99.033 Botschaft betreffend das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes sowie die entsprechende Revision des Strafrechts vom 31. März 1999

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend die Genehmigung des Übereinkommens über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes sowie den Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Revision des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzes und der Bundesstrafrechtspflege mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

31. März 1999

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Ruth Dreifuss Der Bundeskanzler: François Couchepin

1999-4546

5327

Übersicht Mit dieser Botschaft unterbreitet der Bundesrat das Internationale Übereinkommen vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes den eidgenössischen Räten zur Genehmigung. Mit ihren 129 Vertragsstaaten ist die Genozidkonvention eines der breitest akzeptierten internationalen Übereinkommen. Sie verbietet den Völkermord und verpflichtet die Staaten zu dessen Verhinderung und Bestrafung. Der Internationale Gerichtshof und die Staatengemeinschaft anerkennen das Verbot vom Völkermord als völkerrechtliches Gewohnheitsrecht. Jüngste Ereignisse in Ruanda und Ex-Jugoslawien haben dem Übereinkommen neue Aktualität verliehen. Ein Abseitsstehen der Schweiz ist namentlich in Anbetracht ihrer aktiven Menschenrechtspolitik nicht länger gerechtfertigt. Zudem ist die Schweiz angesichts der gewohnheitsrechtlichen Geltung der in dem Übereinkommen enthaltenen Normen bereits heute verpflichtet, den Völkermord im Sinne des Übereinkommens unter Strafe zu stellen.

Um dieser Verpflichtung nachzukommen, schlägt der Bundesrat die Ergänzung des Strafgesetzbuches um eine Bestimmung vor, die den Völkermord verbietet und mit einer angemessenen Strafe bedroht. Der Bundesrat schlägt im Weiteren Änderungen des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vor, mit denen die Verfolgung und Beurteilung des Völkermordes der Zuständigkeit der zivilen Bundesgerichtsbarkeit zugewiesen wird.

Am 17. Juli 1998 ist in Rom das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes in Rom angenommen worden. Folglich werden in naher Zukunft Bundesrat und Bundesversammlung ein weiteres Mal aufgerufen sein, ein internationales Abkommen zu behandeln, welches Anpassungen der schweizerischen Rechtsordnung im Bereich des Strafrechts bedingt. In Übereinstimmung mit der grossen Mehrheit der in der Vernehmlassung ausgedrückten Meinungen ist der Bundesrat jedoch der Ansicht, dass der Beitritt zur Genozidkonvention und die entsprechenden Anpassungen des Strafrechts nicht weiter hinausgezögert werden sollten. Aus diesem Grund unterbreitet er die vorliegende Botschaft.

5328

Botschaft 1

Allgemeines

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Das Übereinkommen vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

Das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (im Folgenden «VMK» oder «Genozidkonvention»1) wurde am 9. Dezember 1948 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und ist am 12. Januar 1951 in Kraft getreten. Es definiert den Tatbestand des Völkermordes, begründet die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die Völkermord begehen, und verpflichtet die Vertragsstaaten, den Völkermord zu verhüten und dessen Begehung zu bestrafen. Bis heute2 haben 129 Staaten das Übereinkommen ratifiziert oder sind ihm beigetreten.

12

Völkerstrafrecht

Das klassische Völkerrecht beschränkt sich auf die Regelung von zwischenstaatlichen Angelegenheiten. Auf Grund der Erfahrungen mit totalitären Regimen wird seit dem Zweiten Weltkrieg anerkannt, dass es für den einzelnen Menschen unmittelbar im Völkerrecht begründete Rechte gibt, aber auch, dass ein Einzelner direkt durch das Völkerrecht strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann. Die Durchsetzung der dem Individuum durch das Völkerrecht zugesprochenen Rechtspositionen ist Aufgabe des Völkerstrafrechts. Die Ahndung von Verletzungen grundlegender vom Völkerrecht geschützter Rechtsgüter durch das Individuum ist Gegenstand des Völkerstrafrechts, das sowohl an die Prinzipien des Völkerrechts als auch an diejenigen des Strafrechts gebunden ist. Die Quellen des allgemeinen Völkerrechts3 sind grundsätzlich auch die Quellen des Völkerstrafrechts4.

Seine historischen Wurzeln findet das Völkerstrafrecht im Kriegsrecht, das schon im Mittelalter Regeln für das Verhalten der Streitkräfte gegenüber den Kombattanten und der Zivilbevölkerung des Feindes aufstellte. Solche Kriegsordnungen sahen beispielsweise die Schonung der Klöster und Kirchen sowie der Frauen und Kinder vor und bestimmten, dass Zuwiderhandlungen von Kriegsgerichten zu bestrafen seien.

Die Genfer Konvention von 1864 über den Schutz der Verwundeten und Kranken 1

2 3

4

Der Begriff «Genozid» wurde von Raphael Lemkin im Jahre 1944 geschaffen als Antwort auf Winston Churchills Beschreibung der in Polen begangenen Kriegsverbrechen als «crime without a name». Vgl. Raphael Lemkin Axis Rule in Occupied Europe, Washington 1944.

Stand 31 März 1999.

Artikel 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs (IGH), vgl. Bundesbeschluss vom 12. März 1948 über den Beitritt der Schweiz zum Statut des Internationalen Gerichtshofs und die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit dieses Gerichtshofs gemäss Artikel 36 des Statuts (SR 193.5).

Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt nur für das Völkervertragsrecht als Rechtsquelle.

Zum Spannungsverhältnis zwischen den anderen Völkerrechtsquellen und dem Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege vgl. Otto Triffterer, «Österreichs Verpflichtungen zur Durchsetzung des Völkerstrafrechts», Österreichische Juristenzeitung (ÖJZ), 51. Jahrgang, 1996, Heft 9, S. 328 mit zahlreichen Hinweisen.

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der Heere im Felde war die erste Kodifikation solcher Regeln. Es folgte ein kontinuierlicher Ausbau dieses Rechtsbereichs, der seit dem Zweiten Weltkrieg als humanitäres Völkerrecht bezeichnet wird.

Von Anfang an herrschte die Ansicht, dass Verstösse gegen das Kriegsrecht zu bestrafen seien. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich überdies die Auffassung durchzusetzen, dass die Staaten solche Verstösse auch bestrafen dürfen, wenn sie von Angehörigen fremder Staaten oder an Angehörigen fremder Staaten im Ausland begangen worden sind.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden zur Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der Achsenmächte internationale Militärtribunale gebildet. Die Internationalen Militärtribunale von Nürnberg5 und Tokio6 stellten in mancher Hinsicht einen wesentlichen Meilenstein in der Geschichte des Völkerstrafrechts dar. Ausser den traditionellen Kriegsverbrechen hatten sie zwei weitere Arten von völkerrechtswidrigen Akten zu beurteilen: die «Verbrechen gegen den Frieden» (Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen) und die «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» (schwere, systematisch betriebene unmenschliche Akte gegen die Zivilbevölkerung, auch gegen die eigene)7. Von besonderem Interesse ist dabei die zweite Kategorie, deren Begehung nicht nur im Zusammenhang mit Kriegshandlungen (traditionelles Kriterium für die Abgrenzung des Kriegsrechts vom Völkerstrafrecht) verfolgt wurde. Der Völkermord war in den Satzungen der Internationalen Militärgerichtshöfe von Nürnberg und Tokio noch nicht als selbstständiges Delikt vorgesehen. Die Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen galt nur als Verbrechen, soweit sie in Ausführung eines anderen Verbrechens oder in Verbindung mit einem anderen Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig war, begangen wurde.

1947 erteilte die Generalversammlung der Vereinten Nationen der Völkerrechtskommission den Auftrag, die Prinzipien des Völkerrechts, die im Statut und in den Urteilen des Nürnberger Militärtribunals anerkannt wurden, zu formulieren und einen Katalog der Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Sicherheit der Menschheit auszuarbeiten8. Am 9. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung die Genozidkonvention. Mit dem Übereinkommen sollte das schwerste während des Zweiten Weltkrieges begangene Verbrechen
­ die Vernichtung nationaler, ethnischer, rassischer und religiöser Gruppen ­ für alle Zukunft bekämpft und unter Strafe gestellt werden.

Einen weiteren Schritt machte die Entwicklung des Völkerstrafrechts mit den Genfer Konventionen von 1949 (1977 ergänzt um zwei Zusatzprotokolle) über den Schutz 5

6

7

8

Rechtsgrundlagen für den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg: Statut in der Anlage zum Londoner Viermächteabkommen vom 8. August 1945 (82 U.N.T.S. 279, 59 Stat. 1544. E.A.S. Nr. 472), abgedruckt u.a. in: Charles I. Bevans (Ed.), Treaties and other International Agreements of the United States of America, Band 3, 1970, S. 1238.

Deutsche Übersetzung in: Gerd Hankel/Gerhard Stuby (Hg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, Zum Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen, Hamburger Edition, 1995, S. 516 ff.

Das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg wurde für Tokio übernommen durch Sonderproklamation des Oberbefehlshabers der Alliierten in Japan, 19. Januar 1946 (T.I.A.S. 1589), abgedruckt in Bevans, op.cit., Band 4, 1970, S. 20.

Artikel 6 Buchstabe c des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg zählt zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit namentlich: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung.

Resolution 177 (II) vom 21. November 1947.

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der Verwundeten, Kranken, Kriegsgefangenen und Zivilpersonen im Fall bewaffneter Konflikte. Die Genfer Konventionen verpflichten alle Vertragsstaaten, Strafbestimmungen für schwere Verletzungen der Konventionsvorschriften zu erlassen und die Täter ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit und den Ort der Begehung zu verfolgen.

Mit der Errichtung der Internationalen Tribunale für Ex-Jugoslawien9 und Ruanda10 ist erstmals seit den Internationalen Militärgerichtshöfen von Nürnberg und Tokio die Möglichkeit geschaffen worden, Einzelpersonen wegen besonders schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts vor ein internationales Gericht zu stellen11. Die Statuten der beiden Strafgerichtshöfe geben in etwa den gegenwärtigen Stand des Völkerstrafrechts wieder: Das Statut des Internationalen Tribunals für Ex-Jugoslawien schreibt bisheriges Gewohnheitsrecht fest, indem es folgende Verbrechen unter Strafe stellt: schwere Verletzungen der Genfer Konventionen von 1949 (Art. 2); Verstösse gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges (Art. 3); Völkermord (Art. 4); Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 5). Das Statut des Internationalen Strafgerichts für Ruanda geht teilweise weniger weit, weil es sich beim ruandischen Konflikt nicht um einen internationalen Konflikt handelte und deswegen die in den vier Genfer Konventionen und im Zusatzprotokoll I enthaltenen vertraglichen Bestrafungspflichten der Staaten für schwere Verletzungen des humanitären Rechts nicht anwendbar sind. Dem Statut des Strafgerichtshofes für Ruanda liegt die gewohnheitsrechtliche Geltung der folgenden Tatbestände zu Grunde: Völkermord (Art. 2); Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 3); Verletzungen des auf interne bewaffnete Konflikte anwendbaren gemeinsamen Artikels 3 der vier Genfer Konventionen, sowie Verstösse gegen das nur auf interne Konflikte anwendbare Zusatzprotokoll II (Art. 4).

