99.059 Botschaft zu der Volksinitiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» vom 14. Juni 1999

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit die Botschaft zu der Volksinitiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl». Wir beantragen Ihnen, die Initiative Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung zu unterbreiten.

Der Entwurf zum entsprechenden Beschluss liegt bei.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. Juni 1999

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Ruth Dreifuss Der Bundeskanzler: François Couchepin

1999-4419

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Übersicht Die Volksinitiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» will dem bestehenden Artikel 34bis BV einen dritten Absatz anfügen. In diesem soll das Recht der Patientinnen und Patienten auf die freie Wahl des Leistungserbringers innerhalb der ganzen Schweiz und die Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflege-bzw.

Unfallversicherung festgehalten werden.

Schon heute ist die Wahlfreiheit der Versicherten sowohl im Bereich der Krankenversicherung als auch in jenem der Unfallversicherung gewährleistet, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. Es versteht sich von selbst, dass die Wahlfreiheit nicht unbesehen von der fachlichen Qualifikation der Personen und Institutionen Gültigkeit haben kann. In der Unfallversicherung wirken sich die zusätzlichen organisatorischen Anforderungen, welchen die Leistungserbringer unterliegen, für die Versicherten in der Praxis kaum aus. In der Krankenversicherung hingegen ist die Wahlfreiheit der Patientinnen und Patienten auf die zugelassenen Spitäler beschränkt. Dies bedeutet, dass ein Spital der von einem oder mehreren Kantonen gemeinsam aufgestellten Planung entsprechen muss; private Trägerschaften sind angemessen zu berücksichtigen. Die Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» fordert nun eine vollständig freie Spitalwahl. Die Annahme der Initiative hätte zur Folge, dass die Planungspflicht der Kantone obsolet würde und dass ein im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) vorgesehenes Instrument zur Kosteneindämmung ­ laut Botschaft vom 6. November 1991 ein Schwerpunkt der Totalrevision (BBl 1992 I 96) ­ dahinfiele.

Die Wahlmöglichkeit der Versicherten steht in engem Zusammenhang damit, inwieweit eine Behandlung von der Versicherung übernommen wird. Die Initianten fordern namentlich einen Beitrag der obligatorischen Versicherung bei der Behandlung auch in ausserkantonalen Spitälern und in Privatspitälern. Bezüglich der Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung bestanden nach der Einführung des KVG gewisse Unsicherheiten. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in einem Entscheid Ende 1997 nunmehr festgehalten, dass es für die Kostenübernahmepflicht des Wohnkantons und des Versicherers im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung bei einem medizinisch indizierten ausserkantonalen Spitalaufenthalt
nicht darauf ankommt, in welcher Abteilung eines öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitals sich eine versicherte Person tatsächlich aufhält. Damit ist das Anliegen der Initiative in einem wesentlichen Umfang schon heute erfüllt. Bei Behandlungen zu Lasten der Unfallversicherung wird der geforderte Beitrag ohnehin entrichtet.

Keine Kostenübernahmepflicht der Krankenversicherung besteht hingegen bei der Behandlung in Spitälern, welche nicht in einer von einem oder mehreren Kantonen erstellten Planung aufgeführt sind; damit die entsprechenden Kosten gedeckt werden, ist das Bestehen einer Zusatzversicherung erforderlich. Die Annahme der Initiative würde somit eine Verschiebung von Finanzlasten von der Zusatzversicherung auf die Grundversicherung bewirken. Da im Weiteren das in Bezug auf die Kosteneindämmung im Vordergrund stehende Instrument, die Spitalplanung, seine

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Wirkung verlöre, ist mit einer Mehrbelastung der Krankenversicherung zu rechnen, welche entsprechende Prämiensteigerungen zur Folge hätte. In welchem Ausmass diese Entwicklung die Kosten- bzw. Prämienentwicklung beeinflussen würde, ist zur Zeit nicht absehbar. Der Bundesrat beantragt daher die Ablehnung der Initiative.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

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Formelles

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Wortlaut der Initiative

Am 23. Juni 1997 wurde von einem Initiativkomitee Interessengemeinschaft «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» die Volksinitiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» eingereicht. Die Initiative ist in die Form des ausgearbeiteten Entwurfs gekleidet und lautet wie folgt: Die Bundesverfassung wird durch die folgende Bestimmung ergänzt: Art. 34bis Abs. 3 (neu) 3

Die obligatorischen Grundversicherungen geben Patientinnen und Patienten innerhalb der ganzen Schweiz im Kranken- und Unfallbereich Anrecht:

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a.

auf freie Arzt- und Spitalwahl;

b.

auf Kostendeckung.

Zustandekommen

Die Bundeskanzlei hat mit Verfügung vom 15. Dezember 1997 das formelle Zustandekommen der am 23. Juni 1997 mit 134 015 gültigen Unterschriften eingereichten Volksinitiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» (BBl 1997 IV 1656) festgestellt.

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Behandlungsfrist

Botschaften des Bundesrates zu Volksinitiativen sind nach Artikel 29 Absatz 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG; SR 171.11)1 spätestens 24 Monate nach Einreichen der Initiative der Bundesversammlung zu unterbreiten. Die Frist verlängert sich auf 30 Monate, falls der Bundesrat der Bundesversammlung einen Gegenentwurf oder einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlass unterbreitet (Art. 29 Abs. 2 GVG).

Bei Initiativen, die auf Partialrevision der Bundesverfassung (BV; SR 101) lauten und in der Form eines ausgearbeiteten Entwurfs vorliegen, muss die Bundesversammlung nach Artikel 27 Absatz 1 des GVG innert vier Jahren nach Einreichung der Initiative darüber beschliessen, ob sie der Initiative zustimmt oder nicht. Vorbe1

Mit der Änderung des GVG vom 21. Juni 1996 (AS 1997 753) ist diese Frist auf ein Jahr verkürzt worden. Für diese Initiative gelten aber noch die Fristbestimmungen nach bisherigem Recht (vgl AS 1997 700).

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halten bleibt die Möglichkeit für die Bundesversammlung, die Frist um ein Jahr zu verlängern, wenn mindestens ein Rat über einen Gegenentwurf oder einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlass Beschluss gefasst hat (Art. 27 Abs. 5bis GVG).

Der Bundesrat hat die Botschaft bis Ende Juni 1999 der Bundesversammlung zu unterbreiten.

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Folgen der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999

Nach der Annahme der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird die Volksinitiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» nicht mehr die bisherige Nummerierung (34bis Abs. 3) tragen können, sondern in die neue Bundesverfassung (Art. 117 Abs. 3) eingeordnet werden müssen. Der Text der Volksinitiative hingegen bedarf in casu keiner (nach Ziff. III der neuen Bundesverfassung im Rahmen des Gebotenen grundsätzlich möglichen) redaktionellen Anpassung.

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Gültigkeit

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Einheit der Form und der Materie

Nach Artikel 121 Absatz 4 BV kann eine Initiative entweder in Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs eingereicht werden. Mischformen sind unzulässig (Art. 75 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte [BPR]; SR 161.1). Bei der vorliegenden Initiative ist die Einheit der Form gewahrt, da sie die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs aufweist.

Die Bestimmung von Artikel 121 Absatz 3 BV statuiert das Gebot der Einheit der Materie: Ein Initiativbegehren auf Partialrevision der Bundesverfassung darf jeweils nur eine Materie zum Gegenstand haben. Die Einheit der Materie ist gewahrt, wenn zwischen den einzelnen Teilen eines Initiativbegehrens ein sachlicher Zusammenhang besteht (Art. 75 Abs. 2 BPR).

Die vorliegende Initiative hat die Neuregelung der Wahl des Leistungserbringers im Rahmen der obligatorischen Grundversicherung im Kranken- und Unfallbereich und die damit zusammenhängende Kostenübernahme zum Gegenstand. Das Gebot der Einheit der Materie scheint mithin ohne weiteres gewahrt.

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Durchführbarkeit

Die vorliegende Volksinitiative möchte das mit voller Kostendeckung verbundene Recht aller Patientinnen und Patienten auf freie Wahl des Leistungserbringers innerhalb der ganzen Schweiz einführen. Dieses Recht soll für die obligatorischen Grundversicherungen im Bereich der Kranken- und der Unfallversicherung gelten.

Die offensichtliche faktische Undurchführbarkeit eines Initiativbegehrens gilt als einzige ungeschriebene materielle Schranke der Verfassungsrevision; weder die Bundesverfassung noch ein Bundesgesetz führen die Undurchführbarkeit einer Initiative als Ungültigkeitsgrund auf. Dennoch sind sich Lehre und Praxis darin einig, dass undurchführbare Aufgaben nicht in den Bereich staatlicher Tätigkeit fallen, 8813

weshalb darüber vernünftigerweise auch keine Volksabstimmung stattfinden könne.

Nach konstanter Praxis dürfen jedoch nur zweifelsfrei und faktisch unmöglich durchführbare Volksinitiativen der Volksabstimmung entzogen werden. Die Unmöglichkeit der Durchführung eines Initiativbegehrens in rechtlicher Hinsicht sowie praktische Schwierigkeiten bei dessen Verwirklichung reichen nicht aus, um dieses wegen Undurchführbarkeit für ungültig zu erklären.

Die vorliegende Volksinitiative weist keinen derartigen Hinderungsgrund auf, da sie einzig weitere Vorschriften zur Ausgestaltung der obligatorischen Kranken- und Unfallversicherung aufstellt.

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Besonderer Teil

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Die Initiative im Verhältnis zur heutigen Ordnung

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Ziele der Initiative

Die Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» will den geltenden Artikel 34bis BV durch einen Absatz 3 ergänzen. In diesem soll das mit Kostendeckung verbundene Recht aller Patientinnen und Patienten auf freie Wahl des Leistungserbringers innerhalb der ganzen Schweiz festgehalten werden. Dieses Recht auf freie Arzt- und Spitalwahl soll sowohl für den Bereich der obligatorischen Krankenversicherung (inklusive Unfalldeckung) als auch der obligatorischen Unfallversicherung gelten.

