Geheime Abkommen der Schweiz mit ausländischen Staaten oder mit in- oder ausländischen Organisationen seit 1933 Bericht der Delegation der Geschäftsprüfungskommissionen vom 26. April 1999

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Aufgaben und Rechte der Delegation

Die Delegation der Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte hat den Auftrag, «die Tätigkeit im Bereich des Staatsschutzes und die Nachrichtendienste regelmässig näher zu prüfen» (Art. 47quinquies Abs. 2 des Geschäftsverkehrsgesetzes, GVG).

Wenn die Rechte der Geschäftsprüfungskommissionen zur Wahrnehmung der Oberaufsicht in einem anderen Bereich nicht genügen, kann die Delegation zudem beauftragt werden, konkrete Fragen zu untersuchen. Der Auftrag kommt zustande, wenn zwei Drittel der Mitglieder beider Kommissionen dies beschliessen (Art. 47quinquies Abs. 3 GVG).

Die Delegation hat das Recht, ungeachtet des Amtsgeheimnisses oder des militärischen Geheimnisses, von Behörden des Bundes, der Kantone und von Privatpersonen die Herausgabe von Akten zu verlangen sowie Beamte des Bundes und Privatpersonen als Auskunftspersonen oder als Zeugen einzuvernehmen. Die Delegation kann ausserdem Beamte der Kantone als Auskunftspersonen befragen (Art. 47quinquies Abs. 4 GVG). Vor der Einleitung solcher Abklärungen hört die Delegation den Bundesrat an.

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Mandat der Geschäftsprüfungskommissionen an die Delegation

Die Geschäftsprüfungskommissionen beauftragten die Delegation am 8. November (GPK des Nationalrates) bzw. am 15. November 1996 (GPK des Ständerates), zu prüfen: ­

«welche Departemente bzw. Ämter für die Umsetzung möglicher geheimer Abkommen der Schweiz mit ausländischen Staaten oder in- oder ausländischen Organisationen seit 1933 zuständig sind;

­

ob die Geheimhaltungspflicht im Zusammenhang mit diesen Abkommen Gewähr bietet, dass die schweizerischen Interessen langfristig sichergestellt werden.»

Anlass zu diesem Auftrag waren widersprüchliche Erklärungen des EDA über das Entschädigungsabkommen zwischen der Schweiz und Polen von 1949 im Zusammenhang mit der Diskussion um die nachrichtenlosen Vermögen.

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Einzelne Aussagen in den ersten Stellungnahmen des EDA zu diesem Entschädigungsabkommen beruhten auf einer unvollständigen Dokumentationsbasis, weshalb sie in der Folge Widerspruch und Kritik hervorriefen.

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Vorgehen der Delegation

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Abklärungen im Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)

Mit Schreiben vom 31. Januar 1997 bat die Delegation das EDA, ihr die Liste der seit 1933 von der Schweiz abgeschlossenen geheimen Abkommen mit ausländischen Staaten oder mit in- oder ausländischen Organisationen zuzustellen.

Sie ersuchte das Departement zudem, folgende Fragen zu beantworten: ­

wer stellt den Antrag, ein Abkommen sei als «geheim» zu klassifizieren;

­

welche Kriterien sind entscheidend für den Antrag, ein Abkommen als «geheim» zu klassifizieren;

­

welche Behörde entscheidet über den Antrag, ein Abkommen sei als «geheim» zu klassifizieren.

Am 18. April 1997 stellte der Vorsteher des EDA der Delegation eine Liste der klassifizierten Abkommen zu, welche die Schweiz seit 1933 mit ausländischen Staaten oder mit in- oder ausländischen Organisationen abgeschlossen hat.

Das EDA machte die Delegation auf die Lückenhaftigkeit dieser Liste aufmerksam: Die Direktion für Völkerrecht registriere die Abkommen mit dem Ausland erst seit Beginn der 60er-Jahre systematisch. Die Direktion erhalte im Übrigen über Inhalt und Zustandekommen von internationalen Abkommen nicht alle notwendigen Informationen, um eine vollständige und aktuelle Übersicht der von der Schweiz eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen gewährleisten zu können.

