Bundesgesetz

Anhang 8 Entwurf

über die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für in die Schweiz entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und flankierende Massnahmen (Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 110 Absatz 1 Buchstaben a und b der Bundesverfassung, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 23. Juni 1999 1, beschliesst:

Art. 1

Gegenstand

1

Dieses Gesetz regelt die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ein Arbeitgeber mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland in die Schweiz entsendet, damit sie hier vorübergehend: a.

auf seine Rechnung und unter seiner Leitung im Rahmen eines Vertragsverhältnisses zwischen ihm und dem Leistungsempfänger eine Arbeitsleistung erbringen;

b.

in einer Niederlassung oder einem Betrieb arbeiten, der zur Unternehmensgruppe des Arbeitgebers gehört.

2

Der Begriff der Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers bestimmt sich nach schweizerischem Recht (Art. 319 ff. Obligationenrecht, OR2).

Art. 2

Minimale Arbeits- und Lohnbedingungen

1

Die Arbeitgeber müssen den entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mindestens die Arbeits- und Lohnbedingungen garantieren, die in Bundesgesetzen, Verordnungen des Bundesrates, allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen und Normalarbeitsverträgen im Sinne von Artikel 360a des Obligationenrechts3 in den folgenden Bereichen vorgeschrieben sind:

1 2 3

a.

Entlöhnung;

b.

Arbeits- und Ruhezeit;

c.

Mindestdauer der Ferien;

d.

Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz;

BBl 1999 6128 SR 220 SR 220

6480

1999-4599

Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

e.

Schutz von Schwangeren, Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen;

f.

Nichtdiskriminierung, namentlich Gleichbehandlung von Frau und Mann.

2

Die im Zusammenhang mit der Entsendung gewährten Entschädigungen gelten als Lohnbestandteil, sofern sie keinen Ersatz für tatsächlich getätigte Aufwendungen wie solche für Reise, Verpflegung und Unterkunft darstellen.

3 Die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen müssen für die ganze Dauer des Einsatzes eingehalten werden.

Art. 3

Unterkunft

Der Arbeitgeber muss den entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Unterkunft garantieren, die dem üblichen Standard bezüglich Hygiene und Komfort genügt.

Art. 4 1

Ausnahmen

Die Mindestvorschriften für die Entlöhnung und die Ferien gelten nicht für: a.

Arbeiten von geringem Umfang;

b.

Montage oder erstmaligen Einbau, wenn die Arbeiten weniger als acht Tage dauern.

2

Der Bundesrat legt die Kriterien zur Bestimmung der Arbeiten nach Absatz 1 fest.

Der Umfang bemisst sich nach Art, Dauer und Häufigkeit der Einsätze sowie Zahl der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

3 Die Bereiche des Baugewerbes (Hochbau, Tiefbau und Baunebengewerbe) sowie des Hotel- und Gastgewerbes sind von Absatz 1 ausgenommen. Der Bundesrat kann weitere Branchen von Absatz 1 ausnehmen.

Art. 5

Subunternehmer

1

Werden die Arbeiten von Subunternehmern mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland ausgeführt, so muss der Erstunternehmer (wie Total-, General- oder Hauptunternehmer) die Subunternehmer vertraglich verpflichten, dieses Gesetz einzuhalten.

2

Fehlt eine solche Verpflichtung, so kann der Erstunternehmer für Verstösse von Subunternehmern gegen dieses Gesetz mit den Sanktionen nach Artikel 9 belegt werden; der Erstunternehmer haftet zudem zivilrechtlich für die Nichteinhaltung der Mindestbedingungen nach Artikel 2.

Art. 6

Meldung

1

Vor Beginn des Einsatzes hat der Arbeitgeber der zuständigen kantonalen Behörde schriftlich und in der Amtssprache des Einsatzortes zu melden: a.

Zahl und Namen der entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer;

b.

Datum des Arbeitsbeginns und voraussichtliche Dauer der Arbeiten;

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Bundesgesetz über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

c.

Art der auszuführenden Arbeiten;

d.

den genauen Ort, an dem die Arbeiten ausgeführt werden.

2

Der Arbeitgeber hat der Meldung die Erklärung beizulegen, dass er von den Bedingungen nach den Artikeln 2 und 3 Kenntnis genommen hat und sich verpflichtet, sie einzuhalten.

3

Der Bundesrat bezeichnet die Fälle, in denen von der Meldung abgesehen werden kann.

Art. 7

1

Vollzug

Die Einhaltung der Anforderungen nach diesem Gesetz wird kontrolliert: a.

bezüglich der Bestimmungen eines allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrags: von den mit der Durchsetzung des Gesamtarbeitsvertrages betrauten paritätischen Organen;

b.

bezüglich der Bestimmungen eines Normalarbeitsvertrages über Minimallöhne im Sinne von Artikel 360a des Obligationenrechts4: von den durch die Kantone oder den Bund eingesetzten tripartiten Kommissionen (Art. 360b OR);

c.

bezüglich der Bestimmungen von Bundeserlassen: von den nach diesen Erlassen zuständigen Behörden;

d.

bezüglich der andern Bestimmungen: von den durch die Kantone bezeichneten Behörden.

