Anhang

Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 16. Juni 2011

2011-2444

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Das Wichtigste in Kürze Die flankierenden Massnahmen sind am 1. Juni 2004 im Zuge der Einführung der Personenfreizügigkeit in Kraft getreten, welche im Rahmen der bilateralen Abkommen (Bilaterale I) mit der Europäischen Union ausgehandelt wurde. Sie sollen verhindern, dass sich die Löhne und Arbeitsbedingungen in der Schweiz aufgrund des erleichterten Zugangs der ausländischen Arbeitnehmenden zum Schweizer Arbeitsmarkt verschlechtern (Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping). Diese Massnahmen bestehen einerseits in der Kontrolle der Einhaltung der Lohn- und Sozialbedingungen bei den entsandten Arbeitnehmenden. Andererseits besteht die Möglichkeit der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) oder des Erlasses von Normalarbeitsverträgen (NAV) mit zwingenden Mindestlöhnen, falls in einer Branche wiederholt missbräuchliche Lohnunterbietungen nachgewiesen werden.

Seit Einführung der flankierenden Massnahmen sind viele Fragen zu deren Anwendung und Wirksamkeit aufgetaucht. Vor diesem Hintergrund hat die zuständige Subkommission der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) beauftragt, eine Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen vorzunehmen.

Die wichtigsten Ergebnisse Die Personenfreizügigkeit hat gewichtige Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft. Dies zeigt sich insbesondere im Anstieg des Konsums und der Wohnungsnachfrage, aber auch in der Zunahme von ausländischen Stellensuchenden, die sowohl eine Ergänzung als auch eine Konkurrenz auf dem einheimischen Arbeitsmarkt sein können. In der vorliegenden Evaluation werden nicht die allgemeinen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Schweizer Wirtschaft analysiert, sondern nur die Folgen auf die Löhne, um so festzustellen, ob diese während der Öffnung des Schweizer Arbeitsmarkts und trotz der Einführung der flankierenden Massnahmen unter Druck geraten sind.

Die Lösung der festgestellten Probleme ist komplex, weil sie in die Zuständigkeit verschiedener Stellen fällt (Bund, Kantone, Sozialpartner). Der vom Gesetzgeber gewünschte Handlungsspielraum im Vollzug erschwert die Steuerung und die kohärente Anwendung der flankierenden Massnahmen. Die paritätischen, tripartiten und kantonalen
Vollzugsorgane setzen die vorgesehenen Massnahmen unterschiedlich kohärent und konform um.

Offensichtlicher Lohndruck, aber nicht feststellbare Lohnunterbietung Die Evaluation zeigt auf, dass das durch die Personenfreizügigkeit erhöhte Angebot an Arbeitskräften tatsächlich Druck auf die Löhne ausgeübt hat.

Obwohl Druck auf die Löhne vorhanden ist, lässt sich nicht beurteilen, ob es auch zu missbräuchlichen Lohnunterbietungen kommt. Der Gesetzgeber hat nicht klar definiert, was er unter wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung versteht,

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weshalb deren Feststellung von der kantonal unterschiedlichen Praxis abhängt. Die Kriterien zur Definition missbräuchlicher Lohnunterbietung werden seitens der Kantone nicht immer festgelegt, kommuniziert und angewendet. Die Datenerhebungen der PVK haben aber gezeigt, dass die Löhne der entsandten Arbeitnehmenden manchmal deutlich unter den Löhnen der niedergelassenen Arbeitnehmenden liegen.

Unvollständige und uneinheitliche Anwendung der flankierenden Massnahmen Die flankierenden Massnahmen werden je nach Vollzugsorgan unterschiedlich umgesetzt. Man scheint sich auf die Kontrollen und die GAV-Bestimmungen zu beschränken. Hingegen werden die im Entsendegesetz (EntsG) vorgesehenen Sanktionen oder andere Instrumente wie die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärungen von GAV oder das Erlassen von NAV kaum angewendet.

Die Umsetzungsprobleme sind je nach zugrunde liegender Branchenregelung verschieden: ­

In den meisten Branchen mit allgemeinverbindlich erklärtem GAV auf nationaler Ebene folgen den Kontrollen keine Sanktionen gemäss EntsG, weil die Fälle den kantonalen Behörden nicht weitergeleitet werden.

­

In den meisten Branchen mit allgemeinverbindlich erklärtem GAV auf kantonaler Ebene kann aufgrund der Quantität und Qualität der Daten nicht eruiert werden, ob die flankierenden Massnahmen korrekt und effektiv umgesetzt werden.

­

Im Zuständigkeitsbereich der tripartiten Kommissionen erlauben es die kantonalen Kontrollverfahren und Methoden in den meisten Fällen nicht, wiederholte missbräuchliche Lohnunterbietungen klar aufzuzeigen. Dies führt dazu, dass die für solche Fälle vorgesehenen Instrumente (erleichterte Allgemeinverbindlicherklärungen von GAV oder NAV mit zwingenden Mindestlöhnen) nicht eingesetzt werden können.

Späte, komplexe und zu wenig zielgerichtete Steuerung Die mangelnde Unterstützung des Bundes in den ersten Jahren nach der Einführung der flankierenden Massnahmen hat zu deren unterschiedlichen Umsetzung beigetragen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) begann die Vollzugsprobleme vermehrt zur Kenntnis zu nehmen und diesen Mangel ab 2008 schrittweise zu beheben. Es entwickelte über die Direktion für Arbeit und den zuständigen Leistungsbereich eine qualitativ gute Strategie, um den gesetzlichen Zielen zu entsprechen.

Die meisten Anwendungsprobleme waren jedoch bereits seit Jahren bekannt und die unangebrachten Praktiken gewisser Kantone und paritätischer Kommissionen hätten schon viel früher dazu führen sollen, dass der Bundesrat aktiv wird. Die Steuerung kann sich bisher nicht auf verlässliche Daten stützen und sich beispielsweise kein Bild davon machen, wie viele Verstösse es im Lohnbereich wirklich gibt oder wie die paritätischen Kommissionen die Kontrollen aufteilen und finanzieren.

Die Steuerung wird durch die föderalistische Umsetzung sowie durch die uneinheitliche und komplexe Organisation der paritätischen Kommissionen stark erschwert.

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Die flankierenden Massnahmen dienen der Bekämpfung des Lohn- und Sozialdumping. In Anbetracht dieser Zielsetzung ist es problematisch, dass die strategische Steuerung schwergewichtig auf eine kleine Zielgruppe fokussiert: über die Hälfte der Kontrollen und drei Viertel des Budgets werden eingesetzt, um die entsandten Arbeitnehmenden zu kontrollieren, die aber nur 0,5 % des gesamten Beschäftigungsvolumens in der Schweiz ausmachen.

Das System der flankierenden Massnahmen basiert auf einem Strukturelement der Schweizer Wirtschaft: den Beziehungen zwischen den Sozialpartnern. Die vorherrschende Stellung der paritätischen Kommissionen bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen lässt sich damit rechtfertigen, dass die von ihnen abgedeckten Branchen besonders exponiert sind, was die Qualifikation der Arbeitskräfte, das Lohnniveau und den Konkurrenzdruck angeht. Obwohl in diesen Branchen fast die Hälfte aller Kontrollen stattfindet und die Hälfte der Gesamtkosten des Bundes hier anfallen, machen sie rein quantitativ nur gerade 13 % der Arbeitnehmenden aus.

Die auf Grundlage der Lohnstrukturerhebung realisierte Studie zeigte aber, dass sich der Lohndruck nicht nur in solchen Branchen bemerkbar macht, die als besonders anfällig für Lohn- und Sozialdumping gelten. Deshalb sollte die Fokussierung der flankierenden Massnahmen auf die Niedriglohnbranchen hinterfragt werden.

Die flankierenden Massnahmen werden in Abhängigkeit von den politischen Diskussionen rund um die Öffnung der Märkte und die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf neue EU-Mitgliedstaaten laufend angepasst. Die Weiterentwicklung der flankierenden Massnahmen erfolgt allerdings ohne Kenntnis ihrer tatsächlichen Wirksamkeit, da zuverlässige Datengrundlagen fehlen.

Ungenügende Kommunikation Aussagen in Bezug auf die Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen oder das (Nicht-)Vorhandensein von Lohnunterbietungen lassen sich aufgrund der bisher vorgelegten Daten nicht rechtfertigen. Sie geben die Umsetzung und deren Wirkungen nur verzerrt wieder.

Jegliche Schlussfolgerung auf Basis dieser unvollständigen und unzuverlässigen Daten oder aufgrund nationaler Durchschnittswerte macht keinen Sinn, weil die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit je nach Region und die Umsetzung der flankierenden Massnahmen je nach Kanton sehr unterschiedlich sind.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

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Abkürzungen

1224

1 Einführung 1.1 Grund für die Evaluation 1.2 Methode 1.3 Analysemethode 1.4 Struktur des Berichts

1225 1225 1226 1227 1228

2 Flankierende Massnahmen 2.1 Hintergrund 2.2 Beschreibung der Massnahmen

1229 1229 1230

3 Evaluationsergebnisse 3.1 Wirkung der Öffnung des Arbeitsmarkts auf die Löhne 3.2 Umsetzung der flankierenden Massnahmen 3.3 Steuerung der flankierenden Massnahmen 3.4 Konzeption der flankierenden Massnahmen

1235 1235 1239 1242 1246

4 Schlussfolgerungen 4.1 Offensichtlicher Lohndruck, aber nicht feststellbare Lohnunterbietung 4.2 Unvollständige und uneinheitliche Umsetzung der flankierenden Massnahmen 4.3 Späte, komplexe und zu wenig zielgerichtete Steuerung 4.4 Ungenügende Kommunikation

1247 1248 1248 1249 1250

Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner

1251

Impressum

1253

1223

Abkürzungen Abb.

Abbildung

ave

allgemeinverbindlich erklärt

AVEG

Bundesgesetz vom 28. September 1956 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen

BFM

Bundesamt für Migration

BFS

Bundesamt für Statistik

BSV

Bundesamt für Sozialversicherungen

EFTA

Europäische Freihandelsassoziation

EG

Europäische Gemeinschaft

EntsG

Bundesgesetz vom 8. Oktober 1999 über die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für in die Schweiz entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und flankierende Massnahmen (Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer)

EntsV

Verordnung vom 21. Mai 2003 über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

EU

Europäische Union

GAV

Gesamtarbeitsvertrag

Kap.

Kapitel

NAV

Normalarbeitsvertrag

OR

Obligationenrecht

PVK

Parlamentarische Verwaltungskontrolle

SECO

Staatssekretariat für Wirtschaft

swisstopo

Bundesamt für Landestopographie

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Bericht Dieser Bericht enthält die wichtigsten Ergebnisse der von der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) durchgeführten Evaluation. Die komplette Beschreibung der flankierenden Massnahmen und der Methodologie sowie die vollständigen Ergebnisse finden sich im erläuternden Bericht1 (Rapport explicatif).

1

Einführung

1.1

Grund für die Evaluation

Die flankierenden Massnahmen sind am 1. Juni 2004 im Zuge der Einführung der Personenfreizügigkeit2 in Kraft getreten, welche im Rahmen der bilateralen Abkommen (Bilaterale I) mit der Europäischen Union (EU) ausgehandelt wurde. Sie sollen verhindern, dass sich die Löhne und Arbeitsbedingungen in der Schweiz aufgrund des erleichterten Zugangs der ausländischen Arbeitnehmenden zum Schweizer Arbeitsmarkt verschlechtern (Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping). Diese Massnahmen bestehen einerseits aus der Kontrolle der Einhaltung der Lohn- und Sozialbedingungen bei den entsandten Arbeitnehmenden und andererseits aus der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen oder dem Erlassen von Normalarbeitsverträgen mit zwingenden Mindestlöhnen im Falle wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung in einer bestimmten Branche.

