zu 15.057 Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» Direkter Gegenentwurf des Nationalrates vom 15. Dezember 2016 Stellungnahme des Bundesrates vom 5. April 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir danken Ihnen für die Einladung, zum Gegenentwurf des Nationalrates zur Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» Stellung zu nehmen und die Handlungsoptionen in Bezug auf künftige steuerpolitische Reformen je nach Abstimmungsresultat darzustellen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. April 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Erklärtes Ziel der am 25. September 20141 eingereichten Volksinitiative ist die Stärkung der finanziellen Privatsphäre, indem das steuerliche Bankgeheimnis im Inland in der Bundesverfassung2 verankert wird. Damit sollen die Einführung des automatischen Informationsaustausches (AIA) im Inland, also der Zugang zu Bankdaten im Veranlagungsverfahren, wie auch die vom Bundesrat initiierte Revision des Steuerstrafrechts verhindert werden.

Mit der Botschaft vom 26. August 20153 beantragte der Bundesrat dem Parlament, die Volksinitiative ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag abzulehnen. Am 12. Oktober 2015 folgte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) der Empfehlung des Bundesrates. Am 19. Januar 2016 beschloss sie Rückkommen und schickte am 19. Mai 2016 einen direkten Gegenentwurf in die Vernehmlassung.

Der Gegenentwurf verfolgt grundsätzlich dieselben Ziele wie die Volksinitiative, geht aber materiell nicht über die geltende Rechtslage hinaus. Die WAK-N empfahl ihrem Rat «Nein zur Volksinitiative und Ja zum Gegenentwurf». Der Nationalrat empfiehlt aber mit 80 zu 60 Stimmen bei 55 Enthaltungen die Volksinitiative und den Gegenentwurf zur Annahme und gibt in der Stichfrage dem Gegenentwurf den Vorzug. Am 10. Januar 2017 sistierte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) die Diskussion über den Bundesbeschluss und den Gegenentwurf und beantragte, es sei vorgängig beim Bundesrat eine Stellungnahme zum Gegenentwurf einzuholen.4

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Volksinitiative

Die Volksinitiative will die finanzielle Privatsphäre explizit als Teil des Grundrechts auf Schutz der Privatsphäre in der Bundesverfassung verankern. Auch will sie festlegen, unter welchen Voraussetzungen im Steuerbereich von diesem Schutz der finanziellen Privatsphäre abgewichen werden kann. Steuerbehörden sollen von Dritten Auskünfte im Zusammenhang mit den von den Kantonen eingezogenen direkten Steuern über Personen mit Wohnsitz in der Schweiz ausschliesslich im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Verdachts auf schwere Steuerwiderhandlungen erhalten, sofern ein Gericht bestätigt hat, dass der Verdacht begründet ist.

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BBl 2014 8641 SR 101 BBl 2015 7043 Sämtliche Unterlagen zur Volksinitiative (Botschaft), zum Gegenentwurf (Fahne, Erläuternder Bericht), zur Vernehmlassung (Ergebnisbericht) sowie zum Parlamentsverfahren sind auf der Website des Parlaments abrufbar: www.parlament.ch > Geschäfte suchen > Geschäftsnummer 15.057.

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Wie in seiner Botschaft vom 26. August 2015 erörtert, sieht der Bundesrat keine Gründe, die eine Unterstützung der Volksinitiative rechtfertigen würden. Die Volksinitiative bringt steuerehrlichen Bürgerinnen und Bürgern keinen zusätzlichen Schutz. Das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre, das die Volksinitiative zu stärken beabsichtigt, ist in der Bundesverfassung bereits gewährleistet und in der Gesetzgebung hinreichend konkretisiert, namentlich durch das Steuergeheimnis, das Bundesgesetz vom 19. Juni 19925 über den Datenschutz und das Berufsgeheimnis der Bankangestellten.

