99.056 Sicherheit durch Kooperation Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik der Schweiz (SIPOL B 2000) vom 7. Juni 1999

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Bericht über die Sicherheitspolitik der Schweiz (SIPOL B 2000) mit dem Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 1999

P

97.3350

Schaffung eines zentralen strategischen Nachrichtenorgans des Bundes (S 29.9.97, Frick; N 8.3.99)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

7. Juni 1999

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

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Die Bundespräsidentin: Ruth Dreifuss Der Bundeskanzler: François Couchepin

1999-4629

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Übersicht Die politische und strategische Entwicklung seit der Wende von 1989/90 in Europa, die Beurteilung des neuen Bedrohungsspektrums sowie unsere knapper werdenden Ressourcen erfordern eine Neukonzipierung unserer Sicherheitspolitik.

Die Kernfrage lautet, wie sich die Schweiz gegen Gewalt staats- und existenzgefährdenden Ausmasses im heutigen geostrategischen Umfeld am besten schützen lässt, gegen eine Gewalt, die sich zum Teil in neuen Formen präsentiert und zunehmend grenzübergreifenden Charakter annimmt.

Entsprechend analysiert der vorliegende Bericht ausführlich die aktuellen und mutmasslichen künftigen Gefahren und Risiken; er bewertet auch die Chancen, die sich infolge zahlreicher Anstrengungen der Staatengemeinschaft für die Sicherung unseres Kontinents ergeben; und er zieht nicht zuletzt unsere eigenen Möglichkeiten und Grenzen in Betracht.

Die Gegenüberstellung dieser Erkenntnisse und unserer staatspolitischen Ziele und Interessen führt uns zu einer spezifisch schweizerischen sicherheitspolitischen Strategie, die unter dem Titel «Sicherheit durch Kooperation» zusammengefasst werden kann. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass zur Wahrung unserer Werte und zum Schutz von Land und Volk zweierlei Anstrengungen nötig sind: Einerseits geht es um eine nach wie vor umfassende, gegenüber früher aber flexiblere Kooperation zwischen allen unseren zivilen und militärischen Mitteln, die der sicherheitspolitischen Interessenwahrung dienen, um lagegerechte Massnahmen treffen und Abwehrschwerpunkte bilden zu können. Das Ziel dieser Kooperation besteht darin, ein Optimum möglicher Synergien und allenfalls nötiger Aufwuchskapazitäten zu erreichen, damit eine aufwendige permanente Ausrichtung auf den schlimmsten Fall vermieden werden kann.

Anderseits geht es um die verstärkte Kooperation mit internationalen Sicherheitsorganisationen und befreundeten Staaten, um in sich ergänzender Zusammenarbeit mitzuhelfen, Stabilität und Frieden in einem weiteren Umfeld zu gewährleisten. Wir verstärken damit nicht nur die von uns erwartete Solidarität, sondern investieren auch möglichst präventiv in unsere eigene Sicherheit.

Die in der Sicherheitsdiskussion oft erwähnten beiden weiteren strategischen Optionen, eine möglichst autonome Selbstbehauptung oder der Beitritt zu einer Militärallianz, sind sowohl staats-
wie sicherheitspolitisch unbefriedigend, weil sie gesamthaft betrachtet zu lückenhaft oder heute nicht zwingend sind.

Bei der Umsetzung dieser Kooperationsstrategie geht es weiterhin um die Meisterung der bereits im Bericht 90 identifizierten drei strategischen Aufgaben: Friedensförderung und Krisenbewältigung, Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren sowie Verteidigung, wenn auch in neuer und stärkerer Akzentuierung.

Wir lösen diese Aufgaben unter Beibehaltung bewährter Traditionen, solange diese unseren heutigen und den absehbaren Sicherheitsbedürfnissen dienen, aber mit neuen Konzepten, Strukturen und Elementen, soweit sie sich als nötig erweisen. So

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bleiben wir bei unserer traditionellen Neutralität unter gleichzeitiger voller Nutzung des neutralitätsrechtlichen Spielraums. So wird aber auch unser gesamtes ziviles und militärisches Sicherheitsinstrumentarium einer Überprüfung unterzogen und wo nötig in einem Reformprozess den neuen Bedürfnissen angepasst. Insbesondere bleibt die Armee grundsätzlich beim Milizsystem, erfährt aber teilweise eine sich aus ihrem neuen Auftrag ergebende Professionalisierung. Verbindliche Vorgabe für die Ausrichtung und das Ziel aller dieser Arbeiten ist die hier vorgelegte Konzeption.

Neuerungen sind auch bei der strategischen Führung notwendig. Die Kantone übernehmen namentlich im Bevölkerungsschutz zusätzliche Verantwortung. Der Bundesrat, nach wie vor die oberste sicherheitspolitische Behörde, verschafft sich vorbereitende Unterstützung durch eine permanente Lenkungsgruppe Sicherheit, in der alle strategisch wichtigen Bereiche vertreten sind und namentlich auch die nachrichtendienstliche Koordination sichergestellt wird. Zu den Aufgaben dieser Gruppe gehört nicht zuletzt die periodische Überprüfung dieser Strategie, die neuen Gefahren und anderen sicherheitspolitisch relevanten Entwicklungen Rechnung tragen muss.

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Botschaft 1

Einleitung

Seit dem Ende des Kalten Kriegs haben sich damals bereits erkennbare, aber noch unsichere Entwicklungstendenzen weiter konkretisiert. Bedrohungen, Gefahren und Risiken haben schärfere Konturen erhalten. Neue Chancen zur Förderung von Stabilität, Sicherheit und Frieden haben sich aufgetan. Gesellschaftliche Entwicklungen haben sich akzentuiert. Entsprechend ist der Veränderungs- und Reformdruck in der Sicherheitspolitik gewachsen, vor allem bei der Armee und beim Bevölkerungsschutz. Auch wenn der vorliegende Bericht die Grundlage für Reformprojekte in diesen beiden Bereichen sein soll, heisst dies nicht, dass die Lageanalyse und die Erfassung des Handlungsbedarfs ausschliesslich auf diese beiden Instrumente der Sicherheitspolitik beschränkt würde. Sicherheitspolitik ist eine Querschnittsaufgabe, an der Staat, Wirtschaft und Gesellschaft auf den Ebenen Bund, Kantone und Gemeinde beteiligt sind. Nur eine gesamtheitliche Analyse, die auf einem umfassenden Sicherheitsbegriff basiert, gestattet es, Aufgabe, Stellung und Gewicht der einzelnen sicherheitspolitischen Instrumente und die Wechselbeziehungen zwischen ihnen realitätsgerecht festzulegen.

Mit diesem Vorgehen lässt sich vermeiden, dass der normativen Kraft des Bestehenden und der Ressourcenfrage bei der Bestimmung der Sicherheitspolitik eine ungebührliche präjudizierende Bedeutung zukommt. Nur wichtigste staatspolitische Grundsätze und Interessen der Schweiz sind unverrückbare Vorgaben. Auch wenn damit traditionelle Auffassungen in Frage gestellt werden, muss sich die Sicherheitspolitik an den tatsächlichen Herausforderungen orientieren. Dann wird es auch gelingen, den notwendigen innenpolitischen Konsens zu erzielen.

Die begriffliche Umschreibung der Sicherheitspolitik, wie sie diesem Bericht zu Grunde liegt, entspricht der veränderten Lage. War die Sicherheitspolitik gemäss Bericht 90 «jener Politikbereich, der sich auf die machtpolitisch bedingten Bedrohungen bezieht», so gilt sie im vorliegenden Bericht der Prävention und Bewältigung von Gewalt strategischen Ausmasses, d. h. von Gewalt, die überregionale, nationale oder internationale Auswirkungen hat und damit erhebliche Teile von Staat und Gesellschaft betrifft. Machtpolitische Bedrohungen bleiben selbstverständlich Gegenstand der Sicherheitspolitik. Die neue Umschreibung erlaubt aber auch
den Einbezug zusätzlicher Bedrohungen und Gefahren für unsere Sicherheit, die in der Zwischenzeit an Bedeutung gewonnen und nicht zwingend mit Machtpolitik zu tun haben, etwa organisierte Kriminalität, aber auch natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen. Die Bekämpfung von Gewalt, die nicht strategisches Ausmass erreicht, ist für die öffentliche Sicherheit von grösster Bedeutung. Sie ist Aufgabe kantonaler Sicherheitspolitik. Primär sind die kantonalen Führungsorganisationen und der kantonale Mitteleinsatz auf Gross-Schadensereignisse oder die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Gewalt und Kriminalität ausgerichtet. Die kantonale Sicherheitspolitik ist somit mit der eidgenössischen eng verbunden, aber nicht deckungsgleich.

Einen neuen Akzent setzt der vorliegende Bericht auch mit seinem Leitmotiv «Sicherheit durch Kooperation». Die Lage verlangt sicherheitspolitische Kooperation sowohl im Inland als auch mit ausländischen Staaten und internationalen Organisationen. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen lassen sich nur bewältigen, 7660

wenn alle für den Einsatz im Inland zur Verfügung stehenden Mittel noch flexibler und effizienter eingesetzt werden und wenn die Schweiz beim Einsatz ihrer grenzüberschreitenden Mittel ­ ohne Aufgabe der Neutralität ­ die Chancen internationaler Zusammenarbeit zur Erhöhung ihrer eigenen Sicherheit nutzt.

Eine besondere Herausforderung ist die Ablösung der vom Kalten Krieg geprägten Gesamtverteidigung durch eine umfassende flexible Sicherheitskooperation auf nationaler Ebene. Infolge der veränderten Sicherheitslage besteht erheblicher Spielraum für eine Dezentralisierung von Aufgaben zu Gunsten der Kantone, bei gleichzeitiger Stärkung der Multifunktionalität der sicherheitspolitischen Mittel des Bundes und der entsprechenden Führungsinstrumente.

Der anhaltende Wandel verlangt die regelmässige Überprüfung dieser Konzeption.

Im Kalten Krieg mit seinem festgefügten Spektrum von Bedrohungen, Gefahren und Risiken konnte davon ausgegangen werden, dass ein sicherheitspolitischer Bericht für einen beträchtlichen Zeitraum gültig bleiben würde. Zwischen dem Bericht von 1973 und demjenigen von 1990 genügte der Zwischenbericht von 1979. Seither hat das Tempo des Wandels zugenommen. Die Leitidee unserer Strategie ­ Sicherheit durch Kooperation ­ ist aber ausbaubar und flexibel genug, um der Schweiz auch die Bewältigung rascher und sprunghafter Veränderungen zu erleichtern. Wenn die Schweiz die Chancen der Kooperation nutzt, kann sie den sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft mit Selbstvertrauen entgegentreten.

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Notwendigkeit und Zweck eines neuen Berichts

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Was hat sich seit 1990 verändert?

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Veränderungen im Umfeld

Seit der Mitte dieses Jahrhunderts wurde unser sicherheitspolitisches Umfeld einerseits vom Kalten Krieg geprägt, anderseits aber auch von der zunehmenden Zusammenarbeit früher verfeindeter Staaten, zunächst in Westeuropa. Das Ende des Kalten Krieges weckte umfassende Friedenshoffnungen. Diese haben sich nicht alle erfüllt; dennoch hat sich unsere Sicherheitslage im europäischen Umfeld insgesamt verbessert.

Die konventionelle militärische Bedrohung mit Auswirkungen auf die Schweiz hat sich drastisch verringert. Ehemalige Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts sind der NATO beigetreten, und weitere haben die gleiche Absicht bekundet. Zudem haben sich weitere Länder des OSZE-Raums in die demokratische Wertegemeinschaft und die entsprechenden Organisationen eingefügt, was unser Umfeld weiter stabilisiert.

Die fortschreitende europäische Integration liess die inhaltlich vertiefte und geografisch erweiterte Europäische Union zum bedeutendsten wirtschaftlichen und politischen Akteur auf dem Kontinent werden.

Andere Gefahren und Risiken treten in den Vordergrund. Regionale Konflikte und lokale Bürgerkriege mit Eskalationsgefahr sind aufgeflammt. Die Proliferation von Massenvernichtungsmitteln und Trägersystemen geht weiter. Organisierte Kriminalität und Drogenmafia vergrössern ihren Einfluss. Terrorismus und gewalttätiger Extremismus bleiben eine ständige Bedrohung. Menschenrechtsverletzungen, Wohlstandsgefälle, Ressourcenknappheit und Umweltschädigung erzeugen Migrationsdruck und Flüchtlingsströme. Die Verwundbarkeit der modernen Gesellschaft nimmt

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laufend zu. Diese in ihrer Intensität und Verflechtung neuartigen, in erster Linie nichtmilitärischen Bedrohungen und Gefahren können nur mit nachhaltigen multilateralen Sicherheitsbemühungen erfolgreich bekämpft werden.

Diese Veränderung der Lage widerspiegelt sich auch im Wandel der militärischen Zusammenarbeit in Europa, gerade in der NATO, die sich immer mehr auf die Krisenbewältigung ausserhalb des Bündnisgebiets konzentriert und weniger auf die Verteidigung desselben, obwohl die Verteidigungsfähigkeit aufrechterhalten wird.

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Entwicklung der schweizerischen Sicherheitspolitik

Die Schweiz wird von dieser Entwicklung ebenfalls berührt. Sie teilt die Bedrohungen und Gefahren, aber auch die Chancen zu deren Bewältigung mit ihren Nachbarn und anderen europäischen Staaten. Die Möglichkeiten autonomer Bewahrung der eigenen Sicherheit sind wegen der grenzüberschreitenden Auswirkungen neuer Gefahren und Risiken, aber auch wegen unserer technologischen und finanziellen Grenzen gesunken. Gleichzeitig sind aber die Möglichkeiten kooperativen Sicherheitsgewinns gestiegen. Auch in der Schweiz ist die Überzeugung gewachsen, dass sich unser Land den neuen Herausforderungen gemeinsam mit anderen Ländern stellen muss, um unsere eigene Sicherheit zu erhöhen und gleichzeitig zu Sicherheit und Frieden auf globaler und kontinentaler Ebene beizutragen.

Entsprechend hat der Bundesrat das internationale Engagement und die internationale Kooperation in der Sicherheitspolitik seit dem Ende des Kalten Krieges ausgebaut. Unter den Aufträgen an die Armee dominierte zwar weiterhin die autonom zu erfüllende Aufgabe der Kriegsverhinderung und Verteidigung, was auch im Rahmen der Armeereform 95 mit ihrem Bestandesabbau um rund einen Drittel nicht in Frage gestellt wurde. Eine Anzahl von Einzelschritten zu vermehrter sicherheitspolitischer Kooperation deutete aber bereits eine Gewichtsverlagerung an.

Ab 1990 entsandte die Schweiz UNO-Militärbeobachter («Blaumützen») in den Nahen Osten, in das ehemalige Jugoslawien, nach Georgien und Tadschikistan.

Zivilpolizeibeobachter wurden ab 1993 in Mazedonien, Südafrika, Ruanda, Zaire, Bosnien-Herzegowina und Kroatien eingesetzt. 1992/93 stellte die Schweiz der UNO zum zweiten Mal eine Sanitätseinheit zur Verfügung, nämlich für die Mission der UNO für das Referendum in der Westsahara. Seit 1996 unterstützt sie die OSZE-Mission in Bosnien-Herzegowina mit einer logistischen Einheit, nachdem ihr eine Beteiligung an der NATO-geführten Operation IFOR/SFOR verbaut war, weil sie ihre Friedenstruppen auf Grund des Volksentscheides über die Blauhelme von 1994 nicht bewaffnen konnte. Zudem stellt die Schweiz internationalen Missionen, vor allem der UNO und der OSZE, zivile, teilweise auch über längere Zeitspannen eingesetzte Experten für die Förderung von Frieden und Demokratie zur Verfügung. Diese unterstützen mit klar definierten Mandaten z. B. in OSZE-Langzeitmissionen
die Förderung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in Krisengebieten oder sind als Wahlbeobachter tätig.

Eine weitere, vor allem neutralitätspolitisch bedeutsame Öffnung vollzog der Bundesrat hinsichtlich der Sanktionspraxis. Sie brachte seit dem Golfkrieg das autonome Mittragen der Wirtschaftssanktionen der UNO gegenüber mehreren Staaten (neben Irak namentlich Libyen und Serbien-Montenegro) sowie die Unterstützung der durch ein Mandat des Sicherheitsrates autorisierten militärischen Massnahmen im Rahmen des Bosnien-Konflikts mit der Gewährung von Transitrechten zu Lande 7662

und in der Luft an die NATO. In Übereinstimmung mit den im Bericht 90 formulierten Leitlinien beteiligt sich die Schweiz seit Juli 1998 zudem erstmals an Embargo-Massnahmen, die von der Europäischen Union gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien verhängt worden sind.

Mit der autonomen Umsetzung der vom UNO-Sicherheitsrat verhängten Massnahmen, unterstützt durch eine zunehmende Beteiligung an der Überwachung der Einhaltung der Sanktionen, übernahm die Schweiz faktisch die heute allgemein anerkannte Auffassung, dass auch Nichtmitgliedstaaten der UNO deren Wirtschaftssanktionen zu vollziehen haben und dass das Neutralitätsrecht sie nicht daran hindern muss, an geschlossen befolgten Zwangsmassnahmen der Weltorganisation teilzunehmen. Die Sanktionspolitik der Schweiz ist von ihren eigenen Interessen bestimmt, steht aber in Übereinstimmung mit den Forderungen der UNO-Charta, obwohl keine entsprechende Rechtspflicht besteht.

Ein bedeutender Schritt in Richtung kooperative Sicherheit war die schweizerische Übernahme der OSZE-Präsidentschaft im Jahr 1996. Sie führte nicht nur zu einer starken Zunahme unseres Engagements in der multilateralen Präventivdiplomatie; die Schweiz hat auch Mit- und Führungsverantwortung auf sicherheitspolitischem Gebiet übernommen und dadurch ihr internationales Ansehen und das Vertrauen in ihre Fähigkeit zu konstruktiven Beiträgen an die Aktivitäten internationaler Organisationen gestärkt. Eine ähnliche Entwicklung hatte sich bereits zuvor bei der UNO angebahnt, deren Generalsekretär zweimal Schweizer zu seinen Sondervertretern und damit politischen Leitern von friedenserhaltenden Operationen (Westsahara und Georgien) berufen hatte.

Die Schweiz verstärkte auch ihre Mitwirkung in multilateralen Gremien der Rüstungskontrolle und Abrüstung. Nach dem Erwerb der Vollmitgliedschaft in der Genfer Abrüstungskonferenz 1996 präsidierte sie diese im folgenden Jahr zum ersten Mal. Die Schweiz wirkt in allen multilateralen Exportkontrollvereinbarungen für zivil und militärisch verwendbare Güter mit, namentlich in der Vereinbarung von Wassenaar, dem Raketentechnologie-Kontrollregime, der Australien-Gruppe und der Gruppe der Nuklearlieferländer. Sie engagierte sich stark bei der Aushandlung des Chemiewaffen-Übereinkommens und unterstützt dessen Umsetzung. So stellt sie z. B. eines der sieben
weltweit designierten Vertrauenslabors und beteiligt sich an der Ausbildung der Inspektoren. Weiter bewirbt sie sich um den Sitz einer neuen Organisation zur Überwachung des Biologiewaffen-Übereinkommens in Genf. Ferner wirkte die Schweiz intensiv in den Missionen der UNSCOM zur Abrüstung des Iraks mit.

Ein Markstein in der Entwicklung der schweizerischen Sicherheitspolitik war die Beteiligung an der von der NATO lancierten Partnerschaft für den Frieden (1996) sowie am Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (1997). Die Zielsetzung der Partnerschaft ­ die Stärkung der demokratischen Wertegemeinschaft und der Fähigkeiten der Partner zu friedensunterstützenden Massnahmen ­ entspricht auch den Zielen der schweizerischen Sicherheitspolitik. Die Bilanz der beiden ersten Jahre zeigt, dass die schweizerischen Ausbildungsangebote trotz des gesetzlich bedingten einstweiligen Ausschlusses des Kooperationsbereichs der bewaffneten Friedensunterstützung, auf rege Nachfrage stossen und dass auch die Schweiz aus den Angeboten ihrer PfP-Partner Nutzen zieht. Zudem profitiert sie von der Teilnahme am regelmässigen sicherheitspolitischen Meinungsaustausch auf Ebene der Aussen- und Verteidigungsminister sowie an den Treffen der Generalstabschefs im Rahmen des EuroAtlantischen Partnerschaftsrates.

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In Ergänzung zur Partnerschaft für den Frieden beteiligt sich die Schweiz auch an regionalen Zusammenarbeitsinitiativen (z. B. zu Gunsten des Baltikums und im Rahmen der CENCOOP-Initiative Österreichs für eine zentraleuropäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet friedensunterstützender Operationen, namentlich im Balkan-Raum).

Die Schweiz gründete in Genf zwei Zentren, die ihr international Anerkennung eingebracht haben: das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (1996), das im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden Diplomaten, Offiziere und Beamte ausbildet, sowie das Genfer internationale Zentrum für humanitäre Minenräumung (1997), das durch ein elektronisches Verbindungsnetz für die weltweiten Aktionen der UNO und durch verschiedene Konferenz- und Ausbildungsangebote die humanitäre Minenräumung fördert. Zur Förderung des freien internationalen Informationsflusses über sicherheitspolitische Belange hat die Schweiz das International Relations and Security Network (ISN) auf dem Internet aufgebaut. Auch die Friedensforschung in der Schweiz hat sich in den neunziger Jahren weiterentwickelt und verfügt insbesondere mit der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse der ETH Zürich, dem Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales in Genf sowie der Schweizerischen Friedensstiftung über entsprechende Kapazitäten.

Die wirtschaftliche Landesversorgung baute im Zuge der Globalisierung der Märkte ihre Massnahmen zur Krisenbekämpfung auf internationaler Ebene aus. Eine institutionalisierte Kooperation besteht im Mineralölbereich, für den die Internationale Energieagentur das entsprechende Forum bietet. Diese Organisation will durch eine Verpflichtung ihrer Mitglieder zur Haltung von Mindestreserven, durch differenzierte Krisenversorgungssysteme und durch die Einschränkung des Konsums Versorgungsstörungen gemeinsam bewältigen. Im Rahmen des zivilen Teils der Partnerschaft für den Frieden werden ebenfalls gemeinsame Anstrengungen zur Versorgungssicherung unternommen.

Die internationale Polizei- und Sicherheitszusammenarbeit wurde in den letzten Jahren so weit erweitert und ausgebaut, als es ohne den Beitritt zum Abkommen von Schengen bzw. zur EU möglich war. Erst am Anfang steht die Prüfung, ob im Bereich der inneren Sicherheit die heutige Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen hinsichtlich der aktuellen, vor allem aber der künftigen Probleme noch zweckmässig ist.

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Grundsätzliche Folgerungen

Die Entwicklung seit dem Bericht 90 verlangt eine Überprüfung der schweizerischen Sicherheitskonzeption. Angesichts der Abnahme der konventionellen militärischen Bedrohung und ihrer Bedeutung im Vergleich zu anderen Bedrohungen und Gefahren ist auch der Begriff der Sicherheitspolitik zu modifizieren, damit er den gegenwärtigen Verhältnissen und den möglichen Entwicklungen entspricht. In diesem Bericht wird Sicherheitspolitik als der Bereich jener staatlichen Aktivitäten verstanden, die der Prävention und Abwehr der Androhung und Anwendung von Gewalt strategischen Ausmasses gelten, d. h. von Gewalt, die erhebliche Teile der Bevölkerung und des Landes treffen kann.

Entsprechend ist das sicherheitspolitische Instrumentarium anzupassen. Unter dem Begriff der Gesamtverteidigung wurde es im Kalten Krieg so ausgestattet, dass es umfassend gegen alle möglichen Bedrohungen und Gefahren, bis hin zu einem be7664

waffneten Grosskonflikt in Europa, ausgerichtet war. Die Schwergewichte lagen vor allem bei der Armee und beim Zivilschutz. Das Verschwinden des Bedrohungsprofils des Kalten Krieges und die Herausbildung eines breiteren Spektrums diffuser, grösstenteils nicht-militärischer Gefahren und Risiken verlangen, die Konzeption einer auf den schlimmsten Fall ausgerichteten Verteidigungsstruktur zu modifizieren.

Sie muss von einer neuen, flexibleren Form der Zusammenarbeit abgelöst werden, die rascher und mit geringerem Aufwand wechselnden Herausforderungen begegnen kann, wobei die für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit von Bund und Kantonen bereitzustellenden Mittel ­ namentlich jene der Polizei ­ zu verstärken sind.

Ein drittes Gebiet, das der Überprüfung und Reform bedarf, ist die internationale sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Die bestehenden und voraussehbaren Bedrohungen und Gefahren, aber auch die heute bestehenden Chancen verlangen und ermöglichen gleichzeitig eine Stärkung dieser Kooperation. Nur damit kann die Schweiz sowohl ihre eigenen Sicherheitsinteressen wahren als auch gestaltend auf die europäische sicherheitspolitische Entwicklung Einfluss nehmen. Unser Beitrag zur internationalen Sicherheit ist nicht bloss Ausdruck unserer Solidarität, sondern ein vollwertiger, unseren eigenen Interessen dienender Teil unserer Sicherheitspolitik.

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Risiken und Chancen

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Spektrum der Bedrohungen und Gefahren

Das Spektrum der Bedrohungen und Gefahren ist durch drei Merkmale geprägt: Dynamik, Komplexität und verminderte Bedeutung des geografischen Raums. Diesem Umstand ist bei der Analyse aller Bedrohungen und Gefahren Rechnung zu tragen.

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Abnahme herkömmlicher militärischer Bedrohungsfaktoren

Der Rüstungswettlauf konnte durch verschiedene Rüstungskontrollvereinbarungen (z. B. Atomsperrvertrag, SALT, INF, START, CFE, Konventionen über biologische und chemische Waffen) teilweise unter Kontrolle gebracht werden. Erst das Ende des Kalten Krieges und der Zerfall der Sowjetunion führten aber zu einer nachhaltigen Reduktion der Kapazitäten bei Massenvernichtungswaffen und konventionellen Waffen sowie der Wahrscheinlichkeit ihres Einsatzes. Die Vorwarnzeiten für raumgreifende Operationen mit konventionellen Mitteln sind auf Jahre angestiegen. Dies gilt hingegen nicht für Massenvernichtungswaffen. Bei diesen ist insbesondere die Gefahr in Rechnung zu stellen, dass sie in die Hände nichtstaatlicher Gruppierungen geraten und im Rahmen terroristischer Aktionen ohne jede Vorwarnzeit zum Einsatz gebracht werden könnten.

Insgesamt ist der militärische Sicherheitsgewinn für die Schweiz infolge des Endes des Kalten Krieges beträchtlich. Dies gilt auch dann, wenn berücksichtigt wird, dass nach wie vor starke Streitkräfte unterhalten, ihre Aufwuchsfähigkeiten sichergestellt, Hochleistungswaffen modernisiert sowie neue Kampfmittel erprobt werden. Wohl werden in Europa ­ im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten ­ wieder bewaffnete Konflikte ausgetragen. Ihre direkten Auswirkungen, vor allem jene militärischer Art, sind aber regional begrenzt. Eine geografische Ausweitung, welche die Schweiz er7665

fassen würde, ist nie völlig auszuschliessen. Anders als im Kalten Krieg ist aber die Eskalation hin zu einem militärischen Konflikt zwischen den grossen Staaten wenig wahrscheinlich.

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Zunahme innerstaatlicher Konflikte

Die meisten bewaffneten Konflikte finden heute nicht zwischen Staaten oder Staatengruppen statt, sondern zwischen der staatlichen Macht und Gruppierungen innerhalb des gleichen Staates. Zu den wichtigsten Ursachen solcher Konflikte zählen ethnische Spannungen, Sezessionsbestrebungen, wirtschaftliche Ungleichgewichte, ideologische und religiöse Differenzen, aber auch das politische Machtstreben einzelner Gruppen oder das Bemühen krimineller Verbindungen, die staatliche Autorität zu untergraben. Besonders dort, wo staatliche Strukturen in permanenten Krisen und wirtschaftlichem Elend zerfallen, erhalten oft Gruppen und Organisationen Macht, die sich nicht am Gemeinwohl orientieren, sondern ihre eigenen Interessen verfolgen und dabei Staat und Gesellschaft destabilisieren.

Lokale Streitigkeiten können sich bei ungenügendem Krisenmanagement der internationalen Gemeinschaft zu grenzüberschreitenden, grossflächigen Konflikten mit bewaffneten Auseinandersetzungen, Flüchtlingsströmen, inneren Spannungen in Drittländern und Störungen des Wirtschaftsverkehrs ausweiten. Benachbarte, aber auch geografisch entfernte Staaten wie die Schweiz können so von den Folgen eines inneren Konflikts in einem anderen Staat erfasst werden. Ein Teil der Asylsuchenden, die in der Schweiz Aufnahme gefunden haben, beteiligen sich von hier aus mit logistischer Unterstützung und politischer Agitation weiter am Konflikt in ihrer Heimat. Wenn sich leitende Exponenten von Gruppierungen, die gegen die Staatsmacht in ihrem Herkunftsstaat kämpfen, in der Schweiz aufhalten, können sie politische Spannungen zwischen der Schweiz und diesem Heimatstaat auslösen. Schweizerische oder ausländische Einrichtungen in der Schweiz können zum Ziel gewaltsamer Manifestationen oder gar erpresserischer Pfandnahme werden. Auch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen ausländischen Bevölkerungsgruppen in der Schweiz können nicht ausgeschlossen werden. Der Rechtsstaat, der sich gegen gesetzeswidrige Machenschaften wehrt und die Ausnützung des Asyls für gewaltsame Aktivitäten verhindern will, kann selber zur Zielscheibe von Gewalt werden.

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Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Waffensystemen grosser Reichweite

Die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen in Form eines globalen Atomkrieges ist in den Hintergrund gerückt. Die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen geht jedoch weiter, z. T. auch gefördert durch das Verhalten von Nuklearwaffenstaaten.

Damit steigt das Risiko regionaler nuklearer Auseinandersetzungen. Ausserhalb des Wirkungskreises der Konvention über das Verbot chemischer Waffen sind weiterhin einzelne Chemiewaffenprogramme im Gang. Die militärische Nutzung der Biotechnologie rückt für immer mehr Staaten in den Bereich des Möglichen. Weitreichende ballistische Lenkwaffen gewinnen als Trägermittel für Massenvernichtungswaffen an Bedeutung. Der Technologietransfer aus Staaten mit hochentwickelter Rüstungsindustrie sowie die Zusammenarbeit untereinander erlaubte weiteren Staaten den Aufbau eigener Raketenindustrien.

