Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen Stellungnahme des Bundesrates vom 18. Januar 2012 Stellungnahme der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 8. Mai 2012

Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) nimmt in diesem Kurzbericht Stellung zur Antwort des Bundesrates vom 18. Januar 2012 auf den Bericht der GPK-N vom 21. Oktober 2011 zur Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen.

Genehmigen Sie, sehr geehrte Frau Bundespräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, den Ausdruck unserer vorzüglichen Hochachtung.

8. Mai 2012

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Der Präsident: Ruedi Lustenberger Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres

2012-1291

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Bericht 1

Einleitung

Am 21. Oktober 2011 veröffentlichte die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) ihren Bericht zur Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen1 zuhanden des Bundesrates. Sie stützte ihre Arbeit auf eine Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK)2 und einen Expertenbericht3.

In ihrem Bericht mit drei Empfehlungen und einem Postulat bezieht sich die GPK-N bei ihren allgemeinen Feststellungen auf die Steuerung und das Engagement des Bundesrates, die unterschiedliche Umsetzung der flankierenden Massnahmen, rechtliche Lücken bei den Massnahmen selbst, Mängel im Kontrollkonzept, die unzulängliche Kommunikation der Bundesbehörden sowie auf die in diesem Bereich unzureichenden personellen Ressourcen.

Zudem ersuchte die GPK-N den Bundesrat, bis Ende Januar 2012 zu ihrem Bericht vom 21. Oktober 2011 sowie zur Evaluation der PVK vom 16. Juni 2011 Stellung zu nehmen. Der Bundesrat wurde auch gebeten, in seiner Stellungnahme klar aufzuzeigen, wie und bis wann er die Empfehlungen der Kommission umzusetzen gedenkt.

Der Bundesrat verabschiedete seine Stellungnahme zuhanden der GPK-N am 18. Januar 2012.4 Die GPK-N hat beschlossen, mit diesem Bericht auf gewisse zentrale Aussagen in dieser Stellungnahme zu reagieren. Im Übrigen hält sie an der Position fest, die sie in ihrem Bericht vom 21. Oktober 2011 vertrat.

1

2

3

4

Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massanhemn zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen, Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates zuhanden des Bundesrates vom 21.10.2011 (BBl 2012 1207).

Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen, Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 16.6.2011 (BBl 2012 1219).

Evaluation de la surveillance et des effets des mesures d'accompagnement à la libre circulation des personnes, rapport explicatif du Contrôle parlementaire de l'administration à l'attention de la Commission de gestion du Conseil national du 16.6.2011 (nur auf Französisch), www.parlament.ch/f/organe-mitglieder/kommissionen/ parlamentarische-verwaltungskontrolle/veroeffentlichungen/berichte-2011-2012/ Documents/bericht-pvk-exp-flank-massnahmen-2011-06-16-f.pdf, konsultiert am 1.3.2012.

Henneberger, Fred und Ziegler, Alexandre: «Kritische Würdigung der bestehenden Analysen über die Wirksamkeit der FlaM zur Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping. Expertenbericht (Teil 1)», Universität St. Gallen, 10.10.2010.

Henneberger, Fred und Ziegler, Alexandre: «Überprüfung von Lohndruck aufgrund der Personenfreizügigkeit. Expertenbericht (Teil 2)», Universität St. Gallen, 19.2.2011.

Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen, Bericht vom 21.10.2011 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates, Stellungnahme des Bundesrates vom 18.1.2012 (BBl 2012 1255).

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2

Erwägungen der GPK-N

2.1

Allgemeines

Der Bundesrat nimmt die Empfehlungen der Kommission entgegen, was prinzipiell positiv ist. Fast alle Bemerkungen in seiner Stellungnahme stehen allerdings im Widerspruch zu den Feststellungen der GPK-N. Diese Widersprüche sind für die GPK-N grundsätzlich nicht zufriedenstellend.

Die Bemerkungen des Bundesrates lassen auch Zweifel darüber aufkommen, ob er gewillt ist, die Empfehlungen der GPK-N tatsächlich umzusetzen.

Die Kommission stellte zudem fest, dass der Bundesrat für seine Stellungnahme wohl eine provisorische Version des Berichts (Entwurf, der dem EVD zur Konsulation unterbreitet worden war) und nicht die von der GPK-N am 21. Oktober 2011 verabschiedete und an den Bundesrat überwiesene Fassung herangezogen hat. Deshalb dürfte die Stellungnahme des Bundesrates in Bezug auf die Empfehlungen 1 und 2 Ungenauigkeiten aufweisen.