Die Liste des EDA («Accords bilatéraux confidentiels 1933­1996»; «Accords bilatéraux confidentiels périmés 1933­1996»; «Accords bilatéraux confidentiels avec les organisations internationales») enthält nur Abkommen, die als vertraulich (und nicht geheim) klassifiziert sind.

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Abklärungen beim Bundesrat

Die Delegation gelangte in der Folge an den Bundesrat mit der Bitte, eine vollständige Liste der seit 1933 abgeschlossenen geheimen Abkommen der Schweiz mit ausländischen Staaten oder mit in- oder ausländischen Organisationen herauszugeben.

Der Bundesrat ergänzte am 13. August 1997 die Unterlagen und Aussagen des EDA vom 18. April 1997 und hielt fest, dass ­

im EVED, EFD, EDI, EJPD und in der Bundeskanzlei keine weiteren klassifizierten (geheimen oder vertraulichen) Abkommen bestehen. Das EJPD bzw. die Bundesanwaltschaft hätten jedoch eine Überprüfung der Verträge vor dem 16. Mai 1990 nicht vornehmen können, «da sie die Akten bis zu diesem Datum dem Sonderbeauftragten für Staatsschutz abgeliefert hatten.

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Dieser war beauftragt, die noch relevanten Akten dem Bundesarchiv abzuliefern, wo sie auch für das EJPD für die nächsten 50 Jahre nicht zugänglich sind»; ­

bezüglich EVD das Bundesamt für Aussenwirtschaft sowie das Bundesamt für Landwirtschaft Ergänzungen der ursprünglichen Liste gemeldet haben, diese aber nicht klassifizierte Abkommen betreffen;

­

bezüglich EMD weitere Informationen, die unter das militärische Geheimnis fallen, im direkten Gespräch an die Delegation abgegeben werden könnten.

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Beratungen und Aussprachen der Delegation

Die Delegation tagte am 20. Mai 1997, 18. August, 27. August, 22. September, 15. Oktober, 10. November, 16. Dezember 1997, 16. Februar, 30. März 1998, 10. November 1998 und am 26. April 1999. Sie verabschiedete am 10. November 1998 einen Berichtsentwurf, den sie gemäss Artikel 47quinquies Absatz 7 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG; SR 172.14) dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreitete. Nach Prüfung seiner Stellungnahme vom 8. März 1999 unterbreitete die Delegation ihren Bericht den Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte. Diese nahmen vom Bericht Kenntnis und stimmten am 4. bzw. 21. Mai 1999 seiner Veröffentlichung zu.

Die Delegation führte Aussprachen mit folgenden Personen (in chronologischer Reihenfolge): ­

Botschafter Matthias Krafft, Leiter der Direktion für Völkerrecht (20. Mai 1997)

­

Bundesrat Flavio Cotti, Vorsteher des EDA, und seinen Mitarbeitern (18. August 1997);

­

Bundesrat Adolf Ogi, Vorsteher EMD, und seinen Mitarbeitern (22. September 1997);

­

Dr. Jürg Stüssi, Leiter der Eidgenössischen Militärbibliothek (30. März 1998);

­

Dr. Peter Klauser, Stellvertreter des Departementsvorstehers (I) der Schweizerischen Nationalbank (30. März 1998)

Mit Bundesrat Flavio Cotti und Botschafter Matthias Krafft erörterte die Delegation die besondere Situation des EDA, das für die Behandlung aller völkerrechtlichen Probleme verantwortlich und deshalb auf die Zulieferung aller Informationen angewiesen ist.

Die Aussprache mit dem Vorsteher des VBS diente dazu, die berechtigten Anliegen der Landesverteidigung, gewisse Informationen als geheim zu klassifizieren, zu besprechen und diese den ebenfalls legitimen Interessen der Direktion für Völkerrecht auf eine abschliessende und umfassende Information über die von der Schweiz eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüberzustellen.