Damit soll jegliche an Voraussetzungen gebundene Beschränkung der Wahl des Leistungserbringers verhindert werden und es soll sichergestellt werden, dass den Versicherten die Kosten der Behandlung im Rahmen der Grundversicherung zurückerstattet werden, unabhängig davon, welchen Leistungserbringer sie aufsuchen.

Die Gründe für die Initiative dürften einerseits in den durch die Kantone eingeführten Kostengutspracheverfahren, welche heute bei jeder ausserkantonalen Behandlung zur Anwendung kommen, und im Kampf der Privatkliniken um Aufnahme in die kantonalen Spitallisten liegen. Mit dem Argument der Förderung des freien Wettbewerbs zielt die Initiative darauf ab, eine allfällige Benachteiligung der Privatspitäler zu beseitigen. Andererseits fordert die Initiative, dass der Krankenversicherer in jedem Krankheitsfall denjenigen Sockelbeitrag der Behandlungskosten übernimmt, welcher der Deckung der gesetzlich festgelegten Leistungen entspricht, und zwar auch dann, wenn eine Person eine Zusatzversicherung abgeschlossen hat und sich in einem Privatspital behandeln lässt.

212

Vergleich mit dem geltenden Bundesrecht

212.1

Vergleich mit dem geltenden Verfassungsartikel

In seiner geltenden Fassung (vgl. Ziff. 111) gibt Artikel 34bis BV dem Bund die Kompetenz und den Auftrag, die soziale Kranken- und Unfallversicherung gesetzlich zu regeln. Dabei soll der Bundesgesetzgeber das Recht haben, die Versicherung für die ganze Bevölkerung oder einzelne Klassen der Bevölkerung obligatorisch zu erklären. Die Unfallversicherung ist seit Inkrafttreten des Unfallversicherungsgesetzes (UVG; SR 832.20) im Jahre 1984 für alle in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer obligatorisch. Anlässlich der Totalrevision der Krankenversicherung im Jah-

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re 1994 hat der Gesetzgeber dieses Recht auch für die Krankenversicherung in Anspruch genommen: Seither sind alle Personen mit Wohnsitz in der Schweiz obligatorisch gegen Krankheit versichert. Von der organisatorischen Anknüpfung an bestehende Krankenkassen abgesehen, lässt die Verfassung dem Gesetzgeber weitesten Spielraum bei der Ausgestaltung der Kranken- und Unfallversicherung. Das heutige System der freien Arzt- und Spitalwahl bei einer teilweise an Voraussetzungen geknüpften vollen Kostenübernahme durch die Kranken- und Unfallversicherung hat unter der geltenden Verfassungsbestimmung ebenso Platz wie beispielsweise ein System der vollständig freien Arzt- und Spitalwahl mit Ausrichtung eines Sockelbeitrags der Kranken- und Unfallversicherung an alle Behandlungskosten. Die geltende Verfassungsbestimmung würde es somit bei entsprechender Ausgestaltung der Gesetzgebung erlauben, die Ziele der Initiative zu verwirklichen.

212.2

Vergleich auf Gesetzesebene

Die soziale Kranken- und Unfallversicherung ist durch das Bundesgesetz über die Krankenversicherung bzw. das Unfallversicherungsgesetz geregelt. Die Bestimmungen der Initiative sind mit diesen beiden Texten zu vergleichen.

Die Initiative fordert, dass die obligatorischen Grundversicherungen ein Recht auf freie Arzt- und Spitalwahl und Kostendeckung innerhalb der ganzen Schweiz beinhalten sollen. Die geltende Gesetzgebung erfüllt diese Forderung im Grundsatz, indem die freie Wahl des Leistungserbringers sowie die Kostendeckung für die Krankenversicherung in Artikel 41 Absätze 1­4 KVG und für die Unfallversicherung in Artikel 10 Absatz 2 UVG sowie den Artikeln 15 ff. der Verordnung vom 20. Dezember 1982 über die Unfallversicherung (SR 832.202; UVV) festgehalten wird.

Absatz 3 Buchstabe a BV

Freie Arzt- und Spitalwahl

Im Bereich der Krankenversicherung ist im Grundsatz die freie Wahl des Leistungserbringers gewährleistet (Art. 41 Abs. 1 Satz 1 KVG). Dieses Recht gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So müssen die gewählten Leistungserbringer für die Behandlung der Krankheit geeignet und zugelassen sein. Dies bedeutet, dass sie im ambulanten Bereich über die gesetzlich festgelegten Befähigungsausweise (Art. 36­38 KVG) und im stationären Bereich über ausreichende ärztliche Betreuung, das erforderliche Fachpersonal und die zweckentsprechenden medizinischen Einrichtungen (Art. 39 Abs. 1 Bst. a­c KVG) verfügen müssen. Zusätzlich gilt für die Spitäler und anderen stationären Einrichtungen, dass sie, damit sie zur stationären Behandlung von Krankheiten oder zur Durchführung von Massnahmen der medizinischen Rehabilitation zugelassen sind, der von einem oder mehreren Kantonen gemeinsam aufgestellten Planung für eine bedarfsgerechte Spitalversorgung entsprechen, wobei private Trägerschaften angemessen in die Planung einzubeziehen sind (Art. 39 Abs. 1 Bst. d); zudem müssen sie auf der nach Leistungsaufträgen in Kategorien gegliederten Spitalliste des Kantons aufgeführt sein (Art. 39 Abs. 1 Bst. e KVG). In verschiedenen Beschwerdefällen hat der Bundesrat in Auslegung des geltenden Krankenversicherungsgesetzes entschieden, dass die Privat- und Halbprivatabteilungen der öffentlichen und privaten Spitäler nicht nach Bedarf gesteuert werden müssen, sondern dass dieser Bereich dem Wettbewerb zugänglich sein soll. Sofern eine Klinik die personellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt (Art. 39 Abs. 1 Bst.

a-c KVG) und ein entsprechendes Gesuch stellt, kann sie in die Liste des Standort8815

kantons aufgenommen werden. In Bezug auf diese Privat- und Halbprivatabteilungen besteht in diesem Rahmen schon heute freie Spitalwahl.

Der Wortlaut der Initiative deutet auf keinerlei Voraussetzungen hin, von denen die freie Arzt- und Spitalwahl abhängig wäre ­ in diesem Sinne wäre sie uneingeschränkt. In einem in der Schweizerischen Ärztezeitung publizierten Artikel erwähnt ein Mitglied des aus Vertretern der Privatspitäler sowie der Belegärzte zusammengesetzten Initiativkomitees, dass Privatspitäler bei der Erstellung der Spitalplanung resp. Spitallisten durch die Kantone benachteiligt würden, weil es im Interesse der Kantone sei, in erster Linie die Anstalten mit öffentlicher Trägerschaft zu berücksichtigen (Dr. med. M. Ganz: Eidgenössische Volksinitiative «für eine freie Arztund Spitalwahl», in Schweizerische Ärztezeitung, Heft 10 1997, S. 331). Die Forderung nach freier Spitalwahl dürfte somit in erster Linie auf eine Besserstellung der Privatspitäler abzielen. Eine freie Spitalwahl unbesehen davon, ob eine Heilanstalt im Rahmen der Planung für die Versorgung der Versicherten als notwendig erachtet wird, würde in der Konsequenz dazu führen, dass die im KVG verankerte Spitalplanung ihre Funktion verlöre. Die Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» widerspricht dem geltenden Gesetz somit in einem massgeblichen Punkt, der anlässlich der Revision der Krankenversicherung 1994 als zentraler Fortschritt hervorgehoben wurde.

Bezüglich der Bedeutung des Begriffs «freie Arztwahl» gibt der Wortlaut der Initiative keinen Hinweis auf dessen Auslegung. Aus einer Broschüre der Vereinigung der Privatkliniken des Kantons Zürich ist zu schliessen, dass die ärztliche Behandlung bei einem Aufenthalt im Privatspital oder in einer (halb)privaten Abteilung gemeint sein muss. Eine so verstandene freie Arztwahl entspricht nicht der Konzeption des Gesetzes, welches davon ausgeht, dass die Wahl des Spitals als Leistungserbringer im Rahmen der Grundversicherung ­ auf welche sich die Initiative bezieht ­ auch die ärztlichen Leistungen, welche das Spital erbringt, umfasst. Die Wahl des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin innerhalb des Spitals gehört nicht zum Leistungskatalog des KVG. Im Fall der Annahme der Initiative müsste das Gesetz entsprechend geändert werden.

Wie in der Krankenversicherung
besteht auch im Bereich der Unfallversicherung im Grundsatz die freie Arzt- und Spitalwahl (Art. 10 Abs. 2 UVG). Es versteht sich auch hier, dass diese Wahlfreiheit nicht absolut, d. h. unbesehen der fachlichen Qualifikation der Personen und der Institutionen, Gültigkeit haben kann. So müssen die Leistungserbringer, unter denen freie Wahl besteht, für die Heilbehandlung geeignet und zugelassen sein (Art. 53 UVG in Verbindung mit Art. 68 UVV). Des Weiteren müssen die Leistungserbringer die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllen: Im ambulanten Bereich können die Unfallversicherer nach Artikel 56 Absatz 1 die Behandlung der Versicherten ausschliesslich Ärzten und Ärztinnen übertragen, welche am Vertrag der Ärzteorganisation mit den Unfallversicherern beteiligt sind.

