zu 92.437 zu 93.459 Parlamentarische Initiative Tier keine Sache (Initiative Loeb) Parlamentarische Initiative Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen (Initiative Sandoz) Bericht vom 18. Mai 1999 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 20. September 1999

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Im Sinne von Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG, SR 171.11) unterbreiten wir Ihnen unsere Stellungnahme zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 18. Mai 1999 (BBl 1999 8935) mit Anträgen für eine Revision des Zivilgesetzbuches (ZGB; SR 210), des Obligationenrechts (OR; SR 220) sowie des Strafgesetzbuches (StGB; SR 311.0). Vorgeschlagen wird in erster Linie ein neuer Grundsatzartikel (Art. 641a) im Zivilgesetzbuch, wonach Tiere nur soweit als Sachen behandelt werden sollen, als keine abweichenden Vorschriften bestehen.

Mit dieser deklaratorischen Grundsatzbestimmung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die Grundeinstellung der Bevölkerung zu Tieren gewandelt hat und dass diese eine spezielle Art von Rechtsobjekten sind. Weiter werden verschiedene neue Bestimmungen im Zivilgesetzbuch (Art. 482 Abs. 4, 720a, 722 Abs. 1bis und 1ter, 728 Abs. 1bis, 729a, 934 ZGB), im Obligationenrecht (Art. 42 Abs. 3, 43 Abs. 1bis OR) sowie Anpassungen im Strafgesetzbuch (Art. 110 Ziff. 4bis, 332 StGB) verlangt.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. September 1999

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

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Die Bundespräsidentin: Ruth Dreifuss Der Bundeskanzler: François Couchepin

1999-5266

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Nationalrat François Loeb reichte am 24. August 1992 eine parlamentarische Initiative «Tier keine Sache» (92.437) in Form einer allgemeinen Anregung ein. Er verlangte eine Änderung des schweizerischen Rechts, damit das Tier in der eidgenössischen Gesetzgebung nicht mehr als Sache, sondern als eigene Kategorie behandelt wird.

Alt Nationalrätin Suzette Sandoz reichte am 16. Dezember 1993 die Initiative «Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen» (93.459) ebenfalls in Form der allgemeinen Anregung ein. Sie verlangte darin, dass im Zivilgesetzbuch den Wirbeltieren ihre besondere Sacheigenschaft als Lebewesen zuerkannt wird. Im Unterschied zur Initiative Loeb beschränkt sich die Initiative Sandoz auf Wirbeltiere und auf eine Änderung des Zivilgesetzbuches.

Am 17. Dezember 1993 (Initiative Loeb) bzw. am 16. Dezember 1994 (Initiative Sandoz) beschloss der Nationalrat, den beiden parlamentarischen Initiativen Folge zu geben. Danach wurde die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates beauftragt, einen Entwurf für eine Gesetzesänderung zu erarbeiten. Die Kommission setzte eine Subkommission ein, die Anhörungen durchführte und verschiedene Gutachten einholte, namentlich von Universitätsdozenten. An mehreren Sitzungen der Subkommission nahmen die Initiantin und der Initiant mit beratender Stimme teil.

Die Rechtskommission beriet am 1. Juli und am 31. Oktober 1996 den Vorentwurf ihrer Subkommission.

Über diesen Vorentwurf führte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement im Auftrag der Rechtskommission ein Vernehmlassungsverfahren durch, welches von Februar bis Ende August 1998 dauerte. Zur Vernehmlassung eingeladen wurden das Schweizerische Bundesgericht, die Kantone, die in der Bundes-versammlung vertretenen Parteien sowie 33 interessierte Organisationen. Das Bundesgericht, der Kanton St. Gallen, drei in der Bundesversammlung vertretene Parteien (FDP, SP und SVP), der Schweizerische Anwaltsverband und der Schweizerische Gewerbeverband verzichteten ausdrücklich auf eine Stellung-nahme. Aus den einzelnen Meinungsäusserungen geht hervor, dass sowohl die Grundtendenz des Vorentwurfs wie auch die Revisionsvorschläge im Allgemeinen auf mehrheitliche Zustimmung stiessen. Bei den einzelnen Bestimmungen wurde allerdings in unterschiedlichem Ausmass auch Kritik laut. Abgelehnt wurde die Revision vom Kanton
Solothurn und der Universität Lausanne. Im Übrigen erhielt der Vorentwurf durch vier Petitionen weiteren Sukkurs.