Mit dem Leiter der Militärbibliothek, Dr. Jürg Stüssi-Lauterburg, Verfasser des Berichtes «Historischer Abriss zur Frage einer Schweizer Nuklearbewaffnung» (Dezember 1995), besprach die Delegation die Frage, ob im Bereich der Nuklearbewaffnung geheime Abkommen abgeschlossen worden seien. Herr Stüssi, der die8836

sen Bericht im Auftrag des damaligen Vorstehers des EMD verfasst hatte, konnte seinerzeit Einblick in alle Dokumente zu dieser Thematik nehmen.

Schliesslich orientierte Dr. Peter Klauser die Delegation über den Abschluss von Abkommen mit ausländischen Partnern ­ zumeist Notenbanken oder internationalen Organisationen. Er verwies die Delegation auf den Geschäftsbericht, der detaillierte Informationen über die technische Zusammenarbeit der SNB mit anderen Zentralbanken sowie alle Abkommen mit ausländischen Zentralbanken und internationalen Währungsinstitutionen enthalte.

Herr Klauser orientierte die Delegation ebenfalls über geheime Abkommen, die die SNB in den Fünfzigerjahren mit ausländischen Organisationen abgeschlossen hat.

Der Bundesrat sei über diese Abkommen in Kenntnis gesetzt worden; ein Fall erforderte sogar die Abgabe einer formellen Erklärung des Vorstehers des EDA sowie einen Beglaubigungsakt durch den Schweizer Botschafter im Partnerland. Eine Lagebeurteilung sei in Einzelfällen mit dem Bundesrat vorgenommen worden, in einem Fall habe die SNB ihre Lagebeurteilung mit dem Antrag auf Verlängerung der Akkreditierungen dem Bundesrat übermittelt.

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Feststellungen und Erwägungen der Delegation

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Vorbemerkungen

Die Delegation kann nicht ausschliessen, dass weitere geheime Abkommen abgeschlossen wurden, von denen sie keine Kenntnis erhalten hat. Sie äussert sich nicht zum Inhalt der in der Liste des EDA vom 18. April 1997 und in den Ergänzungen des Bundesrates vom 13. August 1997 erwähnten Abkommen. Sie erachtet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Abkommen in diesem eng begrenzten Zusammenhang nicht für opportun.

Bei gewissen Informationen betr. geheime Abkommen ist die Delegation an das militärische Geheimnis gebunden. Sollte es sich als notwendig erweisen, wird sie daher ihre Feststellungen und Empfehlungen direkt an den Bundesrat richten (Art. 47quinquies Abs. 8 GVG).

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Begriffsklärung

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Klassifizieren

Nach der Verordnung über die Klassifizierung und Behandlung von Informationen im zivilen Verwaltungsbereich (SR 172.015) und der Verordnung über den Schutz militärischer Informationen (SR 510.411) bedeutet Klassifizieren, eine Information zu beurteilen und formell zu kennzeichnen.

Berechtigt zur Klassifizierung sind im zivilen Bereich die Departementsvorsteher, der Bundeskanzler, die Generalsekretäre und Amtsdirektoren sowie deren Stellvertreter; im militärischen Bereich legt der Generalstabschef die allgemeinen Klassifizierungskriterien fest.

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Geheime und vertrauliche Abkommen

Das EDA hält in seinem Schreiben vom 18. April 1997 an die Delegation fest, dass der Begriff «geheimes Abkommen» weder im internationalen noch im schweizerischen Recht klar umschrieben sei. Entscheidend für die Klassifizierung der abgeschlossenen Abkommen sei im internationalen Bereich daher einzig der Wille der Kontrahenten.

Hinweise für eine mögliche Definition dieses Begriffes im internationalen Bereich sieht das EDA in den oben erwähnten Verordnungen, wonach sowohl im zivilen wie auch im militärischen Bereich die Klassifizierung von Informationen ausschliesslich in die Kategorien geheim und vertraulich erfolgt: ­

Als geheim gelten vorwiegend Informationen, deren Kenntnis durch Unbefugte die Beziehungen der Schweiz zum Ausland schwer beeinträchtigen könnte oder wichtige Massnahmen zum Schutz der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes, wie insbesondere solche zur Sicherstellung der Regierungstätigkeit in ausserordentlichen Lagen und solche der wirtschaftlichen Landesversorgung, stark gefährden würde (Art. 6 der Verordnung über die Klassifizierung und Behandlung von Informationen im zivilen Verwaltungsbereich), sowie Informationen, deren Aufdeckung die Auftragserfüllung der Armee oder wesentlicher Teile davon nachhaltig gefährden kann (Art. 4 der Verordnung über den Schutz militärischer Informationen).