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Besonders bedrohlich ist die immer weniger auszuschliessende Möglichkeit, dass Massenvernichtungswaffen der staatlichen Kontrolle entgleiten und in die Hände terroristischer Gruppen gelangen könnten.

International umfasst das Spektrum der Antworten auf die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen Abschreckung, Präventivschläge sowie aktive und passive Verteidigungsmassnahmen. Die Schweiz ist autonom nur zu passiven Schutzmassnahmen fähig. Für einen Schutz durch aktive Massnahmen (z. B. Vergeltungsdrohung oder Raketenabwehr) müsste sie wegen technologischer und finanzieller Sachzwänge die internationale Zusammenarbeit suchen bzw. Hilfe in Anspruch nehmen; dies gilt insbesondere auch für die Abwehr der terroristischen Bedrohung mit Massenvernichtungswaffen.

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Einschränkungen des freien Wirtschaftsverkehrs und wirtschaftlicher Druck

Wirtschaftliche Massnahmen, die von einzelnen Ländern oder von ganzen Staatengruppen zur Durchsetzung wirtschaftlicher, politischer oder militärischer Ziele ergriffen werden, gehören seit je zu den gängigen politischen Instrumenten. Deren Spektrum ist sehr breit. Darunter fallen gezielte Import- und Exportverbote, Diskriminierungen bei öffentlichen Beschaffungen oder bei der Visumerteilung, Boykotte einzelner Wirtschaftssektoren oder flächendeckende Handelssanktionen.

In den neunziger Jahren hat der Einsatz wirtschaftlicher Druckmittel zugenommen.

Ergriffen wurden wirtschaftliche Zwangsmassnahmen namentlich von der UNO zur Wiederherstellung des Friedens und zur Durchsetzung des Völkerrechts. Aber auch die EU und die USA haben wiederholt zu solchen Zwangsmassnahmen zur Durchsetzung eigener wirtschaftlicher oder politischer Ziele gegriffen. Schliesslich haben gerade in den Neunzigerjahren auch einzelne Staaten und insbesondere in den USA Gliedstaaten oder Städte versucht, durch wirtschaftlichen Druck partikuläre Interessen durchzusetzen.

Die Wirkung wirtschaftlicher Druckausübung kann für die betroffenen Länder empfindlich sein. Die Schweiz war lange Zeit vor allem durch Drittwirkungen wirtschaftlicher Druckausübung anderer Staaten betroffen. Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg kam es erstmals zu umfassenden politischen Attacken und zu direktem wirtschaftlichem Druck gegen Schweizer Banken und Versicherungen. Mit der Möglichkeit von Pressionen dieser Art gegen die Schweiz muss auch in Zukunft gerechnet werden.

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Wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklungen

Tendenzen, Chancen und Risiken der Weltwirtschaftsentwicklung Ein grundlegender Wandel kennzeichnet das globale Wirtschaftssystem. An die Stelle einzelner Produkte treten vermehrt Gesamtlösungen, die neben Gütern auch Dienstleistungen, Finanzierung, Wartung und Vertrieb umfassen. Die Produktionsfaktoren Kapital, Technologie und teilweise auch Arbeit sind weitgehend mobil geworden. Produktion und Handel orientieren sich kaum noch an staatlichen Grenzen.

Nicht nur die informations- und kommunikationsintensiven Märkte, sondern auch die Märkte schwerer und zeitkritischer Güter sind weitgehend globalisiert. Zusam7667

menarbeitsverträge und strategische Allianzen regeln den grenzüberschreitenden Transfer zwischen spezialisierten Produktionseinheiten. Globale Netzwerke innerhalb oder zwischen verschiedenen Unternehmen verstärken sich durch Fusionen und Allianzen.

Die weltwirtschaftliche Dynamik bringt vielen Menschen Wohlstandsgewinn, birgt jedoch auch Gefahren. Die hohe Kapitalmobilität zeigt ihre Kehrseite in der Unbeständigkeit der Finanzmärkte, deren Folgen in kürzester Zeit ganze Volkswirtschaften und sogar Regionen zu destabilisieren vermögen. Sowohl die Konzentration im internationalen Bankensystem als auch das finanzielle Verbindungsgeflecht erschweren die Kontrolle über die äusserst rasch ablaufenden Transaktionen und die Verbindlichkeiten und bergen in sich den Keim globaler Finanzkrisen. Die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Weltwirtschaft stellt zunehmende Anforderungen an die Staatengemeinschaft. Multilaterale Lösungsansätze zur Gewährleistung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, und damit regionale und globale Zusammenarbeit, werden immer wichtiger.

Viele Länder konnten bisher nicht oder nur ungenügend in die Weltwirtschaft integriert werden. Dazu gehört die Gruppe der ärmeren Entwicklungsländer, in denen ein grosser Teil der Weltbevölkerung lebt. Die osteuropäischen Volkswirtschaften haben zum Teil tief greifende strukturelle Probleme, deren Überwindung noch längere Zeit beanspruchen wird. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Notlagen können in Krisen umschlagen, die bewaffnete Auseinandersetzungen und unfreiwillige Migrationen auslösen. Krisen- und konfliktträchtige Situationen können auch durch zu rasch vollzogene Strukturanpassungen, überhastete Privatisierungen oder einen überbordenden Standortwettbewerb erzeugt werden, wenn dadurch Menschenrechte verletzt, soziale Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigt oder natürliche Ressourcen übernutzt werden.

Wechselwirkung zwischen Sicherheit und sozialem Gefälle Obschon sich in den letzten Jahren die Lebensbedingungen vieler Menschen markant verbessert haben, ist Armut weiterhin stark verbreitet; in den Entwicklungsländern leben viele in absoluter Armut. Ihre Zahl nimmt jedoch auch in Osteuropa in besorgniserregendem Ausmass zu. Dabei sind Frauen in überproportionalem Mass betroffen. Es zeigt sich, dass die Gefahr kriegerischer
Konflikte in Ländern und Regionen besonders gross ist, in denen weite Bevölkerungskreise an den Rand gedrängt sind und zu wenig in Menschen investiert wird, die über schwache politische Institutionen verfügen oder unter fortgeschrittener Umweltzerstörung und Ressourcenknappheit leiden.

Globale und lokale Umweltgefahren Fortschritte bei der Bekämpfung der globalen Umweltgefahren im Rahmen internationaler Abkommen und Zusammenarbeit sind bislang bescheiden. Die Umweltbelastungen nehmen weltweit und auch in Europa weiterhin zu, insbesondere durch vermehrten Verkehr und Energieverbrauch. Umweltkatastrophen globalen Ausmasses drohen zwar kurzfristig nicht, doch wenn sich die klimatischen Veränderungen in voller Stärke auswirken, ist es zu spät, Gegenstrategien zu entwickeln. Lokale Umweltkatastrophen mit regionalen Auswirkungen sind gerade in Osteuropa heute jederzeit möglich. Grundsätzlich zeichnen sich sechs ökologische Bedrohungsfelder ab: Wasserknappheit, Bodenerosion, Waldzerstörung, Klimaveränderung, Anstieg des Meeresspiegels und Umweltverschmutzung durch Giftmüll sowie durch die Freisetzung toxischer und radioaktiver Substanzen.

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In der Schweiz sind die Folgen für die Sicherheit im Spannungsfeld WirtschaftGesellschaft-Umwelt bisher kaum untersucht worden, namentlich wegen der Komplexität des Themas. In seinem Strategiepapier «Nachhaltige Entwicklung in der Schweiz» hat der Bundesrat angekündigt, die Zusammenhänge zwischen Sicherheitspolitik und nachhaltiger Entwicklung vertieft zu untersuchen.

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Sicherheitspolitisch relevante technologische Entwicklungen

Technologische Entwicklungen werden auch in Zukunft einen grossen Einfluss auf die Sicherheit der Schweiz ausüben. Dies nicht nur durch die Entwicklung der Rüstungstechnologie, sondern auch durch die Verwundbarkeiten bzw. Schutzwirkungen, welche die Verbreitung neuer Technologien in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat zur Folge haben kann. Aus der Vielzahl absehbarer technologischer Entwicklungen geben besonders die Informations- und Kommunikationstechnologien Anlass zu Sicherheitsbedenken. Ein zweites Gebiet, das besondere Beachtung verdient, sind die Biowissenschaften.

Die technologische Entwicklung wird einen tiefgreifenden Wandel bei den Streitkräften auslösen und jene Armeen benachteiligen, die mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten können. Insgesamt wird der Faktor Zeit gegenüber den Faktoren Raum und Kräfte an Bedeutung gewinnen. Zu erwarten sind insbesondere verbesserte Aufklärungsfähigkeiten, eine Beschleunigung der Entscheidungsprozesse durch leistungsfähigere Informationssysteme, das Aufkommen von Laser- und Mikrowellenwaffen, eine weitere Verbreitung von «Stealth»(«Tarnkappen»)-Eigenschaften, die Erhöhung der Reichweite von Waffensystemen und grössere Einsatzpräzision. Einsätze werden voraussichtlich zunehmend mit unbemannten Mitteln oder zumindest kleineren Besatzungen erfolgen. Der Trend wird sich verstärken, die direkte Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte auf kurze Entfernung durch die Bekämpfung aus grösserer Distanz zu ersetzen oder aber die Führungsfähigkeit auszuschalten und damit eine frühe Entscheidung zu bewirken.

Die Fortschritte in der Bio- und Gentechnologie beschleunigen auch die Weiterentwicklung und -verbreitung biologischer Kampfstoffe. Gerade in zukünftigen Auseinandersetzungen zwischen hochentwickelten Gesellschaften und Entwicklungsländern könnte B-Waffen eine entscheidende Rolle zukommen. Die Herstellung von BWaffen ist im Vergleich zur Produktion von Kernwaffen oder chemischen Waffen billig und einfach. Praktisch die gesamte dazu notwendige Technologie hat einen Dual-use-Charakter und ist auf dem Markt erhältlich. Auch Krankheitserreger, die in der medizinischen Forschung benötigt werden, sind relativ leicht zu beschaffen.

Derzeit stehen etwa zehn Staaten im Verdacht, ein B-Waffen-Programm zu unterhalten.

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Bedrohung der Informatikund Kommunikationsinfrastruktur

Informations- und Kommunikationstechnologien ziehen in praktisch alle Lebensbereiche ein. Damit wächst die Abhängigkeit aller Nutzer von der ungestörten Funktionsfähigkeit von Informatiksystemen und kritischer Teile der Informatik- und Kommunikationsinfrastruktur, und gleichzeitig erweitern sich die Verwundbarkeiten 7669

gegenüber feindlichen Einwirkungen. Da deren Wirksamkeit weder von der strategischen und wirtschaftlichen Potenz der Akteure, noch von quantitativen und qualitativen Grössenordnungen von Truppenpotentialen oder Waffenarsenalen abhängt, eröffnet sich hier ein kaum abschätzbarer Raum zur Multiplizierung der Akteure und Motive der Einwirkung.

Diese Einwirkung ist für staatliche und nichtstaatliche Akteure, auch mit beschränkten Mitteln, entfernungsunabhängig, teilweise ohne grosse Kostenfolgen, bei kleiner Entdeckungswahrscheinlichkeit und mit geringem Risiko möglich. Über menschliche und technische Fehlmanipulationen hinaus reichen die Einwirkungen von allen Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung, gezielter Manipulation von Daten, über die Sättigung von Systemen, Implementierung von Fehlfunktionen, Daten- und Softwarevernichtung bis zur physischen Zerstörung von Hardware und Infrastruktur. Die Motive sind insbesondere Spionage zur Erringung eines wirtschaftlichen Vorteils, das Herbeiführen von Datenschäden oder Funktionsstörungen zur Erpressung sowie die gezielte Beeinflussung von Entscheidungen in Wirtschaft, Verwaltung und Militär.

Vorbereitungsaktivitäten zu Einwirkungen mittels Informationskriegführung sind in der Regel nicht erkennbar, womit die Vorwarnzeit entfällt und Schutz- bzw. Gegenmassnahmen nicht rechtzeitig ausgelöst werden können. Einem einzelnen Informatiksystem ist es auch kaum möglich, Urheber, Absicht, Beginn, Art, Umfang und Ende der Einwirkung, auch Erfolg oder Misserfolg der Angriffe, rasch zu erfassen bzw. zu identifizieren. Angreifer profitieren heute insbesondere vom Umstand, dass fast alle Unternehmungen und Verwaltungen ihre Datensicherheit allein zu erreichen versuchen (Insellösungen), womit dieselben Angriffsmethoden wiederholt angewendet werden können.

Infolge der europaweit höchsten Informatik- und Vernetzungsdichte und der starken internationalen Verflechtung der Wirtschaft ist die Schweiz extrem abhängig von funktions- und eindringsicheren Datenverbindungen. Solange Abwehrmassnahmen nicht in ausreichendem Masse möglich sind, führen die teilweise komplexen Vernetzungsstrukturen und die als unmittelbare Folge stattfindende Verknüpfung unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche zu einer hohen Verwundbarkeit. Die Bedrohung reicht von massiven Beeinträchtigungen
oder Störungen unserer Wirtschaft bis zur Lähmung unserer politischen und militärischen Führungsfähigkeit.

Vorrangig zu berücksichtigen sind Einwirkungen gegen sensitive Bereiche oder gegen solche, in denen überproportionale Schäden angerichtet werden können. Dazu gehören im Wesentlichen folgende kritische Datenbestände und Netzwerke der nationalen Informatik- und Kommunikationsinfrastruktur: öffentliche Verwaltung aller Ebenen; Industrie, Handel, Banken, Versicherungen, Sozialwerke; Versorgungs- und Verteilsysteme für Elektrizität, Gas, Erdöl, Wasser; Verkehrsleitung und Transportwesen (Strasse, Schiene, Luft, Wasser); Polizei, Sicherheits- und Rettungsdienste, Informations- und Kommunikationsdienste, Medien; militärische Führung. Elektronische Angriffe auf diese vitalen Bereiche der Infrastruktur sind als Bedrohung unserer nationalen Sicherheit zu betrachten.

7670

318

Terrorismus, gewalttätiger Extremismus, Spionage, Kriminalität und organisiertes Verbrechen

Der Wandel unseres sicherheitspolitischen Umfeldes hat auch das Lagebild der inneren Sicherheit verändert. Auch die diesem Bereich zugeordneten Gefahren und Risiken haben vermehrt grenzüberschreitenden Charakter angenommen, wozu die Entwicklung der elektronischen Kommunikation (Internet) beigetragen hat. Instabilitäten und Konflikte in zum Teil weit entfernten Gebieten wirken sich direkt auf die innere Sicherheit der Schweiz aus. Die Abgrenzung zwischen innerer und äusserer Sicherheit wird dadurch schwieriger. Die Bekämpfung von Terrorismus, gewaltbereitem Extremismus und organisierter Kriminalität, wie überhaupt die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit, verlangen nach einer Verstärkung der polizeilichen Mittel und nach einer grundsätzlichen Prüfung neuer Zusammenarbeitsformen zwischen Bund und Kantonen. Zudem werden sie vermehrt zur gemeinsamen Aufgabe der Staatengemeinschaft. Daraus ergibt sich neben der Pflicht zum Selbstschutz eine Mitverantwortung der Schweiz über die Landesgrenzen hinaus und somit die Notwendigkeit zur Kooperation. In Richtung einer «kollektiven inneren Sicherheit» weisen verschiedene internationale Abkommen wie jene von Schengen (Sicherheitsraum ohne Grenzkontrollen) und Dublin (Erstasyl) oder die im Aufbau begriffene Polizeiorganisation Europol in der EU. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass sich wegen der verstärkten Sicherheitszusammenarbeit in der EU Bedrohungen auf die nicht daran teilnehmenden europäischen Staaten, darunter die Schweiz, verlagern.

Eine besondere Bedeutung im Bereich der inneren Sicherheit kommt dem Schutz diplomatischer Vertretungen und internationaler Organisationen zu. Gerade in Bezug auf die Rolle Genfs als Sitz internationaler Organisationen und als wichtiger internationaler Verhandlungsplatz sowie jener Berns als Hauptstadt mit zahlreichen diplomatischen Vertretungen ist dieser Aspekt besonders wichtig.

Terrorismus und gewalttätiger Extremismus Beim Terrorismus sind die staatlich orchestrierten und ideologisch motivierten Formen der Gewaltanwendung eher zurückgegangen. In manchen langjährigen Konfliktgebieten werden vermehrt politische Lösungen angestrebt. Viele Ursachen von Terrorismus, Extremismus und Fanatismus wie soziale Ungerechtigkeiten, Minderheitenprobleme, ökologische Probleme und religiöse Spannungen bestehen aber weiter
oder haben sich sogar verschärft.

Die Schweiz ist zurzeit kein primäres Ziel des internationalen Terrorismus. Sie muss sich aber dagegen wehren, als Stützpunkt für die logistische Versorgung terroristischer Gruppierungen und als Aufenthalts- bzw. Transitland für Terroristen verwendet zu werden. Ein Hauptgrund für ihre diesbezügliche Gefährdung ist neben dem Abseitsstehen von der EU-Sicherheitszusammenarbeit ihre geografische Lage im Schnittpunkt von Verkehr, Kommunikation, Finanzwesen und Welthandel. Stets möglich bleiben Anschläge auf in der Schweiz befindliche ausländische Ziele wie Botschaften oder internationale Organisationen sowie Aktionen von Gruppierungen wie Endzeit-Sekten.

Mit dem Terrorismus verwandt und teilweise schwer davon abgrenzbar ist der gewalttätige Extremismus. Auch dieser ist oft international vernetzt. Die Lage im Bereich Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit wird in der Schweiz primär von den Skinheads und verwandten Gruppierungen geprägt. Während deren Anschläge

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in den letzten Jahren tendenziell zurück gegangen sind, könnten sie bei stark steigenden Zahlen von Asylbewerbern wieder zunehmen. Gewaltbereite Gruppierungen nehmen auch die Globalisierung und ihre Erscheinungsformen zum Anlass für Ausschreitungen. Eine beträchtliche Gefahr bildet in der Schweiz auch der Ausländerextremismus. Streitigkeiten unter verfeindeten Ausländergruppen und Gewaltakte gegen Dritte (namentlich gegen offizielle Repräsentanten und Einrichtungen der Konfliktstaaten) ereignen sich häufig.

Spionage Seit dem Ende des Kalten Kriegs hat sich die Spionage weltweit vermehrt vom militärischen auf den politischen und wirtschaftlichen Bereich verlagert. Neben die staatlichen Nachrichtendienste sind als neue Akteure private Firmen getreten, wobei sich ihnen oft ehemalige Nachrichtendienstspezialisten als Mitarbeiter anbieten.

Durch die Möglichkeiten elektronischer Netzwerke verwischen sich die Grenzen zwischen legaler Nachrichtenbeschaffung und illegaler Wirtschaftsspionage.

In der Schweiz spielen die diversen Formen des politischen Nachrichtendienstes (Ausforschung von in der Schweiz ansässigen Exilgruppen durch ihren Heimatstaat, Beschaffung von Lageanalysen und Planungsunterlagen, aber auch Fahndungslisten) nach wie vor eine beträchtliche Rolle. Die wichtigsten Angriffsziele der Spionage sind derzeit aber Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Technik.

Kriminalität Die Bevölkerung ist von Gewalt und Kriminalität direkt betroffen und deshalb für Fragen der öffentlichen Sicherheit höchst sensibilisiert. Die Zahl der angezeigten Delikte in der Schweiz entwickelte sich in den letzten Jahren statistisch gesehen uneinheitlich: Der Trend, der nach einem Höchststand im Jahr 1991 nach unten zeigte, geht seit 1995 wieder aufwärts, 1998 ging die Gesamtkriminalität aber wieder leicht zurück. Besonders die Zunahmen bei den Gewalt- und Diebstahlsdelikten deuten auf eine wachsende Gewaltbereitschaft hin. Überproportional nahm die Zahl der von Ausländern begangenen Straftaten zu. Die Verschlechterung der Situation betrifft hauptsächlich die Städte und Agglomerationen sowie zunehmend die Gebiete entlang den Hauptverkehrsachsen. Im internationalen Vergleich kann die Sicherheitslage der Schweiz trotz ernst zu nehmender lokaler Störungen namentlich in Ballungsräumen und teils subjektiven Gefühlen von
Unsicherheit in der Bevölkerung insgesamt noch als befriedigend bezeichnet werden. Sie bedarf aber sowohl auf Bundesals auch auf Kantonsebene der steten Aufmerksamkeit und der laufenden Verbesserung der Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität.

Organisiertes Verbrechen Das organisierte Verbrechen hat globale Ausmasse angenommen und könnte sich zu einer der grössten Bedrohungen für Gesellschaft, Staat und Wirtschaft entwickeln.

Seine Einnistung in das normale Geschäftsleben durch Geldwäscherei, Korruption sowie den Aufkauf von Firmen und Immobilien bedroht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität besonders in den jungen Demokratien in Osteuropa. Auch Staaten selbst bzw. ihre Wirtschaftspolitik oder ihr Polizei- und Gerichtswesen sind Infiltrationsziele der organisierten Kriminalität. Schwerpunkte der zum Teil untereinander vernetzten Gruppierungen der organisierten Kriminalität sind Drogen-, Menschen- und Waffenhandel, Korruption, Erpressung sowie die damit verbundene Geldwäscherei. Anlass zur Sorge geben mögliche Querverbindungen zwischen ihnen und terroristischen Gruppierungen.

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Hochentwickelte und international stark vernetzte Volkswirtschaften bieten kriminellen Organisationen viele Möglichkeiten zur Einnistung und zur Reinwaschung von Gewinnen. Die Schweiz gehört zu den gefährdeten Staaten. Das föderalistische System, die zu knappen Polizeimittel und das Abseitsstehen von wichtigen europäischen Institutionen erschweren die Bekämpfung dieser Gefahr.

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Demografische Entwicklungen, Migrationen

Obwohl die Fruchtbarkeitsrate weltweit bereits markant und stärker als erwartet zurückgegangen ist, wächst die Weltbevölkerung noch immer jährlich um rund 100 Millionen Menschen. Im Jahre 2025 werden nach gegenwärtigen Schätzungen etwa 8 Milliarden Menschen die Erde bevölkern, davon 80 Prozent in den Entwicklungsländern. In den südlichen und östlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten sind schon jetzt zu wenig Arbeitsplätze für die stark wachsende Bevölkerung vorhanden, und dieses Problem wird noch zunehmen. Politische, wirtschaftliche und soziale Instabilität in Osteuropa, auf dem Balkan und in verschiedenen Teilen der ehemaligen Sowjetunion hat auch Migration zur Folge und kann im Fall von Bürgerkriegen, Missachtung von Menschenrechten, wirtschaftlicher Notlage und Umweltzerstörung zu Massenfluchtbewegungen führen.

Die Schweiz ist eines der Zielländer der Migration aus Südosteuropa, Nordafrika und Südasien. Die stark wachsende Zahl von Personen, die in der Schweiz Asyl suchen, belastet die Aufnahmestrukturen und Ressourcen und leistet fremdenfeindlichen und rassistischen Tendenzen Vorschub.

Die Wohnbevölkerung mit schweizerischer Staatsbürgerschaft in unserem Land stagniert, und es gibt keine Anzeichen, dass sich dies in absehbarer Zeit verändern wird. Bevölkerungswachstum wird selbst bei einer restriktiven Einwanderungspolitik in Zukunft voraussichtlich nur im ausländischen Bevölkerungsteil zu verzeichnen sein. Die Verteilung der ausländischen Bevölkerung über das Land ist sehr unterschiedlich. Die Aufgabe der Integration dieser Bevölkerungsgruppe wird sich weiter stellen und wahrscheinlich sogar intensivieren. Dies verlangt nach konkreten Anstrengungen, um die Verschärfung von Gefahrenpotentialen, z. B. durch GhettoBildung, zu vermeiden.

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Natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen

Zu den Gefährdungen durch Naturgewalten zählen Erdbeben, Überschwemmungen, Lawinen, Stürme, Kältewellen und anhaltende Trockenheit. Zusätzlich sind radioaktive Verstrahlungen zu berücksichtigen, die etwa durch Störfälle verursacht werden können, Überflutungen infolge von Talsperrenbrüchen sowie Epidemien und Tierseuchen, die das Gesundheitswesen während längerer Zeit überfordern.

Natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen sind sicherheitspolitisch relevant, wenn sie mit den auf die normale Lage ausgelegten Strukturen und Mitteln ­ z. B.

Polizei, Feuerwehr, Sicherheitsdienste der technischen Werke und Betriebe sowie öffentliches Gesundheitswesen ­ nicht bewältigt werden können. Solche Ereignisse sind durch grosse Zerstörungskraft und schwer wiegende Störungen gekennzeichnet.

Es kann Wochen, Monate oder gar Jahre dauern, bis das soziale, wirtschaftliche und

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technische Umfeld wieder in Stand gestellt ist und sich die betroffene Gemeinschaft erholt hat.

Die höhere Nutzungsintensität in den Siedlungsgebieten steigert die Wertdichte, was im Vergleich zu früher zu höheren Schäden führt. Da die moderne Gesellschaft stark von Netzwerken (Energie, Telekommunikation, Logistik) abhängig ist, treten im Ereignisfall zudem immer höhere Folgeschäden auf. Ereignisse mit einem Schadenpotential, welches das Funktionieren grösserer Gemeinschaften gefährden könnte, treten selten oder sehr selten ein. Dennoch müssen solche Ereignisse bei der Katastrophenvorsorge berücksichtigt und die zu ihrer Bewältigung notwendigen Mittel bereitgestellt werden.

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Internationale Sicherheitsstrukturen

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Vereinte Nationen

Die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) wurde u. a. geschaffen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit mittels kollektiver Massnahmen zu gewährleisten und die friedliche Beilegung von Streitigkeiten unter den Staaten zu fördern. Das in der UNO-Charta festgehaltene System der kollektiven Sicherheit macht die UNO zum einzigen legitimierten global tätigen Akteur im Bereich der Sicherheitspolitik, dessen Entscheidungen den Willen der Staatengemeinschaft ausdrücken. Grundsätzlich rechtfertigen nur Beschlüsse des Sicherheitsrates, bzw. von diesem gutgeheissene Entscheide regionaler Sicherheitsorganisationen wie der OSZE, militärische Gewaltanwendung, die über die Selbstverteidigung hinausgeht.

Die zentrale Rolle des Sicherheitsrates und der UNO als Ganzes erfuhr in den Jahren 1989 bis 1996 eine deutliche Aufwertung: Übersicht über die Entwicklung der Massnahmen der UNO unter Kapitel 7 der Charta Art der Massnahmen

1945­1988

Militärische Friedensaktionen (Blauhelm-Operationen mit 13 Zustimmung der Konfliktparteien, Beschränkung des Waffengebrauchs auf den Selbstschutz)

1989­1996

29

Ermächtigung für den Einsatz militärischer Mittel generell

1

8

Wirtschaftssanktionen

2

10

Der Sicherheitsrat interpretiert seit einigen Jahren seinen Aktionsbereich verstärkt im Sinne eines friedenspolitischen «Kontinuums» (d. h. eines ganzen Spektrums friedenspolitischer Massnahmen, die ineinander übergehen und sich ergänzen). Dieses reicht heute von der diplomatischen Prävention über Gute Dienste und Vermittlung bis hin zum Wiederaufbau der zivilen Gesellschaft nach Konflikten, zur Unterstützung der Demokratisierung und zur langfristigen und nachhaltigen Förderung und Erhaltung des Friedens. Die Grundlage dafür ist die 1992 veröffentlichte «Agenda für den Frieden».

Die internationale Vernetzung erhöht die Notwendigkeit der multilateralen Zusammenarbeit. Die in der UNO geleistete Grundlagenarbeit im Sicherheitsbereich, aber 7674

auch in den Bereichen des Humanitären, der Umwelt, der Entwicklung und der Menschenrechte, wird daher immer wichtiger. Zu erwähnen sind an dieser Stelle einerseits die sicherheitspolitisch direkt relevanten Themen wie Terrorismus, organisiertes Verbrechen und Drogenhandel, wo die UNO sich mit der Ausarbeitung globaler Konventionen, dem Informationsaustausch und dem Aufbau von Instrumenten beschäftigt, anderseits aber auch der Migrationsbereich und die Katastrophenhilfe, wo die UNO zusätzliche Frühwarnstrukturen und operationelle Netze geschaffen hat. Den gestiegenen Herausforderungen ist sie mit der Einleitung eines umfassenden Reformprozesses begegnet, der ihre Handlungsfähigkeit verbessern soll.

Mitgliedschaft europäischer und nordamerikanischer Staaten in internationalen Organisationen Albanien Mazedonien Schweiz

Russland Ukraine Moldawien Georgien Armenien Aserbeidschan Belarus Kasachstan Kirgistan Tadschikistan Turkmenistan Usbekistan

Bulgarien* Estland* Lettland* Litauen* Rumänien* Slowakische R.* Slowenien*

· assoziiertes Mitglied WEU

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Island · Norwegen · Polen · Tschech. R. · Türkei · Ungarn ·

Andorra Kroatien Liechtenstein Malta San Marino Zypern + Beobachter WEU

Irland +

USA Kanada

NATO

Finnland + Oesterreich + Schweden +

WEU Bosnien-Herzegowina Bundesrepublik Jugoslawien Monaco Heiliger Stuhl

Belgien Deutschland Frankreich Griechenland Grossbritannien Italien Luxemburg Niederlande Portugal Spanien Dänemark +

EAPC

EU

Europarat

OSZE

* assoziierter Partner WEU

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist die umfassendste regionale Organisation für gemeinsame Sicherheit und politische Konsultationen. Sie vereinigt Nordamerika, Europa und die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken zu einem Raum kooperativer Sicherheit. Die Zusammenarbeit in der OSZE und deren Aktivitäten beruhen auf gemeinsamen Werten, zu denen Menschenrechte und Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören.

Die Organisation hat keine völkerrechtlich verbindliche Rechtsgrundlage. Die von ihr geschaffenen Verpflichtungen sind jedoch politisch verbindlich und setzen Verhaltensstandards.

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Die Schwerpunkte der Tätigkeit der OSZE liegen in der Präventivdiplomatie, Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie in ihrem Beitrag zur Stärkung demokratischer Gesellschaften nach Konflikten. Sie geht von einer umfassenden Sicherheitskonzeption aus, wonach Sicherheit das Resultat von politischen, militärischen, wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren ist, die untereinander verflochten sind.

Die Sicherheit aller Partner soll durch Kooperation gestärkt werden.

