Bericht zur Abschreibung der Motion der UREK-S 08.3240 «Fluglärmimmissionen.

Entschädigung nachbarrechtlicher Abwehransprüche» vom 17. Mai 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2008

M 08.3240

Fluglärmimmissionen. Entschädigung nachbarrechtlicher Abwehransprüche (S 12.6.2008, UREK-S; N 4.6.2009)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. Mai 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2017-0656

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Bericht 1

Ausgangslage

Mit der Motion 08.3240 «Fluglärmimmissionen. Entschädigung nachbarrechtlicher Abwehransprüche» wurde der Bundesrat beauftragt, dem Parlament die erforderlichen gesetzlichen Bestimmungen zu unterbreiten, damit die Rechtslage der von Fluglärm betroffenen Grundstückeigentümerinnen und -eigentümer verbessert werden kann. Die Motion bezieht sich auf die stark kritisierte Rechtslage bei Entschädigungsbegehren für lärmbedingte Minderwerte von Immobilien.

Liegenschaften an Standorten mit hoher Lärmbelastung erzielen deutlich tiefere Mieterlöse und Verkaufspreise als Liegenschaften an ruhigen Lagen. 1 Betroffene Grundstückeigentümerinnen und -eigentümer können nach heutiger Rechtslage über den Weg der Enteignung der zivilrechtlichen Abwehransprüche eine einmalige Entschädigung für den lärmbedingten Wertverlust ihrer Liegenschaften erwirken.

Das Bundesgericht hat insbesondere im Bereich der Flughäfen Kriterien zur Beurteilung solcher Entschädigungsforderungen entwickelt.2 Demnach muss die Lärmbelastung speziell sein (Lärmbelastung über den Immissionsgrenzwerten gemäss Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986, LSV3), der Schaden muss eine gewisse Schwere aufweisen (mind. 10 % Minderwert), und die Immissionen durften nicht vorhersehbar gewesen sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so hat die Grundstückeigentümerin oder der Grundstückeigentümer Anspruch auf eine einmalige Kapitalleistung. Diese entspricht der Differenz des Verkehrswerts der Liegenschaft mit Lärmbelastung und dem Verkehrswert ohne Lärmbelastung.4 Die heutige Rechtslage wird in der Rechtslehre stark kritisiert.4 Einerseits sei das private Nachbarrecht als Regelungsgrundlage von Verhältnissen unter Privaten wenig geeignet, das Verhältnis zwischen dem Staat als Inhaber öffentlicher Infrastrukturanlagen und den privaten Nachbarn zu regeln. Zudem seien die sehr offenen Bestimmungen des Privatrechts nicht in der Lage, adäquate Antworten auf die spezifischen Fragen zu geben, die sich aufgrund des Betriebs von öffentlichen Infrastrukturanlagen stellen. Die Entscheidfindung stütze sich überwiegend auf Richterrecht ab, womit das Bundesgericht mit der über Jahrzehnte sorgfältig weiterentwickelten Rechtsprechung zunehmend in die Rolle des Ersatzgesetzgebers getreten sei. Die überwiegende Abstützung auf Richterrecht führe insgesamt zu einer 1

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Die durch Verkehrslärm verursachten Wertverluste von Immobilien werden in der Schweiz auf 1,1 Milliarden CHF pro Jahr geschätzt; vgl. dazu Bundesamt für Raumentwicklung ARE (2016): Externe Kosten und Nutzen des Verkehrs in der Schweiz, Strassen-, Schienen-, Luft- und Schiffsverkehr 2010­2013.

Die grundlegenden Entschädigungskriterien wurden 1968 mit dem Entscheid Werren festgelegt (BGE 91 I 286). Das Bundesgericht hat diese in weiteren Entscheiden konkretisiert und weiterentwickelt (vgl. etwa BGE 119 Ib 348, 123 II 560, 134 II 49).

SR 814.41 Für eine ausführliche Darstellung der heutigen Rechtslage sowie der Kritik in der Rechtslehre vgl. Adrian Gossweiler (2014): Entschädigungen für Lärm von öffentlichen Verkehrsanlagen. Elemente für eine Neuordnung durch den Gesetzgeber, Dissertation Zürich (Schriftenreihe zum Umweltrecht, Bd. 28).

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unberechenbaren Situation für Grundstückeigentümerinnen und -eigentümer und Anlageinhaber.

Diese Kritik und die zahlreichen Klagen beim Flughafen Zürich lösten politische Vorstösse aus.

Bereits im Rahmen der parlamentarischen Initiative Hegetschweiler 02.418 «Fluglärm. Verfahrensgarantien» erfolgten Abklärungen zur Entschädigungsfrage bei Lärmimmissionen. Dabei sollten die Eigentümerinnen und Eigentümer von Liegenschaften in der Nähe von Flughäfen bei Entschädigungen verfahrensrechtlich besser gestellt werden. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) legte im Mai 2007 einen entsprechenden Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung5 sowie des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1948 über die Luftfahrt6 vor. Die dazu durchgeführte Vernehmlassung brachte indessen ein kontroverses Ergebnis.

Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates (UREK-S) trat auf den Gesetzesentwurf des Nationalrates nicht ein und reichte 2008 ihrerseits die Motion 08.3240 «Fluglärmimmissionen. Entschädigung nachbarrechtlicher Abwehransprüche» ein. Die Motion wurde am 12. Juni 2008 im Ständerat und am 4. Juni 2009 im Nationalrat angenommen.