Seit Einführung der flankierenden Massnahmen sind viele Fragen zu deren Umsetzung und Effizienz aufgetaucht. Sowohl im Parlament als auch in der Presse wurden die Bedenken der Bevölkerung zu diesem Thema mehrmals aufgegriffen. Die flankierenden Massnahmen wurden abhängig vom Stand der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU weiterentwickelt oder in Frage gestellt. Die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes für acht neue Oststaaten am 1. Mai 2011 sowie für Bulgarien und Rumänien im Jahr 2016 führte ebenfalls zu Diskussionen über die Angemessenheit der flankierenden Massnahmen.

Vor diesem Hintergrund hat die zuständige Subkommission der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte die PVK beauftragt, eine Evaluation der Aufsicht über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und deren Wirkungen der vorzunehmen, die Antworten auf folgende Fragen liefern soll: ­

1

2

Wie lassen sich die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Lohnentwicklung beurteilen?

Evaluation de la surveillance et des effets des mesures d'accompagnement à la libre circulation des personnes, Rapport explicatif du Contrôle parlementaire de l'administration à l'attention de la Commission de gestion du Conseil national du 16 juin 2011.

SR 0.142.112.681. Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit.

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­

Wie lässt sich die Aufsicht der flankierenden Massnahmen beurteilen?

­

Werden die flankierenden Massnahmen korrekt umgesetzt?

­

Ist die Steuerung der flankierenden Massnahmen angemessen?

­

Sind die Organisation und die Instrumente zur Problemlösung geeignet?

Die vorliegende Evaluation konzentriert sich folglich auf die Rolle des Bundes im Rahmen der flankierenden Massnahmen. Die Informationen bezüglich der Umsetzung durch die Kantone und paritätischen Kommissionen werden verwendet, um die Steuerung des Bundes und die Anwendung der flankierenden Massnahmen zu evaluieren. Auf die Gründe für die unterschiedlichen Praktiken der Vollzugsorgane wird nicht weiter eingegangen.

1.2

Methode

Zur Beantwortung der gestellten Fragen griff die PVK auf mehrere Informationsquellen und Datensammlungen zurück. Die Studie zur Wirkung der Personenfreizügigkeit wurde externen Experten übergeben, nämlich PD Dr. Fred Henneberger und Dr. Alexandre Ziegler vom Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen. Was die Studie zur Aufsicht der flankierenden Massnahmen angeht, bezog die PVK ihre Daten aus verschiedenen Gesprächen (30 Personen aus der Bundesverwaltung, den Kantonsverwaltungen und den tripartiten und paritätischen Kommissionen sowie verschiedene Sozialpartner), einer schriftlichen Befragung aller kantonalen tripartiten Kommissionen und nationalen paritätischen Kommissionen (47 Antworten), den Erkenntnissen im Rahmen der Begleitung zweier Inspektoren vor Ort sowie aus der Analyse von Dokumenten und Statistiken des Staatssekretariates für Wirtschaft (SECO).

Aus Tabelle 1 geht hervor, welche Evaluationsgrundlagen für jede Fragestellung verwendet wurden.

Tabelle 1 Fragestellungen und Evaluationsgrundlagen Thema

Fragestellung

Evaluationsgrundlage

Wirkung

Gibt es Anzeichen für einen Lohndruck und wenn ja, wie manifestieren sich diese?

Vergleich der Lohnentwicklung von Bevölkerungskategorien, die der Personenfreizügigkeit mehr oder weniger ausgesetzt sind.

Umsetzung Werden die flankierenden Massnahmen korrekt umgesetzt?

Vergleich zwischen den im Konzept vorgesehenen Massnahmen und den effektiv realisierten Massnahmen.

Einschätzung durch die befragten Personen.

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Thema

Fragestellung

Evaluationsgrundlage

Steuerung

Ist die Steuerung der flankierenden Massnahmen angemessen?

Beurteilung der Steuerung anhand der Umsetzungsresultate.

Sind die Organisation und die Instrumente zur Problemlösung geeignet?

Vergleich zwischen dem vorgesehenen Konzept und seiner Umsetzung.

Konzept

Einschätzung durch die befragten Personen.

Einschätzung durch die befragten Personen.

Für jede dieser Fragen wurden Beurteilungskriterien festgelegt, die für die Zusammenfassung der Ergebnisse am Schluss jedes Unterkapitels von Kapitel 3 verwendet werden.

1.3

Analysemethode

Die Evaluation basiert auf dem vereinfachten Wirkungsmodell, welches hier nachstehend veranschaulicht wird (Abb. 1). Das Modell zeigt die Logik der flankierenden Massnahmen auf. Ausgehend von einem Problem (Risiko von Lohn- und Sozialdumping) hat sich der Gesetzgeber zum Ziel gesetzt, gegen dieses Problem anzukämpfen, und zwar mit Instrumenten (Kontrolle der entsandten Arbeitnehmenden, Allgemeinverbindlicherklärung des GAV usw.), deren Umsetzung von mehreren Akteuren abhängt (Bund, Kantone, tripartite und paritätische Kommissionen). Die Umsetzung der Instrumente (Output) geschieht konkret über die vorgenommenen Kontrollen und ausgesprochenen Sanktionen bei Missbräuchen sowie über das Ingangsetzen spezifischer Prozesse im Falle von Lohn- und Sozialdumping. Die allgemeine Wirkung lässt sich schliesslich an der Entwicklung der in der Schweiz herrschenden Lohn- und Sozialbedingungen ablesen.

1227

Abbildung 1 Wirkungsmodell

1.4

Struktur des Berichts

In Kapitel 2 werden die flankierenden Massnahmen beschrieben, insbesondere die zur Verfügung stehenden Instrumente und die Zuständigkeiten der verschiedenen Akteure. In Kapitel 3 werden die Ergebnisse der Evaluation präsentiert, und zwar in umgekehrter Reihenfolge des in Kapitel 1.3 gezeigten Wirkungsmodells (Wirkung, Umsetzung, Steuerung, Konzept). In Kapitel 4 werden abschliessend die wichtigsten Punkte der Evaluation nochmals aufgegriffen.

1228

2

Flankierende Massnahmen

2.1

Hintergrund

Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit wurden in Zusammenhang mit den bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU eingeführt, genauer gesagt in Zusammenhang mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen.

Dieses gab Anlass zu einer grossen Debatte bezüglich der möglichen negativen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Schweizer Arbeitsmarkt. Gemäss dem Bundesrat wollen die flankierenden Massnahmen «eine gesetzliche Grundlage schaffen, um ein Sozial- und/oder Lohndumping zu Lasten der Arbeitnehmenden in der Schweiz zu verhindern. Ein solches Dumping könnte sich im Rahmen des liberalisierten Arbeitnehmerverkehrs zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten der EU ergeben und wird von zahlreichen Teilen der Bevölkerung befürchtet.»3 Das Personenfreizügigkeitsabkommen von 1999 trat am 1. Juni 2002 in Kraft und erleichtert es Schweizer Bürgern, in der EU zu arbeiten und sich dort niederzulassen.

Gleiches gilt für EU-Staatsangehörige in der Schweiz, sofern sie über einen Arbeitsvertrag verfügen oder den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können.

Für Arbeitsloste gilt die Freizügigkeit nicht. Das Abkommen betraf zunächst die 15 «alten» EU-Staaten sowie Malta und Zypern und wurde per 1. Mai 2011 auf die neuen EU-Mitgliedstaaten Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien und Slowakei ausgeweitet. Ab 2016 gilt das Abkommen auch für Bulgarien und Rumänien.

Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit haben sich die Arbeitnehmerströme in der Schweiz verändert und zugenommen. Aus dem Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen4 geht hervor, dass sich in den Jahren vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens (1991­2001) der Wanderungssaldo der ausländischen Wohnbevölkerung auf durchschnittlich +26 000 pro Jahr belief und ausschliesslich auf die Zuwanderung von Staaten ausserhalb des EU17/EFTA-Raums zurückzuführen war. Mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens veränderte sich die Zusammensetzung der Zuwanderung markant. In den ersten acht Jahren nach Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens betrug der Wanderungssaldo von EU17/EFTAStaatsangehörigen pro Jahr durchschnittlich +31 200 (zuvor durchschnittlich ­400 pro Jahr zwischen 1991 und 2001). Der Wanderungssaldo von Personen aus NichtEU25/EFTA-Staaten lag im selben Zeitraum bei +25
600 pro Jahr.

Es gilt darauf hinzuweisen, dass die Zunahme der ausländischen Arbeitnehmenden seit 2004 im Wesentlichen auf die steigende Anzahl Aufenthaltsbewilligungen5 und auf die Grenzgänger6 zurückzuführen ist. Ausserdem kann die Verteilung der verschiedenen Arbeitnehmerkategorien von Region zu Region sehr unterschiedlich

3 4

5

6

Botschaft zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG vom 23. Juni 1999, BBl 1999 6392.

SECO, BFM, BFS, BSV, Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Schweizer Arbeitsmarkt. 6. Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU, Mai 2010, S. 14.

Die Aufenthaltsbewilligung erhalten Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag bei einem Arbeitgeber in der Schweiz für eine Dauer von mindestens einem Jahr. Die Bewilligung ist 5 Jahre gültig und kann verlängert werden.

BFS, Schweizerische Arbeitskräfteerhebung und abgeleitete Statistiken im 4. Quartal 2010, März 2011. Rapport explicatif der PVK, Kapitel 4.1.

1229

sein. So machen die Grenzgänger im Kanton Tessin 21,6 % der Erwerbstätigen aus, im Jurabogen 9,9 % und in der Genferseeregion 9 %.7 Zum Vergleich: Im Jahr 2009 waren bei den Schweizer Arbeitgebern 214 570 Grenzgänger aus dem EU/EFTA-Raum und 346 000 Arbeitnehmende aus dem EU/EFTA-Raum mit Aufenthaltsbewilligung (bei insgesamt 550 000 Aufenthaltsbewilligungen) beschäftigt8, wohingegen die von den ausländischen Unternehmen entsandten Arbeitnehmenden umgerechnet 4900 Vollzeitstellen ausmachten9.

2.2

Beschreibung der Massnahmen

Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit sind in folgenden gesetzlichen Bestimmungen verankert: ­

Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (EntsG)10;

­

Verordnung über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (EntsV)11;

­

Artikel 330b, 360a­f des Obligationenrechts (OR)12;

­

Abgeänderte Artikel 1, 3, 6 und 20 des Bundesgesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG)13.

Im Zentrum der flankierenden Massnahmen stehen nicht die Arbeitnehmer, sondern die Arbeitgeber. Es geht darum, dass ausländische Arbeitgeber, welche Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden, die Schweizer Lohnbedingungen einhalten und dass Schweizer Arbeitgeber lohnmässig keinen Unterschied zwischen in- und ausländischen Arbeitskräften machen (z.B. Grenzgänger).

7 8 9 10

11 12 13

BFS, Grenzgängerstatistik im 4. Quartal 2010, Medienmitteilung, März 2011.

BFS, Ausländische Wohnbevölkerung nach detaillierter Staatsangehörigkeit und Anwesenheitsbewilligung, 2009.

SECO, Bericht über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zur Freizügigkeit im Personenverkehr, 1. Januar­31. Dezember 2009, Mai 2010, S. 11­13.

SR 823.20. Bundesgesetz vom 8. Oktober 1999 über die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für in die Schweiz entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und flankierende Massnahmen (Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer).

SR 823.201. Verordnung vom 21. Mai 2003 über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (EntsV).

SR 220. Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht).

SR 221.215.311. Bundesgesetz vom 28. September 1956 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen.

1230

Die flankierenden Massnahmen berücksichtigen die wichtige Rolle der Sozialpartner auf dem Schweizer Arbeitsmarkt, insbesondere im Rahmen der Gesamtarbeitsverträge (GAV)14. Ungefähr 13 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der Schweiz sind in Branchen mit allgemeinverbindlich erklärten GAV tätig15, d.h. in Branchen mit festgesetzten Mindestlöhnen, die für sämtliche Arbeitgeber dieser Branche gelten, egal ob sie den GAV unterzeichnet haben oder nicht16.