Da praktisch alle Ärzte und Ärztinnen diesem Vertrag beigetreten sind, spielt in der Praxis diese Beschränkung der Wahlfreiheit keine Rolle. Im Spitalbereich hat die versicherte Person nach Artikel 15 Absatz 1 UVV Anspruch auf Behandlung, Verpflegung und Unterkunft in der allgemeinen Abteilung einer Heilanstalt, mit der ein Zusammenarbeits- und Tarifvertrag abgeschlossen wurde. Diese Regelung gilt unabhängig vom Wohnsitz der versicherten Person. Sie kann sich demnach in der ganzen Schweiz in Vertragsspitälern behandeln lassen. Zur Zeit haben die Unfallversicherer flächendeckend Zusammenarbeits- und Tarifverträge abgeschlossen. Sie sind dabei nicht an die Spitallisten gemäss KVG gebunden und berücksichtigen re8816

gelmässig öffentliche, subventionierte und Privatspitäler. Aus diesem Grund ist in der Praxis das Erfordernis des Bestehens eines Zusammenarbeits- und Tarifvertrages keine Einschränkung der Wahlfreiheit des Spitals. Begibt sich die versicherte Person in eine andere als die allgemeine Abteilung einer Heilanstalt oder in eine Heilanstalt, mit welcher kein Zusammenarbeits- und Tarifvertrag besteht, so übernimmt nach Artikel 15 Absatz 2 UVV die Versicherung die Kosten, welche ihr bei der Behandlung in der allgemeinen Abteilung dieser oder der nächstgelegenen entsprechenden Heilanstalt erwachsen wären. Die versicherte Person kann sich somit in der ganzen Schweiz und auch in Spitälern behandeln lassen, mit denen die Unfallversicherer keinen Vertrag abgeschlossen haben.

Die im obigen Sinne gewährleistete freie Wahl des Arztes oder des Spitals ist eingeschränkt durch das Gebot der zweckmässigen Behandlung nach Artikel 48 UVG und der Wirtschaftlichkeit der Behandlung nach Artikel 54 UVG. Ferner können die Versicherer nach Artikel 55 UVG unter den dort erwähnten Bedingungen einem Arzt oder Spital die Behandlung von versicherten Personen untersagen. Diese Beschränkungen der freien Wahl des Spitals sind unter anderem aus dem im UVG massgebenden Blickwinkel des Naturalleistungsprinzips zu interpretieren (Bundesamt für Sozialversicherung: Rechtsprechung und Verwaltungspraxis der Krankenund Unfallversicherung [RKUV] 1995 U 227 S. 190). Danach kann der Versicherer einen gewissen Einfluss auf die Art und Weise der Heilbehandlung ausüben.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die freie Wahl der Leistungserbringer im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung mit gewissen Einschränkungen gewährleistet ist. Insbesondere besteht aber keine regional begründete Einschränkung dieser Wahlfreiheit. Im Übrigen wirken sich die Einschränkungen für den Versicherten in der Praxis kaum aus.

Absatz 3 Buchstabe b BV

Kostendeckung

Weil die Frage der Wahlfreiheit der Versicherten in Bezug auf den Leistungserbringer faktisch damit zusammenhängt, in welchem Umfang die Kostenübernahme durch die Versicherer gewährleistet ist, fordert die Initiative ebenfalls die Kostenübernahme durch die Grundversicherung innerhalb der ganzen Schweiz.

Die obligatorische Krankenversicherung regelt denn auch die Kostenübernahme im selben Gesetzesartikel wie die Wahlfreiheit der Versicherten. Nach Artikel 41 Absatz 1 KVG haben die Versicherer die Kosten jedoch grundsätzlich nur bis zur Höhe des Tarifs zu übernehmen, der am Wohn- oder Arbeitsort der versicherten Person (ambulanter Bereich) bzw. im Wohnkanton der versicherten Person (stationäre und teilstationäre Behandlung) gilt. Üben die versicherten Personen, ausser im medizinischen Notfall (Art. 41 Abs. 2 KVG), ihr Wahlrecht ausserhalb dieser Grenzen aus, haben sie allfällige Kostendifferenzen zwischen dem Tarif am Behandlungsort und jenem am Wohn- oder Arbeitsort bzw. im Wohnkanton selber zu tragen.

Im Gegensatz zum geltenden KVG macht der Initiativtext keine Unterscheidung zwischen der Kostenübernahme im ambulanten und im stationären Bereich. Insbesondere äussern sich die Initianten nicht dazu, wie sie die Kostenübernahme durch die Grundversicherung innerhalb der ganzen Schweiz im ambulanten Sektor verstehen. Falls sie damit die gesamtschweizerische Vergütung der Leistungen der Grundversicherung bei Anwendung der heute gültigen Tarifordnung beschreiben, ergibt sich zum Status quo kein Unterschied. Andernfalls wäre auf Grund des Wortlauts der Initiative unklar, wie die Gesetzgebung für den ambulanten Bereich auszugestalten 8817

wäre. Demgegenüber äussern sich die Begleitmaterialien zur Initiative darüber, wie die Kostenübernahme durch die Grundversicherung im Spitalbereich zu verstehen ist. Die Interessengemeinschaft «Freie Arzt- und Spitalwahl» fordert in einem Faltblatt, dass im Krankheitsfall alle Versicherten Anspruch auf einen Sockelbeitrag im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen der obligatorischen Grundversicherung haben ­ also auch die Zusatzversicherten. Da diese Forderung mit der geltenden Gesetzgebung im ambulanten Bereich bereits erfüllt ist, kann sie sich nur auf den Spitalsektor beziehen. Namentlich fordern die Verfasser der Publikation Kostendeckung für die Leistungen aus der Grundversicherung für alle Patientinnen und Patienten, insbesondere bei Aufenthalten in Privatspitälern und in ausserkantonalen Spitälern. In ihrem Prospekt hebt die Vereinigung der Privatkliniken des Kantons Zürich hervor, dass damit die Beseitigung der Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Kostenübernahme bei halbprivat- und privatversicherten Patientinnen und Patienten erreicht würde.

Wie oben erwähnt, beinhaltet das KVG bereits jetzt eine sehr grosse Wahlfreiheit der Versicherten. Diese Wahlfreiheit beschränkt sich auf einen gemäss den Regeln der Krankenversicherung zugelassenen, für die Behandlung der Krankheit geeigneten Leistungserbringer. Dies bedeutet für den stationären Bereich, dass die Versicherten nicht nur Leistungserbringer aufsuchen können, welche auf der Spitalliste ihres Wohnkantons aufgeführt sind. Sie sind daher frei, sich in einem Spital behandeln zu lassen, welches nicht auf der Liste des Wohnkantons, aber auf der Liste des Standortkantons aufgeführt ist. Ebenso sind sie frei, jeden zugelassenen Arzt und jede zugelassene Ärztin aufzusuchen. Hingegen ist der Versicherer verpflichtet, bei ambulanter Behandlung die Kosten höchstens nach dem Tarif zu übernehmen, der am Wohn- oder Arbeitsort der versicherten Person gilt, bei stationärer Behandlung höchstens nach dem Tarif, der im Wohnkanton der versicherten Person gilt.

Die Ausnahmen bilden die medizinisch indizierten Fälle, bei denen die territoriale Begrenzung nicht gilt. Im Falle der Aufhebung all dieser Einschränkungen resp. Bedingungen ist, wenn diese mit einer vollen Kostenübernahme seitens der Krankenversicherung verbunden wäre, mit der Verdoppelung des Anteils
der Krankenversicherung an der Finanzierung der Spitalkosten zu rechnen ­ mit entsprechenden Prämienfolgen.

Eine Beitragspflicht der Krankenversicherung an die medizinische Behandlung in ausserkantonalen Spitälern besteht gemäss geltender Gesetzgebung somit schon heute, wenn die Behandlung in einem Listenspital erfolgt. Die im Rahmen der Initiative geforderte Entrichtung eines Sockelbeitrags der Krankenversicherung an die Behandlung der Patientinnen und Patienten in allen Spitälern der Schweiz geht über das hinaus, was der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes gewollt hat.

In der Botschaft des Bundesrates zur Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991 (BBl 1992 I 169) sind die Argumente, welche den Gesetzgeber zum Erlass der diesbezüglichen Bestimmungen veranlasst haben, genannt: Indem die Kostenübernahme, mit Ausnahme des medizinischen Notfalls und im Fall, in dem die erforderliche Leistung in einem Listenspital nicht angeboten wird, auf die der Planung entsprechenden Spitäler eingeschränkt wird, soll die Koordination verbessert werden, was längerfristig zur Kosteneindämmung und besseren Ressourcennutzung beitragen soll. Mit der Deckung der grundversicherten Leistungen in allen Spitälern der Schweiz würde auf die Nutzung dieses längerfristig bestehenden Kosteneindämmungspotentials verzichtet. Infolge des praktischen Wegfalls der Bedeutung der kantonalen Planungspflicht würden zudem heute bestehende Kontroll-

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mechanismen aufgehoben. Für nicht ausgelastete Spitäler entstünde damit ein Anreiz zur ­ schwer kontrollierbaren ­ Mengenausweitung.

Die obligatorische Unfallversicherung ist weit weniger kantonal oder föderalistisch ausgerichtet als die obligatorische Krankenversicherung. Aus diesem Grund findet sich im UVG keine Regelung, welche derjenigen in der Krankenversicherung vergleichbar wäre. Vielmehr schreibt Artikel 70 Absatz 1 UVG vor, dass Zusammenarbeits- und Tarifverträge zwischen den Versicherern sowie den Ärzten und Ärztinnen auf gesamtschweizerischer Ebene abgeschlossen werden müssen.