Im zivilen Bereich ihrer Tätigkeit stehen die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahlbeobachtung im Vordergrund. Die OSZE hat ihre operationellen Fähigkeiten wesentlich ausgebaut. Sie kann in Krisenoder Spannungsregionen mit Kurz- und Langzeitmissionen tätig werden und damit zur Krisenbewältigung oder zur Normalisierung nach Konflikten beizutragen.

Eckpfeiler des militärischen Bereiches der OSZE sind die vertrauens- und sicherheitsbildenden Massnahmen, die etwa mittels Informationsaustausch, Krisenbewältigungsmechanismen und verschiedenen Verifikationsformen dazu beitragen, Offenheit, Transparenz und Berechenbarkeit bezüglich der Streitkräfte zu fördern, Spannungen abzubauen und dadurch das gegenseitige Vertrauen zu stärken.

Die Schweiz setzt sich insbesondere für eine verbesserte Einhaltung der OSZE-Verpflichtungen ein und unterstützt die weitere Stärkung der Organisation, um die Zusammenarbeit zu verbessern und um neue Risiken und Herausforderungen, namentlich auch im Minderheitenbereich, besser bewältigen zu können.

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Europäische Union und Westeuropäische Union

Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik sowie Westeuropäische Union Mit dem Vertrag von Maastricht (1992) hat sich die Europäische Union (EU) die Grundlagen für eine Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) gegeben.

Auf längere Sicht wird auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik der EU in Betracht gezogen, die operative Verteidigungsstrukturen einschliessen könnte. Dieser Prozess kann zu einer Integration der Westeuropäischen Union (WEU) in die EU führen oder ihren Ersatz durch eine neue Struktur zur Folge haben.

Mit der GASP will die EU längerfristig auch aussenpolitisch jenes Gewicht erhalten, das sie heute bereits auf wirtschaftlichem Gebiet hat. Die Beschlussfassung erfolgt im Rahmen der Zusammenarbeit der gleichberechtigten Regierungen. Die oberste Entscheidungsinstanz ist der Europäische Rat. Bei allen Grundsatzentscheidungen und bei Entscheiden im militärischen oder verteidigungspolitischen Bereich gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Der Amsterdamer Vertrag vom 2. Oktober 1997 stärkt die Handlungsfähigkeit in der Aussen- und Sicherheitspolitik, da neu die Stimmenthaltung einzelner Mitgliedstaaten eine Beschlussfassung nicht mehr grundsätzlich blockieren kann. Ein Mitglied, das sich seiner Stimme enthält und seine Enthaltung förmlich begründet, ist dann nicht verpflichtet, die betreffende Entscheidung durchzuführen («konstruktive Enthaltung»). Dieser Mechanismus erleichtert die Teilnahme an der GASP insbesondere für neutrale Staaten. Zudem bleibt das Vetorecht bei Geltendmachung eines wichtigen nationalen Interesses erhalten.

Aussen- und Sicherheitspolitik waren bisher nationale Domänen der Mitgliedstaaten; der Übergang zu einer gemeinsamen Politik ist ein langfristiger Prozess. Auf Grund der dynamischen Entwicklung der EU ist aber mit einer schrittweisen Annäherung an diese Ziele in den nächsten Jahren zu rechnen. Angesichts der sicher7676

heitspolitischen Herausforderungen in Europa (Bosnien, Kosovo) wird das Drängen, namentlich der grossen Mitgliedstaaten, nach einer einsatzfähigen Verteidigungsstruktur und der Kompetenz zu Einsätzen im Krisenmanagement stärker. Gleichzeitig pochen die neutralen EU-Mitglieder und Dänemark auf den Erhalt ihrer Mitentscheidungsrechte in der GASP. Die Auseinandersetzung über diese zwei Grundströmungen wird die Entwicklung der GASP prägen.

Die WEU bildet heute gleichzeitig den bewaffneten Arm der EU und den europäischen Pfeiler der NATO, ohne jedoch über eigene operative Strukturen zu verfügen.

Sie kann aber für eigene Operationen im Rahmen von Combined Joint Task Forces mit Zustimmung der NATO auf Mittel der letzteren zurückgreifen. Mitglieder der WEU sind zehn EU-Staaten, die gleichzeitig NATO-Mitglieder sind (Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien). Die übrigen europäischen NATO-Mitglieder (Island, Norwegen, Polen, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn) sind assoziierte Mitglieder. Die EU-Beitrittskandidaten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakische Republik und Slowenien sind assoziierte Partner. Die neutralen EU-Staaten und EU-Staaten, die keine Vollmitgliedschaft in der WEU wollen (Dänemark, Finnland, Irland, Österreich und Schweden) haben einen Beobachterstatus.

Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit Ausgehend von einem Informations- und Erfahrungsaustausch zu Themen wie Terrorismus und Drogenbekämpfung wurde die Zusammenarbeit der EUMitgliedstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres Schritt für Schritt intensiviert.

So haben die im sogenannten Schengener System, das bisher kein Instrument der EU war, zusammengeschlossenen Staaten den freien Personenverkehr ohne Grenzkontrollen verwirklicht. Sie vereinbarten aber gleichzeitig Massnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit, um den Wegfall der Personenkontrolle an der Grenze zu kompensieren. Am Schengener System sind alle EU-Staaten, mit Ausnahme von Grossbritannien und Irland, sowie die EFTA- und EWR-Staaten Norwegen und Island beteiligt. Für Griechenland gilt das Schengener Abkommen gegenwärtig nur teilweise.

Kernpunkte des Schengener Systems bilden gemeinsame Grundsätze für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern aus Drittstaaten,
eine einheitliche Visumpolitik und -praxis, vereinheitlichte Personenkontrollen an den Aussengrenzen, die Regelung der Zuständigkeit für die Behandlung von Asylgesuchen, gemeinsame Grundsätze für die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit sowie die Errichtung des Schengener Informationssystems. Mit letzterem wird sichergestellt, dass alle Schengener Staaten auf den Datenbestand Zugriff haben, der für die Erteilung von Einreise- oder Aufenthaltsbewilligungen von Bedeutung ist.

Der Amsterdamer Vertrag sieht als wichtigstes Ziel die Schaffung eines Raums vor, in dem Personen, Waren und Dienstleistungen frei zirkulieren können und allen Bürgern ein hohes Mass an Sicherheit geboten wird. Der gesamte Schengener Besitzstand wird in den Rahmen der EU einbezogen. Das bedeutet, dass die Zusammenarbeit der dreizehn Staaten, welche die Schengener Abkommen unterzeichnet haben, seit dem 1. Mai 1999, dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages, innerhalb des institutionellen und rechtlichen Rahmens der EU erfolgt.

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NATO, Partnerschaft für den Frieden und Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat

Die NATO ist die wirksamste Organisation kollektiver Verteidigung Sie hat während eines halben Jahrhunderts alle politisch-militärischen Wechselfälle überdauert, von Situationen akuter politischer Konfrontation bis zum Zerfall des Warschauer Pakts und der Sowjetunion, ihren Gegnern während des Kalten Krieges. Seit 1990 zog sie Konsequenzen aus der veränderten Konstellation von Bedrohungen und Gefahren, was sich im Wandel ihrer Funktionen niederschlägt: Sie behält ihre ursprüngliche Kernaufgabe (gemäss Artikel 5 des Washingtoner Vertrages), ihre Mitgliedstaaten gegen militärische Angriffe zu verteidigen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit solcher Aggression stark gesunken ist. Seit einigen Jahren hat sie zusätzlich die Aufgabe übernommen, ausserhalb des Territoriums ihrer Mitgliedstaaten mit militärischen Mitteln den Frieden zu erhalten oder zu erzwingen. Solche Einsätze fanden bis zum Frühjahr 1999 (Kosovo-Konflikt) nur unter einem Mandat des UNO-Sicherheitsrates statt. (Die NATO hat aber auch ihre Bereitschaft bekundet, Operationen unter OSZE-Mandat zu unternehmen.) Die Debatte darüber, ob eine ausreichende völkerrechtliche Legitimation auch ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates möglich ist (z. B. bei Genozid), ist in der Staatengemeinschaft in vollem Gang.

Die Absicht zahlreicher mittel- und osteuropäischer Staaten, der NATO beizutreten, zeigt, dass der Allianz auch in Zukunft eine wesentliche Rolle zugemessen wird. Es liegt im Interesse von Stabilität und Frieden ganz Europas, dass die Erweiterung der NATO, wie auch jene der EU, keine neuen Trennlinien auf einem Kontinent schafft, der den Eisernen Vorhang erst vor einem Jahrzehnt beseitigt hat. Der Abschluss der Grundlagenakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation sowie die Unterzeichnung einer Charta über eine Partnerschaft zwischen der NATO und Ukraine sind besonders zu begrüssen, auch wenn diese Beziehungen immer wieder politischen Belastungsproben ausgesetzt sein werden.

Combined Joint Task Forces (CJTF) ­ massgeschneiderte, multinationale und aus verschiedenen Teilstreitkräften zusammengesetzte Einsatzverbände ­ bilden wichtige Pfeiler der neuen NATO-Kommandostruktur. Sie können in einem breiten Spektrum zum Tragen kommen. Die CJTF bieten auch Staaten, die nicht der NATO
angehören, sich aber an der Partnerschaft für den Frieden beteiligen, die Möglichkeit, an Friedensoperationen teilzunehmen, die von der NATO geführt werden.

Die Aktivitäten der NATO umfassen zunehmend auch verschiedene zivile Bereiche.

Sie ist die wichtigste politisch-militärische Organisation, die das sicherheitspolitische Engagement der USA und Kanadas in Europa sicherstellt. Dazu trägt auch die Nordatlantische Versammlung für Parlamentarier bei.

Die ständige Verteidigungsbereitschaft der NATO während des Kalten Krieges kam auch der Schweiz zugute. Die geografischen Gegebenheiten und der Umstand, dass unsere Werte mit jenen der meisten Allianzmitglieder übereinstimmen, führten ohne unser Zutun dazu, dass die NATO auch unsere Sicherheit förderte. Aber auch in Abwesenheit einer akuten militärischen Bedrohung trägt der Einsatz der NATO in der Friedensförderung insgesamt zur europäischen Sicherheit bei.

Mit der Partnerschaft für den Frieden (PfP), die 1994 lanciert wurde, sowie mit dem 1997 gegründeten Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPC) hat die NATO

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Strukturen und Foren geschaffen, um die politische und militärische Kooperation in ganz Europa auszubauen und die Stabilität zu erhöhen.

Die PfP dient dazu, die Fähigkeit der Streitkräfte der an der Partnerschaft beteiligten Staaten zur Teilnahme an humanitären und friedensunterstützenden Aktionen sowie Katastrophenhilfeinsätzen zu erhöhen ­ ohne allerdings den einzelnen Staaten das Recht zu nehmen, über die Teilnahme an einer konkreten Aktion souverän zu entscheiden. Die PfP trägt damit wesentlich dazu bei, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Staaten, die der NATO nicht angehören, an solchen Operationen wie IFOR/SFOR beteiligen können. Sie hat weiter zum Zweck, die Transparenz der Verteidigungsbudgets zu erhöhen und die demokratische Kontrolle der Streitkräfte zu fördern. Schliesslich bekräftigen Staaten mit ihrer Teilnahme an der PfP auch ihr Engagement für Kernwerte wie Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Befolgung der Grundsätze des Völkerrechts.

Die Flexibilität der Partnerschaft, insbesondere die Wahrung der souveränen Freiheit jedes Teilnehmerstaates, über die Beteiligung an jeder einzelnen Aktivität zu entscheiden, trägt zum Erfolg dieser Initiative ebenso bei wie der Umstand, dass die Teilnahme an der PfP nicht der erste Schritt zu einer NATO-Mitgliedschaft ist. Die Zunahme der im jährlichen Partnerschafts-Arbeitsprogramm aufgeführten PfPAktivitäten (mittlerweile mehr als 2000 pro Jahr), ebenso wie die breite Beteiligung am Planungs- und Überprüfungsprozess (PARP), belegen die Nutzung der Partnerschaft für den Frieden durch die Teilnehmerstaaten.

Die hochrangigen Treffen, die im Rahmen des EAPC stattfinden ­ je zweimal jährlich Treffen der Aussenminister, der Verteidigungsminister und der Generalstabschefs, monatliche Treffen auf Botschafterebene ­ sind eine nützliche Plattform, um die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz einzubringen.

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Europarat

Der Europarat steht seit seiner Gründung im Jahre 1949 für europäische Grundwerte ein wie die pluralistische und parlamentarische Demokratie, die Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte, den Rechtsstaat und das vielfältige kulturelle Erbe. Sein Ziel ist es, zwischen seinen Mitgliedern auf den Grundlagen der Gerechtigkeit und der internationalen Zusammenarbeit eine engere Verbindung herzustellen.

Der Umbruch in Mittel- und Osteuropa hat den Europarat mit bedeutenden Herausforderungen konfrontiert und seine politische wie operationelle Bedeutung verstärkt.

1989 zählte er 23 Mitglieder ­ darunter auch die Schweiz ­, heute sind es deren 40.

Mit der Aufnahme mittel- und osteuropäischer Länder hat der Europarat einen wesentlichen Beitrag an die europäische Sicherheitsarchitektur geleistet. Seine praxisnah ausgerichteten Programme binden die neuen Mitglieder in die demokratische Wertegemeinschaft ein und bereiten die noch verbleibenden Nichtmitgliedstaaten auf deren Mitgliedschaft vor. Durch die Schaffung eines europäischen Rechtsraumes wie auch durch den umfassenden Charakter seiner Aktionsebenen legt er damit die Grundlagen für ein Europa in Freiheit und Vielfalt.

Der Beitrag des Europarates an die europäische Sicherheitszusammenarbeit liegt im Bereich der Demokratieförderung durch die Anwendung seiner eigenen normativen Instrumente, durch die Überprüfung der von seinen Mitgliedern eingegangenen Verpflichtungen auf deren Einhaltung und durch seine zwischenstaatlichen Koopera7679

tionsprogramme. Der Bundesrat legt das Schwergewicht seiner Politik im Europarat auf die konsequente Anwendung und Durchsetzung der bestehenden Menschenrechtsnormen. Dabei spielen der Europäische Menschenrechtsgerichtshof und die politischen Kontrollmechanismen der Parlamentarischen Versammlung, des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas und des Ministerkomitees entscheidende Rollen.

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Die Stellung der anderen neutralen Staaten Europas in der europäischen Sicherheitsstruktur

Andere neutrale Staaten Europas ­ Finnland, Österreich, Schweden und Irland ­ haben in jüngerer Zeit sicherheitspolitische Grundsatzdokumente veröffentlicht, aus denen Art und Ausmass ihrer Anpassungen an die Veränderungen des strategischen Umfelds seit dem Ende des Kalten Krieges hervorgehen. Diese Anpassungen sind in Entwicklungen begründet, die grösstenteils auch die Schweiz betreffen; sie sind daher für unsere eigene Lagebeurteilung von Interesse.

Gemeinsam sind diesen vier Staaten ­ neben ihrer aktiven Rolle in der OSZE ­ ihre EU-Mitgliedschaft und ihre Beteiligung an deren Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik sowie der Beobachterstatus bei der Westeuropäischen Union. Zudem haben sie sich alle schon sehr früh an militärischen Friedenssicherungsaktionen im UNO-Rahmen beteiligt, ohne dass ihre Neutralität dadurch beeinträchtigt worden wäre. Dieses langjährige kooperative Engagement für den Frieden hat ihnen die Umstellung auf das neue strategische Umfeld erleichtert.

Finnland, Österreich und Schweden haben sich insbesondere auch sehr rasch an der Partnerschaft für den Frieden beteiligt und eine ausgesprochen aktive Rolle übernommen. Finnland und Schweden koordinieren ihre Politik in der Absicht, für ihre militärischen Beiträge den vollen Einbezug in Planung und Umsetzung von NATOgeführten Friedensmissionen zu erhalten, aber auch die GASP in den neutralitätsrechtlich unproblematischen «Petersberger Bereichen» («humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze; friedenserhaltende Aufgaben; Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschliesslich Massnahmen zur Herbeiführung des Friedens») mitzugestalten und voranzutreiben. Im Unterschied zu diesen zwei Ländern, für deren Regierungen ein NATO-Beitritt bisher kein Thema war, ist in Österreichs Regierungskoalition eine Debatte über einen allfälligen NATO-Beitritt im Gange.

Hervorzuheben sind auch die von Schweden und Finnland ­ zusammen mit einigen NATO-Mitgliedstaaten ­ massgeblich mitgestaltete Initiative für eine regionale militärische Zusammenarbeit mit den baltischen Staaten sowie die Initiative Österreichs für eine zentraleuropäische Zusammenarbeit in friedensunterstützenden Operationen. Für beide Initiativen gilt das in der Partnerschaft für den Frieden herrschende «à la carte»-Prinzip, was es auch der Schweiz erlaubt, sich daran zu beteiligen.
Finnland, Österreich und Schweden zeigen, dass ein kooperatives Engagement für den Frieden neutralitätspolitisch möglich und der Sicherheit dieser Länder zuträglich ist.

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Abrüstungsübereinkommen und internationale Kontrollmassnahmen

Die wichtigsten Rüstungskontroll- bzw. Abrüstungsabkommen der Nachkriegszeit, an denen sich die Schweiz beteiligt, befassen sich mit Kernwaffen (Atomsperrvertrag von 1968, in Kraft seit 1970, Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, unterzeichnet 1996), mit biologischen und toxischen Waffen (Biologiewaffenübereinkommen von 1972, in Kraft seit 1975) und mit chemischen Waffen (Chemiewaffenübereinkommen von 1993, in Kraft seit 1997).

Eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Atomsperrvertrags kommt der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu. Nicht-Kernwaffen-Staaten müssen mit der IAEA ein Abkommen über die Kontrolle von Ausgangs- und besonderem spaltbaren Material abschliessen. Diese Kontrollen sollen ermöglichen, eine allfällige Abzweigung von Materialien zur Herstellung von Kernwaffen oder Kernsprengkörpern rechtzeitig zu entdecken. Nach der Aufdeckung des irakischen Nuklearprogramms haben die Mitgliedstaaten der IAEA beschlossen, das Verifikationsregime der IAEA zu verstärken.

Mit dem Biologiewaffenübereinkommen aus dem Jahre 1972 wurde erstmals eine ganze Kategorie von Massenvernichtungswaffen umfassend verboten. Ein Zusatzprotokoll mit Verifikationsmassnahmen, die in den Grundzügen jenem des Chemiewaffenübereinkommens nachgebildet werden, soll bis 2001 das Übereinkommen ergänzen.

Seit April 1997 ist das Chemiewaffenübereinkommen von 1993 in Kraft. Damit wird erstmals ein Verbot einer ganzen Kategorie von Massenvernichtungswaffen durch Verifikationsmassnahmen ergänzt. Mit der Verifikation, namentlich den Inspektionen, ist die Internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag (OPCW) betraut.

Ergänzt werden diese Abrüstungsmassnahmen durch drei internationale Gremien, die sich mit Kontrollmassnahmen im Bereich der Massenvernichtungswaffen befassen: die Gruppe der Nuklearlieferländer, die Australien-Gruppe (im B- und CWaffen-Bereich) und das Raketentechnologie-Kontrollregime. Diesen Gremien ist gemeinsam, dass sie für bestimmte zur Ausfuhr gelangende Güter Kontrollmassnahmen festlegen, die für die Mitglieder zwar nicht völkerrechtlich verbindlich sind, sie jedoch in politischer Hinsicht verpflichten. Ergänzt werden diese drei Exportkontrollregimes durch die Wassenaar-Vereinbarung. Danach sollen durch eine erhöhte Transparenz und durch eine Harmonisierung
der Ausfuhrbestimmungen Staaten, die durch ihre Aufrüstung eine ernste Bedrohung der regionalen oder überregionalen Sicherheit darstellen, am Erwerb von konventionellen Waffen, anderen militärischen Gütern sowie von Dual-use-Gütern zur Herstellung konventioneller Waffen gehindert werden. Die Schweiz beteiligt sich an allen vier Exportkontrollregimes.

Auch Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen, die nur einem beschränkten Staatenkreis offenstehen und an denen die Schweiz nicht beteiligt ist, tragen zur Sicherheit in unserem Umfeld bei. Dazu gehören insbesondere die verschiedenen Abkommen über strategische Waffen zwischen den USA und der Russischen Föderation sowie das Abkommen über konventionelle Streitkräfte in Europa, die für die globale und kontinentale Stabilität von erstrangiger Bedeutung sind.

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Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen, denen die Schweiz beigetreten ist (Auswahl) Abkommen

Ausarbeitung

Ratifikation durch die Schweiz

Vertrag über das Verbot der Erprobung von Nuklearwaffen innerhalb der Atmosphäre, im Weltall und unter Wasser Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschliesslich des Mondes und anderer Himmelskörper Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen Vertrag über das Verbot, Nuklearwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und im Meeresgrund zu stationieren Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von bakteriologischen (biologischen) Waffen oder Toxinen und über ihre Vernichtung (Konvention über biologische Waffen) Übereinkommen über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken.

Konvention über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes gewisser konventioneller Waffen, die übermässige Leiden verursachen oder indiskriminierende Wirkung haben (Konvention über inhumane Waffen) Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes von chemischen Waffen und über ihre Vernichtung Vertrag über das vollständige Verbot von Nukleartests Konvention von Oslo über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von AntiPersonen-Minen und über ihre Vernichtung (Ottawa-Konvention)

1963

1963

1967

1969

1968 1971

1977 1973

1972

1973

1976

1988

1982

1982

1993

1994

1996 1997

hängig 1998

328

Weitere sicherheitspolitisch relevante Strukturen

Politische, soziale und wirtschaftliche Stabilität hängen eng zusammen. Die Demokratie ist in einem unsicheren wirtschaftlichen und sozialen Umfeld ebenso gefährdet wie die marktwirtschaftliche Entwicklung in einem Land ohne entsprechende rechtsstaatliche Grundlagen und Institutionen. Verschiedene internationale Organisationen, insbesondere des UNO-Systems und der Bretton-Woods-Institutionen, leisten auf diesen Gebieten einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Konfliktverhütung.

So fördert beispielsweise das Entwicklungsprogramm der UNO in Osteuropa ein Programm zur Stärkung der Demokratie, der guten Regierungsführung und des Ein-

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bezugs von Bürgerinnen und Bürgern in öffentlichen Angelegenheiten. Im Umweltbereich treibt die Wirtschaftskommission der UNO für Europa (ECE/UNO) den Prozess «Umwelt für Europa» voran, der zur Bewältigung der enormen Umweltaltlasten der früheren Regimes beitragen soll. Zur Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und der Berufsbildungskonzepte im Übergang von der Planwirtschaft zu einer sozialen Marktwirtschaft leistet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wichtige Beiträge. Im Bereich des Gesundheitswesens und damit im Kampf gegen die sinkende Lebenserwartung und -qualität ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) besonders aktiv.

Die grossen internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbankgruppe und die regionalen Entwicklungsbanken wie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) leisten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung sowie zur Entwicklung und zum Wiederaufbau von Ländern und Regionen.

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Risiken und Chancen für die Sicherheit der Schweiz

Das Spektrum der Bedrohungen und Gefahren ist breit und komplex. Stand früher die Gefährdung der territorialen Integrität und staatlichen Souveränität im Vordergrund, so sind heute primär die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft und des Staates als schutzgebende Institution bedroht. Im Alleingang kann diesen Risiken nicht mehr begegnet werden. Dafür bieten sich heute vielfältige und teilweise sehr flexible multilaterale Sicherheitsstrukturen an, die es der Schweiz gestatten, ihre Interessen effizienter wahrzunehmen, als autonome Massnahmen dies erlauben würden.

Die zunehmende Mitwirkung der Schweiz in den europäischen und weltweiten Sicherheitsstrukturen eröffnet unserem Land neue Handlungsräume zur Wahrung seiner Interessen. Die geringfügige Einbusse an Handlungsfreiheit auf Grund einer Mitgliedschaft wird mehr als kompensiert durch den Gewinn für unsere Sicherheit.

Auch bei Organisationen, denen die Schweiz nicht als Mitglied angehört, lebt sie in Teilbereichen heute schon in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen und Massnahmen; auch finanziert sie diese mit. Sie kann aber nicht voll an der Bestimmung des Kurses teilnehmen. Die volle Mitbestimmung würde das zunehmende Dilemma der Schweiz beheben, von multilateralen Entscheidungen ausgeschlossen zu sein, ohne sich deren Auswirkungen entziehen zu können. Der autonome Nachvollzug kann gerade hier immer weniger befriedigen. Die sicherheitspolitische Kooperation mit dem befreundeten Ausland erleichtert im Übrigen die weitere Annäherung an die EU, ohne die Frage des EU-Beitritts vorwegzunehmen.

Auch der konkrete Nutzen, den die Schweiz aus dem Engagement der internationalen Gemeinschaft für Stabilität in Europa und in der Welt zieht, legt uns nahe, an deren politisch-militärische Stabilisierungsaktionen einen grösseren, unseren Möglichkeiten angemessenen Beitrag zu leisten. Vor allem in jüngerer Zeit wurde deutlich sichtbar, dass die «internationale Solidaritätsbilanz» eines einzelnen Landes von dessen Partnern gesamthaft aufgerechnet wird und es nicht einfach auf Grund guter Leistungen in einem spezifischen Zusammenarbeitssektor (z. B. die Schweiz im humanitären Bereich) aus der Mitverantwortung in anderen Sektoren entlassen wird.

Überdurchschnittliche Leistungen auf einem bestimmten Gebiet sind nur dann ein überzeugendes Argument zur Forderung allfälliger Gegenleistungen, wenn die gesamte «Solidaritätsbilanz» stimmt.

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Wir befinden uns also in einer besonderen sicherheitspolitischen Konstellation. Die herkömmliche militärische Bedrohung hat sich verringert. Gleichzeitig haben aber andere, z. T. nichtmilitärische Bedrohungen und Gefahren zugenommen, für deren Bekämpfung wir zwingend unsere eigenen Anstrengungen mit jenen der Völkergemeinschaft vereinen müssen. Just zu dem Zeitpunkt, da internationale sicherheitspolitische Zusammenarbeit nötiger denn je geworden ist, haben sich infolge der politischen Entwicklung auch zahlreiche Möglichkeiten für die Schweiz aufgetan, diese Kooperation zu realisieren. Strategische Notwendigkeit und strategische Gelegenheit ergänzen einander optimal.

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Interessen und Ziele

Gemäss Artikel 2 der Bundesverfassung schützt die Schweizerische Eidgenossenschaft die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes. Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes. Sie sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern. Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung.

Massgeblich für die Ausrichtung und Gestaltung unserer Sicherheitspolitik sind unsere Interessen. Es geht um die Erhaltung demokratischer Werte und um den Frieden in Europa, um Stabilität im ganzen strategisch für uns relevanten Umfeld, um möglichst wenig Gewaltanwendung diesseits und jenseits unserer Grenzen und um gesicherte Lebensgrundlagen für unsere Bevölkerung, indem im Innern des Landes wie europa- und weltweit vitale Systeme funktionsfähig bleiben.

Aus dem Verfassungsauftrag und diesen Interessen leiten sich folgende sicherheitspolitischen Ziele ab: ­

Wir wollen über unsere eigenen Angelegenheiten, im Innern wie nach aussen, frei entscheiden, ohne darin durch die Androhung oder Anwendung direkter oder indirekter Gewalt beeinträchtigt zu werden.

Diese möglichst grosse Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit wollen wir in der normalen Lage mit politischen Mitteln sichern. Damit ist durchaus vereinbar, dass wir in freier Entscheidung internationale Bindungen eingehen, wenn wir nach sorgfältiger Abwägung auf demokratischem Weg zur Überzeugung gelangen, dass diese den Interessen von Volk und Staat förderlich sind. Ausgeschlossen ist aber, dass wir unter Druck oder Zwang das Recht preisgeben, über unsere eigenen Angelegenheiten selber zu entscheiden.

Wird direkte oder indirekte Gewalt gegen die Schweiz oder ihre demokratischen Institutionen angedroht oder ausgeübt, werden wir die Unversehrtheit unseres Staatsgebiets, aber auch unsere weiteren staatspolitischen Interessen mit allen zur Verfügung stehenden und geeigneten Mitteln verteidigen.

­

Wir wollen unsere Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen vor existenziellen Gefahren bewahren und schützen.

Einerseits gilt es, die Bevölkerung vor Not grossen Ausmasses, z. B. infolge von natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen, zu bewahren und ihr bei der Bewältigung solcher Schadenfälle beizustehen. Anderseits, und längerfristig ausgerichtet, sind die Lebensgrundlagen der Bevölkerung zu schüt-

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zen. Dazu zählen die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Energie und Rohstoffen, das Funktionieren einer Wirtschaft, die das Wohlergehen des ganzen Volkes fördert, der unbenachteiligte Zugang zu den internationalen Märkten sowie eine intakte nationale und grenzüberschreitende Infrastruktur und Umwelt. Erhaltung und Schutz dieser Lebensgrundlagen sind weitgehend Gegenstand zahlreicher anderer Politikbereiche (z. B. Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt-, Verkehrs-, Energie und Kommunikationspolitik) und nicht der Sicherheitspolitik.

­

Wir wollen zu Stabilität und Frieden jenseits unserer Grenzen und zum Aufbau einer internationalen demokratischen Wertegemeinschaft beitragen, um das Risiko zu vermindern, dass die Schweiz und ihre Bevölkerung von den Folgen von Instabilität und Krieg im Ausland selbst berührt werden, und weil wir damit gleichzeitig unsere internationale Solidarität zum Ausdruck bringen.

Stabilität und Frieden sind dann am besten gewährleistet, wenn auch auf internationaler Ebene jene Werte geteilt und gelebt werden sowie jene Strukturen und Institutionen bestimmend sind, für welche die Schweiz einsteht. Dazu gehören Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Beachtung der Menschenrechte und der Rechte von Minderheiten, aber auch eine prosperitätsfördernde und gerechte Wirtschaftsordnung. Es muss deshalb unser Ziel sein, diese Werte, Strukturen und Institutionen generell zu fördern und bei akuten Bedrohungen von Stabilität und Frieden Ansätze zur nachhaltigen Konfliktlösung zu unterstützen. Bestimmend für unser Engagement zu Gunsten des internationalen Friedens sind unser legitimes Eigeninteresse und unsere internationale Solidarität.