Die flankierenden Massnahmen sehen Kontrollen einerseits in den Entsendebetrieben vor, andererseits bei Schweizer Arbeitgebern sämtlicher Branchen, die über keinen allgemeinverbindlich erklärten GAV verfügen. Die Kontrolle der Branchen mit allgemeinverbindlich erklärten GAV wird grundsätzlich durch die paritätischen Kommissionen sichergestellt. Diese haben bereits vor Einführung der Personenfreizügigkeit die Einhaltung der Bestimmungen der in ihrem Verantwortungsbereich liegenden GAV kontrolliert. Der Gesetzgeber hat diesem Umstand bei der Erarbeitung der flankierenden Massnahmen Rechnung getragen.

Die flankierenden Massnahmen beruhen auf drei Grundpfeilern (siehe Abb. 2): die Kontrolle der entsandten Arbeitnehmenden (1. Pfeiler), die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von GAV in Bereichen, in denen es bereits einen GAV mit festgelegten Mindestlöhnen gibt (2. Pfeiler) und das Erlassen von Normalarbeitsverträgen (NAV) in Bereichen, in denen es keine Lohnvorschriften gibt (3. Pfeiler).

Die tripartite Kommission des Bundes und die 23 kantonalen tripartiten Kommissionen17 wurden zur Arbeitsmarktbeobachtung eingesetzt (Abb. 2, Zeile «Beobachtung»). Die Tätigkeiten der kantonalen tripartiten Kommissionen sind eng mit jenen der kantonalen Behörden verknüpft und lassen sich in der Praxis kaum auseinanderhalten.

14

15

16

17

Ein GAV ist ein zwischen einem oder mehreren Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden und einem oder mehreren Arbeitnehmerverbänden abgeschlossener Vertrag zur Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen einerseits und des Verhältnisses zwischen den Vertragsparteien andererseits. Bei den GAV handelt es sich um privatrechtliche Verträge. Der Staat ist weder an den Verhandlungen, noch am Abschluss oder am Vollzug der GAV beteiligt (SECO, Bericht über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zur Freizügigkeit im Personenverkehr, 1. Januar­31. Dezember 2009, Mai 2010, S. 16). Der GAV wird in Art. 356­358 OR geregelt.

Es gibt 37 allgemeinverbindlich erklärte GAV auf Bundesebene und 32 auf kantonaler Ebene (SECO, Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge, Stand: 1. April 2011).

Es besteht eine vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit, um die Aussenseiter zur Einhaltung des Vertrages anzuhalten: die Allgemeinverbindlicherklärung von GAV. Im Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen werden die entsprechenden Voraussetzungen geregelt. Die Allgemeinverbindlicherklärung bewirkt, dass sich alle Anbieter auf dem Markt an dieselben Bedingungen halten müssen. Für die Arbeitgeber bedeutet dies, dass in einer bestimmten Wirtschaftsbranche alle dieselben Mindestlöhne sowie weitere Leistungen des allgemeinverbindlich erklärten GAV zu erbringen haben.

Die tripartiten Kommissionen setzen sich aus Vertretern der Behörden, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen. Es gibt 23 kantonale tripartite Kommissionen, da sich einerseits die Kantone Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden und andererseits die Kantone Uri, Obwalden und Nidwalden eine tripartite Kommission teilen.

1231

Abbildung 2 System der flankierenden Massnahmen: Instrumente und Akteure (2009) Durch Sozialpartner reglementierte Bereiche 13 % der Arbeitnehmer 69 allgemeinverbindlich erklärte (ave) GAV

2. Pfeiler 1. Pfeiler Erleichterte ave GAV Entsandte Arbeitnehmer 14 % der <0,5 % des gesamten Arbeitnehmer Beschäftigungsvolumens 69 ave GAV Keine ave GAV 433 GAV mit Mindestlöhnen, ohne Allgemeinverbindlicherklärung

3. Pfeiler Erlassen von NAV 73 % der Arbeitnehmer Keine GAV mit Mindestlöhnen

Instrumente Beobachtung Meldungen Kontrollen (Anzahl)

Einigungsverfahren (Anzahl)

8400 (nationale GAV) 972 (kantonale GAV) Schweizer Arbeitgeber

7373 (nationale GAV) 968 (kantonale GAV) Ausländische Arbeitgeber

6214 Ausländische Arbeitgeber

8284 Schweizer Arbeitgeber

108

347

252

302

143

Kollektivmassnahmen Sanktionen (Anzahl) Konventionalstrafen Quelle: Legende:

1232

0

Zahlen 2009 auf Grundlage des SECO-Berichts vom Mai 2010.

= tripartite Kommissionen (1 nationale und 23 kantonale) sowie Bundes- oder Kantonsbehörden = tripartite Kommissionen, paritätische Kommissionen sowie Bundes- oder Kantonsbehörden = Kantonsbehörden = paritätische Kommissionen

1 nationaler NAV

5 kantonale NAV

1. Pfeiler: Kontrolle der Betriebe, die Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden Der 1. Pfeiler betrifft die entsandten Arbeitnehmenden18. Im Jahr 2009 zählte man 120 281 meldepflichtige Kurzaufenthalter. Umgerechnet in Vollzeitstellen und auf ein volles Jahr entspricht dies 15'700 Arbeitnehmenden, d.h. 0,45 % des gesamten Beschäftigungsvolumens. Die meldepflichtigen Kurzaufenthalter setzen sich zusammen aus den entsandten Arbeitnehmenden ausländischer Unternehmen (entspricht 4900 Vollzeitstellen), den Temporärbeschäftigten bei Schweizer Arbeitgebern (entspricht 8800 Vollzeitstellen) und den selbständigen Dienstleistungserbringern (entspricht 1900 Vollzeitstellen)19.

Die kantonalen Behörden prüfen die Entsendemeldungen (Abb. 2, Zeile «Meldungen») und leiten diese je nach betroffenem Tätigkeitsgebiet an die paritätischen Kommissionen (falls die Tätigkeit einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt ist)20 oder den kantonalen tripartiten Kommissionen weiter.

Auf Grundlage der ihnen weitergeleiteten Meldungen kontrollieren (Abb. 2, Zeile «Kontrollen») die paritätischen Kommissionen die Einhaltung der Arbeitsbedingungen (Mindestlohn, Arbeitsdauer usw.) in Bereichen, die durch allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge geregelt werden. In allen anderen Bereichen erfolgt die Kontrolle der entsandten Arbeitnehmenden durch die tripartiten Kommissionen.

In der Praxis werden diese Kontrollen durch Inspektoren durchgeführt, die von der paritätischen Kommission bzw. vom Kanton21 oder von Kontrollvereinen angestellt werden. Die paritätischen und tripartiten Kommissionen nehmen ihrerseits eine Beurteilung der Kontrollergebnisse vor, um allfällige Verstösse festzustellen. Es gilt zu beachten, dass die nationalen paritätischen Kommissionen (37 im Jahr 2011) die Kontrollen an ihre regionalen oder kantonalen Sektionen weiterdelegieren, welche die Kontrollen wiederum an Kontrollvereine weiterdelegieren können. Mehrere Dutzend regionale paritätische Kommissionen beurteilen also die Kontrollergebnisse und melden allfällig festgestellte Verstösse den kantonalen Behörden.

Auf Grundlage der von den paritätischen und tripartiten Kommissionen gemeldeten Verdachtsfälle kann die kantonale Behörde eine Verwaltungsbusse oder bei schweren Verstössen eine schweizweite Dienstleistungssperre von 1­5 Jahren verhängen (Abb. 2, Zeile «Sanktionen»).

18

19 20

21

Die entsprechenden Bestimmungen finden sich im Entsendegesetz und in der Entsendeverordnung und bezwecken, dass Arbeitnehmer, die von ausländischen Arbeitgebern für eine befristete Zeit in die Schweiz entsandt werden, zu ortsüblichen Bedingungen beschäftigt werden und dass die Mindestanforderungen punkto Lohn und Arbeitsbedingungen erfüllt werden.

SECO, Bericht über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zur Freizügigkeit im Personenverkehr, 1. Januar­31. Dezember 2009, Mai 2010, S. 11.

Es gibt 37 allgemeinverbindlich erklärte GAV auf Bundesebene und 32 auf kantonaler Ebene (SECO, Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge, Stand: 1. April 2011).

Zur Erfüllung der Kontrollaufgaben sowie der Beobachtungsaufgaben der tripartiten Kommissionen müssen die Kantone gemäss Art. 7a EntsG über eine ausreichende Anzahl von Inspektoren verfügen.

1233

Die paritätischen Kommissionen können zwar Konventionalstrafen aussprechen, wenn sich Entsendebetriebe nicht an den Gesamtarbeitsvertrag halten (Abb. 2, Zeile «Konventionalstrafen»), das Verhängen von Sanktionen wegen Verstössen gegen das EntsG liegt jedoch im alleinigen Zuständigkeitsbereich der Kantone.

2. und 3. Pfeiler der flankierenden Massnahmen Der 2. und der 3. Pfeiler der flankierenden Massnahmen gelangen schweizweit zur Anwendung, wenn Lohn- und Sozialdumping festgestellt werden.

In beiden Fällen sind die ersten Schritte gleich: Die Inspektoren des Kantons oder eines Kontrollvereins führen bei den Schweizer Arbeitgebern auf Grundlage der von der tripartiten Kommission des Bundes und des Kantons festgelegten Prioritäten Kontrollen durch. Die tripartiten Kommissionen beurteilen die Kontrollergebnisse, untersuchen Einzelfälle sowie verdächtige Situationen (Abb. 2, Zeile «Kontrollen») und suchen mit dem betroffenen Arbeitgeber nach einer Lösung, wenn seine Löhne von den üblichen Löhnen abweichen (Abb. 2, Zeile «Einigungsverfahren»).

Kommt keine Einigung zustande und liegt eine wiederholte missbräuchliche Lohnunterbietung vor22, gibt es zwei Möglichkeiten (Abb. 2, Zeile «Kollektivmassnahmen»): ­

2. Pfeiler: erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen Ungefähr 14 % der Arbeitnehmenden in der Schweiz sind in Branchen mit GAV und festgelegten Mindestlöhnen tätig, die für allgemeinverbindlich erklärt werden könnten23 (Abb. 2).

Der 2. Pfeiler der flankierenden Massnahmen erlaubt im Falle einer wiederholten missbräuchlichen Lohnunterbietung (Art. 360b OR) eine erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von bestehenden Gesamtarbeitsverträgen für sämtliche Arbeitgeber und -nehmer einer bestimmten Branche24.

Die zuständigen Bundes- und Kantonsbehörden können auf Antrag der tripartiten Kommission eine Allgemeinverbindlicherklärung vornehmen (Abb. 2, Zeile «Kollektivmassnahmen»).

Der Gesetzgeber hat keine Sanktionen für den Fall des Nichteinhaltens der privatrechtlichen GAV vorgesehen. Die paritätischen Kommissionen können jedoch in GAV-geregelten Bereichen Konventionalstrafen verhängen, unabhängig davon, ob der GAV allgemeinverbindlich ist oder nicht (Abb.

2, Zeile «Konventionalstrafen»). Bei nicht allgemeinverbindlich erklärten GAV können Konventionalstrafen nur gegen Arbeitgeber verhängt werden, die dem GAV unterstellt sind.

22

23

24

Besonders für die tripartiten Kommissionen ist es schwierig, Lohnunterbietungen festzustellen, da es in den von ihnen betreuten Bereichen keine obligatorischen Mindestlöhne gibt. Ausserdem hat der Gesetzgeber nicht genau definiert, was er unter wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung versteht.

Im Jahr 2007 gab es 432 Gesamtarbeitsverträge mit festgelegten Mindestlöhnen ohne Allgemeinverbindlicherklärung (BFS, Erhebung über die Gesamtarbeitsverträge in der Schweiz, 2009).