In der Folge beauftragte die Rechtskommission ihre Subkommission, den Vorentwurf im Lichte der Vernehmlassungsergebnisse zu überarbeiten. Am 18. Mai 1999 wurde der von der Subkommission bereinigte Entwurf von der Rechtskommission nochmals materiell beraten, zuhanden des Nationalrats verabschiedet und dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreitet.

In zwei Bereichen liegen Minderheitsanträge vor. Eine Kommissionsminderheit beantragt, auf die von der Mehrheit vorgeschlagene neue Bestimmung betreffend den Ersatz des Affektionswertes (Art. 43 Abs. 1bis OR) zu verzichten. Eine andere Minderheit beantragt den Erlass einer Vorschrift über die Unpfändbarkeit von Tieren, 9542

die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden (Art. 92 Ziff. 1a neu SchKG).

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Stellungnahme des Bundesrates

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Grundsätzliche Zustimmung zum Entwurf der Rechtskommission des Nationalrats

Ziel der von der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates beantragten Revision ist es, dem gewandelten Volksempfinden gegenüber Tieren Rechnung zu tragen und die Rechtsstellung des Tieres zu verbessern. Die auf der römisch-rechtlichen Tradition basierende Auffassung, das Tier sei eine Sache bzw. eine Fahrnis im Sinne des Sachenrechts (vgl. Art. 713 ZGB), entspricht auch nach Meinung des Bundesrates nicht mehr der heutigen allgemeinen Anschauung. Der Bundesrat widersetzt sich deshalb nicht dem Bestreben, die Achtung vor dem Tier in einem neuen Grundsatzartikel (Art. 641a ZGB) zum Ausdruck zu bringen, wonach Tiere keine Sachen sind und nur soweit als solche behandelt werden sollen, als keine abweichenden Vorschriften bestehen. Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, dass das Zivilrecht ­ anders als das öffentliche Recht ­ nur einen bescheidenen Beitrag zum Tierschutz erbringen kann.

Was die einzelnen Anträge der Rechtskommission betrifft, so ist der Bundesrat ­ mit zwei Ausnahmen (Art. 729a ZGB und Art. 43 Abs. 1bis OR; vgl. hinten, Ziff. 22 und 23) ­ inhaltlich weitgehend einverstanden.

Bei der vorgesehenen Änderung im Erbrecht (Art. 482 Abs. 4 ZGB) geht es darum, dass bei einer Zuwendung von Todes wegen an ein Tier die entsprechende Verfügung als Auflage gilt, für das Tier tiergerecht zu sorgen. Eine derartige authentische Interpretation durch den Gesetzgeber entspricht dem erbrechtlichen Grundsatz des favor testamenti. Das Tier erhält dadurch keine beschränkte Rechtsfähigkeit, kann also weder Erbe noch Vermächtnisnehmer sein. Vielmehr hat der jeweilige Erbe oder Vermächtnisnehmer als Auflagebeschwerter dem Willen des Erblassers Nachachtung zu verschaffen, indem er für eine tiergerechte Unterbringung des Tieres sorgen muss.

Auch mit den vorgeschlagenen Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Fund von Tieren (Art. 720a, 722 Abs. 1bis und 1ter, 728 Abs. 1bis, 934 Abs. 1 ZGB) kann sich der Bundesrat einverstanden erklären.