Der Ständerat trat am 28. Februar 2012 endgültig nicht auf den Gesetzesentwurf zur parlamentarischen Initiative Hegetschweiler ein, womit diese Initiative erledigt ist.

Dieser Entscheid wurde in Kenntnis der verwaltungsinternen Arbeiten zur Erfüllung der Motion 08.3240 getroffen.

Der Bundesrat beantragt mit seiner Stellungnahme vom 6. Juni 2008 die Annahme der Motion 08.3240 mit dem Hinweis, dass für deren Umsetzung die Ergebnisse der in der Zwischenzeit eingesetzten interdepartementalen Arbeitsgruppe «Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche (IDA-ENA)» miteinzubeziehen seien. Die Arbeitsgruppe wurde beauftragt, die kritisierten rechtlichen Grundlagen grundsätzlich auf mögliche Alternativen zu überprüfen. Aus diesen Abklärungen resultierte der Vorschlag der spezialgesetzlichen Ausgleichsnorm (SAN), welche eine Regelung im Umweltschutzgesetz vom 7. Oktober 19837 für eine periodische Entschädigung von übermässig lärmgeplagten Grundstückeigentümerinnen und -eigentümern vorsah.

Der Bundesrat beauftragte das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) am 16. Mai 2012, eine
Vernehmlassungsvorlage im Sinne der SAN als Neuordnung des Lärmentschädigungssystems auszuarbeiten.

Das UVEK konkretisierte gestützt auf den Auftrag des Bundesrates das periodische Ausgleichsmodell, mit der neuen Bezeichnung Lärmausgleichsnorm (LAN). Diese Arbeiten wurden von einer Begleitgruppe unterstützt.8 5 6 7 8

SR 711 SR 748.0 SR 814.01 In der Begleitgruppe LAN waren vertreten: Bundesämter, Eidg. Kommission für Lärmbekämpfung EKLB, Kantone (Cercle Bruit, KIK, BPUK, KVU), Städteverband, Gemeindeverband, Hauseigentümerverband, Mieterverband, Vertreter der Flughäfen Genf und Zürich, SBB und BLS.

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Das Modell LAN wurde 2014 den Kantonen als hauptbetroffene Inhaber der Strassen zur Vorkonsultation unterbreitet. Diese Vorkonsultation wurde über die Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (BPUK) durchgeführt. Die Kantone lehnten dabei die LAN mehrheitlich ab, insbesondere weil diese administrativ zu aufwändig sei. Als Folge überarbeitete das Bundesamt für Umwelt (BAFU) das Modell LAN und entwickelte das administrativ vereinfachte Modell LAN light.

Im Rahmen der Vorkonsultation bei den Kantonen bat die BPUK den Bund zudem, die Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung der heutigen Rechtsprechung abzuklären. Diese Arbeiten mündeten im Vorschlag des Entschädigungsmodells ENA Plus.

ENA Plus sieht die Regelung der Kernelemente der heutigen Rechtsprechung im Enteignungsgesetz des Bundes vor. Auch die Arbeiten zum Modell ENA Plus wurden von einer Arbeitsgruppe begleitet.9 Das UVEK unterbreitete die Modelle ENA Plus und LAN light 2015 der UREK-S und bat diese um einen Grundsatzentscheid zum weiteren Vorgehen. Die UREK-S und anschliessend ­ auf Wunsch der UREK-S hin ­ die UREK-N behandelten das Geschäft 2016 und sprachen sich dabei gegen eine Neuordnung aus. Beide Kommissionen teilten dem UVEK mit, dass sie die geltende Rechtslage einer Neuordnung des Lärmentschädigungssystems vorzuziehen würden. Eine Mehrheit beider Kommissionen vertrat die Ansicht, dass im Bereich der Lärmentschädigung kein dringender gesetzlicher Handlungsbedarf bestehe und ein neues Lärmentschädigungssystem keinen erheblichen Mehrwert gegenüber der aktuellen Rechtslage bringen würde. Auch mit einer neuen rechtlichen Regelung würden sich in Zukunft Gerichte mit Streitfragen im Bereich der Lärmentschädigung beschäftigen müssen. Die Anreizwirkung zur Lärmreduktion, die durch die periodischen Ausgleichszahlungen im Modell LAN light geschaffen worden wären, wurden von den Kommissionen zwar als grundsätzlich positiv gewürdigt; das System sei aber insgesamt zu kompliziert, zu teuer sowie administrativ zu aufwendig und würde neue rechtliche Unsicherheiten mit sich bringen.

Aus diesen Gründen erachten es beide Kommissionen als nicht lohnenswert, eine Änderung des Lärmentschädigungssystems im Sinne der Motion 08.3240 weiterzuverfolgen.10

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Begründung des Antrags auf Abschreibung der Motion

Angesichts der ablehnenden Haltung der Kantone sowie der beiden UREK, insbesondere der ursprünglichen Auftraggeberin UREK-S, erachtet der Bundesrat die politische Akzeptanz für eine Neuordnung des Lärmentschädigungssystems als nicht gegeben.

Der Bundesrat beantragt aus diesem Grund die Abschreibung der Motion 08.3240.

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In der Arbeitsgruppe ENA Plus war neben verschiedenen Bundesämtern die BPUK vertreten.

Vgl. dazu die Medienmitteilung der UREK-N vom 23. August 2016.

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