Man spricht deshalb von «erleichtert», weil die Bedingungen weniger streng sind als bei ordentlichen Allgemeinverbindlicherklärungen, die von den GAV-Partnern selbst beantragt werden müssen.

1234

­

3. Pfeiler: Erlassen eines Normalarbeitsvertrags mit festgelegten Mindestlöhnen Der 3. Pfeiler ist für Branchen gedacht, die über keinen GAV mit festgesetzten Mindestlöhnen verfügen. Dies betrifft 73 % der Arbeitnehmer in der Schweiz (Abb. 2).

Der Bundesrat/Kanton kann auf Antrag der tripartiten Kommission des Bundes/Kantons einen befristeten Normalarbeitsvertrag mit zwingenden Mindestlöhnen erlassen (Art. 360a OR).

Der Gesetzgeber hat keine Sanktionen für den Fall des Nichteinhaltens der Normalarbeitsverträge vorgesehen.

3

Evaluationsergebnisse

3.1

Wirkung der Öffnung des Arbeitsmarkts auf die Löhne

Mit den flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit sollen Lohnunterbietungen bekämpft werden.

Aus zwei Gründen ist es leider nicht möglich, die Wirkung der flankierenden Massnahmen auf Lohnunterbietungen zu messen: Erstens hat der Gesetzgeber den Begriff der Lohnunterbietung nicht definiert. Die Feststellung einer Lohnunterbietung ist daher schwierig und problematisch. Zweitens müsste man einen Vergleich zwischen der aktuellen Situation und einer Situation ohne flankierende Massnahmen ziehen, um sich ein Bild über deren Wirkung machen zu können. Für einen solchen Vergleich stehen jedoch nur sehr ungenaue Hypothesen und Berechnungsmodelle zur Verfügung. Deshalb ist es für die Untersuchung der Lohnentwicklung seit Einführung der Personenfreizügigkeit sinnvoller, die flankierenden Massnahmen nicht direkt mit einzubeziehen.

Die Ergebnisse25 der Analyse der beauftragten Experten (PD Dr. Fred Henneberger und Prof. Dr. Alexandre Ziegler, Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen) zeigen, dass das auf die Personenfreizügigkeit zurückzuführende Angebot an Arbeitskräften tatsächlich zu einem Lohndruck geführt hat.

Es wurde eine umfassende Lohnanalyse für die Jahre zwischen 2004 und 2008 durchgeführt, sowohl für die gesamte Schweizer Wirtschaft als auch gegliedert nach Branchen und Ausbildungsniveau der Arbeitnehmenden. Dabei stützte man sich auf die Mikrodaten der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (BFS). Es handelt sich um eine sehr breit angelegte Studie (1 615 482 Personen im Jahr 2008), die erstmals aufgrund von direkten Mikrodaten durchgeführt wurde. Dies ist ein sehr wichtiger Faktor, denn die bisherigen Studien basierten im Allgemeinen auf aggregierten statistischen Daten.

Bei der Analyse ging es darum, allfälligen Lohndruck durch Vergleich der Löhne bzw. der Lohnentwicklung für verschiedene Beschäftigtengruppen zu identifizieren, bei denen erwartet werden kann, dass ihre Löhne unterschiedlich stark auf die Zuwanderung von Arbeitskräften aufgrund der Personenfreizügigkeit reagieren.

25

Siehe Anhang 1 und 2, Rapport explicatif der PVK, 2011.

1235

Dabei wurden folgende Vergleiche angestellt: ­

neu eingestellte Arbeitnehmer versus bereits beschäftigte Arbeitnehmer;

­

Ausländer versus Einheimische;

­

Arbeitnehmer in Grenzregionen versus Arbeitnehmer in Zentralregionen.

Die Vermutung liegt nahe, dass die Gruppen, die jeweils vor dem Wort «versus» stehen, die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit stärker zu spüren bekommen als die Gruppen hinter dem Wort «versus».

Man geht davon aus, dass die Gruppe der Arbeitnehmer, die Schweizer sind, bereits eine Stelle haben und in einer Zentralregion wohnen, die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit am wenigsten (oder am spätesten) spüren. Diese Gruppe dient als Referenzgruppe für den Lohnentwicklungsvergleich mit den anderen Gruppen.

Der auf diese Referenzgruppe abgestützte Vergleich ist ein zentrales Element der von Henneberger und Ziegler durchgeführten Analyse. Die Lohnentwicklung in der Schweiz hängt von mehreren Faktoren ab, wie z.B. vom Arbeitskräfte-Angebot (Einheimische und Ausländer), von der Arbeitskräfte-Nachfrage (namentlich aufgrund der wirtschaftlichen Lage) oder von der Produktivität. Die Analyse betrachtet nicht nur einfach die von diesen Faktoren abhängige Lohnentwicklung, sondern vergleicht die Lohnentwicklung in verschiedenen Beschäftigtengruppen auf Grundlage der Referenzgruppe, die als am wenigsten (oder am spätesten) anfällig für die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit angesehen wird. Man kann also erwarten, dass die Effekte der Personenfreizügigkeit sich als erstes bei ausländischen Arbeitnehmenden in Grenzregionen zeigen. Umgekehrt könnte man sagen: Die Schweizer, die bereits erwerbstätig sind und in einer Zentralregion arbeiten, sind der ausländischen Konkurrenz weniger stark (und weniger schnell) ausgesetzt.

Henneberger und Ziegler gelangen zu folgenden drei Erkenntnissen: 1.

Die gesamtwirtschaftliche Analyse zeigt, dass die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Löhne zuerst in der Gruppe der neu eingestellten Ausländer in den Grenzregionen zu beobachten waren und später bei den neu eingestellten Ausländern und Schweizern in den Zentralregionen.

Allgemein betrachtet (d.h. ohne Differenzierung nach Branchen oder Ausbildungsniveaus) zeigt sich, dass in der Gruppe der Neueingestellten die Löhne bereits im Jahr 2004 unter jenen der Referenzgruppe lagen. Dieses Gefälle vergrösserte sich in den Jahren 2006 und 2008 um 1,5 % respektive 2 %.

Eine nähere Betrachtung zeigt, dass der gegenüber der Referenzgruppe festgestellte Lohnabschlag bei Neuanstellungen im Ausgangsjahr der Analyse, dem Jahr 2004, ausschliesslich auf die Gruppe der in den Grenzregionen neu eingestellten Ausländer zurückzuführen ist. Zum anderen zeigt die Entwicklung nach 2004, dass die Löhne bei Neueinstellungen von Ausländern und Schweizern in den Zentralregionen im Jahr 2006 im Vergleich zur Referenzgruppe um fast 2 % bzw. um über 1,5 % gesunken sind und im Jahr 2008 noch mehr, nämlich um etwas über 2 %.

Darüber hinaus erhöhte sich der Lohnrückgang bei den in den Grenzregionen neu eingestellten Ausländern im Vergleich zur Referenzgruppe zwischen 2004 und 2008 um über 2 % und lag im Jahr 2008 bei über 4 %.

1236

Die Tatsache, dass gegenüber der Referenzgruppe bereits 2004 ein Lohnabschlag bei Neuanstellungen von Ausländern festzustellen ist, jedoch nur in den Grenzregionen, deutet darauf hin, dass die Möglichkeit der Beschäftigung von Grenzgängern und die ersten Auswirkungen der Personenfreizügigkeit im Jahr 2004 in den Grenzregionen bereits zu beobachten waren. Die Konkurrenz der ausländischen Arbeitskräfte wirkte sich damals aber noch nicht sichtbar auf die Löhne bei Neuanstellungen von Schweizern aus. In den Jahren 2006 und 2008 schwappte dieser Effekt der Personenfreizügigkeit offenbar auf die Löhne von neu angestellten Schweizern und Ausländern in den Zentralregionen über. Dieser Effekt ist nicht abhängig von der Konjunktur, denn er liess sich sowohl im konjunkturell guten Jahr 2006 als auch im Krisenjahr 2008 feststellen.

2.

Die Analyse auf Branchenebene zeigt, dass die Lohnentwicklung von der Personenfreizügigkeit und dem damit einhergehenden Angebot an Arbeitskräften beeinflusst wurde.

Die Betrachtung auf Branchenebene signalisiert, dass die Lohnentwicklung bei der Referenzgruppe (in den Zentralregionen bereits angestellte Schweizer) in fast allen Branchen zwischen 2004 und 2008 positiv verlaufen ist. In den beiden Beschäftigtengruppen der neu eingestellten Ausländer in den Zentralregionen einerseits sowie der neu eingestellten Ausländer in den Grenzregionen andererseits sind bereits im Basisjahr 2004 bei 7 bzw. 14 der 26 Branchen signifikante Lohnabschläge zur Referenzgruppe zu beobachten.

Wenngleich nicht auszuschliessen ist, dass neu eingestellte Ausländer ­ z.B.

wegen fehlender Sprachkenntnisse ­ weniger produktiv sind als neu eingestellte Schweizer, lassen sich die Lohnrückgänge doch zumindest teilweise mit der Personenfreizügigkeit erklären.

3.

Die Analyse nach Ausbildungsniveau zeigt einen häufigeren und grösseren Lohndruck in Kategorien mit tieferem Ausbildungsniveau.

Die Lohnanalyse desaggregiert nach Ausbildungsniveaus deckt auf, dass die Lohnentwicklung bei der Referenzgruppe zwischen 2004 und 2008 für alle Qualifikationsniveaus positiv verlaufen ist. Die Betrachtung der verschiedenen Beschäftigtengruppen liefert ein differenziertes Bild von den Auswirkungen des freien Personenverkehrs je nach Ausbildungsniveau. Es lassen sich fünf zentrale Aussagen ableiten: ­ Im Jahr 2004 betrugen die Lohnunterschiede zwischen der Gruppe der neu eingestellten Ausländer in niedriger qualifizierten Bereichen und der Referenzgruppe bis zu 6,5 %. Dies betraf vor allem die Grenzregionen. Die Personenfreizügigkeit dürfte für diese Unterschiede mitverantwortlich sein.

­ Wenn signifikante Abweichungen zur Lohnentwicklung der Referenzgruppe gemessen werden, handelt es sich fast immer um Lohnabschläge.

­ Im analysierten Zeitraum lassen sich Lohneinbussen gegenüber der Referenzgruppe auch in hochqualifizierten Bereichen feststellen, jedoch weniger häufig und in einem geringeren Ausmass als in niedriger qualifizierten Bereichen.

1237

­

­

In den Jahren 2006 und 2008 war die Lohnentwicklung bei den neu eingestellten Personen tendenziell ungünstiger als in der Referenzgruppe. Während in den Zentralregionen vor allem die neu eingestellten Schweizer vom Lohndruck betroffen sind, bekommen in den Grenzregionen besonders die neu eingestellten Ausländer den Lohndruck zu spüren.

Im Jahr 2008 sind erhebliche Lohnunterschiede bei Neueinstellungen von Ausländern zu beobachten, die nur über eine obligatorische Ausbildung verfügen.

Die Studienautoren schliessen ihren Bericht mit der Bemerkung, dass ihre Analysenergebnisse ­ obwohl auf einem anderen methodischen Ansatz beruhend ­ die bereits in früheren Studien26 geäusserten Befürchtungen eines Lohndrucks aufgrund des Arbeitskräfteangebots im Rahmen der Personenfreizügigkeit bestätigen.

Es ist nicht möglich zu eruieren, ob diesem Lohndruck missbräuchliche Praktiken zugrunde liegen oder nicht, da der Begriff der missbräuchlichen Lohnunterbietung unterschiedlich oder gar nicht definiert worden ist. Nichtsdestotrotz zeigen die von der PVK erhobenen Daten, dass die Löhne der entsandten Arbeitnehmer manchmal deutlich unter den Löhnen der niedergelassenen Arbeitnehmer liegen und in einigen Fällen nur einen Drittel davon betragen. Diese Praktiken stellen Verstösse gegen das EntsG dar und sind eindeutige Indizien für eine Lohnunterbietung. Sie werden jedoch aufgrund der lückenhaften oder gar falschen Anwendung der flankierenden Massnahmen (siehe Kap. 3.2) sehr oft nicht als solche registriert.