2 Der Arbeitgeber muss den Organen auf Verlangen alle Dokumente zustellen, die die Einhaltung der Arbeits- und Lohnbedingungen der entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer belegen. Die Dokumente müssen in einer Amtssprache vorgelegt werden.

3

Der Arbeitgeber muss den Vollzugsorganen jederzeit freien Zutritt zum Arbeitsplatz und den Verwaltungsräumen gewähren.

Art. 8

Zusammenarbeit

1

Die Vollzugsorgane nach Artikel 7 koordinieren ihre Tätigkeiten und arbeiten zusammen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendig ist.

2

Sie tauschen untereinander die erforderlichen Auskünfte und Unterlagen aus.

Art. 9 1

Sanktionen

Die Vollzugsorgane melden jeden Verstoss gegen dieses Gesetz der zuständigen kantonalen Behörde.

4

SR 220

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2

Die zuständige kantonale Behörde kann: a.

bei geringfügigen Verstössen gegen Artikel 2 und bei Verstössen gegen die Artikel 3 und 6 eine Verwaltungsbusse bis 5000 Franken aussprechen; Artikel 7 des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes (VStrR)5 ist anwendbar;

b.

bei Verstössen gegen Artikel 2, die nicht geringfügig sind, dem betreffenden Arbeitgeber verbieten, während ein bis fünf Jahren in der Schweiz seine Dienste anzubieten;

c.

dem fehlbaren Arbeitgeber die Kontrollkosten ganz oder teilweise auferlegen.

3 Die Behörde, die eine Sanktion ausspricht, stellt der zuständigen Behörde6 eine Kopie ihres Entscheides zu. Diese führt eine Liste der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die Gegenstand einer rechtskräftigen Sanktion gewesen sind.

Art. 10

Rechtsmittel

Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz7 und nach dem Bundesrechtspflegegesetz8.

Art. 11

Klagerecht

Die Organisationen, die nach ihren Statuten die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber wahren, haben ein selbstständiges Klagerecht auf Feststellung einer Verletzung dieses Gesetzes.

Art. 12

Strafbestimmungen

1

Mit Busse bis 40 000 Franken, ausser es liege ein Vergehen vor, für welches das Strafgesetzbuch9 eine höhere Strafe vorsieht, wird bestraft, wer:

2

a.

in Verletzung der Auskunftspflicht wissentlich falsche Auskünfte erteilt oder die Auskunft verweigert;

b.

sich der Kontrolle der zuständigen Behörde widersetzt oder in irgendeiner Weise die Kontrolle verunmöglicht.

In leichten Fällen kann die Behörde von einer Strafverfolgung absehen.

3

Mit Busse bis 1 000 000 Franken, ausser es liege ein Verbrechen oder Vergehen vor, für welches das Strafgesetzbuch eine höhere Strafe vorsieht, wird bestraft, wer in seiner Funktion als Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer die in Artikel 2 genannten Mindestbedingungen systematisch, wiederholt und in gewinnsüchtiger Absicht nicht garantiert.

4

5 6 7 8 9

Artikel 59 des Strafgesetzbuchs ist anwendbar.

SR 313.0 Gegenwärtig BWA SR 172.021 SR 173.110 SR 311.0

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Art. 13

Strafverfolgung

Strafbare Handlungen gegen dieses Gesetz werden von den Kantonen verfolgt und beurteilt.

Art. 14

Aufsicht über den Vollzug

Die zuständige Behörde10 beaufsichtigt den Vollzug dieses Gesetzes. Es kann den Vollzugsorganen Weisungen erteilen.

Art. 15

Referendum und Inkrafttreten

1

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

10

Gegenwärtig BWA

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Annex zum Anhang 8

Änderung bisherigen Rechts 1. Bundesgesetz vom 18. Dezember 198711 über das Internationale Privatrecht Art. 115 Absatz 3 (neu) 3

Für Klagen bezüglich der auf die Arbeitsleistung anzuwendenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sind zudem die Schweizer Gerichte am Ort zuständig, an den der Arbeitnehmer für einen begrenzten Zeitraum und zur Verrichtung auch nur eines Teils seiner Arbeit aus dem Ausland entsandt worden ist.

2. Obligationenrecht12 Art. 360a (neu) IV. Mindestlöhne 1 Werden in einer Branche die orts-, 1. VoraussetzunLöhne wiederholt in missbräuchlicher gen

berufs- und branchenüblichen Weise unterboten, so kann die zuständige Behörde zur Bekämpfung oder Verhinderung von Missbräuchen auf Antrag der tripartiten Kommission nach Artikel 360b einen Normalarbeitsvertrag erlassen, der Mindestlöhne vorsieht.

2

Die Mindestlöhne dürfen weder dem Gesamtinteresse zuwiderlaufen noch die berechtigten Interessen anderer Branchen oder Bevölkerungskreise beeinträchtigen. Sie müssen den auf regionalen oder betrieblichen Verschiedenheiten beruhenden Minderheitsinteressen der betroffenen Branchen oder Berufe angemessen Rechnung tragen.