Lediglich im Spitaltarifbereich wurden Entschädigungsmodelle entwickelt, welche zwischen der Behandlung von Versicherten in öffentlichen, öffentlich subventionierten und Privatspitälern unterscheiden. Ferner wird auch in den Vertragsverhandlungen der UVG-Versicherer und der Spitäler zwischen der Behandlung von kantonalen und ausserkantonalen Patientinnen und Patienten unterschieden. Indessen handelt es sich hier um eine Diskussion zwischen den Leistungserbringern und den Versicherern, die direkt keine Auswirkungen auf die versicherten Personen haben. Aus der Sicht der Versicherten werden die Behandlungskosten durch die Versicherer unabhängig vom Wohnort oder Wohnkanton übernommen. Es wird auch grundsätzlich kein Selbstbehalt berechnet. Begibt sich die versicherte Person in ein Spital ohne Vertrag mit den Unfallversicherern, so erhält sie ­ wie bereits oben erwähnt ­ unabhängig davon, ob sie sich in ihrem Wohnkanton behandeln lässt, die Kosten erstattet, die in der allgemeinen Abteilung des nächstgelegenen vergleichbaren Vertragsspitals angefallen wären. Eine allfällige Differenz zu den in Rechnung gestellten Kosten muss die versicherte Person bezahlen. Des Weiteren kann die versicherte Person ohne Verlust der Leistungen in der Grundversicherung sich in der halbprivaten oder privaten Abteilung eines Spitals behandeln lassen. Auch hier bezahlt sie lediglich den Aufpreis (Art. 15 UVV).

213

Vergleich mit dem kantonalen Recht

Kantonales Recht ist durch die Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» nicht betroffen. Allerdings ist davon auszugehen, dass beim faktischen Wegfall eines Instruments zur Kosteneindämmung in der Krankenversicherung ­ der Spitalplanung ­, insbesondere wegen der zu erwartenden Mengenausweitung, zusätzliche Kosten anfallen, welche dann auf die Prämien überwälzt werden (s. unten Ziff. 231.2, 231.3 und 31). Damit kann sich ein erhöhter Finanzbedarf der Kantone ergeben, wenn sie die sozialpolitischen Ziele der Prämienverbilligungen erreichen wollen. Je nach Ausgestaltung der Prämienverbilligung in einem Kanton kann sich so eine indirekte Wirkung auf die kantonale Gesetzgebung ergeben. Die obligatorische Unfallversicherung ihrerseits stellt eine abschliessende Regelung auf Bundesebene dar, welche keine kantonalen Ausführungserlasse zulässt.

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Hängige Revisionen

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Übersicht

Zurzeit sind lediglich im Bereich der Krankenversicherung Revisionen hängig, nicht aber in jenem der Unfallversicherung. Dabei handelt es sich um die vom Bundesrat eingeleitete erste Teilrevision des KVG. Die Botschaft zu deren ersten Etappe, wel8819

che Massnahmen zur Stärkung der Solidarität und Instrumente zur Kosteneindämmung beinhaltet und in keinem Zusammenhang mit den Themen Spitalwahl und Kostenübernahme steht, wurde vom Bundesrat am 21. September 1998 verabschiedet (BBl 1999 791). Die Vorlage wird derzeit von den eidgenössischen Räten beraten. Es ist vorgesehen, dass die Gesetzesänderung am 1. Januar 2000 in Kraft tritt.

Angesichts der anhaltenden Diskussionen über die Finanzierung der stationären Einrichtungen hat der Bundesrat am 21. September 1998 zudem beschlossen, auch den Bereich der Spitalfinanzierung einer Revision zu unterziehen. In diesem Zusammenhang sollen auch die in der Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» enthaltenen Fragen der Wahl des Leistungserbringers und der Kostenübernahme aufgegriffen werden. Die Neuordnung der Spitalfinanzierung bildet die zweite Etappe der ersten Teilrevision des KVG. Der diesbezügliche Vorschlag des Bundesrats wurde in der Zeit vom 8. März bis zum 23. April 1999 einem Vernehmlassungsverfahren unterzogen.

Hängig ist zudem die Volksinitiative «für tiefere Spitalkosten». Sie fordert die Änderung von Artikel 34bis Absatz 2 BV (Art. 117 Abs. 2 nBV) in dem Sinne, dass das Versicherungsobligatorium auf den Spitalbereich beschränkt sein soll und dass die Krankenversicherer einen Beitrag von 250 Franken pro Aufenthaltstag der Versicherten in der allgemeinen Abteilung eines Spitals leisten sollen. Zudem sollen die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung ergänzt werden.

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Teilrevision KVG Spitalfinanzierung

In zwei Grundsatzurteilen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) im Dezember 1997 entschieden, dass die Beitragspflicht des Kantons bei einem ausserkantonalen Spitalaufenthalt unabhängig von der Art der Abteilung eines öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitals besteht (BGE 123 V 290 ff., 310 ff.). Das EVG ging dabei davon aus, dass beim Aufenthalt in der (halb)privaten Abteilung die Kosten entsprechend den Taxen für die allgemeine Abteilung des betreffenden Spitals vergütet werden, wie wenn sich die versicherte Person in der allgemeinen Abteilung aufgehalten hätte. Wenn ein Spital keine allgemeine Abteilung führt, kommen Referenztarife zum Zuge. Weil die Kostenübernahme durch die Krankenversicherung nicht davon abhängt, ob sich eine versicherte Person tatsächlich in der allgemeinen Abteilung aufgehalten habe, gäbe es auch keinen Grund, die gleichartige Leistung des Kantons unter denselben Umständen zu verweigern. Das EVG stützte sich dabei neben den keine andere Aussage enthaltenden Materialien und der Nichterwähnung des Begriffs der allgemeinen Abteilung in Artikel 41 Absatz 3 KVG vor allem auf die Zielsetzung der Einführung dieser Bestimmung: den Lastenausgleich und die verstärkte Koordination zwischen den Kantonen. Stattfinden soll ein Ausgleich zwischen (kleinen) Kantonen, welche aus gesundheitspolitischen Gründen gewisse stationäre Leistungen nicht anbieten, und Kantonen mit ausgebauter, durch Steuern der Kantonseinwohner bzw. Kantonseinwohnerinnen mitfinanzierter Spitalversorgung. Gleichzeitig entschied das EVG aber auch, dass bei nicht subventionierten Spitälern diese Bestimmung nicht zur Anwendung kommen könne, weil die Ausgleichspflicht des Wohnkantons auf Grund des klaren Wortlautes des Gesetzes nur bei öffentlichen und öffentlich subventionierten Spitälern zum Tragen komme und bei nicht subventionierten Spitälern die Tarife für ausserkantonale Patientinnen bzw. Patienten und für solche aus dem Standortkanton in der Re-

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gel gleich hoch sind. Die in Rechnung gestellten Kosten dürften also den Tarifen des betreffenden Spitals entsprechen, womit sich die Frage einer Ausgleichspflicht gar nicht stellen kann. Nicht ausgesprochen hat sich das EVG zur Frage, ob die Kantone auch innerhalb des Kantons einen Beitrag an die Behandlung von Halbprivat- und Privatversicherten in öffentlichen und öffentlich subventionierten Spitälern entrichten müssen.

Zwar ist in der Folge zur Regelung der Finanzierung der ausserkantonalen Spitalbehandlung von halbprivat oder privat Versicherten ein Abkommen zwischen Kantonen und Krankenversicherern ratifiziert worden. Das Abkommen gilt bis zum 31. Dezember 2000 und kann um ein Jahr verlängert werden. Als Alternative zu einer weiteren punktuellen Regelung soll im Rahmen der zweiten Etappe der ersten Teilrevision des KVG eine definitive Regelung vorgeschlagen werden, welche möglichst auch die noch offene Frage in Bezug auf die innerkantonal behandelten Halbprivat- und Privatversicherten einbezieht. Mit der in der Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» geforderten Einführung eines Rechts auf freie Arzt- und Spitalwahl sowie der Kostendeckung durch die Grundversicherung innerhalb der ganzen Schweiz im Krankheits- und Unfallbereich und der Spitalfinanzierung besteht ein enger Zusammenhang. Deshalb werden im Rahmen der Teilrevision des KVG auch die in der Initiative enthaltenen Forderungen aufgegriffen werden.

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Verhältnis zur Volksinitiative «für tiefere Spitalkosten»

Am 10. September 1998 wurde vom Initiativkomitee des Grossverteilers Denner AG die eidgenössische Volksinitiative «für tiefere Spitalkosten» bei der Bundeskanzlei eingereicht. Gemäss Verfügung der Bundeskanzlei vom 14. Oktober 1998 ist die Initiative zu Stande gekommen (BBl 1998 4959).

Während der Vorschlag des Bundesrats zur Teilrevision im Bereich Spitalfinanzierung auch die mit der Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» aufgeworfenen Fragen der Spitallisten und der Beitragspflicht der Krankenversicherung an die Kosten der Behandlung der Zusatzversicherten sowie auch den Einbezug der Privatspitäler ins Finanzierungsregime umfasste, beinhaltet die Initiative «für tiefere Spitalkosten» ­ neben der Abschaffung des Versicherungsobligatoriums für den ambulanten Krankenpflegebereich ­ die Beschränkung des Beitrags der Krankenversicherung an die Spitalbehandlungen.

Ausser der Beschränkung des Krankenversicherungsobligatoriums auf den Spitalbereich fordert die Initiative «für tiefere Spitalkosten» die Zahlung eines Beitrags der Krankenversicherung von 250 Franken pro Aufenthaltstag einer versicherten Person in der allgemeinen Abteilung eines Spitals. Bei medizinischer Notwendigkeit einer ausserkantonalen Behandlung erhält der Wohnsitzkanton der versicherten Person den Betrag von 250 Franken seitens des Versicherers, wobei es dem Wohnsitzkanton überlassen bleibt, mit dem entsprechenden Spital bzw. Kanton eine andere Abmachung zu treffen. Zudem sollen die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung in dem Sinne ergänzt werden, dass gesetzliche oder Verordnungsbestimmungen, welche im Widerspruch zur mit der Initiative geforderten Verfassungsbestimmung stehen, aufgehoben werden. Dies bedeutet, dass im Fall der Annahme der Initiative «für tiefere Spitalkosten» auch die im Rahmen einer zweiten Etappe der ersten Teilrevision allenfalls vorgängig beschlossenen Änderungen nicht anwendbar wären, soweit sie mit der Initiative «für tiefere Spitalkosten» im Wider8821

spruch stehen. Betroffen wären damit unter anderem namentlich Artikel 25 KVG, in welchem der Begriff der allgemeinen Abteilung gestrichen werden soll, Artikel 41 KVG, der die Wahl des Leistungserbringers und die Kostenübernahme regelt sowie Artikel 49 KVG, welcher die Vergütung der stationären Behandlung regelt.