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Vertrauliche Informationen sind von weniger grosser Tragweite und in der Regel einem grösseren Personenkreis zugänglich. Deren Aufdeckung kann die Regierungstätigkeit schwer beeinträchtigen, die Wirksamkeit wichtiger staatlicher Massnahmen vereiteln, bedeutende Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisse verletzen, eine Strafverfolgung vereiteln oder die Sicherheit von bedeutenden Infrastrukturanlagen schwer beeinträchtigen (Art. 7 der Verordnung über die Klassifizierung und Behandlung von Informationen im zivilen Verwaltungsbereich) sowie die Auftragserfüllung von wesentlichen Teilen der Armee gefährden (Art. 5 der Verordnung über den Schutz militärischer Informationen).

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Kompetenzen

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Abschluss von internationalen Abkommen

Völkerrechtliche Verpflichtungen werden von der Bundesversammlung genehmigt.

Das Genehmigungsverfahren muss nicht durchgeführt werden bei Verträgen, zu deren Abschluss der Bundesrat auf Grund von Verfassung, Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag zuständig ist. Ferner kann der Bundesrat Verträge von geringer Tragweite (so genannte Bagatellverträge) in eigener Kompetenz abschliessen (vgl. dazu auch Art. 166 sowie Art. 184 der neuen Bundesverfassung).

In der Praxis werden etwas mehr als ein Drittel aller völkerrechtlichen Verträge der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreitet; die Mehrheit wird im so genannten vereinfachten Verfahren selbstständig durch den Bundesrat geschlossen (vgl. Botschaft zum VE vom 20. November 1996, S. 393). Der Bundesrat kann ausserdem die provisorische Anwendung eines Vertrages anordnen, wenn die Wahrung wesentlicher schweizerischer Interessen oder eine besondere Dringlichkeit es 8838

erfordert und es demzufolge unmöglich ist, das ordentliche parlamentarische Genehmigungsverfahren einzuhalten (Verwaltungspraxis der Bundesbehörden, 51 [1987]; Nr. 58, S. 381). Da die provisorische Anwendung nach Artikel 25 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (SR 0.111) jederzeit formlos beendet werden kann, ist, bevor das ordentliche Genehmigungsverfahren durchgeführt werden kann, damit keine endgültige Bindung der Schweiz gegeben.

Die Subdelegation der Vertragsabschlusskompetenz des Bundesrates an Departemente oder Bundesämter ist zulässig; in diesen Fällen finden die vom Bundesgericht für das Landesrecht entwickelten Schranken analoge Anwendung.

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Aufgaben der Direktion für Völkerrecht

Die Direktion für Völkerrecht des EDA ist verantwortlich für die Behandlung aller völkerrechtlichen Probleme, einschliesslich neutralitätsrechtlicher Fragen und Fragen der internationalen Gerichtsbarkeit sowie für völkerrechtliche Aspekte der Staatsverträge. Diese Bundesstelle hat ebenfalls darüber zu wachen, dass die von der Schweiz eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehalten werden. Sie informiert schliesslich Bundesrat, Kantone, Gerichte und Einzelne über den Stand der Ratifikation und über die Vorbehalte der abgeschlossenen Abkommen.