Art. 360b (neu)

2. Tripartite Kommissionen

1

Der Bund und jeder Kanton setzen eine tripartite Kommission ein, die sich aus Vertretern der Sozialpartner und des Staates zusammensetzt.

2 Die Kommissionen beobachten den Arbeitsmarkt. Stellen sie Missbräuche im Sinne von Artikel 360a Absatz 1 fest, so beantragen sie der zuständigen Behörde den Erlass eines Normalarbeitsvertrages, der für die betroffenen Branchen Mindestlöhne vorsieht. Die Kommissionen können eine direkte Verständigung mit den betroffenen Arbeitgebern suchen.

3

Ändert sich die Arbeitsmarktsituation in den betroffenen Branchen, so beantragt die tripartite Kommission der zuständigen Behörde die Änderung oder die Aufhebung des Normalarbeitsvertrags.

11 12

SR 291 SR 220

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4

Um die ihnen übertragenen Aufgaben wahrzunehmen, haben die tripartiten Kommissionen in den Betrieben ein Untersuchungsrecht. Sie können insbesondere die Einsichtnahme in alle Dokumente verlangen, welche geeignet sind, die Löhne und Arbeitsbedingungen des Betriebs zu belegen.

Art. 360c (neu)

3. Wirkungen

1

Der Normalarbeitsvertrag nach Artikel 360a gilt auch für Arbeitnehmer, die nur vorübergehend in seinem örtlichen Geltungsbereich tätig sind.

2

Durch Abrede darf vom Normalarbeitsvertrag nach Artikel 360a nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.

Art. 360d (neu) 4.Klagerecht der Verbände

Den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmerverbänden steht ein Anspruch auf gerichtliche Feststellung zu, dass ein Arbeitgeber den Normalarbeitsvertrag nach Artikel 360a nicht einhält.

Art. 360e (neu)

5. Meldung

Die Kantone, die einen Normalarbeitsvertrag in Anwendung von Artikel 360a erlassen, stellen der zuständigen Behörde13 ein Exemplar zu.

3. Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen14 Art. 1 Randtitel Allgemeinverbindlicherklärung 1. Im Allgemeinen

Art. 1a (neu) 2. Bei Missbräuchen

13 14 15

Stellt die tripartite Kommission nach Artikel 360b Obligationenrecht15 fest, dass in einer Branche oder einem Beruf die orts-, berufsund branchenüblichen Löhne und Arbeitszeitbedingungen wiederholt in missbräuchlicher Weise unterboten werden, so kann sie mit Zustimmung der Vertragsparteien die Allgemeinverbindlicherklärung der Bestimmungen über die Entlöhnung, die Arbeits- und Ruhezeit sowie die paritätischen Kontrollen des für die betreffende Branche geltenden Gesamtarbeitsvertrags beantragen.

Gegenwärtig BWA SR 221.215.311 SR 220

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Art. 2 Ziff. 3 Die Allgemeinverbindlichkeit darf nur unter folgenden Voraussetzungen angeordnet werden : 3.

Die am Gesamtarbeitsvertrag beteiligten Arbeitgeber müssen mehr als die Hälfte der Arbeitgeber ausmachen, die nach der Allgemeinverbindlicherklärung dem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen sollen, und die Mehrheit aller Arbeitnehmer beschäftigen. Im Fall eines Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung nach Artikel 1a müssen die beteiligten Arbeitgeber mindestens 30 Prozent der Arbeitgeber ausmachen, die nach der Allgemeinverbindlicherklärung dem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen sollen und mindestens 30 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigen.

Art. 6 Besonderes Kontrollorgan

1 Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf die der Geltungsbereich des Gesamtarbeitsvertrages ausgedehnt wird, können jederzeit bei der zuständigen Behörde die Einsetzung eines besonderen, von den Vertragsparteien unabhängigen Kontrollorgans an Stelle der im Vertrag vorgesehenen Kontrollorgane verlangen. Dieses Kontrollorgan kann auch auf Antrag der Vertragsparteien eingesetzt werden, wenn sich ein am Vertrag nicht beteiligter Arbeitgeber oder Arbeitnehmer weigert, sich einer Kontrolle des paritätischen Organs zu unterziehen.

2

Die zuständige Behörde bestimmt Gegenstand und Umfang der Kontrolle nach Anhörung der Vertragsparteien und des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, der die Einsetzung eines besonderen Kontrollorgans verlangt oder der sich geweigert hat, sich der Kontrolle des paritätischen Organs zu unterziehen.

3

Die Kontrollkosten gehen zu Lasten des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, der eine besondere Kontrolle verlangt oder der sich geweigert hat, sich der Kontrolle des paritätischen Organs zu unterziehen; sie können jedoch von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise den Vertragsparteien auferlegt werden, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen.

Art. 20 Abs. 2

2

Bei Anträgen, über die der Bundesrat entscheidet, führt die zuständige Behörde16 das Verfahren und trifft die Massnahmen nach den Artikeln 5 Absätze 2 und 6.

16

Gegenwärtig BWA

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