Das Statut des internationalen Strafgerichthofes, welches von der UNO-Konferenz der Bevollmächtigten zur Schaffung eines internationalen Strafgerichts am 17. Juli 1998 in Rom angenommen worden ist, definiert folgende Verbrechen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Seit dem Ende der die internationale Zusammenarbeit in vielen Bereichen lähmenden Ost-West-Konfrontation und angesichts der jüngsten Ereignisse
in regionalen und innerstaatlichen bewaffneten Konflikten hat das Völkerstrafrecht neue Aufmerksamkeit gefunden. Es ist aber auch heute noch ein im Entstehen begriffenes Rechtsgebiet.

13

Der Werdegang des Übereinkommens

Unter dem Eindruck der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und der Urteile des Nürnberg Tribunals beauftragte die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1946 den Wirtschafts- und Sozialrat mit der Ausarbeitung eines Übereinkommens gegen den Völkermord12. Die Arbeiten wurden sofort aufgenommen, und schon am 9. Dezember 1948 konnte die Generalversammlung das Übereinkommen 9 10 11

12

Resolution 827 des UNO-Sicherheitsrates vom 25. Mai 1993.

Resolution 955 des UNO-Sicherheitsrates vom 8. November 1994.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 18. Oktober 1995 betreffend den Bundesbeschluss über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung von schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts (BBl 1995 IV 1101).

Resolution 96 (I) vom 11. Dezember 1946.

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über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes verabschieden13. Nach Hinterlegung der zwanzigsten Ratifikationsurkunde trat das Übereinkommen am 12. Januar 1951 in Kraft. Bis heute haben 129 Staaten das Übereinkommen ratifiziert oder sind ihm beigetreten.

Dem Verbot des Völkermordes wurde schon früh der Charakter von zwingendem Gewohnheitsrecht sowie die Wirkung erga omnes14 zuerkannt. Gewohnheitsrechtliche Geltung bedeutet, dass es sich bei den materiellen Vorschriften der Genozidkonvention um Regeln handelt, die von der Staatengemeinschaft ohne Weiteres als rechtsverbindlich anerkannt und angewandt werden. Sie gelten unabhängig von vertraglichen Bindungen, das heisst auch gegenüber denjenigen Staaten, die dem Übereinkommen nicht beigetreten sind15. Aus der Anerkennung des Völkermordsverbots als Teil des zwingenden Völkerrechts (ius cogens) folgt, dass die Staaten keine davon abweichenden Bestimmungen vereinbaren dürfen16. Eine Amnestie für Völkermord beispielsweise, die in einem Friedensvertrag festgelegt würde, wäre ungültig.

Darüber hinaus könnte etwa eine staatliche Gesetzgebung, welche gegenüber einer bestimmten Gruppe einen Völkermord zulässt oder gar anordnet, aus völkerrechtlicher Sicht von keinem der Täter oder Teilnehmer eines solchen Verbrechens zur Legitimation seines Handelns angerufen werden. Der erga omnes-Charakter bedeutet, dass eine Verletzung dieses Verbots als eine gegenüber der Staatengemeinschaft als Ganzes begangene Verletzung gilt und dass jeder Staat gegen den Verletzer Sanktionen ergreifen darf. Im Zusammenhang mit dem Völkermordverbot folgt daraus insbesondere, dass jeder Staat Völkermord bestrafen darf, wo immer dieser begangen wurde17.

Wie der Völkermord, so gehören auch Kriegsverbrechen zu den gewohnheitsrechtlich anerkannten völkerstrafrechtlichen Tatbeständen. Die Genfer Konventionen von 1949 zum Schutz der Kriegsopfer18 und das erste Zusatzprotokoll von 1977 zum Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte19 bestimmen, dass gewisse besonders schwerwiegende Verletzungen von Vorschriften des humanitären Völkerrechts strafrechtlich zu ahnden sind. Im Gegensatz zur Genozidkonvention sind die Vertragsparteien der Genfer Konventionen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, solche Verletzungen zu verfolgen oder die Täter einem anderen interessierten
Vertragsstaat zur Aburteilung auszuliefern, unabhängig davon, wo die Verletzungen begangen wurden (Universalitätsprinzip). Wird Völkermord, wie er in der Genozidkonvention definiert ist, an einer von den Genfer Abkommen geschützten Personen13 14

15

16 17

18 19

Resolution 260 A (III) vom 9. Dezember 1948.

Antonio Cassese, «La communauté internationale et le génocide», in: Le droit international au service de la paix, de la justice et du développement, Mélanges Michel Virally, Paris 1991, S. 186.

Avis consultatif de la CIJ vom 28. Mai 1951, CIJ, Recueil 1951; vgl. auch den Bericht des UNO-Generalsekretärs vom 3. Mai 1993 über die Schaffung des Strafgerichtshofes für Ex-Jugoslawien (UNO-Dokument S/25704, Ziffer 45); vgl. auch Avis consultatif de la CIJ vom 8. Juli 1996 relatif à l'utilisation d'armes nucléaires (Ziffer 81, 79 und 82).

Vgl. auch die Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung (BBl 1997 I 362).

Jordan Paust, Remarks on «Genocide: The Convention, Domestic Laws, and State Responsibility», in: American Society of International Law, Proceedings of the 83rd Annual Meeting (Chicago, 1989), S. 316; John Webb, «Genocide Treaty ­ Ethnic Cleansing ­ Substantive and procedural hurdles in the application of the genocide Convention to alleged crimes in the former Yugoslavia», in: GA.J. Int'L & Comp Law, Vol. 23:377, 1993, S. 395.

SR 0.518.12, 0.518.23, 0.518.42, 0.818.51 SR 0.518.521

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gruppe begangen, stellt er auch ein Kriegsverbrechen im Sinne dieser Abkommen dar. Die Genozidkonvention geht jedoch über die Genfer Abkommen hinaus, deren Anwendbarkeit sich im Wesentlichen auf bewaffnete Konflikte beschränkt. Völkermord ist auch strafbar, wenn er in Friedenszeiten begangen wird. Dagegen ist zur strafrechtlichen Verfolgung des Völkermordes im Sinne der Genozidkonvention nur derjenige Staat verpflichtet, auf dessen Hoheitsgebiet das Verbrechen begangen wurde (Territorialitätsprinzip).

Die Satzungen der internationalen Strafgerichte für Ex-Jugoslawien und Ruanda greifen die Definition des Völkermordes auf, wie sie in Artikel II VMK steht. Das Gleiche gilt auch für das am 17. Juli 1998 in Rom verabschiedete Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, welches bei der Definition des Völkermordes (Art. 6 des Statuts) den Wortlaut der Genozidkonvention übernommen hat.

Trotz des raschen Inkrafttretens und der hohen Zahl von Beitritten blieb die Wirkung der Genozidkonvention lange Zeit eher symbolisch als praktisch. In den fast fünfzig Jahren seit seinem Inkrafttreten vermochte das Übereinkommen weitere Völkermorde nicht zu verhindern20. Es wurden deshalb in der Vergangenheit wiederholt Anstrengungen unternommen, die Wirksamkeit der Konvention zu verbessern. Diese Bemühungen zeitigten keine unmittelbaren Resultate, waren aber insofern erfolgreich, als sie indirekt zur Schaffung neuer Menschenrechtsinstrumente der Vereinten Nationen beitrugen21.

Jüngste Ereignisse deuten an, dass die bescheidene unmittelbare Wirkung der Genozidkonvention nicht zuletzt den politischen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit zuzurechnen ist. So hat das Übereinkommen im Zusammenhang mit den bewaffneten Konflikten in Ex-Jugoslawien und Ruanda unvermittelt neue Aktualität gewonnen, was vor allem auch daran liegt, dass sich die Staatengemeinschaft dazu entschliessen konnte, mit internationalen Gerichten die Möglichkeit zu schaffen, Einzelpersonen für Verletzungen des Völkermordverbotes zur Rechenschaft zu ziehen22.

2

Die schweizerische Haltung zum Übereinkommen

21

Die Haltung der Bundesbehörden zum Übereinkommen

Der Bundesrat hat in den letzten Jahren prioritär die Ratifizierung oder den Beitritt zu verschiedenen Übereinkommen verfolgt, denen er als universelle Instrumente der Vereinten Nationen zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte grundle-

20 21

22

Eine ausführliche Aufzählung von Fällen aus der Praxis findet sich etwa bei CASSESE, op.cit., S. 187 ff.

Bsp.: Übereinkommen vom 30. November 1973 über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid; Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (SR 0.105).

Vgl. auch «Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia [Serbia and Montenegro])», Request for the Indication of Provisional Measures, Order of 8 Apr. 1993, ICJ Reports 1993, 3, 325 sowie den Schlussbericht der UNO Expertenkommission für Ruanda, nach dem die Vorkommnisse in Ruanda Völkermord im Sinne von Art. II VMK darstellten (UNO Dok. S/1994/1405, S. 36 ff.)..

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gende Bedeutung beimisst23. Noch im Bericht des Bundesrates vom 2. Juni 1982 über die schweizerische Menschenrechtspolitik24 wurde festgehalten, dass der Beitritt der Schweiz zur Genozidkonvention nicht unabdingbar sei, da ihre Rechtsordnung dem Übereinkommen schon in mancher Hinsicht Rechnung trage, im Falle eines Beitritts aber in einigen wichtigen Punkten geändert werden müsste. 1988 erklärte jedoch der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten auf die einfache Anfrage von Nationalrat Braunschweig betreffend die Situation der Kurden im Irak, dass die im erwähnten Bericht des Bundesrates von 1982 dargelegte Zurückhaltung gegenüber einem Beitritt zum Übereinkommen zu überprüfen sei. Das nachfolgende Postulat «Bericht und Forschung zum Völkermord (Genozid)» von Nationalrat Braunschweig nahm der Bundesrat am 14. November 1988 entgegen.

In seiner Antwort auf die Interpellation Fankhauser vom 24. März 1995 betreffend die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs hielt der Bundesrat fest, dass es in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts und der tragischen Geschehnisse, welche sich in letzter Zeit an verschiedenen Orten der Welt ereignet hatten, angezeigt sei, die Möglichkeit eines Beitritts zum Übereinkommen zu prüfen. Die aussenpolitische Kommission und schliesslich das Plenum des Nationalrats gingen Anfang 1996 noch weiter und forderten den Bundesrat auf, dem Parlament den Beitritt zum Übereinkommen zu beantragen.

Unter Berücksichtigung dieser parlamentarischen Vorstösse und auf Grund seiner Abklärungen ist der Bundesrat nunmehr zum Schluss gelangt, dass die Schweiz dem Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes beitreten soll. Für diesen Beitritt sprechen aus der Sicht des Bundesrates eine Reihe von völkerrechtlichen, rechtspolitischen und menschenrechtspolitischen Gründen.

Wie bereits dargelegt (vgl. Ziff. 13), ist anerkannt, dass dem Genozidverbot gewohnheitsrechtliche Geltung zukommt und es deshalb auch gegenüber denjenigen Staaten gilt, die der Genozidkonvention nicht beigetreten sind. Das heisst mit anderen Worten, dass die Schweiz schon jetzt völkerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat, die aus der Genozidkonvention entstehen. Die Schweiz hat daher insbesondere die
Pflicht, den Täter eines Völkermordes auszuliefern oder die rechtlichen Grundlagen für eine Bestrafung zu schaffen, was nach geltender schweizerischer Strafrechtsordnung noch immer nicht möglich ist.