23

Würdigung der Initiative

231

Zu den einzelnen Massnahmen

231.1

Freie Arztwahl

Die Krankenversicherung gewährleistet in Artikel 41 Absatz 1 KVG die freie Arztwahl. Diese ist nicht beschränkt, ausser dass die Ärztinnen und Ärzte für die Behandlung der jeweiligen Krankheit geeignet und zugelassen sein müssen. Auch in der Unfallversicherung besteht nach dem unter Ziffer 212.2 Gesagten in der Praxis die freie Arztwahl. Sie entspricht weitgehend den von der Initiative verfolgten Zielsetzungen.

231.2

Freie Spitalwahl

Die Krankenversicherung lässt den versicherten Personen gemäss Artikel 41 Absatz 1 KVG die freie Wahl unter den für die Behandlung geeigneten und zugelassenen Leistungserbringern. Dies hat zur Folge, dass unter den Listenspitälern gewählt werden kann. Private Spitäler resp. Abteilungen sind von den Kantonen angemessen in die Planung einzubeziehen (Art. 39 KVG). Das Ziel der Planung besteht letztlich darin, mittel- und längerfristig die Kosten der Krankenversicherung einzudämmen, indem bestehende Überkapazitäten abgebaut werden ­ dies betrifft sowohl öffentliche Spitäler als auch Institutionen mit privater Trägerschaft.

In der ersten Umsetzungsphase des auf den 1. Januar 1996 in Kraft getretenen KVG zeichneten sich bereits verschiedene Vollzugsprobleme ab. Unterschiedliche Interpretationen zur Frage der Kostenübernahme, insbesondere bei ausserkantonaler Hospitalisation und der darin begründete Erlass von Spitallisten, führten zu einer Vielzahl von Beschwerden an den Bundesrat. Die Beschwerden richteten sich grösstenteils gegen die Spital- und Pflegeheimlisten, welche die Kantone gestützt auf ihre Kompetenz nach Artikel 39 KVG zu erlassen haben. In seinem Entscheid vom 21. Oktober 1998 zur Appenzeller Spitalliste (RKUV 1998 KV 54) hat der Bundesrat daran festgehalten, dass ein Kanton nur dann bedarfsgerecht planen kann, wenn er die Patientenströme kennt und seine Kapazitäten mit den Nachbarkantonen koordinieren kann. Die Unterteilung der Listen in Kategorien dient der Umschreibung der angebotenen medizinischen Spezialitäten. Welche Aufgaben ein Spital im Rahmen der kantonalen Planung zu erfüllen hat, wird unter anderem mit dem Leistungsauftrag umschrieben. Dies hat zur Folge, dass alle stationären Kapazitäten in die Bedarfsplanung einbezogen werden müssen und dass eine Differenzierung nach Abteilungen nicht sachgerecht ist. Damit wird ein im Gesetz vorgesehenes kostendämpfendes Instrument verstärkt. Zudem sollte unterstrichen werden, dass ein Kanton nur dann bedarfsgerecht planen kann, wenn er die Patientenströme kennt und seine Kapazitäten mit den Nachbarkantonen koordinieren kann.

8822

Die Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» fordert eine vollständig freie Spitalwahl. Die Annahme der Initiative hätte zur Folge, dass die Planungspflicht der Kantone obsolet würde: Spitalplanung und Listen hätten keine Bedeutung mehr und könnten keine steuernde Funktion mehr ausüben. Ein im KVG vorgesehenes Instrument zur Kosteneindämmung, welche laut Botschaft vom 6. November 1991 einen Schwerpunkt der Totalrevision bildete (BBl 1992 I 96), würde damit dahinfallen. Es ist davon auszugehen, dass beim Wegfall der Planungspflicht, mit welcher die Infrastrukturen auf den voraussichtlichen Bedarf abgestimmt werden sollen, die heute unzweifelhaft bestehenden Überkapazitäten im Spitalbereich möglichst stark ausgelastet würden, indem ein unechter Bedarf an Spitalbehandlungen geweckt und gedeckt würde ­ mit erheblichen Kostenfolgen. Der Wegfall der Planungspflicht ist deshalb abzulehnen.

In der Unfallversicherung besteht nach dem unter Ziffer 212.2 Gesagten in der Praxis die freie Spitalwahl. Auf Grund der von der Initiative verfolgten Zielsetzung drängt sich keine Änderung auf.

231.3

Kostendeckung

Bei ambulanter Behandlung übernimmt der Krankenversicherer nach geltendem Gesetz, ausser im Notfall oder wenn die erforderliche Leistung nicht angeboten wird, auf Grund von Artikel 41 Absatz 1 die Kosten höchstens zu dem Tarif, der am Wohnoder Arbeitsort der versicherten Person oder in deren Umgebung gilt. Weil im ambulanten Bereich davon ausgegangen werden kann, dass das Leistungsangebot der ortsansässigen Ärzte und Ärztinnen die Versorgung der Bevölkerung gewährleistet, ist der Einbezug ausserkantonaler Kapazitäten nicht erforderlich. Ein allfälliger Wahlbedarf der versicherten Personen ist im Rahmen einer Zusatzversicherung abzudecken. Im stationären Bereich bildet die ärztliche Leistung Bestandteil der Behandlung im Rahmen der Grundversicherung. Zuständig und verantwortlich für die medizinische Versorgung sind die Kantone. Wenn die Kantone private Abteilungen oder Spitäler mit der Erbringung von Leistungen beauftragen, um die stationäre Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, ist darin auch die ärztliche Behandlung eingeschlossen. Ob die Patientinnen und Patienten in diesem Rahmen den Arzt resp. die Ärztin frei wählen können, hängt von der internen Regelung der jeweiligen Institution ab. Eine weitergehende freie Arztwahl wird durch die Zusatzversicherung abgedeckt.

Der von den Initianten geforderte Sockelbeitrag der Krankenversicherung wird generell ausgerichtet. Die Beschränkung der Kostenübernahme auf jenen Tarif, der am Wohn- und Arbeitsort der versicherten Person gilt, ist im Übrigen in der föderalistischen Ausgestaltung des Gesundheitwesens begründet. Die Gesundheitsversorgung wie auch die Tarifverträge mit der Ärzteschaft werden auf kantonaler Ebene geregelt; sowohl die Versorgungsdichte als auch die Tarife wirken sich auf das kantonale Kostenniveau aus, welches wiederum die Prämiengestaltung der Krankenversicherer beeinflusst. Die Initianten äussern sich im Übrigen nicht explizit zum ambulanten Bereich. Aus dem Wortlaut der Initiative kann zudem nicht abgeleitet werden, ob das Anrecht auf Kostendeckung in der Grundversicherung auch einen eventuellen Verzicht auf die Kostenbeteiligung der Versicherten beinhaltet.

Bei stationärer oder teilstationärer Behandlung muss der Krankenversicherer nach Artikel 41 Absatz 1 die Kosten höchstens nach dem Tarif übernehmen, der im 8823

Wohnkanton der versicherten Person gilt. Vorbehalten ist die Beanspruchung eines ausserkantonalen Leistungserbringers im medizinischen Notfall oder im Fall, in dem die erforderliche medizinische Leistung in einem auf der Spitalliste des Wohnkantons aufgeführten Spital nicht angeboten wird (Art. 41 Abs. 2 KVG). Grund dafür ist die bereits erwähnte föderalistische Gestaltung des Gesundheitswesens. Artikel 41 Absatz 3 KVG regelt die Übernahme von Kostendifferenzen durch den Wohnkanton der versicherten Person.

Zwischen Kantonen und Krankenversicherern war seit Inkrafttreten des KVG umstritten, wie Artikel 41 Absatz 3 KVG bezüglich der Beitragsleistung des Wohnkantons der versicherten Person an medizinisch indizierte ausserkantonale Hospitalisationen auszulegen sei. Streitpunkt war die Frage, ob der Kanton seinen Beitrag an ausserkantonale Behandlungen unabhängig von der Art der Abteilung, in der die Behandlung durchgeführt wird, ausrichten muss. In den unter Ziffer 222 erwähnten Entscheiden hat sich das Eidgenössische Versicherungsgericht zu Gunsten der Beitragspflicht des Kantons bei einem ausserkantonalen Spitalaufenthalt, unabhängig von der Art der Abteilung eines öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitals, ausgesprochen.

Sucht eine versicherte Person ohne medizinische Notwendigkeit einen nicht auf der Liste des Wohnkantons aufgeführten, aber zugelassenen Leistungserbringer auf, so besteht für die versicherte Person schon heute Tarifschutz, indem sich der Leistungserbringer an den genehmigten oder festgesetzten Tarif (Art. 46 Abs. 4, Art. 47 Abs. 2 KVG ) halten muss. Die Krankenversicherung übernimmt in diesem Fall lediglich denjenigen Anteil der Kosten, der dem Tarif der Spitäler und teilstationären Einrichtungen, die auf der Liste des Wohnkantons der Versicherten aufgeführt sind, entspricht.

Das KVG hat die Spitalplanung als kantonale Aufgabe eingeführt. Weil es für die Kostenübernahme auf Grund der auch vom Eidgenössischen Versicherungsgericht gestützten Auffassung nun keine Rolle mehr spielen soll, ob die stationäre Behandlung in der allgemeinen oder in der Halbprivat- oder Privatabteilung erfolgt, sind alle stationären Kapazitäten in die Bedarfsplanung einzubeziehen, denn eine Differenzierung nach Abteilungen ist nicht sachgerecht.