Gleiches gilt für die neue Bestimmung über die Festsetzung des Schadens, der im Zusammenhang mit der Heilung von Tieren anfällt (Art. 42 Abs. 3 OR). Eine ausdrückliche Vorschrift, wonach Heilungskosten für ein Tier auch dann als Schaden geltend gemacht werden können, wenn sie den Wert des Tieres übersteigen, kann zur Rechtssicherheit und Streitvermeidung beitragen. Wenn
bereits die Praxis und die Lehre zum geltenden Recht es nicht ausschliessen, dass im Falle von Sachbeschädigungen die geschuldeten Reparaturkosten den Wert der beschädigten Sache übersteigen können, ist eine entsprechende Bestimmung für Tiere am Platz. Allerdings erachtet es der Bundesrat im Gegensatz zur Kommission nicht als notwendig, ausdrücklich einen Vorbehalt des Handelns nach Treu und Glauben anzubringen.

Das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB) ist eine Vorschrift, welche auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Gesetz für die ganze Privatrechtsordnung

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gilt. Eine ausdrückliche Erwähnung könnte Anlass für verfehlte Umkehrschlüsse in anderen Bereichen sein.

Schliesslich kann der Bundesrat der vorgeschlagenen Legaldefinition im Strafgesetzbuch (Art. 110 Ziff. 4bis StGB) sowie der Strafandrohung bei Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332 StGB) ohne weiteres zustimmen.

In Bezug auf die Ergänzung des SchKG mit einer Bestimmung, wonach Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, unpfändbar sind (Minderheitsantrag für einen neuen Art. 92 Ziff. 1a SchKG), ist der Bundesrat mit der Kommissionsmehrheit der Auffassung, dass eine solche Norm nicht nötig ist. Dafür besteht in der Praxis kein echtes Bedürfnis, weil solche Tiere wenig Aussicht auf einen Verwertungserlös bieten und deshalb kaum je gepfändet werden.

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Teilweise Ablehnung der vorgeschlagenen Vorschriften über die Zusprechung von Eigentum oder Besitz an Tieren (Art. 729a ZGB)

Mit der vorgesehehen Bestimmung über die gerichtliche Zusprechung von Tieren kann sich der Bundesrat nicht vorbehaltlos einverstanden erklären. Soweit es um die Aufhebung von Mit- oder Gesamteigentum geht, gibt sie weder inhaltlich noch systematisch Anlass zu Bemerkungen. Im Rahmen der Aufhebung gemeinschaftlichen Eigentums durch Zuweisung zu Alleineigentum ist sie durchaus sachgerecht.

Problematisch ist es hingegen, wenn gestützt auf den vorgeschlagenen Artikel 729a ZGB bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung das bisherige Alleineigentum eines Ehegatten dem anderen Ehegatten zugesprochen werden kann. Eine derartige, gleichsam «privatrechtliche Enteignung» widerspricht dem schweizerischen Privatrecht und dürfte zudem in einem fraglichen Spannungsfeld zur Eigentumsgarantie stehen (Art. 26 nBV). Aus diesem Grund wurde die Bestimmung des Vorentwurfs im Vernehmlassungsverfahren denn auch von verschiedener Seite kritisiert. Rechtsunsicherheit und Anlass für zusätzlichen Streit zwischen den Scheidungsparteien wäre die unweigerliche Folge.

Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass die Bestimmung zu ändern und systematisch neu einzuordnen ist. Gleichzeitig kann sie redaktionell modifiziert werden, weil die Gegenüberstellung von «Scheidung» und «oder der Auflösung von Miteigentum» insofern unbefriedigend ist, als es gerade bei der Ehescheidung oft um die Aufhebung von Miteigentum geht (vgl. auch Art. 200 Abs. 2 ZGB zur gesetzlichen Vermutung von Miteigentum). Schliesslich ist auch die Regelung der Aufhebung gemeinschaftlichen Eigentums im Besitzesrecht systematisch unzutreffend.