Vor dem Hintergrund der neuen Aktualität, welche die Genozidkonvention insbesondere durch die Schaffung der internationalen Gerichte für Ex-Jugoslawien und Ruanda und die Annahme des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes erlangt hat, wird diese Lücke in der schweizerischen Rechtsordnung als erheblicher Mangel empfunden, den es rasch zu beheben gilt. Die Erfüllung dieser völkerrechtlichen Pflicht drängt sich für die Schweiz darum zwingend auf, weil der Völkermord unbestrittenermassen eines der schwerwiegendsten Verbrechen überhaupt darstellt und es für die Schweiz beschämend wäre, dieses Delikt im konkreten Fall nicht verfolgen und bestrafen zu können.

Wie bereits erwähnt (vgl. Ziff. 13), findet sich der Tatbestand des Völkermordes, wie er im Übereinkommen formuliert ist, auch in den Satzungen der internationalen 23 24

Vgl. dazu den Bericht des Bundesrates über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er-Jahren vom 29. November 1993, BBl 1994 I 153, S. 182.

BBl 1982 II 758, Ziff. 231.2.

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Gerichte für Ex-Jugoslawien und Ruanda und im Statut des neuen Internationalen Strafgerichtshofes. In diesem Sinne stellt das Übereinkommen ein Stück des im Entstehen begriffenen Völkerstrafrechts dar, an dessen Entwicklung die Schweiz teilnehmen sollte.

In seinem Bericht vom 29. November 1993 über die Aussenpolitik der Schweiz in den 90er-Jahren erklärt der Bundesrat die Förderung der Menschenrechte, der Demokratie und der rechtsstaatlichen Prinzipien zu seinen hauptsächlichen aussenpolitischen Zielen. Er anerkennt ausdrücklich die Bedeutung des Völkerrechts als Voraussetzung für eine Annäherung von Staaten und Gesellschaften und als wesentlichen Beitrag zur Sicherheit. Der Bundesrat stellt auch fest, dass für die Schweiz gewisse Lücken bei den Instrumenten, die der Durchsetzung der Menschenrechte dienen, bestehen und dass es diese in den 90er-Jahren zu schliessen gelte. Mit dem Beitritt zum Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes würde die Schweiz einen Schritt in diese Richtung tun.

Die Genozidkonvention ist anwendbar im Krieg wie im Frieden, auf Sieger und Besiegte, auf eigene und fremde Staatsangehörige. Sie enthält mithin ein starkes Bekenntnis zur internationalen Gerechtigkeit und Solidarität und dient der Sicherung des fundamentalen Rechts auf Leben. Sie entspringt dem gleichen Geist wie die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen von 1948, der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der internationale Pakt über die bürgerlichen und politischen Recht ­ beide aus dem Jahr 196625 ­ und die Europäische Menschenrechtskonvention von 195026. Der Beitritt der Schweiz zur Genozidkonvention wäre deshalb auch ein Zeichen der Solidarität und des Engagements für die Förderung der Menschenrechte. Dies gilt nicht zuletzt zum jetzigen Zeitpunkt und angesichts der Ereignisse, die der Genozidkonvention neue Aktualität verliehen haben.

Wie weiter oben erwähnt (vgl. Ziff. 12), wurde das Statut des Internationalen Strafgerichthofes an der UNO-Konferenz der Bevollmächtigten zur Schaffung eines internationalen Strafgerichts angenommen. Die Schweiz hat an diesen Arbeiten aktiv teilgenommen, und sie hat das Statut am 18. Juli 1998 unterzeichnet. Das Statut begründet für den Gerichtshof die Kompetenz für eine ganze Reihe von Verbrechen:
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Der Begriff der «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» geht auf die Satzungen der internationalen Militärgerichtshöfe von Nürnberg und Tokio zurück. Er ist inzwischen Teil des Völkergewohnheitsrechts und geht insofern über den Begriff der Kriegsverbrechen hinaus, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ­ wie Völkermord ­ auch in Friedenszeiten begangen werden können.

Der Bundesrat hat die Absicht, dem Parlament die Ratifikation des Statuts für den neuen internationalen Strafgerichtshof zu gegebener Zeit vorzuschlagen, doch wird dies beachtliche Anpassungsarbeiten am schweizerischen Strafrecht mit sich bringen. Diese Anpassung sollte in zwei Etappen vor sich gehen. Der Beitritt zur Genozidkonvention, welcher Gegenstand der vorliegenden Botschaft ist, wird zunächst den Begriff des Völkermordes ­ und dessen Bestrafung ­ in unsere nationale Rechtsordnung einführen. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie eine allfällige Revision der schon bestehenden Bestimmungen zu den Kriegsverbrechen werden in einer vom Bundesrat geplanten Botschaft zum Statut des Internationalen 25 26

SR 0.103.1 und SR 0.103.2.

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (SR 0.101).

5335

Strafgerichtshofes behandelt werden. Der Bundesrat hat sich für dieses Vorgehen entschlossen, um genügend Zeit für die Umsetzung des Statuts zur Verfügung zu haben. Angesichts der Bedeutung, welche das Parlament und die konsultierten Kreise einem raschen Beitritt der Schweiz zur Genozidkonvention beimessen, wäre es nicht angebracht gewesen, den Abschluss der beachtlichen Arbeiten abzuwarten, welche eine Botschaft zum Statut des neuen Strafgerichthofes in Bezug auf die Einführung des Begriffes des «Verbrechens gegen die Menschlichkeit» und die gesetzgeberischen Anpassungen im Bereich der Kriegsverbrechen mit sich bringt. Der Bundesrat beabsichtigt dem Parlament so bald als möglich eine Botschaft über das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes zur Zustimmung zu unterbreiten. Wegen der Aktualität dieser Fragen und den politischen Erwartungen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene beabsichtigt der Bundesrat dem Parlament trotz des Umfangs der Aufgabe eine entsprechende Botschaft so bald als möglich zu unterbreiten.

22

Die Expertenberichte

Im Rahmen der Vorbereitung dieser Botschaft hat der Bundesrat auch Experten des Strafrechts und des Völkerrechts beigezogen. In ihren Stellungnahmen waren sich die Experten27 über die ihnen unterbreiteten Fragen grundsätzlich einig.

Alle gaben ihrer Überzeugung Ausdruck, dass die geltende schweizerische Strafgesetzgebung dem Verbot des Völkermordes im Sinne der Genozidkonvention nicht genügend Rechnung trage und dass eine neue Strafnorm einzuführen sei. Während ein Experte zahlreiche Änderungen am Wortlaut der aus dem Übereinkommen abgeleiteten Verbotsnorm anregte, sprachen sich namentlich die Völkerrechtsexperten dafür aus, den Text möglichst exakt zu übernehmen (vgl. Ziff. 52). Alle Experten schlugen vor, die neue Norm in das bürgerliche Strafgesetzbuch einzufügen, und plädierten dafür, die Verfolgung und Beurteilung des Völkermordes den zivilen Justizbehörden des Bundes zu übertragen. Einig waren sie sich im Weiteren darin, dass auf eine Verfolgungsermächtigung durch politische Behörden zu verzichten sei.

Einer der Experten plädierte zudem dafür, die parlamentarische Immunität bei Völkermord aufzuheben (vgl. Ziff. 34). Einigkeit zeigten die Experten darüber, dass die Schweiz den Völkermord nach dem Universalitätsprinzip verfolgen soll.

Während die Völkerrechtsexperten sich dafür aussprachen, dass für den Völkermord die lebenslängliche Zuchthausstrafe als Höchststrafe des schweizerischen Strafrechts sowie alternativ dazu eine zeitlich begrenzte Zuchthausstrafe von zehn bis zwanzig Jahren angedroht wird, plädierten die Strafrechtsexperten für die unterschiedliche Strafdrohungen je nach dem Grad der verschiedenen Tatbestandsvarianten (vgl. Ziff.

52). Keiner der Experten sah einen Bedarf dafür, dass die Schweiz beim Beitritt zum Übereinkommen einen Vorbehalt oder eine Erklärung anbringe. Die Völkerrechtsexperten erinnerten daran, dass auch der Tatbestand «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» in der schweizerischen Rechtsordnung nicht vorgesehen ist, und sie regten an, dem Parlament mit der gleichen Botschaft eine entsprechende Ergänzung vorzuschlagen (vgl. Ziff. 21).

27

Prof. Lucius Caflisch (Institut de Hautes Etudes Internationales, Genf, und Rechtsberater des EDA), Prof. Ursula Cassani (Universität Genf), Prof. Karl-Ludwig Kunz (Universität Bern) und Prof. Dietrich Schindler (emeritiert, Universität Zürich).

5336

23

Das Vernehmlassungsverfahren

Zwei Vernehmlassungsteilnehmer lehnen den Beitritt der Schweiz zur Genozidkonvention ab. Alle anderen begrüssen den geplanten Beitritt, wobei sich eine erhebliche Anzahl der Stellungnahmen auf diese Kernaussage beschränkt, ohne weiter auf die vorgeschlagenen Ergänzungen und Anpassungen der Strafrechtsordnung einzugehen.

In mehreren Stellungnahmen wird kritisiert, dass die Schweiz es so lange unterlassen hat, der Genozidkonvention beizutreten, und es wird auf die Dringlichkeit verwiesen, diesen Schritt nun endlich nachzuholen.

Die geplante Regelung des Völkermordverbots im bürgerlichen Strafgesetzbuch und die ausschliessliche Zuständigkeit der zivilen Bundesgerichtsbarkeit für Verfolgung und Bestrafung des Genozids stösst allgemein auf positive Reaktionen. Ausgerechnet das Bundesgericht spricht sich aber gegen seine ausschliessliche Zuständigkeit aus und macht dafür unter anderem seine Überlastung geltend.

Mehrheitlich positiv fallen die Reaktionen auf den Inhalt der geplanten Ergänzungen und Anpassungen der Strafrechtsordnung aus. Einige Punkte stossen allerdings auf Kritik. Gleich mehrere Vernehmlassungsteilnehmer fordern den Bundesrat auf, auch soziale und politische Gruppen dem Schutz des Genozidverbotes zu unterstellen.

Wenig Verständnis findet die Absicht, auf die Aussetzung der parlamentarischen Immunität im Zusammenhang mit Völkermord zu verzichten.

Weniger eindeutig fallen die Stellungnahmen zur Anwendung des Universalitätsprinzips aus. Während einzelne die Schweizer Strafrechtsordnung hinsichtlich des Völkermordes auf das im Übereinkommen vorgesehene Territorialitätsprinzip festlegen wollen, fordern verschiedene andere, das Universalitätsprinzip konsequent, das heisst insbesondere auch für Vorbereitungshandlungen im Ausland ohne direkten Bezug zur Schweiz, zur Anwendung zu bringen.

Einzelne Vernehmlassungsteilnehmer lassen ihr Unbehagen gegenüber der für alle Tatbestandsvarianten des Völkermordes vorgesehenen gleich hohen Strafdrohung erkennen.