Als verantwortliche Stelle ist die Direktion für Völkerrecht vor der Behandlung von staats- und völkerrechtlich relevanten Geschäften im Bundesrat zu konsultieren: Das federführende Departement unterbreitet ihr im Mitberichtsverfahren (Konsultation der übrigen Departemente vor Behandlung eines Geschäftes im Bundesrat) das geplante Abkommen und dessen völkerrechtliche Verpflichtungen. Die Direktion erhält damit die entscheidenden Informationen und kann die erwünschte fachliche Unterstützung gewähren. Eine Ausnahme bilden einzig jene Abkommen, die nicht veröffentlicht werden. Artikel 5 des Publikationsgesetzes sieht eine Ausnahme von der Publikationspflicht vor für rechtssetzende Erlasse, die im Interesse der Gesamtverteidigung geheimgehalten werden müssen.

Liegt hingegen die Kompetenz für den Abschluss internationaler Abkommen bei einem Departement oder einem Amt, findet nicht notwendigerweise eine Konsultation anderer Departemente bzw. Ämter statt. In diesen Fällen wird die Direktion für Völkerrecht nicht systematisch über Inhalt und Abschluss des internationalen Abkommens informiert.

In der Praxis führt diese Situation dazu, dass die Direktion für Völkerrecht ­ das für die Behandlung aller völkerrechtlichen Probleme zuständige Gremium ­ nicht in der Lage ist, eine vollständige Übersicht der von der Schweiz eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen innert nützlicher Frist zu erstellen. Der Leiter der Direktion für Völkerrecht hat der Delegation eindringlich dargelegt, dass seine Bemühungen, diesen Zustand zu verbessern, bisher wenig bewirken konnten.

Die Delegation erachtet diesen Informationsrückstand der Direktion für Völkerrecht als gravierenden Mangel. Welche Konsequenzen die lückenhafte Information haben kann, hat sich im Zusammenhang mit dem «Polenabkommen» bei der Diskussion um die nachrichtenlosen Vermögen in aller Deutlichkeit gezeigt.

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Schlussfolgerungen der Delegation

51 Für die Delegation lautet die zu beantwortende Frage: Verfügt der Bundesrat über die notwendigen Informationen, um in Kenntnis aller völkerrechtlichen Verpflichtungen jederzeit die Interessen der Schweiz zu wahren und nach aussen zu vertreten?

Die notwendigen Informationen können nach Meinung der Delegation nur dann innert nützlicher Frist verfügbar sein, wenn alle Abkommen, welche die Schweiz mit ausländischen Staaten oder Organisationen abgeschlossen hat, zentral gesammelt und ausgewertet werden.

Die Delegation kommt zum Schluss, dass eine zentrale Stelle der Bundesverwaltung diese Aufgabe wahrnehmen und dafür mit den notwendigen auch ämter- und departementsübergreifenden Kompetenzen ausgestattet werden sollte. Diese habe auch geheime völkerrechtliche Verpflichtungen zu erfassen. Dem Umgang mit geheimen Daten ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

52 Die Delegation stellt fest, dass heute weder die Direktion für Völkerrecht im EDA noch eine andere Stabsstelle des Bundesrates in der Lage ist, eine abschliessende Liste der seit 1933 mit ausländischen Staaten oder mit in- oder ausländischen Organisationen abgeschlossenen internationalen Verträge zu erstellen.

Obwohl interne Weisungen bestehen, wann die Direktion für Völkerrecht konsultiert werden muss, wird diese nicht konsequent über Inhalt und Abschluss völkerrechtlicher Verträge der Schweiz mit ausländischen Partnern in Kenntnis gesetzt. Die Delegation kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Departemente selber entscheiden, wann ein Abkommen vorliegt, das völkerrechtliche Verpflichtungen entfaltet und ob die Direktion zur Stellungnahme einzuladen ist oder nicht.

Diese Situation ist nach Auffassung der Delegation für die Rechtsunsicherheit verantwortlich, die zu den Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Entschädigungsabkommen mit Polen geführt haben.

Nach Aussagen der Direktion für Völkerrecht sind im Übrigen ­ im Gegensatz zu anderen Staaten, die im Aussenministerium eine für alle völkerrechtlichen Probleme zuständige Stelle kennen ­ in der Schweiz gewisse Kompetenzen im internationalen Bereich dezentralisiert. So ist zum Beispiel das EJPD für Prozesse im Zusammenhang mit der Anwendung der Menschenrechtskonvention zuständig.