Die Initiative «für eine freie Arzt- und
Spitalwahl» beschränkt sich auf den verlockend erscheinenden Aspekt der Wahlfreiheit, spricht sich aber in ihren Publikationen nur in sehr unverbindlicher Weise zu den durch die Initiative bewirkten Kostenfolgen aus. Dem von den Initianten angeführten Argument, dass der verstärkte Wettbewerb zwischen privaten und öffentlichen Leistungserbringern zur Kostendämpfung führen werde, kann nicht gefolgt werden. Einerseits führt der Anspruch der Patientinnen und Patienten auf Kostendeckung dazu, dass die Krankenversicherer die Leistungen aller Ärztinnen, Ärzte und Spitäler entschädigen müssen. Ein echter Wettbewerb würde jedoch die Vertragsfreiheit der Versicherer gegenüber den Leistungserbringern bedingen. Andererseits kann echter Wettbewerb im Spitalbereich deshalb nicht entstehen, weil sich ein Überangebot nicht unmittelbar in sinkenden Preisen auswirkt ­ letztere werden in der Regel in Verhandlungen vereinbart. Vielmehr ist anzunehmen, dass wegen der relativ starren Preise die Gesamtkosten steigen. Zudem bleibt der Spitalbereich auch im Falle eines verstärkten Wettbewerbs zwischen privaten und öffentlichen Spitälern ein von den Anbietern gelenkter "Markt", indem die Spitäler durch ihr Leistungangebot, aber insbesondere durch die den Belegärztinnen und -ärzten angebotenen Konditionen das Verhalten der Patientinnen und Patienten beeinflussen können. Bei Annahme der Initiative ist 8824

als Folge der fehlenden Voraussetzungen für einen echten Wettbewerb, aber auch wegen der wegfallenden Kontrollmechanismen und der dadurch verstärkten Möglichkeiten der Spitäler zur Marktbeeinflussung davon auszugehen, dass für die Krankenversicherung beträchtliche zusätzliche Kosten anfallen. Die Initiative ist deshalb abzulehnen.

Das in der Unfallversicherung geltende Naturalleistungsprinzip, wonach die Unfallversicherer für die Heilungskosten Schuldner des Leistungserbringers sind, gewährleistet die Kostendeckung. Lediglich in denjenigen Fällen, in welchen sich die versicherte Person durch eine Medizinalperson behandeln lässt, die dem Vertrag mit den UVG-Versicherern nicht beigetreten ist, oder wenn sie sich in ein Nicht-Vertragsspital oder in die Halbprivat- oder Privatabteilung eines Spitals begibt, können der versicherten Person Zusatzrechnungen gestellt werden. Der Unfallversicherer hat aber auch in diesen Fällen die Leistungen der Grundversicherung zu erbringen.

In Bezug auf die Unfallversicherung ist die Forderung der Initiative nach freier Arztund Spitalwahl und Kostendeckung schon heute erfüllt.

232

Erlass der Ausführungsbestimmungen

Durch die Teilrevision KVG im Bereich Spitalfinanzierung werden die Anliegen der freien Arzt- und Spitalwahl im Krankenversicherungsbereich und des Sockelbeitrags an alle Behandlungen soweit erfüllt, als die Behandlungen in einem auf der Liste des Wohnkantons aufgeführten Spital erfolgen.

Die Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» widerspricht dem geltenden Gesetz in dem Punkt, dass sie die Vergütung der Leistungen nicht auf die der Planung entsprechenden Spitäler beschränken will, sondern die Vergütung der Leistungen aller Spitäler der Schweiz anstrebt. Bei Annahme der Initiative «für eine freie Arztund Spitalwahl» wäre Artikel 39 KVG in diesem Sinne zu ändern. Zudem wäre der Begriff der «zugelassenen Spitäler» im ersten Satz von Artikel 41 Absatz 1 nicht mehr klar.

Im Fall der gleichzeitigen Annahme der Denner-Initiative «für tiefere Spitalkosten» wären wegen der Übergangsbestimmung der BV (Art. 24) insbesondere die Artikel über die Planung (Art. 39 KVG), Kostenübernahme (Art. 41 KVG) und die Tariffestsetzung (Art. 49 KVG) im Sinne der Initiative zu ändern. Zudem müsste die allgemeine Abteilung als Leistung der Grundversicherung aufgeführt werden.

3

Auswirkungen der Initiative

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

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Übersicht

Im Jahre 1997 betrug der Beitrag der obligatorischen Krankenversicherung an die Finanzierung der in den Spitälern erbrachten stationären Leistungen 3,8 Milliarden Franken, jener der Zusatzversicherungen schätzungsweise 3,1 Milliarden Franken; der Staat (Kantone, Gemeinden) entrichtete rund 4,3 Milliarden Franken an den Betrieb der Spitäler.

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Es zeigt sich, dass die in den letzten Jahren unternommenen Anstrengungen zur Kosteneindämmung im Spitalbereich zu greifen beginnen. Die Ausgaben der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für den Spitalbereich sind letztmals im Zeitraum 1994/1995 überdurchschnittlich angestiegen, in den nachfolgenden Jahren war das Kostenwachstum im Spitalbereich deutlich tiefer (Bundesamt für Sozialversicherung: Statistik über die Krankenversicherung, Bern, 1997). Zugleich war nach dem Jahr 1995 auch ein Rückgang der Zahl der Spitaleinweisungen und der Pflegetage zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu verzeichnen ­ alles Indikatoren für das Bestreben, die Leistungserbringung im Spitalbereich einzuschränken. Der Beitrag der Kantone an die Finanzierung der Spitäler bewegte sich gemäss der Statistik der öffentlichen Finanzen zwischen 1994 und 1997 immer ungefähr im gleichen Rahmen (ausgenommen 1995: geringerer Kantonsbeitrag), so dass nicht von einer Verschiebung der Finanzlast von der Krankenversicherung auf die Kantone gesprochen werden kann. Angestiegen ist in den Jahren 1996 und 1997 der Beitrag der Gemeinden. Im übrigen ist davon auszugehen, dass die im Spitalbereich erbrachten Leistungen zum Teil in den spitalambulanten resp. in den Pflegeheimbereich verschoben worden sind und die ­ wenn auch nicht gleich hohen ­ Kosten unter diesen Rubriken anfallen.

Die Unfallversicherung trägt etwa 3.5 Prozent der im Spitalsektor anfallenden Kosten (Bundesamt für Statistik: Der Einfluss des neuen KVG auf die Finanzierung des Gesundheitswesens, Bern, 1998). Damit ist der Einfluss der Unfallversicherung auf die Kosten- und Leistungsentwicklung im Spitalbereich eher gering und wird im Folgenden nicht mehr gesondert betrachtet.

312

Auswirkungen für die Krankenversicherung

Mit dem oben unter Ziffer 222 erwähnten Entscheid vom 16. Dezember 1997 in Sachen Kanton Schwyz gegen H. Versicherungen AG hat das EVG die seit Einführung des KVG bestehenden Unklarheiten über die Beitragspflicht der Krankenversicherung und der Kantone an die Spitalbehandlung der versicherten Personen ausgeräumt. Es hat festgehalten, dass es für die Kostenübernahmepflicht des Wohnkantons wie auch des Versicherers im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht darauf ankommt, in welcher Abteilung (allgemein, halbprivat oder privat) sich eine versicherte Person aufhält und ob sie eine Spitalzusatzversicherung unterhalte. Dies bedeute namentlich, dass die Hospitalisationskosten grundsätzlich auch dann von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind, wenn sich die versicherte Person in der halbprivaten und privaten Abteilung aufhalte. Mit der in Artikel 59 Absatz 3 der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102) statuierten Verpflichtung der Spitäler, in der Rechnung die von der obligatorischen Krankenversicherung übernommenen Leistungen von anderen Leistungen klar zu unterscheiden, sei sichergestellt, dass beim Aufenthalt in der (halb)privaten Abteilung lediglich die Kosten entsprechend den Taxen der für die allgemeine Abteilung des betreffenden Spitals vergütet werden.

In verschiedenen im Umfeld der Lancierung der Initiative veröffentlichten Unterlagen weisen die Initianten darauf hin, dass Versicherte, welche über eine Zusatzversicherung verfügen, in vielen Fällen keinen Beitrag aus der Grundversicherung an die Behandlungskosten erhalten. Mit dem erwähnten Entscheid des EVG sollte die

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diesbezügliche Unsicherheit inzwischen beseitigt und die grundsätzliche Forderung nach einem «Sockelbeitrag» der Grundversicherung obsolet sein.

Indem der Beitrag der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur dann ausgerichtet wird, wenn das betroffene Spital für die Behandlung der jeweiligen Krankheit geeignet und zugelassen ist, bleibt die Forderung der Initiative nach Kostenübernahme in sämtlichen Spitälern der Schweiz indessen bestehen. Eine Ausweitung der Beitragspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung in dem Sinne, dass bei Behandlung in jedem Spital in der Schweiz ­ unbesehen davon, ob es einer Planung entspricht ­ der Beitrag der Grundversicherung ausgerichtet würde, hätte zur Folge, dass ein Teil jener Kosten, welche heute durch jene Zusatzversicherungen finanziert werden, welche die freie Spitalwahl in der ganzen Schweiz garantieren, auf die Grundversicherung verschoben würde. Die zurzeit vorliegenden Unterlagen geben keinen Aufschluss darüber, mit welchem Anteil des rund 3 Milliarden Franken betragenden Beitrags, welcher von den Zusatzversicherungen in die Spitäler fliesst, als Folge der Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» die obligatorische Krankenpflegeversicherung zusätzlich belastet würde.