Tabelle 2 Beurteilung der Auswirkungen Kriterium

Beurteilung

Vorhandensein von Lohndruck

Die Öffnung des Arbeitsmarktes im Rahmen der Personenfreizügigkeit hat einen Lohndruck zur Folge. Die Auswirkungen waren zunächst in den Grenzregionen zu beobachten und breiteten sich in der Folge auf die gesamte Schweiz aus. Der Lohndruck ist bei Arbeitnehmern mit niedrigerem Ausbildungsniveau stärker.

In der Praxis sind manchmal grosse Lohnunterschiede feststellbar.

26

Gerfin, Michael/Kaiser, Boris: Die Auswirkungen der Immigration der Jahre 2002­2008 auf die Löhne in der Schweiz, Studie im Auftrag der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung, SECO Publikation Arbeitsmarktpolitik No. 30 (6. 2010), Bern, 2010.

Gerfin, Michael/Kaiser, Boris: The Effects of Immigration on Wages: An Application of the Structural Skill-Cell Approach, Working Paper, Department of Economics, Public Economics, University of Bern, Bern, June 16, 2010.

Stalder, Peter: Makroökonomische Auswirkungen der Personenfreizügigkeit: Simulationen mit einem ökonometrischen Strukturmodell, Schweizerische Nationalbank (SNB), Forschung, Zürich, Oktober 2008.

Stalder, Peter: Free migration between the EU and Switzerland: Impacts on the Swiss Economy and Implications for Monetary Policy, Swiss National Bank (SNB), Research, Zurich, January 2010.

1238

3.2

Umsetzung der flankierenden Massnahmen

Werden die flankierenden Massnahmen korrekt umgesetzt?

Allgemein kann gesagt werden, dass die flankierenden Massnahmen je nach Vollzugsorgan sehr unterschiedlich umgesetzt werden. Es gibt nicht nur grosse Unterschiede punkto Häufigkeit und Durchführungsart der Kontrollen, sondern besonders auch bezüglich der Folgemassnahmen (Einigungsverfahren, Sanktionen, Kollektivmassnahmen). Diese Unterschiede bestehen unabhängig von Grenznähe, Arbeitsart oder Kantonsgrösse und lassen sich sowohl auf Ebene der Kantone als auch auf Ebene der paritätischen Kommissionen feststellen.

1. Pfeiler Bei den Meldekontrollen27 (Abb. 2, Zeile «Meldungen») gibt es von Kanton zu Kanton extreme Unterschiede. Die vom SECO mit 19 % angegebene Quote der Meldeverstösse28 ist nicht aussagekräftig. Die Verstossquote variiert nämlich je nach Kanton zwischen 0 % und 100 %. Die Kantone führen diese Kontrollen inhaltlich und qualitativ höchst unterschiedlich durch29.

Die tripartiten Kommissionen (und die kantonalen Behörden) spielen eine zentrale Rolle im Rahmen der flankierenden Massnahmen. Sie sind für die Arbeitsmarktbeobachtung verantwortlich. In diesem Rahmen kontrollieren sie sämtliche Bereiche, die nicht einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstehen (ca. 85 % der erwerbstätigen Bevölkerung). Insbesondere überprüfen sie die Einhaltung der üblichen Lohnbedingungen bei entsandten Arbeitnehmern. Stellen sie wiederholte missbräuchliche Lohnunterbietungen fest, müssen sie zusätzliche Massnahmen ergreifen.

Die grossen Unterschiede bei der Anzahl festgestellter Verstösse sind Ausdruck der unterschiedlichen Vorgehenswesen der tripartiten Kommissionen in diesem Bereich.

Bei 6124 durchgeführten Kontrollen (Abb. 2, Zeile «Kontrollen») wurden 414 Verstösse gegen die üblichen Lohnbedingungen festgestellt. Mehr als drei Viertel aller Verstösse wurden in nur gerade fünf Kantonen festgestellt. In elf Kantonen wurden gar keine Verstösse festgestellt, obwohl es sich dabei teilweise um grosse Kantone handelt30. Die Definition der Lohnunterbietung und die Feststellungsmethoden sind je nach Kanton sehr unterschiedlich: Einige Kantone betrachten dazu den Unterschied des betreffenden Lohns zum üblichen Lohn in Zahlen (mehr als Fr. 500) oder Prozenten (Unterschied von mehr als 0 %, 5 %, 10 % oder 20 %), während andere Kantone davon ausgehen,
dass nur die am schlechtesten bezahlten 25 % einer Branche von einem Missbrauch betroffen sind oder dass nur der tiefste Lohn einer Branche missbräuchlich ist. Zahlreiche tripartite Kommissionen geben ausserdem an, dass die Definition des Missbrauchs von Fall zu Fall unterschiedlich sei31.

27

28 29 30 31

Es handelt sich um die Kontrolle der vorgängigen Meldung der Einsätze der entsandten Arbeitnehmer und anderer meldepflichtiger Personen wie z.B. der Selbständigerwerbenden und der bei einem Schweizer Arbeitgeber tätigen Temporärangestellten (Anstellung von weniger als 90 Tagen).

SECO, Bericht über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zur Freizügigkeit im Personenverkehr, 1. Januar­31. Dezember 2009, Mai 2010, S. 6, 36 und 53.

Rapport explicatif der PVK, 2011, Kapitel 5.1.

Rapport explicatif der PVK, 2011, Kapitel 5.2.2.

Von der PVK an 23 kantonale tripartite Kommissionen verschickter Fragebogen (Rücklauf: 100 %).

1239

Die paritätischen Kommissionen kontrollierten bereits vor Einführung der flankierenden Massnahmen die Einhaltung ihres jeweiligen GAV und kontrollieren nun auch Betriebe mit entsandten Arbeitnehmern in Bereichen, in denen ihr jeweiliger GAV für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Diese Kontrollen werden teilweise vom Bund finanziert.

Die paritätischen Kommissionen führen nur selten Kontrollen von Entsendemeldungen durch. Dies hängt damit zusammen, dass sie diese Kontrollen wohl oft als eine administrative Hürde sehen, die angesichts der vorzunehmenden Verstossfeststellungen und der Weiterleitung an die kantonalen Behörden einen Mehraufwand bedeuten.

Bei der Anzahl der von den paritätischen Kommissionen durchgeführten Kontrollen der Löhne der entsandten Arbeitnehmer zeigt sich ein höchst unterschiedliches Bild: In Bezug auf die zwischen dem SECO und den paritätischen Kommissionen festgelegten Zielvorgaben betragen die Abweichungen je nach Kommission ­91 % bis +188 %. Die Wahrscheinlichkeit für einen entsandten Arbeitnehmer, kontrolliert zu werden, variiert also je nach Kommission sehr stark.

Zum heutigen Zeitpunkt lässt sich anhand der von den paritätischen Kommissionen gelieferten Daten nicht sagen, ob eine Lohnunterbietung vorliegt oder nicht. Dies hauptsächlich aus folgenden Gründen:

32

33

­

Die Kontrollen werden «im Allgemeinen» durchgeführt, man weiss jedoch nichts über deren regionale Verteilung. Aus den nationalen Kontrollergebnissen geht nicht hervor, ob es Regionen gibt, in denen die Situation deutlich besser oder schlechter als der Durchschnitt ist.

­

Obwohl die paritätischen Kommissionen Verstösse den kantonalen Behörden melden müssen (Art. 9 EntsG), geschah dies nur in 16 % der Verstösse32. Von den ohnehin bereits sehr wenigen weitergeleiteten Verstössen stammen überdies 86 % aus nur gerade fünf Kantonen und 58 % beziehen sich auf ein und denselben GAV33. Es scheinen nur jene Verstösse an die kantonalen Behörden weitergeleitet zu werden, die Gegenstand einer Konventionalstrafe waren. Im Jahr 2009 haben die paritätischen Kommissionen beispielsweise 410 Konventionalstrafen verhängt und 440 Verstösse wurden den kantonalen Behörden weitergeleitet.

­

Die Tatsache, dass Verstösse, bei denen eine Lösung oder Einigung gefunden wurde, von vielen paritätischen Kommissionen nicht mehr als Verstösse angesehen und als solche registriert werden, führt zu einem verzerrten Abbild der effektiven Situation.

Laut SECO verzichten einige paritätische Kommissionen auf eine Weiterleitung an die Kantone, wenn es sich nur um sehr geringfügige Verstösse handelt. Ausserdem würden solche geringfügige Verstösse in der Praxis durch eine Lohnkorrektur kompensiert. In den Augen der PVK kann dies jedoch nicht die einzige Erklärung für den geringen Anteil der weitergeleiteten Verstösse sein, denn es gibt auch paritätische Kommissionen, die geringfügige Verstösse gar nicht erst erfassen (und somit erscheinen diese Verstösse nicht in den Statistiken). Ausserdem funktioniert die Weiterleitung nur in gewissen Kantonen oder gewissen paritätischen Kommissionen, was wiederum ein Zeichen für die höchst unterschiedliche Vorgehensweise in diesem Bereich ist.

Es handelt sich um den GAV für das Schreinergewerbe.

1240

Aus der Datenanalyse geht hervor, dass bei den 7373 im Jahr 2009 in Entsendebetrieben durchgeführten Kontrollen (Abb. 2, Zeile «Kontrollen») 4382 Verstösse festgestellt wurden, davon 1565 Verstösse im Lohnbereich, 1077 Verstösse gegen die Arbeitsbedingungen und 642 Verstösse gegen die Meldepflicht. Das heisst, dass mindestens 60 % der Entsendebetriebe in Branchen mit einem allgemeinverbindlich erklärten GAV gegen die Bestimmungen verstossen haben.

In den Bereichen, die den paritätischen Kommissionen unterstehen, ist die Umsetzung der flankierenden Massnahmen demnach lückenhaft. Dies ist auf die mangelhafte Weiterleitung der Fälle zwischen den paritätischen Kommissionen und den kantonalen Behörden sowie auf das Organisations- und Professionalitätsniveau der Kommissionen zurückzuführen.

In Branchen mit einem allgemeinverbindlichen kantonalen GAV (32 an der Zahl) sind die kantonalen paritätischen Kommissionen für die Kontrollen verantwortlich.

Ähnlich wie beim Bund und den nationalen paritätischen Kommissionen müssen sich die Kantone an der Finanzierung dieser Kontrollen beteiligen. Einige Kantone haben mit bestimmten paritätischen Kommissionen Leistungsvereinbarungen abgeschlossen. Die Kontrollen im Bereich der Entsendung für Bereiche mit allgemeinverbindlichen kantonalen GAV sind deshalb sehr uneinheitlich. Anhand der Daten des SECO kann nicht gesagt werden, ob die flankierenden Massnahmen in diesem Bereich korrekt umgesetzt werden oder ob sie überhaupt umgesetzt werden.

2. und 3. Pfeiler Die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von GAV und das Erlassen eines NAV basieren auf der Arbeitsmarktbeobachtung mittels Kontrollen bei den Schweizer Arbeitgebern. Bei den 8284 bei Schweizer Arbeitgebern durchgeführten Kontrollen (Abb. 2, Zeile «Kontrollen») stellten die kantonalen tripartiten Kommissionen 320 Verstösse im Lohnbereich fest.

Die festgestellten Unterschiede bei den Ergebnissen der Aufsicht der Schweizer Arbeitgeber rühren eher von den uneinheitlichen kantonalen Kontrollmethoden und -strategien her als von einem unterschiedlichen Verhalten der Arbeitgeber je nach Kanton. Einige grosse Kantone führen trotz ihrer Grösse im Vergleich zu anderen Kantonen nur sehr wenige Kontrollen durch. Der prozentuale Anteil der festgestellten Verstösse im Verhältnis zur Gesamtzahl der Kontrollen variiert
stark (0 %­31 % je nach Kanton)34.