Der Bundesrat erkennt darüber hinaus insbesondere die folgenden negativen Auswirkungen der Volksinitiative:

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Der Wortlaut der Volksinitiative verbietet nicht bloss Banken, sondern allgemein «Dritten», Auskünfte über Personen mit Wohnsitz in der Schweiz im Zusammenhang mit den von den Kantonen veranlagten Steuern zu erteilen, sofern es nicht um ein Strafverfahren wegen Verdachts auf schwere Steuerwiderhandlungen geht. In der Folge könnten Steuerbehörden nur noch in seltenen Ausnahmefällen Informationen bei Drittpersonen einholen. Wenn steuerpflichtige Personen ihre Mitwirkungspflicht im Veranlagungsverfahren verletzen, wäre es der Behörde bei dieser Interpretation des Verfassungstexts beispielsweise nicht mehr möglich, Auskünfte beim Arbeitgeber (Lohnausweis) oder bei einer Versicherungsgesellschaft einzuholen. Die vollständige, richtige und somit rechtsgleiche Besteuerung wäre gefährdet.

Das würde sich negativ auf die Steuerehrlichkeit und die Steuereinnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden auswirken. Sollte der Begriff des «Dritten» darüber hinaus auch Behörden einschliessen, würde zusätzlich auch die Amtshilfe unter Behörden massiv eingeschränkt, was die genannten Auswirkungen verschärfen würde.

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Dieselben Einschränkungen der Untersuchungsmöglichkeiten ergäben sich in Hinterziehungsverfahren bei den direkten Steuern, die von den kantonalen Steuerbehörden durchgeführt werden. Dies würde die korrekte Steuererhebung zusätzlich gefährden.

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Da der Zugang zu Informationen Dritter entweder eine Falschbeurkundung oder eine vorsätzliche und fortgesetzte Hinterziehung grosser Steuerbeträge voraussetzt, wären andere Umstände nicht mehr von Bedeutung. Würde beispielsweise eine steuerpflichtige Person mittels eines Lügengebäudes, aber ohne Falschbeurkundung einmalig einen grossen Steuerbetrag hinterziehen, so hätte die Behörde ebenso wenig Zugang zu Informationen Dritter wie bei einer fortgesetzten Hinterziehung eines mittleren Betrags. Die Mittel zur Verfolgung von Steuerdelikten wären erheblich eingeschränkt.

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Allgemein würde mit Annahme der Volksinitiative ein neues Verfahrenselement eingeführt, indem ein Gericht das Vorliegen eines begründeten Verdachts auf eine schwere Steuerwiderhandlung bestätigen müsste. Die Umsetzung würde dem Gesetzgeber obliegen. Eine Verlängerung der Ver-

SR 235.1

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fahrensdauer und eine Erhöhung der Verfahrenskosten wären nicht auszuschliessen.

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Bei der Aufzählung der schwerwiegenden Steuerwiderhandlungen, die ausnahmsweise eine Auskunftspflicht rechtfertigen, fehlt die Veruntreuung von Quellensteuern. Damit stimmt die Volksinitiative nicht mit Artikel 190 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19906 über die direkte Bundessteuer überein. Zudem wird im Wortlaut der Volksinitiative «insbesondere» weggelassen, was zu einer abschliessenden Auflistung der Kriterien und somit zu einer Einengung der Anwendbarkeit führt.

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Die Bestimmungen der Volksinitiative über die Berechtigung zur Auskunft gegenüber Behörden gelten sinngemäss auch für die indirekten Steuern, wozu namentlich die Mehrwertsteuer gehört. Mangels Beweismitteln könnten beispielsweise der Leistungs- und der Abgabebetrug kaum mehr verfolgt werden, für die weder eine Urkundenfälschung noch die fortgesetzte Hinterziehung eines grossen Steuerbetrags vorausgesetzt werden.

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Die Folgen für die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung im Finanzsektor hängen von der Interpretation der Volksinitiative ab. Gelten die eingeschränkten Auskunftspflichten Dritter auch für das Geldwäschereigesetz vom 10. Oktober 19977, so hätte die Volksinitiative erhebliche Beeinträchtigungen in diesem Bereich zur Folge. Den Finanzintermediären wäre es dann untersagt, mit Bezug auf Personen mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz Meldungen bezüglich qualifizierter Steuerdelikte an die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) zu erstatten. Auch Meldungen über nicht steuerliche Delikte, die aber einen Bezug zu Steuern haben, könnten betroffen sein. Dies würde insbesondere die vom Parlament am 12. Dezember 20148 beschlossenen Anpassungen an die 2012 revidierten Empfehlungen der Groupe d'action financière (GAFI) in Frage stellen. Ferner könnte der Austausch von Informationen zwischen der schweizerischen und den ausländischen Meldestellen zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung beeinträchtigt werden. All dies würde sich negativ auf die Konformität der Schweiz mit den internationalen Standards auswirken.

