Lücken im Vollzug geschlossen. Die Verschärfungen sind sachlich begründbar und insgesamt als moderat zu bezeichnen, womit die Marktzutrittschancen für ausländische Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer und Unternehmen intakt bleiben.

Die Gesetzesvorlage bewirkt keine übermässige Regulierung des Arbeitsmarktes.

Sie führt zu einer wirksameren Umsetzung der bereits bestehenden Instrumente.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 25. Januar 201218 über die Legislaturplanung 2011­2015 unter «Weitere Geschäfte» angekündigt.

Die Vorlage ist nicht in der Finanzplanung vorgesehen. Die Gründe ergeben sich aus den vorstehenden Ausführungen.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Bestimmungen dieses Gesetzes stützen sich auf Artikel 110 Absatz 1 Buchstaben a und d sowie auf Artikel 110 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV)19.

18 19

BBl 2012 481, hier 615 SR 101

3427

5.2

Übereinstimmung mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Wie in der Botschaft vom 23. Juni 199920 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG erwähnt, stützt sich das EntsG auf die EU-Entsenderichtlinie21. Anhang I Artikel 22 FZA bezieht sich ausdrücklich auf diese Richtlinie. Die im vorliegenden Entwurf vorgeschlagenen Massnahmen bezwecken eine Ausweitung des Regelungsgegenstandes des EntsG auf selbstständige Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer sowie Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz beschäftigen. Dies führt zu einem effizienteren Schutz vor Missbräuchen der für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltenden arbeitsrechtlichen Schutznormen. Die vorgeschlagenen Massnahmen stützen sich allein auf das innerstaatliche Recht. Die Entsenderichtlinie ist nicht auf selbstständig Erwerbende anwendbar und das EU-Recht kennt keine spezifischen Regelungen über die Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit. Massgebend bleiben jedoch die allgemeinen Bestimmungen des europäischen Rechts und des FZA, insbesondere das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Wie bereits erwähnt, ist es das Ziel der vorliegenden Vorschläge, mit dem FZA vereinbare Massnahmen zu erlassen, auch um Haftungsfragen zu vermeiden. Während den Vorarbeiten sind diese Fragen intensiv geprüft worden. Zwar wurden verschiedentlich Bedenken geäussert bezüglich der Gleichbehandlung von in- und ausländischen Selbstständigerwerbenden. Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass keine Massnahmen vorgesehen werden, die gegen das Diskriminierungsverbot im FZA verstossen. Beim EntsG handelt es sich um ein Gesetz, das sich bereits aufgrund seines Sinns und Zwecks in erster Linie an Ausländerinnen und Ausländer richtet.

Für inländische Selbstständigerwerbende sind genügend Prüf- und Sanktionsmöglichkeiten im nationalen Recht bereits vorhanden.

Im Übrigen verletzt der Entwurf keine internationale Verpflichtung der Schweiz.

5.3

Form des Erlasses

Da mit diesem Entwurf geltende Bundesgesetze abgeändert werden, ist der Erlass im Sinn von Artikel 164 BV in die Form eines Bundesgesetzes zu kleiden.

20 21

BBl 1999 6128, hier 6434 Richtlinie 96/71 vom 16. Dez. 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen; Abl. L 18 vom 21.1.1997, S. 1.

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