Eine eindrucksvolle Anzahl von Stellungnahmen schliesslich fordert den Bundesrat auf, die Gelegenheit zu nutzen und mit dem Tatbestand des Völkermordes gleich auch jenen der «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» in die schweizerische Strafrechtsordnung aufzunehmen.

3

Analyse des Übereinkommens

31

Verhinderungs- und Bestrafungspflicht (Art. I)

Mit Artikel I VMK bestätigen die Vertragsstaaten, dass es sich beim Völkermord um ein völkerrechtliches Delikt handelt. Gleichzeitig verpflichten sich die Staaten, Völkermord zu verhindern und zu bestrafen, unabhängig davon, ob das Verbrechen in Kriegs- oder Friedenszeiten im Rahmen eines bewaffneten Konflikts oder unabhängig von einem solchen begangen wurde.

Für die Integration der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Bestrafung vom Völkermord in die einzelstaatlichen Rechtsordnungen ist nicht in erster Linie Art. I,

5337

sondern Artikel V VMK massgeblich. Artikel I hat, mit seiner Bekräftigung des völkerrechtlichen Charakters des Genozids, aus strafrechtlicher Sicht einen überwiegend programmatischen Charakter. Zur Zeit ihrer Erarbeitung im Jahre 1948 wollte man bewusst an die Londoner Charta vom 8. August 1945 (vgl. Ziff. 12) anknüpfen, die den internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg schuf. In ihrem Artikel 6 (c) definierte diese Charta den Völkermord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

32

Definition des Völkermordes (Art. II)

Auf Grund von Artikel II VMK sind die Staaten verpflichtet, den Völkermord im Sinne des dort umschriebenen Tatbestandes unter Strafe zu stellen. Vorausgesetzt wird dabei ausschliesslich ein vorsätzliches Handeln. Eine bloss fahrlässige Tatbegehung ist folglich nicht strafbar. Schon weil beim Verbrechen des Völkermordes der Absicht des Täters entscheidendes Gewicht zukommt, ist die Tat wohl nur vorsätzlich begehbar.

Das durch den Tatbestand des Völkermordes geschützte Rechtsgut ist die Existenz einer durch die Staatsangehörigkeit, Ethnie, Rasse oder Religion gekennzeichneten Gruppe, wobei die Aufzählung dieser Unterscheidungsmerkmale abschliessend ist.

Die völkerrechtliche Pflicht zu einem Gruppenschutz obliegt der Schweiz bereits heute, beispielsweise auf Grund von Artikel 27 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte28 oder von Artikel 1 Absatz 4 und Artikel 4 der AntiRassimuskonvention (RDK)29. Beim Erlass von Artikel 261bis des Strafgesetzbuches (StGB)30 ist die mit Artikel 4 RDK von der Schweiz übernommene vertragliche Bestrafungspflicht so verstanden worden, dass sie sich nicht nur auf die Diskriminierung einer Gruppe erstreckt, sondern auch auf die Diskriminierung eines Individuums, wenn der Täter das Individuum seiner Gruppenzugehörigkeit wegen diskriminiert. Auch unter dem Genozidverbot kann sich der konkrete rechtswidrige Angriff gegen Einzelne oder eine Personenmehrheit richten. Entgegen dem umgangssprachlichen Verständnis des Begriffs «Völkermord» spielt die Zahl der unmittelbaren Opfer keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Absicht des Täters darauf erstreckt, eine durch ihre Staatsangehörigkeit, Rasse, Religion oder ethnische Zugehörigkeit gekennzeichnete Gruppe zu vernichten (vgl. unten). Dabei ist der Begriff «Gruppe» in einem weiten Sinn zu verstehen; er umfasst die Gesamtheit der Personen, die jene besonderen Qualitäten aufweisen, die sie als Kollektiv von einem anderen unterscheiden31.

Um die Anforderungen des strengen strafrechtlichen Legalitätsprinzip möglichst weitgehend zu verwirklichen, versteht sich das schweizerische Strafrecht als ausgesprochenes Tatstrafrecht (Artikel 1 StGB). Ein Strafrecht dieser Art bedarf zwingend eines objektiven und äusserlich wahrnehmbaren Verhaltens, damit die Voraussetzungen der Strafbarkeit gegeben
sind. Bei dem nach Artikel II VMK massgeblichen Tatbild des Völkermordes fällt auf, dass abgesehen von den in Buchstabe a umschriebenen Tötungen die Tathandlungen im Sinne der Buchstaben b bis e ver28 29 30 31

SR 0.103.2 Internationales Übereinkommen vom 21. Dezember 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (SR 0.104).

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR 311.0)..

Antonio Planzer, Le crime de génocide, Diss., Freibourg, 1956, S. 96.

5338

gleichsweise offen und unbestimmt umschrieben werden. Das Schwergewicht für den von den Staaten in ihrem Strafrecht zu übernehmenden Tatbestand des Völkermordes liegt damit für diese Handlungsvarianten ohne Zweifel auf dem subjektiven Tatbestandsmerkmal der «Absicht, eine Gruppe zu vernichten». Es handelt sich bei dieser Absicht um eine so genannte «überschiessende Innentendenz», weil deren Verwirklichung für die Vollendung der Straftat nicht vorausgesetzt wird. Solange die Strafbarkeitsvoraussetzungen durch derartige subjektive Tatbestandsmerkmale in Verbindung mit einer objektiv eindeutig gekennzeichneten Tathandlung wie etwa einer Tötungshandlung umschrieben werden, sind dagegen keine Bedenken angebracht. So ist etwa der Tatbestand des Mordes nach Artikel 112 StGB unter anderem als eine aus «besonders verwerflichen Beweggründen» begangene Tötung gekennzeichnet. Bei derartigen Umschreibungen subjektiver Tatbestandsmerkmale lässt sich in aller Regel mit Hilfe von Erfahrungssätzen von einem bestimmten äusseren Geschehen auf eine innere Einstellung schliessen. Demgegenüber sind die objektiv wahrnehmbaren Tathandlungen, wie sie in Artikel II Buchstaben c bis e VMK umschrieben sind, in der Auslegung und damit in der Anwendung ungewisser und erschweren damit den Schluss auf das subjektive Tatbestandsmerkmal der Absicht, «eine Gruppe zu vernichten». Die in Artikel II Buchstaben c bis e umschriebenen Tathandlungen stehen aus diesen Gründen mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot zwangsläufig in einem gewissen Spannungsverhältnis.

33

Strafbare Handlungen (Art. III)

Vorerst steht für das schweizerische Strafrecht ausser Zweifel, dass die auf Grund von Artikel III Buchstaben a und e VMK verlangte Strafbarkeit der Beteiligungsformen an einem Völkermord als Täter (Allein-, Neben- oder Mittäter) und Teilnehmer (Gehilfe) nach den Regeln des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches gegeben ist. Ebenso ist die Strafbarkeit für die Verwirklichungsstufen des unvollendeten oder des vollendeten Versuchs im Sinne von Artikel III Buchstabe d auf Grund der Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches gewährleistet.

Angemessen ist, dass mit der in Artikel III Buchstabe b vorgesehenen Bestrafung der Verschwörung zur Begehung von Völkermord jene Vorbereitungshandlungen poenalisiert werden, die noch vor der Schwelle des Versuchs liegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes beginnt der Versuch mit dem «letzten, entscheidenden Schritt zum Erfolg, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt»32.

Vor der Versuchsschwelle liegende Vorbereitungshandlungen werden vom Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB) für eine Reihe von schweren Delikten poenalisiert, die in Artikel 260bis StGB in einem abschliessenden Katalog verzeichnet sind.

Durch eine Ergänzung dieses Deliktskatalogs lässt sich auch für den Tatbestand des Völkermordes die Strafbarkeit von «planmässig konkreten technischen oder organisatorischen Vorkehrungen» sicherstellen. Dadurch würden die Vorbereitungshandlungen im Sinne von Artikel III Buchstabe b VMK abgedeckt. Hinzuweisen ist sodann auf den Tatbestand der kriminellen Organisation33, welcher ebenfalls geeignet ist, den Begriff der Verschwörung abzudecken, soweit damit die Zugehörigkeit zu einer oder die Unterstützung einer Verbrechensorganisation miterfasst werden soll.

32 33

BGE 119 IV 227 Art. 260ter StGB

5339

Aus der Sicht der bisher zur Genozidkonvention geübten Staatenpraxis sowie unter Berücksichtigung des dem nationalen Gesetzgeber zugestandenen Gestaltungsspielraumes bestehen jedenfalls keine Zweifel, dass durch das Zusammenspiel des ergänzten Tatbestandes der «strafbaren Vorbereitungshandlungen» von Artikel 260bis StGB mit demjenigen der «kriminellen Organisation» von Artikel 260ter StGB die Anforderungen der nach Ziel und Zweck auszulegenden Bestimmung von Artikel III Buchstabe b VMK erfüllt sind.

Während die Privilegierung des Rücktritts, welche nach Artikel 260bis Absatz 2 StGB zu einer obligatorischen Strafbefreiung und nach Artikel 260ter Absatz 2 StGB noch zu einer fakultativen Strafminderung führt, aus der Sicht des Übereinkommens keine Bedenken weckt, ist auf die jeweils in Absatz 3 dieser beiden Tatbestände vorgesehene Regelung des örtlichen Rechtsanwendungsbereiches im Zusammenhang mit Artikel VI VMK (vgl. Ziff. 36) einzugehen.

Die Forderung der Bestrafung der «unmittelbaren und öffentlichen Aufreizung» zum Völkermord im Sinne von Artikel III Buchstabe c VMK ist durch die Teilnahmehandlung der Anstiftung im Sinne von Artikel 24 StGB dann erfüllt, wenn eine derartige öffentliche Aufreizung eine solche Intensität erreicht, dass sie zur «Bestimmung» (d.h. zum Hervorrufen eines Tatentschlusses) eines oder mehrerer anderer zur Begehung eines Genozids genügt. Bleibt eine derartige öffentliche Aufreizung unter der Schwelle eines eigentlichen «Bestimmens» und ist sie auf der andern Seite doch nach Form und Inhalt hinreichend eindringlich, um den Willen des oder der Adressaten zu beeinflussen34, so ist der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu einem Verbrechen nach Artikel 259 StGB gegeben.

Die Teilnahmeform der Anstiftung nach Artikel 24 StGB sowie der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu einem Verbrechen nach Artikel 259 StGB genügen zweifellos den Anforderungen von Artikel III Buchstabe c VMK. Nach Artikel 24 StGB untersteht der Anstifter der gleichen Strafdrohung wie der Haupttäter; nach Artikel 259 Absatz 1 StGB ist für den Auffordernden eine Strafdrohung von bis zu drei Jahren Zuchthaus vorgesehen, weil es sich dabei doch um eine im Vergleich zur Anstiftung abgeschwächte Verwirklichungsform für ein Verbrechen handelt.

34

Persönlicher Geltungsbereich (Art. IV)

Einer der Zwecke der Genozidkonvention ist die Strafbarkeit aller Täter, die Völkermord begangen haben. Einzelstaatliche Einschränkungen dieses Prinzips müssten daher als unwirksam betrachtet werden, da diese offensichtlich unvereinbar wären mit dem Zweck der Konvention. Weder andere Vertragsstaaten noch internationale Gerichte wären an Einschränkungen gebunden, die ein Staat einer des Genozids verdächtigen Person gewährte, und sie könnten folglich auch ein entsprechendes gerichtliches Verfahren in die Wege leiten.