Auch hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme keine Angaben dazu gemacht, bis wann er die erforderlichen Verbesserungen bei den flankierenden Massnahmen vorzunehmen gedenkt, obwohl ihn die GPK-N angesichts dessen, dass es zwischen 2004 und 2010 keine Steuerungsstrategie gab und die heutige Strategie nur teilweise umgesetzt wird, darum ersucht hatte. Vor diesem Hintergrund ist es unentbehrlich, endlich Fristen zu setzen.

Ferner entbindet sich der Bundesrat in der gesamten Stellungnahme seiner Verantwortung, indem er seine Kompetenzen systematisch dem Eidgenössischen Volkswirschaftsdepartement (EVD) und/oder dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) überträgt. Die GPK-N hatte aber explizit darauf hingewiesen, dass der Bundesrat als Kollegium in dieses Dossier, dessen wirtschaftliche und politische Tragweite augenscheinlich ist, eingebunden werden muss, damit er dort korrigierend eingreifen kann, wo die Art eines festgestellten Problems dies erfordert. Aufgrund der Autonomie der Kantone ist eine politische Steuerung auf höchster Ebene erforderlich.

Aus diesen Gründen ist die GPK-N der Meinung, einer Angelegenheit mit einer solchen Dimension müsse grössere Bedeutung beigemessen werden.

In diesem Bericht kommentiert die GPK-N die Stellungnahme des Bundesrates kapitelweise und unter Benützung der gleichen Überschriften.

2.2

Einleitung in der Stellungnahme des Bundesrates

In seiner Einleitung kommt der Bundesrat ohne Angabe von Gründen zum Schluss, dass die Rolle der Vollzugsorgane und die Ziele der flankierenden Massnahmen in den Untersuchungen der PVK nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.

Die GPK-N möchte erneut darauf hinweisen, dass es sich hierbei um zentrale Themen der PVK-Evaluation handelt. Sie ist somit nach wie vor davon überzeugt, dass die PVK in ihrer Evaluation von den richtigen Grundlagen ausgegangen ist und sieht deshalb keinen Anlass, auf diesen Punkt weiter einzugehen.

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Lohndruck Nach Meinung des Bundesrates ist die Studie des Forschungsinstituts für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen5 eine unzureichende Grundlage für verlässliche Aussagen zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Löhne.

Die GPK-N ist allerdings der Meinung, dass diese Studie differenzierte Ergebnisse brachte und mehrere interessante Phänomene im Zusammenhang mit dem Lohndruck zutage förderte. So geht aus der Studie u.a. hervor, dass der Lohndruck zuerst in den Grenzregionen und dann in der gesamten Schweiz zu spüren war; dass er in erster Linie auf jenen Arbeitnehmenden lastet, die neu auf dem Arbeitsmarkt sind, und dass er von Branche zu Branche unterschiedlich stark ist.

Der Bundesrat übte auch an der Methodik des St. Galler Expertenberichts Kritik, ohne dies allerdings näher auszuführen. Dazu lässt sich anmerken, dass er die Universität Genf beauftragt hat, eine Parallelstudie mit ähnlichen Vorgaben durchzuführen. Dies ist in den Augen der GPK-N nicht kohärent. Die Kommission weist zudem darauf hin, dass die Studie der Universität St. Gallen alle zu diesem Thema existierenden Studien analysiert hat, um diese dann weiterzuentwickeln.

Kommunikation In Sachen Kommunikation der Bundesbehörden über die Wirkungen der flankierenden Massnahmen soll sich die PVK-Untersuchung gemäss Bundesrat auf die Jahresberichte der Vollzugsorgane und nicht auf die vom SECO erhobenen Daten stützen.

Der Bundesrat wirft der GPK-N demnach vor, sich bei seiner Kritik auf diese Untersuchung zu beziehen.

Entgegen der Annahme des Bundesrates hat die PVK in erster Linie die vom SECO erhobenen Daten analysiert, welche die Grundlage für die Kommunikation des Bundesrates und des SECO bilden.

Es hat sich in diesem Zusammenhang klar gezeigt, dass sich Bundesrat und SECO in ihrer Kommunikation über die Wirkungen der flankierenden Massnahmen nur auf Gesamtergebnisse beziehen und die Resultate weder in Bezug auf ihre Aufschlüsselung noch auf ihre Struktur genauer analysieren. Dies ist jedoch eine zentrale Frage und der Grund dafür, dass der Bundesrat und die GPK-N zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen.