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Strategie

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Strategische Grundgedanken und Leitlinien

Unter der sicherheitspolitischen Strategie der Schweiz verstehen wir das grundsätzliche Denken, Handeln und Verhalten in sicherheitspolitischen Fragen. Sie umfasst die ganzheitlich konzipierte Nutzung unserer Möglichkeiten zur Prävention von Gewalt sowie den Einsatz aller geeigneten zivilen und militärischen Kräfte gegen die Androhung oder Anwendung von Gewalt, die unser Land, seine Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen in bedeutendem (strategischem) Ausmass gefährden.

Dabei ziehen wir nicht nur den schlimmstmöglichen Fall direkter Angriffe in Betracht, sondern nutzen vielmehr alle Chancen, um vorsorglich zur Krisenbewältigung und ganz allgemein zur Verteidigung unserer Werte und Interessen in unserem strategischen Umfeld beizutragen.

Die Beurteilung dieses Umfeldes und des Spektrums der aktuellen und absehbaren Gefahren und Risiken ergibt eine auch für uns positive Verbreiterung und Vertiefung wirksamer Sicherheitsbemühungen demokratischer Staaten und ihrer Zusammenarbeit im Rahmen internationaler Organisationen mit dem Ziel der Friedensförderung und der Stabilisierung unruhiger Regionen. Anlass zu Besorgnis gibt nach wie vor die selbst in Europa andauernde Bereitschaft zu kriegerischer oder krimineller Gewaltanwendung sowohl innerhalb von Staaten als auch grenzübergreifend.

Auch sind nach Ausmass und Akteuren neuartige, kaum abschreckbare Formen von

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Gewalt im Zunehmen, was die hochtechnisierten westlichen Gesellschaften, zu denen auch die Schweiz gehört, ernstlich gefährdet. Vor dem Hintergrund dieses vielfältigen Bedrohungsspektrums reichen rein nationale Gegenstrategien, aber auch Nischenstrategien von Kleinstaaten, nicht aus.

Im Vordergrund unserer Strategie stehen deshalb Initiativen und Massnahmen, unsere Sicherheit dadurch zu verstärken, dass wir nach Massgabe unserer spezifischen Qualitäten und Kräfte an Erfolg versprechenden Bemühungen der demokratischen Staatengemeinschaft zur Krisenbewältigung und Stabilisierung unruhiger Regionen teilnehmen. Gezielte Investitionen in die Absicherung unseres strategischen Vorfelds sind lohnend, obwohl einfache Lösungen der jeweils aktuellen Probleme kaum je zu haben sein werden. Mit unserem vermehrten internationalen Engagement im Sicherheitsbereich schaffen wir bessere Voraussetzungen für die Verfolgung unserer allgemeinen Interessen und mindern zugleich unsere Verwundbarkeit gegenüber Erpressungen. Wir üben damit auch die unserer Tradition entsprechende und von uns erwartete Solidarität.

Ähnliches gilt für die Bewältigung von Gewaltdrohungen und Gewaltanwendung, die sich primär innerhalb der Schweiz auswirken. Auch hier ist ein grenzüberschreitender Verbund von Gegenmassnahmen unerlässlich. Ebenso wichtig ist, dass die Schweiz über eine der neuen Lage entsprechende eigene Sicherheitsstruktur verfügt, in deren Rahmen sie ihre zivilen und militärischen Abwehrmittel je nach Art, Intensität und Entwicklung der Bedrohung bereithalten, fallbezogen bündeln und zeitgerecht einsetzen kann. Sie dient damit ebenfalls berechtigten Sicherheitsinteressen unserer Nachbarn auf unserem Territorium.

Entsprechend verfolgt die Schweiz ihre sicherheitspolitischen Ziele mit einer Strategie der nationalen und internationalen Sicherheitskooperation. Diese beruht einerseits auf dem Willen und der Fähigkeit, den Gefahren und Risiken für unser Land und seine Bevölkerung soweit immer möglich und effizient mit geeigneten eigenen zivilen und militärischen Mitteln im umfassenden und flexiblen Verbund entgegenzutreten. Anderseits intensiviert sie dort, wo diese Mittel auf Grund des Bedrohungscharakters oder aus geografischen und materiellen Gründen nicht ausreichen, die Sicherheitszusammenarbeit mit befreundeten Staaten und internationalen Organisationen.

­

Die Kooperation im Inland besteht in der Zuweisung spezifischer Aufgaben und entsprechender Ressourcen an die verschiedenen sicherheitspolitischen Bereiche auf den Ebenen Bund, Kanton und Gemeinde sowie in deren Zusammenwirken in gegenseitiger Abstimmung im Bedarfsfall.

­

Die Kooperation mit dem Ausland besteht vorzugsweise im präventiven, nötigenfalls aber auch im reaktiven Engagement jenseits unserer Grenzen, um im abgestimmten multinationalen Zusammenwirken Krisen zu bewältigen, Unruheregionen zu stabilisieren und allgemein Sicherheitsvorkehrungen wechselseitig zu verstärken.

Beide Elemente der Kooperation, jene zwischen unseren eigenen sicherheitspolitischen Instrumenten und jene mit dem Ausland, verlangen nach Anstrengungen, unsere eigenen Mittel auf dem gebotenen Stand zu halten. Die Bewahrung der eigenen Stärke steht nicht im Gegensatz zu internationaler Zusammenarbeit; sie ist im Gegenteil Voraussetzung dafür, die Kooperation wirksam zu gestalten und die eigenen Interessen selbstbewusst einbringen zu können.

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Diese Strategie verlangt eine teilweise Verlagerung bisheriger Schwergewichte unserer Sicherheitsvorkehrungen und entsprechend auch der Ressourcen zu Gunsten vorbeugender Massnahmen, der Erweiterung unseres Sicherheitsraumes und der Abwehr von Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle. Die nach wie vor nötigen Rückfallpositionen für niemals völlig auszuschliessende Verschärfungen der Gefahrenlage werden durch Beibehaltung wichtiger Kernfunktionen der Armee und des Bevölkerungsschutzes, laufende Lagebeurteilungen, Variantenplanungen und Aufwuchskapazitäten sichergestellt.

Schematische Darstellung unserer sicherheitspolitischen Strategie

Sicherheit durch Kooperation Sicherheitspolitische Ziele

Selbstbestimmung ohne Beeinträchtigung durch Gewalt, Schutz von Bevölkerung und Lebensgrundlagen, Stabilität und Frieden im Umfeld

Strategische Aufgaben

Friedensförderung und Krisenbewältigung, Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren, Verteidigung

Strategische Führung

Bundesrat, Departemente, Kantone

Strategie

umfassende flexible Sicherheitskooperation Inland

internationale Sicherheitskooperation multilateral und bilateral

Sicherheitspolitische Instrumente

Aussenpolitik, Armee, Bevölkerungsschutz, Wirtschaftspolitik, wirtschaftliche Landesversorgung, Staatsschutz, Polizei, Information

Bedrohungen, Gefahren und Risiken (Gewalt strategischen Ausmasses)

Erpressung

Terrorismus

Informationskrieg militärische Gewalt

Katastrophen organisierte mögliche Gewalt Proliferation Kriminalität infolge von und Einsatz von Grossmigrationen ABC-Waffen

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Strategische Aufgaben

Für unsere staatliche Sicherheit ergeben sich drei gegenüber dem Bericht 90 neu gewichtete strategische Aufgaben, die hier in der Reihenfolge der Eintretenswahrscheinlichkeit aufgeführt werden.

Friedensförderung und Krisenbewältigung Die Schweiz nimmt unter Einsatz ihrer dafür geeigneten sicherheitspolitischen Instrumente ihre Möglichkeiten wahr, den Frieden in ihrem strategischen Umfeld zu fördern, zur möglichst gewaltfreien Bewältigung internationaler Krisen sowie zum Wiederaufbau kriegsgeschädigter Regionen beizutragen.

Friedensförderung und Krisenbewältigung finden in einem von der Diplomatie gesetzten, auf völkerrechtliche Verträge und politisch verbindliche Vereinbarungen gestützten Rahmen statt. Es wird aber vermehrt auch auf darüber hinausgehende Mittel zurückgegriffen, namentlich auf personelle und materielle Mittel der Aussenpolitik und der Streitkräfte, Zivilpolizei, humanitäre Aktionen und Wiederaufbauhilfe sowie sicherheitspolitische und militärtechnische Expertise und Material verschiedenster Art. In der langfristig angelegten Friedensförderung und Konfliktverhütung spielen die auf die Beseitigung von Konfliktursachen ausgerichteten entwicklungspolitischen Instrumente eine wichtige Rolle.

Zur Erfüllung dieser strategischen Aufgabe arbeitet die Schweiz in der Regel mit anderen Staaten, Staatengruppen und Organisationen zusammen. Sie nutzt die Möglichkeiten der multilateralen Strukturen globaler wie regionaler Art, sowohl im Rahmen ihrer Mitgliedschaften als auch durch fallweise Kooperation. Die Schweiz ergreift in diesem Rahmen auch eigene Initiativen. Daneben hält sie sich für bilaterale Beiträge bereit, wo diese Erfolg versprechen. Bei diesen Aktivitäten stützt sich die Schweiz auf ihre Erfahrung in der Leistung Guter Dienste.

Kriterien für unser Engagement sind die Landesinteressen, die völkerrechtliche Abstützung, die demokratische, menschenrechtliche und humanitäre Werteorientierung solcher Aktionen, ihre möglichst präventive Wirkung und Nachhaltigkeit, die komparativen Vorteile der Schweiz in Können und Ausrüstung sowie die ressourcenbedingte Schwerpunktbildung im Rahmen entsprechender Prioritäten. Es versteht sich, dass das so definierte Engagement echten Bedürfnissen der Völkergemeinschaft entsprechen muss.

Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren Die
sicherheitspolitischen Instrumente tragen zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren bei, namentlich bei natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen und Störungen der inneren Ordnung strategischen Ausmasses.

Potentielle Beeinträchtigungen unserer Interessen und Ziele müssen frühzeitig erkannt und ihre möglichen Auswirkungen auf unsere Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen analysiert werden, um im Verbund aller zur Verfügung stehenden Kräfte fristgerecht die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.

Diese Beurteilung veranlasst uns, vermehrt auch sicherheitspolitische Mittel zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren heranzuziehen. Sie sollen nicht nur zum Schutz von lebenswichtigen und risikobehafteten Objekten, sondern auch zur Bewältigung von natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen eingesetzt werden. Darüber hinaus gilt es, dem organisierten Verbrechen im grossen Stil, der Sabotage, dem Terrorismus und gewalttätigen Störungen der inneren Sicherheit strate7688

gischen Ausmasses entgegenzutreten sowie dafür zu sorgen, dass informationstechnologisch gesteuerte Netzwerke von strategischer Bedeutung nicht ausfallen bzw.

die nötige Redundanz besteht. Grenzüberschreitenden existenziellen Gefahren werden wir ebenfalls im internationalen Rahmen begegnen. Für Hilfeleistungen der Armee in diesem Bereich gilt unverändert, dass sie subsidiär, das heisst auf Begehren und unter der Einsatzverantwortung von zivilen Behörden erbracht werden.

Verteidigung Die Schweiz bewahrt die Fähigkeit, ihre Souveränität, ihr Territorium, ihren Luftraum und ihre Bevölkerung gegen die Androhung und Anwendung von Gewalt strategischen Ausmasses zu schützen und zu sichern.

Die Art, wie diese strategische Aufgabe erfüllt wird, muss der Entwicklung vielfältiger Bedrohungen und Gefahren Rechnung tragen und wird sich daher nicht ausschliesslich gegen eine militärische Bedrohung richten. Trotz der heute feststellbaren markanten Abnahme der militärischen Bedrohung sind im Hinblick auf eine fernere Zukunft Rückfälle in machtpolitische Grosskonfrontationen aber nicht auszuschliessen. Eine glaubwürdige militärische Sicherungs-, Schutz- und Verteidigungsfähigkeit ist deshalb permanent aufrechtzuerhalten, auch wenn eine graduelle Verlagerung von einer vollen Einsatzbereitschaft von Truppen in Richtung einer Armee mit kleineren Beständen und differenzierter Bereitschaft sicherheitspolitisch vertretbar und auch aus demografischen, wirtschaftlichen und finanziellen Gründen angezeigt ist. Die zeitlichen Vorgaben dieser Verlagerung ­ sowohl die Reaktionswie die Aufwuchsfähigkeit ­ haben sich an realistischen Vorwarnzeiten zu orientieren, die auch den Zeitbedarf der politischen Entscheidfindung berücksichtigen.

Der Erhaltung einer glaubwürdigen Schutz- und Verteidigungsfähigkeit dienen in erster Linie Armee und Bevölkerungsschutz. Beide stellen mit Bereitschafts- und Reserveelementen eine lagegerechte Schutz- und Verteidigungsbereitschaft sicher und sind auch für eine internationale Friedensunterstützung wesentlich. Sie fördern damit bereits in der normalen Lage Sicherheit und Stabilität im Raum Schweiz. Bei wachsender Spannung oder direkter Bedrohung können sie sowohl zentral geführte Massnahmen ergreifen wie auch zu subsidiären Sicherungsmassnahmen herangezogen werden. Damit tragen sie nicht nur
zur Sicherheit unseres Landes bei; ihre Anstrengungen kommen auch unseren Nachbarstaaten zugute, z. B. dadurch, dass die Mitbenutzung der strategisch relevanten schweizerischen Infrastruktur (Transversalen, Transport, Telekommunikation, Energienetz usw.) möglich bleibt.

Im Falle von direkten militärischen Angriffen auf die Schweiz wird unser Neutralitätsstatus hinfällig. In einer solchen Lage wird sich die Schweiz je nach Stärke des Angriffs allein oder zusammen mit Verbündeten verteidigen. Im Hinblick auf eine solche Entwicklung sind frühzeitige Vorbereitungen für eine allfällige Zusammenarbeit mit ausländischen Streitkräften unbedenklich, sofern dabei keine unwiderruflichen Bindungen und Abhängigkeiten für den Verteidigungsfall präjudiziert werden. Der Aufbau der Fähigkeit zu einer gemeinsamen Verteidigung benötigt Zeit, und auch das Tempo der modernen Kriegführung, vor allem in der Luft, ist zu hoch, um ein Zusammenwirken von Verbündeten erst in akuten Notlagen improvisieren zu können.

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Beibehaltung der Neutralität unter konsequenter Nutzung des neutralitätsrechtlichen Spielraums

Aus der Neutralität ergeben sich eine Reihe von Rechtspflichten, die in den Haager Konventionen von 1907 über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Land- und im Seekrieg sowie im Völkergewohnheitsrecht niedergelegt sind. Der völkerrechtliche Anwendungsbereich des Neutralitätsrechts ist allerdings beschränkt. Er regelt im Wesentlichen das Verhalten des Neutralen in bewaffneten Konflikten zwischen Staaten. Dem Neutralen ist untersagt, an einem internationalen bewaffneten Konflikt teilzunehmen oder eine Partei militärisch zu unterstützen. Die Pflichten des dauernd Neutralen in Friedenszeiten ergeben sich einzig aus dem Völkergewohnheitsrecht.

Ursprünglich bestand die wesentlichste Einschränkung für den dauerhaft neutralen Staat darin, von vornherein auf den Krieg als Mittel zur Durchsetzung seiner politischen Ziele zu verzichten. Spätestens seit der Errichtung der Vereinten Nationen gilt dieses Gewaltverbot allerdings für alle Staaten. Heute beschränkt sich die Rechtspflicht des dauernd Neutralen darauf, in Friedenszeiten keine unwiderruflichen Bindungen einzugehen, die ihm im Konfliktfall die Einhaltung seiner Neutralitätspflichten verunmöglichen würden. Dies bedeutet namentlich ein Verbot der Einrichtung ausländischer Truppenstützpunkte auf neutralem Territorium und ein militärisches Bündnisverbot. Die Ausgestaltung der Politik, die der dauernd Neutrale führt, um die Glaubwürdigkeit seiner Neutralität aufrechtzuerhalten, liegt völlig in seinem eigenen Ermessen.

Die Neutralität, an der die Schweiz festhält, steht heute in einem stark veränderten Umfeld: Auf der einen Seite nimmt die Häufigkeit der herkömmlichen militärischen Konflikte zwischen Staaten, denen die Neutralitätskonzeption zu Grunde liegt, in dem Masse ab, als ein kollektives System der Sicherheit im Einklang mit der UNOCharta funktioniert. Zum anderen spielen sich gewaltsame Auseinandersetzungen, welche die Sicherheit der Schweiz direkt oder indirekt berühren, heute grösstenteils nicht mehr zwischen Staaten, sondern innerhalb von Staaten ab. Auf solche Konflikte ist jedoch das Neutralitätsrecht nicht zugeschnitten. Das Gefühl der Sicherheit, das die Neutralität der Schweizer Bevölkerung über eine sehr lange Zeit vermittelte, ist daher trügerisch geworden. Die Neutralität allein, besonders wenn sie mit einem Verzicht auf
sicherheitspolitische Kooperation mit dem Ausland gleichgesetzt würde, genügt nicht, um die Sicherheit der Schweiz zu gewährleisten. Sie bietet auch keine Orientierungshilfe für unsere Politik in Bezug auf Konflikte, bei denen das Neutralitätsrecht nicht anwendbar ist.

Für die Zukunft ist es wichtig, dass sich die Neutralität nicht zum Hindernis für unsere Sicherheit entwickelt. Auch unter kompromissloser Einhaltung des Neutralitätsrechts verfügen wir über einen erheblichen Handlungsspielraum, der mehr als bisher im Sinne einer partizipativen Aussen- und Sicherheitspolitik genutzt werden muss. Der Neutralitätsbericht vom 29. November 1993 im Bericht des Bundesrates über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er Jahren legt die erforderlichen Grundlagen fest: Die Fortführung unserer dauernden Neutralität hindert uns nicht daran, aktiv und solidarisch an Massnahmen gegen gemeinsame Bedrohungen und am Aufbau tragfähiger internationaler Sicherheitssysteme mitzuwirken. Gerade als kleiner Staat hat die Schweiz ein eminentes Interesse an einem funktionierenden System der kollektiven Sicherheit. Würde sie aber trotz der bestehenden Ungewissheiten auf ihre Neutralität verzichten oder ihre Neutralitätspraxis derart ändern, dass wichtige Staaten sie nicht mehr als dauernd neutral betrachten würden, wäre dies ohne rasch realisierbare sicherheitspolitische Alternativen (EU, NATO) gefährlich.

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Sowohl ein Beitritt der Schweiz zur UNO als auch eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit regionalen Sicherheitsorganisationen und -strukturen wie die OSZE und die Partnerschaft für den Frieden sind mit unserer Neutralität vereinbar. Einer Beteiligung mit schweizerischen Truppen an internationalen Friedensoperationen im Ausland steht die Neutralität genauso wenig im Weg wie einer Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten im Bereich der Truppenausbildung oder der militärischen Technologieentwicklung. Das Neutralitätsrecht gestattet in diesen Bereichen auch vertragliche Vereinbarungen mit der NATO oder WEU ausserhalb einer Mitgliedschaft, zum Beispiel im Rahmen der Ausführung von Mandaten des UNO-Sicherheitsrates.

Trotz der konsequenten Nutzung des neutralitätsrechtlichen Spielraums darf jedoch nicht ausser Acht gelassen werden, dass auch im ausgehenden 20. Jahrhundert dem aussenpolitischen Handeln eines dauernd neutralen Staates Grenzen gesetzt sind.

Gerade die Ereignisse im Kosovo-Konflikt im Jahr 1999, als sich die NATO-Staaten für ein militärisches Eingreifen zur Eindämmung und Beendigung schwerster Völker- und Menschenrechtsverletzungen entschlossen, haben gezeigt, dass die Schweiz in bestimmten Fällen neutralitätsrechtlich gehalten ist, die Unterstützung von Massnahmen anderer Staaten zu verweigern, selbst wenn diese Massnahmen mit den aussen- und sicherheitspolitischen Zielen der Schweiz vereinbar sind. Insofern lässt es der Status der dauernden Neutralität nicht zu, in Fällen, in denen das Neutralitätsrecht zur Anwendung kommt, eine umfassende Abwägung aller in Frage stehenden Interessen vorzunehmen.

Die Nichtbeachtung des Neutralitätsrechts in einem konkreten Konfliktfall hätte für die Schweiz wohl die Abkehr von der dauernden Neutralität zur Folge, was allerdings nicht ausschliesst, dass unser Land ­ ähnlich wie z. B. Schweden oder Irland ­ den Status eines gewöhnlich Neutralen (Ad-hoc-Neutralität) beibehalten könnte.

Das Festhalten an der dauernden Neutralität wird somit selbst bei der grösstmöglichen Ausnützung des neutralitätsrechtlichen Spielraums auch in Zukunft dahingehend zu hinterfragen sein, ob dieses Element unserer sicherheitspolitischen Strategie auch im 21. Jahrhundert geeignet ist, die aussen- und sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz bestmöglich wahrzunehmen.
Die Neutralität unseres Landes schliesst die Mitgliedschaft in einem Militärbündnis aus. Die Abwägung, ob unsere Sicherheit besser durch die Neutralität oder die Mitgliedschaft in einer Verteidigungsallianz geschützt wird, kann indessen ­ auch angesichts der Limiten unserer eigenen technologischen und finanziellen Ressourcen ­ nicht ein für allemal getroffen werden. Sie ist im Lichte der aktuellen und absehbaren Bedrohungen und Gefahren immer wieder vorzunehmen. Zur Wahrung unserer Handlungsfreiheit gehört, die Möglichkeit eines Bündnisbeitritts offenzuhalten.

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Hauptkomponenten der Strategie

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Umfassende flexible Sicherheitskooperation im Inland (UFS)

Die Organisation der Gesamtverteidigung wird durch eine umfassende flexible Sicherheitskooperation unter unseren eigenen sicherheitspolitischen Instrumenten abgelöst. Umfassend muss diese Kooperation sein, weil sie auf den Einsatz und das Zusammenwirken verschiedener, in mehreren Departementen des Bundes und auf verschiedenen Ebenen (Bund, Kantone, Gemeinden, private Organisationen) ange-

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siedelter Organe und Elemente zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt strategischen Ausmasses und zur Hilfe bei natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen und anderen Notlagen angewiesen ist. Flexibel muss sie sein, weil nur die für den jeweiligen Fall optimale Kombination der Massnahmen und Mittel zum Einsatz gebracht werden soll.

Grundsätzlich treffen alle Verantwortlichen in ihrem Bereich die nötigen Vorbereitungen für die Prävention und Bekämpfung von strategischer Gewalt sowie für die Bewältigung von Katastrophen. Sie halten sich bereit, allein oder in gemeinsamen bzw. kombinierten Aktionen eingesetzt zu werden. Alle staatlichen Organe, Bereiche und Elemente der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation sowie bezeichnete private Organisationen sind zur bereichs- und elementsübergreifenden Zusammenarbeit verpflichtet. Sie unterstützen und informieren sich gegenseitig. Sie erteilen anderen Trägern von Aufgaben die Auskünfte, die für deren Aufgabenerfüllung erforderlich sind, und kooperieren soweit sinnvoll in der Ausbildung.

Voraussetzung für das Funktionieren dieser Kooperation ist eine klare Zuordnung von Auftrag und Führungsverantwortung. Vorbereitung und Einsatz sind zu koordinieren, um die Wirksamkeit und Effizienz sicherzustellen. Bund, Kantone und Gemeinden behalten ihre Verantwortungen und Kompetenzen. Im Lichte der geforderten Flexibilität werden diese aber in Zusammenarbeit mit den Betroffenen überprüft und nötigenfalls angepasst.

Geführt werden Einsätze im Auftrag des Bundesrats oder kantonaler Behörden von den dafür am besten geeigneten Stellen im Bund oder in den Kantonen. Bei Einsätzen mit grenzüberschreitendem Charakter oder bei Notlagen mit landesweiter Dimension übernehmen Bundesinstanzen die Oberleitung.

Zur Sicherstellung der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation wird auf Bundesebene eine Lenkungsgruppe Sicherheit eingesetzt (vgl. Ziffer 8.1.). In dieser sollen nach Bedarf auch die Ansprechpartner der Kantone für den Bevölkerungsschutz und die innere Sicherheit oder Vertreter der Kantone aus diesen Bereichen Einsitz nehmen. Die Lenkungsgruppe Sicherheit berät den Bundesrat bei der Ausgestaltung der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation und bei der Überführung der bisherigen Gesamtverteidigung in diese.

Die Koordination von Vorbereitungen und Massnahmen
der Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden für besondere und ausserordentliche Lagen wurde bisher in wichtigen Fachbereichen durch die Organisation der «Koordinierten Dienste» sichergestellt. Grundsätzlich sollen in Zukunft vermehrt die ordentlichen Organisations- und Verwaltungsstrukturen genutzt sowie die üblichen Verantwortlichkeiten respektiert werden. Wie weit auch in Zukunft besondere Koordinationsgremien (Ausschüsse/ Kommissionen) nötig sind, wird überprüft.

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Sicherheitskooperation mit dem Ausland

Die gegenwärtigen und absehbaren Bedrohungen und Gefahren sind grenzüberschreitend, treffen unsere Nachbarn und Partner ebenso wie uns und sind nur in internationalem Zusammenwirken, in dem wir eigene Stärken einbringen, erfolgreich zu bekämpfen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer vermehrten Sicherheitskooperation der Schweiz mit dem Ausland. Die Schweiz wird darum in Zukunft vermehrt jenseits ihrer eigenen Grenzen wirksame Beiträge zur internationalen Frie7692

denssicherung und Krisenbewältigung, aber auch zur Sicherung der Lebensgrundlagen, der Bewältigung der Folgen von Krieg und Katastrophen und zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Sie verstärkt damit die Anstrengungen anderer Staaten sowie der internationalen Gemeinschaft und unterstützt damit den Aufbau eines wirksamen Systems der kollektiven Sicherheit. Gleichzeitig kann sie davon ausgehen, dass in die gleiche Richtung weisende Bemühungen anderer Staaten auch der Sicherheit der Schweiz zugute kommen. Es geht somit um eine wechselseitige Stärkung der Bemühungen, die Sicherheit in unserem strategischen Umfeld zu gewährleisten.

Während die Schweiz in der Vergangenheit oft als Einzelstaat Gute Dienste geleistet hat, werden solche Leistungen nunmehr weitgehend innerhalb multilateraler Strukturen erbracht. Vor allem in diesem Rahmen wird die Schweiz weiterhin eigene Initiativen einbringen. Die Erfolgsaussichten solcher Initiativen steigen, wenn es gelingt, dafür die Unterstützung der EU-Länder oder einer anderen einflussreichen Gruppe zu gewinnen. Dies gilt auch für Massnahmen im Bereich der inneren Sicherheit (Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus).

Wir können von einer ganzen Reihe weltweiter und europäischer multilateraler Kooperationsstrukturen Gebrauch machen. UNO, OSZE, NATO, EAPC, PfP, EU, WEU, Europarat und weitere Organisationen und Foren, auch solche nichtstaatlicher Art, entfalten sicherheitspolitisch relevante Aktivitäten, in denen die Schweiz ­ als Mitglied oder auf Ad-hoc-Basis ­ mitwirken will und dies in beträchtlichem Mass auch bereits tut. Eine vollwertige und gleichberechtigte Teilnahme und Mitentscheidung ist allerdings nur dort möglich, wo die Schweiz Mitglied ist.

Voraussetzung für eine beiden Seiten Nutzen bringende Zusammenarbeit mit dem Ausland ist eine gemeinsame Ausbildung. Sie wird in Zukunft im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden entsprechend intensiviert werden. Sollten sich wider Erwarten neue Bedrohungslagen ergeben, in denen die heute eingeschlagene Kooperationsstrategie zur Selbstbehauptung nicht ausreichen würde, liesse sich auf Grund dieser Erfahrungen auch die Verteidigung im Rahmen einer Koalition rascher und wirksamer organisieren.

Die Schweiz nützt auch alle Möglichkeiten bilateraler Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten und
Streitkräften. Diese Kooperation erstreckt sich primär auf Informationsaustausch, sicherheitspolitische und fachtechnische Ausbildung, gemeinsame Übungen und Zusammenarbeit in weiteren Bereichen ­ z. B. Katastrophenhilfe ­, die für beide Partner von Interesse sind. Genau definierte Einsätze schweizerischer Friedenstruppen im Rahmen von friedensfördernden Einsätzen kommen ebenfalls in Frage, sofern ihre Legitimität und ihre Zielsetzung im schweizerischen Interesse ausgewiesen sind.

Die Grenzen unserer Sicherheitskooperation werden im Wesentlichen durch zwei Faktoren gesetzt. Einerseits müssen Einsätze zur Friedensunterstützung, an denen sich die Schweiz beteiligt, völkerrechtlich legitimiert sein (in der Regel Mandat des UNO-Sicherheitsrates bzw. der OSZE). Anderseits sind die neutralitätsrechtlichen Einschränkungen zu beachten. Gerade der Kosovo-Konflikt von 1999 hat die Grenzen gezeigt, welche die Schweiz zu beachten hat, solange sie neutral ist.

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Begründung unserer Strategie gegenüber Alternativen

Rückkehr zu einer autonomen Selbstbehauptung der Schweiz?

Die Prävention und Bekämpfung der bestehenden und absehbaren Bedrohungen und Gefahren erst ab den eigenen Grenzen und unter Verzicht auf jede sicherheitspolitische Kooperation mit dem Ausland wäre selbst mit überdimensioniertem Aufwand nicht möglich oder zumindest unverhältnismässig kostspielig. Weder technisch noch finanziell wäre auf diese Weise jene Sicherheit zu schaffen, auf die unsere Bevölkerung Anrecht hat. Auch die tatkräftige Förderung unserer Sicherheitsinteressen ist im Alleingang nicht mehr zu gewährleisten.

Unser Beitrag an die gemeinsamen Sicherheitsbemühungen ist nicht zuletzt auch der von unseren Partnern erwartete Solidaritätsbeweis. Er muss entsprechend überzeugend ausfallen. Ein Verharren auf den bisherigen Leistungen oder eine bloss behutsame sicherheitspolitische Öffnung, die lediglich das anbietet, was wir ohne besondere Anstrengung leisten können, während wir gemeinsame Risiken nicht zu akzeptieren bereit sind, können nicht mehr genügen. Beistand können wir im Bedarfsfall nur erwarten, wenn wir schon heute dem neuen Gefahrenspektrum entsprechende, für alle Partner wertvolle Sicherheitsleistungen erbringen.

Beitritt der Schweiz zur NATO?