Artikel IV VMK geht von der Vorstellung aus, dass Völkermord in erster Linie von Personen begangen wird, die öffentliche Funktionen ausüben oder sogar Regierungsfunktionen in ihrem Staat innehaben. Strafrechtlich gesehen übernehmen die Vertragsstaaten mit diesem Artikel die Pflicht, sich für den persönlichen Geltungsbereich des Strafrechts bei Organhandlungen von Regierungsmitgliedern und Beamten der Verwaltung nicht auf die «Theorie der Hoheitsakte» zu berufen. Her34

BGE 111 IV 154

5340

kömmlicherweise werden nach dieser Theorie die hoheitlichen Handlungen von Regierungsmitgliedern und Beamten dem jeweiligen Staat zugerechnet. Weil aber in der Regel die Hoheitsakte eines Staates von der Jurisdiktion anderer Staaten oder internationaler Organisationen ausgenommen sind, können die unmittelbar handelnden Personen insoweit strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden, als sie in Übereinstimmung mit der jeweiligen staatlichen Rechtsordnung handeln. Für «regierende Personen und öffentliche Beamte» will demgegenüber Artikel IV einen derartigen Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verhindern.

35

Innerstaatliche Gesetzgebung (Art. V)

Artikel V VMK sieht ausdrücklich vor, dass die Vertragsstaaten sich aus dem Übereinkommen ergebende Bestrafungspflicht in Übereinstimmung mit ihrer jeweiligen Verfassungsordnung umzusetzen haben. Die Tragweite dieses konventionsrechtlichen Verfassungsvorbehalts sollte jedoch nicht überschätzt werden. Er muss insbesondere vor dem Hintergrund der heute auch völkergewohnheitsrechtlich verankerten Bestimmung von Artikel 27 der Wiener Vertragsrechtskonvention35 gesehen werden, der dem Einhalten von internationalen Verträgen Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht einräumt36. So würde ein Staat seinen völkerrechtlichen Obliegenheiten nicht nachkommen, wenn er durch sein innerstaatliches Recht einen Verstoss gegen das zwingende Völkerrecht oder gegen andere, absolut geschützte Menschenrechte legitimieren wollte. Für die Schweiz hat dieser Verfassungsvorbehalt zwei praktische Auswirkungen: in Anwendung der in der schweizerischen Rechtsordnung vorherrschenden monistischen Auffassung des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und Landesrecht übernimmt die Schweiz völkervertragsrechtliche Bestrafungspflichten auf Grund der Vollzugstheorie. Diese setzt zwar wegen der Notwendigkeit einer demokratischen Legitimation von Strafnormen und wegen der Anforderungen des aus Artikel 4 der Bundesverfassung37 abgeleiteten Bestimmtheitsgebots für die Inkorporation der völkerstrafrechtlichen Norm einen innerstaatlichen Rechtsakt voraus, ohne dass aber dabei die völkerrechtliche Norm durch das staatliche Recht neu geschaffen wird. Damit ist es der schweizerischen Rechtsordnung für vertrags- oder gewohnheitsrechtlich anerkannte völkerstrafrechtliche Tatbestände möglich, deren Qualität als Völkerrecht zu bewahren. Im Falle von Auslegungsschwierigkeiten ist ein Tatbestand vom Rechtsanwender daher in Anerkennung der autonomen Geltung des Konventionstextes völkerrechtskonform auszulegen.

Andererseits muss nach schweizerischer Auffassung auf Grund des Bestimmtheitsgebots gewährleistet sein, dass sich für die Bürger als Normadressaten wenigstens in Umrissen das Risiko einer Bestrafung aus dem Tatbestand herauslesen lässt.

Wie weiter oben (vgl. Ziff. 32) erwähnt, ist für den Tatbestand des Völkermordes die Absicht kennzeichnend, eine bestimmte Personengruppe ganz oder teilweise zu vernichten. Diese Absicht qualifiziert den Völkermord
als eines der schwerwiegendsten Verbrechen überhaupt. Ist sie gegeben und wurde Völkermord im Sinne von Artikel II VMK begangen, so rechtfertigt sich die Androhung einer zehnjährigen Freiheitsstrafe als Mindest- und einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe als Höchst35 36 37

Wiener Konvention von 1969 über das Recht der Verträge (SR 0.111).

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung (BBl 1997 I 362).

SR 101

5341

strafe, das heisst der schärfsten im schweizerischen Strafrecht vorgesehenen Sanktion, wie sie auch für den Tatbestand des Mordes38 angedroht ist (vgl. Ziff. 52).

36

Räumlicher Geltungsbereich (Art. VI)

Artikel VI VMK sieht für den räumlichen Geltungsbereich der Strafbestimmung gegen Völkermord die Geltung des Territorialprinzips vor. Alternativ dazu wird den Konventionsstaaten die Möglichkeit eröffnet, die Zuständigkeit eines internationalen Strafgerichtshofes zu anerkennen. Für die von den Staaten mit dem Beitritt zur Konvention zu übernehmende Pflicht einer Bestrafung von Völkermord ist eine auf das Territorialitätsprinzip beschränkte Regelung nur sinnvoll, wenn die dadurch geschaffene Zuständigkeit der einzelnen Konventionsstaaten durch die Gerichtsbarkeit eines internationalen Strafgerichtshofes ergänzt wird. Andernfalls wäre es nämlich nicht möglich, einen Völkermord zu ahnden, der auf dem Territorium eines Staates begangen wurde, welcher der Genozidkonvention überhaupt nicht beigetreten ist oder seine Mitgliedschaft zur Konvention aufgekündigt hat. Würde des Weiteren ein Völkermord durch die Mitglieder oder Anhänger eines bestimmten Regimes begangen, so wären die Täter und die Helfer vor einem Regimewechsel praktisch in keinem Fall strafrechtlich belangbar. Das durch die UNO-Konferenz der Bevollmächtigten zur Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofes (vgl Ziff. 12) am 17. Juli 1998 in Rom angenommenen Statut sieht die Schaffung eines solchen Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs vor39.

Aus heutiger Sicht ist die Bestimmung von Artikel VI VMK zu eng gefasst. Verständlich ist sie eigentlich nur, wenn man sich vor Augen hält, dass zur Zeit der Entstehung der Konvention im Jahre 1948 der Grundsatz der Nichteinmischung eine unverzichtbare Bedingung für das Zustandekommen des Abkommens darstellte. Der Optimismus bezüglich der Gründung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit war jedoch ebenfalls übertrieben, da es weitere 50 Jahre brauchte, um das Statut zu verabschieden. Auf Grund der ius cogens-Qualität sowie der erga omnes-Wirkung des Völkermordverbots (vgl. Ziff. 13) steht heute ausser Zweifel, dass die Anwendung des Universalitätsprinzips auf eine Strafbestimmung gegen den Völkermord als mit dem Völkerrecht übereinstimmend, wenn nicht sogar durch das Völkerrecht geboten, gelten muss. Auf Grund des Universalitätsprinzips sind Staaten berechtigt, ja sogar verpflichtet, eigene oder fremde Staatsangehörige für im Ausland oder Inland begangenen Völkermord zu verfolgen und zu bestrafen, ohne dass sie damit einen völkerrechtswidrigen Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates begehen.

37

Auslieferung (Art. VII)

Dass der Völkermord nicht als eine Tat mit politischem Charakter erachtet wird und damit einer Auslieferung mutmasslicher Täter nichts entgegensteht, ergibt sich für

38 39

Art. 112 StGB Art. 114 des Statutes.

5342

das schweizerische Recht zweifelsfrei aus Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe a des Rechtshilfegesetzes (IRSG)40.

38

Streitbeilegung (Art. VIII und IX)

Artikel VIII VMK sieht vor, dass die zuständigen Organe der Vereinten Nationen auf Ersuchen einer Vertragspartei und im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung des Völkermordes ergreifen können. Damit sollte der Umsetzung der Konvention Rechnung getragen werden, die bei den Vorbereitungsarbeiten eher etwas zu kurz gekommen war. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass dieser Artikel, weil er lediglich Massnahmen im ohnehin bestehenden Rahmen der Charta der Vereinten Nationen vorsieht, keine neuen Kompetenzen schafft oder Mechanismen einführt und ihm deshalb bloss eine vorwiegend deklaratorische Wirkung zukommt. Immerhin kann dem Artikel zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Genozidkonvention insofern eine gewisse psychologische und politische Bedeutung zugesprochen werden, als damit zum ersten Mal die Intervention der die Völkergemeinschaft vertretenden Weltorganisation zu Gunsten der Menschenrechte vorgesehen wird41.

Artikel IX VMK scheint die exklusive und obligatorische Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes für Streitigkeiten zwischen Vertragsstaaten über die Auslegung, Anwendung oder Durchführung der Genozidkonvention festzulegen. Verschiedene Staaten haben zu diesem Artikel jedoch Vorbehalte angebracht, und in der Tat ist die Rechtmässigkeit dieser Bestimmung umstritten, was jedoch den Wert der Bestimmung nicht in Frage stellt.

Die Schweiz hat die obligatorische Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs im Sinne von Artikel 36 Absatz 2 des IGH-Statuts anerkannt42, weshalb ihr aus Artikel IX VMK keine neuen Verpflichtungen erwachsen.

39

Schlussbestimmungen (Art. X bis XIX)

Die Schlussbestimmungen des Übereinkommens regeln die Verbindlichkeit der verschiedenen Wortlaute (Art. X), die Ratifizierung und den Beitritt (Art. XI), die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Gebiete, für deren auswärtige Angelegenheiten die Vertragspartei verantwortlich ist (Art. XII), das Inkrafttreten, die Geltungsdauer und die Kündigung (Art. XIII bis XV), die Revision (Art. XVI) sowie die Funktionen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen als Depositar des Übereinkommens (Art. XVII bis XIX).

40 41 42

Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (SR 351.1).

Antonio Planzer, op.cit., S. 152 ff.

Vgl. Bundesbeschluss vom 12. März 1948 über den Beitritt der Schweiz zum Statut des Internationalen Gerichtshofes und die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit dieses Gerichtshofes gemäss Artikel 36 des Statuts (SR 193.5).

5343

4

Art und Tragweite der für die Schweiz entstehenden Verpflichtungen

41

Die Art der völkerrechtlichen Verpflichtungen

Der Inhalt der völkerrechtlichen Verpflichtungen, die der Schweiz aus der Genozidkonvention erwachsen, wurde bereits dargestellt (vgl. Ziff. 3). Es geht nun um die Frage, ob die Bestimmungen im schweizerischen Recht direkt anwendbar (selfexecuting) sind oder ob sie der Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedürfen.

In der Schweiz gilt für das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht traditionell die monistische Theorie: Internationale Verträge werden Bestandteil der schweizerischen Rechtsordnung, sobald sie für unser Land in Kraft getreten sind.

Bestimmungen eines internationalen Vertrages können, insoweit sie direkt anwendbar sind, vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an vor den schweizerischen Behörden geltend gemacht werden. Als direkt anwendbar gelten jene Bestimmungen, die ­ im Gesamtzusammenhang sowie im Lichte von Gegenstand und Zweck des Vertrages betrachtet ­ genügend bestimmt sind, um auf einen konkreten Sachverhalt angewendet zu werden und Grundlage für eine Entscheidung zu bilden43.