5

Es handelt sich hier um die bisher einzige Studie, die auf direkten, nicht aggregierten Mikrodaten beruht und bei der die Daten von mehr als 1,4 Millionen Erwerbstätigen im Jahr 2004, rund 1,6 Millionen im Jahr 2006 und mehr als 1,7 Millionen im Jahr 2008 berücksichtigt wurden. Insgesamt wurden im Rahmen dieser Studie 4 335 667 Beobachtungen angestellt.

Evaluation de la surveillance et des effets des mesures d'accompagnement à la libre circulation des personnes, rapport explicatif du CPA du 16.6.2011, S. 141­145.

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2.3

Zur Empfehlung 1

Empfehlung 1

Strategische und operative Steuerung

Die GPK-N lädt den Bundesrat ein, sich für die rasche Umsetzung einer klaren Steuerungsstrategie einzusetzen, die auf objektiven, den gesamten Schweizer Arbeitsmarkt berücksichtigenden Indikatoren beruht. Dabei ist sowohl sämtlichen Feststellungen der PVK als auch allen Empfehlungen der GPK-N Rechnung zu tragen. Insbesondere ist der Problematik der neu eingestellten Arbeitnehmenden besondere Beachtung zu schenken.

Da die strategische Steuerung auf lückenhaften Daten beruht, werden die Prioritäten des Bundesrates und der Vollzugsbehörden immer wieder in Frage gestellt. Der Bundesrat erachtet es in seiner Stellungnahme aber nicht für notwendig, diese Praxis zu ändern.

Hier sei beispielsweise daran erinnert, dass die Hälfte der vom Bund finanzierten Kontrollen bei den entsandten Arbeitnehmenden durchgeführt wird, obwohl diese weniger als 0,15 Prozent des Beschäftigungsvolumens in der Schweiz ausmachen, wohingegen allein schon die Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Tessin 24 Prozent und im Jurabogen und in der Genferseeregion fast 10 Prozent der Erwerbstätigen ausmachen.6 In den Augen des Bundesrates rechtfertigt sich dieser enge Fokus namentlich dadurch, dass die Entsendung von Arbeitnehmenden hauptsächlich in sensiblen Branchen stattfindet. Die Evaluation der PVK und die Studie der Universität St. Gallen haben allerdings aufgezeigt, dass «sich die Wirkungen der Personenfreizügigkeit einerseits in anderen Personenkategorien [als den entsandten Arbeitnehmenden] (unter anderem Grenzgänger, Inhaber von Aufenthaltsbewilligungen) [zeigen] und andererseits auch in anderen Branchen, als jenen, welche als sensibel bezeichnet werden.»7 Diese wesentlichen Aspekte, auf die sowohl in der Evaluation der PVK8 wie auch im Bericht der GPK-N hingewiesen wird, scheinen in der Stellungnahme des Bundesrates nicht berücksichtigt worden zu sein.

Der Bundesrat äusserte sich in seiner Stellungnahme zudem wie folgt: «Vermehrte Kontrollen bei Schweizer Arbeitgebern durch die PK [paritätische Kommissionen] finden im Rahmen des gewöhnlichen Vollzugs der allgemeinverbindlich erklärten GAV [Gesamtarbeitsverträge] statt, werden nicht vom Bund mitfinanziert und fallen deshalb ausserhalb des Bereichs der Steuerung der flankierenden Massnahmen.»9 6 7

8

9

Grenzgängerstatistik im 4. Quartal 2011, Ein Drittel mehr Grenzgänger/innen innert fünf Jahren, Medienmitteilung des BFS vom 5.3.2012, S.2.

Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen, Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates zuhanden des Bundesrates vom 21.10.2011 (BBl 2012 1207 1211).

Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen der Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen, Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 16.6.2011 (BBl 2012 1219 1243).

Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen, Bericht vom 21.10.2011 der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates, Stellungnahme des Bundesrates vom 18.1.2012 (BBl 2012 1255 1263).

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Die GPK-N ist demgegenüber der Ansicht, dass der gesamte Arbeitsmarkt Gegenstand der Aufsicht ist. Die tripartite Kommission hat zur Aufgabe, den gesamten Arbeitsmarkt zu beobachten, und dies schliesst den Kontrollbereich der paritätischen Kommissionen nicht aus. Bei dieser Einschätzung stützt sich die GPK-N auf das Obligationenrecht, wonach die tripartite Kommission des Bundes und die kantonalen tripartiten Kommissionen die Aufgabe haben, den Arbeitsmarkt allgemein zu beobachten.10 Das SECO selbst präzisierte 2008, was es unter der Beobachtung des Arbeitsmarktes versteht: ­