Ein Beitritt der Schweiz zur NATO ist für die Gewährleistung unserer Sicherheit und der Stabilität unseres Umfeldes heute nicht nötig. Unser Bekenntnis zur kooperativen Sicherheit wird auch ohne einen Beitritt zur euro-atlantischen kollektiven Verteidigung der heutigen und absehbaren Bedrohungslage gerecht. Soweit wir mit der NATO zusammenarbeiten wollen und dies neutralitätsrechtlich auch können, findet diese Kooperation über unseren Sitz im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat und im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden statt. Die NATO ist zunehmend bereit, Partnerstaaten, die ­ wie etwa Finnland und Schweden ­ dazu willens und fähig sind, Möglichkeiten intensiverer Beteiligung an der Vorbereitung und Durchführung von friedensunterstützenden und humanitären Operationen sowie Such- und Rettungseinsätzen anzubieten, ohne irgendwelchen Zwang zum Bündnisbeitritt. So kann auch die Schweiz, wenn sie es will, in operationellen Aktivitäten der NATO ihre Interessen wahren und ihre Beiträge einbringen. Dass sie als Nichtmitglied anderseits von Aktivitäten im Rahmen von Artikel 5 des Washingtoner Vertrages (kollektive Verteidigung) ausgeschlossen bleibt, bedeutet angesichts der heutigen Bedrohungen und Gefahren keine Einbusse von Sicherheit.

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Auswirkungen eines EU-Beitritts

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Sicherheitspolitische Auswirkungen

Die Schweiz ist umgeben von Staaten, die ihre Werte, Ziele und Interessen in sicherheitspolitischen Belangen weitgehend teilen. Diese demokratische Wertegemeinschaft ist daran, schrittweise die Grundlagen für einen gemeinsamen Sicherheitsraum zu schaffen. Der begrenzte Nutzen einer autonomen schweizerischen Verteidigung an der Grenze wird vor diesem Hintergrund augenfällig; sie entspricht nicht einer optimalen Chancennutzung. Eine enge Kooperation mit dem sich gerade auch im Rahmen der EU bildenden europäischen Sicherheitssystem drängt sich auf.

In Abhängigkeit von der allgemeinen integrationspolitischen Ausrichtung der 7694

Schweiz bestehen die Optionen der sektoriellen Kooperation als EU-Nichtmitglied und der vollen Teilnahme als EU-Mitglied.

Als EU-Mitglied könnte die Schweiz bei der Gestaltung der europäischen Sicherheitspolitik voll mitwirken und mitentscheiden. Im Gegenzug wäre sie gehalten, gemeinsame Politiken mitzutragen. Durch die konstruktive Enthaltung könnte sie aber erreichen, dass sie an gemeinsamen Massnahmen, die sie mit ihrer Politik für nicht vereinbar hält, nicht teilnehmen muss. Die Schweiz erhielte ­ falls sie dies wünschen sollte ­ als Nicht-Mitglied der NATO einen Beobachterstatus in der WEU.

Insgesamt dürfte die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu einer erhöhten Sicherheit, namentlich gegenüber wirtschaftlichen Druckversuchen, unkontrollierbarer Migration und organisierter Kriminalität führen und durch unsere Mitsprache in der Aussen- und Sicherheitspolitik zur besseren Wahrnehmung unserer sicherheitspolitischen Interessen beitragen.

Die Frage der Vereinbarkeit der Neutralität mit einer EU-Mitgliedschaft wurde bereits im Bericht zum Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft vom 18. Mai 1992, im Bericht über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er-Jahren, im Bericht zur Neutralität vom 29. November 1993 sowie im Integrationsbericht 1999 untersucht.

Diese Berichte kommen übereinstimmend zur gleichen Einschätzung: Ein Staat, welcher der EU beitreten will, hat die nötigen Anpassungen seiner Aussenpolitik vorzunehmen, der Neutralitätsstatus bedeutet dabei aber kein Hindernis. Mit einem Beitritt zur Europäischen Union würde die Schweiz gegen keine ihrer neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen verstossen, da die EU-Mitgliedschaft nach wie vor keine militärischen Verpflichtungen mit sich bringt. Das Prinzip, dass Beschlüsse im Bereich der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik einstimmig gefasst werden müssen, stellt sicher, dass kein neutrales EU-Mitglied ungewollt Partei eines neutralitätsrelevanten Konfliktes wird. Mit dem EU-Beitritt ist zudem keine Rechtspflicht verbunden, einer möglichen zukünftigen europäischen Verteidigungsgemeinschaft später einmal beizutreten.

Dass eine EU-Mitgliedschaft und die Neutralität miteinander vereinbar sind, haben Schweden, Finnland, Irland und Österreich gezeigt. Weder die anderen Mitgliedstaaten noch die EU-Organe verlangen von diesen Staaten,
ihre Neutralität aufzugeben. Das EU-Recht nimmt sogar auf die besondere Lage neutraler Mitgliedstaaten Rücksicht, indem in Artikel 17 Absatz 1 EU-Vertrag ausdrücklich festgehalten wird: «Die Politik der Union (...) berührt nicht den besonderen Charakter der Sicherheitsund Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten.» An der Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit unserer Neutralitätspolitik würde sich auch bei einem EU-Beitritt nichts ändern. Die Schweiz könnte als EU-Mitglied im Wesentlichen jene Neutralitätspolitik weiterführen, die sie seit dem Ende des OstWest-Konfrontation in Europa praktiziert. Wie dies bereits heute der Fall ist, würde die Schweiz somit Wirtschaftssanktionen der EU grundsätzlich mittragen, wenn die konkrete Massnahme dem internationalen Frieden oder der Verhinderung oder Ahndung einer schweren Völkerrechtsverletzung dient. Die Mitwirkung an diesen Massnahmen widerspiegelt unsere überlappenden sicherheits- und aussenpolitischen Interessen sowie die enge wirtschaftliche Verflechtung der Schweiz mit der EU. Im Bereich Exportkontrollen für Rüstungsmaterial, besondere militärische Güter und Dual-use-Güter strebt die Schweiz womöglich bereits heute eine Harmonisierung ihrer Bestimmungen mit der EU an. Exportkontrollen sind ebenso wie Wirtschaftsmassnahmen nur dann effizient, wenn sie international abgesprochen und harmonisiert sind.

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Ein EU-Beitritt bedeutet indessen eine gegenseitige politische Verpflichtung, alle Anstrengungen zur Stärkung der Sicherheit der Union und ihrer Mitglieder zu unterstützen. Loyalität und Solidarität zwischen den EU-Mitgliedern sind Grundregeln, die auch für das Streben nach mehr Sicherheit gelten. Sollte sich eines Tages ein tragfähiges Sicherheitsdispositiv im Rahmen der Europäischen Union bewähren, das der Schweiz mehr Sicherheit bieten würde als die Neutralität, so könnte die Schweiz zu Gunsten eines solchen Sicherheitssystems auf ihre Neutralität verzichten. Diesen Entscheid würde die Schweiz in jedem Falle autonom treffen können.

Auf Wunsch der neutralen EU-Mitglieder Finnland und Schweden wird es allen Mitgliedstaaten der EU mit der jüngsten Vertragsrevision möglich sein, über friedensunterstützende Aktionen (Katastrophenhilfe, humanitäre Operationen, militärische Friedensunterstützung) im Rahmen der EU zu beschliessen. Die Teilnahme an solchen Operationen ist für EU-Staaten, die nicht WEU-Mitglieder sind, freiwillig.

Die Schweiz könnte als EU-Mitglied, und selbst als WEU-Beobachterin, folglich frei entscheiden, ob und wenn ja in welcher Form sie sich an solchen Friedensoperationen beteiligen möchte. Solche Aufgaben stehen auch im Zentrum der Partnerschaft für den Frieden mit der NATO, an der sich die Schweiz seit 1996 beteiligt.

Als Nichtmitglied der EU bliebe der Schweiz einerseits ein etwas grösserer aussenpolitischer Spielraum erhalten. Anderseits entginge ihr der Sicherheitsgewinn durch eine Mitgliedschaft und die Möglichkeit, die aussen- und sicherheitspolitische Plattform, welche die EU gegenwärtig schafft, mitzugestalten, zu nutzen und für ihre Anliegen einzusetzen. Dies wäre insofern nachteilig, als die Schweiz und die EU in vielen Bereichen gleiche aussen- und sicherheitspolitische Ziele verfolgen. Die Möglichkeiten zur Kooperation wären weiterhin fallweise abzuklären.

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Auswirkungen auf die Bereiche Justiz und Inneres

Die Schweiz ist eine Insel inmitten der EU, was gerade im Bereich der inneren Sicherheit negative Konsequenzen hat, ist sie doch von der Sicherheitszusammenarbeit im Rahmen von Schengen bzw. der EU ausgeschlossen. Um eine Marginalisierung bei der europäischen Sicherheitszusammenarbeit zu verhindern, hat die Schweiz seit 1995 mit allen Nachbarstaaten bilaterale Verhandlungen aufgenommen, um die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit zu verstärken und auf neue Grundlagen zu stellen. Zudem sollten die Abkommen über die Rückübernahme von illegal Eingereisten den aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Entsprechende Abkommen mit Frankreich und Italien konnten bereits ratifiziert werden, mit Deutschland und Österreich wurden die Abkommen im April 1999 unterzeichnet.

Alle diese Bemühungen werden es der Schweiz allerdings noch nicht gestatten, in das eigentliche Kooperationssystem der Schengener bzw. der EU-Staaten eingebunden zu werden. Von der bilateralen Zusammenarbeit ausgeschlossen bleiben insbesondere die Grenzkontrollen, die Visumpolitik, die Asylpolitik sowie ein Anschluss an das Schengener Informationssystem. Diese Bereiche können von den einzelnen Schengener bzw. EU-Mitgliedstaaten nicht zum Gegenstand von bilateralen Abkommen mit der Schweiz gemacht werden. Damit verknüpfen sich gewichtige Nachteile. Für die Gewährleistung der inneren Sicherheit wäre ein möglichst homogener grenzüberschreitender Sicherheitsraum von wesentlicher Bedeutung.

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Die Bemühungen der Schweiz, mindestens partiell an der multilateralen europäischen Sicherheitszusammenarbeit teilzunehmen, führten trotz intensiver Anstrengungen bisher nicht zum vollen Erfolg. So versuchte die Schweiz z. B. Verhandlungen über ein Parallelabkommen zur Dubliner Konvention aufzunehmen, mit Europol zusammenzuarbeiten und sondierte sogar die Möglichkeit einer institutionalisierten Zusammenarbeit mit der Schengener Gruppe, insbesondere im Bereich der Visumpolitik, der Grenzkontrollen, der konsularischen Zusammenarbeit und des Schengener Informationssystems.

Ein EU-Beitritt würde für die Bereiche Justiz und Inneres die Übernahme des EUacquis bedeuten. Damit könnten z. B. unsere sicherheits- und migrationspolitischen Interessen gewährleistet werden. Die Schweiz könnte ihre Mittel bei der Bekämpfung der Ursachen von Migrationsbewegungen in enger Kooperation mit den anderen EU-Staaten einsetzen. So erhielte sie z. B. Zugang zu den einschlägigen Rechtsinstrumenten der EU und würde in die Zuständigkeitsordnung des Dubliner Erstasylabkommens eingebunden. Dies würde aber ebenfalls bedeuten, dass die Schweiz keine Personenkontrollen an den Grenzübergängen zu den EU-Mitgliedstaaten (EUBinnengrenzen) mehr vornimmt. Bestehen bleiben würden die Aussengrenzkontrollen an den internationalen Flughäfen, soweit es um Kontrollen von Einreisen aus Nicht-EU/EWR-Staaten geht. Einer uneingeschränkten Beteiligung an Europol würde nichts entgegenstehen.

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Sicherheitspolitische Auswirkungen eines UNO-Beitritts

Mit dem Beitritt der Schweiz zur UNO würde unser Land Mitglied mit allen Rechten und Pflichten. Die Schweiz könnte somit auch in Sicherheitsfragen mitentscheiden. Mitglied sein heisst aber auch, die UNO-Charta anzunehmen und die Beschlüsse des Sicherheitsrates mitzutragen. Wirtschaftssanktionen müssten automatisch, als Rechtspflicht aus der Mitgliedschaft, umgesetzt werden und nicht mehr nur als Akt des autonomen Nachvollzugs. Was die militärischen Friedensoperationen betrifft, verpflichtet die blosse Mitgliedschaft keinen Staat, bewaffnete Truppen für friedenserhaltende Aktionen oder sonstige militärische Operationen zur Verfügung zu stellen. Hingegen entstünde für die Schweiz mit dem UNO-Beitritt eine finanzielle Verpflichtung für den obligatorischen Beitrag an das Budget der Friedensoperationen.

Als UNO-Mitglied hätte die Schweiz verbesserte Möglichkeiten in verschiedenen Bereichen. Sie könnte bei den Friedensmissionen mitbestimmen und erhielte die Möglichkeit vermehrter personeller Einsätze (Mitglieder von UNO-Missionen, Sonderrepräsentanten des Generalsekretärs und andere Emissäre für Gute Dienste). Sie hätte besseren Zugang zu den entsprechenden Schlüsselstellen der UNO. Die Schweiz könnte auch Mitglied des Sicherheitsrates werden und damit direkten Einfluss bei der Beschlussfassung über militärische Operationen, friedenserhaltende und -fördernde Massnahmen und Wirtschaftssanktionen erhalten. Mit der Schweiz vergleichbare Staaten der westlichen Wahlgruppe kamen bisher auf Grund des Rotationsprinzips durchschnittlich ein- bis zweimal innert rund 25 Jahren für eine zweijährige Amtsperiode zum Zug.

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6

Instrumente

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Aussenpolitik

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Sicherheitspolitischer Auftrag

Die Aussenpolitik ist ein zentrales Instrument zur aktiven Wahrnehmung unserer sicherheitspolitischen Interessen und zur Erreichung unserer sicherheitspolitischen Ziele. Sie trägt zur Förderung und nachhaltigen Sicherung des Friedens, zur Prävention von Konflikten und zur Bewältigung von Krisen bei, stärkt die Respektierung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und setzt sich für die Beachtung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts ein. In Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen wahrt sie die Interessen des Landes, fördert Massnahmen zur Erhöhung der militärischen Transparenz, engagiert sich zu Gunsten der Verhinderung und Kontrolle der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, weitreichenden Trägermitteln und kritischen Technologien und wirkt bei der Verifizierung abgeschlossener Vereinbarungen mit. Weiter unterstützt die Aussenpolitik die Entwicklungsländer sowie die Länder Osteuropas in ihrem Bestreben, die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerungen zu verbessern, und leistet bei Katastrophen oder bewaffneten Konflikten humanitäre Hilfe. Im Rahmen der Aussenpolitik wird eine Neutralitätspolitik verfolgt, die es der Schweiz ermöglicht, aktiv am Aufbau tragfähiger Sicherheitsstrukturen mitzuwirken.

Das Ende des Kalten Krieges hat die Bedeutung der Aussenpolitik als Teil unserer Sicherheitspolitik erhöht. Die Aussagen des Berichts des Bundesrates über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er-Jahren von 1993 und seines Anhangs zur Neutralität behalten ihre Gültigkeit.

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Friedensförderung, präventive Diplomatie und Krisenbewältigung

Aktionen zur nachhaltigen Friedensförderung werden in der Regel im Rahmen internationaler Organisationen unternommen, weil auf diese Weise die Beiträge einzelner Staaten vereint und aufeinander abgestimmt werden können. Die Schweiz unterstützt insbesondere die Massnahmen der OSZE und der UNO im Bereich der Friedensförderung, präventiven Diplomatie und Krisenbewältigung. Sie legt dabei ihren Schwerpunkt auf konkrete Beiträge, indem sie Experten und Wahlbeobachter zur Verfügung stellt, sich an Projekten zum Aufbau demokratischer Strukturen beteiligt und materielle sowie logistische Unterstützung leistet. Thematisch legt sie einen Schwerpunkt auf den Schutz von Minderheiten, etwa durch die Förderung freier Medien, die Stärkung von Lokalverwaltungen und des Justiz- und Polizeiwesens sowie Ausbildung.

Um die Wirksamkeit nichtmilitärischer Zwangsmassnahmen der UNO zu erhöhen und negative humanitäre Folgen zu mildern, setzt sich die Schweiz in Zusammenarbeit mit der UNO dafür ein, dieses Instrument dahingehend fortzuentwickeln, dass es gezielt gegen eine verantwortungslos handelnde Elite eingesetzt und von den Mitgliedstaaten effizient umgesetzt werden kann («Smart Sanctions»-Initiative).

Ergänzt werden die Beiträge zur Friedensförderung im Rahmen internationaler Organisationen durch bilaterale Anstrengungen. Die Schweiz beteiligt sich an Bemühungen zur friedlichen Lösung von Konflikten und konzentriert sich dabei auf die 7698

Förderung von Vertrauen und Dialog zwischen verfeindeten Parteien, auf Vermittlungsbemühungen, Aussöhnung und den Aufbau demokratischer Strukturen. Sie arbeitet dafür mit nichtstaatlichen Organisationen wie Hilfswerken, humanitären und Menschenrechtsorganisationen sowie wissenschaftlichen Institutionen zusammen.

Auch die schweizerische Kulturpolitik trägt dazu bei, das Verständnis zwischen verschiedenen kulturellen Gruppen zu fördern und schafft damit eine wichtige Grundlage für den Frieden.

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Menschenrechtspolitik

Frieden und Sicherheit können auf Dauer nur in einer Gemeinschaft von Staaten garantiert werden, die auch im Innern die Menschenrechte und Grundfreiheiten achten, den Vorrang des Rechtes vor politischer Willkür anerkennen und politische Macht demokratischer Kontrolle unterstellen. Die Förderung der Respektierung der Menschenrechte liegt darum auch in unserem eigenen sicherheitspolitischen Interesse. Es handelt sich dabei nicht um Einmischung in die inneren Angelegenheit anderer Staaten, weil die Menschenrechte Bestandteil des Völkerrechts und ihre Achtung ein berechtigtes Interesse der Völkergemeinschaft sind. Entsprechend setzt die Schweiz politische, diplomatische, rechtliche und wirtschaftliche Mittel ein, um die Achtung der Menschenrechte zu stärken oder Angriffen gegen diese entgegenzutreten. Dazu gehören insbesondere auch die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit und der Zusammenarbeit mit Osteuropa.

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Abrüstung und Rüstungskontrolle

Mit ihrer Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik unterstützt die Schweiz die Bemühungen zur Nichtweiterverbreitung bzw. vollständigen Vernichtung von Massenvernichtungswaffen nuklearer, biologischer und chemischer Art. In Bezug auf konventionelle Waffen fördert sie die Transparenz und setzt sich für stabile, ausgewogene Kräfteverhältnisse ein.

In diesem Bemühen ist die Schweiz allen ihr offen stehenden multilateralen Verträgen beigetreten. Sie fördert den Abschluss und die Einhaltung ausgewogener, nicht diskriminierender, universeller und überprüfbarer Abkommen. Sie nimmt aktiv an Verhandlungen in verschiedenen internationalen Foren teil, so etwa in der Abrüstungskonferenz, in der OSZE, in der Internationalen Atomenergie-Agentur, in der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, in der vorbereitenden Kommission der künftigen Organisation für das umfassende Verbot der Nuklearversuche, in der Sondergruppe der Mitgliederstaaten des Biologiewaffenübereinkommens sowie im Rahmen von Ad-hoc-Initiativen (z. B. im Rahmen des Ottawa-Prozesses, der 1997 zum Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personen-Minen und über deren Vernichtung geführt hat, oder im Bereich der Kleinkaliberwaffen).

Die Schweiz unterstützt im Rahmen der UNO und der OSZE auch die Bemühungen um Transparenz, die darauf abzielen, grössere Klarheit über die sicherheitspolitischen und militärischen Absichten und Handlungen von Staaten zu schaffen und damit die Risiken überraschender militärischer Aktivitäten zu verringern. Der Transparenz, der Verhinderung der Weiterverbreitung von Waffen und der Kon7699

trolle sowohl zivil als auch militärisch verwendbarer Technologie dient die Schweizer Teilnahme an verschiedenen Exportkontrollregimes (Gruppe der Nuklearlieferstaaten, Raketentechnologie-Kontrollregime, «Australien-Gruppe», Wassenaar-Vereinbarung).

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Humanitäres Völkerrecht

Das humanitäre Völkerrecht, das heisst die Gesamtheit der Regeln zur Sicherung der Respektierung und des Schutzes der menschlichen Person in bewaffneten Konflikten, besitzt im ­ staatlichen und privaten ­ Handeln der Schweiz auf internationaler Ebene schon seit langem einen besonderen Stellenwert. Oft wird es, in der Schweiz wie im Ausland, als integraler Teil der «schweizerischen Identität» aufgefasst.

Jenseits des vorrangigen Interesses an der Bewahrung gewisser grundlegender moralischer Werte ist das Engagement der Schweiz für das humanitäre Völkerrecht eng mit der Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit verbunden. Es liegt im wohlverstandenen Interesse der Staaten, dass das Verhalten der Streitkräfte bei Ausbruch eines bewaffneten Konflikts im Sinne eines minimalen Respekts für die menschliche Person geregelt ist. Wenn solche Regeln massiv und systematisch verletzt werden, besteht ein grosses Risiko, dass der betreffende Konflikt durch die ausgelösten Flüchtlingsströme die benachbarten Staaten destabilisiert. Das Ausbleiben der Bestrafung in grossem Massstab begangener Kriegsverbrechen trägt den Keim weiterer Konflikte und Verletzungen des humanitären Völkerrechts in sich.

Aus diesem Grunde unterstützt die Schweiz entschlossen den Aufbau eines internationalen Strafgerichtshofes.

Die gegenwärtige Entwicklung stellt das humanitäre Völkerrecht vor neue Herausforderungen, nicht nur mit dem Aufkommen neuer Waffen, sondern auch neuartiger Konflikttypen: Identitätskonflikte, Konflikte im Zusammenhang mit der Auflösung staatlicher Strukturen und Befehlsebenen und, vor allem, interne Konflikte, für welche das auf zwischenstaatliche Konflikte zugeschnittene humanitäre Völkerrecht ursprünglich nicht vorgesehen war. Gerade für die damit angesprochene Verstärkung dieser Regeln verfügt die Schweiz über eine grosse Erfahrung.

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Entwicklungszusammenarbeit, Zusammenarbeit mit Osteuropa und humanitäre Hilfe

Die Schweiz verfügt mit der Entwicklungszusammenarbeit, der Zusammenarbeit mit Osteuropa sowie der humanitären Hilfe über wichtige Instrumente, um Stabilität und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Einerseits wirken diese Instrumente mit langfristig ausgerichteten Massnahmen (technische Zusammenarbeit, Finanzhilfe, handels- und wirtschaftspolitische Massnahmen) stabilisierend, indem sie strukturelle Konfliktursachen wie Armut, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung oder schlechte Regierungsführung bekämpfen. Anderseits dienen sie dazu, in schwelenden Konflikten oder nach bewaffneten Auseinandersetzungen akutes Konfliktpotential abzubauen (humanitäre Nothilfe, Wiederaufbauhilfe, technische Zusammenarbeit, Finanzhilfe).

Entwicklungszusammenarbeit und die Zusammenarbeit mit Osteuropa sind auf die Bekämpfung von Konfliktursachen ausgerichtet (Generalprävention). Sie unterstüt7700

zen den Aufbau stabiler Strukturen und Rahmenbedingungen in den Partnerländern durch Beiträge zur wirtschaftlichen, sozialen, politischen und institutionellen Stabilität und zum Schutz der Umwelt. Zu den langfristig konfliktverhütenden Einsatzgrundsätzen der internationalen Zusammenarbeit gehören der konsequente Einbezug der betroffenen Bevölkerung in die Gestaltung aller Entwicklungsvorhaben, die Stärkung der Fähigkeit benachteiligter Bevölkerungsgruppen, ihre Anliegen geltend zu machen, und die Berücksichtigung der besonderen Rolle der Frau im Entwicklungsprozess.

Die Schweiz ist sich umgekehrt bewusst, dass Interventionen innerhalb einer Gesellschaft und eines Staatswesens auch negative Wirkungen auslösen können. Eine hohe diesbezügliche Sensibilität, gute Kenntnisse des lokalen Umfeldes und der Akteure sowie das Vertrauensverhältnis, das sich auf Grund der langfristigen Zusammenarbeit mit Partnern auf nationaler wie lokaler Ebene aufbauen lässt, vermindern dieses Risiko.

Zu den Massnahmen, welche die internationale Zusammenarbeit der Schweiz zum Abbau akuter Konfliktpotentiale ergreifen kann (Spezialprävention), gehören die Hilfe an Flüchtlinge und Vertriebene, Wiederaufbauhilfe, die Förderung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die Unterstützung von Reformen im Sicherheitssektor (z. B. Demobilisierung und Wiedereingliederung von Kämpfern, Polizeireformen), die insbesondere in Bezug auf Osteuropa wichtige Zusammenarbeit im polizeilichen Bereich sowie die Förderung lokal verankerter Formen der Konfliktbeilegung. Alle diese Massnahmen verlangen eine wirksame Koordination der zahlreichen Akteure vor Ort.

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Neutralitätspolitik

Unter die Neutralitätspolitik fallen all jene Massnahmen, welche die Schweiz aus eigenem Antrieb trifft, um die Glaubwürdigkeit ihrer Neutralität zu erhalten. Je nach aussenpolitischer Situation ist die Neutralität mehr oder weniger relevant. Die Neutralitätspolitik ist folglich, entsprechend dem aussen- und sicherheitspolitischen Umfeld, einem steten Wandel unterworfen: Während der Nachkriegszeit bis zum Ende des Kalten Krieges führte die Schweiz eine sehr zurückhaltende Neutralitätspolitik. Die mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes verbundenen epochalen Umwälzungen schufen die Voraussetzungen für eine Kurskorrektur. Diese wurde nicht zuletzt deshalb notwendig, weil die Neutralität als Mittel zur Bewältigung der Gefahren und Risiken zusehends an Bedeutung eingebüsst hat.

Als neutraler Staat mitten in Europa haben wir traditionell eine stabilisierende und friedensstiftende Funktion erfüllt. Unsere Verpflichtung als dauernd neutraler Staat, schon in Friedenszeiten dafür besorgt zu sein, nicht in einen internationalen Konflikt hineingezogen zu werden, erfordert heute ein ausgreifendes und gemeinsames vorbeugendes Handeln. Der Lösungsansatz liegt in einer partizipativen Politik, die es uns erlaubt, aktiv und solidarisch am Aufbau tragfähiger Sicherheitsstrukturen mitzuwirken und die bilaterale Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten zu intensivieren. Die neutralitätspolitischen Handlungsspielräume müssen zu diesem Zweck konsequent genutzt werden. Die Zusammenarbeit der Schweiz in der OSZE, in der Partnerschaft für den Frieden und im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat kann aus neutralitätspolitischer Sicht unbedenklich weiter ausgebaut und verfestigt werden.

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Eine passive oder aktive Unterstützung internationaler Massnahmen unter Anwendung von Gewalt, in Europa oder anderswo, kommt für die Schweiz nur dann in Frage, wenn sich solche Massnahmen auf eine klare völkerrechtliche Rechtsgrundlage abstützen.

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Armee

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Sicherheitspolitischer Auftrag

Der Auftrag der Armee umfasst Beiträge zur internationalen Friedensunterstützung und Krisenbewältigung, die Raumsicherung und Verteidigung sowie subsidiäre Einsätze zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren.1 Alle drei Teilaufträge sind von zentraler Bedeutung für die Sicherheit der Schweiz.

Mit einer angemessenen Beteiligung an internationalen Bemühungen um Friedensunterstützung und Krisenbewältigung wird die Armee zu einem zentralen Instrument ausgreifender schweizerischer Interessenwahrung und Solidarität in dem für unsere Sicherheit relevanten strategischen Umfeld. Darunter fallen die Entsendung von Militärpersonal und Truppenkontingenten zur Stabilisierung und internationalen Krisenbewältigung im Rahmen von völkerrechtlich legitimierten Mandaten und die Vorbereitung auf solche Einsätze im multinationalen oder bilateralen Verbund mit anderen Streitkräften. Über die Beteiligung an solchen Einsätzen, über ihre Art und Dauer sowie über die Einsatzregeln entscheidet in jedem Fall der Bundesrat nach Anhörung der Armeeführung. Sie bedürfen der nachfolgenden Zustimmung des Parlaments.

Der Auftrag der Armee zur Raumsicherung und Verteidigung besteht im Schutz von Volk und Staat gegen Gewaltanwendung strategischen Ausmasses. Bereits unterhalb der Kriegsschwelle schützt die Armee strategisch wichtige Räume und Installationen und trägt damit zu Sicherheit und Stabilität im Inland und in unserem Umfeld bei.

Wird die Schweiz militärisch bedroht, verteidigt die Armee Bevölkerung, Territorium und Luftraum und verschafft der Regierung ein Maximum an Handlungsfreiheit.

Sofern notwendig, wird sie von den Bundesbehörden ermächtigt, die Verteidigung auch im Verbund mit anderen Staaten sicherzustellen.

Der Beitrag der Armee zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren besteht in ihrer Mitwirkung bei der Katastrophenhilfe, Unterstützungseinsätzen (z. B.

Betreuung), und Sicherungseinsätzen (z. B. Objektschutz, Entlastung von Polizei bzw. Grenzwachtkorps). Die geeigneten Mittel der Armee werden in all diesen Fällen subsidiär, unter der Einsatzverantwortung der zivilen Behörden und in erster Linie dann eingesetzt, wenn die zivilen Mittel nicht ausreichen oder wenn eine Schwergewichtsaufgabe ansteht. In diesem Rahmen wird die Armee zu einem Teil der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation.
Damit vollzieht die Armee den Übergang von der Strategie der Abhaltewirkung durch Verteidigungs- und Durchhaltefähigkeit (Dissuasion) zu einer Mehrfachstrategie der Kooperation, einerseits im Rahmen des sicherheitspolitischen Instrumenta1

Diese Reihenfolge der Armeeaufträge weicht von der Reihenfolge der strategischen Aufträge, die sich auf die Gesamtheit der sicherheitspolitischen Instrumente beziehen (Ziff. 511), ab. Der Grund dafür liegt darin, dass der Auftrag «Beitrag zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren» von der Armee ­ im Gegensatz zu den anderen zwei Aufträgen ­ subsidiär wahrgenommen wird.

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riums im Inland und anderseits mittels wechselseitiger Verstärkung der Sicherheitsdispositive mit Partnerstaaten und Stabilisierungsanstrengungen im gemeinsamen strategischen Umfeld. Zusätzlich nimmt sie permanent alle Aufgaben der Raumsicherung wahr und hält sich bereit, bei sich abzeichnender erhöhter militärischer Bedrohung des Landes ihre Verteidigungsfähigkeit zu steigern. Gleichzeitig bereitet sich die Armee auf eine noch weitergehende Zusammenarbeit mit ausländischen Streitkräften vor. Eine solche kann notwendig werden, wenn sich die politischmilitärischen Verhältnisse grundlegend ändern.