Hinsichtlich der Genozidkonvention bestehen in diesem Zusammenhang zwei Besonderheiten. Erstens auferlegt sie auf Grund ihrer gewohnheitsrechtlichen Geltung (vgl. Ziff. 13) der Schweiz bereits heute, also noch vor dem Beitritt zum Übereinkommen, völkerrechtliche Verpflichtungen. Zweitens handelt es sich um ein Übereinkommen des Völkerstrafrechts, weshalb an die Bestimmtheit der Vertragsbestimmungen besonders hohe Anforderungen zu stellen sind (vgl. Ziff. 35).

Artikel II und III VMK richten sich in erster Linie an die Gesetzgebungsbehörden.

Ihr Inhalt ist zweifellos genügend bestimmt, sodass in einem konkreten Fall beurteilt werden kann, ob der Tatbestand des Völkermordes im Sinne des Übereinkommens erfüllt ist. Es fehlt aber die konkrete Strafdrohung (Art. V schreibt lediglich eine wirksame Bestrafung vor), weshalb ihre unmittelbare Anwendung in einem Strafverfahren nach schweizerischem Recht ausgeschlossen ist. Artikel IV, VI und VII dagegen enthalten direkt anwendbare Verpflichtungen. Artikel IV unterwirft auch regierende Personen und öffentliche Beamte dem Genozidverbot, Artikel VI sieht die Überstellung an ein internationales Strafgericht vor, und Artikel VII enthält Bestimmungen betreffend die internationale Rechtshilfe.

42

Die Behandlung des Völkermordes im geltenden schweizerischen Recht

Die schweizerische Rechtsordnung trägt der Genozidkonvention bereits in verschiedener Weise Rechnung. So legen Artikel 75bis StGB und Artikel 56bis des Militärstrafgesetzes44 die Unverjährbarkeit des Völkermorddelikts fest. Artikel 3 IRSG schliesst die Einrede des politischen Charakters für den Fall des Völkermordes aus.

In diesen Bestimmungen geht die Definition des Völkermordes insofern über Artikel II VMK hinaus, als sie auch den Völkermord an sozialen und politischen Gruppen

43 44

BGE 112 Ib 184 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (SR 321.0).

5344

umfasst (vgl. Ziff. 52). Mit dem Beitritt der Schweiz zur Rassimuskonvention45 wurde 1993 die Leugnung von Völkermord unter Strafe gestellt46. Darüber hinaus werden die im Übereinkommen einzeln beschriebenen objektiven Tathandlungen eines Völkermordes wie Tötung, Körperverletzung oder Freiheitsberaubungen wenigstens teilweise durch Straftatbestände des geltenden Strafrechts abgedeckt. Diesen fehlt allerdings das qualifizierende Element der Absicht, eine durch ihre Staatsangehörigkeit, Ethnie, Rasse oder Religion gekennzeichnete Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten. Abgesehen vom Tatbestand des Mordes drohen diese Strafbestimmungen auch nicht die lebenslängliche Zuchthausstrafe als Höchststrafe an.

Darin, dass sie eines der schwerwiegendsten Verbrechen nicht angemessen bestrafen kann, liegt der in diesem Zusammenhang entscheidende Mangel der geltenden schweizerischen Rechtsordnung.

43

Verbot und Bestrafung des Völkermordes im schweizerischen Recht

Wie oben (vgl. Ziff. 3) dargestellt, erfordert die Genozidkonvention von der Schweiz in erster Linie den Neuerlass einer Strafbestimmung gegen den Völkermord, deren Tatbestandsmerkmale wenigstens der Definition des Völkermordes entsprechen müssen, wie sie in Artikel II VMK enthalten ist. Darüber hinaus ist dafür zu sorgen, dass Beteiligungsformen und Vorbereitungshandlungen im Sinne von Artikel III VMK ebenfalls strafbar sind.

5

Die Revision des Strafrechts

51

Bürgerliches oder militärisches Strafrecht ?

Der schweizerische Gesetzgeber hat die Verfolgung von Kriegsverbrechen im Sinne des Haager Abkommens von 190747, der Genfer Konventionen von 194948 und ihrer Zusatzprotokolle von 197749 sowie von Verletzungen des Kulturgüterschutzabkommens50 der Militärjustiz übertragen (Artikel 2 Ziffer 9 MStG). Dieser Schritt war zweckmässig, weil das Militärstrafgesetz bereits Vorschriften über die Verletzung des Völkerrechts im Kriegsfall enthielt. Die am 1. März 1968 in Kraft gesetzte Revision des MStG beruhte auf dem Inhalt der Genfer Konventionen und des Kulturgüterschutzabkommens. Die Zusatzprotokolle von 1977 traten für die Schweiz erst 1982 in Kraft; da sie einen Bestandteil der Genfer Konventionen darstellen, werden sie von Artikel 108 MStG, der die Zuständigkeit der militärischen Strafverfolgungsbehörden für Verletzungen des humanitären Völkerrechts begründet, ohne weiteres miterfasst. Aus Absatz 1 dieses Artikels sowie aus dem Titel des sechsten Abschnitts des Militärstrafgesetzes wird deutlich, dass sich Artikel 108 MStG ausschliesslich auf Übereinkommen des humanitären Völkerrechts bezieht, jedoch nicht 45 46 47 48 49 50

Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (SR 0.104).

Art. 261bis StGB und Art. 171c MStG in den Fassungen vom 18. Juni 1993.

Abkommen über den Beginn der Feindseligkeiten vom 18. Oktober 1907 (SR 0.515.10).

SR 0.518.12, 0.518.23, 0.518.42, 0.518.51 SR 0.518.521, 0.518.522 Haager Abkommen vom 14. Mai 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (SR 0.520.3).

5345

auf solche des allgemeinen Völkerrechts. Die Genozidkonvention hebt sich von den Genfer Konventionen insofern ab, als sie unabhängig von bewaffneten Konflikten Geltung beansprucht (vgl. Ziff. 13); sie fällt deshalb nicht unter Artikel 108 Absatz 2 MStG und folglich nicht in die Zuständigkeit der militärischen Strafverfolgungsbehörden.

Immerhin ist nicht von der Hand zu weisen, dass Völkermord im Allgemeinen vor dem Hintergrund bewaffneter Konflikte verübt wird, weshalb nicht selten mit der gleichen Handlung oder im Rahmen des gleichen Tatablaufs sowohl gegen das Völkermordverbot als auch in schwerer Weise gegen die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle oder das Kulturgüterschutzabkommen verstossen wird. Im Interesse klarer Verhältnisse und angesichts der Bedeutung der Materie ist es geboten, jede Unsicherheit über die Zuständigkeit für die Verfolgung und Beurteilung des Völkermordes durch deren klare Festlegung zum Vornherein auszuschliessen.

Da die Genozidkonvention Geltung unabhängig von bewaffneten Konflikten beansprucht, legen es rechtssystematische Überlegungen nicht unbedingt nahe, ihre Verletzung im Militärstrafgesetz zu regeln und ihre Verfolgung den Organen der Militärjustiz zu übertragen. Der Bundesrat schlägt deshalb vor, die Strafbestimmungen über den Völkermord in das bürgerliche Strafgesetzbuch aufzunehmen und ihre Verletzungen der zivilen Justiz zur Verfolgung und Beurteilung zuzuweisen. Die bisherigen Kompetenzen der Militärjustiz werden beibehalten.

52

Aufnahme des Tatbestandes des Völkermordes in das Strafgesetzbuch

521

Systematik

Das Strafgesetzbuch ist um einen Titel «Straftaten gegen die Interessen der Völkergemeinschaft» zu ergänzen. Dieser Titel lässt sich zwischen dem zwölften und dreizehnten Titel des Besonderen Teils als «Titel 12bis» ansiedeln und ist der Standort für den Straftatbestand eines neuen Artikels 264. Diese Systematik rechtfertigt sich dadurch, dass die Poenalisierung des Völkermordes im Wesentlichen dem Schutz des Weiterbestandes einer ganzen Gruppe dient, eines Rechtsguts, welches über das Individuum oder den Staat hinausgeht und die kollektiven Interessen der Staatengemeinschaft betrifft. Eine weitere Bestimmung «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» könnte zu einem späteren Zeitpunkt dem neuen «Titel 12bis» beigefügt werden, wenn eine solche durch die Ratifikation des Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof (vgl. Ziff. 21) notwendig würde.

Auf die Bedeutung des subjektiven Tatbestandes beim Völkermord und auf das Spannungsverhältnis zum strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot wurde bereits hingewiesen (Ziffer 32). In der Tat wird sich das Vorliegen der Absicht, eine bestimmte Personengruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten, in der Praxis oft nicht leicht nachweisen lassen, was die Anwendung der neuen Strafnorm naturgemäss einschränken wird51. Wo sich die besondere Absicht nicht nachweisen lässt, dürfte gegebenenfalls eine Verurteilung auf Grund der subsidiär anwendbaren Tatbestände (z. B. «Mord» oder «Körperverletzung») erfolgen. Wenn die Anschuldigung wegen

51

Antonio Cassese, op.cit., S. 184.

5346

eines Kriegsverbrechens vorliegt, müsste der Fall der Militärjustiz überwiesen werden.

522

Definition der Gruppe

Wie bereits früher ausgeführt (vgl. Ziff. 42), enthalten die Bestimmungen der schweizerischen Rechtsordnung über die Unverjährbarkeit des Völkermorddelikts (Art. 75bis StGB und Art. 56bis MStG) und die Rechtshilfe bei Völkermord (Art. 3 IRSG) eine Definition des Völkermordes, die auch den Genozid an sozialen und politischen Gruppen umfasst und damit über Artikel II VMK hinausgeht. Dass Artikel II VMK nicht auch politische und soziale zu den geschützten Gruppen zählt, wurde der Genozidkonvention bisweilen als Mangel angerechnet52. Trotzdem hat der Bundesrat entschieden, darauf zu verzichten, für den neuen Artikel 264 StGB eine Ausdehnung der im Übereinkommen enthaltenen Definition der geschützten Gruppe vorzusehen. Die Botschaft zum Statut des internationalen Strafgerichthofes, die zurzeit ausgearbeitet wird (vgl. Ziff. 21), wird diesen Aspekt genauer behandeln, da sich die Frage eines besonderen Schutzes dieser Gruppen vor allem im Zusammenhang mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt.

Andernfalls würden die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte mit zahlreichen Unsicherheiten konfrontiert, da es praktisch unmöglich ist, allgemeingültig zu definieren, was eine politische oder soziale Gruppierung ist. Zudem besteht ein qualitativer Unterschied zwischen den beiden soeben erwähnten und den in der Konvention erwähnten Gruppen darin, dass die Zugehörigkeit zu den letzteren im Allgemeinen und in der Hauptsache angeboren ist und nicht vom freien Willen einer Person abhängt. Aus ähnlichen Überlegungen hatte der Bundesrat schon beim Beitritt der Schweiz zur Anti-Rassismus-Konvention darauf verzichtet, die in Artikel 261bis StGB (Rassendiskriminierung) enthaltene Definition auf politische oder soziale Gruppen auszudehnen53.