Damit ein Spital als Leistungserbringer mit der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abrechnen kann, muss es die Anforderungen an eine Heilanstalt erfüllen.

Mit der Aufnahme des Kriteriums, dass ein Spital der von einem oder mehreren Kantonen erstellten Planung für eine bedarfsgerechte Versorgung entsprechen und auf der nach Kategorien gegliederten Spitalliste des Kantons aufgeführt sein muss, wurde anlässlich der Totalrevision der Krankenversicherung insbesondere eine verbesserte Übersicht über das Leistungsangebot und die Förderung der Kosteneindämmung angestrebt. Der Hintergrund dieser Regelung lag darin, dass das Spital für gewöhnlich (Ausnahme 1989) der Leistungserbringer mit dem am stärksten ins Gewicht fallenden Kostenanstieg war (BBl 1992 I 166).

Der jährliche Anstieg der Ausgaben der Krankenversicherung (Grund- und Zusatzversicherung) für die Deckung von Heilanstaltskosten einer versicherten Person betrug zwischen 1986 und 1993 im Minimum 5,2 Prozent (1989) und im Maximum 14,3 Prozent (1991). Dabei lag der Anstieg der Ausgaben der Spitalzusatzversicherungen
jeweils beträchtlich über jenem der Grundversicherung. Die Werte in der Grundversicherung lagen zwischen 0,5 (1989) und 13,2 (1991) Prozent. In Frankenwerten war der Anstieg der Kosten pro versicherte Person in der Zusatzversicherung leicht tiefer als in der Grundversicherung.

In den Jahren nach Inkrafttreten des KVG ist die Kostenentwicklung im Spitalbereich deutlich eingedämmt worden. Während die Spitalkosten pro versicherte Person im Jahre 1995 noch um 7,9 Prozent gestiegen waren, sanken sie im Jahre 1996 um 3,6 Prozent. 1997 war nur ein leichter Anstieg zu verzeichnen (um 0,3 %). Aus diesen statistischen Angaben kann geschlossen werden, dass die Kosteneindämmungsmassnahmen im Spitalbereich allmählich ihre Wirkung entfalten. Wie oben unter Ziffer 311 erwähnt, darf nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche nicht mehr unter den Spitalkosten erscheinenden Gesundheitskosten eingespart worden sind ­ teilweise sind sie in den ambulanten Bereich, resp. den Pflegeheimbereich verschoben worden. Immerhin sind letztere Bereiche weniger kostenintensive Bereiche als der Spitalsektor.

Die Regelung, welche die Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» anstrebt, hätte zur Folge, dass der Krankenversicherung einerseits eine finanzielle Mehrbelastung dadurch entstünde, dass sie einen Teil der heute durch die Zusatzversiche-

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rungen übernommenen Behandlungskosten tragen müsste; wegen der fehlenden statistischen Grundlagen kann das Ausmass dieser Verschiebung zur Zeit nicht geschätzt werden. Andererseits verlöre ein wichtiges im KVG enthaltenes Instrument zur Schaffung von Transparenz und zur Kosteneindämmung ­ die Spitalplanung ­ seine Wirksamkeit. Die Interdepartementale Arbeitsgruppe «Finanzierungsperspektiven der Sozialversicherungen (IDA FiSo) 2», welche auch den Finanzierungs- und Leistungsbereich der Krankenversicherung analysierte, kam in einer groben Schätzung zum Schluss, dass ­ statisch betrachtet ­ bei einem kostenwirksamen Abbau der im Spitalbereich bestehenden Überkapazitäten die Ausgaben der Krankenversicherer für den Spitalbereich um etwa 10 Prozent reduziert werden könnten (Bericht der IDA FiSo 2, Seite 71).

313

Auswirkungen für die Unfallversicherung

Da die freie Arzt- und Spitalwahl entsprechend den Zielsetzungen der Initiative in der Unfallversicherung weitgehend verwirklicht ist, hätte die Realisierung der Initiative praktisch keine Auswirkungen auf diesen Versicherungszweig.

314

Auswirkungen für den Bund

Sowohl die Verschiebung von finanziellen Lasten von den Zusatzversicherungen auf die obligatorische Krankenpflegeversicherung als auch eine Mengenausweitung im Spitalbereich führen zu einer finanziellen Mehrbelastung der Grundversicherung. Im Hinblick auf die zukünftige Kostenentwicklung erhöhen die Krankenversicherer zudem ihre Reserven. Diese beiden Faktoren führen zu Prämienerhöhungen, welche wiederum einen erhöhten Bedarf an kantonalen und Bundesmitteln für die Ausrichtung von Prämienverbilligungen an Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen bewirken können. Der Mehrbedarf im Fall der Annahme der Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» kann zur Zeit betragsmässig nicht geschätzt werden.

Da dem Bund bei Annahme der Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» keine neuartigen Aufgaben übertragen werden, dürfte der personelle Mehraufwand im Rahmen der bereits mit der Vorlage vom 21. September 1998 beantragten Kapazitäten aufgefangen werden können.

315

Auswirkungen für die Kantone

Neben den oben unter Ziffer 314 erwähnten allfälligen indirekten Auswirkungen auf den Finanzbedarf für die Prämienverbilligungen an Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen kann sich die bei Annahme der Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» zu erwartende Mengenausweitung auf die Defizite der öffentlichen Spitäler auswirken. Deren Deckung beeinflusst den Finanzhaushalt der Kantone. Die Grössenordnung allfälliger Mehrbelastungen, welche in der Folge einer Annahme der Initiative entstehen, kann nicht geschätzt werden.

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32

Verhältnis zum Finanzausgleich

Mit dem neuen Finanzausgleich (NFA) sollen Aufgaben, Kompetenzen und Finanzströme zwischen Bund und Kantonen entflochten und die Verantwortlichkeiten der beiden Staatsebenen geklärt werden. Im Rahmen der Arbeiten zu einer Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen ist auch im Bereich der Sozialversicherung eine Aufgabenentflechtung vorgesehen. Geprüft wird unter anderem die rechtliche Verankerung einer gesamtschweizerischen Planung und Aufgabenteilung im Bereich der Spitzenmedizin. Im Schlussbericht der Projektorganisation NFA wird im Wesentlichen die Schaffung einer rechtsetzenden, interkantonalen Vereinbarung vorgeschlagen. Der Bundesrat hat mit Beschluss vom 14. April 1999 die Vernehmlassungsvorlage zum Neuen Finanzausgleich in diesem Sinne verabschiedet. Zwar würde die freie Spitalwahl der Versicherten durch eine solche Vereinbarung nicht eigentlich eingeschränkt. Indem durch eine interkantonale Vereinbarung die Planung in gewisser Weise verstärkt und das Leistungsspektrum der Spitäler im Bereich der Spitzenmedizin festgeschrieben würde, steht die vorgeschlagene Neuregelung trotzdem dem Grundgedanken der Volksinitiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» entgegen, welche davon ausgeht, dass die Rahmenbedingungen für alle Spitäler die gleichen sein sollen. Hingegen ist der Vorschlag des Bundesrats zur zweiten Etappe der ersten Teilrevision des KVG (Spitalfinanzierung) mit einer interkantonalen Vereinbarung zur Planung und Aufgabenteilung im Bereich der Spitzenmedizin vereinbar.

Ein indirekter Zusammenhang zwischen der Volksinitiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» und der Neuordnung des Finanzausgleichs besteht zudem wegen der Auswirkungen der Initiative auf die Prämien der Versicherten und auf das System der Prämienverbilligungen. Heute richten die Kantone den Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen Prämienverbilligungen aus, wobei der Bund die Finanzierung mitträgt. Es obliegt den Kantonen, den Kreis der Begünstigten und somit das anrechenbare Einkommen, das Verfahren und den Auszahlungsmodus festzulegen. Die jährlichen Beiträge des Bundes an die Kantone werden unter Berücksichtigung der Wohnbevölkerung und der Finanzkraft festgesetzt. Ausserdem kann der Bundesrat auch die durchschnittlichen Prämien der obligatorischen Krankenversicherung
(Prämienindex) berücksichtigen, was der Bundesrat auch getan hat (befristete Massnahme). Im KVG ist den Kantonen das Recht eingeräumt, den eigenen Finanzanteil an der Prämienverbilligung um maximal 50 Prozent zu kürzen, wenn die Prämienverbilligung für Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen trotzdem sichergestellt ist. Der Beitrag des Bundes an diese Kantone wird im gleichen Verhältnis herabgesetzt.

Es besteht ein nichtharmonisiertes Nebeneinander verschiedener kantonaler Lösungen. Insbesondere ist die Restbelastung kantonal sehr unterschiedlich. Es gibt Kantone, die die Prämienverbilligung nur zu 50 Prozent ausschöpfen und damit auch den Bundesbeitrag nur zu 50 Prozent abrufen und dabei trotzdem die sozialpolitischen Erfordernisse erfüllen (oder gar übertreffen), weil ihre Gesundheitskosten sehr tief sind. In Kantonen mit hohen Gesundheitskosten werden die sozialpolitischen Ziele trotz voller Ausschöpfung der Bundesbeiträge und trotz maximalem kantonalem Mitteleinsatz nicht erfüllt, was zur Folge hat, dass in solchen Kantonen nur 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung von Prämienverbilligungen profitiert. Umgekehrt gibt es Kantone, in denen bis zu 75 Prozent der Bevölkerung in den Genuss von Prämienverbilligungen kommen. Grosse kantonale Unterschiede sind auch im Vollzug des KVG zu verzeichnen.