Da die Volksinitiative ausschliesslich inländische Steuern betrifft und der Begriff «Dritte» gemäss der Interpretation des Bundesrates in seiner Botschaft ausschliesslich Dritte mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz umfasst, hätte die Volksinitiative gemäss damaliger Einschätzung des Bundesrates hingegen keine Auswirkungen auf die internationale Amtshilfe auf Ersuchen und auf den AIA im Steuerbereich zugunsten ausländischer Partnerstaaten.

Zwischenzeitlich hat sich allerdings gezeigt, dass diese Interpretation des Initiativtextes umstritten ist (vgl. die Ausführungen in Ziff. 3 zur Stellungnahme der Schweizerischen Bankiervereinigung im Rahmen der Vernehmlassung zum Gegenentwurf).

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SR 642.11 SR 955.0 AS 2015 1389

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Eine so detailliert steuerrechtliche Regelung auf Verfassungsstufe bindet dem Parlament die Hände (vgl. Ziff. 4).

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Auf internationaler Ebene könnte die Volksinitiative, die dem globalen Trend zu mehr Transparenz entgegenläuft, zu Nachteilen für die Schweiz führen und der Reputation unseres Finanzplatzes schaden.

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Gegenentwurf

Der Gegenentwurf will wie die Volksinitiative in erster Linie den Schutz der finanziellen Privatsphäre und das steuerliche Bankgeheimnis im Inland auf Verfassungsstufe verankern, geht aber materiell nicht über das geltende Steuerrecht hinaus. So verankert er die geltenden Gesetzesbestimmungen zu den Ausnahmen, unter denen Banken Kundendaten an die Steuerbehörden weitergeben dürfen. Ausserdem wird neu ausdrücklich festgehalten, dass ein AIA im Inland auch nicht über eine Revision der Verrechnungssteuer eingeführt werden kann.

Der Bundesrat stellt fest, dass die von ihm erkannten Mängel der Volksinitiative in folgenden Punkten behoben wurden: ­

Unklare Begriffe wurden teilweise ersetzt. Statt allgemein von «Dritten» wird nun von Banken gesprochen. Auskünfte beim Arbeitgeber usw. könnten von den Steuerbehörden somit weiterhin eingeholt werden.

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Kein Gericht muss bestätigen, dass ein begründeter Verdacht vorliegt. Besondere Untersuchungsmassnahmen könnten wie bisher vom Vorsteher bzw.

der Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) beschlossen werden.

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Als schwere Steuerstraftat gilt auch die Veruntreuung von Quellensteuern.

Durch die Einbindung des Wortes «insbesondere» im Text des Gegenentwurfs ist die Aufzählung zudem nicht abschliessend, was dem Gesetzgeber einen gewissen Spielraum belässt.

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Der Gegenentwurf beschränkt sich auf die direkten Steuern.

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Auch die von der Bankiervereinigung im Rahmen der Vernehmlassung zum direkten Gegenentwurf geäusserten Bedenken, wonach es zu Rechtsunsicherheiten betreffend den internationalen AIA kommen könnte, wurden behoben. Die Verfassungsbestimmung enthält nun explizit einen Vorbehalt in Bezug auf den internationalen AIA.

Hingegen hält der Bundesrat an folgenden Kritikpunkten fest: ­

Der Bundesrat erkennt keinen Handlungsbedarf. Die finanzielle Privatsphäre ist bereits im geltenden Recht ausreichend geschützt, im Steuerbereich namentlich durch das Steuergeheimnis.

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Auch der Gegenentwurf bringt keine Verbesserungen für steuerehrliche Personen.

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Der Zugang zu Bankdaten ausschliesslich bei schweren Steuerdelikten würde implizit andere Steuerdelikte bagatellisieren. Steuerunehrliche Per3363

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sonen könnten sich dadurch in ihrem Handeln bestärkt fühlen. Es wäre mit einem Rückgang von Selbstanzeigen und einem Anstieg der Steuerhinterziehung zu rechnen. Als Folge davon ergäben sich Mindereinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden.