Im Gegensatz zu dem bei der Anti-Rassismus-Konvention gewählten Vorgehen schlägt der Bundesrat hingegen vor, beim Genozidverbot auf das Element der Staatsangehörigkeit in der Definition der geschützten Gruppe nicht zu verzichten.

Die damals geltend gemachten Schwierigkeiten mit den Bestimmungen über den Erwerb der schweizerischen Nationalität54 spielen im Zusammenhang mit der Genozidkonvention keine Rolle. Hingegen hegt der Bundesrat heute Zweifel darüber, ob mit dem Begriff der Ethnie tatsächlich auch das Element der Staatsangehörigkeit genügend deutlich mitumfasst werde55. Der französischsprachige Text, eine der authentischen Vetragssprachen, verwendet den Begriff «nationalité», während der 52

53

54 55

Hans-Heinrich Jescheck, «Genocide», in: R. Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Vol. II (1995), S. 543; Cherif Bassiouini, «Remarks on Genocide: The Convention, Domestic Laws, and State Responsibility», in: American Society of International Law, Proceedings of the 83rd Annual Meeting (Chicago, 1989), S. 314 ff.

Vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 2. März 1992 über den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und über die entsprechende Strafrechtsrevision, Ziff. 635 (BBl 1992 III 269), S. 311.

BBl 1992 II 311 Sich widersprechende Ansichten etwa bei Karl-Ludwig Kunz, «Neuer Straftatbestand gegen Rassendiskriminierung ­ Bemerkungen zur bundesrätlichen Botschaft», RPS 1992, S. 154, 160; Marcel A. Niggli, Rassendiskriminierung, Ein Kommentar zu Art. 261bis StGB und Art. 171c MStG, Zürich, 1996, N 342.

5347

deutsche Text den Ausdruck «Staatsangehörigkeit» wählt. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob in der deutschen Fassung bei der Aufzählung der unzulässigen Diskriminierungsmerkmale der Begriff der «Nationalität» verwendet werden sollte. Aus den folgenden Gründen wird in der Botschaft und im Entwurf von einer derartigen Angleichung an den französischen Text abgesehen: Sieht man von der Staatsangehörigkeit ab, so lassen sich die Begriffe «Ethnie» und «Nationalität» kaum sinnvoll gegeneinander abgrenzen. In der derzeit geltenden Strafgesetzgebung, beispielsweise in Artikel 75bis Absatz 1 Ziffer 1 StGB und in Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe a IRSG56, verwendet der französische Text jeweils «nationalité» und der deutsche Text «Staatsangehörigkeit», womit beide Male der Begriff der «Ethnie» mitgemeint ist. Wenn nun der Bundesrat vorschlägt, bei der Definition der geschützten Gruppe im neuen Artikel 264 StGB auch das Element der Staatsangehörigkeit aufzunehmen, dann ist er sich einer gewissen Inkonsistenz bewusst. Er tut dies im Interesse einer besseren Verständlichkeit und hält unmissverständlich fest, dass aus der Einführung des Merkmals «Staatsangehörigkeit» im neuen Artikel 264 StGB ausdrücklich nicht auf ein qualifiziertes Schweigen in Artikel 261bis StGB zu schliessen ist. Es gilt weiterhin, dass der Gesetzgeber bei Verabschiedung von Artikel 261bis StGB davon ausging, der Begriff «Ethnie» enthalte auch das Element der Staatsangehörigkeit.

Betrachtet man die in Artikel II Buchstaben a bis e VMK umschriebenen Handlungsvarianten, lässt sich feststellen, dass mit den in Buchstaben a bis c umschriebenen Tathandlungen notwendigerweise ein Angriff auf die physische oder psychische Integrität der einzelnen Gruppenmitglieder verbunden ist. Bei den Tatvarianten nach Buchstaben d und e trifft dies hingegen nicht in allen Fällen zu (z. B. Geburtenverhinderung oder Kinderverschleppung); vielmehr steht der Entzug der unverzichtbaren Grundlagen für die Weiterexistenz der Gruppe im Vordergrund, ohne dass damit zwangsläufig Leib, Leben oder Gesundheit der einzelnen Gruppenmitglieder betroffen sein müssen. Die Androhung der Maximalstrafe mag für diese Tatvarianten hart erscheinen. Nach Ansicht des Bundesrates ist sie aber angesichts der besonders verwerflichen Absicht, die auch mit diesen Tathandlungen
verfolgt wird, gerechtfertigt. Im Übrigen besteht eine gewisse Flexibilität des Strafrahmens nach unten darin, dass Täter, denen die ohnehin nur schwer feststellbare, vom Tatbestand des Völkermordes vorausgesetzte qualifizierende Absicht nicht nachgewiesen werden kann, für die Begehung subsidiärer Delikte (z. B. «Körperverletzung») mit entsprechend geringerer Strafdrohung verurteilt werden. Zudem gelten für die verschiedenen Beteiligungsformen und Vorbereitungshandlungen die üblichen, in der Regel reduzierten Strafrahmen der entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches.

523

Strafdrohung

Es hat sich die Frage gestellt, ob eine Lösung vorzuschlagen sei, welche nur gerade den durch die Tötung oder die Verletzung von Gruppenmitgliedern begangenen Völkermord obligatorisch mit einer lebenslangen Zuchthausstrafe bedroht. Dieser Vorschlag hat sich aus den nachstehenden Gründen als unbefriedigend erwiesen: Der spezifische Unrechtsgehalt für die Strafwürdigkeit eines Völkermordes besteht in der Auffassung des Täters, wonach eine Bevölkerungsgruppe keine Daseinsberechtigung besitzt, und aus der daraus resultierenden Absicht, diese Gruppe zum 56

SR 351.1

5348

Verschwinden zu bringen. Auch für den gegenüber der vorsätzlichen Tötung qualifizierten Mord ist die Absicht, das Motiv dafür ausschlaggebend, dass der Mord gegenüber der vorsätzlichen Tötung mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht ist. Aus der Sicht des Völkerrechtes ist daran festzuhalten, dass für den Völkermord die Absicht, eine durch ihre Nationalität, Rasse, Religion oder Ethnie gekennzeichneten Gruppe zu vernichten, den spezifischen Unrechtsgehalt der Strafbarkeit darstellt.

Dies kann an sich die Androhung einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe als Höchststrafe rechtfertigen. Im Übrigen handelt es sich insofern nicht um die Androhung einer starren und absoluten Strafe, als die im vorgeschlagenen Artikel 264 StGB angedrohte Strafe nach unten durch eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe von zehn Jahren begrenzt wird. Es wird dem Richter damit möglich sein, zwischen einer zehn- bis zwanzigjährigen und einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe zu wählen.

Wenn einem Täter die Absicht der Vernichtung einer ganzen Gruppe nicht nachgewiesen werden kann, so ist er wegen der Begehung einer der bereits dem geltenden Recht bekannten Straftat (Beispiel: «Tötung», «Körperverletzung») zu verurteilen.

Die im Entwurf für die Strafbestimmung vorgeschlagene Strafdrohung ist auch mit der in Artikel 77 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes vorgesehenen Regelstrafe von 30 Jahren Freiheitsstrafe vereinbar, weil auch diese bei einer besonderen Schwere der Tat oder der Schuld zur Verhängung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe führen kann.

524

Örtlicher Anwendungsbereich

Die Genozidkonvention verpflichtet die Vertragsstaaten nicht dazu, die Verfolgung und Bestrafung des Völkermordes dem Universalitätsprinzip zu unterstellen. Für das schweizerische Strafrecht sprechen aber zwei Gründe für die Anwendbarkeit des Universalitätsprinzips: Auf Grund des heutigen Diskussionsstandes57 des Völkerstrafrechts steht einmal fest, dass ein Staat, der für einen in seinem internen Recht enthaltenen Völkermordtatbestand die Anwendbarkeit nach dem Universalitätsprinzip vorsieht, sich nicht die autonome und völkerrechtswidrige Vindikation einer uferlosen Strafgewalt vorwerfen lassen muss. Verkürzt gesagt, besteht für den Tatbestand des Völkermordes für einen Staat zwar keine Pflicht, wohl aber ein Recht zur Verfolgung und Bestrafung dieser Tat nach dem Universalitätsprinzip.

Wichtiger ist aber indessen, dass bei einem Verzicht auf die Anwendung des Weltrechtsprinzips für die Verfolgung von Völkermord, das heisst bei einer unveränderten Anwendung der derzeit in Kraft stehenden Regeln über den räumlichen Geltungsbereich des schweizerischen Strafrechts, sich Verfolgungslücken ergeben müssten. Damit aber wäre rechtspolitisch die angestrebte unnachsichtige Ahndung des Völkermordes nicht mehr sichergestellt. Derartige Strafbarkeitslücken würden sich bei einem im Ausland begangenen Völkermord dann ergeben, wenn weder das aktive noch das passive Personalitätsprinzip im Sinne von Artikel 5 oder 6 StGB anwendbar wäre und wenn wegen einem bewussten Absehen von einem Verfolgungsersuchen durch den Tatortstaat sich auch keine Zuständigkeit nach dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege im Sinne von Artikel 85 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen begründen liesse.

57

Kai Ambos, in Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen, Freiburg i.B. 1997, S. 194 ff und 203.

5349

Der neue Artikel 264 StGB sieht also in Absatz 2 für den örtlichen Anwendungsbereich das Universalitätsprinzip (vgl. Ziff. 13) vor und schränkt dieses in zweifacher Hinsicht ein: der Beschuldigte muss sich in der Schweiz befinden, und er kann aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht ausgeliefert werden. Die Schweiz schliesst damit für sich aus, in Abwesenheit des Täters ein Verfahren eröffnen und durchführen zu müssen. Soweit es sich beim Täter nicht um einen Schweizer Staatsangehörigen handelt, wird damit anerkannt, dass einer Auslieferung und damit einer Verurteilung auf Grund des Territorialitätsprinzips im Staat der Tatbegehung oder auf Grund des Personalitätsprinzips im Heimatstaat des Täters der Vorrang gegeben wird.

Die Anwendbarkeit des Universalitätsprinzips ist überdies auszudehnen auf die «Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit» im Sinne von Artikel 259 StGB, auf die «Strafbare Vorbereitungshandlungen» im Sinne von Artikel 260bis und auf die «Kriminelle Organisation» im Sinne von Artikel 260ter StGB.

525

Persönlicher Anwendungsbereich

Nach der im Entwurf vorgesehenen Bestimmung von Artikel 264 Absatz 3 StGB sind die Regeln über die relative Immunität auf den Tatbestand des Völkermordes nicht anwendbar. Für diese relative Immunität sehen Artikel 14 und 15 des Verantwortlichkeitsgesetzes (VG)58 sowie Artikel 1und 4 des Garantiegesetzes (GarG)59 vor, dass eine Strafverfolgung gegen Parlamentsmitglieder, Magistratspersonen und Bundesbeamte nur auf Grund einer Einwilligung oder Ermächtigung erfolgen darf.