Die kantonalen Inspektoren führen zwar Kontrollen durch, aber es lässt sich keine objektive Gesamtschau erstellen und nicht feststellen, ob eine Lohnunterbietung besteht oder nicht. Aus den Antworten des Fragebogens, den die PVK den kantonalen tripartiten Kommissionen zugestellt hat, lässt sich erkennen, dass einige tripartite Kommissionen wegen ungenügend ausgearbeiteter Methoden oder nicht definierter Kriterien nicht in der Lage sind, Verstösse festzustellen. Ausserdem stellen bestimmte tripartite Kommissionen bewusst keine Vergleiche mit den üblichen Löhnen an.

Da die tripartiten Kommissionen nur in seltenen Fällen eine wiederholte missbräuchliche Lohnunterbietung feststellten, wurden auch die entsprechenden Folgemassnahmen nur sehr wenig in Anspruch genommen (Abb. 2, Zeile «Kollektivmassnahmen»). Sowohl auf Kantons- als auch auf Bundesebene gelangte das Instrument 34

Rapport explicatif der PVK, 2011, Kapitel 5.2.3.

1241

der erleichterten Verbindlicherklärung eines GAV kein einziges Mal zur Anwendung. Vom Instrument des Erlassens eines NAV wurde einmal auf Bundes- und fünfmal auf Kantonsebene (3 Kantone) Gebrauch gemacht. Die sehr schwache Nutzung dieses Instruments bedeutet nicht, dass es keine Lohnunterbietungen gibt.

Vielmehr gilt es zu beachten, dass die Kontrollstrategien des Bundes und der Kantone sowie die von den tripartiten Kommissionen angewandten Methoden und Kriterien es mehrheitlich nicht erlauben, wiederholte missbräuchliche Lohnunterbietungen festzustellen. Die Kantone, welche NAV mit zwingenden Mindestlöhnen erlassen haben, stellen ausserdem fest, dass dieses Instrument wenig effizient ist, weil Sanktionen bei Schweizer Arbeitgebern nicht möglich sind. Diese Kantone fordern entsprechende gesetzliche Grundlagen35.

Tabelle 3 Beurteilung der Umsetzung Kriterium

Beurteilung

Zielerreichung

Die quantitativen Kontrollziele werden auf allgemeiner Ebene erreicht. Es gibt jedoch sehr grosse Unterschiede je nach Branche und Region.

Angemessenheit der Umsetzung

Die Umsetzungsqualität ist je nach paritätischer oder tripartiter Kommission unterschiedlich.

Nicht alle Vollzugsorgane wenden die Instrumente in der gewünschten logischen Art und Weise an. Oft beschränkt man sich auf Kontrollen.

Die paritätischen Kommissionen leiten Verstösse nur selten an die kantonalen Behörden weiter, so dass diese keine Sanktionen im Sinne des EntsG ergreifen können.

Da Lohnvergleiche oft mangelhaft oder gar nicht durchgeführt werden, können die tripartiten Kommissionen gegebenenfalls keine Lohnunterbietungen feststellen.

Die uneinheitliche Umsetzung je nach Kanton lässt sich nicht damit erklären, dass einige Kantone der Personenfreizügigkeit mehr ausgesetzt sind als andere (Grenznähe, Art der Arbeit, Grösse des Kantons).

3.3

Steuerung der flankierenden Massnahmen

Ist die Steuerung der flankierenden Massnahmen angemessen?

Die Steuerung der flankierenden Massnahmen erfolgt, obwohl über deren Wirksamkeit keine zuverlässigen Erkenntnisse vorliegen. Die Weiterentwicklung der flankierenden Massnahmen hängt von politischen Überlegungen in Zusammenhang mit der Annahme der bilateralen Abkommen ab. Dies zeigt sich darin, dass der Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen erstmals thematisiert 35

Medienmitteilung des Kantons Genf, Medienkonferenz des Staatsrates vom 24. März 2011.

Le Temps, Dumping salarial, Berne sommé de sévir, 25. März 2011.

Rapport explicatif der PVK, Kapitel 5.2 und 7.2.

1242

wurde, als es um die Ausweitung des Freizügigkeitsabkommens auf die neuen EU-Staaten ging.

Obwohl die entsandten Arbeitnehmer weniger als 0,5 % des gesamten Beschäftigungsvolumens in der Schweiz ausmachen, erfolgen 13 587 der rund 30 00036 Kontrollen bei Entsendebetrieben (Abb. 3). Diese Kontrollen machen rund drei Viertel der Ausgaben für die flankierenden Massnahmen aus (Fr. 9 Mio. bei einem Total von Fr. 12 Mio.). Angesichts des ursprünglichen Ziels der flankierenden Massnahmen ­ die Bekämpfung des Lohn- und Sozialdumpings ­ konzentriert sich die strategische Steuerung auf einen sehr engen Bereich, nämlich auf den Bereich der entsandten Arbeitnehmer. Für das EVD rechtfertigt sich dieser enge Fokus dadurch, dass die Entsendung von Arbeitnehmern fast ausschliesslich in Branchen, die dem Risiko von Lohn- und Sozialdumping besonders stark ausgesetzt sind, stattfindet. Die PVK ist jedoch der Meinung, dass sich die Wirkungen der Personenfreizügigkeit einerseits auch in anderen Personenkategorien (Grenzgänger, Inhaber von Aufenthaltsbewilligungen) und andererseits auch in nicht-sensiblen Branchen zeigen, wie dies ferner Henneberger und Ziegler in ihrer Studie aufzeigen (Kap. 3.1 und Anhang 2).

Abbildung 3 Anteil der entsandten Arbeitnehmer am gesamten Beschäftigungsvolumen

Anteil der entsandten Arbeitnehmer an den durchgeführten Kontrollen

Der Bundesrat hat seinen Handlungsspielraum nicht ausgeschöpft, weder um den Begriff der Lohnunterbietung und die entsprechenden Feststellungsmethoden genauer zu definieren noch um die Zielgruppen der flankierenden Massnahmen zu präzisieren (Aufteilung der Kontrollen zwischen paritätischen und tripartiten Kommissionen, zwischen Entsendebetrieben und Schweizer Arbeitgebern).

Das System der flankierenden Massnahmen basiert auf einem zentralen Element der Schweizer Wirtschaft: den Beziehungen zwischen den Sozialpartnern. Die vorherrschende Stellung der paritätischen Kommissionen bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen lässt sich damit rechtfertigen, dass die von ihnen abgedeckten Branchen besonders exponiert sind, was die Qualifikation der Arbeitskräfte, das 36

Es gilt zu beachten, dass in diesen 30 000 Kontrollen auch die 8400 Kontrollen enthalten sind, welche die paritätischen Kommissionen bei Schweizer Arbeitgebern durchgeführt haben und die somit nicht direkt mit den flankierenden Massnahmen in Zusammenhang stehen (keine Finanzierung), sondern mit den Überwachungsaufgaben der paritätischen Kommissionen in Bezug auf ihren jeweiligen GAV.

1243

Lohnniveau und den Konkurrenzdruck angeht. Diese Branchen machen rein quantitativ allerdings nur gerade 13 % der Arbeitnehmenden aus (Abb. 2) und sind nicht die einzigen Bereiche, in denen aufgrund der Personenfreizügigkeit ein Lohndruck spürbar ist. Bereiche, in denen die Sozialpartner traditionell wenig aktiv sind, werden somit durch die flankierenden Massnahmen kaum abgedeckt.

Das SECO ist für die Beaufsichtigung des Vollzugs zuständig37. Die vom SECO wahrgenommene Steuerung hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt, insbesondere aufgrund des grossen Engagements der Direktion für Arbeit und des zuständigen Leistungsbereichs des SECO. Im Jahr 2010 wurde eine klare Strategie definiert, welche die Lücken der ersten fünf Umsetzungsjahre schliesst. Das SECO zeigt in seiner Strategie, dass es sich der zentralen Probleme bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen bewusst ist (Transparenzmangel bezüglich Finanzierung, mangelhafte Weiterleitung von Verstossmeldungen, schlechte Datenqualität usw.). Es möchte diese Probleme hauptsächlich über folgende drei Massnahmen lösen: Leistungsvereinbarungen, bessere Koordination und bessere Kenntnis der verdächtigen Praktiken (mittels Anstellung eines Auditors). Abgesehen von diesen begrüssenswerten Massnahmen scheint das SECO die Steuerung der paritätischen Kommissionen und der Kantone bereits dadurch verbessert zu haben, dass die übermittelten Daten nun analysiert werden. Dadurch soll festgestellt werden, ob die Probleme auf die Daten oder die Praktiken zurückzuführen sind. Zwischen 2004 und 2008 gab es keine Steuerungsstrategie. Zwischen 2008 und 2011 wird die Strategie aufgebaut und mit deren Umsetzung begonnen. Das System der flankierenden Massnahmen wird frühestens ab 2012 über die nötigen Aufsichtsinstrumente verfügen. Gegenwärtig kann die Steuerung noch nicht sicherstellen, dass die flankierenden Massnahmen korrekt umgesetzt werden.

Auf operativer Ebene steuert das SECO die Umsetzung im Wesentlichen über Leistungsvereinbarungen.38 Die mit den Kantonen abgeschlossenen Vereinbarungen werden allgemein gut eingehalten. Es stellen sich jedoch zwei Probleme. Erstens: Die Festlegung der Anzahl Kontrollen hängt teilweise vom Willen der Kantone ab.

So wurde die Aufteilung der vom Bundesrat beschlossenen zusätzlichen Kontrollen (von 23 000 auf 27 000)
nicht nach objektiven Kriterien vorgenommen, sondern war vielmehr abhängig davon, ob ein Kanton zusätzliche Kontrollen durchführen will oder nicht39. Zweitens: Es lässt sich nicht überprüfen, ob die Umsetzungspraktiken der Kantone angemessen sind oder nicht (Kontrollverfahren, Qualität und effektive Durchführung der Untersuchung bei Verdacht auf missbräuchliche Lohnunterbietung, tatsächliche Umsetzung der flankierenden Massnahmen).

Auch bei den Leistungsvereinbarungen mit den paritätischen Kommissionen ist die Situation in Bezug auf die Festlegung der Anzahl Kontrollen nicht optimal: Diese wird nämlich auf Grundlage der vergangenen Tätigkeit der Kommission festgelegt und hängt somit von deren Willen ab. Angesichts der niedrigen Anzahl weitergeleiteter Verstossmeldungen, der fehlenden Informationen zur Aufteilung und Finanzierung der Kontrollen innerhalb der regionalen Sektionen der paritätischen Kommissionen ist die Einhaltung der Leistungsvereinbarungen nicht gewährleistet.

37 38

39

Art. 14 EntsG.

Es gilt darauf hinzuweisen, dass das SECO im Rahmen der Umsetzung seiner Strategie plant, die weiteren Steuerungsinstrumente (Ausbildung, Austausch mit den paritätischen und tripartiten Kommissionen, Weisungen) in vermehrtem Masse einzusetzen. Siehe erläuternder Bericht der PVK, 2011, Kapitel 6.3.3.

Erläuternder Bericht der PVK, 2011, Kapitel 6.3.1.2.

1244

In Bereichen, die einem kantonalen GAV unterstehen, ist die Steuerung der flankierenden Massnahmen aufgrund des äusserst uneinheitlichen Vorgehens der dafür zuständigen Kantone problematisch.