Diese auf hoher Eigenleistung und Kooperationsfähigkeit beruhende neue Konzeption ist die Konsequenz aus der gegenwärtig und mittelfristig absehbaren europäischen Sicherheitslage, die zunehmend durch grenzüberschreitende und im Alleingang nicht mehr abwendbare Risiken und Gefahren gekennzeichnet ist.

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Umsetzung des Auftrags

Grundsätze und Voraussetzungen Die Armee ist das Machtmittel des Bundes zur verfassungsmässigen Gewährleistung von Selbstbestimmung und Verteidigung des Landes. Als demokratisch legitimierte und politisch kontrollierte Institution leistet sie auf Grund ihrer Präsenz und ihrer Fähigkeiten massgebliche Beiträge für Frieden, Sicherheit und Stabilität. Grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert, stärkt die Armee den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die Erfüllung ihres dreiteiligen Auftrags erfordert eine solide militärische Grundausbildung aller Armeeangehörigen, ebenso eine Verbesserung ihrer Multifunktionalität, der Interoperabilität in der internationalen Kooperation sowie weitgehende Struktur- und Qualitätsanpassungen; sie hängt nicht zuletzt von den der Armee zur Verfügung gestellten Ressourcen ab.

Multifunktionalität bedeutet konsequente Ausrichtung auf die Bewältigung mehrerer und unterschiedlicher Aufträge. Die Armee als Ganzes ist multifunktional. Hingegen ist auf Stufe Verband und für die einzelnen Angehörigen der Armee eine das gesamte Aufgabenspektrum abdeckende Multifunktionalität weder möglich noch notwendig.

Mit dem Aufbau der Interoperabilität schafft die Armee die notwendige Voraussetzung zur multinationalen Zusammenarbeit. Sie erwirbt und festigt diese Fähigkeit durch die Anpassung ihrer Gliederung, Struktur, Ausrüstung und Ausbildung der Stäbe, im Rahmen von gemeinsamen Truppenübungen der Partnerschaft für den Frieden sowie auf Grund ihrer Erfahrungen in Ernstfall-Einsätzen.

Bedrohungslage und Technologieentwicklung gestatten, die Armee zahlenmässig weiter zu verringern. Gleichzeitig wird aber ein Teil der Armee in einer höheren Bereitschaft als bisher stehen, um im Rahmen der Friedensunterstützung und Krisenbewältigung, der Raumsicherung und der Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren nach kurzer Vorbereitung eingesetzt zu werden. Teile der Armee mit einer erhöhten Bereitschaft bestehen mehrheitlich aus längerdienenden Wehrpflichtigen sowie aus Berufspersonal. Die Fähigkeit zu einem raschen Einsatz erhält die Armee durch eine kontinuierliche strategische Lagebeurteilung, eine entsprechende mehrstufige Aufwuchsfähigkeit sowie durch eine zeitgerechte politische Entscheidung, diesen Aufwuchs vorzunehmen.

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Die Armee wird bezüglich Ausrüstung und Ausbildung kontinuierlich modernisiert.

Es müssen, zumindest für Teile der Armee, Waffensysteme und Geräte beschafft werden, die interoperabel sind und im europäischen Vergleich modernsten technologischen Anforderungen entsprechen.

Rüstung Die Rüstungsbeschaffung hat sich darauf auszurichten, der Armee das für die Erfüllung ihres sicherheitspolitischen Auftrags erforderliche Material in ausreichender Menge und Qualität zeitgerecht zur Verfügung zu stellen. Rüstungsbeschaffungen sind langfristig angelegt und verlangen Kontinuität und Konstanz in der Planung.

Der Beschaffungsumfang richtet sich nach den bei der Armee in Betrieb stehenden Gesamtsystemen und der definierten Aufwuchsfähigkeit.

Unser industrielles Potential erlaubt es, Waffen und Ausrüstung mit einer hohen Autonomie zu unterhalten. In ausgewählten Bereichen wird das für Unterhalt, Kampfwerterhaltung, Kampfwertsteigerung und Entsorgung erforderliche industrielle Wissen und Können sichergestellt. Im Munitionsbereich wird eine angemessene Fertigungskapazität aufrechterhalten.

Kosten-Nutzen-Betrachtungen über die gesamte Lebensdauer erhalten bei der Beurteilung von Beschaffungsvorhaben noch stärkeres Gewicht. Die Beschaffungen sollen einen breit abgestützten Wettbewerb zulassen und Lösungen anstreben, die sowohl erprobt wie auf dem Markt erhältlich sind. Die technischen Komponenten sollen handelsüblichen und internationalen Standards entsprechen.

Internationale Kooperationen auf Firmenebene und ein intensiver Erfahrungsaustausch im Gesamtbereich der Rüstung sind für die Erhaltung der Glaubwürdigkeit der Armee wichtig, indem sie den Erhalt eigener industrieller Fähigkeiten auf einem konkurrenzfähigem Niveau und ein effektives und effizientes Rüstungsmanagement ermöglichen.

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Von der Armee zu erbringende Leistungen

Beiträge zur internationalen Friedensunterstützung und Krisenbewältigung Die Armee ist in der Lage, den Auftrag Friedensunterstützung und Krisenbewältigung zu erfüllen, indem sie in einem Krisengebiet, vor allem in Europa und in Kooperation mit anderen Streitkräften, modulartig aufgebaute Verbände nach kurzer Vorbereitung über längere Zeit einsetzen kann.

Zu diesem Zweck wird die Armee ihre Fähigkeit zur internationalen Sicherheitskooperation in den nächsten Jahren konsequent weiterentwickeln, indem sie ihre Aktivitäten im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden mittels multinationaler Stabsund Truppenübungen und bei ähnlichen bilateralen Gelegenheiten intensiviert. Sie beteiligt sich auf Grund eines vom Parlament zu billigenden Entscheids des Bundesrates, nach Massgabe unserer Sicherheitsinteressen und nach dem Stand ihrer jeweiligen Bereitschaft, an Friedensunterstützungsaktionen der Staatengemeinschaft (Peace support operations). Die dafür bestimmten Verbände werden für die Erfüllung ihres jeweiligen Auftrages nach Bedarf zusätzlich ausgebildet sowie angemessen bewaffnet und ausgerüstet.

Zur Wahrung schweizerischer Interessen wird die Armee ferner in Rüstungskontroll-, Abrüstungs- und Nonproliferationsverhandlungen zu weiterer Transparenz, 7704

Berechenbarkeit und Verifikation militärischer Aktivitäten und Potentiale beitragen.

Sie wird Bemühungen zur Proliferationskontrolle unterstützen sowie Projekte zur besseren Verankerung des humanitären Kriegsvölkerrechts und der demokratischen Kontrolle von Streitkräften fördern. Ferner stellt sie Ausbildungskapazität, Fachkenntnisse und Material für Verifikationseinsätze zur Verfügung. Die von der Schweiz bisher angebotene PfP-Ausbildungskapazität wird erweitert.

Raumsicherung und Verteidigung Die Armee ist fähig, den Auftrag Raumsicherung und Verteidigung zu erfüllen, indem sie gleichzeitig und nach kurzer Vorbereitung mehrere Raumsicherungseinsätze durchführen kann, wie: Kontrolle und Schutz des Luftraums, Sicherung grösserer Grenzabschnitte, Schutz von Schlüsselräumen, Offenhalten von Transversalen (Strasse, Schiene, Energieträger, Übermittlungsstränge) sowie Schutz von Alarm-, Informations- und Führungseinrichtungen. Militärische Angriffe wehrt die Armee aus eigener Kraft oder im Rahmen einer von den Bundesbehörden bewilligten Koalition ab. Sie kontrolliert den Luftraum permanent, wahrt die Lufthoheit, verteidigt den Luftraum und kooperiert für diese Aufgaben, soweit nötig und neutralitätsrechtlich möglich, bereits im Frieden mit Partnerstaaten.

Beiträge zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren Die Armee ist in der Lage, ihren Auftrag im Rahmen der Prävention und der Bewältigung existenzieller Gefahren zu erfüllen, indem sie nach kurzer Vorbereitung gleichzeitig mehrere subsidiäre Einsätze über längere Zeit durchführen kann. Dabei liegt die Einsatzverantwortung bei den zivilen Behörden. Im Inland leistet die Armee solche Einsätze im Rahmen der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation.

Sie stützt die Handlungsfähigkeit der politischen Behörden, sichert wichtige Räume, Orte und lebenswichtige Einrichtungen, schützt die Bevölkerung vor massiver Gewalt und leistet Hilfe bei Katastrophen und anderen Notlagen. Im Vordergrund stehen subsidiäre Sicherungseinsätze. Sie dienen in erster Linie der Entlastung und Unterstützung der Polizeikorps. Bei grossräumigen, die Bevölkerung schwerwiegend treffenden Ereignissen wird auch künftig militärische Katastrophenhilfe nötig sein.

International leistet die Armee Katastrophenhilfe vor allem im Rahmen der Rettungskette Schweiz. Sie hält sich ferner bereit, am Schutz schweizerischer Staatsbürger und Einrichtungen im Ausland mitzuwirken.

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Bevölkerungsschutz

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Sicherheitspolitischer Auftrag

Der Bevölkerungsschutz ist eine zivile Struktur für Führung, Schutz und Hilfe in besonderen und ausserordentlichen Lagen. Er schützt die Bevölkerung, ihre Lebensgrundlagen und Kulturgüter bei natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen und in anderen Notlagen sowie bei machtpolitischen Bedrohungen und bewältigt Ereignisse vor allem mit modulartig aufgebauten Mitteln der Kantone, der Gemeinden und privater Institutionen. Er ist Teil der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation. Im grenznahen Ausland kann, gestützt auf bilaterale Abkommen, mit Mitteln des Bevölkerungsschutzes Katastrophenhilfe geleistet werden. International

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trägt der Bevölkerungsschutz auch im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden zur Krisenbewältigung bei.

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Organisation und Wirkungsweise

Der Bevölkerungsschutz deckt auf Ebene Kanton und Gemeinde folgende Aufgabenbereiche ab: Rettung und Brandbekämpfung sowie Instandstellung, Sicherstellung der technischen Infrastruktur, Schutz und Betreuung, Gesundheit und Sanität sowie Logistik. Diese Aufgaben werden in erster Linie eigenverantwortlich durch die in der normalen Lage vorhandenen Mittel wahrgenommen: Feuerwehr, technische Werke oder Betriebe, öffentliches Gesundheitswesen und sanitätsdienstliches Rettungswesen sowie logistische Elemente. Dazu kommen Mittel für den Schutz und die Betreuung der Bevölkerung sowie für den Schutz von Kulturgütern.

Bei Grossereignissen, bei Katastrophen und im Falle bewaffneter Konflikte treten auf der Stufe Kanton, Region und Gemeinde politisch legitimierte und sachlich zuständige Führungsorgane in Aktion. Diese sind den einzelnen Mitteln übergeordnet, stellen die Verbindung zu vorgesetzten Behörden, zu benachbarten Stellen sowie zur Verwaltung sicher und koordinieren den Einsatz der Mittel. Den Führungsorganen stehen Elemente der Führungsunterstützung zur Verfügung, z. B. für die Information, für die Alarmierung und die Verbreitung von Verhaltensanweisungen an die Bevölkerung, für das Lagewesen, die Übermittlung und den AC-Schutz. In besonderen und in ausserordentlichen Lagen werden auch Mittel der Polizei zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung in diesem Rahmen eingesetzt.

Die Struktur des Bevölkerungsschutzes ermöglicht im Einsatzfall einen modulartigen Aufbau. Dies gilt sowohl für die Führungsorgane und die Führungsunterstützung als auch für die Mittel der einzelnen Aufgabenbereiche sowie für die bereichsübergreifende Kooperation. Die Mittel des heutigen Zivilschutzes werden in den Bevölkerungsschutz integriert. Auch private Institutionen werden einbezogen; vor allem im Bereich Gesundheit und Sanität. Beim Aufbau ist von der normalen Lage auszugehen; sodann sind Grossereignisse, schliesslich Katastrophen und bewaffnete Konflikte zu berücksichtigen. Die Bewältigung von Katastrophen und Notlagen bildet das Einsatz- und demzufolge das Ausbildungsschwergewicht. In Bezug auf machtpolitische Bedrohungen werden aus der gegenüber früher wesentlich erhöhten Vorwarnzeit Folgerungen für die Bereitschaft der Mittel gezogen.

Für alle im Bevölkerungsschutz zusammengefassten Mittel liegt die Zuständigkeit
grundsätzlich bei den Kantonen. Sie sind verantwortlich für die Führungsorganisation und die Bereitschaft der Mittel. Der Bund regelt in seiner Gesetzgebung grundsätzliche Fragen (z. B. die Dienstpflicht). In bestimmten Bereichen legt er einheitliche Normen fest (z. B. bei den Schutzbauten) oder wirkt er mit (z. B. in der Ausbildung).

Die Koordinations- und Führungsebene Bund kommt dann zum Tragen, wenn mehrere Kantone, das ganze Land oder das benachbarte Ausland in einer Art betroffen sind, die eine übergeordnete Führung erfordert. Erdbeben, Verstrahlungslagen, Migrationsprobleme, Epidemien und Tierseuchen stehen dabei im Vordergrund, vor allem aber der bewaffnete Konflikt.

Damit der Bevölkerungsschutz seine optimale Wirkung erzielen kann, ist er in der Lenkungsgruppe Sicherheit (vgl. Kapitel 81) vertreten und somit über die Entwick7706

lung von Bedrohungen und Gefahren laufend informiert. Damit sind auch die Voraussetzungen gegeben für die rechtzeitige Warnung der Führungsorgane, für die situationsgerechte Alarmierung der Bevölkerung, für die Sicherstellung der differenzierten Einsatzbereitschaft der benötigten Mittel und für die Kooperation mit anderen Bereichen.

Im Hinblick auf Drohungen mit Massenvernichtungswaffen und für den Fall bewaffneter Konflikte wird die Schutzinfrastruktur grundsätzlich erhalten. Dies gilt insbesondere bezüglich der Schutzräume für die Bevölkerung. Zudem werden das vorhandene Netz zur Alarmierung und zur Verbreitung von Verhaltensanweisungen sowie die Übermittlungssysteme auf einen modernen technischen Stand gebracht.

64

Wirtschaftspolitik

641

Sicherheitspolitischer Auftrag

Die Wirtschaftspolitik stärkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Volkswirtschaft und trägt dadurch wesentlich zum Wohlstand und zur politischen Stabilität des Landes bei. Dabei soll ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum gefördert werden, das namentlich die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, die Berücksichtigung der Umwelt und die Sicherstellung des sozialen Ausgleichs und damit des gesellschaftlichen Zusammenhangs einschliesst.

Die Wirtschaftspolitik fördert generell den Wirtschaftsstandort Schweiz in seiner Attraktivität für Investitionen. Sie wird dabei durch die Nationalbank mit einer stabilitätsorientierten Geld- und Währungspolitik unterstützt. Die Aussenwirtschaftspolitik im Speziellen sorgt über die Öffnung der Märkte für eine Diversifikation bei der Herkunft und Destination der Exporte und Importe. Sie schafft damit günstige Voraussetzungen für die Versorgung der Schweiz in ausserordentlichen Lagen. Indem sich Handel in aller Regel zum wechselseitigen Vorteil der beteiligten Staaten auswirkt, verringert die Aussenwirtschaft zudem das wirtschaftliche Gefälle als eine wesentliche Quelle sicherheitspolitischer Probleme.

Die Wirtschafts- und namentlich die Aussenwirtschaftspolitik erfüllen damit auch spezifisch sicherheitspolitische Aufgaben. Sie fördern globale Stabilität durch die Vertiefung der internationalen Wirtschaftszusammenarbeit, die Sicherung eines offenen Welthandelssystems und die Verbesserung des Marktzuganges, namentlich auch für Entwicklungs- und Transitionsländer, und durch die Unterstützung internationaler vertraglicher Vereinbarungen und Schiedsgerichte zur Vermeidung oder Beilegung von Streitigkeiten wirtschaftlicher Natur.

642

Organisation und Wirkungsweise

Mit der Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung und des weltwirtschaftlichen Beziehungsgeflechts sind neue Risiken und Abhängigkeiten entstanden, welche die Sicherheit unseres Landes gefährden können und deren Bewältigung nach neuen Instrumenten verlangt. So sind als Folge der Mexiko-Krise und der Ostasien-Krise von 1998 die zwischenstaatlichen Bestrebungen zur Korrektur von Gleichgewichtsstörungen bzw. zur Festlegung berechenbarer Rahmenbedingungen für die Weltwirtschaft verstärkt worden. Die Schweiz unterstützt diese Bestrebungen als Mitglied 7707

internationaler Organisationen, z. B. in der WTO, in der OECD, im Internationalen Währungsfonds oder in der Weltbank.

Das rasante Wachstum der Weltwirtschaft macht eine nachhaltige Nutzung der vorhandenen Ressourcen notwendig und verstärkt den Druck, durch harmonisierte Massnahmen auf globaler Ebene das ökologische Gleichgewicht zu erhalten. Die Schweiz unterstützt solche Bemühungen, z. B. zum Schutz unserer Atmosphäre, zur Erhaltung der biologischen Vielfalt oder zur Kontrolle von Transfers von gefährlichen Abfällen.

Von der Globalisierung der Märkte ist auch die Rüstungsindustrie betroffen. Die Konzentration auf dem Rüstungsmarkt und die internationale Arbeitsteilung sind in den letzten Jahren markant fortgeschritten. Parallel dazu ist der internationale Druck zu Gunsten einer Harmonisierung und grösseren Transparenz im Bereich der Kontrolle des Rüstungshandels gewachsen. Solche Kontrollen wurden zudem auf den Bereich der strategisch heiklen Güter ausgeweitet. International harmonisierte Exportkontrollen für zivil und militärisch verwendbare Güter sind heute ein wichtiges Instrument im Kampf gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Ganz generell setzt sich die Schweiz überall dort, wo der freie Handel durch sicherheitspolitisch bedingte Massnahmen eingeschränkt wird, dafür ein, dass die getroffenen Massnahmen so effizient wie möglich sind, dass sie nicht diskriminierend umgesetzt werden und nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

Eine friedensfördernde Wirtschaftspolitik legt schliesslich die Fortsetzung der Annäherung an die EU nahe. Die Integration in Europa bleibt für die Schweiz unabdingbar, um unserer Wirtschaft Stabilität und Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern. In einer globalisierten Wirtschaft mit wenigen mächtigen Wirtschaftsblöcken kann ein Abseitsstehen die Schweiz für wirtschaftliche Druckversuche aller Art verwundbar machen. Dies gilt ebenfalls im Bereich der Währungs- und Finanzpolitik, wo durch die fortschreitende Integration Europas und die Einführung des Euro Herausforderungen für eine stabilitätsorientierte Geld- und Währungspolitik auf die Schweiz zukommen. Allerdings leiten nicht nur Kosten-Nutzen-Erwägungen, sondern auch gemeinsame Wertvorstellungen und Solidarität die schweizerische Politik.

So muss die Schweiz am zentralen Anliegen der dauerhaften Friedenssicherung in Europa mitarbeiten, z. B. mit der Fortsetzung der technischen und finanziellen Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas.

65

Wirtschaftliche Landesversorgung

651

Sicherheitspolitischer Auftrag

Die wirtschaftliche Landesversorgung ist Teil der Wirtschaftspolitik. Angesichts der hohen Auslandabhängigkeit der Schweiz bei Rohstoffen und Energieträgern, der insgesamt unzureichenden eigenen Ernährungsbasis und des fehlenden Zuganges zu den Weltmeeren ist es ihre Aufgabe, die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen für den Fall sicherzustellen, dass die Wirtschaft auf Grund äusserer Umstände dazu nicht mehr selber in der Lage ist. Als Folge des verschärften internationalen Wettbewerbs wird in Handel, Industrie und Landwirtschaft nur noch ein Minimum an Vorräten gehalten. Das Schwergewicht des Auftrags der wirtschaftlichen Landesversorgung liegt deshalb bei der Behebung von Versorgungsstörungen, die durch wirtschaftliche, politische und technische Ursa-

7708

chen, Sabotage- und Terrorakte oder durch Naturkatastrophen hervorgerufen werden. Die Versorgungssicherung für den Fall eines die Schweiz direkt berührenden Krieges oder gar einer Umzingelung ist entsprechend den längeren Vorwarnzeiten in den Hintergrund getreten.

652

Organisation und Wirkungsweise

Die Versorgung des Marktes ist Sache der Wirtschaft. Das gilt nicht nur für normale Zeiten, sondern ebenso im Fall einer Krise, da der Staat in der Regel weder Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs produziert, noch selber deren Verteilung vornimmt. Er greift nur dann subsidiär ein, wenn die Voraussetzungen für ein ordnungsgemässes Funktionieren der privaten Wirtschaftsstrukturen nicht mehr gegeben sind und dadurch die Gefahr einer schweren Versorgungsstörung droht. Durch gezielte Eingriffe schafft er Rahmenbedingungen, die es der Wirtschaft erlauben, eine möglichst ausgewogene Versorgung auf reduziertem Niveau zu gewährleisten, so dass keine wirtschaftlichen Ungleichgewichte und sozialen Spannungen entstehen.

Die ordnungspolitischen Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Versorgungssicherung verlangen die Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft, die sich im besonderen Milizsystem der wirtschaftlichen Landesversorgung widerspiegelt. Diese Organisation umfasst auf Bundesebene neben einem kleinen ständigen Stab von Beamten auch Vertreter der Wirtschaft. Beim Vollzug von umfangreicheren Massnahmen, die den Konsumenten unmittelbar betreffen, wirken Organe der Kantone und Gemeinden mit, die ihrerseits teilweise ebenfalls nach dem Milizsystem organisiert sind.

Das Schwergewicht der Tätigkeit der wirtschaftlichen Landesversorgung liegt in Zeiten ungestörter Versorgung bei der laufenden Lagebeurteilung in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, der Sicherstellung einer angemessenen Vorratshaltung an lebenswichtigen Gütern (Pflichtlagerhaltung), der Sicherstellung sensibler Transportmittel und -wege, der Sicherung von Kommunikationsmöglichkeiten, der Freistellung unentbehrlicher Arbeitskräfte von Armee und Bevölkerungsschutz sowie bei der Vorbereitung von Bewirtschaftungsmassnahmen zur Bewältigung von Versorgungsstörungen (Krisenmanagement). Im Fall einer Krise gilt es, Angebot und Nachfrage mit möglichst differenzierten Eingriffen wieder in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Bei Störungen der Güterversorgung werden auf der Angebotsseite in erster Linie Pflichtlager zur Behebung von Versorgungslücken herangezogen. Gleichzeitig wird der Import gefördert. und schliesslich wird eine Anpassung der Inlandproduktion angestrebt, wo die Voraussetzungen dafür bestehen. Einschränkungen des Konsums kommen
hingegen nur bei einer Unterversorgung von einem bestimmten Ausmass in Frage. Ziel dieser Versorgungspolitik ist angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage nicht die Erreichung einer weitgehenden Versorgungsautonomie, sondern die Überwindung sektorieller Versorgungsengpässe.

Durch die zunehmende Globalisierung der Märkte und die weltweite Arbeitsteilung erhalten Versorgungskrisen immer häufiger eine internationale Dimension. Die Einbindung der Schweizer Wirtschaft in die globalen Märkte verlangt somit eine Krisenbekämpfung auf internationaler Ebene, wo immer dies möglich ist. Eine solche ist zurzeit aber nur im Mineralölbereich institutionalisiert, für den die Internationale Energieagentur (IEA), eine autonome Organisation der OECD, das entsprechende Forum bietet.

7709

Ansätze für gemeinsame Anstrengungen in der zivilen Versorgungssicherung zeichnen sich auch im Rahmen des zivilen Teils der Partnerschaft für den Frieden ab, indem die wirtschaftliche Landesversorgung in den Gremien für Landtransporte, Hochseeschifffahrt, Zivilluftfahrt, Erdölversorgung, Ernährung, Industrie und Kommunikation seit 1997 mitwirkt. Dabei stehen der Informationsaustausch sowie Bestrebungen zur Koordination von Bewirtschaftungsmassnahmen im Vordergrund.

66

Staatsschutz und Polizei

661

Sicherheitspolitischer Auftrag

Staatsschutz und Polizei sind die Instrumente zur Gewährleistung der inneren Sicherheit. Sie sind insoweit Gegenstand unserer Sicherheitspolitik, als sie der Bekämpfung von Gewalt strategischen Ausmasses dienen, die erhebliche Teile von Land und Bevölkerung beeinträchtigt. Die Aktivitäten der Polizei zur Kriminalitätsbekämpfung und für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sind von grösster Bedeutung und sollen ­ unter Zuteilung der notwendigen Mittel, wobei auch Umverteilungen geprüft werden müssen ­ auf allen Stufen verstärkt werden. Bekämpfung von Gewalt nichtstrategischen Ausmasses ist Teil kantonaler Sicherheitspolitik.

Eine vom Vorsteher des EJPD eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe unter Mitwirkung der Kantone hat in ihrem vom Bundesrat zur Kenntnis genommenen Zwischenbericht festgehalten, dass unsere föderalistische Staatsstruktur im Polizeibereich namentlich bei der internationalen Verbrechensbekämpfung und der Bewältigung der Migrationsprobleme an ihre Grenzen stösst. Das gesamte System der inneren Sicherheit und namentlich auch die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen wird deshalb darauf hin überprüft, ob die heutigen Strukturen hinsichtlich der aktuellen und künftigen Bedrohungen noch zweckmässig sind. Zur Diskussion steht dabei auch die künftige Rolle des Grenzwachtkorps.

Eine ganze Reihe von Ereignissen im Zusammenhang mit Konflikten im Ausland haben gezeigt, dass die schweizerischen Polizeikorps bei der Bewältigung mehrerer zeitlich zusammenfallender Grossereignisse an ihre Kapazitätsgrenzen stossen, wenn sich die Notwendigkeit einer längeren Einsatzdauer ergibt. Diesem Umstand muss bei der laufenden Überprüfung des schweizerischen Systems der inneren Sicherheit gemeinsam mit den Kantonen Rechnung getragen werden.

Der Staatsschutz umfasst die Massnahmen zur Wahrung der Sicherheit im Innern, namentlich zur Sicherung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen der Schweiz sowie zum Schutz der Freiheitsrechte der Bevölkerung. Er sammelt Erkenntnisse über mögliche Gefährdungen der Sicherheit oder kriminelle Handlungen und trifft oder beantragt geeignete Abwehrmassnahmen. Er ist gesetzlich streng geregelt und unterliegt einer engen politischen Führung und Kontrolle. Mit der Staatsschutztätigkeit verknüpft und deshalb organisatorisch gemeinsam ausgeübt werden
bestimmte, dem Bund übertragene polizeiliche Ermittlungskompetenzen (Staatsschutzdelikte, Sprengstoffdelikte, verbotener Nachrichtendienst usw.).

Die sicherheitspolitischen Aufträge des Staatsschutzes und der Polizei sind die Folgenden: ­

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Der Staatsschutz trifft vorbeugende Massnahmen, um frühzeitig Gefährdungen durch Terrorismus, gewalttätigen Extremismus und verbotenen Nach-

richtendienst sowie verbotenen Handel mit Waffen, radioaktiven Materialien und illegalen Technologietransfer zu erkennen. Der Staatsschutz unterstützt die zuständigen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden mit Erkenntnissen über die organisierte Kriminalität.

­

662

Die hauptsächlich kantonaler Hoheit unterstehende Polizei gewährleistet die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung sowie die Bekämpfung der Kriminalität. Der Bund koordiniert die Bekämpfung von Gewalt strategischen Ausmasses, namentlich Einsätze zur Bewältigung von Ereignissen, welche die Mittel und Möglichkeiten der Kantone übersteigen. Erfordert es die Lage, so übernimmt er die Führung.

Organisation und Wirkungsweise

Die Leitung der schweizerischen Staatsschutztätigkeit liegt bei den Bundesbehörden, welche diese Aufgabe in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen wahrnehmen. Dem Informationsaustausch zwischen Bund und Kantonen kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Der Informationsaustausch mit dem Ausland wird durch den Bund wahrgenommen. Im Staatsschutz sind die Prävention und die Tätigkeit der gerichtlichen Polizei eng miteinander verknüpft. Unter Prävention versteht man alle administrativen und polizeilichen Massnahmen, die der Erkennung, Beobachtung und Verhütung von Handlungen dienen, welche die innere und äussere Sicherheit der Schweiz gefährden können. Die gerichtliche Polizei des Bundes ermittelt bei den der Bundesgerichtsbarkeit unterstellten Delikten. Die Erkenntnisse der Prävention sind Grundlage und Voraussetzung für eine wirksame Bekämpfung und Verfolgung von Straftaten.

In erster Linie gewährleisten die Polizeikräfte der Kantone die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung und bekämpfen die Kriminalität. Diese der verfassungsrechtlichen Kompetenz entspringende Subsidiarität des Einsatzes von Bundeskräften entspricht den Geboten der Bürger- und Sachnähe polizeilicher Arbeit. Die Bekämpfung der Kriminalität ist vorab Sache der Kantone. Der Bund schafft für sie in diesem Bereich auf internationalem und gesetzgeberischem Gebiet günstige Rahmenbedingungen und wirkt im Vollzugsbereich koordinierend, informierend und unterstützend mit.

Übersteigen besondere Ereignisse (z. B. Katastrophen) die Möglichkeiten eines Kantons bzw. reichen seine Mittel zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit nicht aus, unterstützen sich die Kantone gegenseitig im Rahmen der Polizeikonkordate oder eines vom Bund organisierten und koordinierten interkantonalen Polizeieinsatzes. In Ausnahmesituationen können die zivilen Behörden im Rahmen der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation auf ihr Begehren hin durch subsidiäre Beiträge der Armee bei der Wahrung der öffentlichen Sicherheit unterstützt werden. Die Erfahrungen der jüngeren Zeit haben allerdings die Grenzen solcher Militäreinsätze aufgezeigt. Es besteht deshalb ein ausgewiesener Bedarf für ein vielfältig einsetzbares polizeiliches Bundesinstrument.

Mit der operativen Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Speziellen sind
hauptsächlich die spezialisierten Justiz- und Polizeibehörden der Kantone und in besonderen Fällen die dafür bezeichneten Polizeistellen des Bundes betraut. Die organisierte Kriminalität lässt sich nur dann effizient bekämpfen, wenn alle damit befassten Stellen ­ namentlich Prävention, Polizei und Strafverfolgung ­ zusammen7711

wirken. Dem Bund kommt eine vorwiegend koordinierende und informierende Funktion zu.