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Indem das geltende Recht auf Verfassungsstufe angehoben wird, werden die heutigen Regelungen zementiert. Eine so detaillierte steuerrechtliche Regelung auf Verfassungsstufe bindet dem Parlament die Hände. Reformen wären nur noch innerhalb des verfassungsmässig geregelten Steuerrechts möglich (vgl. dazu Ziff. 4). Zudem wäre es nicht mehr möglich, umgehend auf internationale Entwicklungen zu reagieren, weshalb die Konformität der Schweiz mit den internationalen Standards gefährdet werden könnte.

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Die Verfassungsbestimmung enthält zwar einen expliziten Vorbehalt in Bezug auf die Bekämpfung der Geldwäscherei. Da dieser Vorbehalt aber bloss von gesetzlichen Meldepflichten spricht, bleibt unklar, ob er auch für das gesetzliche Melderecht nach Artikel 305ter Absatz 2 des Strafgesetzbuchs9 (StGB) gelten soll. Zudem bleibt im Vorbehalt der zentrale Bereich der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung unerwähnt.

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Steuerpolitische Handlungsmöglichkeiten

4.1

Betroffene Steuerreformen

Volksinitiative und Gegenentwurf würden den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken. Künftige Steuerrevisionen hätten die neuen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten. Davon betroffen wären namentlich zwei vom Bundesrat eingeleitete Steuerreformen, nämlich die Reform der Verrechnungssteuer 10 sowie die Revision des Steuerstrafrechts11. Beide Reformen wurden nach ihrer Vernehmlassung sistiert bis zum Ausgang der Abstimmung über die vorliegende Volksinitiative.

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Reform der Verrechnungssteuer zielt darauf ab, die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Kapitalmarkt Schweiz zu verbessern.

Gleichzeitig soll der Sicherungszweck der Verrechnungssteuer im Inland gestärkt werden. Diese Ziele sollen erreicht werden, indem die Verrechnungssteuer künftig differenzierter erhoben wird, d. h. dass die Steuerfolgen von der Person des Investors abhängen (teilweiser Wechsel zum sog. «Zahlstellenprinzip»). Um zu verhindern, dass das neue System für natürliche Personen mit Wohnsitz Schweiz einen Anreiz schafft, ihre Wertschriften zu einer ausländischen Bank zu verlagern, was negative Auswirkungen auf den Finanzplatz Schweiz hätte, schlug der Bundesrat vor, dass diese Personen das Recht erhalten, zwischen einem Abzug der Verrechnungssteuer und einer Meldung an die kantonale Steuerbehörde zu wählen.

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SR 311.0 www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Organisation: der Bundesrat; Themen: Steuern; vom 24.06.2015 www.efd.admin.ch > Themen > Steuern > Revision des Steuerstrafrechts

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In der Vernehmlassung wurde der Handlungsbedarf von einer grossen Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bejaht, der konkrete Reformvorschlag indes kontrovers aufgenommen. Namentlich die Schweizerische Bankiervereinigung und Economiesuisse lehnten die Vorlage des Bundesrates ab, weil das duale System mit einem Wahlrecht zu erhöhten Risiken und Kosten für die Schweizer Banken führen würde, die das Wahlrecht anzubieten hätten. Die genannten Verbände schlugen stattdessen vor, die Verrechnungssteuer auf Depoterträgen aus Obligationen und Anlagefonds aufzuheben und stattdessen eine obligatorische Meldung dieser Erträge an die Steuerbehörden einzuführen in der Form einer Kopie des Depotauszugs, den die Bank für ihre Kundinnen und Kunden erstellt.