Wir schlagen deshalb eine auf die Aufhebung des Miteigentums gemünzte Regelung vor, welche infolge der gesetzlichen Verweisung (Art. 654 Abs. 2 ZGB) auch für das Gesamteigentum gelten wird. Was den Besitz betrifft, kann allenfalls auf die Möglichkeit vorsorglicher Massnahmen verwiesen werden. Denn es wäre kaum sinnvoll, dass im Endurteil Eigentum und Besitz auseinander fallen. Eine derartige Regelung würde im Widerspruch mit einem Grundpfeiler des Sachenrechts stehen (vgl. insbes. Art. 641 Abs. 2 ZGB betreffend Vindikation).

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Zusammenfassend beantragt der Bundesrat, Artikel 651a ZGB wie folgt zu fassen: Art. 651a c.Tiere des häuslichen Bereichs

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Bei Tieren, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, spricht das Gericht das Alleineigentum derjenigen Partei zu, die in tierschützerischer Hinsicht dem Tier die bessere Unterbringung gewährleistet.

2 Wer das Tier nicht zugesprochen erhält, hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung.

3 Das Gericht trifft die nötigen vorsorglichen Massnahmen, namentlich in Bezug auf die vorläufige Unterbringung des Tieres.

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Ablehnung der vorgeschlagenen Vorschrift über den Ersatz des Affektionswertes bei Verletzung oder Tötung eines Tieres (Art. 43 Abs. 1bis OR)

Bei der anderen Bestimmung, die in der Kommission umstritten gewesen ist, teilt der Bundesrat die Meinung der Kommissionsminderheit.

Die Kommissionsmehrheit will im Fall der Verletzung oder Tötung eines Tieres dem gefühlsmässigen Wert Rechnung tragen, den das Tier für seinen Halter oder dessen Angehörige hatte (Art. 43 Abs. 1bis OR).

Eine derartige Vorschrift würde nach Meinung des Bundesrates die Grenze zwischen Schadenersatz und Genugtuung (Art. 49 OR) weitgehend verwischen. Zudem kann auch der Einwand der Kommissionsminderheit nicht von der Hand gewiesen werden, dass in der Praxis dem Affektionswert von Tieren im Vergleich zur Genugtuung bei Verletzung oder Tötung von Menschen (Art. 47, 49 OR) zu viel Gewicht beigemessen würde. Deshalb vertritt der Bundesrat die Meinung, dass auf einen neuen Artikel 43 Absatz 1bis des Obligationenrechts zu verzichten ist.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die Vorlage hat für den Bund weder finanzielle noch personelle Auswirkungen.

Eine gewisse, allerdings weder quantifizierbare noch kaum ins Gewicht fallende Belastung erwächst den Kantonen, weil diese verpflichtet sind, eine Stelle zu bezeichnen, bei der die verlorenen Tiere anzuzeigen sind (vgl. Art. 720a ZGB).

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Verhältnis zum europäischen Recht

Das europäische Recht enthält keine einschlägigen Normen über den Schutz von Tieren im Privatrechtsverkehr. Das Europäische Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren vom 13. November 1987 (SR 0.456) mit seinen Vorschriften betreffend den Handel mit Heim- bzw. Haustieren (Art. 6 und 8) berührt weder die Revision des Zivilgesetzbuches noch diejenige des Obligationenrechts.

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Verfassungsmässigkeit

Sowohl nach der bisherigen als auch nach der neuen Bundesverfassung ist für die Gesetzgebung im Bereich des Zivilrechts und des Strafrechts der Bund zuständig (Art. 64 Abs. 1 und 2, 64bis Abs. 1 aBV; Art. 122 Abs. 1, 123 Abs. 1 nBV). Der Vorschlag des Bundesrates für einen neuen Artikel 651a ZGB entspricht der Verfassung (Art. 26 nBV).

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