Liegt eine Lohnunterbietung vor? Sind die Instrumente wirksam? Werden sie überhaupt angewendet? Diese zentralen Fragen bleiben in den verschiedenen Berichten der Bundesverwaltung zur Umsetzung der flankierenden Massnahmen offen. Die von den Vollzugsorganen gelieferten Daten, auf die sich der Bundesrat und das SECO stützen, sind unvollständig, von mittelmässiger Qualität und nur schwer miteinander vergleichbar. Es kann daher nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob sie tatsächlich die Realität widerspiegeln. Aussagen zur Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen oder über das Vorhandensein von Lohnunterbietungen auf Grundlage der bisher bekannten Daten40 lassen sich nicht rechtfertigen, denn sie bilden die Umsetzung verzerrt ab und verleiten zu unfundierten Schlussfolgerungen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass sich das SECO seit 2010 vorsichtiger zeigt, was Feststellungen zur Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen angeht41.

40

41

­ Im Jahr 2007 kam der Bundesrat zum Schluss, dass der freie Personenverkehr bisher zu keinem Lohndruck geführt habe und dass die flankierenden Massnahmen wirksam seien (Bundesrat, Herausforderungen 2007­2011, S. 57).

­ Ebenfalls im Jahr 2007 teilte das SECO mit: «Die Zuwanderung erfolgt kontrolliert, gemäss den Bedürfnissen der Schweizer Wirtschaft und ohne negative Auswirkungen auf Erwerbstätigkeit und Lohnentwicklung. So lautet das Fazit des dritten Observatoriumsberichts über die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Schweizer Arbeitsmarkt.» SECO, Medienmitteilung vom 31.05.2007.

­ Im Jahr 2009 schrieb das SECO: «Aufgrund der vorliegenden Resultate können die FlaM insgesamt als wirksam bezeichnet werden: die Umsetzung durch die Kantone/TPK und die PK wird laufend optimiert, die Kontrollen finden flächendeckend statt. Die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen wird mit den entsprechenden Instrumenten durchgesetzt.» SECO, Medienmitteilung vom 23.04.2009.

­ In einer weiteren Mitteilung schrieb das SECO im Jahr 2009: «Der erleichterte Zugang zu Fachkräften aus dem EU-Raum begünstigte das hohe Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum der letzten Jahre. Die Konkurrenz für die inländischen Arbeitnehmenden dürfte durch die Öffnung des Arbeitsmarktes tendenziell gestiegen sein.

Eine Verdrängung ansässiger Erwerbspersonen oder eine wegen der Personenfreizügigkeit höhere Arbeitslosigkeit waren jedoch nicht feststellbar. Eine negative Entwicklung bei tiefen Löhnen konnte durch die Flankierenden Massnahmen weitgehend verhindert werden.» Mehr Zuwanderung und Wachstum dank Personenfreizügigkeit, SECO, Medienmitteilung vom 02.07.2009.

­ In seiner Antwort vom 24. Februar 2010 auf die Interpellation 09.4086 von Hans Grunder (Personenfreizügigkeit. Verschärfung der flankierenden Massnahmen) schreibt der Bundesrat: «Die jährlichen Berichte des Seco über die Umsetzung der FlaM (FlaM-Berichte) und die Observatoriumsberichte über die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit zeigen auf, ob die Massnahmen greifen und die Löhne in der Schweiz eingehalten werden.» ­ Im Jahr 2010 schrieb das SECO in einer Medienmittelung mit dem Titel Personenfreizügigkeit bewährt sich auch in der Wirtschaftskrise in Zusammenhang mit dem 6. Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU: «Die Kontrolltätigkeit
im Rahmen der flankierenden Massnahmen (FlaM) wurde 2009 nochmals ausgebaut. Damit konnte einem Druck auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen wirksam begegnet werden.» SECO, Medienmitteilung vom 27.05.2010.

In seinem im Mai 2010 publizierten Bericht bringt das SECO zahlreiche Vorbehalte bezüglich der verwendeten Daten an und übt sich bei entsprechenden Schlussfolgerungen in Zurückhaltung (SECO, Bericht über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zur Freizügigkeit im Personenverkehr, 1. Januar­31. Dezember 2009, Mai 2010).

1245

Tabelle 4 Beurteilung der Steuerung Kriterium

Beurteilung

Angemessenheit der Zielformulierung

Die Umsetzung der flankierenden Massnahmen konzentriert sich auf einen sehr engen Bereich: Obwohl die entsandten Arbeitnehmer nur einen kleinen Teil der im Rahmen der Personenfreizügigkeit beschäftigten Personen ausmachen, erfolgt die Hälfte aller Kontrollen in Entsendebetrieben.

Die Branchen mit allgemeinverbindlich erklärten GAV sind am besten geschützt. Obwohl ihnen nur 13 % der erwerbstätigen Bevölkerung angehören, erfolgt die Hälfte der Kontrollen in diesen Branchen.

Angemessenheit der Steuerungsstrategie

Es gibt erst seit 2010 eine Steuerungsstrategie. Diese ist zwar gut und umfassend, wird aber noch nicht angewendet.

Aufsicht der Umsetzung

Die Steuerungsinstrumente wurden optimiert.

Bei der Festsetzung der Zielvorgaben orientiert man sich noch zu sehr am Willen der Vollzugsorgane und zu wenig an objektiven Indikatoren.

Die Umsetzungspraktiken der Vollzugsorgane waren bisher sehr intransparent.

Die Steuerung gewährleistet nicht, dass die flankierenden Massnahmen korrekt umgesetzt werden.

3.4

Konzeption der flankierenden Massnahmen

Sind die Organisation und die Instrumente zur Problemlösung geeignet, d.h. können mit ihnen Lohnunterbietungen verhindert werden?

Auf diese Frage muss differenziert geantwortet werden. Die praktische Analyse zeigt, dass das Konzept nur teilweise dazu geeignet ist, um die Ziele bezüglich Lohn- und Sozialdumping zu erreichen.

Aufgrund der Tatsache, dass der Begriff der wiederholten missbräuchlichen Lohnunterbietung nicht definiert wurde, ist die Anwendung der vorgesehenen Instrumente schwierig und zufallsgesteuert. Ausserdem wird das Potenzial des Instruments der Normalarbeitsverträge erheblich dadurch geschmälert, dass es keine Sanktionen gibt, wenn die entsprechenden Mindestlöhne nicht eingehalten werden.

Der Gesetzgeber hat den paritätischen Kommissionen eine wichtige Rolle übertragen und den kantonalen Behörden bei der Umsetzung bewusst einen grossen Handlungsspielraum gelassen, um die spezifischen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes und das entsprechende Know-how mit einzubeziehen. Allerdings kann durch diesen Handlungs- und Interpretationsspielraum keine kohärente und effiziente Umsetzung der flankierenden Massnahmen garantiert werden.

Die Steuerung wird bei der Umsetzung durch den Föderalismus sowie durch die unterschiedliche und komplexe Organisation der paritätischen Kommissionen stark erschwert. Die Aufsicht der Umsetzung wird ausserdem dadurch verkompliziert ­

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wenn nicht sogar verunmöglicht ­, dass die nationalen paritätischen Kommissionen die Umsetzung der Leistungsvereinbarungen an ihre regionalen Sektionen weiterdelegieren. Im Weiteren gilt es zu beachten, dass die Bereiche mit allgemeinverbindlich erklärten GAV auf Kantonsebene zu grossen Teilen der Aufsicht des Bundes entzogen sind.

Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn der Bundesrat oder das Parlament klare Vorgaben bezüglich der Aufteilung der Kontrollen machen würde.

Die Aufteilung der Kontrollen zwischen tripartiten und paritätischen Kommissionen bzw. zwischen Entsendebetrieben und Schweizer Arbeitgebern hat nicht nur eine politische Dimension, sondern ist auch für die Steuerung der flankierenden Massnahmen sehr wichtig.

Tabelle 5 Beurteilung des Konzepts Kriterium

Beurteilung

Angemessenheit der Instrumente

Da der Begriff der wiederholten missbräuchlichen Lohnunterbietung in den gesetzlichen Grundlagen nicht definiert ist, werden die vorgesehenen Instrumente gar nicht oder nur sehr selten eingesetzt.

Ausserdem wird das Potenzial des Instruments der Normalarbeitsverträge dadurch geschmälert, dass im Falle der Nichteinhaltung keine Sanktionen vorgesehen sind.

Angemessenheit der Organisation

Der Handlungsspielraum der Vollzugsorgane und die Art der Organisation erschweren die Steuerung des Systems der flankierenden Massnahmen erheblich.

4

Schlussfolgerungen

Die Personenfreizügigkeit hat gewichtige Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft. Dies zeigt sich insbesondere im Anstieg des Konsums und der Wohnungsnachfrage, aber auch in der Zunahme des Angebots an Arbeitskräften, sowohl ergänzend als auch konkurrierend zu den einheimischen Arbeitskräften. In der vorliegenden Evaluation werden nicht die allgemeinen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Schweizer Wirtschaft analysiert, sondern nur die Auswirkungen auf die Löhne, um so festzustellen, ob diese während der Öffnung des Schweizer Arbeitsmarkts unter Druck geraten sind.

Im Rahmen dieser Evaluation wurden einige komplexe Probleme bezüglich der Aufsicht der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit festgestellt. Der vom Gesetzgeber gewünschte Handlungsspielraum der Vollzugsorgane erschwert die Steuerung und die kohärente Umsetzung der flankierenden Massnahmen. Die paritätischen, tripartiten und kantonalen Vollzugsorgane setzen die vorgesehenen Massnahmen unterschiedlich kohärent und konform um.

1247

4.1

Offensichtlicher Lohndruck, aber nicht feststellbare Lohnunterbietung

Die Evaluation zeigt auf, dass das durch die Personenfreizügigkeit erhöhte Angebot an Arbeitskräften tatsächlich Druck auf die Löhne ausgeübt hat, allerdings in unterschiedlichem Masse je nach Branche, Region und Qualifikation der Arbeitnehmer.

Trotz erwiesenem Lohndruck lässt sich sieben Jahre nach Einführung der flankierenden Massnahmen nicht feststellen, ob es zu missbräuchlichen Lohnunterbietungen kommt. Der Gesetzgeber hat nicht klar definiert, was er unter wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung versteht, weshalb die Feststellung von der kantonal unterschiedlichen Praxis abhängt. Die Kriterien zur Definition missbräuchlicher Lohnunterbietung werden seitens der Kantone nicht immer festgelegt, kommuniziert und angewendet.

Dennoch hat sich anlässlich der Datenerhebungen der PVK gezeigt, dass die Löhne der entsandten Arbeitnehmer manchmal deutlich unter den Löhnen der niedergelassenen Arbeitnehmer liegen und in einigen Fällen nur einen Drittel davon betragen.

Diese Praktiken stellen Verstösse gegen das EntsG dar und sind klare Hinweise für eine Lohnunterbietung. Sie werden jedoch aufgrund der lückenhaften oder gar falschen Anwendung der flankierenden Massnahmen (siehe Kap. 4.2) sehr oft nicht als solche registriert.

4.2

Unvollständige und uneinheitliche Umsetzung der flankierenden Massnahmen

Die flankierenden Massnahmen werden je nach Vollzugsorgan unterschiedlich umgesetzt. Man scheint sich auf die Kontrolle der entsandten Arbeitnehmer und Schweizer Arbeitgeber sowie die Anwendung der GAV-Bestimmungen zu beschränken, wohingegen die im EntsG vorgesehenen Sanktionen, erleichterte Allgemeinverbindlicherklärungen von GAV oder das Erlassen von NAV kaum umgesetzt werden.

In den meisten Branchen mit allgemeinverbindlich erklärtem GAV auf nationaler Ebene folgen den Kontrollen keine Sanktionen gemäss EntsG, weil die Fälle nicht den zuständigen kantonalen Behörden weitergeleitet werden. In den meisten Branchen mit allgemeinverbindlich erklärtem GAV auf kantonaler Ebene kann anhand der Daten nicht eruiert werden, ob die flankierenden Massnahmen (insbesondere die Kontrollen) korrekt und effektiv umgesetzt werden. Was den Zuständigkeitsbereich der tripartiten Kommissionen angeht, so erlauben es die kantonalen Kontrollverfahren und die angewandten Methoden in den meisten Fällen nicht, wiederholte missbräuchliche Lohnunterbietungen klar aufzuzeigen. Dies führt dazu, dass die für solche Fälle vorgesehenen Instrumente (erleichterte Allgemeinverbindlicherklärungen von GAV oder Erlassen von NAV mit zwingenden Mindestlöhnen) nicht eingesetzt werden können.