In einem engen Zusammenhang mit dieser Reform der Verrechnungssteuer steht die vom Parlament im Jahr 2016 beschlossene Ausnahmeregelung für CoCos, WriteOff-Bonds und Bail-In-Bonds.12 Diese Massnahme schafft die Voraussetzungen dafür, dass systemrelevante Banken diese Finanzinstrumente im Inland emittieren können. Die Regelung wurde vom Parlament befristet bis zum Jahr 2021. Grund dafür ist, dass diese Ausnahmeregelung mit der umfassenden Reform der Verrechnungssteuer obsolet würde. Aufgrund der längeren Dauer der Beratung über die vorliegende Volksinitiative und der dadurch verursachten Verzögerung der Reform der Verrechnungssteuer erscheint es praktisch ausgeschlossen, dass die Reform rechtzeitig in Kraft treten kann, um die befristete Ausnahmeregelung abzulösen. Es ist daher davon auszugehen, dass ­ unabhängig vom Ausgang der Abstimmung über die Volksinitiative ­ eine Verlängerung der Ausnahmeregelung nötig sein wird. Soll am Ziel einer umfassenden Reform der Verrechnungssteuer festgehalten werden, so muss die Verlängerung erneut befristet werden.

Die vom Bundesrat initiierte Revision des Steuerstrafrechts enthielt verschiedene Elemente mit unterschiedlichen Zielsetzungen, wie beispielsweise die Neuformulierung der Straftatbestände bei den direkten Steuern und die damit verbundene Aufhebung der doppelten Bestrafung wegen Steuerbetrugs und Steuerhinterziehung.

Daneben schlug der Bundesrat auch vor, die Untersuchungsmöglichkeiten der kantonalen Steuerbehörden auszudehnen. Der Zugang zu Bankdaten sollte in jedem Steuerstrafverfahren offenstehen und nicht
nur bei Verdacht auf eine schwere Steuerwiderhandlung.

Nach der Volksabstimmung wird der Bundesrat die Sistierung der hängigen Reformprojekte Verrechnungssteuer und Steuerstrafrecht aufheben und über das weitere Vorgehen in diesen Dossiers entscheiden.

4.2

Ablehnung von Volksinitiative und Gegenentwurf (Status quo)

Werden sowohl die Volksinitiative als auch der Gegenentwurf abgelehnt, so bleibt es juristisch gesehen beim Status quo.

Bei der Reform der Verrechnungssteuer stehen daher unverändert die folgenden Handlungsoptionen zur Disposition: 12

www.parlament.ch > Geschäfte Suche > Geschäftsnummer: 15.060 > Zusammenfassung

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Umbau der Verrechnungssteuer durch Einführung des Zahlstellenprinzips mit oder ohne Option für natürliche Personen mit Wohnsitz in der Schweiz, anstelle des Steuerabzugs eine Meldung an die Steuerbehörden zu wählen;

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Aufhebung der Verrechnungssteuer auf Depoterträgen aus Obligationen und Anlagefonds, Einführung einer automatischen Meldung an die Steuerbehörden (z. B. mittels einer Kopie des Depotauszugs, wie von der Schweizerischen Bankiervereinigung und Economiesuisse vorgeschlagen);

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ersatzlose Aufhebung der Verrechnungssteuer auf Depoterträgen aus Obligationen und Anlagefonds.

In der Vernehmlassung wurde der Handlungsbedarf für eine Reform der Verrechnungssteuer von den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern anerkannt. Der Bundesrat hat daher unverändert die Absicht, dem Parlament eine Reform der Verrechnungssteuer zu unterbreiten. Welche der oben beschriebenen Handlungsoptionen der Bundesrat dem Parlament vorschlägt, wird er zu gegebener Zeit entscheiden, unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Entwicklungen und gestützt auf die Empfehlungen einer vom EFD bereits eingesetzten Expertengruppe mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Wirtschaft und Kantonen. Der Bundesrat will an den Zielsetzungen festhalten, den Kapitalmarkt Schweiz zu stärken und gleichzeitig die Einkommenssteuern des Bundes sowie die Einkommens- und Vermögenssteuern von Kantonen und Gemeinden zu sichern. Er steht daher einer ersatzlosen Aufhebung der Verrechnungssteuer auf Depoterträgen aus Obligationen und Anlagefonds unverändert skeptisch gegenüber. Auch bei einer Ablehnung von Volksinitiative und Gegenentwurf bleibt das steuerliche Bankgeheimnis im Inland bestehen, weshalb unverändert der Bedarf nach einer Steuersicherung im Inland besteht, um den fiskalischen Interessen und dem Postulat der Steuergerechtigkeit Rechnung zu tragen.