«Die Hauptaufgabe der tripartiten Kommission besteht in der Beobachtung des Arbeitsmarkts. Diese Beobachtung umfasst die Gesamtheit des Arbeitsmarkts, ...»11;

­

Die tripartiten Kommissionen «können ganz allgemein die Auswirkungen der Entsendungen auf die Wirtschaft des Kantons oder der Region beobachten. Insbesondere in den Grenzgebieten wird es von Interesse sein, periodisch eine Bilanz bezüglich des Ausmasses der Entsendung, der Auswirkungen auf die ortsansässigen Betriebe, auf das Lohnniveau usw. zu ziehen. Im Zusammenhang mit dieser allgemeineren Beobachtung können die tripartiten Kommissionen auch diejenigen Branchen einbeziehen, die einen allgemeinverbindlich erklärten GAV (AVE GAV) aufweisen. Es handelt sich dabei aber nicht um eigentliche Kontrollaufgaben. Falls nötig, können sie dabei mit den paritätischen Organen der betroffenen Branchen zusammenarbeiten.»12

2.4

Zur Empfehlung 2

Empfehlung 2

Harmonisierung der Prozesse

Die GPK-N lädt den Bundesrat ein, die verschiedenen Umsetzungsakteure der flankierenden Massnahmen zu unterstützen, den Dialog mit ihnen zu suchen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, um eine Richtlinie, eine Feststellungsmethode bzw. Kriterien zwecks Präzisierung der wiederholten missbräuchlichen Lohnunterbietung festzulegen. Die GPK-N ist überzeugt, dass man auf diese Weise die Unterschiede in der Anwendung der flankierenden Massnahmen verringern kann und so der Absicht des Gesetzgebers besser Rechnung trägt.

Problematisch sind eher die Art und die Qualität der Umsetzung der flankierenden Massnahmen als der dezentrale Vollzug. So werden zum Beispiel gewisse Instrumente gar nicht angewendet; einige tripartite Kommissionen geben zu, über keine fixen Kriterien bzw. keine Methode zur Erkennung von Lohnunterbietungen zu verfügen; einige paritätische Kommissionen weisen grosse Mängel bei der Zahl der 10 11 12

Art. 360b Abs.3 des Bundesgesetzes vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht; SR 220).

Kommentar Flankierende Massnahmen zur Personenfreizügigkeit, SECO, Oktober 2008, S. 72.

Ibd., S. 73.

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Kontrollen und insbesondere bei der Weiterleitung der Verstösse an die kantonalen Behörden auf.

Um hier Abhilfe zu schaffen und den Vorgaben des Gesetzgebers gerecht zu werden, hatte die GPK-N dem Bundesrat empfohlen, gemeinsam mit den Umsetzungsakteuren auf eine Richtlinie hinzuwirken, mit der die Unterschiede im Vollzug verringert werden können.

Die GPK-N weist wie bereits in ihrem Bericht vom 21. Oktober 2011 darauf hin, dass der Gesetzgeber den Begriff der «wiederholten missbräuchlichen Lohnunterbietung» nicht näher definieren wollte. Dennoch ist die Kommission der Auffassung, der Bundesrat hätte sich im Rahmen der vom Gesetzgeber gewollten Autonomie vergewissern können, dass die Kantone diesen Begriff adäquat definieren.

Der Bundesrat betont in seiner Stellungnahme, dass den kantonalen tripartiten Kommissionen bei der Einführung der flankierenden Massnahmen Informationen und Entscheidungshilfen zur Verfügung gestellt wurden. Die Bemerkungen im vorherigen Abschnitt und die Ergebnisse der PVK-Evaluation lassen allerdings vermuten, dass diese Massnahme unzureichend und/oder gewissen Umsetzungsakteuren nicht bekannt ist. In den Augen der GPK-N besteht somit weiterhin Handlungsbedarf in dieser Sache.

2.5

Zur Empfehlung 3

Empfehlung 3

Kommunikation auf verlässlicher Datenbasis

Die GPK-N lädt den Bundesrat und das SECO ein, sich bei ihrer Kommunikation und ihren Schlussfolgerungen auf aussagekräftige, vollständige, verlässliche und objektive Daten zu stützen, um mehr Transparenz zu schaffen.

Der Bundesrat erklärt in seiner Stellungnahme, dass sich die PVK in ihren Untersuchungen auf Daten stützt, die weder von ihm noch vom SECO zur Analyse der Lohnunterbietungen und der flankierenden Massnahmen herangezogen werden.