Die uneinheitliche Umsetzung der flankierenden Massnahmen scheint in erster Linie von verschiedenartigen politischen Sensibilitäten herzurühren und weniger von Faktoren abhängig zu sein, die mit der Wirtschaft oder der Arbeitsmigration in Zusammenhang stehen. Dass die Kantone die vorgesehenen Instrumente nur selten eingesetzt haben, heisst nicht, dass es keine Lohnunterbietungen gibt.

1248

4.3

Späte, komplexe und zu wenig zielgerichtete Steuerung

Die politische Steuerung der flankierenden Massnahmen richtet sich nach dem Stand der Verhandlungen mit der EU. Dies zeigt sich darin, dass der Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen erstmals thematisiert wurde, als es um die Ausweitung des Freizügigkeitsabkommens auf die neuen EU-Staaten ging.

Die mangelnde Unterstützung von Seiten des Bundes in den ersten Jahren nach Einführung der flankierenden Massnahmen begünstigte die unterschiedliche Umsetzung durch die Kantone und paritätischen Kommissionen. Die personellen Ressourcen des SECO für die Umsetzung dieses sehr komplexen Systems entsprachen gerade mal einer Stelle. Dies führte zu einer «unilateralen» Umsetzung durch die Kantone und paritätischen Kommissionen.

Das SECO begann diesen Rückstand ab 2008 schrittweise aufzuholen und die Vollzugsprobleme vermehrt zur Kenntnis zu nehmen. Es entwickelte eine gute Strategie, um den gesetzlichen Zielvorgaben gerecht zu werden. Dank des grossen Engagements der Direktion für Arbeit und des zuständigen Leistungsbereichs des SECO wird das System der flankierenden Massnahmen künftig (frühestens ab 2012) über die nötigen Aufsichtsinstrumente verfügen.

Die meisten Anwendungsprobleme waren jedoch bereits länger bekannt und die unangebrachten Praktiken einiger Kantone und paritätischen Kommissionen hätten schon viel früher dazu führen sollen, dass der Bundesrat aktiv wird. Die Steuerung kann sich bisher nicht auf verlässliche Daten stützen und sich beispielsweise kein Bild davon machen, wie die paritätischen Kommissionen die Kontrollen aufteilen und finanzieren.

Das System der flankierenden Massnahmen basiert auf einem zentralen Element der Schweizer Wirtschaft: den Beziehungen zwischen den Sozialpartnern. Die vorherrschende Stellung der paritätischen Kommissionen bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen lässt sich damit rechtfertigen, dass die von ihnen abgedeckten Branchen besonders exponiert sind, was die Qualifikation der Arbeitskräfte, das Lohnniveau und den Konkurrenzdruck angeht. Obwohl in diesen Branchen fast die Hälfte aller Kontrollen stattfindet und die Hälfte der vom Bund übernommenen Gesamtkosten für flankierende Massnahmen anfallen, machen sie rein quantitativ nur gerade 13 % der Arbeitnehmenden aus. Bereiche, in denen die Sozialpartner wenig aktiv sind, werden
durch die flankierenden Massnahmen kaum abgedeckt.

Der Bundesrat hat seinen Handlungsspielraum nicht ausgenützt, weder um den Begriff der Lohnunterbietung und die entsprechenden Feststellungsmethoden genauer zu definieren noch um die Zielrichtung der flankierenden Massnahmen zu präzisieren. Es stellt sich daher die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn der Bundesrat oder das Parlament klare Vorgaben bezüglich der Kontrollen machen würden. Die Aufteilung der Kontrollen zwischen tripartiten und paritätischen Kommissionen bzw. zwischen Entsendebetrieben und Schweizer Arbeitgebern hat nicht nur eine politische Dimension, sondern ist auch für die Steuerung der flankierenden Massnahmen sehr wichtig.

1249

Ausserdem hängt die Weiterentwicklung der flankierenden Massnahmen von den politischen Diskussionen rund um die Öffnung der Märkte und die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf neue EU-Mitgliedländer ab. Die Weiterentwicklung der flankierenden Massnahmen erfolgt allerdings ohne Kenntnis ihrer tatsächlichen Wirksamkeit, da verlässliche Datengrundlagen fehlen.

4.4

Ungenügende Kommunikation

Der Bund verfügt über keinerlei Informationen, die es ihm erlauben würden, die Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen oder das (Nicht-)Vorhandensein von Lohnunterbietungen festzustellen. Die aktuellen Zahlen zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit und insbesondere zur Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen sind aus mehreren Gründen nicht aussagekräftig.

Jegliche Schlussfolgerung auf Basis von nationalen Durchschnittszahlen macht keinen Sinn, weil sich bei der Personenfreizügigkeit je nach Region und Branche ein sehr unterschiedliches Bild zeigt. Die kantonalen Behörden wenden die flankierenden Massnahmen ausserdem sehr uneinheitlich an, was zu falschen Interpretationen des Datenmaterials führen kann. Die Tatsache, dass keine Lohnunterbietungen festgestellt werden, bedeutet nicht, dass es auch tatsächlich keine Lohnunterbietungen gibt.

Das Ziel der flankierenden Massnahmen ist die Bekämpfung der wiederholten missbräuchlichen Lohnunterbietung, der Bund konzentriert sich jedoch fast ausschliesslich auf die Beobachtung der entsandten Arbeitnehmer, also nur auf einen sehr kleinen Teil der Arbeitnehmer, die lohnmässig von der Personenfreizügigkeit betroffen sein können.

Das Hauptaugenmerk der Kommunikation liegt auf den ausgeführten Kontrollen, wobei diese doch nur den Ausgangspunkt der vorgesehenen Massnahmen bilden.

Die Kontrollen werden zwar ausgeführt, doch dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass die flankierenden Massnahmen korrekt umgesetzt werden, insbesondere was die Sanktionen und die Instrumente42 bei Feststellung einer wiederholten missbräuchlichen Lohnunterbietung angeht. Für sämtliche nach den Kontrollen auszuführende Schritte bzw. anzuwendende Instrumente müssen zuerst folgende drei Etappen durchlaufen werden, was im Moment jedoch nicht funktioniert: Auffinden von Verstössen durch die paritätischen und tripartiten Kommissionen, Weiterleitung dieser Verstösse an die kantonalen Behörden und angemessene Bearbeitung der Verstossmeldungen durch die kantonalen Behörden.

42

Es handelt sich um die Instrumente der erleichterten Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und des Erlassens von Normalarbeitsverträgen.

1250

Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner Bélaz, Charles

Präsident, Swissstaffing, Dübendorf

Balthasar, Hugues

Ständiger Sekretär, Commission externe d'évaluation des politiques publiques, Kanton Genf

Berger, Valérie

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen, SECO, Bern

Boillat, Christelle

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen, SECO, Bern

Bolliger, Anton

Leiter Fachbereich Arbeitsmarkt, beco, Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern

Bonvin, Jean-Michel

Mitglied der Commission externe d'évaluation des politiques publiques, Kanton Genf

Briod, Alix

Präsident der Commission de surveillance du Contrôle des chantiers de la construction im Kanton Waadt, Secrétaire patronal de la Fédération vaudoise des entrepreneurs, Commission paritaire vaudoise des travailleurs détachés, Tolochenaz

Daum, Thomas

Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, Zürich, Mitglied der tripartiten Kommission des Bundes

De Cicco, Patrizia

Direktorin der Schweizerischen paritätischen Vollzugskommission Bauhauptgewerbe, Zürich

Devaud, Jean-Michel

Sekretär, Contrôle des chantiers de la construction im Kanton Waadt, Commission paritaire vaudoise des travailleurs détachés, Tolochenaz

Ferrari, Aldo

Präsident der tripartiten Kommission des Kantons Waadt, Mitglied der Geschäftsleitung der Unia, Bern

Frehner, Rolf

Sekretär, Paritätische Berufskommission des Carrosseriegewerbes, Paritätische Landeskommission Schweizerischer Verband Dach und Wand SVDW, Paritätische Landeskommission Elektro- und TelekommunikationsInstallationsbranche, Paritätische Landeskommission Isoliergewerbe, Bern

Gaillard, Serge

Leiter der Direktion für Arbeit, SECO, Bern

Gasser, Peter

Leiter Bereich Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen, SECO, Bern

Gehrig, Bruno

Interne Revision, SECO, Bern

Gerspacher, Rolf

Leiter Ressort Arbeitsmarktaufsicht, SECO, Bern

Hoffman-Meier, Rahel

Direktorin, Zentrale Paritätische Kommission des Malerund Gipsergewerbes, Zürich

1251

Hofstetter, Hans

Leiter der Dienststelle für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Luzern, Mitglied der tripartiten Kommission des Kantons Luzern

Josseron, Pascal

Arbeitsmarktinspektor, Contrôle des chantiers de la construction, Kanton Waadt, Tolochenaz

Kellerhals, Christoph

Ständiger Sekretär, Commission externe d'évaluation des politiques publiques, Kanton Genf (frühere Funktion)

Kindler, Rudolf

Leiter Ressort Gesamtarbeitsverträge, stellvertretender Bereichsleiter Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen, SECO, Bern

Lampart, Daniel

Sekretariatsleiter und Chefökonom, Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Bern, Mitglied der tripartiten Kommission des Bundes

Luginbühl, Martin

Interne Revision, SECO, Bern

Pleuler, Thomas

Leiter Amt für Wirtschaft, Geschäftsführer der tripartiten Kommission des Kantons St. Gallen

Rossetti, Lorenza

Capo Ufficio per la sorveglianza del mercato del lavoro, Mitglied der tripartiten Kommission des Kantons Tessin, Bellinzona, Mitglied der tripartiten Kommission des Bundes

Sansonnens, Daniel

Arbeitsmarktinspektor, Contrôle des chantiers de la construction im Kanton Waadt, Tolochenaz

Scherrer, Ursula

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen, SECO, Bern

Staub, Georg

Direktor, Swissstaffing, Dübendorf

Terrier, Isabelle

Präsidentin, Commission externe d'évaluation des politiques publiques, Genf

Trevisan, Marco

Gewerkschaftssekretär, Unia, Bern

Wegmüller, Claudio

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen, SECO, Bern

Zinniker, Jean-Luc

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen, SECO, Bern

1252

Impressum Durchführung der Evaluation Dr. Grosjean Nicolas, PVK (Projektleitung) Bieri Isabelle, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit) Dannecker Katja, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit) Ledermann Simone, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit) Externer Expertenbericht PD Dr. Fred Henneberger, Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht der Universität St. Gallen (Projektleitung) Prof. Dr. Alexandre Ziegler, Universität Zürich (wissenschaftliche Mitarbeit)

Dank Die PVK bedankt sich bei allen Gesprächspartnern für ihre bereitwillige Teilnahme an den Gesprächen sowie bei allen Personen und Organisationen, die den Fragebogen ausgefüllt haben. Ein Dank geht ebenfalls an das BFS, das SECO, das BFM und an Swisstopo sowie an die Kantone, die uns ihre statistischen Daten zur Verfügung gestellt haben. Abschliessend dankt die PVK der Leitung und den Mitarbeitenden des SECO für die gute Zusammenarbeit und die Bereitstellung aller gewünschten Informationen.

Kontakt Parlamentarische Verwaltungskontrolle Parlamentsdienste CH-3003 Bern Tel. +41 31 323 09 70 Fax +41 31 323 09 71 E-Mail: pvk.cpa@parl.admin.ch www.parlament.ch > Organe und Mitglieder > Kommissionen > Parlamentarische Verwaltungskontrolle

Originalsprache des Berichts: französisch 1253

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