Demgegenüber soll die absolute Immunität im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 VG für den Tatbestand des Völkermordes uneingeschränkt gelten. Nach der absoluten Immunität ist es unmöglich, die Mitglieder der Bundesversammlung und des Bundesrates für ihre Äusserungen in den Räten und Kommissionen überhaupt strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Bei dieser Art von Immunität handelt es sich unbestritten um eine staatspolitische Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Parlaments, weshalb sie denn auch im Bundesbeschluss vom 18. Dezember 1998 über eine neue Bundesverfassung im Verfassungstext selbst verankert wurde.

Die Strafbarkeit des Völkermordes wird materiellrechtlich nicht eingeschränkt. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass es in einer demokratischen Gesellschaft wie der schweizerischen in dem aussergewöhnlichen Fall, dass ein Mitglied der Behörden sich des Völkermordes schuldig machte, kein Problem sein dürfte, die entsprechende Strafverfolgungsermächtigung zu erhalten. Angesichts des klaren völkerrechtlichen Strafanspruchs, den die Genozidkonvention gerade gegen «regierende Personen und öffentliche Beamte» stellt, ist er jedoch der Ansicht, dass es sich nicht rechtfertigen lässt, die Verfolgung von Völkermord von einer Ermächtigung abhängig zu machen, die von nichtrichterlichen Behörden nach Massgabe der politischen Opportunität erteilt würde. Er schlägt deshalb vor, die gesetzlichen Vorschriften über die Verfolgungsermächtigung für den Tatbestand des Völkermordes auszusetzen.

Art. IV der Konvention zeigt deutlich, dass eine besondere Rechtsstellung einer betroffenen Person nach innerstaatlicher Rechtsordnung kein Hindernis darstellen darf 58 59

SR 170.32 SR 170.21

5350

für die Bestrafung im Fall von Verletzungen der Konventionsbestimmungen. Daraus folgt, dass eine parlamentarische Immunität, welche nach schweizerischem Recht Schwierigkeiten bei der Verfolgung von Verantwortlichen bereiten könnte (vgl. dazu Artikel 366 StGB in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 VwVG), aufgehoben werden müsste. Dasselbe gilt für die direkte und öffentliche Anstiftung zur Begehung von Völkermord.

Im Übrigen kennt die schweizerische Rechtsordnung keine Regelung, wonach die Mitglieder der Regierung oder von Behörden immer schon dann der Strafgewalt entzogen sind, wenn sie in Übereinstimmung mit ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Amtspflichten handeln. Ebenso wenig bildet das «Handeln auf Befehl» im bürgerlichen Strafrecht einen Strafbefreiungsgrund. Auch Artikel 27 des RömerStatuts kennt keine Immunitäten und Indemnitäten als Hinderungsgründe für eine Bestrafung.

526

Vorbereitungshandlungen, Verschwörung, Rücktritt

Nach Artikel III Buchstabe b VMK sind die Staaten verpflichtet, auch die «Verschwörung zur Begehung von Völkermord» mit Strafe zu bedrohen. Um dieser Anforderung nachzukommen, lässt sich für das schweizerische Strafrecht nicht einfach auf die in Artikel 24 und 25 StGB vorgesehenen Teilnahmeformen (Anstiftung, Gehilfenschaft) oder auf Artikel 260ter (kriminelle Organisation) abstellen. Insbesondere planmässige organisatorische Vorkehren lassen sich nur mit der Strafbestimmung von Artikel 260bis StGB (Strafbare Vorbereitungshandlungen) hinreichend erfassen.

Der Bundesrat schlägt deshalb vor, die Aufzählung von Tatbeständen in Artikel 260bis Absatz 1 StGB um die neu zu schaffende Strafbestimmung von Artikel 264 (Völkermord) zu ergänzen, dies in Anwendung des Grundsatzes, nach welchem die Staaten nicht nur die grundlegende Pflicht haben, den Völkermord zu bestrafen, sondern auch zu verhindern (Art. I der Konvention). In dieser Hinsicht sollen auch im Ausland durchgeführte Vorbereitungshandlungen für strafbar erklärt werden, egal ob die Ausführung der Taten in der Schweiz oder im Ausland geplant war (Art. 260bis, Absatz 3).

Die Frage, weshalb nach dem Entwurf die Verschwörung zu einem Völkermord nicht ausdrücklich als selbstständige Tat mit Strafe bedroht wird, kann folgendermassen beantwortet werden: Beim Entwurf des Textes für Artikel 264 StGB ist man zutreffenderweise davon ausgegangen, dass die Verfolgung und Bestrafung von Völkermord auf Grund der Tatbestände der «strafbaren Vorbereitungshandlung» sowie der «kriminellen Organisation» im Ergebnis der Poenalisierung von Verschwörungshandlungen zu einem Völkermord gleichkommt.

Die Frage ist aufgeworfen worden, weshalb der Täter nach Artikel 260bis Absatz 2 StGB bei einem Rücktritt von einer Vorbereitungshandlung straflos bleibt. Kriminalpolitisch gesehen ist der Rechtsgrund für die Straflosigkeit des Rücktritts von einer Vorbereitungshandlung im Umstand zu sehen, wonach aus der Sicht des Gesetzgebers demjenigen Täter eine «goldene Brücke» gebaut werden soll, der in diesem Stadium von seinem Vorhaben noch Abstand nimmt und damit die strafwürdige kriminelle Energie nicht voll entfaltet. Dass für einen Rücktritt von einer Vorbereitungshandlung eine derartige Straflosigkeit mit den Anforderungen des Völkerrechts vereinbar ist, ergibt sich unter anderem aus der Bestimmung von Artikel 25 Ziffer 3 Buchstabe f in fine des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes. Nach dieser 5351

Vorschrift wird nämlich die Straflosigkeit auch des Rücktritts von einem Versuch anerkannt, was weiter geht als die Anerkennung des Rücktritts von einer Vorbereitungshandlung.

53

Regelung der sachlichen Zuständigkeit für die Untersuchung und Bestrafung eines Völkermordes

Noch in dem für das Vernehmlassungsverfahren massgeblichen Vorentwurf war für die Untersuchung und Beurteilung des Völkermordes eine ausschliessliche Zuständigkeit der Bundesbehörden vorgesehen. Aus damaliger Sicht ist man für dieses Verbrechen davon ausgegangen, dass es sich bei einem Völkermord in aller Regel um eine Auslandtat handelt und dass sich schon aus diesem Grund für die Untersuchung und die Beurteilung in der Schweiz die Anwendung eines einheitlichen Verfahrensrechts als unumgänglich erweist. Die alleinige Zuständigkeit des Bundesgerichts für die Beurteilung von Völkermord ist jedoch in der Vernehmlassung vom Bundesgericht abgelehnt worden. Das Gericht hat die Ablehnung in erster Linie mit dem Hinweis auf das Dauerproblem der Überlastung begründet. Nach Auffassung des Bundesgerichts lassen sich Begehungsformen eines Völkermordes vorstellen, für deren Untersuchung und Beurteilung durchaus die Zuständigkeit der kantonalen Gerichtsbarkeit vorgesehen werden kann.

Grundsätzlich ist der Völkermord der Bundesgerichtsbarkeit zu unterstellen, von einer alleinigen Zuständigkeit des Bundesgerichts soll aber abgesehen werden. Weil bei einem Völkermord beinahe immer politische Zusammenhänge bestehen und komplizierte Beweiserhebungen notwendig sind, soll in Abänderung der Regeln über die Delegation von Strafsachen an die Kantone die Voruntersuchung in jedem Fall durch die Bundesbehörden durchgeführt werden. Nach Abschluss der Voruntersuchung hat aber der Bundesrat die Möglichkeit, die Strafsache zur Beurteilung an die Gerichtsbarkeit eines Kantons zu übertragen, wobei diesfalls die Anklage vor dem kantonalen Gericht vom Bundesanwalt bzw. der Bundesanwältin vertreten wird.

Im Weiteren schlägt der Bundesrat vor, die Artikel 344 StGB und Artikel 221 MStG dahingehend zu ändern, dass die ausschliessliche Zuständigkeit der zivilen Bundesgerichtsbarkeit zum Vornherein auch für Fälle festgelegt wird, in denen mehrere gegen einen Täter erhobene Beschuldigungen einerseits auf Völkermord und anderseits auf Tatbestände im Zuständigkeitsbereich der militärischen oder der kantonalen zivilen Strafverfolgungsbehörden hinauslaufen. Dass damit dem Bundesgericht auch Tatbestände zur Verfolgung und Beurteilung überwiesen werden, die im Allgemeinen nicht in seine Zuständigkeit fallen, ist im Interesse der Einheitlichkeit des Verfahrens in Kauf zu nehmen.

6

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Der Beitritt zur Genozidkonvention wird weder für den Bund noch die Kantone finanzielle oder personelle Auswirkungen haben.

Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass ein Strafverfahren zur Verfolgung von Völkermord wegen des aussergewöhnlichen Charakters der Tat und der Begleitumstände in der Regel sehr aufwendige Untersuchungen bedingen würde und deshalb mit 5352

erheblichen Kosten und zusätzlichem personellem Aufwand bei der Bundesanwaltschaft und beim Bundesamt für Polizeiwesen verbunden sein dürfte.

7

Legislaturplanung

Der Beitritt zur Genozidkonvention ist im Bericht über die Legislaturplanung 1995­1999 vorgesehen60.

8

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses über den Beitritt zur Genozidkonvention beruht auf Artikel 8 BV, der den Bund ermächtigt, Staatsverträge mit dem Ausland abzuschliessen. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung ergibt sich aus Artikel 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung.

Laut Artikel 89 Absatz 3 der Bundesverfassung werden völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Bst. a), wenn sie den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Bst. b) oder wenn sie eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen (Bst. c). Das vorliegende Übereinkommen ist kündbar (Art. XIV VMK), und der vorgesehene Beitritt ist kein Beitritt zu einer internationalen Organisation.

Es stellt sich einzig die Frage, ob der Beitritt eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführe. Nach konstanter Praxis des Bundesrates unterliegen dem fakultativen Referendum nur diejenigen Verträge, die Einheitsrecht enthalten, das im Wesentlichen direkt anwendbar ist und ein bestimmtes, genau umschriebenes Rechtsgebiet genügend umfassend regeln, d.h. jenen Mindestumfang aufweist, der auch nach landesrechtlichen Massstäben die Schaffung eines separaten Gesetzes als sinnvoll erschienen liesse (BBl 1988 I 912, BBl 1990 III 948, BBl 1992 III 324). Das Parlament hat die Praxis des Bundesrates präzisiert und entschieden, dass in Einzelfällen ­ wegen der Bedeutung und Art der Bestimmungen oder weil internationale Kontrollorgane geschaffen werden ­ auch dann eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vorliegen kann, wenn die betreffenden internationalen Normen nicht zahlreich sind (BBl 1990 III 948 mit Hinweisen).

Die entscheidenden Bestimmungen des vorliegenden Übereinkommens sind nicht direkt anwendbar, sondern richten sich an den nationalen Gesetzgeber (vgl.

Ziff. 41). Einige Artikel könnten unmittelbar anwendbar sein, betreffen aber formelle Fragen und begründen für die Schweiz keine neuen Verpflichtungen.

Das vorliegende Übereinkommen unterliegt damit nicht dem Staatsvertragsreferendum gemäss Artikel 89 Absatz 3 der Bundesverfassung.

10447

60

BBl 1996 II 357

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