Bund und Kantone sind sich einig, dass im Bereich der organisierten Kriminalität bei international aktiven kriminellen Netzwerken die Mittel der einzelnen Kantone für eine wirksame Bekämpfung oft nicht ausreichen. Der grenzüberschreitende Charakter dieser Verbrechensform erschwert effiziente Ermittlungen. Deshalb soll der Bund in diesem Bereich mehr Kompetenzen bei der Strafverfolgung erhalten. Weiter sollen die koordinierende und informierende Funktion der zuständigen Polizeistellen des Bundes weiter ausgebaut und für die Kantone vermehrt Dienstleistungen erbracht werden. Auch die Schaffung eines polizeilichen Bereitschaftskonzeptes auf Bundesebene ist im Lichte der neueren Entwicklungen zu prüfen.

Immer mehr lässt sich auch die innere Sicherheit nur in enger internationaler Zusammenarbeit gewährleisten. Ein Abseitsstehen der Schweiz würde ernsthafte Risiken schaffen. Die von der Schweiz angestrebte Sicherheitskooperation mit der EU im Bereich Justiz und Polizei befindet sich in einer Aufbauphase.

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Information und Kommunikation

671

Sicherheitspolitischer Auftrag

Eine wahrheitsgetreue, rasche und verständliche Information der Öffentlichkeit ist in allen Lagen von grösster Wichtigkeit; und die Information und Kommunikation als Mittel der vorbeugenden Friedensförderung erhält einen höheren Stellenwert. Die staatlichen Informationsorgane sorgen dafür, dass die sicherheitspolitischen Entscheidungen und Massnahmen der Behörden im In- und Ausland deutlich gemacht, die Bedürfnisse der Bevölkerung nach Informationen über Risiken und Chancen befriedigt werden und allfälliger Desinformation rechtzeitig durch lagegerechte und sachliche Information entgegengewirkt wird. Speziell in besonderen Lagen geht es darum, eine gegen die Interessen der Schweiz gerichtete fremde Informationsdominanz zu verhindern und den Anliegen unseres Landes gebührendes Gehör zu verschaffen. Aber auch in der normalen Lage sind die Interessen der Schweiz im Ausland zu kommunizieren und das Ansehen unseres Landes im Ausland aktiv zu pflegen; die Glaubwürdigkeit der Schweiz ist ein Wert, den es permanent zu fördern gilt. Dabei kommt auch dem Aufbau und der Pflege tragfähiger Beziehungsnetze Bedeutung zu, die in einer Krise, z. B. bei Druckausübung, zu Gunsten unseres Landes aktiviert werden können.

Informationsrevolution und Globalisierung haben eine neue Lage geschaffen, der die staatliche Kommunikation Rechnung tragen muss. Allgemein wird es für den Staat immer schwieriger, behördliche Überlegungen, Anordnungen und Informationen ungefiltert zu verbreiten. Die neuen Techniken erleichtern auch nichtstaatlichen Akteuren die Vernetzung ihrer Information. Werden dabei Partikulärinteressen verfolgt, kann das zur Entfremdung zwischen Staat und Gesellschaft, Politik und Wirtschaft beitragen. Die neuen Technologien bieten ausserdem mehr Möglichkeiten für gezielte, gegen die Interessen des Landes gerichtete Kampagnen.

Die modernen Informationsmittel eröffnen aber auch neue Chancen. Die staatliche Kontrolle der Information wurde in manchen Ländern dafür benutzt, um das öffentliche Informationsniveau tief zu halten und die Meinungspluralität zu unterdrücken.

Die neuen Techniken erschweren solche politischen Eingriffe.

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672

Informationsorgane

In der normalen Lage wird sicherheitspolitische Information der Behörden in erster Linie durch die zivilen Medien verbreitet. Sie basiert auf Verlautbarungen des Bundesrates, einzelner Departementsvorsteher und des mit der Information beauftragten Vizekanzlers. In besonderen Fällen informieren Bund, Kantone und Gemeinden auch direkt. Der Stab Bundesrat Abteilung Presse und Funkspruch kann herangezogen werden, um den Bundesrat informationspolitisch zu beraten. Dieser Stab ist dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstellt, erhält jedoch seine Aufträge vom Bundesrat.

In besonderen und ausserordentlichen Lagen wird Information zu einem der wichtigsten Führungsmittel. Sie setzt sowohl zeitgerechte Entschlüsse als auch eine sorgfältige Beurteilung des nationalen wie internationalen politisch-psychologischen Umfeldes und entsprechend überzeugende Erläuterungen voraus. Besteht ein besonders hohes Informationsbedürfnis, verfügt der Bundesrat neben den Mitteln für seine Direktansprache der Bevölkerung über die Informationszentrale der Bundeskanzlei und ­ im Bereich der Warnung und technischer Anordnungen ­ die Nationale Alarmzentrale. Wenn die zivilen Medien ihren Auftrag nicht mehr voll erfüllen können oder ganz ausfallen, kann der Bundesrat seine Abteilung Presse und Funkspruch aufbieten. Die Ernennung von besonderen Informationsbeauftragten (Pressesprecher) des Bundesrates und/oder der Armee kann sich je nach Lage aufdrängen.

Für besondere und ausserordentliche Lagen verfügen auch die Kantone über geeignete Informationsmittel. Insbesondere stehen ihnen die Regionalstudios und Sendeanlagen der SRG zur Verfügung. Verschiedentlich hat sich auch bereits die enge Zusammenarbeit mit Privatsendern bewährt.

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Sicherheit der Informatikund Kommunikations-Infrastruktur

Die Informatik- und Kommunikations-Infrastruktur der Schweiz ist jederzeit und nicht nur in Krisenlagen vielen Bedrohungen und Risiken ausgesetzt. Oberstes Ziel des Bundesrates im Bereich der Sicherheit der Informatik- und KommunikationsInfrastruktur ist es, die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Schweiz aufrechtzuerhalten und Rahmenbedingungen zu schaffen, um das Funktionieren der Informationsgesellschaft Schweiz zu gewährleisten.

Alle Teilnehmer an der Informationsgesellschaft Schweiz tragen letztlich selbst die Verantwortung für die Sicherheit ihrer eigenen Informatik- und KommunikationsInfrastruktur. Wegen der hochgradigen Vernetzung und gegenseitigen Abhängigkeit der Systeme und der teilweise gemeinsamen Nutzung von Infrastrukturen reicht eine Einzelsystemsicht aber nicht aus, um das erforderliche Niveau an Sicherheit zu erreichen: Es bedarf einer Gesamtsystemsicht. Auf Grund der strategischen Gesamtbedeutung der Informatik- und Kommunikations-Infrastruktur für die Schweiz trifft der Bundesrat in diesem Bereich die notwendigen Massnahmen. Er kann dieses Ziel jedoch nur in einem koordinierten Vorgehen von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft erreichen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich in manchen Bereichen die Gesamtsystemgrenzen nicht mit Landesgrenzen decken. Entsprechend kann in diesen Bereichen ein erhöhter Schutz nur durch internationale Kooperation erreicht werden.

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Ein gesamtschweizerisches koordiniertes Vorgehen verlangt nach einer zentralen Bearbeitungsinstanz. Dafür sind von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft die notwendigen Strukturen erst noch zu schaffen. Ein koordiniertes Vorgehen ist insbesondere bei der Identifikation vitaler nationaler Infrastrukturen, bei der Sensibilisierung, bei der Ausbildung von Experten, bei der permanenten Erfassung und Verfolgung der Risikolage, bei der Früherkennung und Warnung, bei der schnellen Zusammenführung von Entscheidungsträgern sowie dem Aufbau gemeinsamer Sicherheitsinfrastrukturen unerlässlich.

Gleichzeitig sollen nur dort übergreifende Aktivitäten und Massnahmen eingeleitet werden, wo eine effektive Erhöhung der Sicherheit erreichbar und sinnvoll erscheint. Die Verbesserung der Sicherheit von Informatik- und KommunikationsInfrastruktur durch einzelne Teilnehmer oder Gruppen von Teilnehmern der Informationsgesellschaft (z. B. Verbände) wird gefördert. Nachdem aber ein vollständiger Schutz mit vertretbarem Aufwand nicht zu erreichen ist, werden basierend auf fundierten Risikoanalysen angemessene Sicherheitsmassnahmen getroffen.

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Ressourcen

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Dienstpflichtsystem

Dienstpflichten haben zum Zweck, in besonderen und ausserordentlichen Lagen die Erfüllung lebenswichtiger Grundbedürfnisse der Gemeinschaft und Aufgaben des Staates sicherzustellen, die auf andere Art (Arbeitsverträge, freiwillige Einsätze) nicht gewährleistet werden können.

Auf Ebene Bund bestehen die Militärdienstpflicht und die Schutzdienstpflicht. Auch die Kantone können unter Beachtung des Bundesrechts Dienstpflichten anordnen.

Am meisten verbreitet ist die Feuerwehrdienstpflicht, teilweise auch für Frauen.

Weitere Dienstpflichten bestehen in einigen Kantonen für die Katastrophenhilfe und den Sanitätsdienst. Zum Dienstpflichtsystem gehören auch Verpflichtungen, die angestammte berufliche Tätigkeit fortzusetzen (z. B. im Gesundheitswesen). Schliesslich bleibt es möglich, notrechtlich Dienstpflichten anzuordnen. Es wird keine umfassende allgemeine Dienstpflicht für alle Gemeinschaftsbereiche eingeführt, da keine Bedürfnisse bestehen, die einen solch eingreifenden Schritt rechtfertigen würden.

Die Reform der Armee und die Schaffung des Bevölkerungsschutzes führen zu wesentlichen strukturellen Änderungen sowie Bestandesreduktionen. Das Dienstalter soll gesenkt werden. Entsprechende Entscheide werden aber erst auf Grund der Leitbilder für diese beiden Bereiche möglich sein. Bei der Festlegung des künftigen Dienstpflichtsystems sind neben den Bedürfnissen von Armee und Bevölkerungsschutz auch staatspolitische, gesellschaftspolitische, demografische, rechtliche und finanzielle Aspekte zu berücksichtigen. Der notwendige Personalbestand ist sicherzustellen; grösstmögliche Dienstgerechtigkeit ist anzustreben.

Elemente, die beibehalten werden Aus staats- und gesellschaftspolitischen Gründen, aber auch aus Gründen seiner Zweckmässigkeit, wird das Milizprinzip beibehalten. Es gewährleistet, dass die Schweiz auch in Zukunft über qualitativ und quantitativ ausreichende, mit unseren Mitteln finanzierbare Kräfte zur Gewährleistung ihrer sicherheitspolitischen Ziele verfügt. Das bedingt umgekehrt, dass Gesellschaft, Wirtschaft und sicherheitspoli-

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tische Instrumente milizfähig erhalten werden und dass mit dem Milizprinzip die notwendige Anzahl qualifizierter Kader sichergestellt werden kann.

Die Militärdienstpflicht bleibt bestehen. Ihre konkrete Ausgestaltung erfolgt im Rahmen des Projekts Armee XXI. Wer den Militärdienst mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, leistet einen zivilen Ersatzdienst.

Die Schutzdienstpflicht bleibt ebenfalls bestehen. Ihre konkrete Ausgestaltung erfolgt im Rahmen des Projekts Bevölkerungsschutz.

Die Möglichkeit für Freistellungen von der Militärdienstleistung und von der Schutzdienstleistung zur Ausübung wichtiger im öffentlichen Interesse liegender Tätigkeiten wird beibehalten.

Kantonale Dienstpflichten können weiterhin angeordnet werden.

Reformelemente Die Veränderung der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen der Schweiz erlaubt nicht nur, sondern verlangt auch Reformen. Die im Folgenden skizzierten Reformelemente werden im Rahmen der Projekte Armee XXI und Bevölkerungsschutz weiter bearbeitet. Entscheide über die konkrete Ausgestaltung des künftigen Dienstpflichtsystem können erst getroffen werden, wenn wesentliche Entscheidfaktoren (Aufgaben, Strukturen, Bestände, Personalrekrutierung, Dienstleistungssystem, Ausbildungskonzept) in den Bereichen Armee und Bevölkerungsschutz vorliegen.

Mit dem Milizprinzip allein lassen sich in der Armee aus Gründen der in Teilbereichen erforderlichen Bereitschaft und der in gewissen Funktionen notwendigen technischen Kenntnisse nicht mehr alle Aufgaben und Funktionen effizient abdecken. Es empfiehlt sich darum ein angemessener Ausbau der Berufskomponente.

Zusätzlich zum bisherigen Dienstleistungssystem der Armee mit Grundausbildung und Wiederholungskursen sollen die Möglichkeiten der Dienstleistung am Stück und der Einführung sogenannter «Zeitsoldaten» geschaffen werden. Als Zeitsoldaten werden Militärdienstpflichtige bezeichnet, die sich nach Ableistung ihrer obligatorischen Dienstpflicht vertraglich verpflichten, für eine befristete Zeitspanne weiter Dienst zu leisten.

Es ist anzustreben, dass die Dienstpflicht entweder in der Armee oder in einem Bereich des Bevölkerungsschutzes erfüllt werden kann. Minimal ist sicherzustellen, dass Militärdienstpflichtige, die ihre Dienstleistung vollumfänglich erbracht haben, nicht mehr schutzdienstpflichtig werden. Im
Zusammenhang mit der Erarbeitung der Leitbilder Armee XXI und Bevölkerungsschutz sollen folgende drei mögliche Varianten geprüft werden; die Umsetzung jeder von ihnen würde allerdings eine Revision der Bundesverfassung erfordern: Variante A: Bei der Aushebung würden, wie bisher, Dienstpflichtige, die aus gesundheitlichen Gründen keinen Militärdienst, wohl aber Schutzdienst leisten können, dem Bevölkerungsschutz zugeteilt. Alle Militärdiensttauglichen würden eine auf die Aufgaben der Armee ausgerichtete Grundausbildung (Rekrutenschule) leisten. Anschliessend würde aber ein Teil von ihnen dem Bevölkerungsschutz zugeteilt.

Bei Bedarf wären zudem auch spätere Übertritte von der Armee in den Bevölkerungsschutz möglich, solange die Militärdienstpflicht noch nicht vollumfänglich erfüllt ist.

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Variante B:

Variante C:

Die Zuteilung zur Armee bzw. zum Bevölkerungsschutz würde bei der Aushebung erfolgen, wobei die Bedürfnisse der Armee den Vorrang vor jenen des Bevölkerungsschutzes hätten. Dienstpflichtige hätten keine Wahlfreiheit für ihre Zuteilung zu Armee bzw. Bevölkerungsschutz; ihre Neigungen und Eignungen würden aber gebührend gewürdigt. Die Ausbildung für die Armee bzw. für den Bevölkerungsschutz würde in der Folge getrennt erfolgen. Das Schwergewicht für die Ausbildung des Bevölkerungsschutzes läge bei den Kantonen und Gemeinden.

Die Zuteilung zur Armee bzw. zum Bevölkerungsschutz würde bei der Aushebung erfolgen, wobei für die Dienstpflichtigen Wahlfreiheit bestünde, allerdings unter dem Vorbehalt der Bestandesdeckung sowohl von Armee wie Bevölkerungsschutz. Die Ausbildung für die Armee bzw. für den Bevölkerungsschutz würde in der Folge getrennt erfolgen. Das Schwergewicht für die Ausbildung des Bevölkerungsschutzes läge bei den Kantonen und Gemeinden.

Dienstpflicht für Frauen Frauen leisten in der Erziehung, in der Alters- und Behindertenpflege und in weiteren sozialen Tätigkeiten einen grossen Einsatz zu Gunsten der Allgemeinheit. Sie werden auf eidgenössischer Ebene wie bisher keiner Dienstpflicht unterstellt. Auf kantonaler Ebene unterstehen sie teilweise auch der Feuerwehrdienstpflicht.

Frauen können bestimmte Dienstpflichten freiwillig übernehmen. Für alle Dienstpflichtorganisationen ist die Mitwirkung von Frauen zu fördern, nicht aus Bestandesgründen, sondern weil ihre spezifischen Erfahrungen und Berufskenntnisse für die Erfüllung der sicherheitspolitischen Aufträge unentbehrlich sind. Dienst leistende Frauen sind in Rechten und Pflichten den Männern grundsätzlich gleichgestellt.

Zivildienst Die Zulassung militärdienstpflichtiger Personen zum Zivildienst erfolgt auf Grund eines Gesuchs, in dem die Gewissensgründe gegen den Militärdienst dargelegt werden müssen. Der Zivildienst ist ein Instrument des Bundes; er wird durch ein Bundesorgan zentral geführt, im Vollzug aber weitestmöglich privatisiert. Einzeleinsätze haben Vorrang vor Gruppeneinsätzen.

In der normalen Lage trägt der Zivildienst zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Institutionen und zur Unterstützung von Personen bei, die im öffentlichen Interesse tätig sind. In besonderen und ausserordentlichen Lagen unterstützt er die zivilen Behörden in der Erbringung lebenswichtiger Dienstleistungen sowie in der Wiederherstellung normaler Zustände. Der Zivildienst wird aber auch in Zukunft nur über eine geringe Einsatzbereitschaft aus dem Stand verfügen. Die zivildienstpflichtigen Personen werden weiterhin innert Wochen, nicht innert Stunden aufgeboten werden. In Katastrophenfällen kommt der Zivildienst bei Instandstellungsarbeiten darum erst nach den Rettungsdiensten und fallweise erst nach den Mitteln von Bevölkerungsschutz und Armee zum Einsatz. Er wird durch die zivilen Behörden angefordert und kann unter der Leitung der zuständigen zivilen Behörden langfristige Einsätze erbringen.

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Finanzen

Die ausreichende Mittelzuteilung an die Sicherheitspolitik und ihre Instrumente bildet eine entscheidende Voraussetzung für deren Erfolg. Das heisst, dass zunächst geprüft werden muss, welches die Bedürfnisse der einzelnen Instrumente im Rahmen ihrer angepassten Aufträge sind. Die Verfügbarkeit der finanziellen Mittel, die darüber hinausgehenden volkswirtschaftlichen Kosten ebenso wie beschäftigungsund regionalpolitische Überlegungen dürfen, auch wenn sie bei der Umsetzung unserer Strategie wesentliche Parameter bilden, nicht von vornherein den Blick auf die effektiven Bedürfnisse präjudizieren und eine systematische sicherheitspolitische Analyse verhindern.

Darüber hinaus wird die Umsetzung der in diesem Bericht umrissenen Sicherheitspolitik auch davon abhängen, dass die Ressourcen innerhalb des Sicherheitssektors ­ unter Einschluss der inneren Sicherheit ­ zweckmässig zugeteilt werden. Eine gewisse Umverteilung ist unvermeidlich, um die Strategie der «Sicherheit durch Kooperation» ­ sowohl die umfassende flexible Sicherheitskooperation im Inland als auch die Sicherheitskooperation mit dem Ausland ­ erfolgreich umzusetzen. Die Ressourcenzuteilung muss in nachvollziehbarer Weise den effektiven Bedrohungen, Risiken und Gefahren entsprechen ­ einerseits um mehrheitsfähig zu sein, anderseits um die erstrebte Sicherheit zu gewährleisten.

Im Rahmen des neuen Finanzausgleichs wird auch die Finanzierung der sicherheitspolitischen Instrumente neu zu regeln sein. Verantwortungszuordnung und Finanzierungskompetenzen sollen grundsätzlich übereinstimmen. In der Praxis ist dies aber nicht immer realisierbar. In jedem Fall müssen Aufgabenzuordnung und Finanzierungskonzept eine effiziente Erfüllung des Auftrages erlauben. Besondere Fragen stellen sich bei der inneren Sicherheit und auch beim Bevölkerungsschutz, wo die angestrebte Lösung eine neue Lastenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden verlangt.

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Strategische Führung

Die Wahrung unserer Sicherheit im Inland und im Ausland erfordert den Einsatz und das Zusammenwirken verschiedener, in mehreren Departementen und auf verschiedenen Ebenen angesiedelter Instrumente. Deshalb ist es notwendig, unsere eigenen Massnahmen und Mittel, aber auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu koordinieren.

Es geht darum, Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage rechtzeitig zu erkennen, aus einer Gesamtsicht heraus Prioritäten für die Vorbereitungen festzulegen und im Ereignisfall besondere Anordnungen für die Bewältigung der Krise oder der ausserordentlichen Lage zu treffen, damit die zur Verfügung stehenden Mittel den Bedürfnissen entsprechend, zeitgerecht und zweckmässig zum Einsatz kommen.

Die zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt strategischen Ausmasses geeigneten Instrumente des Landes werden deshalb durch eine einheitliche strategische Führung koordiniert, die sie in ihrem Zusammenwirken laufend überprüft, nötigenfalls Anpassungen veranlasst und bei Bedarf die Instrumente lagegerecht einsetzt.

Diese strategische Führung wird auf nationaler Ebene vom Bundesrat, auf kantonaler Ebene durch die Kantonsregierungen wahrgenommen. Erfordert die Lage die gemäss Bundesverfassung durch das Parlament vorzunehmende Wahl eines Ober7717

befehlshabers der Armee, tritt dieser als ebenfalls strategische Instanz seiner besonderen Rechtsstellung entsprechend unter die Führung des Bundesrates.

Noch nicht genau absehbar sind heute die im Zuge weiterer Integrationsschritte gegenüber der EU notwendigen Anpassungen unseres strategischen Führungssystems.

Die Beschickung der entsprechenden Brüsseler Gremien und die volle Mitwirkung in der EU (GASP, Justiz und Inneres) würden weitere Reformschritte erforderlich machen. Die nachfolgend skizzierten Änderungen erleichtern deren allfällige Umsetzung.

Der Erfolg der Krisenbewältigung hängt wesentlich davon ab, ob die betroffenen Regierungen und Organe mental und fachlich auf besondere und ausserordentliche Lagen vorbereitet sind. Es ist deshalb notwendig, innerhalb der Strategischen Ausbildung kleinere, modulartige, aber regelmässig durchgeführte Führungsübungen durchzuführen, an denen die im Ereignisfall mit dem Krisenmanagement beauftragten Chefs geschult werden. Im Hinblick auf ein Krisenmanagement unterhalb der Kriegsschwelle und natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen ist für eine realistische Schulung der Einbezug der betroffenen Kantonsregierungen und Gemeindebehörden bei der Vorbereitung und Durchführung unabdingbar.

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Schaffung einer Lenkungsgruppe Sicherheit

Verschiedene Gründe sprechen für eine Verbesserung des Führungsinstrumentariums des Bundesrates im Sicherheitsbereich. Die Herausforderungen in den Bereichen der Sicherheitspolitik, aber auch im darüber hinausgehenden Polizei- und Justizbereich, der die Sicherheit des Individuums betrifft, sind vielfältiger und komplexer geworden. Die Bedeutung einer frühen Erkennung potentieller Bedrohungen, Gefahren und Risiken hat zugenommen, was erhöhte Anforderungen an die Wirksamkeit, aber auch Effizienz der Nachrichtendienste und anderer Dienststellen mit Zugang zu sicherheitsrelevanter Information stellt. Der Ersatz der bisherigen Gesamtverteidigung durch eine umfassende flexible Sicherheitskooperation verlangt, dass auf hoher Ebene eine enge Koordination besteht, damit der Abbau von Koordinationsinstanzen auf untergeordneter Ebene nicht zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit führt.

Da der Bundesrat in seiner strategischen Führungsaufgabe permanent gestärkt werden soll, wäre es unzweckmässig, sich dazu auf ein verwaltungsexternes Organ abzustützen. Bei der verwaltungsinternen Anpassung ist zu beachten, dass die politische Führung beim Bundesrat bleibt und die Linienverantwortung und -kompetenzen der Departemente respektiert werden.

Aus diesen Gründen wird als vorbereitendes Stabsorgan des Bundesrates eine Lenkungsgruppe Sicherheit geschaffen. Sie wird dem Sicherheitsausschuss des Bundesrates unterstellt und umfasst als ständige Mitglieder neben den obersten Linienchefs der für Sicherheitsfragen primär relevanten Departemente einen Koordinator für die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit innerhalb der Bundesverwaltung. Dieser verfügt über ein Lage- und Früherkennungsbüro und stellt sicher, dass der Lenkungsgruppe Sicherheit rechtzeitig die relevanten Informationen vorliegen.

Nach Bedarf werden nichtständige Mitglieder zu den Sitzungen der Lenkungsgruppe Sicherheit herangezogen, namentlich Chefbeamte der nicht permanent in ihr vertretenen Departemente sowie Ansprechpartner für die Kantone in den Bereichen in7718

nere Sicherheit und Bevölkerungsschutz. Dazu können Experten aus Bund, Kantonen, Wirtschaft und Wissenschaft kommen.

Der Vorsitz der Lenkungsgruppe Sicherheit wird im Jahresturnus von den höchsten ständigen Mitgliedern der Lenkungsgruppe aus dem EDA, dem EJPD und dem VBS übernommen. Der oder die Vorsitzende kann beantragen, direkt vom Bundesrat angehört zu werden.

Die Lenkungsgruppe Sicherheit nimmt folgende Aufgaben wahr: ­

laufende Lageverfolgung in allen sicherheitsrelevanten Bereichen, Analyse und Beurteilung des Gewaltspektrums sowie der Entwicklungsmöglichkeiten im Innern und im strategischen Umfeld der Schweiz

­

Früherkennung von Chancen und Frühwarnung vor neuen Bedrohungsformen, Risiken und Gefahren

­

Erarbeitung von Szenarien, Strategien und Optionen zuhanden des Vorsitzenden der Lenkungsgruppe unter Nutzung sämtlicher Möglichkeiten zur Gewinnung von Synergien in und ausserhalb der Verwaltung.

Anträge an den Bundesrat für konkrete Massnahmen werden auch in Zukunft über die Departemente eingereicht, um den ordentlichen Geschäftsablauf sicherzustellen.

Die Tätigkeit der Lenkungsgruppe Sicherheit wird dadurch nicht beeinträchtigt, weil die obersten Linienverantwortlichen aus den Departementen in ihr vertreten sind.

Infolge der Schaffung der Lenkungsgruppe Sicherheit können der Rat für Gesamtverteidigung, der Stab für Gesamtverteidigung, die bisherige Lenkungsgruppe des Sicherheitsausschusses des Bundesrates und die Lagekonferenz aufgelöst werden.

Durch die Schaffung der Lenkungsgruppe Sicherheit gewinnt der Bundesrat an strategischer Übersicht und an Handlungsfähigkeit. Zunächst gilt dies für die Früherkennung und Frühwarnung, die durch die Einsetzung eines Koordinators der Nachrichtendienste mit Zugriff auf das Nachrichtenaufkommen der gesamten Bundesverwaltung gestärkt werden. Die umfassend aufbereitete Lage wird rasch an die obersten Linienverantwortlichen herangetragen und die zeitgerechte Sensibilisierung der Landesregierung für sicherheitsrelevante Entwicklungen gewährleistet. Gleichzeitig trägt die in der Lenkungsgruppe Sicherheit erzielte Gesamtsicht der zunehmend künstlich gewordenen Unterscheidung zwischen äusserer und innerer Sicherheit Rechnung, die sich aus dem grenzüberschreitenden Charakter der meisten heutigen Bedrohungen ergibt.

7719

Bundesrat Sicherheitsausschuss des Bundesrates Vorsitz: Vorsteher EDA, EJPD, VBS im Jahresturnus

Vorsitz Oberste Linienverantwortliche EDA, EJPD, VBS im Jahresturnus

Lenkungsgruppe Sicherheit Mitglieder

Mitglieder

ND-Koordinator

Lage- und Früherkennungsbüro nichtständige Mitglieder und Experten

Nachrichtendienste und andere Informationsquellen der Departemente

Auch die organisatorische und materielle Reaktionsfähigkeit und -geschwindigkeit der strategischen Führung wird gestärkt. Die Zusammensetzung der Lenkungsgruppe Sicherheit garantiert, dass die dort zuhanden des Bundesrats erarbeiteten Handlungsoptionen solid abgestützt und unverzüglich umsetzbar sind. Dabei geht es namentlich um die Konzentration der Kräfte und die Setzung von Schwergewichten durch auf den spezifischen Fall bezogene Ad-hoc-Strukturen. Der Bundesrat vermeidet damit die dauerhafte Bindung von Mitteln und die Verfestigung von Strukturen, was wegen der zunehmenden Veränderlichkeit des Profils der Bedrohungen und Gefahren unumgänglich ist.

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Normale, besondere und ausserordentliche Lage

Um angemessen auf Bedrohungen und Gefahren reagieren zu können, ist es sinnvoll, sie nach Zeit, Eintretenswahrscheinlichkeit und dem für ihre Bewältigung erforderlichen Aufwand zu gliedern.

Bisher geschah dies mit den Begriffen ordentliche Lage (Normalität), Krise (Störereignis mit beachtlichem strategischem Gefahren- bzw. Schadenpotential, das mit den herkömmlichen Problemlösungstechniken nicht bewältigt werden kann) und ausserordentliche Lage (Situation, die für eine grosse Zahl von Einwohnern eines Gebietes als bedrohlich erlebt wird, den normalen Lebensgang massiv stört oder verunmöglicht und daher Notrecht legitimieren kann).

Auch in Zukunft braucht es für die sicherheitspolitische Strategie-Erarbeitung, Planung und Ausführung von Massnahmen eine solche Begriffsskala. Allerdings hat sich deren Hintergrund seit Ende des Kalten Kriegs grundlegend gewandelt. Mit dem Wegfall der grossräumigen militärischen Bedrohung in Europa und der Zunahme punktueller, vielfach nichtmilitärischer Bedrohungen und Gefahren ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der ausserordentlichen Lage so weit gesunken, dass 7720

sie für die sicherheitspolitische Struktur, Führung und Regelungstätigkeit nicht bestimmend sein kann. An Stelle der ausserordentlichen hat die so genannte besondere Lage an Bedeutung gewonnen. Es handelt sich dabei um eine Situation, in der gewisse Staatsaufgaben mit den ordentlichen Verwaltungsabläufen nicht mehr bewältigt werden können. Im Unterschied zur «ausserordentlichen Lage» ist aber die Regierungstätigkeit nur sektoriell betroffen. Typisch ist der Bedarf nach Straffung der Verfahren und rascher Konzentration der Mittel.

In Zukunft werden deshalb zur Einordnung von Bedrohungen und Gefahren sowie der geeigneten Mittel(kombinationen) und Vorgehensweisen zu ihrer Bewältigung die Begriffe normale Lage, besondere Lage und ausserordentliche Lage verwendet.