Die PVK stützt sich jedoch auf die gleichen Informationsquellen wie der Bundesrat für seine Steuerung und Kommunkation.13 Die PVK hatte das SECO im Übrigen ersucht, ihr für ihre Evaluation alle Informationen zukommen zu lassen, über die es zur Steuerung der flankierenden Massnahmen verfügt. Es ist also eine detaillierte Analyse der Struktur der SECO-Daten, die es der PVK erlaubt hat, viel differenziertere und objektivere Schlussfolgerungen zu ziehen.

In diesem Sinne bestätigt die Stellungnahme des Bundesrates die Kritik der GPK-N und der PVK an der Qualität der Daten und der Kommunikation: Der Bundesrat und das SECO werten gewisse Daten nicht aus, welche die PVK herangezogen hat. Dies zeigt gut, wo das Hauptproblem liegt, handelt es sich doch um Daten, die vom SECO selbst bei den Vollzugsorganen erhoben werden (Verteilung der Kontrollen, der Verstösse und ihrer Weiterleitung an die kantonalen Behörden nach Kantonen und Branchen usw.). Durch die vollständige Analyse dieser Daten konnte festgestellt 13

Vgl. Ziff. 2.2 (Einleitung) dieses Berichts (Abschnitt zur Kommunikation).

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werden, dass diese zum einen von mittelmässiger Qualität sind und zum anderen, dass sie eine deutlich differenziertere Kommunikation des SECO und des Bundesrats erfordern würden.

2.6

Zum Postulat

Postulat 1

Prüfung einer gesetzlichen Lösung

Die GPK-N lädt den Bundesrat ein, den gesetzlichen Handlungsbedarf im Bereich der Normalarbeitsverträge sowie betreffend die Problematik der Subunternehmerketten vertieft abzuklären.

Die GPK-N lud den Bundesrat mit ihrem Postulat14 u.a. ein, die rechtlichen Lücken im Bereich der Normalarbeitsverträge zu schliessen. Das geltende Recht sieht in diesem Bereich nämlich keine Sanktionierung von Schweizer Arbeitgebern vor. Die Kommission hielt in der Begründung ihres Postulats nicht nur fest, dass Schweizer Arbeitgeber bei Verstössen gegen Normalarbeitsverträge sanktionierbar sein müssen, sondern auch, dass alle fehlbaren Arbeitgeber den geschädigten Arbeitnehmenden den Lohnunterschied zurückerstatten sollten.

Obwohl der Bundesrat die Annahme des Postulats beantragt, trägt er nicht allen Forderungen der GPK-N Rechnung. Er begnügte sich mit der Ausarbeitung einer Gesetzesrevision, die vorsieht, dass die zuständige Behörde einem fehlbaren Arbeitgeber, sei er nun in- oder ausländisch, eine Busse von bis zu 5000 Franken auferlegen kann.

Die GPK-N ist der Meinung, dass diese Revision für Arbeitgeber, die einen Gesetzesverstoss in Betracht ziehen, eine zu wenig abschreckende Wirkung hat, da die Nichteinhaltung eines Normalarbeitsvertrags immer noch profitabler wäre als rechtskonformes Verhalten. Zudem könne der Schutz der Arbeitnehmenden nicht mit einer simplen Sanktionierung, die nicht die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens bezwecke, gewährleistet werden.

Hier ist auch zu erwähnen, dass der Bundesrat ­ nach der Annahme des Postulates durch den Nationalrat am 3. Mai 2012 ­ in seinem Bericht nicht nur die Frage der Sanktionen für Verstösse von Schweizer Arbeitgebern gegen Normalarbeitsverträge, sondern auch jene bezüglich der Lohnrückerstattungen an die geschädigten Arbeitnehmenden prüfen muss.

14

Postulat 11.4055, Flankierende Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Prüfung einer gesetzlichen Lösung zwecks Behebung gewisser Rechtsmängel in diesem Bereich, GPK-N, 21.10.2011.

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3

Schlussfolgerungen

Die GPK-N kommt zum Schluss, dass die Stellungnahme des Bundesrates nicht zufriedenstellend ist und den wichtigen Erkenntnissen der Kommission ungenügend Rechnung trägt. Da in den Augen der GPK-N weiterhin Handlungsbedarf besteht, ersucht sie den Bundesrat, bis zum 6. August 2012 eine angemessene und ausführliche Stellungnahme vorzulegen.

8. Mai 2012

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Der Präsident: Ruedi Lustenberger Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres Die Präsidentin der Subkommission EFD/EVD: Maria Roth-Bernasconi Der Sekretär der Subkommission EFD/EVD: Vanya Karati

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