Hinsichtlich der Revision des Steuerstrafrechts bleibt der juristische Spielraum in diesem Szenario ebenfalls unverändert. In der Vernehmlassung wurde allerdings bereits der Handlungsbedarf kontrovers beurteilt. Der Bundesrat ist unverändert der Auffassung, dass Anpassungen am geltenden Recht angebracht sind. Er wird aber nach dem Volksentscheid zur vorliegenden Volksinitiative analysieren müssen, ob er die Revision des Steuerstrafrechts weiterführt und welche Anpassungen gegenüber der Vernehmlassungsvorlage vorzunehmen sind.

4.3

Annahme des Gegenentwurfs

Bei einer Annahme des Gegenentwurfs bestehen hinsichtlich der Reform der Verrechnungssteuer aus juristischer Sicht die folgenden zwei Optionen: ­

Umbau der Verrechnungssteuer durch Einführung des Zahlstellenprinzips mit oder ohne Option für natürliche Personen mit Wohnsitz in der Schweiz, anstelle des Steuerabzugs eine Meldung an die Steuerbehörden zu wählen;

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ersatzlose Aufhebung der Verrechnungssteuer auf Depoterträgen aus Obligationen und Anlagefonds.

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Hingegen würde die Bundesverfassung die von der Schweizerischen Bankiervereinigung und Economiesuisse postulierte Lösung einer automatischen Übermittlung des Depotauszugs oder anderweitige Formen einer obligatorischen Meldung an die Steuerbehörden ausschliessen.

Die ersatzlose Aufhebung der Verrechnungssteuer auf Depoterträgen aus Obligationen und Anlagefonds wäre in diesem Szenario noch schwieriger zu rechtfertigen als unter den geltenden Rahmenbedingungen. Die neue Verfassungsbestimmung hätte negative Auswirkungen auf die Steuermoral, weshalb aus Sicht des Fiskus und der Steuergerechtigkeit ein gegenüber heute eher noch erhöhter Bedarf nach einer Steuersicherung bestünde.

Bei dieser Ausgangslage müsste der Bundesrat entscheiden, ob er an seinem ursprünglichen Vorschlag (Wechsel zum Zahlstellenprinzip) grundsätzlich festhält und diesen ­ gegebenenfalls mit gewissen Anpassungen ­ dem Parlament unterbreitet.

Angesichts des Widerstands massgebender Kreise in der Vernehmlassung ist aus heutiger Sicht ungewiss, ob eine solche Lösung politisch mehrheitsfähig wäre.

Für die Revision des Steuerstrafrechts ergäbe sich in zweierlei Hinsicht eine neue Ausgangslage: ­

Der Gegenentwurf schreibt indirekt, d. h. in Bezug auf den Zugang der Steuerbehörden zu Bankdaten, geltende Straftatbestände der direkten Steuern in der Bundesverfassung fest. Der Spielraum für eine künftige Neugestaltung dieser Tatbestände wäre beschränkt.

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Hinsichtlich des Zugangs zu Bankdaten bei den direkten Steuern wäre der Vorschlag gemäss der Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates juristisch nicht mehr zulässig. Der Zugriff auf Bankdaten müsste weiterhin auf Fälle von schwerer Steuerwiderhandlung beschränkt bleiben.

Wie in Ziffer 4.2 festgehalten, ist es aufgrund des Vernehmlassungsergebnisses ohnehin ungewiss, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt der Bundesrat die Revision des Steuerstrafrechts fortführen wird. Bei einer Annahme des Gegenentwurfs würden sich steuerunehrliche Personen allerdings in ihrem Verhalten bestärkt fühlen, weshalb sich insofern ein erhöhter Handlungsbedarf für eine Revision des Steuerstrafrechts im Sinne einer Verschärfung ergäbe. Alternativ könnte der Gesetzgeber erhöhte Sorgfaltspflichten für die Schweizer Finanzinstitute in Bezug auf die Steuerkonformität ihrer Kundinnen und Kunden einführen.