Die Strukturen, die für die normale Lage bestehen, werden solange wie möglich beibehalten. Die Ausarbeitung von Vorschlägen für die Vorbereitungen und Strukturen für die besondere und ausserordentliche Lage ist Sache der Lenkungsgruppe Sicherheit.

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Rolle und Bedeutung der Kantone und Gemeinden

Unser föderalistisches System erfordert eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und Gemeinden. Die Bundesverfassung regelt die Kompetenzen von Bund und Kantonen. Dabei sind die Kantone souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist. Die Kantone bestimmen die Organisation der Gemeinden und deren Autonomie.

Die Kantone haben in der Sicherheitspolitik eine wichtige Funktion, weil sie mit den Gemeinden das Bindeglied zwischen dem Bund und der Bevölkerung bilden. Ein wirksames Engagement von ihrer Seite ist für den Erfolg der sicherheitspolitischen Massnahme unabdingbar. Kantonale Sicherheitspolitik ist mit der eidgenössischen Sicherheitspolitik eng verbunden, aber nicht deckungsgleich. Für die Kantone stehen Bedrohungen wie Katastrophen und Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit im Vordergrund. Der kantonale Mitteleinsatz und die kantonalen Führungsorganisationen sind darauf ausgerichtet.

Die geringe Wahrscheinlichkeit eines europäischen Grosskonflikts hat die Rolle der zentralen nationalen Führung für Einsätze im Inland relativiert. Nichtmachtpolitische Gefahren und Risiken mit vorwiegend lokalen und regionalen Auswirkungen sind in den Vordergrund getreten. Zentral geführte Einsätze militärischer oder ziviler Art zur Abwehr strategischer Bedrohungen haben gegenüber subsidiären Einsätzen zu Gunsten kantonaler, regionaler oder kommunaler Behörden an Wahrscheinlichkeit eingebüsst. Es besteht daher Spielraum für eine vermehrte Aufgabendelegation an die Kantone und Gemeinden.

Gleichzeitig besteht aber auf national-internationaler Ebene die umgekehrte Notwendigkeit vermehrter Einheitlichkeit des Auftretens und erhöhter Kohärenz und Zentralisierung in der strategischen Führung. Die Anforderungen an die Handlungsfähigkeit des Bundesrates nach aussen haben zugenommen. Entscheidrhythmus und Entscheiddichte nehmen mit oder ohne neue institutionelle Bindungen der Schweiz rapide zu.

Damit die Handlungsfreiheit der politischen Behörden in besonderen und in ausserordentlichen Lagen gewährleistet bleibt, bedarf es einer klaren Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden. Massgebend für die sicherheitspolitische 7721

Aufgabenzuordnung und damit für die Kompetenzhoheit sind Art und Dimension der sicherheitspolitischen Bedrohung. Kompetenzhoheiten müssen aber auch, wenn eine ausserordentliche Lage dies verlangt, lageorientiert angepasst werden können.

Dringlichkeitsrecht und Notrecht lassen dies zu. Für die wesentlichen sicherheitspolitischen Instrumente gilt folgende Aufgabenzuordnung: Kompetenzhoheit

Bereiche

Bemerkungen

Bund

Strategische Führung auf nationaler Ebene Aussenpolitik und Aussenwirtschaftspolitik Armee

Kantone wirken mit, wenn ihre Zuständigkeiten oder ihre Interessen betroffen sind.

Wirtschaftliche Landesversorgung Staatsschutz (innere Sicherheit Bund) Kantone

Bevölkerungsschutz

Polizei (innere Sicherheit Kantone) Beide für Wirtschaftspolitik ihren eigenen Bereich Informationspolitik Kommunikationssysteme

Angesichts des Milizprinzips ist eine kantonale Mitverantwortung aus staatspolitischen und wehrpsychologischen Überlegungen zu erhalten. Ihre Ausgestaltung hängt von der Armeereform ab.

Kantone und Gemeinden haben Vollzugsaufgaben.

Polizeiliche Unterstützung durch die Kantone.

Dem Bund obliegt die übergeordnete Gesetzgebung. Er legt in gewissen Bereichen einheitliche Normen fest und wirkt in bestimmten Bereichen mit. Bei bestimmten Ereignissen liegt die Koordinations- oder Führungsfunktion auf der Bundesebene.

Koordination durch den Bund, soweit es um die Abwehr und Bekämpfung von Gewalt strategischen Ausmasses geht.

Kantonale Wirtschaftspolitik hat die Vorgaben des Bundes zu beachten.

Grundkonzepte werden vom Bund erarbeitet.

Informationsaustausch ist wesentliche Voraussetzung für eine gemeinsame Bewältigung ausserordentlicher Lagen.

Für die Führungsorganisation sind grundsätzlich jene Bereiche verantwortlich, die über die Einsatzkompetenz verfügen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sicherheitspolitische Massnahmen in der Regel im Verbund, unter Federführung des dafür kompetenten und dazu geeigneten Partners, wahrgenommen werden und dass Spielraum für vermehrte Aufgabendelegation an Kantone und Gemeinden besteht, die Führung durch den Bund aber bei allen Ereignissen und Lagen nationalen und internationalen Ausmasses sichergestellt wird.

7722

9

Ausblick

Der letzte Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz, der 1990 erschien, trug den Titel «Schweizerische Sicherheitspolitik im Wandel». Er stellte eine Reaktion auf die damals noch sehr junge strategische Wende in Europa dar. In vier sicherheitspolitischen Grundszenarien wurden die Lage und ihre mutmassliche Entwicklung zusammengefasst. Das Szenario «Sicherheit durch Verständigung und Kooperation» war damals nicht viel mehr als eine Hoffnung. Das Szenario «Rückfälle in die Konfrontation und Auftauchen neuer Gefahren» schien um einiges realistischer und verlangte, eine angemessene Verteidigungsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Dennoch hat die Schweiz umgehend Schritte eingeleitet, um aus der bis 1989 sinnvollen und notwendigen Abwehrhaltung und damit aus der Isolierung des Kalten Krieges herauszutreten. Wir nahmen an friedlichen Initiativen der Staatengemeinschaft zur Krisenbewältigung und zur Stabilisierung unruhiger Regionen teil.

Ohne die Möglichkeit von Rückfällen in die Konfrontation ausser Acht zu lassen, wurde mit der Armee 95 eine massive Reduktion unseres militärischen Potentials eingeleitet.

Heute gehen wir einen bedeutenden Schritt weiter. Er wird von der Bedrohungsentwicklung und vom haushälterischen Umgang mit Ressourcen bestimmt, aber auch von den Chancen, die uns das neue strategische Umfeld bietet. Wir setzen mit Überzeugung auf einen Ausbau der sicherheitspolitischen Kooperation mit internationalen Organisationen und ausländischen Staaten, soweit es die Neutralität, an der wir festhalten, gestattet. Der Hauptgrund für diese Ausrichtung liegt darin, dass Risiken primär von grenzüberschreitender Gewalt ausgehen, die ein einzelner Staat alleine nur teilweise oder überhaupt nicht abwenden kann.

Die Wahrnehmung der sich heute bietenden Möglichkeiten und unsere darauf ausgerichteten Anstrengungen dürfen aber nicht zur Vernachlässigung wichtiger Sicherheitsaufgaben führen, die sich im nationalen Bereich stellen und die wir aus eigener Kraft erfüllen können. Diese sind im Gegenteil mit einer umfassenden und flexiblen Kooperation aller dafür geeigneten zivilen und militärischen Mittel zu lösen. Das im Kalten Krieg geprägte System einer bis ins letzte ausgeformten Gesamtverteidigung muss und kann heute einem Verbund Platz machen, der die aktuellen Gefahren in den
Mittelpunkt stellt und die jeweils am besten geeigneten und ausreichenden Mittel heranzieht.

Beide Komponenten der künftigen Sicherheitspolitik, die Kooperation im Inland wie jene mit dem Ausland, verlangen eine Neugewichtung und teilweise auch eine Neuorganisation von Teilen unseres sicherheitspolitischen Instrumentariums. Innerhalb des mit diesem Bericht vorliegenden Rahmens und auf Grund der erteilten Aufträge müssen bisher eingeleitete Reformen überprüft, neue Leitbilder entwickelt und so rasch, wie es die gesetzlichen Grundlagen und die Umstände erlauben, die geforderte Einsatzbereitschaft erreicht werden. Wir dürfen uns auch nicht scheuen, den mittels einer verbesserten Früherkennung identifizierten Bedrohungen und Risiken mit neuen Führungsmethoden, Techniken und einer Verlagerung des Ressourceneinsatzes zu begegnen.

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass der hiermit eingeleitete geistige und materielle Prozess geraume Zeit in Anspruch nehmen wird und insbesondere den Kantonen, die stärker als bisher sicherheitspolitische Mitverantwortung übernehmen werden, die Lösung schwieriger Einzelprobleme abverlangt. Er weiss auch, dass der rasche

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Wandel der heutigen Zeit die Erarbeitung auf Dauer angelegter Lösungen und Strukturen erschwert. Scheinbare sicherheitspolitische Gewissheiten müssen immer wieder überprüft werden. Um so mehr zählt der Bundesrat darauf, dass der Übergang zu einer neuen und zeitgemässen Sicherheitspolitik unseres Landes von der ganzen Bevölkerung, Männern und Frauen, getragen wird, dass diese die weiterhin grossen Herausforderungen akzeptiert und ihren Anteil an der Verantwortung wahrnimmt. Die Aufrechterhaltung der Sicherheit von Land und Volk gegenüber einem vielfältigen und instabilen Spektrum von Risiken und Gefahren, aber auch die Nutzung der sich bietenden Chancen, rechtfertigen unseren hohen Einsatz.

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7724

Abkürzungsverzeichnis CENCOOP CFE CJTF EAPC EBRD ECE EFTA EU EWR GASP IAEA IEA IFOR ILO INF ISN IMF NATO OPCW OSZE PfP SALT SFOR START UNDP UNO UNSCOM WBG WEU WHO WTO

Central European Peace-Keeping Initiative Conventional Forces in Europe (Konventionelle Streitkräfte in Europa) Combined Joint Task Force Euro-Atlantic Partnership Council (Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat) European Bank for Reconstruction and Development (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) Economic Commission for Europe (UNO-Wirtschaftskommission für Europa) European Free Trade Association (Europäische Freihandelsassoziation) Europäische Union Europäischer Wirtschaftsraum Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik (der EU) Internationale Atomenergie-Agentur Internationale Energieagentur Implementation Force (Bosnien und Herzegowina) International Labour Organisation (Internationale Arbeitsorganisation) Intermediate-Range Nuclear Forces International Relations and Security Network International Monetary Fund (Internationaler Währungsfonds) North Atlantic Treaty Organisation Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Partnership for Peace (Partnerschaft für den Frieden) Strategic Arms Limitation Talks Stabilisation Force (Bosnien und Herzegowina) Strategic Arms Reductions Talks United Nations Development Programme (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) United Nations Organisation (Vereinte Nationen) United Nations Special Commission (Abrüstung Irak) Weltbank-Gruppe Westeuropäische Union World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation) World Trade Organisation (Welthandelsorganisation)

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Umschreibung von Kernbegriffen Aufwuchsfähigkeit Fähigkeit, die Präsenz, Einsatzbereitschaft, Verfügbarkeit und Durchhaltefähigkeit der Einsatzmittel insbesondere der Armee flexibel und zeitgerecht zu erhöhen, wenn die Lage es erfordert. Der Aufwuchs kann selektiv, gestaffelt oder auch in einem Zug erfolgen.

Bedrohung Eine Gefährdung unserer sicherheitspolitischen Interessen und Ziele, die ihre Ursache in den Absichten oder Aktivitäten von Personen, Personengruppen, Staaten oder Staatengruppen hat. Solche Absichten oder Aktivitäten können in feindlicher Absicht erfolgen (z. B. militärischer Angriff) oder in der Absicht, ohne Rücksicht auf schädliche Folgen unsere Infrastruktur zu benützen (z. B. organisierte Kriminalität).

Bevölkerungsschutz Zivile Struktur für Führung, Schutz und Hilfe, welche die Bevölkerung, ihre Lebensgrundlagen und Kulturgüter bei natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen und in anderen Notlagen sowie bei machtpolitischen Bedrohungen schützt. Der Bevölkerungsschutz fällt in erster Linie in die Zuständigkeit der Kantone und deckt folgende Aufgabenbereiche ab: Rettung und Brandbekämpfung sowie Instandstellung, Sicherstellung der technischen Infrastruktur, Schutz und Betreuung, Gesundheit und Sanität sowie Logistik.

Combined Joint Task Forces Bezeichnung für Streitkräftegruppen, die für bestimmte Einsätze zusammengestellt werden und Elemente aus mehreren Staaten und Teilstreitkräften (Heer, Luftwaffe, Marine) umfassen. Im Rahmen von Combined Joint Task Forces ist es auch Staaten, die der NATO und der WEU nicht angehören, möglich, sich an Operationen zu beteiligen, die von der NATO bzw. der WEU geführt werden.

Dissuasion Strategie des Abhaltens durch Verteidigungs- und Durchhaltefähigkeit. Sie bezweckt, potentiellen Gegnern klar zu machen, dass bei einem Angriff auf die Schweiz der erstrebte Vorteil in keinem Verhältnis zum einzugehenden Risiko steht.

Die Schweiz verfolgte diese Strategie während des 20. Jahrhunderts, vor dem Kalten Krieg unausgesprochen, in der Folge explizit.

Existenzielle Gefahren Schwere Gefährdungen der Identität, der Interessen und der Existenz des Staates, der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen.

Friedenspolitisches Kontinuum «Klaviatur» sich gegenseitig ergänzender Massnahmen, die Staaten bzw. die Völkergemeinschaft ergreifen können, um
bewaffnete Konflikte zu verhüten, Krisen zu bewältigen, bewaffnete Konflikte zu beenden und ihre Ausweitung zu verhindern.

Umfasst namentlich Präventivdiplomatie, Gute Dienste, Vermittlung, den Einsatz von Militärbeobachtern, Zivilpolizeibeobachtern und Wahlbeobachtern, friedensunterstützende militärische Operationen, Unterstützung der Demokratisierung und des Wiederaufbaus kriegsgeschädigter Gesellschaften.

7726

Friedensunterstützung Entspricht dem englischen «peace support operations» und umfasst ein weites Spektrum ziviler und/oder militärischer Massnahmen, die geeignet sind, den Frieden zu festigen, bewaffnete Konflikte zu beenden und den erneuten Ausbruch bewaffneter Konflikte zu verhindern.

Gefahr Eine Gefährdung unserer sicherheitspolitischen Interessen und Ziele, die ihre Ursache in natürlichen, technischen, gesellschaftlichen oder machtpolitischen Entwicklungen oder Ereignissen hat, die für Staaten, Menschen und deren Lebensgrundlagen Schäden bewirken können. Gefahren können auch bestehen, ohne dass eine feindliche Absicht dahinter steht.

Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik Element der Vertragswerke von Maastricht (1993) und Amsterdam (1997) über die Europäische Union, das die Aussen- und Sicherheitspolitik der einzelnen EUMitgliedstaaten harmonisieren und integrieren soll. Auf längere Sicht ist im Rahmen der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik die Herausbildung eine gemeinsamen Verteidigungspolitik vorgesehen, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann.

Generalprävention In der Regel langfristig angelegte Bemühungen, die verhindern sollen, dass sich Konfliktursachen überhaupt erst herausbilden. Dazu gehört namentlich die Entwicklungszusammenarbeit.

Gewalt strategischen Ausmasses Gegenstand der schweizerischen Sicherheitspolitik. Darunter wird jene Gewalt verstanden, die Staat und Gesellschaft erheblich betrifft. Sie umfasst namentlich militärische Operationen gegen die Schweiz, die Ausübung wirtschaftlichen und politischen Drucks, organisierte Kriminalität im grossen Stil, Terrorismus und gewalttätigen Extremismus, aber auch natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen. Gewaltakte, von denen Einzelpersonen betroffen werden (z. B. Mord, Einbruch, Diebstahl), gelten nur dann als Gewalt strategischen Ausmasses, wenn sie auch Staat und Gesellschaft erheblich betreffen; sie fallen sonst in den eigenständigen Politikbereich der Polizei.

Globalisierung Ursprünglich ökonomischer Begriff für die zunehmende internationale Vernetzung von Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkten. Der Begriff wird aber zunehmend auch für die wachsende Vernetztheit und gegenseitige Abhängigkeit in anderen Bereichen verwendet. Die Globalisierung in der Sicherheitspolitik drückt sich z. B. darin aus, dass
bewaffnete Konflikte auch in geografisch entfernten Gebieten direkte Rückwirkungen auf die Schweiz haben können, z. B. durch eine erhöhte Anzahl von Asylsuchenden oder durch Versorgungsstörungen.

Interoperabilität Fähigkeit der Streitkräfte, mit Streitkräften anderer Staaten zu kooperieren. Diese Fähigkeit ist vor allem im Hinblick auf gemeinsame Einsätze wichtig. Interoperabi-

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lität bezieht sich namentlich auf Führung, Ausbildung, Ausrüstung, Struktur und Abläufe.

Krisenbewältigung Summe aller politischen, wirtschaftlichen und militärischen Massnahmen, die ergriffen werden, um eine kritische Lage oder ernste Spannungen zwischen Staaten zu meistern.

Krisenmanagement Politische Bemühungen, akute Krisen einer längerfristigen Krisenbewältigung zuzuführen.

Lagen Normale Lage: Situation, in der ordentliche Verwaltungsabläufe zur Bewältigung der anstehenden Probleme und Herausforderungen ausreichen.

Besondere Lage: Situation, in der gewisse Staatsaufgaben mit den normalen Verwaltungsabläufen nicht mehr bewältigt werden können. Im Unterschied zur «ausserordentlichen Lage» ist aber die Regierungstätigkeit nur sektoriell betroffen. Typisch ist der Bedarf nach rascher Konzentration der Mittel und Straffung der Verfahren.

Ausserordentliche Lage: Situation, in der in zahlreichen Bereichen und Sektoren normale Verwaltungsabläufe nicht genügen, um die Probleme und Herausforderungen zu bewältigen, beispielsweise bei Naturkatastrophen, die das ganze Land schwer in Mitleidenschaft ziehen, oder bei kriegerischen Ereignissen.

Lenkungsgruppe Sicherheit Vorbereitendes Stabsorgan des Bundesrates im Sicherheitsbereich mit folgenden Aufgaben: permanente Lageverfolgung in den sicherheitsrelevanten Bereichen, Beurteilung des Gewaltspektrums sowie der Entwicklungsmöglichkeiten im strategischen Umfeld; Früherkennung und Frühwarnung bezüglich neuer Bedrohungsformen und Gefahrenpotentiale für die Schweiz, unser strategisches Umfeld und unsere Interessen; Erarbeitung von Handlungsoptionen im Sicherheitsbereich zuhanden des Bundesrates; Koordination der sicherheitspolitischen Belange innerhalb und ausserhalb der Bundesverwaltung (insbesondere Kantone), speziell in besonderen Lagen; Überprüfung von Bedarf, Umfang, Effizienz und Erfolg von Vorkehrungen, Massnahmen und Aktivitäten im Sicherheitsbereich.

Menschenrechte Menschenrechte sind Rechte, die jedem Menschen zustehen. Menschenrechte achten heisst, die Würde und die Entscheidungsfreiheit eines Menschen anzuerkennen.

Man unterscheidet traditionell zwischen bürgerlichen und politischen sowie wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Diese sind als universell, unteilbar und als gegenseitig aufeinander bezogen anerkannt.

Milizarmee Armee,
die überwiegend aus Angehörigen besteht, die den Dienst auf Grund der allgemeinen Militärdienstpflicht und nicht als Berufspersonal leisten, in der Regel über eine gewisse Zeit gestaffelt.

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Multifunktionalität Fähigkeit eines Instrumentes zur Bewältigung mehrerer und unterschiedlicher Aufträge.

Neutralität Nichtbeteiligung eines Staates an zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten. Die dauernde Neutralität eines Staates ist der zu einer besonderen völkerrechtlichen Rechtsstellung erstarkte, ihn bereits in Friedenszeiten bindende Grundsatz seiner Aussenpolitik, kriegerischen Auseinandersetzungen fernzubleiben. Sie ist unvereinbar mit der Beteiligung an Bündnissen, die unter bestimmten Voraussetzungen zum militärischen Beistand und zur Zulassung fremder Stützpunkte zwingen.

Petersberger Aufgabenspektrum Sicherheitspolitisches Aufgabenspektrum der EU, das humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben und Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschliesslich friedensschaffender Massnahmen umfasst. Das Petersberger Aufgabenspektrum deckt sich mit den im Amsterdamer Vertrag vom 2. Oktober 1997, Artikel J.7, Absatz 2, bezeichneten Aufgaben, welche die Sicherheit der EU betreffen und für welche die EU auf die Dienste der WEU zurückgreifen kann.

Die Bezeichnung geht zurück auf das WEU-Ministertreffen auf dem Petersberg bei Bonn vom 19. Juni 1992.

Präventivdiplomatie Diplomatische Massnahmen mit dem Ziel, das Entstehen von Streitigkeiten zwischen einzelnen Parteien zu verhüten, die Eskalation bestehender Streitigkeiten zu offenen Konflikten zu verhindern und, sofern es dazu kommen sollte, diese einzugrenzen.

Raumsicherung und Verteidigung Teil des sicherheitspolitischen Auftrags der Armee. Bereits unterhalb der Kriegsschwelle überwacht die Armee den schweizerischen Luftraum, schützt gefährdete Grenzabschnitte und strategisch wichtige Räume sowie lebenswichtige Transversalen und Installationen. Sie trägt damit zu Sicherheit und Stabilität im Inland und in unserem Umfeld bei. Wird die Schweiz militärisch bedroht, verteidigt die Armee Bevölkerung, Territorium und Luftraum und verschafft der Regierung ein Maximum an Handlungsfreiheit. Sofern notwendig, wird sie von den Bundesbehörden ermächtigt, die Verteidigung auch im Verbund mit anderen Staaten sicherzustellen.

Risiko Das Risiko ist das Produkt eines (von einer Gefahr oder Bedrohung verursachten) möglichen Schadens und der Wahrscheinlichkeit, mit der dieser eintreten kann.

Schengen (Vertragswerk von) Ein nach
dem Winzerort Schengen in Luxemburg benanntes Vertragswerk, das 1985 von Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden unterzeichnet wurde. Das Übereinkommen und das Durchführungsübereinkommen von Schengen regeln den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen zur Einführung des freien Personenverkehrs für die Angehörigen der Unterzeichnerstaaten, aller anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sowie von Drittländern. Dem Schengener Übereinkommen sind weiter Italien (1990), Spanien und 7729

Portugal (1991), Griechenland (1992), Österreich (1995), Schweden, Finnland und Dänemark (1996) beigetreten. Mit dem Amsterdamer Vertrag wird dieses Vertragswerk in die Zuständigkeit der EU überführt, d. h. «vergemeinschaftet».

Sicherheit Man unterscheidet innere und äussere Sicherheit. Die innere Sicherheit ist betroffen, wenn die Beständigkeit und Verlässlichkeit der verfassungsmässigen politischen Staatseinrichtungen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Staates und das ordnungsgemässe Funktionieren dieser Einrichtungen sowie die Sicherheit der Bevölkerung bedroht sind. Die äussere Sicherheit ist betroffen, wenn die Beständigkeit und Verlässlichkeit der Unabhängigkeit eines Staates, die Fähigkeit, seine Grenzen und seine verfassungsmässige Ordnung nach aussen zu verteidigen, sowie sein gutes Einvernehmen mit anderen Staaten bedroht sind. Fragen der inneren und äusseren Sicherheit greifen jedoch immer mehr ineinander über. Daraus ergibt sich eine wachsende Komplexität der Sicherheitsfragen und ein Bedarf nach wirksamer Koordination.

Sicherheitspolitik Gesamtheit aller staatlichen Massnahmen zur Prävention und Bewältigung direkter und indirekter Androhung oder Anwendung von Gewalt strategischen Ausmasses gegen die Schweiz, ihre Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen.

Spezialprävention Massnahmen zum Abbau akuter Konfliktpotentiale. Die Mittel dazu umfassen u. a.

die Hilfe an Flüchtlinge und Vertriebene, Wiederaufbauhilfe, die Förderung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Demobilisierung und Wiedereingliederung von Kämpfern, Polizeireformen.

Strategie Grundsätzliches Denken, Handeln und Verhalten in sicherheitspolitischen Fragen.

Vorgabe für die neue Strategie der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation im Inland und der internationalen Sicherheitskooperation sind unsere staatspolitischen Grundsätze sowie unsere sicherheitspolitischen Ziele und Interessen.

Subsidiarität Das Prinzip der Subsidiarität besagt, dass der Einsatz der sicherheitspolitischen Mittel im Landesinnern auf einer möglichst tiefen und, was die Armee betrifft, möglichst zivilen Ebene erfolgen soll. Insbesondere wird stets geprüft, ob angesichts der übrigen nationalen, kantonalen oder kommunalen Handlungsmöglichkeiten ein Armeeeinsatz wirklich gerechtfertigt ist. Mit der Subsidiarität
gekoppelt sind die Grundsätze der Verhältnismässigkeit und der Notwendigkeit. In diesem Sinne können militärische Verbände auf Verlangen der zivilen Behörden dann zum Einsatz gelangen, wenn die zur Verfügung stehenden zivilen Mittel aller Stufen weder personell und materiell noch zeitlich in der Lage sind, die gegebene Bedrohungssituation zu meistern.

Umfassende flexible Sicherheitskooperation Eine der Hauptkomponenten der schweizerischen sicherheitspolitischen Strategie.

Sie umschreibt die fallweise Zusammenarbeit und Koordination der eigenen sicherheitspolitischen Mittel, entsprechend den Bedürfnissen der konkreten Bedrohungs-

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situation. In der umfassenden flexiblen Sicherheitskooperation soll ein präventiver oder reaktiver, lagegerecht dosierter Einsatz aller geeigneten Mittel der Schweiz im Zusammenwirken von Bund, Kantonen und Gemeinden, wo angezeigt auch zusammen mit Vorkehrungen der Wirtschaft zur Bekämpfung von Gewalt strategischen Ausmasses abgestimmt werden.

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Inhaltsverzeichnis

Übersicht

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1 Einleitung

7660

2 Notwendigkeit und Zweck eines neuen Berichts 21 Was hat sich seit 1990 verändert?

211 Veränderungen im Umfeld 212 Entwicklung der schweizerischen Sicherheitspolitik 22 Grundsätzliche Folgerungen

7661 7661 7661 7662 7664

3 Risiken und Chancen 7665 31 Spektrum der Bedrohungen und Gefahren 7665 311 Abnahme herkömmlicher militärischer Bedrohungsfaktoren 7665 312 Zunahme innerstaatlicher Konflikte 7666 313 Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Waffensystemen grosser Reichweite 7666 314 Einschränkungen des freien Wirtschaftsverkehrs und wirtschaftlicher Druck 7667 315 Wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklungen 7667 316 Sicherheitspolitisch relevante technologische Entwicklungen 7669 317 Bedrohung der Informatik- und Kommunikationsinfrastruktur 7669 318 Terrorismus, gewalttätiger Extremismus, Spionage, Kriminalität und organisiertes Verbrechen 7671 319 Demografische Entwicklungen, Migrationen 7673 3110 Natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen 7673 32 Internationale Sicherheitsstrukturen 7674 321 Vereinte Nationen 7674 322 Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 7675 323 Europäische Union und Westeuropäische Union 7676 324 NATO, Partnerschaft für den Frieden und Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat 7678 325 Europarat 7679 326 Die Stellung der anderen neutralen Staaten Europas in der europäischen Sicherheitsstruktur 7680 327 Abrüstungsübereinkommen und internationale Kontrollmassnahmen 7681 328 Weitere sicherheitspolitisch relevante Strukturen 7682 33 Risiken und Chancen für die Sicherheit der Schweiz 7683 4 Interessen und Ziele

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7684

5 Strategie 51 Strategische Grundgedanken und Leitlinien 511 Strategische Aufgaben 512 Beibehaltung der Neutralität unter konsequenter Nutzung des neutralitätsrechtlichen Spielraums 52 Hauptkomponenten der Strategie 521 Umfassende flexible Sicherheitskooperation im Inland (UFS) 522 Sicherheitskooperation mit dem Ausland 53 Begründung unserer Strategie gegenüber Alternativen 54 Auswirkungen eines EU-Beitritts 541 Sicherheitspolitische Auswirkungen 542 Auswirkungen auf die Bereiche Justiz und Inneres 55 Sicherheitspolitische Auswirkungen eines UNO-Beitritts

7685 7685 7688

6 Instrumente 61 Aussenpolitik 611 Sicherheitspolitischer Auftrag 612 Friedensförderung, präventive Diplomatie und Krisenbewältigung 613 Menschenrechtspolitik 614 Abrüstung und Rüstungskontrolle 615 Humanitäres Völkerrecht 616 Entwicklungszusammenarbeit, Zusammenarbeit mit Osteuropa und humanitäre Hilfe 617 Neutralitätspolitik 62 Armee 621 Sicherheitspolitischer Auftrag 622 Umsetzung des Auftrags 623 Von der Armee zu erbringende Leistungen 63 Bevölkerungsschutz 631 Sicherheitspolitischer Auftrag 632 Organisation und Wirkungsweise 64 Wirtschaftspolitik 641 Sicherheitspolitischer Auftrag 642 Organisation und Wirkungsweise 65 Wirtschaftliche Landesversorgung 651 Sicherheitspolitischer Auftrag 652 Organisation und Wirkungsweise 66 Staatsschutz und Polizei 661 Sicherheitspolitischer Auftrag 662 Organisation und Wirkungsweise 67 Information und Kommunikation 671 Sicherheitspolitischer Auftrag 672 Informationsorgane 673 Sicherheit der Informatik- und Kommunikations-Infrastruktur

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7700 7701 7702 7702 7703 7704 7705 7705 7706 7707 7707 7707 7708 7708 7709 7710 7710 7711 7712 7712 7713 7713 7733

7 Ressourcen 71 Dienstpflichtsystem 72 Finanzen

7714 7714 7717

8 Strategische Führung 81 Schaffung einer Lenkungsgruppe Sicherheit 82 Normale, besondere und ausserordentliche Lage 83 Rolle und Bedeutung der Kantone und Gemeinden

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9 Ausblick

7723

Abkürzungsverzeichnis

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Umschreibung von Kernbegriffen

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7734