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Im Sinne einer einheitlichen Regelung und in Anlehnung an die Ordnung anderer Sozialversicherungen wird im Rahmen der Neuordnung des Finanzausgleichs vorgeschlagen, dass der Bund festlegt, welche Einkommenskategorien Anrecht auf Prämienverbilligungen haben. Er garantiert, dass die Prämienlast für die obligatorische Krankenversicherung ein gewisses Mass nicht übersteigt. Die Kantone haben die Bundesmittel so zu ergänzen, dass das vom Bund vorgegebene Ziel erreicht wird. Die vorgesehene Lösung präsentiert sich wie folgt: Der Bund überweist den Kantonen für 30 Prozent ihrer Einwohnerinnen und Einwohner einen Betrag, der einem Viertel der Gesundheitskosten der Schweiz (gemessen am Jahresumsatz der Krankenpflegegrundversicherung) entspricht. Die Kantone ihrerseits haben diese Bundesbeiträge so zu ergänzen, dass der bundesrechtlich für jeden einzelnen Kanton je nach Höhe der Krankheitskosten bzw. der Versicherungsprämien individuell festgelegte «Selbstbehalt» für die Bevölkerung nicht überschritten wird.

Weil die Initiative «für eine freie Arzt- und Spitalwahl» einerseits eine Verschiebung von Finanzlasten von der Zusatz- auf die Grundversicherung erwarten lässt und weil sich diese Verschiebungen andererseits in den verschiedenen Kantonen in unterschiedlichem Masse auf die Prämien der Versicherten auswirken dürften, ist nicht auszuschliessen, dass sich die oben erwähnten kantonalen Unterschiede in der Erreichung des sozialpolitischen Zieles, welches mit der Ausrichtung der Prämienverbilligungen verbunden ist, noch vergrössert werden. Umso mehr wird sich die Frage einer gesamtschweizerisch einheitlichen Lösung stellen.

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Verhältnis zum europäischen Recht

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Das Recht der europäischen Gemeinschaft

Die Verordnung EWG Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie die Verordnung EWG Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung EWG Nr. 1408/71 (kodifiziert durch die Verordnung EWG Nr. 118/97 des Rates, Abl. EG Nr. L 28 vom 30. Januar 1997, S. 1, letzte Änderung auf Grund der Verordnung EWG Nr. 307/99 des Rates, Abl. EG Nr. L 38 vom 12.

Februar 1999, S. 1), die gestützt auf die Artikel 51 und 235 des EWG-Vertrages erlassen wurden, haben die Koordination der nationalen Sozialversicherungsgesetzgebungen zum Ziel, nicht aber deren Harmonisierung. Im Sozialversicherungsbereich können gestützt auf Artikel 51 des EWG-Vertrages alle für die Einrichtung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer erforderlichen Massnahmen getroffen werden.

In seiner Empfehlung vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Nr. L 245 vom 26.8.1992, S. 49), fordert der Rat der Europäischen Gemeinschaften die Mitgliedstaaten im Bereich Krankheit auf, für die rechtmässig in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Personen den Zugang zur notwendigen Gesundheitsversorgung sowie zu den Krankheitsvorsorgemassnahmen zu ermöglichen. Die durch die Verordnung festgesetzten Ziele schränken jedoch das Recht der Mitgliedstaaten, selbst über Prinzipien und Gestaltung ihres Gesundheitswesens zu entscheiden, nicht ein.

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Die Instrumente des Europarates

Was die wirtschaftlichen und sozialen Rechte anbelangt, stellt die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 das Pendant zur europäischen Menschenrechtskonvention dar. In Artikel 12 ist das Recht auf soziale Sicherheit verankert: Die Vertragsparteien verpflichten sich, ein System der Sozialen Sicherheit einzuführen oder beizubehalten, dieses auf einem befriedigenden Stand zu halten, sich zu bemühen, das System fortschreitend auf einen höheren Stand zu bringen und Massnahmen zu ergreifen, welche die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien mit ihren eigenen Staatsangehörigen gewährleisten. Die Schweiz hat die Charta am 6. Mai 1976 unterzeichnet; eine Ratifizierung wurde jedoch 1987 vom Parlament abgelehnt, sodass dieses Übereinkommen für unser Land nicht bindend ist.

Mit der Europäischen Sozialcharta (revidiert) vom 3. Mai 1996 wurde der materielle Inhalt der Charta von 1961 aktualisiert und angepasst. Das Recht auf Soziale Sicherheit ist ebenfalls in Artikel 12 enthalten. Die revidierte Sozialcharta ist noch nicht in Kraft getreten, da sie nicht durch eine ausreichende Zahl von Staaten ratifiziert wurde.

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 wurde am 16. September 1977 von der Schweiz ratifiziert (AS 1978 1491). Unser Land hat jedoch Teil II über die medizinische Versorgung nicht angenommen. Jeder Staat, der den aus Teil II der Ordnung hervorgehenden Verpflichtungen nachkommen will, ist verpflichtet, die medizinische Versorgung für die geschützten Personen bei Mutterschaft sowie bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen unabhängig von der Ursache zu gewährleisten. Die Begünstigten können verpflichtet werden, sich an den Kosten für die auf Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigung erbrachten medizinischen Leistungen zu beteiligen. Hingegen existiert keine Bestimmung über die freie Wahl des Leistungserbringers.

In der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit (revidiert) vom 6. November 1990 werden die Normen der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit erweitert, namentlich durch die Ausdehnung des persönlichen Anwendungsgebiets und die Verbesserung der Art und Höhe der Leistungen. Parallel wird eine grössere Flexibilität eingeführt, indem die Ratifizierungsbedingungen erleichtert und die Normen so formuliert wurden, dass den
einzelstaatlichen Regelungen bestmöglich Rechnung getragen wird. Die revidierte Ordnung sieht analoge Bestimmungen wie Artikel 70 Paragraph 1 und Artikel 71 Paragraph 1 der Ordnung vor. Da die (revidierte) Ordnung bisher von keinem Staat ratifiziert wurde, ist sie noch nicht in Kraft getreten.

Von den Instrumenten des Europarats ist zudem die Empfehlung des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten Nr. R (86) 5 vom 17. Februar 1986 über die allgemeine Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung zu erwähnen.

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Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

Das europäische Recht (Recht der Europäischen Gemeinschaft und Recht des Europarats) enthält keine Bestimmungen, welche den Gegenstand der Initiative (freie Arzt- und Spitalwahl) betreffen, und überlässt diesen Aspekt des Zugangs zur Gesundheitsversorgung den Staaten.

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5

Schlussfolgerung

Artikel 34bis BV stellt in seiner Formulierung heute praktisch eine reine Kompetenzund Auftragsnorm dar. Die Verfassung lässt nahezu jede, also auch die von der Initiative angestrebte Lösung zu. Freie Arzt- und Spitalwahl ist, wie unter Ziff. 212.1 erwähnt, auch im Rahmen der geltenden Verfassungsbestimmung möglich. Eine Änderung der Verfassung aus diesem Grunde ist insofern unnötig. Einem von der Interessengemeinschaft «Freie Arzt- und Spitalwahl» veröffentlichten Faltblatt ist zu entnehmen, dass mit der Volksinitiative die Aufnahme der freien Arzt- und Spitalwahl als soziales Grundrecht in die Verfassung erreicht werden soll. Nun hat sich die Schweiz mit der Ratifikation des UNO-Pakts I zwar verpflichtet, die dort erwähnten sozialen Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf soziale Sicherheit und Gesundheit, anzuerkennen und ihre Gewährleistung voranzutreiben. Ein Recht auf freie Arzt- und Spitalwahl wird an dieser Stelle nicht erwähnt. Die Botschaft des Bundesrates zur neuen Bundesverfassung (BBl 1997 I 197 ff.) hält fest, dass sich die Schweiz unzweifelhaft als sozialer Bundesstaat versteht. Bund und Kantone übernehmen infolge der als soziale Ziele festgehaltenen Sozialrechte zwar sozialpolitische Verantwortung. Weitergehende Ansprüche lassen sich daraus jedoch nicht ableiten. Die Forderung nach Aufnahme des Rechts auf freie Arzt- und Spitalwahl als soziales Grundrecht in die Verfassung ist auch deshalb nicht angezeigt, weil mit den kantonalen Gesundheitsgesetzgebungen und dem Krankenversicherungsobligatorium bereits Rechte statuiert sind, welche der Bevölkerung Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleisten und die wirtschaftlichen Folgen der Behandlung von Krankheiten absichern.

Nach Inkrafttreten des KVG bestanden in Bezug auf die Auslegung verschiedener Regelungen namentlich im Bereich der Wahlmöglichkeiten der Versicherten und der Kostenübernahme durch die Versicherung gewisse Unsicherheiten. In der Zwischenzeit wurden diese durch verschiedene Entscheide des EVG sowie des Bundesrates grösstenteils ausgeräumt. Mit der Teilrevision des KVG im Bereich der Spitalfinanzierung sollen auch die noch verbleibenden Unsicherheiten beseitigt werden.

Indem der Entscheid des EVG vom 16. Dezember 1997 zu einer Klärung in Bezug auf die Beitragspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und die
Gleichbehandlung der Spitäler geführt hat, betrachtet der Bundesrat die Anliegen der Initianten in zwei wesentlichen Punkten als erfüllt. Die Übernahme der Behandlungskosten in allen Spitälern der Schweiz durch die Krankenversicherung ist indessen abzulehnen. Zudem kann auf die Erstellung von Spitallisten als Grundlage der Spitalplanung, worauf das Ausmass der Kostenerstattung beruht, nicht verzichtet werden. Ein Wegfall von Spitalplanung und Spitallisten als Kontroll- und Steuerungsinstrumente der Kantone kann unübersehbare Kostenfolgen, sowohl für die Krankenversicherung als auch für die öffentliche Hand, auslösen. Das Interesse der gesamten Versichertengemeinschaft an einer finanziell tragbaren Krankenversicherung bei einer qualitativ guten Versorgung, welche durch eine adäquate Planung sichergestellt wird, ist nach Ansicht des Bundesrats höher zu gewichten als das Interesse von einzelnen Versicherten an einer uneingeschränkten Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen.

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