53 Die Delegation stellt fest, dass im Reglement für das Bundesarchiv vom 15. Juli 1966 vorgesehen ist, dass dieses unter anderem «die am Sitze des Bundes zu hinterlegenden Urkunden und Ratifikationen von zwischenstaatlichen Verträgen» verwahrt. Um diese Vorgabe rasch und effizient zu realisieren, forderte das Bundesarchiv mit Schreiben vom 28. Juli 1980 die Departemente auf, die Originale aller Ab-

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kommen der Bundesverwaltung mit dem Ausland der Direktion für Völkerrecht zuzustellen.

In der Praxis wird diese Richtlinie des Bundesarchivs, nach den von der Delegation erhaltenen Informationen, in der Bundesverwaltung nur lückenhaft umgesetzt.

Das neue Bundesgesetz über die Archivierung schafft die gesetzlichen Grundlagen für den Vollzug (Art. 24). In der entsprechenden Verordnung soll die Abgabe aller Unterlagen an das Bundesarchiv geregelt werden. Es besteht die Absicht, auch die Abgabe von klassifizierten Unterlagen vorzusehen.

54 Die Delegation stellt in diesem Zusammenhang die Frage, wie Form und Kompetenzen für den Abschluss völkerrechtlicher Verpflichtungen mit dem Ausland durch ausgelagerte und rechtlich verselbstständigte Betriebe der Bundesverwaltung geregelt werden.

55 Die Delegation nimmt zur Kenntnis, dass die Subdelegation der Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Abkommen zulässig ist und den für das Landesrecht angewendeten Schranken unterliegt.

Sie wirft die Frage auf, ob im Bereich des internationalen Rechts, das weitgehend dem Bundesrat überlassen ist, die erwähnten Schranken, die im Landesrecht zu einer relativ grosszügigen Delegationspraxis geführt haben, nicht nach strengeren Kriterien gehandhabt werden sollten.

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Empfehlungen der Delegation

Aus diesen Gründen unterbreitet die Delegation dem Bundesrat folgende Empfehlungen:

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Gesamtüberblick über die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz

Eine Bundesstelle führt zentral die aktuelle Liste der von der Schweiz mit ausländischen Staaten oder Organisationen abgeschlossenen Abkommen. Sie ist jederzeit in der Lage, über den Stand der Ratifikation und über die Vorbehalte der Schweiz zu informieren.

Der Bundesrat sorgt dafür, dass diese Bundesstelle die notwendigen Informationen erhält, um die Liste der von der Schweiz mit ausländischen Staaten oder Organisationen abgeschlossenen Abkommen zu erstellen und à jour zu halten. Er regelt ins-

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besondere die an diese Stelle abzugebende Information bei vertraulichen und geheimen Abkommen.

Diese Aufgabe wird von der Direktion für Völkerrecht wahrgenommen.

Diese unterbreitet die aktualisierte Liste regelmässig der Delegation.

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Klassifizierungskriterien

Die Klassifizierungskriterien für «geheime» und «vertrauliche» Informationen sind zu überprüfen und den aktuellen Bedürfnissen anzupassen.

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Klassifizierung von Informationen im internationalen Bereich

Die Klassifizierungsbegriffe und -kategorien sind zu definieren.

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Archivierung der von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen

Die Verordnung über das Archivierungsgesetz berücksichtigt die Bedürfnisse der Bundesstelle und stellt die Mittel zur Verfügung, damit sich diese die notwendigen Informationen beschaffen kann.

Die Bundesstelle koordiniert ihre Arbeit mit der Tätigkeit der Bundeskanzlei (Publikation) und des Bundesarchivs (Aufbewahrung).

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Weiteres Vorgehen

Die Delegation erwartet vom Bundesrat bis Ende Juni 2000 einen Bericht über die Ergebnisse der getroffenen Massnahmen.

26. April 1999

Im Namen der Delegation der Geschäftsprüfungskommissionen Der Präsident: Bernhard Seiler, Ständerat

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Die Sekretärin der Geschäftspüfungskommissionen: Mariangela Wallimann-Bornatico