zu 08.473 Parlamentarische Initiative Abschaffung der Rückerstattungspflicht des Heimatkantons Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 19. Juni 2012 Stellungnahme des Bundesrates vom 15. August 2012

Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 19. Juni 20121 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) betreffend die parlamentarische Initiative 08.473 «Abschaffung der Rückerstattungspflicht des Heimatkantons» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. August 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

1

BBl 2012 7741

2012-1670

7869

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 3. Oktober 2008 reichte Ständerat Philipp Stähelin die parlamentarische Initiative «Abschaffung der Rückerstattungspflicht des Heimatkantons» (08.473 s) ein.

Nach dem Bundesgesetz vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1) ist der Heimatkanton verpflichtet, die vom Wohn- oder Aufenthaltskanton an kantonsfremde Bürgerinnen und Bürger ausgerichtete Sozialhilfe zurückzuerstatten. Diese Rückerstattungspflicht soll mit der erwähnten Initiative aufgehoben werden.

Die SGK-SR gab der parlamentarischen Initiative Stähelin am 19. Januar 2010 mit 7 zu 6 Stimmen Folge. Diesem Beschluss stimmte die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates am 18. Februar 2011 mit 13 zu 10 Stimmen zu.

Am 31. März 2011 beauftragte die SGK-SR eine Subkommission mit der Erarbeitung einer Vorlage. Die Subkommission zog einen Sachverständigen des Bundesamtes für Justiz bei und hörte Vertreterinnen und Vertreter der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK), der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK), des Schweizerischen Gemeindeverbandes und des Schweizerischen Städteverbandes an. Die SGK-SR stimmte am 14. November 2011 dem Vorentwurf mit erläuterndem Bericht seiner Subkommission zu und beschloss, ihn in eine Vernehmlassung zu geben.

In der Vernehmlassung sprachen sich 21 Kantone ohne Vorbehalte für die Abschaffung der Rückerstattungspflicht des Heimatkantons gegenüber einem Sozialhilfe leistenden Kanton aus: AG, AI, AR, BE, BL, FR, GL, GR, JU, LU, NW, OW, SH, SG, SO, SZ, UR,VS, TG, TI und ZG. Im gleichen Sinne äusserten sich die vier Parteien CVP, EVP, FDP und SVP sowie fünf Organisationen (darunter der Gemeindeverband). Sie argumentierten, der Heimatort als Zuständigkeitskriterium sei nicht mehr zeitgemäss und die Abschaffung der Rückerstattungspflicht bringe eine deutliche administrative Einsparung.

Fünf Kantone lehnten die Abschaffung der Rückerstattungspflicht ab oder hiessen sie nur gut, wenn eine Kompensation vorgesehen würde: BS, GE, NE, VD und ZH.

Gleich äusserten sich die zwei Parteien GPS und SP sowie der Städteverband und eine weitere Organisation. Als Kompensation schlugen diese Vernehmlasser primär eine Aufstockung des soziodemografischen Lastenausgleichs im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung (NFA) vor.

2

Stellungnahme des Bundesrates

Die Beziehung zwischen den Heimatorten beziehungsweise den Heimatkantonen und ihren Bürgerinnen und Bürgern hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung verloren. Die Übernahme der vom Wohn- oder Aufenthaltskanton erbrachten Sozialhilfekosten durch den Heimatkanton wird deshalb zunehmend als überholt betrachtet.

7870

Die vorgeschlagene Aufhebung der Rückerstattungspflicht der Heimatkantone stärkt das Wohnsitzprinzip und bringt eine spürbare administrative Entlastung sowohl derjenigen Kantone, welche die Sozialhilfe erbringen, als auch der Heimatkantone.

Der Bundesrat begrüsst deshalb die Aufhebung der Rückerstattungspflicht.

Der Grundsatz, auf die Rückerstattung der Heimatkantone zu verzichten, ist ­ wie die Vernehmlassung gezeigt hat ­ aus sachlicher Sicht praktisch unbestritten. Als schwieriger zu beantworten erweist sich die Frage, ob und wie die unterschiedlichen finanziellen Auswirkungen der Änderung auf die einzelnen Kantone ausgeglichen werden könnten. In Ziffer 2.3 des Berichts der SGK-SR werden verschiedene Varianten für eine Kompensation geprüft und als unzweckmässig verworfen. Der Bundesrat teilt diese Einschätzung. Insbesondere schliesst er sich dem Urteil der SGK-SR an, wonach die von der SODK favorisierte Variante ­ eine Kompensation über den Finanzausgleich ­ nicht unterstützt werden kann. Dies vor allem aus folgenden Gründen: Der Lastenausgleich der NFA wird durch den Bund finanziert. Die allenfalls zu kompensierenden Lastenverschiebungen entstehen jedoch im Bereich der Sozialhilfe, also einer grundsätzlich kantonalen Aufgabe. Es wäre systemfremd, mit einer Erhöhung des vertikalen Lastenausgleichs zwischen Bund und Kantonen ausschliesslich horizontale interkantonale Lastenverschiebungen auszugleichen.

Auch eine Anpassung der Verteilkriterien und damit eine Umverteilung der bestehenden Mittel des soziodemografischen Lastenausgleichs unter den Kantonen lehnt der Bundesrat ab: Die Verteilkriterien der NFA sind vorgegeben und so aufeinander abgestimmt, dass geografisch-topografische und soziodemografische Sonderlasten insgesamt abgefedert werden können. Ein diskretionärer Eingriff in diese Verteilkriterien zum Ausgleich einer einmaligen Anpassung der Zuständigkeitskriterien an neue Gegebenheiten wäre systemwidrig und würde im Hinblick auf künftige kleinere Umverteilungen zwischen den Kantonen ein unerwünschtes Präjudiz schaffen.

Hinzu kommt, dass der aktuelle soziodemographische Ausgleich bei den Sonderlasten aufgrund der Bevölkerungsstruktur den Anteil der Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe bereits berücksichtigt (vgl. Art. 34 der Verordnung vom 7. November 2007 über
den Finanz- und Lastenausgleich, SR 613.21).

Dabei kommt faktisch bereits heute das Wohnsitzprinzip zur Anwendung, da die Rückerstattungen durch den Heimatkanton bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden. Mit anderen Worten wird damit der mit der vorliegenden Vorlage entstehenden Zusatzbelastung gewisser Kantone bereits heute teilweise Rechnung getragen.

Schliesslich sind die zur Diskussion stehenden Verschiebungen im Verhältnis zu den gesamten Sozialhilfekosten der Kantone relativ gering und sämtliche Kantone werden durch den Wegfall von administrativen Arbeiten für die Rückerstattung entlastet.

Der Bundesrat hat Verständnis dafür, dass die SGK-SR gewünscht hat, nach anderen Wegen einer Kompensation zu suchen. Allerdings dürfte dies kein leichtes Unterfangen sein, sind doch die bisher im Zusammenhang mit dieser Vorlage geprüften Lösungsansätze alle (aus guten Gründen) verworfen worden.

7871

3

Antrag des Bundesrates

Aus den dargelegten Gründen beantragt der Bundesrat Zustimmung zum Antrag der SGK-SR.

7872