Bezüglich des Vorbehalts zur Bekämpfung der Geldwäscherei ist unklar, ob dieser auch für das Melderecht nach Artikel 305ter Absatz 2 StGB und für die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung im Finanzsektor gelten würde oder nicht. Dürften nämlich Banken im Zusammenhang mit Steuerdelikten, die von in der Schweiz ansässigen Personen begangen werden, vom Melderecht nicht mehr Gebrauch machen und keine Meldungen zur Terrorismusfinanzierung machen, so könnte die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung beeinträchtigt werden.

Der Bundesrat empfiehlt deshalb, Absatz 7 des Gegenentwurfs wie folgt zu formulieren:

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In Bezug auf Absatz 4 bleiben gesetzliche Melderechte und -pflichten von Banken im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung sowie mit dem grenzüberschreitenden internationalen Informationsaustausch in Steuersachen vorbehalten.

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4.4

Annahme der Volksinitiative

Für den Fall einer Annahme der Volksinitiative kann hinsichtlich der Revision der Verrechnungssteuer grundsätzlich auf die Ausführungen unter Ziffer 4.3 verwiesen werden. Der Bedarf nach einer wirksamen Steuersicherung im Inland wäre allerdings noch einmal höher als bei einer Annahme des Gegenentwurfs, da nicht nur die Steuermoral sinken dürfte, sondern darüber hinaus auch die bestehenden Untersuchungsmöglichkeiten der Steuerbehörden in Veranlagungs- und Steuerstrafverfahren eingeschränkt würden.

Betreffend die Revision des Steuerstrafrechts gilt insofern das unter Ziffer 4.3 Gesagte. Der Spielraum des Gesetzgebers, die Straftatbestände bei den direkten Steuern neu zu formulieren, wäre beschränkt.

Im Übrigen müssten die Steuergesetze angepasst werden, um die Volksinitiative umzusetzen. Beispielsweise müsste das neu vorgeschriebene richterliche Genehmigungsverfahren geregelt werden. Je nach Interpretation der Initiative müssten auch die Mitwirkungspflichten Dritter, die keine Banken sind, eingeschränkt werden.

Da diese Einschränkungen die korrekte Steuererhebung von Bund, Kantonen und Gemeinden gefährden und zu Mindereinnahmen für die Gemeinwesen führen würden, würde sich die Frage nach flankierenden Massnahmen stellen, die diese neuen Risiken reduzieren. Angesichts der sehr interpretationsbedürftigen Formulierung der Volksinitiative kann der Bundesrat indes zum heutigen Zeitpunkt nicht vorhersehen, wie die Umsetzung der Volksinitiative einschliesslich allfälliger flankierender Massnahmen konkret aussehen würde.

Sollte die Volksinitiative auch die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung oder ­ wie von der Bankiervereinigung vorgebracht ­ den internationalen AIA beeinträchtigen, so müssten Massnahmen geprüft werden, um auch diesen Auswirkungen entgegenzutreten.

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Schlussfolgerung des Bundesrates

Der Bundesrat erkennt unverändert keinen Handlungsbedarf in Bezug auf den Schutz der finanziellen Privatsphäre im Steuerrecht. Der Gegenentwurf würde für die grosse Mehrheit der steuerehrlichen Bürgerinnen und Bürger ebenso wenig Vorteile bringen wie die Volksinitiative.

Zwar würde der Gegenentwurf keine materiellen Neuerungen zur geltenden Rechtslage bringen. Die Verankerung des steuerlichen Bankgeheimnisses in der Bundesverfassung und die Bagatellisierung der Steuerhinterziehung hätten aber Signalwirkung. Steuerunehrliche Personen würden sich in ihrem Verhalten bestärkt fühlen 3368

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und die Steuermoral würde sinken. Als Folge davon ergäben sich Mindereinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden.

Darüber hinaus würde auch der Gegenentwurf den künftigen Spielraum des Gesetzgebers einschränken. Namentlich die aus Wirtschaftskreisen geforderte teilweise Aufhebung der Verrechnungssteuer zur Stärkung des Standorts Schweiz dürfte sich mit Blick auf die fiskalischen Interessen von Bund, Kantonen und Gemeinden sowie auf den Grundsatz der Steuergerechtigkeit kaum noch realisieren lassen, da eine damit verbundene automatische Meldung an die Steuerbehörden nicht mehr möglich wäre.

Aus diesen Gründen steht der Bundesrat auch dem Gegenentwurf ablehnend gegenüber.

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